Hamburgisches OVG, Beschluss vom 15.09.2014 - 3 Bs 185/14
Fundstelle
openJur 2014, 21598
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. September 2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein 1995 geborener serbischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Abschiebung.

Nach unerlaubter Einreise seiner Eltern wurde der Antragsteller in Hamburg geboren. Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurden 1997 und 2013, ein Asylantrag 2004 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die Bescheide sind unanfechtbar, der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. September 2004 enthält eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Der Antragssteller wurde, mit Ausnahme der Dauer des Asylverfahrens, lediglich geduldet.

Von 2008 an ist der Antragsteller strafrechtlich in Erscheinung getreten. Strafgerichtliche Sanktionen erfolgten 2008 wegen Beleidigung, 2009 wegen Diebstahls, 2010 wegen räuberischer Erpressung. Die Verurteilungen 2011 wegen Diebstahls, Wohnungseinbruchsdiebstahls, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Raubes sowie 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl führten zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, von der der Antragsteller zunächst eineinhalb Jahre verbüßte. Während der Bewährungszeit beging er dann weitere Straftaten, die im Juni 2014 zu einer Verurteilung als Heranwachsender wegen schweren Bandendiebstahls und versuchten Computerbetruges zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren führten, die noch nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Antragsteller befand sich aufgrund eines Vorbewährungsbeschlusses vom 5. Juni 2014 bis zum 10. September 2014 in jugendgerichtlicher Unterbringung.

Die Antragsgegnerin hat die Wirkung der vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers mit Bescheid vom 28. August 2014 auf drei Jahre ab der Abschiebung befristet. Über seinen Widerspruch hat sie noch nicht entschieden.

Am 15. September 2014 beantragte der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die für den 16. September vorgesehene Abschiebung. Seine Freundin, eine deutsche Staatsangehörige, sei schwanger, voraussichtlicher Geburtstermin sei der 9. April 2015. Er habe die Vaterschaft anerkannt und eine notarielle Erklärung über das gemeinsame Sorgerecht abgegeben. Es handle sich wegen möglicher Behinderungen des Kindes um eine Risikoschwangerschaft, Mutter und Kind bedürften seiner Anwesenheit.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die Ausreise sei für den Antragsteller zumutbar, angesichts des verbleibenden Zeitraums von 6 ½ Monaten könne bis zur Geburt ein mögliches Visumsverfahren durchgeführt werden. Die Befristung der Wirkung der Abschiebung auf drei Jahre stehe dem nicht entgegen, da die Antragsgegnerin die neuen Umstände der Schwangerschaft im Rahmen des Widerspruchsverfahrens entscheidend zu berücksichtigen habe.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Beschwerdebegründung erschüttert zwar die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung (1.). Die dadurch veranlasste, nicht mehr nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO begrenzte Prüfung durch das Beschwerdegericht führt allerdings zur Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses aus anderen Gründen (2.).

1. Zutreffend macht der Antragsteller mit der Beschwerde geltend, dass ein Abschluss des Befristungsverfahrens entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts innerhalb von 6 ½ Monaten sehr unwahrscheinlich sei. Eine Rückkehr des Antragstellers nach Durchführung des Befristungs- und Visumsverfahrens bis zum Geburtstermin sei nicht zu erwarten.

2. Die somit nicht mehr nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO begrenzte Prüfung durch das Beschwerdegericht führt zur Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses aus anderen Gründen. Es bestehen bereits Zweifel, ob die vom Beschwerdesenat üblicherweise an eine Abschiebungsschutz begründende Vorwirkung einer bevorstehenden Vaterschaft gestellten Anforderungen im vorliegenden Fall erfüllt sind (a). Jedenfalls wird diese Frage hier überlagert durch die Straftaten des Antragstellers, die die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Abschiebung berücksichtigen durfte, wobei auch unter Berücksichtigung der bevorstehenden Vaterschaft die Sperrfrist jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem Geburtstermin zu verkürzen sein dürfte (b). Auch die geltend gemachte Risikoschwangerschaft der Kindesmutter führt zu keinem anderen Ergebnis (c). Schließlich ist die Abschiebung entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht durch § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK deshalb gehindert, weil er hier geboren und aufgewachsen ist und sich als faktischer Inländer bezeichnet (d).

a) Nach der Rechtsprechung des Beschwerdesenats, die zu ändern kein Anlass besteht, ist eine Abschiebung wegen der bevorstehenden Vaterschaft des Ausländers in Vorwirkung des Schutzes aus Art. 6 GG rechtlich unmöglich, wenn - erstens - der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft (mit Zustimmung der Mutter) anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen, und wenn - zweitens - dem Ausländer eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerksverfahrens nicht mehr zumutbar ist, weil nach den im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit seiner Rückkehr vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden könnte (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2009, NVwZ-RR 2010, 701 f.). Im vorliegenden Fall erscheint es als zweifelhaft, ob der Antragsteller und die Kindesmutter, Frau S., bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen.

Dafür könnte zwar der Umstand sprechen, dass sie am 10. September 2014 in notarieller Form das gemeinsame Sorgerecht vereinbart haben. Die Richtigkeit der von Frau S. in der eidesstattlichen Versicherung vom 12. September 2014 aufgestellten Behauptungen, sie sei seit etwa drei Jahren mit dem Antragsteller befreundet und halte sich seit zwei Jahren überwiegend in der Wohnung der Mutter des Antragstellers auf, so dass sie praktisch zusammenlebten, erscheint angesichts der Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. Juni 2014 jedoch als zweifelhaft. Das Landgericht hat in jenem Urteil festgestellt, dass der Antragsteller und Frau S. seit eineinhalb Jahren eine Beziehung führten, der Antragsteller sich von Januar 2012 bis Februar 2013 sowie von August 2013 bis Februar 2014 in Straf- und Untersuchungshaft befunden habe und nach der ersten Haftentlassung bei seiner Mutter gewohnt habe, wo er sich mit seinen Geschwistern, er sei ältestes von fünf Geschwistern im Alter zwischen fünf und 18 Jahren, ein Zimmer geteilt habe. Die Mutter lebe von Kindergeld und Arbeitslosengeld II. Ob angesichts dessen Verhältnisse vorliegen, die die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen, erscheint als fraglich.

b) Unabhängig davon ist die auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung vom 3. September 2004 gestützte Abschiebung nicht mit Rücksicht auf die bevorstehende Vaterschaft gehindert, weil der Antragsteller in erheblichem Maße straffällig geworden ist.

aa) Die Antragsgegnerin durfte die erheblichen Straftaten des Antragstellers im Rahmen ihrer Entscheidung über den Vollzug und die Befristung der Wirkungen der Abschiebung durch Bescheid vom 28. August 2014 berücksichtigen. Einer zusätzlichen Ausweisung bedurfte es hierfür nicht. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG statuiert unterschiedslos als Rechtsfolge einer Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, dass der Ausländer nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Die Frist für diese Wirkungen ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Als Kriterien sind u.a. Aspekte der Gefahrenabwehr aber auch der Generalprävention von Bedeutung (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Komm. 10. A. 2013, § 11 Rn. 48). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine Unterscheidung der zulässigen Gründe für die Befristung danach, ob es sich um die Wirkungen einer Ausweisung, einer Rückschiebung oder einer Abschiebung handelt, ist dem nur insoweit zu entnehmen, als dass die Überschreitung einer Frist von fünf Jahren nur zulässig ist, wenn entweder eine Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung erfolgt ist oder von dem Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Im letzteren Fall ist, da im Gegensatz zur ersten Alternative ein Bezug zur Ausweisung fehlt, die Befristung über fünf Jahre hinaus unabhängig davon möglich, ob es sich um die Wirkungen einer Ausweisung, einer Rückschiebung oder einer Abschiebung handelt. Ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut für die Befristung über fünf Jahre hinaus nichts für eine Beschränkung der Entscheidungskriterien für die Befristungsentscheidung auf den Zweck der die Wirkung auslösenden Maßnahme (Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung), kann eine solche Beschränkung auch nicht für die Festsetzung einer kürzeren Frist angenommen werden. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gibt hierfür auch bei kürzeren Befristungen keinen Anhalt, wenn er unterschiedslos für Fristen jeglicher Dauer und ohne zwischen den zugrundeliegenden Maßnahmen zu differenzieren die Umstände des Einzelfalls als Maßstab für die Befristungsentscheidung statuiert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei einer Berücksichtigung der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie). Nach Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher, wenn (b) der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde, wie es hier der Fall ist. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Auch hier wird die Frist für den Fall des mit Abschiebung verbundenen Einreiseverbots nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls festgesetzt, ohne dass einzelne Umstände wie strafrechtliche Verurteilungen von der Berücksichtigung ausgeschlossen wären.

bb) Auch unter Berücksichtigung der bevorstehenden Vaterschaft wird die Sperrfrist jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem Geburtstermin zu verkürzen sein. Abschiebungsschutz wegen eines bis dahin nicht von Serbien aus durchführbaren Visumsverfahrens zur Familienzusammenführung kann der Antragsteller nicht beanspruchen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Ausländern aus Art. 6 GG vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die im Bundesgebiet in schutzwürdigen familiären Gemeinschaften mit kleinen Kindern leben (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31.8.1999, NVwZ 2000, 59; vom 8.12.2005, InfAuslR 2006, 122; vom 23.1.2006, NVwZ 2006, 320; vom 10.5.2008, InfAuslR 2008, 347; vom 1.12.2008, 2 BvR 1830/08, juris; vom 9.1.2009, NVwZ 2009, 387; vom 5.6.2013, NVwZ 2013, 1207) ist von den folgenden Grundsätzen auszugehen: Auch wenn Art. 6 GG unmittelbar keinen Aufenthaltsanspruch gewährt, müssen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte gemäß der in Art. 6 GG enthaltenen Grundsatznorm bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Entscheidend für den Schutz des Art. 6 GG ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, ohne dass es in diesem Zusammenhang zwingend darauf ankäme, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt. Von einer familiären Gemeinschaft wird in der Regel im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, auszugehen sein. Die Folgen einer vorübergehenden Trennung haben insbesondere dann hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück.

Ist der betroffene Ausländer wegen einer schweren Straftat verurteilt, so setzen sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einer Ausweisung auch gewichtige familiäre Belange gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen an einer zumindest zeitweiligen Fernhaltung des Ausländers nicht ohne weiteres durch; die familiären Belange sind allerdings, soweit noch nicht geschehen, im Befristungsverfahren des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu würdigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.1.2006, a. a. O., juris Rn. 23).

Bei den von der Antragsgegnerin im Rahmen der Befristungsentscheidung vom 28. August 2014 berücksichtigten Straftaten handelt es sich nicht um bloß „einwanderungspolitische Belange“. Der Antragsteller hat mit den oben dargestellten Straftaten nicht nur „lästige“ Bagatellstraftaten begangen, sondern sich als ein gewalttätiger, vor der Konfrontation mit seinen Opfern seiner Bandendiebstähle nicht zurückschreckender und durch Strafvollstreckung kaum zu beeindruckender Bewährungsversager gezeigt, dessen Straftaten eine über die Jahre zunehmende Intensität und Schwere aufweisen. Von dem Strafgericht wurde im Urteil vom 5. Juni 2014 nicht zuletzt deshalb für den Antragsteller eine ungünstige Rückfallprognose gestellt, weil aus seinem familiären Umfeld heraus „offensichtlich die Begehung von Straftaten gebilligt“ werde. Auch wenn seine schwangere Freundin, Frau S., in dem Urteil vom Vorwurf der Beteiligung an dort abgeurteilten schweren Bandendiebstählen des Antragstellers freigesprochen wurde, weil nicht habe festgestellt werden können, dass ihre Bereitschaft zur Warnung den Tätern bekannt gewesen sei und ihnen tatsächlich ein Gefühl erhöhter Sicherheit vermittelt habe oder ihren Tatentschluss gestärkt habe, ist doch nicht zu übersehen, dass sie zumindest physisch und mit Bereitschaft zu Unterstützungshandlungen bei der Begehung einiger Bandendiebstähle des Antragstellers anwesend war, ihn mithin nicht von der Begehung dieser Straftaten abgehalten hat, vielmehr bereit war, zumindest Beihilfe dazu zu leisten.

Angesichts dessen geht es bei der Befristung der Abschiebung nicht um einwanderungspolitische Belange, sondern um den Schutz der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, dem die Fernhaltung des Antragstellers aus spezialpräventiven Gründen dienen soll.

Wegen der bevorstehenden Vaterschaft des Antragstellers für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit wird die mit der Abschiebung verbundene Sperrfrist nicht „auf Null“ oder auf einen Zeitpunkt vor der Geburt seines Kindes zu verkürzen sein.

Ein Anspruch auf der Verkürzung der Sperrfrist „auf Null“ ist nach der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Ausweisungen, der das Beschwerdegericht folgt, nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.3.2014, InfAuslR 2014, 223, juris Rn. 13; Urt. v. 10.7.2012, BVerwGE 143, 277, juris Rn. 33; Urt. v. 13.4.2010, BVerwGE 136, 284, juris Rn.17; Urt. v. 4.9.2007, BVerwGE 129, 226, juris Rn. 28). Zum einen kommt dies in Betracht, wenn seit dem Erlass einer nicht vollzogenen Ausweisung ein so langer Zeitraum verstrichen ist, dass die zum Zeitpunkt der Ausweisung bestehenden spezial- bzw. generalpräventiven Gründe entfallen sind (zu einem solchen Fall vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.3.2011, OVG 12 B 12.10, juris Rn. 22 ff., 26). Zum anderen kommt ein Befristungsanspruch „auf Null“ in Frage, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit schützenswerten familiären Belangen im Sinne von Art. 6 GG dies erfordern. Ein solcher Fall kann etwa vorliegen, wenn der wegen unerlaubter Einreise (und nicht wegen schwerer Straftaten) ausgewiesene Ausländer seinen schwerkranken deutschen Ehegatten mit einer „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ pflegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.3.2014, a. a. O., Rn. 13, mit der dortigen Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 4.9.2007, a. a. O., Rn. 28). Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller nicht Verstöße gegen Einreisebestimmungen, sondern seine Verurteilungen zu Jugendstrafen zum einen von einem Jahr und neun Monaten wegen Diebstahls, Wohnungseinbruchsdiebstahls, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Raubes sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und zum anderen von zwei Jahren wegen schweren Bandendiebstahls und versuchten Computerbetruges im Rahmen der Befristungsentscheidung vorgehalten werden. Auch wenn es nicht aussichtslos erscheint, dass der Antragsteller angesichts seines Alters von 19 Jahren seine vom Landgericht angenommenen Entwicklungsdefizite aufarbeiten und damit seinen bisher gezeigten Hang zu Straftaten bekämpfen könnte, ist angesichts der bisherigen Verfestigung des Verhaltens nicht zu erwarten, dass dies mit Erfolg innerhalb kurzer Zeit in Serbien erreicht werden kann. Die von der Antragsgegnerin verfügte Sperrfrist von drei Jahren ist daher grundsätzlich nicht unangemessen lang und nicht außer Verhältnis zu den strafrechtlichen Verurteilungen von insgesamt drei Jahren und neun Monaten Jugendstrafe.

Die bisher verfügte dreijährige Sperrfrist wird angesichts der bevorstehenden Vaterschaft des Antragstellers für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit, sofern sich bestätigt, dass der Antragsteller tatsächlich gewillt ist, in familiärer Lebensgemeinschaft das Kind zu erziehen und zu pflegen, voraussichtlich zu verkürzen sein. Die angemessene neue Frist dürfte (vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse im Rahmen des Befristungsverfahrens) nach der aktuell möglichen Einschätzung des Beschwerdegerichts (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.1.2006, a. a. O., Rn. 22; Kammerbeschl. v. 1.12.2008, a. a. O., Rn. 33) nicht bloß wenige Monate, aber jedenfalls auch nicht mehr als zwei Jahre betragen. Insoweit ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung von Ausweisungsverfügungen in einem ersten Schritt die unter Präventionsgesichtspunkten im Rahmen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angemessene Sperrfrist zu bestimmen. Sodann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob diese sich an der Erreichung des Fernhaltungszwecks orientierende Frist mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GrCh und Art. 8 EMRK vereinbaren lässt; ggf. ist die Frist im Hinblick auf diese Bestimmungen angemessen zu verkürzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.7.2012, a. a. O., Rn. 42).

Wird somit voraussichtlich auch unter Berücksichtigung der bevorstehenden Vaterschaft des Antragstellers für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit die Sperrfrist nicht „auf Null“ oder einen Zeitpunkt vor der Geburt des Kindes zu verkürzen sein, so bleibt es auch unter Berücksichtigung dieser bevorstehenden Vaterschaft dabei, dass es dem Antragsteller zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und (vorbehaltlich etwaiger Betretenserlaubnisse gemäß § 11 Abs.2 AufenthG) während der Dauer der angemessenen Sperrfrist dem Bundesgebiet fernzubleiben. Aus den o. g. Gründen ist es auch dem erwarteten Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit zuzumuten, diese gegenüber dem Antragsteller erforderliche Maßnahme hinzunehmen.

c) Die von dem Antragsteller geltend gemachte Risikoschwangerschaft bei Frau S. führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Es ist jedenfalls unter den derzeitig gegebenen Umständen nicht ersichtlich, in welcher Weise der Antragsteller maßgeblich dazu beitragen kann und will, die betreffenden Risiken für das Kind abzumildern. Angesichts der im Arztbericht über die Schwangerschaft vom 2. September 2014 zum weiteren Vorgehen lediglich vorgesehenen „Verlaufskontrolle in 4 Wochen“ ist nicht erkennbar, dass Frau S. oder das Ungeborene der Hilfe des Antragstellers bedürftig ist oder alsbald bedürftig sein wird. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem darin geäußerten Verdacht auf fetale Anomalie (Hygroma colli.). Ob sich dieser verdichtet oder gar bestätigt und wenn ja, mit welchen Folgen, ist gegenwärtig völlig offen. Der vom Antragsteller geäußerte Verdacht auf Down-Syndrom des Kindes hat keinen objektiven Anhalt. Bei ernsthaften, schweren Komplikationen in der Schwangerschaft hat die Antragsgegnerin in der Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht vom 15. September 2014 auf die Möglichkeit einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG hingewiesen. Hiervon wird der Antragsteller gegebenenfalls Gebrauch machen können, was die Auswirkungen von Abschiebung und Befristung des Einreiseverbots auf das (ungeborene) Kind des Antragstellers und die Mutter im Lichte von Art. 6 GG weniger gravierend erscheinen lässt.

d) Die Abschiebung ist entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK deshalb gehindert, weil der Antragsteller behauptet „faktischer Inländer“ zu sein.

Aus Art. 8 EMRK folgt kein rechtliches Ausreisehindernis. Ein rechtswidriger Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens, der der Ausreise entgegenstehen könnte, setzt neben einer tief greifenden Integration in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats („Verwurzelung“) gleichzeitig eine Entfremdung von den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats („Entwurzelung“) voraus, die dazu geführt hat, dass der Ausländer faktisch zum Inländer geworden ist und ihn nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet und sich deshalb ein Rückkehrverlangen als unverhältnismäßig, weil unzumutbar, erweist.

Bei einem Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte ist eine Abwägung vorzunehmen, bei der unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Ausmaß der Verwurzelung und die mit einer Aufenthaltsbeendigung verbundenen Folgen mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen sind. Insoweit ist dem fortlaufenden kriminellen Verhalten des Antragstellers ein erhebliches Gewicht zuzumessen. Zwar ist der Antragsteller hier geboren und aufgewachsen und hat auch (in der Strafhaft) einen Hauptschulabschluss nachgeholt. Auch bestehen persönliche Bindungen zu Frau S. und dem zu erwartenden Kind. Eine Berufsausbildung hat er aber nicht absolviert und hat bisher von öffentlichen Unterstützungsleistungen gelebt. Von einer wirtschaftlichen Integration kann mithin nicht gesprochen werden. Sein Aufenthaltsstatus war seit seiner Geburt nur ein unsicherer, überwiegend geduldeter. Seine mangelnde Integrationsfähigkeit hat der Antragsteller durch die oben dargestellten, wiederholten und gravierenden Straftaten unter Beweis gestellt. Öffentliche Hilfsangebote und Maßnahmen haben den Antragsteller von der fortlaufenden Begehung von Straftaten ebenso wenig abgehalten wie strafgerichtliche Sanktionen bis hin zu nicht nur kurzfristiger Strafvollstreckung. Von einer „Verwurzelung“ des Antragstellers in die hiesigen Verhältnisse kann mithin keine Rede sein.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Beschwerdegericht geht dabei davon aus, dass sich der Antragsteller mit dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nur gegen die Abschiebung wendet und nicht gleichzeitig einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sichern wollte.