LG Regensburg, Beschluss vom 10.10.2014 - 2 Qs 41/14
Fundstelle
openJur 2014, 21716
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg gegen die Verfügung des Amtsgerichts Regensburg vom 03.07.2014, mit welcher der Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses abgelehnt wurde, wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Nach den Ergebnissen der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main sowie der Staatsanwaltschaft Regensburg besteht gegen den Beschuldigten der Verdacht, dass er am 29.07.2010 über die Internetseite www.a...de von der Fa. X die Bildserie „... PHOTOS“ zum Download gegen einen Kaufpreis von 6,95 US-Dollar (5,33 Euro) bezog. Er benutzte dabei seine Klarpersonalien, die E-Mailadresse „K...@...“ und seine Kreditkarte.

Die Bildserie zeigt nackte Kinder, zählt aber nach Beurteilung aller drei Ermittlungsbehörden zu der so genannten „Kategorie II“ (nichtpornografische Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen)“. Die Fa. X vertrieb auch umfangreiches strafbares kinder- und jugendpornografisches Material („Kategorie I“).

I.1.

Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragte mit Verfügung vom 01.07.2014 bei dem Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Regensburg den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses für die Wohnung und Fahrzeuge des Beschuldigten mit der Begründung, dass aufgrund der Bestellung des legalen oben genannten Bildmaterials auch der Verdacht des Erwerbs und Besitzes (anderer) kinder- oder jugendpornografischer Schriften gem. §§ 184b, c StGB bestehe.

Das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Regensburg lehnte mit Verfügung vom 03.07.2014 den Erlass eines entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses ab. Dies begründete das Amtsgericht Regensburg damit, dass es sich bei den vorgelegten Bildern „noch nicht einmal um Posing-Darstellungen“ handele.

Der mit Verfügung vom 08.07.2014 eingelegten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg half das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Regensburg mit Beschluss vom 14.07.2014 nicht ab.

Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Verfügungen und Beschlüsse Bezug genommen.

I.2.

Die Kammer hat die Staatsanwaltschaft Regensburg um umfangreiche Nachermittlungen gebeten, welche ergeben haben, dass mit Ausnahme des Bezuges der Bilderserie „... PHOTOS“ keine weiteren relevanten Erkenntnisse gegen den Beschuldigten zu ermitteln waren.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister für den Beschuldigten weist keine Einträge auf.

II.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg gegen die Ablehnung des Erlasses der beantragten Durchsuchungsanordnung ist gemäß § 304 StPO zulässig, erweist sich in der Sache aber als unbegründet.

Es fehlt nämlich derzeit an Erkenntnissen, die die ausreichende Wahrscheinlichkeit begründen, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat. Zudem wäre eine Durchsuchung der Wohnung auch nicht verhältnismäßig.

II.1.

Die Kammer hat die von der Staatsanwaltschaft Regensburg auszugsweise vorgelegten Lichtbilddateien der Bilderserie „... PHOTOS“ in Augenschein genommen. Zu sehen sind nackte Jungen im Alter von etwa 10 bis 12 Jahren in einem Umkleidebereich, unter anderem beim Duschen.

Bei diesen Bildern handelt es sich nicht um kinderpornografische Schriften im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB, da sie keine sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1) zum Gegenstand haben. Die Bilder wurden auch augenscheinlich nicht heimlich aufgenommen. Der Erwerb und der Besitz solcher Bilddateien sind - auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Regensburg - de lege lata nicht strafbar.

II.2.

Die Durchsuchung der Wohnung stellt regelmäßig einen schweren Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen, namentlich in das durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, dar1.

Im Bereich der Strafverfolgung ist Voraussetzung einer Durchsuchungsanordnung die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen worden ist; hierfür müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen2. Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen3. Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung steht zudem von vornherein unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der jeweilige Eingriff muss insbesondere ein angemessenes Verhältnis zur Stärke des bestehenden Tatverdachts wahren4. So statuiert auch Nr. 73a der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren: „Durchsuchung und Beschlagnahme stellen erhebliche Eingriffe in die Rechte des Betroffenen dar und bedürfen daher im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer sorgfältigen Abwägung.“

II.3.

Gegenwärtig erkennt die Kammer bereits keine Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte eine bestimmte Straftat begangen hat.

a.

Die auf Bitte der Kammer von der Staatsanwaltschaft Regensburg durchgeführten Nachermittlungen ergaben, dass über den entgeltlichen Erwerb der Bilderserie „... PHOTOS“ hinaus keinerlei relevanten Erkenntnisse gegen den Beschuldigten vorliegen.

b.

Erlaubtes Verhalten kann zwar nach der Überzeugung der Kammer bei der für die Beurteilung des Tatverdachts nötigen Gesamtabwägung durchaus im Einzelfall ein Indiz darstellen5. Es kann jedoch für sich alleine genommen regelmäßig keine Grundlage für die Annahme einer für eine Wohnungsdurchsuchung ausreichenden Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 102 StPO sein.

Würde man nämlich - auch ggf. unter Beachtung kriminalistischer Erfahrungssätze oder sonstiger allgemeiner Überlegungen - alleine aus erlaubtem Verhalten die Wahrscheinlichkeit zusätzlichen verbotenen Tuns ableiten, so missachtete man die vom Gesetzgeber vorgegebene Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem6 und eröffnete die Möglichkeit von nahezu unbeschränkten Grundrechtseingriffen.

Häufig werden sich nämlich Korrelationen zwischen erlaubtem und verbotenem Handeln finden (oder konstruieren) lassen.

So mag es durchaus der kriminalistischen Erfahrung entsprechen, dass Drogenabhängige in ihrer Wohnung Betäubungsmittel im Sinne des BtMG vorrätig halten und zugleich neben ihrem Betäubungsmittelkonsum auch Alkohol missbrauchen. Dennoch darf aus einem übermäßigen Alkoholkonsum nicht der Tatverdacht eines unerlaubten Besitzes von Betäubungsmittel gezogen werden.

Ebenfalls finden sich im Haushalt von „Waffennarren“, die sich des Besitzes einer Waffe entgegen § 2 Abs. 1 oder 3 WaffG schuldig gemacht haben, nicht selten so genannte (erlaubte) Dekowaffen. Dennoch darf aus dem Erwerb einer solchen Dekowaffe nicht der Tatverdacht eines unerlaubten Besitzes von verbotenen Waffen gezogen werden.

Nichts anderes kann in den Fällen gelten, in welchen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Veranlagung handeln. Pädophil veranlagte Menschen haben sich diese Veranlagung nicht ausgewählt. Pädophilie lässt sich nach gegenwärtigem Wissenstand nicht heilen. Sie ist per se auch nicht strafrechtlich relevant.

Die derzeitige Gesetzeslage erlaubt es pädophil veranlagten Menschen, ihren Sexualtrieb durch Selbstbefriedigung7 auch mit Hilfe von Bildmaterial der so genannten „Kategorie II“ auszuleben.

Mit guten Argumenten mag man die gegenwärtige gesetzliche Definition der kinderpornografischen Schriften aus § 184b Abs. 1 StGB kritisch hinterfragen8. Solange sich aber die gesetzliche Grundlage nicht geändert hat, kann es nicht sein, dass man einem pädophil veranlagten Menschen, der sich gerade gesetzestreu verhalten will und verhalten hat, dennoch unter Generalverdacht stellt. Der Erwerb und der Besitz von Bildmaterial der so genannten „Kategorie II“ mögen daher für sich genommen den Schluss auf eine pädophile Veranlagung erlauben. Ein weitergehender Schluss auf ein wahrscheinliches kriminelles Handeln verbietet sich jedoch.

„Verheerender als die praktische Sinnlosigkeit einer solchen Strafverfolgung ist der Verlust ihrer Legitimität. Es ist, so lautet die Botschaft, weder möglich noch nützlich, noch ausreichend, sein Verhalten an den gesetzlich bestimmten Grenzen zu orientieren. Denn die immer höhere, immer weiter vorverlagerte Bestrafung von Menschen mit sexuell devianten Neigungen führt – gegen alle Ankündigungen der Rechtspolitiker – in Wahrheit nicht dazu, dass jene sich für das Recht (also das Erlaubte) und gegen das Unrecht entscheiden können oder auch nur wollen. Und wenn sie es täten, hülfe es ihnen nichts: Die Bemühung, nur und gerade das zu tun, was noch erlaubt ist, begründet erst recht den Verdacht, dass die wahren Verbrechen jetzt bloß verschleiert werden sollen.“ 9

Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht10 in dem Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung als verfassungsgemäß beurteilt hat.

Insoweit führte das Bundesverfassungsgericht nämlich gerade aus:

„Soweit der Beschwerdeführer meint, die angegriffenen Beschlüsse gingen - weil derartige weitere Anhaltspunkte vorliegend nicht gegeben seien - von der Prämisse aus, dass ein Anfangsverdacht auch an ein ausschließlich legales Verhalten des Beschuldigten ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte anknüpfen könne, führt dies nicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde. Denn eine derartige Prämisse haben die Fachgerichte ihren Beschlüssen nicht zugrunde gelegt.“

Damit sagt das Bundesverfassungsgericht folglich gerade nicht, dass ein Tatverdacht alleine aus straflosem Verhalten begründet werden könne.

c.

Dabei überzeugt auch die Argumentation der Staatsanwaltschaft Regensburg nicht, die näheren Umstände des Erwerbs der Bilderserie seien hier ausreichendes Indiz, vor allem, da es sich um einen entgeltlichen Erwerb gehandelt habe.

Denn der Kaufpreis von 5,33 Euro war eher moderat, sodass der Beschuldigte insoweit keine besondere Hemmschwelle überwinden musste. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass er die Serie nur aus Neugier erwarb.

Zudem hat der Beschuldigte bei der Bestellung keine Verschleierungsmaßnahmen unternommen, die auf eine grundsätzliche Bereitschaft zu (auch) kriminellem Handeln schließen lassen könnten. Er hat das Bestellformular mit seinen echten Personaldaten ausgefüllt und nicht einmal eine Alias-Mailadresse (die man sich im Internet auch als Laie ohne großen Aufwand besorgen kann) genutzt. Ebenso wenig hat er seine IP-Adresse über einen der zahlreichen kostenlosen oder kostenpflichtigen Proxy-Dienste verschleiert.

Weiterhin hat er, obwohl die Fa. X nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes über die betroffene Internetpräsenz auch umfangreiches kinderpornografisches Material anbot, gerade nicht solches Material bestellt.

Schon diese Begleitumstände der Bestellung vom 29.07.2010 sprechen daher insgesamt eher gegen den Verdacht, dass der Beschuldigte weitere kinder- oder jugendpornografische Schriften erwarb oder besitzt.

Darüber hinaus konnten - wie dargelegt - keine weiteren Indizien in diese Richtung ermittelt werden. Weder war gegen den Beschuldigten ein entsprechendes Ermittlungsverfahren anhängig, noch sind andere Bestellvorgänge vergleichbarer Art bekannt.

II.4.

Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung ist zudem gegenwärtig auch unverhältnismäßig. Selbst wenn man nämlich derzeit mit der Staatsanwaltschaft Regensburg aus allgemeinen kriminalistischen Erfahrungen annehmen wollte, dass gegen den Beschuldigten der Verdacht des Erwerbs oder Besitzes von kinder- oder jugendpornografischen Schriften bestünde, so könnten Stärke des Tatverdachts und Ausmaß des mutmaßlichen Tatumfangs nicht ansatzweise eingegrenzt werden. Handelt es sich um ein einziges jugendpornografisches Bild, das vor vielen Jahren erworben wurde? Handelt es sich um hunderte oder gar tausende Bilder und Videofilme? Was genau zeigen diese mutmaßlichen Schriften, unter welchen Umständen und mit welchen Vorstellungen hat der Beschuldigte sie wie und von wem erworben?

Solange all diese Fragen völlig ungeklärt sind, kann auch die Verhältnismäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung nicht beurteilt werden. Da eine solche aber - gerade im Zusammenhang mit einem solchen Tatvorwurf - nicht selten zur Gefährdung oder Vernichtung der Existenz des Betroffenen führen kann, muss im Zweifel angenommen werden, dass die Eingriffsmaßnahme nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat stünde.

Der Umstand, dass der Beschuldigte nach den vorliegenden Erkenntnissen - wie ausgeführt - nur eine einzige legale Bilderserie erwarb und seither nicht mehr einschlägig in Erscheinung trat, lässt jedenfalls nicht mit ausreichender Sicherheit die Annahme eines der Durchsuchung angemessenen mutmaßlichen Tatumfangs zu.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 473 Abs. 1 StPO.

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