VG Greifswald, Urteil vom 25.09.2014 - 6 A 77/13
Fundstelle
openJur 2014, 23590
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung seines Bescheids vom 10.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2013 verpflichtet, dem Kläger weitere Beihilfe in Höhe von 349,72 € für die Rechnungen vom 03. und 16.08.2012 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden jeweils zur Hälfte dem Beklagten und dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden falls der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beihilfe.

Der Kläger ist als emeritierter Universitätsprofessor beihilfeberechtigter ehemaliger Hochschullehrer im Landesdienst. Er beantragte unter dem 30.08.2012 u.a. die Gewährung einer Beihilfe für das in den Jahren 2011 und 2012 seiner am 16.04.1983 geborenen Tochter mehrfach verschriebene Präparate „NEURO PS Kapseln“, „CURCU TRUW (Kapseln) und „Rezeptur auch ungemischt“, für das der Kläger insgesamt 472,40 Euro aufwandte. Zugleich beantragte er die Gewährung einer Beihilfe für unter dem 03. bzw. 16.08.2012 abgerechnete ärztliche Behandlungen, für die er 437,15 Euro aufwandte. Mit Bescheid vom 10.09.2012 versagte der Beklagte hierfür die Gewährung einer Beihilfe. Zur Begründung führte er aus, die verordneten Mittel seien nicht beihilfefähig, da es sich nicht um Arzneimittel handele und sie nicht verschreibungspflichtig seien. Die in Rechnung gestellten Analogziffern seien nicht beihilfefähig.

Hiergegen legte der Kläger am 11.10.2012 unter Hinweis auf zwei Urteile und die Erkrankung seiner Tochter an CSF/ME Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung heißt es, nicht beihilfefähig seien Aufwendungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nach § 34 Abs. 1 Satz 6 bis 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) oder aufgrund der Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 3 SBG V von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Die Entscheidung über die Beihilfefähigkeit sei abhängig von der Zuordnung des Mittels zum Kreis der Arzneimittel. Einen Anhaltspunkt, ob es sich um ein Arzneimittel im medizinischen Sinn handele, könne seiner Zulassung bzw. Registrierung entnommen werden, die nach § 2 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vorgeschrieben sei. Mit dieser Zulassung bzw. Registrierung würden Arzneimittel in eine pharmazeutische Liste, die sog. „Rote Liste“ aufgenommen. Die streitigen Mittel seien in dieser Liste nicht enthalten und hätten somit auch nicht die notwendige Zulassung als Arzneimittel. Weder weise die Medizindatenbank die Mittel aus, noch seien sie als beihilfefähiges Produkt im Anhang 10 aufgeführt. Vielmehr sei es aufgrund der inhaltlichen Zusammensetzung als Nahrungsergänzungsmittel dem Bereich der Lebensmittel und somit der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen. Aufwendungen für Mittel, die geeignet seien, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, würden bereits im Rahmen der Besoldung berücksichtigt. Würden sie nochmals im Rahmen der Beihilfe berücksichtigt, käme dies einer Überalimentierung gleich. Das verordnete Medikament sei nach seiner objektiven Eigenart und Beschaffenheit dazu bestimmt, als Nahrungsersatz verwendet zu werden. Nahrungsergänzungsmittel und Aufbaupräparate benötigten keine spezielle Zulassung. Sie seien per Definition Lebensmittel oder Güter des täglichen Bedarfs, die die allgemeine Ernährung ergänzen und eine physiologische Wirkung ausüben würden.

Am 20.02.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, es gäbe für die Erkrankung seiner Tochter zurzeit noch keine allgemeine Therapie. Bei Krankheiten unbekannter Ursache, zu deren Behandlung es keine allgemein anerkannte Therapie gebe und die schwere existenzbedrohende Formen angenommen hätten, seien auch Behandlungen mit Versuchscharakter zu erstatten. Die Ablehnung der Beihilfegewährung verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip und sei mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz nicht vereinbar.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 10.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2013 zu verpflichten, ihm weitere Beihilfe in Höhe von 727,64 Euro für die Rechnungen vom 03. und 16.08.2012 sowie für die Rezepte vom 02.05.2012, 25.06.2012 und 08.08.2012 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, vermeintliche Lücken im Gebührenverzeichnis oder anderweitige Auffassungen über den Wert einer ärztlichen Leistung würden keine analoge Bewertung rechtfertigen.

Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 04.07.2014 auf den Einzelrichter übertragen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakte und den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25.09.2014 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Ablehnung bzw. Unterlassung des begehrten Verwaltungsakts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit ihm die Beihilfe für die mit Rechnungen vom 03. und 16.08.2012 erbrachten ärztlichen Leistungen verwehrt worden ist; im Übrigen ist die Ablehnung rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seien Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat nur teilweise einen Anspruch auf die begehrte Beihilfegewährung.

Anspruchsgrundlage hierfür ist § 80 Landesbeamtengesetz Mecklenburg-Vorpommern (LBG M-V) in Verbindung mit den zum Zeitpunkt des Bezuges des verschrieben Präparats in den Jahren 2011 und 2012 gültigen Beihilfevorschriften des Bundes, die das Land Mecklenburg-Vorpommern für anwendbar erklärt hat. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die die Beihilfe verlangt wird (BVerwG, Urteil vom 27.05.2010 - 2 C 78/08 -, zitiert nach juris). Grundlage für die zu treffende Entscheidung ist daher sowohl der zu den maßgeblichen Zeitpunkten geltende § 80 Abs. 1 LBG M-V sowie die Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) vom 13. Februar 2009 in der ab 15. Februar 2009 geltenden Fassung (BGBl. I 2009, 326). Die Bundesbeihilfeverordnung ist auf alle ab dem 15. Februar 2009 entstandenen Aufwendungen anwendbar (vgl. §§ 58 Abs. 1, 59 BBhV) und damit auch auf die im vorliegenden Fall streitigen Aufwendungen.

Ein Anspruch des Klägers auf Beihilfe zu den von ihm geltend gemachten Aufwendungen beurteilt sich nach § 80 Abs. 1 LBG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV. Nach § 80 Abs. 1 LBG werden u.a. in Krankheitsfällen Beihilfen nach Maßgabe des § 80 Bundesbeamtengesetz vom 05.02.2009 (BGBl. I S. 160) einschließlich hierzu ergangener Rechtsvorschriften gewährt. Der Kläger ist als - im Zeitpunkt der Aufwendungen - Beamter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BBhV beihilfeberechtigt und seine Tochter nach § 4 Abs. 2 BBhV berücksichtigungsfähig. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBhV besteht auf Beihilfe ein Rechtsanspruch. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV sind Aufwendungen grundsätzlich beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und wirtschaftlich angemessen sind.

Die streitbefangenen Aufwendungen für ärztliche Leistungen waren dem Grunde nach notwendig und angemessen. Die Beihilfefähigkeit ist nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Die Angemessenheit der Aufwendungen beurteilt sich gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV bei ärztlichen Leistungen ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Von der Ausnahme in § 6 Abs. 3 Satz 2 BBhV abgesehen umschreibt die BhBV den Begriff der Angemessenheit nicht, sondern verweist auf die Vorschriften der ärztlichen Gebührenordnung. Angemessen und demnach beihilfefähig sind Aufwendungen, die dem Arzt nach Maßgabe der GOÄ zustehen. Ob der Arzt seine Forderung zu Recht geltend gemacht hat, ist eine der Beihilfegewährung vorgreifliche und nach der Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient dem Zivilrecht zuzuordnende Rechtsfrage, über die die Zivilgerichte letztverbindlich zu entscheiden haben. Deren Beurteilung präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne. Ist - wie hier - eine Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg indes nicht ergangen, hat der Dienstherr zu prüfen, ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind ( siehe: BVerwG, Urteil vom 20. März 2008 - Az.: 2 C 19.06 -, A. 270 § 5 BhV Nr. 18, m. w. N. ).

Der hier streitbefangene Honoraranspruch des behandelnden Arztes gegen den Kläger beruht vorliegend auf § 6 Abs. 2 GOÄ (i. V. m. Nr. 5353 GOÄ). Danach können selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob eine nach einer bestimmten GOÄ-Nummer abgerechnete ärztliche Leistung beihilfefähig ist, und damit zugleich für die Beurteilung der Angemessenheit von Aufwendungen ist mithin die - vorgreifliche - Auslegung des ärztlichen Gebührenrechtes durch die Zivilgerichte. Denn die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine ärztliche Behandlung setzt grundsätzlich voraus, dass der Arzt die Rechnungsbeträge auf der Basis einer zutreffenden Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat, das geforderte Honorar ihm also von Rechts wegen zusteht. Dabei muss nicht mit letzter Gewissheit feststehen, wie die Zivilgerichte insoweit entscheiden würden und dürfen Unklarheiten bei der Auslegung der einschlägigen Gebührenordnung nicht zu Lasten des Beamten gehen. Dieser wäre sonst vor die Wahl gestellt, entweder auf sein Risiko eine rechtliche Auseinandersetzung über eine objektiv zweifelhafte Rechtsposition zu führen oder den an sich auf die Beihilfe entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrages selbst zu tragen. Deshalb sind die Aufwendungen eines vom Arzt berechneten Betrages schon dann unter Zugrundelegung der Gebührenordnung beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn sie einer vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entsprechen ( siehe: BVerwG, Urteil vom 20. März 2008, a. a. O., m. w. N. ).

Das Gericht hat keinen Anlass zur Annahme, dass die Aufwendungen des vom Arzt berechneten und hier noch streitbefangenen Betrages unter Zugrundelegung der Gebührenordnung keiner vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung mehr entsprächen. Der Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen. Auch hat er eine entsprechende Prüfung nicht vorgenommen, sondern sich nur darauf beschränkt, zu erklären, dass analoge Ziffern der GOÄ nicht beihilfefähig seien.

Da gerade die GOÄ in § 6 Abs. 2 die Abrechenbarkeit von Leistungen vorsieht, die nicht in der GOÄ explizit aufgeführt sind, sind auch sog. Analogleistungen nicht per se von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen (OVG Sachsen-Ahalt, Beschluss vom 24.11.2010 – 1 L 146/10 -, zit. n. juris). Die zur Vereinheitlichung der Verfahrensweise und auch als Hilfestellung für die jeweilige Festsetzungsstelle von der Bundesärztekammer vorgenommenen analogen Bewertungen in dem Verzeichnis (Analogverzeichnis) gehen ebenfalls hiervon aus. Dass die vom behandelnden Arzt herangezogene Gebührenziffer im Analogverzeichnis aufgeführt ist, ist nicht erforderlich. Zwar ist im Rahmen dieser Prüfung das von der Bundesärztekammer herausgegebene Verzeichnis analoger Bewertungen zu berücksichtigen, hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass die vom Arzt der Tochter des Klägers abgerechnete Gebührenziffer nicht herangezogen werden kann. Dass das Verzeichnis der Bundesärztekammer zu berücksichtigen ist, bedeutet allein, dass für ärztliche Leistungen, die in dem Verzeichnis aufgenommen sind, eine Regelvermutung dahingehend existiert, dass diese angemessen im Sinne der Beihilfevorschriften sind und die Festsetzungsstelle in diesen Fällen im Allgemeinen nicht mehr die Angemessenheit gesondert zu überprüfen hat (siehe zum Ganzen OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Demgegenüber ist hieraus der Umkehrschluss nicht zu ziehen. Sofern eine ärztliche Leistung mithin nicht in das Verzeichnis aufgenommen ist, hat die Festsetzungsstelle daher - wie bereits ausgeführt - im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 GOÄ vorliegen, d. h. eine analoge Bewertung überhaupt zulässig ist und die Aufwendungen des vom Arzt berechneten Betrages einer vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entsprechen. Die Bundesärztekammer hat nämlich unter www.bundesaerztekammer.de (dort unter: „Gebührenordnung/Abrechnung/Analoge Bewertungen in der GOÄ - eine Einführung“) ausdrücklich ausgeführt:

„Das Analogverzeichnis der Bundesärztekammer ist nicht abschließend. […] Der Bedarf an analogen Bewertungen bleibt aber weiterhin. Die verschiedentlich von Kostenträgern vertretene Auffassung, dass mit der GOÄ-Novellierung und der Übernahme der von der Bundesärztekammer empfohlenen Analogpositionen analoge Bewertungen überflüssig seien, ist nicht zutreffend. Der medizinische Fortschritt hält sich weder an Novellierungszeiträume der GOÄ noch an Erscheinungstermine der Ergänzungen des Analogverzeichnisses der Bundesärztekammer. Hinzu kommt, dass das Analogverzeichnis der BÄK niemals abschließend ist, weil -der Beratungsgang im Gebührenordnungsausschuss und Vorstand der Bundesärztekammer sowie das oben dargestellte Verfahren der Abstimmung mit den Kostenträgern nur sukzessive erfolgen kann,-in das Analogverzeichnis nicht alle Vorschläge aufgenommen werden. Das Recht des Arztes auf eigene analoge Bewertung bleibt aber (unter Berücksichtigung der obigen Kriterien) sowohl mit der "neuen" GOÄ als auch mit dem Erscheinen des Analogverzeichnisses der Bundesärztekammer/GOÄ-ANB/ZKA bestehen.“

Ob die Gebührennummer 5353 in das Analogverzeichnis aufgenommen worden ist, ist also rechtlich ohne Belang (OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O.). Aus der fehlenden positiven Berücksichtigung kann vielmehr gerade nicht geschlussfolgert werden, dass eine (weitergehende) Abrechnung ausgeschlossen ist. Dem stände auch das Gebührenrecht, insbesondere § 6 Abs. 2 GOÄ entgegen, wonach selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, abrechenbar sind, und zwar entsprechend berechnet einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses. Dabei unterliegt es auch keinen sachlichen oder rechtlichen Bedenken, wenn zur Prüfung der Vertretbarkeit der Auslegung der Gebührenordnung durch den Arzt und der Ermittlung der nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses sachverständige Dritte in Anspruch genommen werden (siehe zum ganzen OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Nach Überzeugung des Gerichts kann die hier streitbefangenen Analogziffern herangezogen werden. Die tatsächlich vom Arzt erbrachte Leistung ist mit der in der Ziffer 5353 aufgeführten Nummer vergleichbar. Im Hinblick auf die Erkrankung der Tochter und dem dem Arzt zuzubilligenden Spielraum entspricht der vom Arzt berechnete Betrag einer vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung. Wenn – wie sich im vorliegenden Fall aus den ärztlichen Bescheinigungen ergibt – eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und konventionelle Behandlungen keinen Erfolg gezeigt haben, kommt dem Arzt ein besonders großer Spielraum hinsichtlich der Anwendbarkeit von alternativen Behandlungsmethoden, die die analoge Heranziehung einer Gebührenziffer bedingt, zu. Insofern wird eine solche Abrechnung dann regelmäßig einer vertretbaren Anwendung der Gebührenordnung entsprechen, sofern diese Vermutung nicht von der Beihilfestelle widerlegt wird. Die Kammer hat auch keinerlei Hinweise darauf, dass es sich bei den erbrachten und vorliegend streitbefangenen ärztlichen Leistungen nicht um solche handelt, die einer wissenschaftlich allgemein anerkannten Methode entsprechen und über das Maß einer medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung hinausgegangen wären.

Im Übrigen hat der Kläger jedoch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Beihilfe. Maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit des Bezuges von Heilmitteln ist in erster Linie die ärztliche Verordnung, da das Beihilferecht als Ausprägung des beamtenrechtlichen Fürsorgeprinzips nicht in Konflikt mit der im Patienteninteresse liegenden ärztlichen Therapiefreiheit stehen soll und es daher nicht Aufgabe des in medizinischen Fragen nicht fachkundigen Sachbearbeiters sein kann, die Notwendigkeit von Aufwendungen zu beurteilen. Unerheblich ist daher, ob es sich bei der Behandlung der Tochter des Klägers mit „Sanopal“ um eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode handelt. In Konkretisierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV bestimmt allerdings § 22 BBhV für Arzneimittel, dass diese dann beihilfefähig sind, wenn es sich um Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes handelt, die apothekenpflichtig sind (Abs. 1 Nr. 1) und Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht beihilfefähig sind (Abs. 1 Nr. 3). Danach sind die vom Kläger bezogenen Arzneimittel nicht beihilfefähig, da es sich weder um ein Arzneimittel handelt, noch dieses apotheken- oder verschreibungspflichtig ist. Diese Beschränkung der Beihilfefähigkeit ist nach allgemeiner Rechtsprechung mit höherrangigem Recht vereinbar, da der Beihilfeausschluss auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage beruht, der Dienstherr nicht zur umfassenden Beihilfegewährung verpflichtet ist und die Bundesbeihilfeverordnung eine Härtefallregelung enthält.

Die Gewährung von Beihilfe findet ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (BVerfGE 83, 89/99 m.w.N.). Die Gewährung von Beihilfen ergänzt die Alimentation; dadurch soll der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten u.a. auch im Krankheits- oder Pflegefall gesichert werden (BVerfGE 106, 225/233; BVerwGE 118, 277/284 f. und BVerwG vom 20.3.2008 Az.: 2 C 49.07). Die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht fordert vom Dienstherrn, dass er Vorkehrungen für den Fall besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- oder Todesfälle trifft, damit der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie nicht gefährdet wird. Im verfassungsrechtlich durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbereich der Fürsorgepflicht ist dafür Sorge zu tragen, dass der Beamte im Krankheitsfall nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleibt, die er – in zumutbarer Weise – aus seiner Alimentation nicht bestreiten kann. Ob der Dienstherr seiner so umrissenen verfassungsrechtlichen Pflicht zur Fürsorge durch eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungswegen seiner Entscheidung überlassen (BVerfG, a.a.O.). Danach kann der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber grundsätzlich auch einzelne Präparate von der Beihilfefähigkeit ausschließen und den Beamten auf die Deckung der Aufwendungen aus der allgemeinen Alimentation verweisen. Nach dem gegenwärtigen System nicht ausschließbar sind lediglich Aufwendungen, wenn der absehbare Erfolg einer Maßnahme von existenzieller Bedeutung oder notwendig ist, um wesentliche Verrichtungen des täglichen Lebens erledigen zu können (vgl. BVerfGE 106, 225/233; BVerwG vom 31.1.2002 – 2 C 1/01-juris; BVerwG vom 30.5.2008 – 2 C 24.07 – juris mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Anders als der Beklagte meint, ergibt sich der Beihilfeausschluss nicht bereits daraus, dass die verordneten Präparate kein zugelassenes bzw. registriertes Arzneimittel i.S.v. § 2 des Arzneimittelgesetzes und deshalb kein Arzneimittel ist. Der (enge) rechtliche Ansatz des Beklagten, wonach der Arzneimittelbegriff von einer rechtlichen Zulassung bzw. Registrierung abhängig sei, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, Urteil vom vom 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 -, zit n. juris) und der Kammer nicht geteilt. Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff bezieht sich nicht lediglich auf zugelassene Arzneimittel (BayVGH, a.a.O.; VG Berlin, Urteil vom 23. Juli 2007 – 7 A 205.05 –, juris; VG Würzburg · Urteil vom 13. März 2013 · Az. W 1 K 13.15). Die Bundesbeihilfeverordnung enthält selbst keine Definition des Begriffes „Arzneimittel“. Wegen der vollständig anderen Zielrichtung des AMG kann auch nicht ohne weiteres auf die Arzneimitteldefinition aus § 2 Abs. 1 AMG zurückgegriffen werden, allerdings bietet das Arzneimittelrecht einen Anhaltspunkt für die Begriffsbestimmung im Beihilferecht (BVerwG, Urteil vom 30.05.1996, DVBl. 1996, 1149). Insbesondere ist der von der Beklagten bemühte Rückgriff auf § 2 Abs.4 AMG unzutreffend. Danach gilt ein Mittel als Arzneimittel, solange es nach dem AMG als Arzneimittel zugelassen oder registriert oder von der Zulassung bzw. Registrierung durch Rechtsverordnung freigestellt ist. Hierdurch ist kein Ausschluss der nicht zugelassenen oder registrierten Präparate von dem Begriff eines Arzneimittels bewirkt, solange nicht § 2 Abs. 4 Satz 2 AMG greift, wonach ein Mittel dann nicht als Arzneimittel gilt, wenn die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung oder Registrierung mit der Begründung abgelehnt hat, dass es sich nicht um ein Arzneimittel handle. Über die Arzneimitteleigenschaft von Präparaten, für die es keiner Zulassung oder Registrierung bedarf oder die lediglich deshalb nicht zugelassen oder registriert sind, weil nie ein dahingehender Antrag gestellt wurde, enthält § 2 Abs. 4 AMG keinerlei Aussage.

Arzneimittel i.S.d. Beihilferechts sind Wirkstoffe, die dem menschlichen Organismus innerlich oder äußerlich zugeführt werden, um einen Krankheitszustand zu beseitigen oder zu bessern, das Fortschreiten einer Krankheit zum Stillstand zu bringen oder zu verlangsamen oder Auswirkungen einer Krankheit zu lindern (OVG Münster, Urteil vom 28.10.1999, DÖD 2000, 136). Der Arzneimittelcharakter eines Präparats ist nicht anhand dessen formeller Einordnung, sondern aufgrund dessen objektiver Eigenart und Beschaffenheit entsprechend der materiellen Zweckbestimmung zu ermitteln (OVG Koblenz, Urteil vom 11.11.2011- 10 A 10670/11 -, zit. n. juris). Maßgeblich ist dafür, wie das Produkt einem durchschnittlich informierten Verbraucher gegenüber in Erscheinung tritt. Entscheidend hierbei ist, ob das Präparat aufgrund seiner objektiven Eigenart und Beschaffenheit beim Verbraucher die Erwartung und Vorstellung begründet, das Präparat diene therapeutischen Zwecken (VG Darmstadt, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 5 E 405/95 (3) –, zit. n. juris).

Legt man diese an der Eigenart und der Beschaffenheit des Produkts orientierte Begrifflichkeit zugrunde, so mangelt es den streitbefangenen Präparaten allerdings an einer überwiegenden Zweckbestimmung als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinn. Es handelt sich um reine Lebensmittel und damit um Güter des täglichen Bedarfs, also um ein Produkt, das zur allgemeinen Lebensführung auch von jedermann genutzt werden kann (vgl. VG München, Urteil vom 14. März 2012 – M 17 K 10/5250 –, juris, dort allgemein zu Nahrungsergänzungsmitteln). Die Präparate werden nicht zur Heilung einer körperlichen Fehlfunktion eingesetzt. Von daher ist die Arzneimitteleigenschaft schon deswegen zu verneinen, weil das Produkt als Lebensmittel i. S. d. §§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG; 2 Abs. 2 LFGB anzusehen ist. Der Vollständigkeit halber sei hier noch angeführt, dass auch die aktuelle Bundesbeihilfeverordnung - anders als etwa die bayerische Beihilferegelung - Nahrungsergänzungsmittel oder Güter des täglichen Bedarfs nicht per se von der Beihilfe ausschließt.

Der Kläger kann seinen Beihilfeanspruch auch nicht unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Beklagten ableiten. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn fordert nicht den Ausgleich jeglicher krankheitsbedingter Aufwendungen. Aufgrund des ergänzenden Charakters der Beihilfe müssen von dem Kläger vielmehr Härten und Nachteile hingenommen werden, die sich aus der pauschalisierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften ergeben und die keine unzumutbare Belastung bedeuten. Im Übrigen muss sich der Kläger außerhalb des Wesenskerns der Fürsorgepflicht des Dienstherrn darauf verweisen lassen, dass es ihm möglich ist, durch eine entsprechend erweiterte Versicherung oder die Bildung von Rücklagen selbst Vorsorge zu treffen (OVG Koblenz, Urteil vom 17.05.2002 – 2 A 11758/01 –, zit. n. juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

B E S C H L U S S

Der Streitwert wird auf 727,64 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 GKG.