LAG Hamm, Urteil vom 03.07.2014 - 15 Sa 169/14
Fundstelle
openJur 2014, 24123
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 17.12.2013 - 7 Ca 1917/13 - wird einschließlich des Auflösungsantrags zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 Buchst. c) ArbGG an sich statthaft und auch gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. In der Sache musste dem Rechtsmittel der Erfolg versagt bleiben.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die Kündigung der Beklagten vom 24.04.2013 weder fristlos (1.) noch ordentlich zum 30.11.2013 (2.) aufgelöst worden. Auch war das Arbeitsverhältnis nicht aufzulösen gegen Zahlung einer Abfindung (3.). Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen (4.). Der Widerklage war nicht stattzugeben (5.).

1. Der Beklagten steht für die fristlose Kündigung vom 24.04.2013 ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht zur Seite.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund der dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (st. Rspr. des Bundesarbeitsgerichts, etwa Entsch. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG, 26.03.2009 - 2 AZR 953/07, AP BGB § 626 Nr. 220). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist.

b) Das von der Beklagten dargelegte Verhalten des Klägers rechtfertigt bereits an sich eine außerordentliche Kündigung nicht.

aa) Zwar ist der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des Gesetzes darzustellen (BAG, 09.06.2011 - 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027; BAG, 27.11.2005 - 2 AZR 39/05, AP BGB, § 626 Nr. 197; BAG, 21.04.2005 - 2 AZR 255/07, BAGE 114, 264). Auch ist anerkannt, dass dies für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso gilt wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG, 24.11.2005 a.a.O.). Der Arbeitgeber ist angewiesen und muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und führt ein Arbeitnehmer ein dafür zur Verfügung stehendes Formular wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Es liegt in diesem Verhalten einen erhebliche Verletzung der gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

bb) Vorliegend ist es der Beklagten weder erst- noch zweitinstanzlich gelungen, Verstöße des Klägers gegen seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der abgeleisteten Arbeitszeit substantiiert und widerspruchsfrei darzulegen.

(1) Die Vorlage der Excel-Tabelle (Bl. 61 f. d. A.), die die Beklagte erstinstanzlich ihrem Schriftsatz vom 11.06.2013 angelegt hat, vermag - wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat - substantiiertes Vorbringen nicht zu ersetzen. Ihr ist insbesondere nicht zu entnehmen, welche Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter an welchen Tagen welche konkreten Arbeitszeit-Abweichungen des Klägers auf welche Weise festgestellt und sodann aufgezeichnet bzw. in die Tabelle eingetragen hat. Mangels entsprechenden Parteivortrags war dem Beweisantrag der Beklagten auf Vernehmung von ihr gestellter Zeugen zu Recht nicht zu entsprechen, da dies auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen wäre.

(2) Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz genügt nach wie vor nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung des streitigen Kündigungssachverhalts.

Die Behauptung, dass der Kläger an einem bestimmten Datum als Arbeitsbeginn eine bestimmte Uhrzeit angegeben habe, jedoch tatsächlich erst zu einer späteren Uhrzeit erschienen sei - Entsprechendes gilt für die Behauptungen der Beklagten zu eingetragenem Arbeitsende und tatsächlichem Verlassen des Arbeitsplatzes - ist ohne weitere Darlegungen einer Zeugenvernehmung unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Ausforschungsbeweises nicht zugänglich. Die Beklagte hätte nachvollziehbar vorzutragen gehabt, wie sie die Begriffe Arbeitsbeginn/Arbeitsende sowie Erscheinen/Verlassen des Arbeitsplatzes konkret versteht. Verlässt jemand den Arbeitsplatz, muss ein solches Verhalten nicht zwangsläufig das Arbeitszeitende an dem betreffenden Arbeitstag bedeuten. Auch ein tatsächliches Erscheinen muss nicht zwingend der Beginn der Arbeitsaufnahme sein.

Des Weiteren hätte die Beklagte darzustellen gehabt, unter welchen Umständen sie ihre Beobachtungen mit der Hilfe von Mitarbeitern gemacht hat und welche Variablen ihrer Dokumentation per Excel-Tabelle zugrunde lagen. Dieses Erfordernis stellte sich für die Beklagte umso mehr unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens, nach dem die die Arbeitszeiten beobachtende bzw. dokumentierende Mitarbeiterin Kath - unwidersprochen - ein "Kommen" des Klägers vor 9.00 Uhr mangels arbeitstäglicher persönlicher Anwesenheit in ihrem Büro vor diesem Zeitpunkt nicht habe feststellen können. Es fragt sich dann allerdings, auf welcher Grundlage die in das Wissen dieser Mitarbeiterin gestellten Zeitangaben in die Excel-Tabelle gelangt sind, finden sich doch zahlreiche Eintragungen zu einer Arbeitsaufnahme des Klägers deutlich vor 9:00 Uhr, für die die Mitarbeiterin Kath als Zeugin aufgeboten ist.

Widersprüchlich wird das Berufungsvorbringen insbesondere dadurch, dass die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat, die Arbeitszeiten seien korrekt und wahrheitsgemäß von der Teamleiterin, Kath, sowie von zwei weiteren Kollegen erfasst worden. Im Kammertermin vom 17.12.2013 erklärte der Vertreter der Beklagten überdies, dass kein weiterer Vortrag mehr erfolgen werde. Zweitinstanzlich änderte die Beklagte ihren Vortrag nunmehr ab und benennt für das von ihr behauptete fehlerhafte Aufschreiben der Arbeitszeiten durch den Kläger allein die Teamleiterin Kath und den Mitarbeiter Pleger. Ob die tatsächlichen Beobachtungen zu den sodann dokumentierten Arbeitszeiten jedoch durch zwei oder aber durch drei Personen erfolgten, kann nicht beliebig zum Parteivortrag erhoben werden. Ein Auswechseln des Vorbringens ohne nähere Erläuterung verwehrt dem Kläger jede Möglichkeit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Kündigungssachverhalt.

Indem die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung lediglich die Inhalte der Excel-Tabelle wiederholt, indes keinerlei Darlegungen zu den näheren Umständen der den Daten zugrunde liegenden Beobachtungen und auch der Dokumentation erfolgen, genügt sie nicht den Anforderungen, die an einen kündigungsbegründenden konkreten Sachvortrag zu stellen sind. Dem Kläger seinerseits war es aufgrund des unzureichenden tatsächlichen Vorbringens der Beklagten nicht möglich, sich zu den ihm vorgehaltenen Daten im Einzelnen zu erklären.

Da die Beklagte ihrer Darlegungs- und (gfl.) Beweislast, die sie für das Vorliegen aller Umstände des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB trifft, nicht nachgekommen ist, bleibt die fristlose Kündigung vom 24.04.2013 rechtsunwirksam.

2. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis ebenso wenig (zum 30.09.2013). Die Beklagte hat, dies ergibt sich aus den Ausführungen oben unter Punkt II. 1, auch Kündigungsgründe für eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG nicht substantiiert dargelegt.

3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war nicht auf Antrag der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen. Auflösungsgründe im Sinne der kündigungsschutzrechtlichen Bestimmung liegen nicht vor.

Nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG hat das Gericht nach - wie vorliegend gegeben - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

a) Nach seiner Konzeption ist das Kündigungsschutzgesetz ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb lässt es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. An die Auflösungsgründe sind strenge Anforderungen zu stellen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG, 08.10.2009 - 2 AZR 682/08, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG, 24.03.2011 - 2 AZR 674/09, juris).

Auflösungsgründe im Sinne des Gesetzes können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine dem Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im (schuldhaften) Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist vielmehr, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG, 08.10.2009 a.a.O.). Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen können als Auflösungsgrund geeignet sein. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können. Es ist anerkannt, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht (BAG, 24.03.2011, a.a.O. mit Hinweis auf BVerfG, 11.04.1991 - 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074).

b) Daran gemessen liegen Sachverhalte, die geeignet wären, das Arbeitsverhältnis des Klägers durch gerichtliche Entscheidung aufzulösen, nicht vor. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht rechtfertigte die objektive Lage nicht die Besorgnis, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Kläger gefährdet ist. Wenn der Kläger im laufenden Verfahren sich über einen Zeitraum von drei Monaten deutlich ausspioniert gefühlt hat durch ein heimliches Observierungsverhalten der Beklagten, dessen Rechtmäßigkeit durchaus kritisch bewertet werden kann, muss er seine Kritik relativ drastisch formulieren dürfen. Mit der Ausdrucksweise, dass derartige Überwachungsmaßnahmen unzulässig seien und eigentlich in die unrühmliche Zeit des DDR-Systems gehörten, vergleicht er zwar die Arbeitszeitkontrollen der Beklagten mit den Methoden des damaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR, der Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der SED gegenüber der DDR-Bevölkerung war. Dass dieser Vergleich, wenn gleich er nur die Methode der Kontrolle betrifft, insgesamt unzutreffend ist, bedarf keiner näheren Erläuterung. Andererseits will der Kläger mit seiner Formulierung eindringlich verdeutlichen, dass seiner Ansicht nach die Beklagte ihn über den sehr langen Zeitraum von drei Monaten tagtäglich beim "Kommen und Gehen" in unzulässiger Weise heimlich observiert hat. Eine derartige Überwachung gehöre, so der Kläger, "eigentlich in die unrühmliche Zeit des allseits bekannten DDR-Systems". Mit dieser Wortwahl, insbesondere auch durch das die Heftigkeit der Formulierung abschwächende Wort "eigentlich", hält sich der Kläger zur Überzeugung der Berufungskammer noch im Rahmen dessen auf, was als zulässige, wenn gleich pointierte Unterstreichung seiner Rechtsposition begriffen werden kann.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses scheitert letztlich jedoch bereits daran, dass die Beklagte den Kläger konkret tatsächlich weitbeschäftigt. Der Kläger konnte in diesem Zusammenhang von der Beklagten unbestritten vortragen, dass seine Weiterbeschäftigung Probleme nicht aufwerfe. Wenn die Beklagte während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnis zudem nicht geltend gemacht hat und den Kläger zudem während des Verfahrens des Berufungsrechtszugs tatsächlich weiterbeschäftigt, kann die objektive Lage nicht die Besorgnis rechtfertigen, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien gefährdet ist.

4. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses.

Da die streitgegenständliche Kündigung rechtswirksam ist und zusätzliche Umstände, aus denen sich ein überwiegendes Interesse der Beklagten ergibt, den Kläger nicht zu beschäftigen, nicht erkennbar sind, greift der Anspruch zugunsten des Klägers (vgl. BAG, 27.02.1985 - GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

5. Die Widerklage ist unbegründet. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von 517,89 Euro aus dem Gesichtspunkt einer Überzahlung.

Da - wie entschieden - das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Kläger gegen die Beklagte für den Zeitraum 25.04. bis 30.04.2013 Anspruch auf Arbeitsentgelt. Der Anspruch beruht auf § 615 BGB, da die Beklagte sich in dem streitigen April-Zeitraum mit der Annahme der klägerischen Arbeitsleistung in Verzug befand.

III. Die Kostenentscheidung zu Lasten der mit dem Rechtsmittel unterlegenen Beklagten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht gegeben.