Hessischer VGH, Beschluss vom 05.09.2014 - 27 F 2244/13
Fundstelle
openJur 2014, 23552
  • Rkr:

Beruft sich eine Sperrerklärung auf die Möglichkeit eines Nachteils für das Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, muss sie konkret darlegen, durch die Vorlage welcher Unterlage welcher Nachteil droht. Die allgemeine Befürchtung der BaFin eine freiwillige Mitwirkung der von ihr beaufsichtigten Institute könne beeinträchtigt werden, genügt nicht.

Tenor

Die Sperrerklärung des Beigeladenen zu 2 vom 16. Oktober 2013 ist rechtswidrig.

Gründe

I.

Die Kläger begehren mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes - IFG - Einsicht in Unterlagen der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die im Zusammenhang mit der Aufsicht über eine im Insolvenzverfahren befindliche Bank – der Beigeladene zu 1 ist der zuständige Insolvenzverwalter - in den Geschäftsjahren 2001 bis 2007 angefallen sind.

Mit Beweisbeschluss vom 30. April 2010 hat der 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs als Gericht der Hauptsache die Beklagte aufgefordert, die von den Klägern präzisierten Unterlagen vorzulegen. Daraufhin hat das Bundesministerium der Finanzen - der Beigeladene zu 2 - als oberste Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 28. Juli 2010 eine Sperrerklärung bezogen auf sämtliche Unterlagen abgegeben. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 (- 27 F 1730/10 -, Juris) hat der Fachsenat festgestellt, dass die Verweigerung der Nennung der Namen der Kreditnehmer in den Anlagen des Schreibens vom 4. Oktober 2005 durch die Sperrerklärung vom 28. Juli 2010 rechtmäßig, die Verweigerung der Vorlage im Übrigen jedoch rechtswidrig war. Die dagegen gerichteten Beschwerden der Beklagten und des Beigeladenen zu 2 hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. August 2012 (- 20 F 3.12 -, Juris) als unbegründet zurückgewiesen.

Nach Wiederaufnahme des Hauptsacheverfahrens beim 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat dieser die Beklagte zur Stellungnahme hinsichtlich der Vorlage der begehrten Unterlagen aufgefordert. Daraufhin hat der Beigeladene zu 2 als oberste Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 erneut eine Sperrerklärung abgegeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Herausgabe der gesperrten Unterlagen würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Außerdem seien die Unterlagen dem Gesetz und ihrem Wesen nach geheim zu halten. Als Anlage sind der Sperrerklärung umfangreiche Verzeichnisse beigefügt.

Mit Antrag vom 5. November 2013 haben die Kläger beantragt festzustellen, dass die Verweigerung der Vorlage aufgrund der Sperrerklärung des Beigeladenen zu 2 vom 16. Oktober 2013 rechtswidrig ist.

II.

Der statthafte Antrag der Kläger, die Sperrerklärung des Bundesministeriums der Finanzen - des Beigeladenen zu 2 - vom 16. Oktober 2013 für rechtswidrig zu erklären, über den gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 in Verbindung mit § 189 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - der zuständige Fachsenat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig.

Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder Vertraulichkeit von Akten oder Auskünften, ist Voraussetzung für einen zulässigen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO an den Fachsenat, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der begehrten Unterlagen festgestellt hat. Grundsätzlich bedarf es dafür gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit § 358 Zivilprozessordnung eines Beweisbeschlusses oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung des Gerichts der Hauptsache (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. November 2003 - 20 F 13.03 -, BVerwGE 119, 229, 232, und vom 12. Januar 2006 - 20 F 12.04 -, BVerwGE 125, 40,42).

Bereits mit Beschluss vom 30. April 2010 hat der 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs als Gericht der Hauptsache die Beklagte im Berufungsverfahren aufgefordert, die streitigen Unterlagen vorzulegen. Aus dem Beweisbeschluss ergibt sich, dass der 6. Senat die Entscheidungserheblichkeit dieser Unterlagen in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens rechtlicher Hindernisse gegenüber dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz bejaht. Nachdem die erste Sperrerklärung des Beigeladenen zu 2 vom Fachsenat weitgehend für rechtswidrig erklärt worden war und die dagegen gerichteten Beschwerden vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen worden waren, hat der 6. Senat im Hauptsacheverfahren den Beweisbeschluss nicht geändert, sondern deutlich gemacht, dass er diese Unterlagen weiterhin für entscheidungserheblich hält.

Die Sperrerklärung des Beigeladenen zu 2 vom 16. Oktober 2013 bezieht sich auf alle in der Anlage 1 zur Sperrklärung genannten Dokumente, für die in der betreffenden Spalte eines Geheimhaltungsgrundes ein „Ja“ aufgeführt ist, sowie auf die in der Anlage 2 aufgeführten Unterlagen, soweit die Verweigerung der Aktenvorlage durch die erste Sperrerklärung nicht bereits durch Beschluss des Senats vom 1. Dezember 2011 für rechtmäßig erkannt worden war. Ausdrücklich erstreckt sich die Sperrklärung nicht auf Dokumente, die bereits aufgrund gesetzlicher Veröffentlichungspflichten öffentlich zugänglich oder aus anderen Gründen bereits detailliert öffentlich zugänglich gemacht worden und in der Anlage 1 entsprechend markiert sind.

Der Antrag der Kläger ist auch begründet.

Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zur Erteilung von Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Damit setzt diese Vorschrift zum einen das Vorliegen (zumindest) eines der Tatbestandsmerkmale, die eine Verweigerung der Vorlage zulassen, und zum anderen bei Vorliegen des Tatbestandes eine Ermessensentscheidung der obersten Aufsichtsbehörde voraus.

11Die – eher im Stil eines umfangreichen „engagierten“ Aufsatzes verfasste - Sperrerklärung legt bereits keines der Tatbestandsmerkmale dar, die zu einer Verweigerung der Vorlage berechtigen.

Das Bundesministerium der Finanzen beruft sich in der streitigen Sperrerklärung zum einen darauf, dass das Bekanntwerden des Inhalts sämtlicher Unterlagen, deren Vorlage verweigert wird, dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde.

13Nachteile für das Wohl des Bundes als Voraussetzung für die Verweigerung der Vorlage setzen Beeinträchtigungen wesentlicher Bundesinteressen voraus. Dazu zählen insbesondere Gefährdungen des Bestandes oder der Funktionsfähigkeit des Bundes sowie Bedrohungen der äußeren oder inneren Sicherheit. Dabei gilt ein strenger Maßstab. Der Weigerungsgrund ist deshalb eng auszulegen, der Nachteil muss von erheblichem Gewicht sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juni 2012 - 20 F 10.11 -, Juris; vom 23. Juni 2011 - 20 F 21.10 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64; und vom 6. April 2011 - 20 F 20.10 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 63, jeweils m.w.N.). Ein Nachteil in diesem Sinne ist nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der auch der Fachsenat folgt, insbesondere dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder aber Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde. Wird durch Offenlegung von bei der Beklagten vorhandenen Informationen die effektive Beaufsichtigung des sensiblen Bereichs der Finanzdienstleistungen beeinträchtigt, kann dies Nachteile für das Wohl des Bundes begründen. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte die Aufsicht über Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute ausübt und insbesondere die Aufgabe hat, Missständen in diesem Bereich entgegenzuwirken, die die Sicherheit der diesen Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft herbeiführen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2011, a.a.O.). Allerdings haben sowohl der erkennende Fachsenat (vgl. Beschluss vom 24. August 2010 - 27 F 820/10 -, Juris, dort allerdings noch zu § 3 Nr. 1d) IFG) als auch das Bundesverwaltungsgericht in der diesbezüglichen Beschwerdeentscheidung (Beschluss vom 23. Juni 2011, a.a.O.) festgestellt, dass es nicht genügt, auf allgemeine Befürchtungen mangelnder freiwilliger Kooperation der Institute als Folge der Offenlegung hinzuweisen. Vielmehr muss die konkrete Möglichkeit einer erheblichen und spürbaren Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Beklagten bestehen. Insofern genügt es nicht - wovon die vorlegende Sperrerklärung erneut ausgeht -, eine - eventuell von den beaufsichtigten Instituten geschürte - Befürchtung zu äußern, die freiwillige Mitwirkung bei der Informationsbeschaffung könne eingestellt werden. Allein dieser Umstand belegt keine greifbare Beeinträchtigung der Beklagten, insbesondere weil der Gesetzgeber erkennbar davon ausgeht, dass sie auf der Grundlage der gesetzlichen Mitwirkungspflichten ihre Aufgaben effektiv zu bewältigen vermag, da die zu beaufsichtigenden Institute eine Prüfung und die Abgabe durch die Beklagte geforderter Informationen nicht unter Berufung auf Vertraulichkeit verweigern können (siehe BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2011, a.a.O.).

Die Sperrerklärung nennt keine Tatsachen, die unter Zugrundelegung der oben aufgeführten Kriterien geeignet wären, substantiiert Nachteile für das Wohl des Bundes zu begründen, die bei Vorlage der vom 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs angeforderten Unterlagen entstehen könnten. Sie kritisiert ausführlich die Rechtsprechung des Fachsenats sowie des Bundesverwaltungsgerichts und geht davon aus, dass die bei der Beklagten vorhandenen Informationen in ihrer Gesamtheit regelmäßig geeignet seien, bei Veröffentlichung Nachteile für das Wohl des Bundes hervorzurufen. Sie führt aus, in dieser Hinsicht hätten die gleichen Überlegungen zu gelten wie bei § 3 Nr. 1 d) IFG. Die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 KWG begründe bereits deshalb das Recht zur Vorlageverweigerung, da jegliche Preisgabe von Informationen ein Verstoß gegen sie darstelle und somit schwerwiegende Nachteile begründe.

Diese allgemeinen Ausführungen des Beigeladenen zu 2 legen den Tatbestand eines Nachteils für das Wohl des Bundes gerade nicht dar. Erforderlich wäre dafür vielmehr, im Einzelnen aufzuzeigen, welcher konkrete Nachteil bei Veröffentlichung welcher Unterlage droht und inwiefern damit ein Nachteil für das Wohl des Bundes zu befürchten ist. Allgemeine Befürchtungen der Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung durch negative Auswirkungen auf eine freiwillige Mitwirkung der Kreditinstitute genügen dafür gerade nicht, was in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - wie oben ausgeführt - hinreichend geklärt ist. Durchgreifende Argumente, warum diese Rechtsprechung unrichtig sein könnte, enthält die Sperrerklärung nicht. Zwar bestreitet sie, es werde mit ihr eine so genannte "Bereichsausnahme" für die Beklagte für die allgemein geltenden prozessualen Vorlagepflichten beansprucht. Im Ergebnis fordert die Sperrerklärung aber genau dies, wenn sie davon ausgeht, dass die bei der Beklagten vorhandenen Informationen in ihrer Gesamtheit "per se" regelmäßig geheimhaltungsbedürftig seien. Dies sieht das Gesetz gerade nicht vor.

Für den Fachsenat bleibt auch unklar, was in diesem Zusammenhang der Hinweis der Sperrerklärung auf europarechtliche Bezüge der Verschwiegenheitspflichten der Beklagten bedeuten soll. Ob § 9 KWG Europarecht ordnungsgemäß umsetzt und ob § 99 VwGO zu gemeinschaftsrechtswidrigen Vorlagepflichten führen kann, ist letztlich der Entscheidung der zuständigen Gerichte übertragen. Inwiefern daraus - letztlich aus der Rechtsprechung der Gerichte - ein Nachteil für das Wohl des Bundes entstehen können soll, ergibt sich aus der Sperrerklärung nicht.

Weiterhin beruft sich die Sperrerklärung darauf, die vom 6. Senat angeforderten Vorgänge müssten auch nach einem "Gesetz" im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und zwar nach der Verschwiegenheitspflicht des § 11 FinDAG in Verbindung mit § 9 KWG geheim gehalten werden. Auch dies legt einen zur Vorlageverweigerung berechtigenden Tatbestand nicht dar.

18Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der auch der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, ist der Tatbestand der Geheimhaltungspflicht nach einem Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht bereits dann gegeben, wenn eine einfachgesetzlich angeordnete Pflicht zur Verschwiegenheit besteht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2011, a.a.O.; und vom 5. Oktober 2011 - 20 F 24.10 -, Juris). Erforderlich ist vielmehr ein besonders gesetzlich geschütztes Geheimnis, das dem Schutz eines grundrechtlich geschützten Lebensbereichs von hoher Bedeutung dient. Dies gilt - wie ebenfalls in der genannten Rechtsprechung geklärt - nicht für § 9 KWG. Zwar bemängelt die Sperrerklärung, das Bundesverwaltungsgericht habe sich mit der Kritik der Beklagten nicht hinreichend auseinandergesetzt. Das entbindet allerdings den Beigeladenen zu 2 nicht von der Pflicht, sich an den rechtlichen Vorgaben der nach der verfassungsrechtlichen Ordnung maßgeblichen Rechtsprechung zu orientieren.

Weiterhin beruft sich die Sperrerklärung darauf, die Unterlagen, deren Vorlage verweigert wird, seien "ihrem Wesen nach" im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheim zu halten. Dabei beruft sie sich darauf, die gesperrten Unterlagen enthielten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der in Insolvenz befindlichen Beigeladenen zu 1.

20Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, deren Schutz sich sowohl aus Art. 12 Abs. 1 als auch aus Art. 14 Abs. 1 GG ableitet - bei ausländischen natürlichen und juristischen Personen aus Art. 2 Abs. 1 GG - sind ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig (BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 20 F 13.10 -, DVBl. 2011, 501). Zu ihnen zählen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig sind. Neben dem Mangel an Offenkundigkeit der zugrundeliegenden Informationen setzt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis aber auch ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbreitung voraus. Ein solches Interesse besteht etwa, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbspositionen des Unternehmens nachhaltig zu beeinflussen. Geschäftsgeheimnisse zielen auf den Schutz kaufmännischen Wissens und betreffen alle Konditionen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens maßgeblich bestimmen können, wie Umsätze, Ertragslage, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit und Kalkulationsunterlagen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Februar 2011, a.a.O., und vom 5. Oktober 2011 - 20 F 24.10 -, Juris). Ein berechtigtes Interesse versteht sich allerdings nicht von selbst. Vielmehr ist die Wettbewerbsrelevanz der Informationen darzulegen, insbesondere für Unterlagen, die sich auf bereits länger zurückliegende Vorgänge und eine gegebenenfalls abgeschlossene Geschäftspolitik beziehen.

21Bereits in den Entscheidungen über die erste Sperrerklärung des Beigeladenen zu 2 des Fachsenats und des Bundesverwaltungsgerichts ist ausgeführt, dass dort keine Gründe dargelegt waren, aus denen wegen fortbestehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Beigeladenen zu 1 als Insolvenzverwalter über das Vermögen der in Insolvenz geratenen Bank die gesperrten Unterlagen dem Wesen nach geheim zu halten sind. Vielmehr ist dort bereits ausgeführt, dass ein schützenswertes Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis neben dem Mangel an Offenkundigkeit der Information ein berechtigtes Interesse des Unternehmens oder des an seine Stelle tretenden Insolvenzverwalters an deren Nichtverbreitung voraussetzt. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, ein derartiges Interesse verstehe sich nicht von selbst. Wie auch der Fachsenat ist das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass ein fortbestehendes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis nicht für alle Unterlagen damit begründet werden kann, dass diese im Rahmen der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Insolvenzmasse verwendet werden könnten. Ein derartiger pauschaler Hinweis genügt nicht. Schutzzweck des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses ist nämlich nicht die Abwehr von Ansprüchen eventueller Gläubiger gegenüber der Insolvenzmasse im Insolvenzverfahren. Vielmehr muss die Offenlegung der Information Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben. Dies bedarf im Fall eines in Insolvenz befindlichen Betriebs einer besonderen Begründung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 2012 - 20 F 3.12 -, Juris; Beschluss des Fachsenats vom 1. Dezember 2011 - 27 F 1730/10 -, Juris). Eine derartige Begründung ist nun auch in der zweiten - im vorliegenden Verfahren streitigen - Sperrerklärung nicht enthalten. Neben einer ausführlichen Definition des Begriffs mit einer ganzen Seite allgemeiner Beispiele für Unterlagen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sein können, führt die Sperrerklärung aus, es sei bereits abstrakt klar, dass sich der Beweisbeschluss des 6. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beziehe. Diese Argumentation geht bereits deshalb ins Leere, weil der zuständige 6. Senat den Inhalt der in seinem Beweisbeschluss genannten Unterlagen für entscheidungserheblich hält und nicht bereits, ohne den Inhalt zu kennen, von deren Geheimhaltungsbedürftigkeit ausgeht.

Auch die Ausführung in der Sperrerklärung, aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lasse sich nicht ein generelles Entfallen des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses entnehmen, zeigt gerade kein konkretes andauerndes Betriebs-und Geschäftsgeheimnis des Beigeladenen zu 1 auf, insbesondere nicht für konkrete Unterlagen. Das Argument, der Geschäftsbetrieb könne jederzeit bis zur Löschung aus dem Handelsregister wieder aufgenommen werden, kann nur dann ein andauerndes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis begründen, wenn dafür Anhaltspunkte benannt werden, sowie aufgezeigt wird, für welche der angeforderten Unterlagen dies von Bedeutung ist.

Die Argumentation der Sperrerklärung erschöpft sich auch in diesem Teil weitgehend in allgemeinen Auseinandersetzungen mit der zu diesem Problem ergangenen Rechtsprechung und allgemeinen Erörterungen. Der zur Verweigerung der Vorlage berechtigende Tatbestand eines seinem Wesen nach zu schützenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses ergibt sich daraus nicht.

Soweit in der Sperrerklärung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter - Vertragsparteien der in Insolvenz befindlichen Bank - hingewiesen wird, ist ebenfalls nicht dargelegt, auf welche Unterlagen im Einzelnen sich dies beziehen soll.

Näheres ergibt sich auch nicht in ausreichendem Umfang aus den der Sperrerklärung beigefügten Anlagen 1 und 2. In der Anlage 1 sind die nicht in der Anlage 2 erfassten Unterlagen tabellarisch aufgeführt. Allerdings sind in der mit "ein Bekanntwerden des Inhalts dieser Dokumente würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten" überschriebenen Spalte sowie in der mit "dem Wesen nach geschützt (BuG, sonstiges)" überschriebenen Spalte keine dem einzelnen Dokument zuordenbaren schützenswerten Rechtsgüter genannt. Vielmehr ist dort bei jedem gesperrten Dokument allein der Hinweis "Ja" enthalten. Näheres zu einem gegenwärtig schützenswerten Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der in Insolvenz befindlichen Bank ergibt sich auch aus den Anlagen nicht.

Soweit die Sperrerklärung im Rahmen der Erörterung einer Verschwiegenheitspflicht nach § 9 KWG ("nach einem Gesetz geheim zu halten") die Anregung enthält, vor einer gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 2013 (- 7 K 4127/12.F -, NVwZ 2013, 742) diesem vorgelegten Fragen abzuwarten, scheidet dies schon deshalb aus, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Mai 2014 seine diesbezügliche Vorlagefrage Nr. 1 zurückgezogen hat. Die allein aufrechterhaltene Vorlagefrage Nr. 2 betrifft einen eng umrissenen Einzelfall, dessen Relevanz für die vorliegende Entscheidung nicht erkennbar ist. Der Fachsenat selbst sieht - wie auch das Bundesverwaltungsgericht - keinen Grund für eine eigene Vorlage. Er vermag keinen Konflikt zu den von der Sperrerklärung angesprochenen gemeinschaftsrechtlichen Normen zu erkennen, der nicht im Rahmen der zu § 99 VwGO entwickelten Rechtsprechung gemeinschaftsrechtsverträglich zu lösen wäre (vgl. dazu auch: BVerwG, Beschluss vom 27. August 2012, a.a.O.).

Da somit die Sperrerklärung bereits keinen der in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genannten Tatbestände, die die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen im Verwaltungsprozess durch die oberste Aufsichtsbehörde rechtfertigen können, in überprüfbarer Weise darlegt, ist sie bereits aus diesem Grund rechtswidrig. Der Fachsenat braucht sich deshalb mit der Rechtmäßigkeit der in der Sperrerklärung enthaltenen Ermessenserwägungen nicht mehr im Einzelnen auseinanderzusetzen. Allerdings weist der Senat darauf hin, dass auch insofern die Sperrerklärung erneut davon ausgeht, dass der Beklagten aufgrund der gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten letztlich kein Ermessen offen steht. Dies entspricht allerdings nicht der vom Gesetzgeber gewählten Systematik der verfahrensrechtlichen Norm des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

28Der Fachsenat nimmt das vorliegende Verfahren zum Anlass, auf ein Dilemma hinzuweisen, das mit der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion des § 99 VwGO verbunden ist. Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die oberste Aufsichtsbehörde bei Vorliegen der Voraussetzungen die Vorlage von Unterlagen verweigern. Nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht nur über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung, was zur Folge hat, dass die oberste Aufsichtsbehörde dann, wenn eine Sperrerklärung ganz oder teilweise für rechtswidrig erklärt wird, jederzeit eine neue Sperrerklärung erlassen kann. Eine Begrenzung der Anzahl der möglichen Sperrerklärungen lässt sich § 99 VwGO nicht entnehmen. Akzeptiert allerdings eine oberste Aufsichtsbehörde beim Erlass einer weiteren Sperrerklärung die Vorgaben der Rechtsprechung nicht, kann das Verfahren in seinem Verlauf ungebührlich verzögert werden. Damit wäre ein der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechender Verfahrensverlauf nicht mehr gewährleistet. Die Schaffung der Norm des § 99 Abs. 2 VwGO begründete sich jedoch gerade auf der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung der Rechtsschutzgarantie auch in diesem Bereich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106 ff.). Im vorliegenden Verfahren ist die Klage im November 2007 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Dieses hat mit Urteil vom 28. Januar 2009 entschieden. Mit Beschluss vom 30. April 2010 hat der 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Berufungsverfahren die Unterlagen angefordert. Unter dem 28. Juli 2010 hat der Beigeladene zu 2 die erste Sperrerklärung abgegeben, die wie oben aufgeführt vom Fachsenat und vom Bundesverwaltungsgericht weitgehend für rechtswidrig erklärt worden ist. Unter dem 16. Oktober 2013 hat dann der Beigeladene zu 2 die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende zweite Sperrerklärung abgegeben. Der weitere absehbare Verfahrensablauf lässt nur schwer erkennen, wie und wann für den in der Hauptsache zuständigen 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine Entscheidung möglich sein wird. Die erneute Sperrerklärung zeigt vielmehr, dass der Beigeladene zu 2 nicht bereit ist, die verfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Judikative zu akzeptieren. Die Verfassung weist der Rechtsprechung die Aufgabe zu, die Exekutive bei der Ausübung ihrer Aufgaben zu kontrollieren. Dies hat zur Folge, dass die Exekutive die rechtlichen Vorgaben, die die Rechtsprechung aufstellt, zu beachten hat. Dabei will der Fachsenat den Beteiligten des Verfahrens nicht das Recht absprechen, sich kritisch mit ergangener Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Führt dies allerdings dazu, dass eine Sperrerklärung im Wesentlichen inhaltsgleich erneut erlassen wird (anders etwa in dem vom Fachsenat mit Beschluss vom 4. September 2014 entschiedenen Verfahren - 27 F 1463/13 -) und damit letztlich allein zur Folge hat, dass das Verfahren um das erneute Zwischenverfahren zur Kontrolle dieser Sperrerklärung verlängert wird, gerät ein sinnvoller Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit in Gefahr.

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