VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14
Fundstelle
openJur 2014, 23259
  • Rkr:

Eine auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene Grenzbebauung kann die von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO an sich geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung nur dann ersetzen, wenn das an der Grenze geplante Bauvorhaben und das auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene grenzständige Gebäude zueinander in einer gewissen Beziehung stehen und beide Gebäude sich in einem Maße überdecken, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung noch der Eindruck einer geschlossenen Bauweise vermittelt wird.

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Juni 2014 - 5 K 255/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. ... auf der Gemarkung der Stadt Neckargemünd (P...), das mit einem in geschlossener Bauweise errichteten Wohnhaus bebaut ist. Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis erteilte der Beigeladenen am 10.1.2014 eine Baugenehmigung für den Abriss der vorhandenen Bebauung bis auf die Gewölbekeller und den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit Stellplätzen im Gebäude auf den nördlich angrenzenden Grundstücken Flst.-Nrn. ... Das geplante Mehrfamilienwohnhaus soll unmittelbar an der mit den Antragstellern gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet werden.

Gegen die Baugenehmigung legten die Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

Auf Antrag der Antragsteller hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 18.6.2014 - 5 K 255/14 - die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 10.1.2014 angeordnet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die mit der Baugenehmigung genehmigte Grenzbebauung verstoße voraussichtlich gegen die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen der §§ 5 ff. LBO. Nach der maßgeblichen Umgebungsbebauung könne nicht festgestellt werden, dass die Einhaltung einer Abstandsfläche auf dem Grundstück Flst.-Nr. 155 zum Grundstück der Antragsteller unzulässig und daher eine Grenzbebauung zwingend notwendig sei. Zwar sei eine Abstandsfläche nicht erforderlich, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften - wie hier - an die Grenze gebaut werden dürfe und öffentlich-rechtlich gesichert sei, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut werde. Jedoch fehle es an der öffentlich-rechtlichen Sicherung einer Bebauung auf dem Nachbargrundstück. Eine Baulast, mit der eine derartige öffentlich-rechtliche Sicherung gewährleistet werde, bestehe nicht. Die Voraussetzungen, unter denen auf eine öffentlich-rechtliche Sicherung durch Baulast verzichtet werden könne, seien gleichfalls nicht erfüllt. Denn der geplante Grenzbau stehe nicht mehr in einer hinreichenden Beziehung zu dem vorhandenen Gebäude der Antragsteller. Das Grundstück der Antragsteller werde durch das geplante Vorhaben unter dem Gesichtspunkt der abstandsflächenrechtlichen Schutzgüter ungleich stärker belastet als das Grundstück Flst.-Nr. 155 durch das Wohnhaus der Antragsteller. Da mit der Überschreitung in der Tiefe um ca. 50 % der Gesamttiefe des geplanten Vorhabens auch eine großflächige Grenzwand einhergehen solle, die auf dem Grundstück der Antragsteller keine Entsprechung habe, dürfte sich die Berufung der Antragsteller auf eine fehlende zureichende Beziehung nicht als treuwidrig darstellen. Die Zulässigkeit der geplanten Grenzbebauung ergebe sich voraussichtlich auch nicht aus § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LBO. Denn es lasse sich nicht feststellen, dass hier die Gestaltung des Straßenbildes eine Unterschreitung der gesetzlichen Abstandsflächen erfordern könnte. Die Voraussetzungen, nach denen gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO eine geringere Tiefe der Abstandsfläche zuzulassen sei, lägen gleichfalls nicht vor. Denn Besonderheiten, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandstiefe deutlich minderten oder als weniger schutzwürdig erscheinen ließen, seien nicht gegeben. Ferner fehle eine rechtliche Vorbelastung des Grundstücks der Antragsteller zugunsten des Baugrundstücks. Dies gelte insbesondere für das an der Grundstücksgrenze vorhandene einstöckige Gebäude, das das Grundstück der Antragsteller deutlich weniger belaste als das geplante mehrstöckige Mehrfamilienwohnhaus. Ob das Vorhaben auch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletze, bedürfe keiner weiteren Erörterung, dürfte aber im Ergebnis zu verneinen sein.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.

II.

Die von der Beigeladenen eingelegte Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie fristgerecht (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingelegt und innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden.

Die Beschwerde hat aber keinen Erfolg.

Die von der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zu ändern.

1. Die Beigeladene meint, die Einhaltung einer Abstandsfläche gegenüber dem Grundstück der Antragsteller sei nicht erforderlich, da die maßgebende Umgebungsbebauung zu einer Grenzbebauung zwinge. Soweit die zusammenhängende Bauweise unterbrochen sei, sei dies auf Baulücken, z.B. auf ein nur als Garten-, Stellplatz- und Garagengrundstück genutztes Grundstück zurückzuführen. Diese Nutzung stelle aber einen „Ausreißer“ dar und präge nicht die Umgebung. Namentlich in der P... fänden sich nur Nutzungen in geschlossener Bauweise. Ferner sei dem Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Sicherung bereits dadurch Genüge getan, dass die Antragsteller an der Grenze ihres Grundstücks zum Baugrundstück einen Grenzbau errichtet hätten. Der Gesetzgeber habe nämlich mit der Neufassung der LBO vermeiden wollen, dass, wer zuerst baue, aber seinerseits das baurechtlich Zulässige nicht ausnutze, die Ausmaße der baulichen Ausnutzung des Nachbargrundstücks bestimme. Dieses Ergebnis könne auch nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben korrigiert werden. Ein sachlicher Grund, bei der Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zwischen Gebäudehöhe und Bautiefe des Grenzbaus zu differenzieren, sei gleichfalls nicht gegeben. Konkrete Beeinträchtigungen hätten die Antragsteller durch den geplanten Grenzbau nicht geltend gemacht. Im Übrigen gehe es nicht an, der Beigeladenen über den Grundsatz von Treu und Glauben die Anpassung an die möglicherweise auch auf dem Grundstück der Antragsteller in naher Zukunft nicht mehr gewünschte Nutzung aufzuzwingen. Die vom Verwaltungsgericht gewählte Konstruktion, nach der offenbar eine fiktive Verpflichtung des Nachbarn zur Zustimmung zu einer Baulast geprüft werde, sei unzulässig. Das Tatbestandsmerkmal der öffentlich-rechtlichen Sicherung könne nicht subjektiv-rechtlich unterlegt werden und der Anwendungsbereich der gesetzlichen Norm durch eine wiederholte Berücksichtigung nachbarlicher Belange eingeengt werden. Es sei nicht erforderlich, dass die geplante Grenzbebauung in Höhe und Tiefe weitestgehend deckungsgleich mit der vorhandenen Grenzbebauung sei. Es sei ferner nicht zweifelhaft, dass im Hinblick auf die Bauweise die genehmigten Grenzbauten trotz des Überstands noch in einer Beziehung zu den vorhandenen Gebäuden auf dem Grundstück der Antragsteller stünden. Tatsächlich betrage die Überdeckung jedenfalls mehr als die Hälfte. Hierbei sei die Versetzung der Gebäude zu berücksichtigen. Besondere Umstände, die die Berufung auf den Abstandsflächenverstoß unbillig machten, ergäben sich vorliegend aus der atypischen Grundstücks- bzw. Bebauungssituation, die durch die unterschiedliche Anordnung der beiden Gebäude an der straßen- bzw. gartenseitigen Grenze entstehe. Abstandsflächengeschützte Belange der Antragsteller würden nicht erheblich beeinträchtigt. Ferner sei zu berücksichtigen, dass Baugrenzen und Baulinien allgemein nicht als nachbarschützend angesehen würden, soweit sie nur „faktisch“ existierten. Sofern eine Baulinie überhaupt angenommen werden könne, liege diese an der Pfarrgasse.

2. Dieses Vorbringen vermag der Beschwerde im Ergebnis nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aussetzungsinteressen der Beteiligten vor. Dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend kann das Gericht seine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage treffen (st.Rspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.9.1995 - 2 BvR 1179.95 - NVwZ 1996, 58; BVerwG, Beschluss vom 22.3.2010 - 7 VR 1.10 - juris). Ist eine Abschätzung über die Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Rechtsbehelfs im Sinne einer Evidenzkontrolle nicht möglich und muss daher der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache als offen angesehen werden, sind allein die einander gegenüber stehenden Interessen zu gewichten.

Nach Maßgabe dessen kann im vorliegenden Fall nach den dem Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht abschließend entschieden werden, ob das Vorhaben der Beigeladenen entsprechend der genehmigten Bauvorlagen ohne Einhaltung von Abstandsflächen an der mit den Antragstellern gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet werden darf (1.). Bei dieser Sachlage hält der Senat in Würdigung der einander gegenüber stehenden Interessen es für angezeigt, die Antragsteller vorläufig vom Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung zu bewahren (2.)

a) Ob die angefochtene Baugenehmigung gegen auch dem Schutz der Antragsteller dienende bauordnungsrechtliche Vorschriften über die Abstandsflächen verstößt, kann im vorliegenden Verfahren nicht abschließend beurteilt werden, sondern bedarf der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren.

aa) Nach § 5 Abs. 1 und 2 LBO müssen vor den Außenwänden von Gebäuden auf dem Grundstück selbst Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind. Eine Abstandsfläche ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abstandsfläche.

Das Verwaltungsgericht meint, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien voraussichtlich nicht gegeben, da sich innerhalb des maßgebenden Gebiets keine einheitliche Bauweise feststellen lasse. Die Richtigkeit dieser Auffassung erscheint fraglich. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht möglich, sondern muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob ein Gebäude nach planungsrechtlichen Vorschriften an die (Grundstücks-)Grenze gebaut werden muss, im vorliegenden Fall nach § 34 Abs. 1 BauGB beantwortet. Denn die Grundstücke der Antragsteller und der Beigeladenen liegen innerhalb eines zusammenhängend bebauten Ortsteiles, für den ein Bebauungsplan nicht vorhanden ist. In diesen Fällen muss ein Gebäude an die Grundstücksgrenze gebaut werden, wenn die Eigenart der näheren Umgebung eine Bebauung entsprechend einer geschlossenen Bauweise oder einer abweichenden Bauweise im Sinne von § 22 Abs. 3 oder 4 BauNVO zwingend verlangt und daher eine Bebauung mit Abstandsflächen sich nicht einfügen würde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 8.5.2002 - 3 S 2259/01 - juris; Urt. v. 7.11.1984 - 3 S 2571/84 - NVwZ 1986, 142; Sauter, LBO, Stand: Dezember 2012, § 5 Rn. 46).

Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint, weil die maßgebliche Umgebungsbebauung, die im Osten durch die H..., im Westen durch die Z... und deren (gedachte) Verlängerung nach Süden, im Süden durch die südliche Grenze des Grundstücks FIst.-Nr. 156/1 und im Norden durch die nördliche Grenze der Grundstücke Flst.-Nrn. 145/1 und 145/2 bestimmt werde, keine einheitliche Bauweise zeige. In der näheren Umgebung der Baugrundstücke wiesen zwar zahlreiche Grundstücke eine geschlossene Bebauung ohne seitlichen Grenzabstand auf, insbesondere die Grundstücke FIst.-Nrn. 142, 141, 140, 139 und 138, die jenseits der P... gegenüber den streitgegenständlichen Grundstücken lägen, und auch die Baugrundstücke selbst sowie das Grundstück der Antragsteller. Der Annahme einer einheitlichen Bebauung stünden aber insbesondere die Bebauung auf den Grundstücken FIst.-Nr. 145/2, 152/1, 152 sowie 156 und 156/1 entgegen.

Ob diese Beurteilung zutrifft, hält der Senat für fraglich.

Bei der Bebauung auf den Grundstücken FIst.-Nrn. 145/2, 152/1 und 156 handelt es sich nicht um Wohngebäude, sondern lediglich um untergeordnete Nebengebäude, nämlich um ein Gebäude für Vorratshaltung (Lagergebäude), einen Schuppen sowie eine Garage. Es erscheint fraglich, ob dieser Grundstücksnutzung im Rahmen der wertenden Betrachtung bei der Bestimmung der Umgebungsbebauung nach § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO bezogen auf die Bauweise entscheidende Bedeutung beizumessen ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 16.6.2009 - 4 B 50.08 - BauR 2009, 693). Bei der Garage auf dem Grundstück FIst.-Nr. 156 ist dies ohne weiteres zu verneinen. Gleiches ist - vorbehaltlich anderer Erkenntnisse nach Einnahme eines Augenscheins - wohl auch für das Lagergebäude auf dem Grundstück FIst.-Nr. 145/2 und dem Schuppen auf dem Grundstück Flst.-Nr. 152/1 anzunehmen.

Die vom Verwaltungsgericht ferner angeführten Grundstücke Flst.-Nrn. 152 und 156/1 weisen zwar Wohngebäude mit abweichender, d. h. Abstandsflächen einhaltender Bauweise auf. Der Senat neigt indessen nach summarischer Prüfung dazu, dass der Bebauung auf diesen beiden Grundstücken - auch unter Zugrundelegung des vom Verwaltungsgericht angenommenen Rahmens der maßgeblichen Umgebungsbebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB - in planungsrechtlicher Hinsicht für die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO entscheidungserhebliche Bauweise kein prägender Einfluss zukommt. Da die übrigen mit Wohngebäuden bebauten Grundstücke geschlossene Bauweise aufweisen, dürften nach dem dem Senat vorliegenden Auszug aus dem Liegenschaftskataster die beiden Grundstücke nach Lage und Größe der dortigen Wohngebäude - auch hier vorbehaltlich weitere Erkenntnisse nach Einnahme eines Augenscheins - als Fremdkörper anzusehen sein. Dies gälte erst recht, wenn - was nach der Ansicht des Senats auf der Grundlage der ihm zugänglichen Pläne und Übersichten jedenfalls nicht auszuschließen ist - auch die Bebauung östlich der Mühlgasse in den Rahmen der Umgebungsbebauung mit einbezogen werden muss. Denn auch dort findet sich zumindest bis zu der vom Verwaltungsgericht gezogenen südlichen Grenze, die in der M... die Grundstücke Flst.-Nrn. 154, 154/1, 154/2 und 154/3 gebildet wird, allein geschlossene Bauweise.

Zu einer abschließenden Beurteilung dieser Fragen ist der Senat im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes mit seinen nur eingeschränkten Aufklärungsmöglichkeiten nicht in der Lage. Diese muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

bb) Das Verwaltungsgericht hat - aus seiner das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO verneinenden Sicht folgerichtig - weiter die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO geprüft und entschieden, dass auch dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Zwar dürfe im vorliegenden Fall planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB an die Grenze gebaut werden, es fehle aber an der weiteren Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO, wonach öffentlich-rechtlich gesichert sein müsse, dass auf dem Nachbargrundstück - hier also dem Grundstück der Antragsteller - ebenfalls an die Grenze gebaut werde.

Dagegen bestehen aus der Sicht des Senats keine Bedenken. An einer Baulast nach § 71 LBO zu Lasten des Grundstücks Flst.-Nr. 155/1, durch die grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Sicherung zu erfolgen hat, fehlt es unstreitig. Dem Verwaltungsgericht ist ferner darin zu folgen, dass auch die Voraussetzungen nicht vorliegen, nach denen ausnahmsweise eine öffentlich-rechtliche Sicherung entbehrlich ist. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass der Nachbar an der Grenze bereits ein nicht gemäß § 6 LBO privilegiertes Gebäude erstellt hat, von dessen Fortbestand ausgegangen werden kann, und zum anderen, dass der geplante Grenzbau noch in einer hinreichenden Beziehung zu dem vorhandenen Gebäude steht (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.2.2007 - 5 S 2826/06 - VBlBW 2007, 383; Beschl. v. 10.1.2006 - 5 S 2335/05 - VBIBW 2006, 350; Beschl. v. 10.3.1999 - 3 S 332/99 - juris; Beschl. v. 29.1.1999 - 5 S 2971/98 - VBIBW 1999, 347; Beschl. v. 12.9.1996 - 5 S 2232/96 - VBIBW 1997, 221; Beschl. v. 5.6.1991 - 3 S 1233/91 - juris). Anders als das Verwaltungsgericht meint, hat diese Rechtsprechung allerdings ihre Grundlage nicht in dem Grundsatz von Treu und Glauben, wie sich schon daran zeigt, dass der von ihr entwickelte Ausnahmetatbestand nicht nur subjektiv-rechtlich, sondern auch in objektiv-rechtlicher Hinsicht Geltung beansprucht. Hierauf zielt wohl auch das Vorbringen der Beigeladenen, eine gewissermaßen „doppelte“ Prüfung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Rahmen des Nachbarschutzes sei unzulässig.

Das bedarf indessen keiner weitergehenden Vertiefung. Denn der Senat folgt - im Rahmen der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass auch in Ansehung der seit 1.1.1996 geltenden Neufassung des § 5 LBO und trotz Streichung des in der vorherigen Fassung dieser Vorschrift vorhandenen Begriffs des „Anbaus“ auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Beziehung zwischen geplantem und bestehendem Gebäude nicht verzichtet werden kann. Das Vorbringen der Beigeladenen unter Hinweis auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschl. v. 5.10.1995 - 10 B 2445/95 - BauR 1996, 83; Beschl. v. 4.6.1998 - 10 A 1318/97 - BauR 1999, 478) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass mit der Gesetzesänderung zwar die Vorstellung verbunden gewesen ist, es müsse nunmehr dem „Zweitbauenden“ grundsätzlich möglich sein, ohne Anknüpfung an die bestehende Bebauung die planungsrechtlich zulässige Bebauungstiefe auszuschöpfen. Diese Vorstellung hat jedoch in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Denn das Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Sicherung ist, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist, beibehalten worden. Der insoweit eindeutige Wortlaut des Gesetzes lässt sich mit der gegenteiligen Auffassung der Beigeladenen nicht vereinbaren.

Die in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO getroffene Regelung hat ihr Vorbild in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO in ihrer bis zum 1.1.1996 geltenden Fassung vom 28.11.1983 (LBO a.F.). Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO a.F. war eine Abstandsfläche nicht erforderlich, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass vom Nachbargrundstück angebaut wird. Bereits auf der Grundlage dieser Regelung wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg angenommen, dass die öffentlich-rechtliche Sicherung nicht nur in einer entsprechenden Baulast, sondern auch im Vorhandensein eines auf dem Nachbargrundstück an der Grenze errichteten Gebäudes bestehen kann (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 5.6.1991 - 3 S 1233/91 - BWGZ 1991, 39). In der Rechtsprechung war jedoch anerkannt, dass die Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO a.F. in einem solchen Fall voraussetzt, dass die Grenzwand des anzubauenden Gebäudes nicht oder nur unerheblich größer ist als die zum Anbau vorgesehene Wand des benachbarten Grenzgebäudes (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 5.6.1991, a.a.O.).

§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO a.F. Die Vorschrift dient - ebenso wie § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO - zur Angleichung des Bauordnungsrechts an das Planungsrecht. Nach § 29 Abs. 2 BauGB lässt zwar das Bauplanungsrecht die Vorschriften des Bauordnungsrechts unberührt, so dass das Landesrecht an ein bauplanungsrechtlich zulässiges Vorhaben weitergehende Anforderungen stellen darf. Dem sind jedoch bestimmte Grenzen gesetzt, da landesrechtliche Vorschriften nicht dazu führen dürfen, dass die planungsrechtlichen Vorgaben des Bundesrechts unterlaufen werden (BVerwG, Beschl. v. 11.3.1994 - 4 B 53.94 - NVwZ 1994, 1008; Beschl. v. 12.1.1995 - 4 B 197.94 - DVBl. 1995, 517). In Fällen, in denen das Planungsrecht eine Bebauung an der Grenze erlaubt, soll deshalb unter den in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO genannten Voraussetzungen auch bauordnungsrechtlich eine - beiderseitige - Grenzbebauung zulässig sein (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 3.12.1999 - 3 S 790/99 - juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.3.1999 - 3 S 332/99 - juris; Beschl. v. 12.9.1996 - 5 S 2232/96 - VBlBW 1997, 221).

Statt der öffentlich-rechtlichen Sicherung, dass „vom Nachbargrundstück angebaut wird“, begnügt sich aber § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO mit der öffentlich-rechtlichen Sicherung, dass „auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an der Grenze gebaut wird“. Einer Baulast, in der sich der Eigentümer des Nachbargrundstücks im Falle einer Bebauung seines Grundstücks zur Errichtung eines mit dem geplanten Gebäude weitgehend deckungsgleichen Gebäudes an der gemeinsamen Grundstücksgrenze verpflichtet, bedarf es daher nicht mehr. Ausreichend ist stattdessen eine Baulast, in der sich der Eigentümer des Nachbargrundstücks im Falle einer Bebauung seines Grundstücks zur Errichtung eines ebenfalls an die gemeinsame Grundstücksgrenze reichenden, „grenzständigen“ Gebäudes verpflichtet. Diese Baulast darf sich allerdings nach dem Sinn und Zweck der Regelung nicht nur auf einen beliebig gewählten Teil der gemeinsamen Grundstücksgrenze beschränken, sondern muss sich zumindest auch auf den dem geplanten Gebäude gegenüberliegenden Bereich dieser Grenze erstrecken.

Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gilt auch für § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO, dass die von der Vorschrift geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung auch in solchen Fällen als gegeben anzusehen sein kann, in denen sich auf dem Nachbargrundstück bereits ein an die gemeinsamen Grundstücksgrenze reichendes Gebäude befindet, da es bei dem Vorhandensein eines solchen Gebäudes und dem Fehlen von Umständen, die auf dessen alsbaldige oder in naher Zukunft zu erwartende Beseitigung hindeuteten, offensichtlich sinnwidrig wäre, von dem Eigentümer des Nachbargrundstücks die Bestellung einer Baulast mit dem beschriebenen Inhalt zu verlangen. Die von dem Vorhandensein eines solchen Gebäudes ausgehenden Wirkungen können jedoch nicht weiter reichen als die einer entsprechenden Baulast. Es genügt daher nicht das Vorhandensein eines Gebäudes an irgendeinem Teil der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO kann vielmehr eine auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene Grenzbebauung die von der Vorschrift an sich geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung nur dann ersetzen, wenn das an der Grenze geplante Bauvorhaben und das auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene grenzständige Gebäude zueinander in einer gewissen Beziehung stehen und beide Gebäude sich in einem Maße überdecken, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung noch der Eindruck einer geschlossenen Bauweise vermittelt wird (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 6.7.2010 - 4 K 952/10 - juris). Daran dürfte es im vorliegenden Fall fehlen, da sich das geplante Gebäude der Beigeladenen und das auf dem Grundstück des Antragstellers vorhandene Gebäude nach den genehmigten Bauvorlagen im Bereich der Grenze lediglich zu ca. 50 % überdecken.

cc) Ob die Beigeladene einen Anspruch auf Zulassung geringerer Tiefen der Abstandsflächen nach § 6 Abs. 3 LBO hat, kann nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gleichfalls nicht abschließend beurteilt werden.

(1) Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LBO, wonach geringe Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen sind, wenn in überwiegend bebauten Gebieten die Gestaltung des Straßenbildes oder besondere örtliche Verhältnisse dies erfordern, mit der Begründung verneint, dass die unmittelbar südlich gelegenen Grundstücke Flst.-Nrn. 156 und 156/1 sowie die westlichen Grundstücke Flst.-Nrn. 152 und 152/1 nicht in geschlossener Weise bebaut seien. Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilen. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LBO stellt entscheidend auf die Gestaltung des Straßenbildes sowie auf die besonderen örtlichen Verhältnisse ab. Deshalb dürfte allein die P... und deren Bebauung in den Blick zu nehmen sein, nicht aber die weitere, nach den Maßstäben des § 34 Abs. 1 BauGB zu bestimmende Umgebungsbebauung. Deshalb dürften die Grundstücke Flst.-Nrn. 152 und 152/1 bei der Beurteilung des Straßenbildes nicht von Bedeutung sein. Ferner dürfte das Grundstück Flst.-Nr. 156 - wie bereits ausgeführt - aufgrund der lediglich geringfügigen Bebauung mit einer Garage kein maßstabbildendes Element darstellen. Da die P... mit Ausnahme des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flst.-Nr. 156/1 eine geschlossene Bauweise aufweist, bedarf es einer wertenden Betrachtung, ob die sich nach dem Lageplan ergebende stark verdichtete kleinteilige Bebauung in der P... ein Straßenbild ergibt, das eine grenzständige Bebauung fordert. Die für diese Beurteilung notwendigen Erkenntnisse dürften jedoch erst im Rahmen einer Augenscheineinnahme gewonnen werden können.

(2) Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO dürften dagegen auch nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall nicht gegeben sein. Bei der Anwendung dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung der mit Bausachen befassten Senate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg von der normativen Wertung auszugehen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange bei einer Unterschreitung der Abstandsflächentiefe regelmäßig vorliegt. Allenfalls dann, wenn die vorhandene Situation in Bezug auf das Nachbargrundstück durch bauordnungsrechtlich relevante Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandsflächentiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen, kann eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange entfallen. Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass derartige Besonderheiten hier voraussichtlich nicht erkennbar sind. Hiergegen ist auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens der Beigeladenen nichts zu erinnern, weshalb der Senat insoweit auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts verweist (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

b) Wie oben dargestellt, lässt sich die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des genehmigten Vorhabens der Beigeladenen mit Blick auf die nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilen. Bei dieser Ausgangslage hält es der Senat auch unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der Beigeladenen für geboten, dem Interesse der Antragsteller, einstweilen vom Vollzug der Baugenehmigung bewahrt zu bleiben, ein höheres Gewicht beizumessen. Denn sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO tatsächlich nicht vorliegen und auch die Gestaltung des Straßenbildes oder besondere örtliche Verhältnisse i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LBO keine geringere Tiefen der Abstandsflächen erfordern und die Baugenehmigung daher keinen Bestand haben kann, würde die Beseitigung einer in der Zwischenzeit erfolgten Bebauung nur unter erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten durchgeführt werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (VBlBW 2014, Heft 1, Sonderbeilage). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes des Nachbarn nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben wird, weil insofern die Entscheidung in der Sache faktisch vorweggenommen wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich Baunachbarn nicht allein gegen die Auswirkungen der zukünftigen Nutzung des Nachbargrundstücks, sondern - wie hier der Antragsteller - gegen solche der Baukörper zur Wehr setzen und einen vorläufigen Stopp deren Errichtung begehren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.8.2014 - 8 S 979/14 - juris; Beschl. v. 11.12.2013 - 3 S 1964/13 - VBlBW 2014, 275).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.