FG Köln, Urteil vom 27.08.2014 - 14 K 2517/12
Fundstelle
openJur 2014, 22231
  • Rkr:
Tenor

Der Einkommensteuerbescheid vom 27. August 2014 wird dahingehend geändert, dass außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG i. H.v. 65.000 EUR vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung berücksichtigt werden.

Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 9 % und der Beklagte zu 91 %.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Aufwendungen i.H.v. 65.000 EUR für den Einbau eines Fahrstuhls als krankheitsbedingte außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr (2009) gültigen Fassung (EStG).

Die im Jahr 2009 83 Jahre alte Klägerin zu 3.) und ihr am :::. August 2012 verstorbener Ehemann, der im Jahr 2009 das 89. Lebensjahr vollendete und dessen Gesamtrechtsnachfolger die Kläger zu 1.) und 2.) sind, waren verheiratet und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Mit ihrer am 24. Februar 2011 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2009 begehrten die Kläger Aufwendungen i.H.v. 81.269 EUR für den Einbau eines Fahrstuhls als krankheitsbedingte außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.

Bereits im Jahr 2008 hatte der Ehemann der Klägerin zu 3.) zwei Kaufverträge über die Lieferung und den Einbau von zwei Treppenliften für ihr Wohnhaus abgeschlossen. Die Aufwendungen für diese Treppenlifte betrugen 18.940 EUR. Auf Bl. 79 bis 81 der Finanzgerichtsakte wird verwiesen. Bereits bei der Anlieferung der Treppenlifte stellte sich heraus, dass ein Einbau und die Nutzung dieser Treppenlifte in dem Einfamilienhaus auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten nicht möglich waren. Im Rahmen eines Rechtsstreits über die Rücknahme der Treppenlifte wurde ein vom Landgericht in Auftrag gegebenes Gutachten durch die Bausachverständigen B und C aus D erstellt. Auf Bl. 82 bis 96 der Finanzgerichtskate wird verwiesen. In der Zusammenfassung kommt der Gutachter zu folgendem Ergebnis:

"Der von der Klägerin eingebaute und bereits wieder demontierte Treppenlift hätte in der vorgefundenen baulichen Situation nicht eingebaut werden dürfen.

Der Lift ist nicht nutzbar, da die Fußstütze im Erdgeschoss beim erforderlichen Schwenken um 90° mit der Türzarge bzw. dem Mauerwerk kollidiert.

Durch die Liftanlage wird außerdem die notwendige Breite der Treppenanlage so deutlich unterschritten, dass ein sicheres Begehen nicht mehr möglich ist."

Ausweislich einer bei der Einkommensteuerakte befindlichen Kopie des Schwerbehindertenausweises der Stadt E betrug der Grad der Behinderung des Ehemanns der Klägerin zu 3.) seit dem 1. Januar 1988 50.

Der die Klägerin zu 3.) behandelnde Arzt F erstellte am 23. November 2012 ein Attest folgenden Inhalts:

"Aufgrund einer fortgestrittenen Herzerkrankung sowie hochgradiger degenerativer Veränderung des Skelettsystems ist Frau ... in ihrer Gehfähigkeit deutlich eingeschränkt. Sie ist auf Gehilfen angewiesen, sodass der Einbau eines Lifts im Privatwohnhaus medizinisch begründet ist." Auf Bl. 61 bis 65 der Finanzgerichtsakte wird verwiesen.

Mit Attest des den Ehemann der Klägerin zu 3.) behandelnden Arzt G vom 29. August 2012 wurde folgendes bestätigt:

"Der oben genannte Patient befand sich bis zu seinem Ableben in meiner ambulanten Behandlung. Krankheitsbedingt war Herr ... schon lange nicht mehr in der Lage, Treppen zu steigen, so dass der Treppenlift eine medizinisch notwendige Einrichtung darstellte, um die Mobilität und Lebensqualität aufrecht zu erhalten." Auf Bl. 60 der Finanzgerichtsakte wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 17. Mai 2011 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Jahr 2009 mit 86.132 EUR fest. Hierbei berücksichtigte der Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen für den Fahrstuhl nicht. Zur Begründung führte er aus, dass nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Januar 2007 III R 7/06 (BFH/NV 2007, 1081) die Aufwendungen für den Fahrstuhl nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden könnten, weil die Klägerin und ihre Ehemann durch den nachträglichen Einbau einen Gegenwert erhielten.

Hiergegen haben die Klägerin zu 3.) und ihr Ehemann fristgerecht Einspruch eingelegt. Zur Begründung führten sie aus, nach der neuesten Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs stehe ein "Mehraufwand, der auf einer behindertengerechten krankheits- oder altersbedingten Gestaltung des individuellen Wohnumfeldes beruhe, stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände regelmäßig in den Hintergrund trete (BFH-Urteile vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280; vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012).

Der Ehemann der Klägerin zu 3.) sei 90 Jahre alt und die Klägerin 85 Jahre und in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr in der Lage Treppen zu gehen. Dem Ehemann der Klägerin zu 3.) sei zudem bereits eine Schwerbehinderung bescheinigt. Bei weiterer Nutzung des Wohnhauses sei ein Umbau in Form des Einbaus eines Fahrstuhls zwangsläufig nötig.

Mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 2012 wies der Beklagte den Einspruch, soweit hierdurch über ihn entschieden wurde, als unbegründet zurück. Entgegen der Auffassung der Klägerin zu 3.) und ihres Ehemannes reiche eine altersbedingte Gestaltung des individuellen Wohnumfeldes alleine nicht aus, um von einer sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit auszugehen. Im Streitfall beriefen sich die Klägerin zu 3.) und ihr Ehemann darauf, dass sie in tatsächlicher Hinsicht nicht in der Lage seien, Treppen zu steigen. Eine durch Behinderung veranlasste Notwendigkeit sei allerdings nicht nachgewiesen worden. So liege bei der Klägerin zu 3.) im Jahr 2009 überhaupt keine Behinderung vor. Ein Nachweis darüber, dass ihr Ehemann behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage sei, Treppen zu steigen, sei nicht erbracht worden. Anhaltspunkte für eine Geh- und Stehbehinderung seien aus der, ihm (dem Beklagten) vorliegenden Kopie des Schwerbehindertenausweises nicht erkennbar. Die Erlangung eines durch den Einbau des Fahrstuhls begründeten Gegenwertes trete im Streitfall somit nicht in den Hintergrund.

Am 29. Mai 2013 hat der Beklagte den Einkommensteuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert und die Einkommensteuer mit 90.142 EUR festgesetzt. Der geänderte Einkommensteuerbescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Die Klägerin zu 3.) und ihr Ehemann haben fristgerecht Klage erhoben. Nach den Urteilen des BFH in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, und vom 5. Oktober 2011 VI R 14/11, BFH/NV 2012, 39 seien Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau eines Hauses -- Einbau eines Aufzuges oder Treppenlifts -- als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn sie so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit stünden, dass die etwaige Erlangung eines Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände des Einzelfalles in den Hintergrund träten. Hierbei werde auf die medizinische Indikation der Erkrankung als Beweismittel für die Zwangsläufigkeit abgestellt. Bisher sei in der Rechtsprechung davon ausgegangen worden, dass für den Beweis der Zwangsläufigkeit ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten vor Einleitung der Maßnahme nötig sei. An diesem Erfordernis halte der VI. Senat des BFH seit dem Urteil vom 11. November 2010 VI R 17/09 (BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969) nicht weiter fest und führe diese Rechtsprechung im Urteil in BFH/NV 2012, 39 weiter fort. Hiernach genüge, wenn bewiesen bzw. glaubhaft gemacht werde, dass auf Grund gesundheitlicher Beschwerden der Einbau des Aufzugs medizinisch angezeigt gewesen sei.

Die vorgelegten ärztlichen Atteste bestätigten, dass der Einbau des Fahrstuhls aus Krankheitsgründen erfolgte, so dass ein eventuell erlangter Gegenwert in den Hintergrund trete.

Dieser medizinischen Wertung habe die steuerliche Beurteilung zu folgen, es sei denn es liege ein für jedermann erkennbares offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 und in BFH/NV 2012, 39).

Der Einbau eines Treppenliftes als "kostengünstigere" Variante sei nicht möglich gewesen, so dass sie (die Klägerin) und ihr Ehemann sich entschlossen hätten, einen Fahrstuhl einzubauen, der ihnen das weitere Wohnen im Einfamilienhaus ermöglichte. Im vorliegenden Fall seien die entstandenen Aufwendungen für den Einbau des Fahrstuhls daher angemessen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG.

Der eingebaute Fahrstuhl sei individuell auf die Bedürfnisse der durch die Krankheit bedingten Immobilität konzipiert und abgestimmt worden. Das insbesondere durch das Krankheitsbild eingeschränkte Geh- und Aufstehverhalten habe die Nutzung eines Treppenliftes für sie und ihren Ehemann unmöglich gemacht.

Bei dem nunmehr eingebauten Fahrstuhl handele es sich um ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinn, so dass die strengen Anforderungen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der Form des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (StVereinfG 2011) vom 1. November 2011 (BGBl. I S. 2131) nicht zur Anwendung kämen. Für die Anerkennung der Aufwendungen der Anschaffung dieses medizinischen Hilfsmittels im engeren Sinne sei nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV eine Verordnung eines Arztes, auch nachträglich, ausreichend.

Nach dem BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 61/12 (BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458) sei die Zwangsläufigkeit und damit die medizinische Notwendigkeit für Aufwendungen für den Einbau eines Treppenliftes nicht formalisiert nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV nachzuweisen. Die medizinische Notwendigkeit dürfte somit mit dem bereits vorliegenden Attest der behandelnden Ärzte nachgewiesen sein.

Die Aufwendungen für den Einbau des Fahrstuhls seien als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid vom 27. August 2014 (siehe Protokoll) dahingehend zu ändern, dass außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG i.H.v. 65.000 EUR berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hierzu verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 2012. Ergänzend trägt er vor, ein entstehender Mehraufwand könne nur dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn eine eindeutige und anhand objektiver Merkmale durchführbare Unterscheidung zwischen den steuerlich irrelevanten Motiven für den Umbau eines Hauses und den ausschließlich durch eine Krankheit oder Behinderung verursachten Aufwendungen möglich sei. Die Kläger hätten bislang nicht dargelegt oder ausreichend glaubhaft gemacht, in welchem Umfang die geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich im Rahmen einer durch Behinderung veranlassten Notwendigkeit entstanden seien. Die einzelnen durchgeführten Maßnahmen, im Streitfall der Einbau eines Fahrstuhls, müssten der Linderung einer Krankheit dienen und den behinderungsbedingten Lebenserschwernissen der behinderten Person Rechnung tragen und für sie notwendig sein. Eine lediglich altersbedingte und nicht zwangsläufig auf eine Behinderung zurückzuführende Gestaltung des Wohnumfeldes reiche alleine nicht aus, selbst wenn dies zu verbesserten körperlichen Bedingungen für die Bewohner des Hauses führe.

Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG seien außergewöhnliche Belastungen nur insoweit steuerlich abziehbar, als sie einen angemessenen Betrag nicht überschritten. Medizinisch indiziert sei grundsätzlich jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt sei. Dieser medizinischen Wertung habe die steuerliche Betrachtung grundsätzlich zu folgen, es sei denn, es liege ein für jedermann erkennbares offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711).

Für den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für den Einbau eines Fahrstuhls sei gemäß § 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 Abs. 1 Nr. Buchst. e EStDV ein amts- oder vertrauensärztliches Attest im Vorfeld der Maßnahme erforderlich, da der Fahrstuhl -- wenn er denn als medizinisches Hilfsmittel im weiteren Sinne anzuerkennen sein sollte -- ein medizinisches Hilfsmittel im weiteren Sinne sei und eine medizinische Indikation nicht typisierend angenommen werden könne.

Es sei unklar, ob nicht der Einbau eines anderen Treppenlifts möglich gewesen sei. Hierzu hat der Vertreter des Beklagten im Termin der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 verwiesen.

Medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne seien solche Gegenstände, die nach der Lebenserfahrung nicht nur von Kranken zur Heilung ihrer Krankheit oder Beschwerden, sondern mitunter auch von gesunden Menschen angeschafft würden, um ihre Gesundheit zu erhalten oder ihren Lebenskomfort zu steigern. Ein Fahrstuhl werde auch von gesunden Menschen zur Steigerung des Lebensstandards gekauft, vorwiegend von Menschen im fortgeschrittenen Alter. Der Einbau könne auch darin begründet sein, dass die Beschwerlichkeiten des Alters gemildert werden sollten. Die auf Grundlage des § 33 Abs. 4 EStG ergangene Regelung des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStDV sehe vor, dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. des § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) anzusehen seien, durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu erbringen seien. Nach § 84 Abs. 3f EStDV sei die genannte Regelung in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden sei, anzuwenden.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 verständigten sich die Beteiligten dahingehend, dass Aufwendungen für den Einbau eines Fahrstuhls i.H.v. 65.000 EUR der Höhe nach angemessen i.S. des § 33 EStG sind. Auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung wird verwiesen.

Darüber hinaus stimmten die Beteiligten im Termin der mündlichen Verhandlung auch darin überein, dass für den verstorbenen A2 und die Klägerin zu 3.) die medizinische Notwendigkeit eines technischen Hilfsmittels bestand um in die obere Etage ihrer Wohnung zu gelangen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 2012 und der Einkommensteuerbescheid vom 27. August 2014 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, da außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 65.000 EUR vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung nach § 33 EStG wie von den Klägern beantragt zu berücksichtigen sind.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (BFH-Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 86, BStBl II 1990, 418; aus jüngster Zeit in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458).

a) In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten -- ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung -- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458, m.w.N.).

b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Das gilt nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind (BFH-Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577).

c) Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 35 des Sozialgesetzbuches --SGB-- Fünftes Buch --V--) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a bis f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in einer abschließenden Aufzählung (vgl. BFH-Urteile vom 29. März 2012 VI R 21/11, BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574; in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458) vor ein von Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist -- aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Gestaltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 (BFH-Urteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577) -- auch im Streitjahr u.a. bei medizinischen Hilfsmitteln, die allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458).

d) Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V sind allerdings nur solche technischen Hilfen, die getragen oder mit sich geführt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen (BFH-Urteile in BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574; in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458; Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 6. August 1998 B 3 KR 14/97, SozR 3-2500 § 33 Nr. 30). Fest in ein Haus oder eine Wohnung eingebaute technische Hilfen -- wie ein Aufzug oder ein Treppenlift -- fallen folglich nicht in den Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 SGB V (vgl. BSG-Urteil in SozR 3-2500 § 33 Nr. 30).

e) Die Kläger haben die medizinische Notwendigkeit der Aufwendungen für die Anschaffung des Aufzuges zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.

Dem im Jahr 2009 89 Jahre alten Ehemann der Klägerin zu 3.) wurde ausweislich der bei der Einkommensteuerakte befindlichen Kopie des Schwerbehindertenausweises der Stadt E bereits seit dem 1. Januar 1988 ein Grad der Behinderung von 50 bescheinigt. Die Klägerin zu 3.) vollendete im Jahr 2009 ihr 83. Lebensjahr. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass sich mit zunehmendem Alter der Gesundheitszustand verschlechtert. Darüber hinaus bestätigte der die Klägerin zu 3.) behandelnde Arzt F mit Attest vom 23. November 2012, dass aufgrund einer fortgestrittenen Herzerkrankung sowie hochgradiger degenerativer Veränderung des Skelettsystems die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit deutlich eingeschränkt ist und auf Gehilfen angewiesen ist, sodass der Einbau eines Lifts im Privatwohnhaus medizinisch begründet ist. Ebenso bestätigte mit Attest vom 29. August 2012 der den Ehemann der Klägerin zu 3.) bis zu dessen Tode behandelnde Arzt G, dass der Ehemann der Klägerin zu 3.) krankheitsbedingt schon lange nicht mehr in der Lage war Treppen zu steigen, so dass der Treppenlift eine medizinisch notwendige Einrichtung darstellte, um die Mobilität und Lebensqualität aufrecht zu erhalten. Damit bescheinigen beide Ärzte, dass die Klägerin zu 3.) und ihr verstorbener Ehemann eines medizinischen Hilfsmittels bedurften, um in die oberen Etagen ihres Hauses zu gelangen. Zwar sind diese Atteste lediglich als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen (BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966; in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969, m.w.N.), gleichwohl war der Senat nicht gehalten ggf. von Amts wegen aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Gutachten über die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahmen einzuholen. Zum einen hat der Schwerbehindertenausweis drittwirkende Beweisfunktion als öffentliche Urkunde i.S. des § 417 der Zivilprozessordnung auch gegenüber dem Finanzgericht (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2014 VI B 95/13, BFHE 244, 436, BStBl II 2014, 525), zum anderen haben die Beteiligten sich im Termin der mündlichen Verhandlung dahingehend verständigt, dass für den verstorbenen Ehemann der Klägerin zu 3.) und die Klägerin zu 3.) die medizinische Notwendigkeit eines technischen Hilfsmittels bestand, um in die obere Etage ihrer Wohnung zu gelangen.

f) Die Aufwendungen der Kläger sind in Höhe von 65.000 EUR für die medizinisch indizierte Anschaffung des Fahrstuhls vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Aufwendungen für medizinisch indizierte Maßnahmen sind typisierend als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458, m.w.N.). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (BFH-Urteil in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969), es sei denn, es liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711, m.w.N.).

aa) Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt kein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor.

Die Rechtsprechung des BFH fordert bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten im Allgemeinen nicht die Prüfung, ob die Aufwendungen den Umständen nach notwendig waren und einen angemessenen Betrag übersteigen. Beanstandungen sind insoweit nur gerechtfertigt, wenn ein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vorliegt (BFH-Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711).

Die Beteiligten haben sich im Termin der mündlichen Verhandlung dahingehend tatsächlich verständigt, dass für den Einbau eines Fahrstuhls 65.000 EUR angemessen i.S. des § 33 EStG sind.

bb) Das Gericht musste auch nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber erheben, ob es möglich gewesen wäre in das Haus der Klägerin zu 3.) unter Einhaltung der technischen Vorschriften einen Treppenlift einzubauen. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein solcher Einbau nicht möglich ist.

Das Gericht durfte das am 5. November 2009 erstellte und vom Landgericht E in Auftrag gegebenen Gutachten der Bausachverständigen B & G gemäß § 82 FGO i.V.m. § 411a ZPO verwerten.

Nach § 411a, 1. Alt. ZPO kann die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.

(1) Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der Einbau eines Treppenliftes bereits aufgrund der örtlichen Festlegungen der begutachteten Treppensituation zwischen Unter? und Erdgeschoss nicht möglich ist. Im Erdgeschoss befindet sich unmittelbar an der Vorderkante der obersten Stufe die Türzarge mit Tür in den dahinterliegenden Raum. Das lichte Maß zwischen Wand und Innenkante des Handlaufs beträgt lediglich 860 mm. Das lichte Öffnungsmaß der Tür im Erdgeschoss beträgt 690 mm. Die lichte Treppenbreite wird demnach nach unten gesehen links um ca. 82 mm und rechts um ca. 88 mm eingeengt. Die Situation wird auf den Bildern 2 bis 4 des Gutachtens verdeutlicht. Um die Sicherheit des Nutzers eines Treppenliftes zu gewährleisten, ist ein Betrieb eines Treppenliftes nur bei ausgeklapptem Sitz und ausgeklappter Fußstütze zulässig. Der Zeichnung auf Bl. 10 des Gutachtens ist zu entnehmen, dass der Sessel im Erdgeschoss, wenn eine Person auf dem Sitz Platz genommen hat, nicht um 90° drehbar ist, da die Fußstütze nicht an der Vorderkante der Türzarge vorbeischwenken kann. Die Fußstütze kollidiert nach den Feststellungen im Gutachten mit dem Mauerwerk bzw. der Türzarge. Für die Beine des Nutzers ist kein Platz und es besteht Verletzungsgefahr.

(2) Darüber hinaus wären bei Einbau eines Treppenliftes die Voraussetzungen des § 36 Abs. 5 Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NW) nicht erfüllt.

Nach dieser Regelung muss die nutzbare Breite der Treppen und Treppenabsätze notwendiger Treppen mindestens 1 m betragen; in Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen genügt eine Breite von 0,8 m.

Das Maß von 0,8 m wird bei Einbau eines Treppenliftes in das Haus der Klägerin zu 3.) deutlich unterschritten. Das Gutachten stellt weiterhin fest, dass bei Einbau eines Treppenliftes die nutzbare Breite einer regelgerechten Treppe zwangsläufig unterschritten wird. Aufgrund der baulichen Situation des auf der Wand vorhandenen Handlaufs und der Einschnürung des lichten Maßes im Bereich der Türzarge ist die Montage einer solchen Konstruktion nur mit großem Wandabstand möglich. Ein gefahrloses Besteigen der Treppe, insbesondere für ältere und gebrechliche Personen ist aus sachverständiger Sicht bei montiertem Treppenlift nicht mehr möglich, denn die erforderliche Nutzbreite wird deutlich von 0,80 m auf 0,51 m unterschritten. Selbst wenn aber der Handlauf, der die nutzbare Breite um 77 mm verringert, demontiert worden wäre, so würde die erforderliche Nutzbreite weiterhin um 0,587 m unterschritten. Darüber hinaus benötigt ein Treppenlift eine Führungsschiene und einen Sitz, für diese bliebe bei dem im Gutachten festgestellten lichten Maß zwischen Wand und Innenkante des Handlaufs von 860 mm lediglich 60 mm Raum. Es steht daher nach Überzeugung des Gerichts wie auch im Gutachten festgestellt fest, dass bei Einbau eines Treppenliftes die nutzbare Breite einer regelgerechten Treppe zwangsläufig unterschritten wird. Der Einbau eines Treppenliftes führt damit zwangsläufig zur Unvereinbarkeit mit der baurechtlichen Bestimmung des § 36 Abs. 5 BauO NW.

2. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen. Hierbei hat er vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung einen Betrag von 65.000 EUR als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall FGO.

Zitate17
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte