AG Gießen, Urteil vom 16.06.2014 - 48 C 231/13
Fundstelle
openJur 2014, 21188
  • Rkr:
Tenor

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Tatbestand

Die Klägerin war gemeinsam mit ihrem Ehemann Eigentümer des Grundstücks „…“ in „…“. Auf diesem Grundstück stehen ein Vorderhaus und ein Hinterhaus aneinander. Einen Durchgang von einem Haus ins andere gibt es nicht, allerdings haben die Häuser eine gemeinsame Heizung.

Am 20.11.2006 unterzeichneten die Parteien zwei Mietverträge, und zwar einen über ein Einfamilienhaus mit 4 Zimmern und einen weiteren Mietvertrag über ein Einfamilienhaus mit 2 Zimmern. In dem zweiten Mietvertrag wurden in der Spalte „Mieter“ die Worte „…“ und danach der Name der Klägerin eingetragen.

Wegen des Inhalts des ersten Mietvertrages wird auf Blatt 75-80 der Akte verwiesen; wegen des Inhalts des zweiten Mietvertrages auf Blatt 14-22 der beigezogenen Akte 48 C 153/09.

Einige Zeit nach Abschluss des Mietvertrages wurde die Beklagte die alleinige Eigentümerin des Anwesens. Die Klägerin erteilte in einem der beiden Häuser Sprachunterricht.

Mit Schreiben vom 24.2.2009 (Blatt 54-55 der ebenfalls beigezogenen Akte LG Gießen 2 O 43/10) und vom 15.4.2009 (Blatt 56-57 der erwähnten Akte) kündigte die Beklagte das Mietverhältnis über die Räume, in denen die Sprachschule betrieben wurde. Die Beklagte erhob sodann beim Landgericht Gießen eine Räumungsklage, die unter dem Aktenzeichen 2 O 243/10 geführt wurde. Die Parteien stritten unter anderem darüber, ob trotz der beiden schriftlichen Verträge ein einheitliches Mietverhältnis bestehe.

Mit Schreiben vom 2.7.2010 (Blatt 34-36) kündigte die Beklagte das Mietverhältnis auch wegen Eigenbedarfs für sie und ihre Mutter.

Am 20.7.2010 schlossen die Parteien vor dem Landgericht Gießen den folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte räumt - im Hinblick auf den klägerseits geltend gemachten Eigenbedarf - das Anwesen … zum 30.04.2011 und gibt es an die Klägerin heraus.

2. Der Beklagten bleibt es vorbehalten, das Objekt vorzeitig unter mindestens einmonatiger Ankündigung gegenüber der Klägerin (Einschreiben mit Rückschein) zu räumen.

3. Zu den in Ziffer 1. und 2. genannten Zeitpunkten ist das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis beendet.

4. …

Wegen des Inhalts des Vergleiches im Einzelnen wird auf Blatt 95-96 der vorliegenden Akte Bezug genommen.

Die Klägerin mietete ab dem 15.12.2010 eine Wohnung in „…“. Wegen des Inhalts der ersten beiden Blätter des Mietvertrages wird auf Blatt 6-7 der Akte verwiesen. Sie zog im Laufe des Monats Januar 2011 aus. Unmittelbar nach der Rückgabe der Schlüssel ließ die Beklagte ein Schild anbringen, wonach das Objekt verkauft werden sollte.

Die Beklagte wusste damals schon seit einiger Zeit, dass sie nicht umziehen würde.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs. Sie macht folgende Positionen geltend:

1.    Kosten für Umzugshelfer1.168,50 €2.    Kosten für die mit dem Umzug beauftragte Firma „…“1.085,16 €3.    Kosten für Umzugskartons51,00 €4.    Kosten für die Verköstigung der Umzugshelfer62,08 €5.    Kosten für einen Nachsendeantrag25,20 €6.    Kosten für die Ummeldung des Telefons39,59 €7.    Kosten für neue Stempel und Visitenkarten93,74 €8.    Kosten für „Einzugsverschönerungen“271,16 €9.    Arbeitsaufwand (20 Stunden á 15 €)3.000,00 €Summe:5.796,43 €Die Klägerin behauptet, der Eigenbedarf der Beklagten sei nur vorgetäuscht worden. Die Beklagte habe nie die Absicht gehabt, nach „…“ umzuziehen. Die Klägerin behauptet ferner, die geltend gemachten Kosten seien alle durch den Umzug entstanden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.796,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.7.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, sie habe vorgehabt, mit ihrer Mutter nach „…“ zu ziehen. Der Gesundheitszustand ihrer Mutter habe sich dann aber im Oktober 2010 so sehr verschlechtert, dass ein Umzug nicht mehr möglich gewesen sei.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten LG Gießen 2 O 243/10 und AG Gießen 48 C 153/09 wurden beigezogen.

Gründe

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es kann dahinstehen, ob die Beklagte jemals die Absicht hatte, in die gekündigten Räume einzuziehen, weil sie verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin den Wegfall des behaupteten Eigenbedarfs mitzuteilen. Ein Vermieter verstößt gegen Treu und Glauben und ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er eine Wohnung wegen Eigenbedarfs kündigt und dann den Wegfall der Nutzungsabsicht nicht mitteilt (vgl. Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. § 573 Rn 73; OLG Karlsruhe, WuM 82, 11).

Die Mitteilung hätte hier erfolgen müssen, obwohl das Mietverhältnis schon zum 30.9.2009 gekündigt worden war. Der Bundesgerichtshof hat zwar entschieden, dass der Wegfall des Bedarfsgrundes nur mitgeteilt werden muss, wenn der Grund vor dem Ablauf der Kündigungsfrist entfallen ist (WuM 2005, 782); in dem vorliegenden Fall bestand aber ebenfalls eine Mitteilungspflicht. Der BGH hat in der erwähnten Entscheidung ausgeführt, mit dem Ende des Mietverhältnisses entfalle das Besitzrecht des Mieters. Der Mieter, der dann nicht ausziehe verhalte sich rechtswidrig und nicht mehr vertragstreu. Hier haben die Parteien in dem Vergleich aber vereinbart, dass das Mietverhältnis am 30.4.2011 bzw. bei vorheriger Ankündigung mit der Räumung enden sollte. Demnach bestand das Mietverhältnis auch nach dem 30.9.2010 weiter. Dazu kommt noch, dass der Vergleich schon am 20.7.2010 geschlossen wurde, d. h. die Klägerin hat sich nicht rechtswidrig verhalten, weil sie nicht am 1.10.2010 ausgezogen ist. Demnach wäre die Beklagte nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, der Klägerin den Wegfall des Eigenbedarfs mitzuteilen.

Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Parteien einen Vergleich geschlossen haben. Ob Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs entfallen, wenn die Parteien die Beendigung des Mietverhältnisses im Wege des gerichtlichen Vergleichs vereinbaren, nachdem der Mieter das Vorliegen von Eigenbedarfsgründen ausdrücklich bestritten hat, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH WuM 11, 634). Im vorliegenden Fall wurde der Vergleich aber gerade in Hinblick auf den „geltend gemachten Eigenbedarf“ geschlossen. Außerdem entfällt eine Mitteilungspflicht auch nicht deswegen, weil der Eigenbedarf möglicherweise sogar vorgetäuscht war; ansonsten würde der ehrliche Vermieter schlechter gestellt als ein unredlicher Vermieter.

Da die Höhe des Anspruchs streitig ist hielt es das Gericht für angezeigt, gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil zu erlassen.

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