AG Lichtenfels, Urteil vom 14.05.2014 - 2 C 556/12
Fundstelle
openJur 2014, 21171
  • Rkr:

1. Die Schwackeliste ist die geeignete Schätzgrundlage zur Ermittlung der Höhe nach erforderlicher ortsüblicher Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall, soweit keine konkreten Anknüpfungstatsachen für die Schätzung bestehen. Rechtsausführungen zur Eignung anderer Listen sind keine konkreten Anknüpfungstatsachen.2. Angebote aus dem Internet kommen als Schätzgrundlage nur in Betracht, wenn erwiesen ist, dass sie dem Geschädigten im Zeitpunkt der Anmietung des Ersatzfahrzeugs in behaupteter Höhe tatsächlich offen standen und nicht mit Einschränkungen (zB Vorbestellung, Vorkasse, Kilometerbegrenzung, Kreditkartenzahlung) verbunden gewesen wären, auf die sich der Geschädigte nach den Umständen des Einzelfalls nicht verweisen lassen musste.3. Ein Sachverständigengutachten zu ortsüblichen Mietwagenkosten ist kein geeignetes Beweismittel, wenn gerichtsbekannt ist, dass ortsansässige Autovermieter gegenüber Sachverständigen divergierende Angaben machen, je nachdem, ob die Sachverständigen anonym oder "offiziell" zu Preisen für Mietzeiträume in der Vergangenheit anfragen.

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.779,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.11.2012 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/5 und der Beklagte 4/5 zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.Beschluss

Der Streitwert wird auf 2.201,87 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall, der sich am Freitag, 12.10.2012, auf der B303, Abschnitt 820, ereignete. Die Haftung des Beklagten zu 100 % ist dem Grunde nach unstreitig. Der Höhe nach streitig und daher beklagtenseits nicht reguliert sind der Umsatzsteueranteil der vorgerichtlich geltend gemachten Reparaturkosten (1.510,29 €), restliche Mietwagenkosten (457,41 €), ein Restbetrag der Kostenpauschale (1 €) und Finanzierungskosten.

Die Klägerin mietete für den Zeitraum vom 12.10.2012 bis zum 24.10.2012 ein Ersatzfahrzeug der Gruppe 4 der Euro-Tax-Schwacke-Liste an. Dies entspricht der Fahrzeugkategorie des Unfallfahrzeugs. Die Klägerin zahlte hierfür 1.182,12 €. Dieser Preis entspricht der Höhe nach der Schwackeliste für den PLZ-Bereich der Klägerin zuzüglich einer Verbringungspauschale in Höhe von 77,99 € brutto.

Noch am Unfalltag nahm die Klägerin ein Darlehen über 11.000,00 € zur Vorfinanzierung der Unfallkosten auf. Hierfür entstanden ihr Kosten in Höhe von 213,17 €.

Das von der Klägerin in Auftrag gegebene Unfallgutachten vom 13.10.2012 lag der Klägerin am 16.10.2012 vor. Darin war eine Reparaturdauer von 8 Tagen veranschlagt.

Am 19.10.2012 forderte die Klägerin die Haftpflichtversicherung des Beklagten unter Vorlage des Unfallgutachtens zur Leistung eines Vorschusses in Höhe von 11.000,00 € bis zum 26.10.2012 auf und wies darauf hin, die Reparaturkosten selbst nicht aufbringen zu können. Die Haftpflichtversicherung zahlte hierauf am 05.11.2012 einen Betrag in Höhe von 10.957,85 €.

Am 24.10.2012 kaufte die Klägerin ein neues Fahrzeug. Der Kaufpreis enthielt Umsatzsteuer in Höhe von 3.017,65 €.

Die Klägerin behauptet: Sie sei Eigentümerin des Unfallfahrzeugs. Verbringungskosten für den Mietwagen seien tatsächlich angefallen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.201,87 € nebst Zinsen in Höhe von 13 % seit dem 13.11.2012 zu bezahlen,

den Beklagten zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 311,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die ersatzfähigen Mietwagenkosten seien anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zu ermitteln.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. und P. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.06.2103, wegen des weiteren Parteivortrags auf die Schriftsätze nebst Anlagen und die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gründe

A. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 1.510,29 € für den Mehrwertsteueranteil der Reparaturkosten aus §§ 7, 18 StVG.

1. Als Eigentümerin des streitgegenständlichen Unfallfahrzeugs und des nach dem Unfall gekauften Neufahrzeugs ist sie aktivlegitimiert. Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass beide Fahrzeuge an die Klägerin übergeben und übereignet wurden. Dies ergibt sich aus den Angaben des Autohändlers (Zeuge P) und des Sohnes der Klägerin (Zeuge A). Der Zeuge P hat angegeben, dass die Klägerin das Unfallfahrzeug seinerzeit ausgehändigt bekommen habe und der Zeuge A hier nicht dabei gewesen sei. Der Zeuge A hat angegeben, dass er beide Fahrzeuge mit ausgesucht habe, aber beide Fahrzeuge an die Klägerin ausgehändigt worden seien. Bezahlt habe beide Fahrzeuge die Klägerin -- der Zeuge A habe die Fahrzeuge zwar mit genutzt, sie aber in keinem Fall bezahlen und daher auch nicht kaufen können. Dass der Zeuge P die Fahrzeuge hiernach -- etwa, weil der Zeuge A die Kaufverträge für die Klägerin unterschrieben haben mag, weil diese bei den Vertragsschlüssen keine Brille bei sich hatte -- die Fahrzeuge durch Übergabe an die Klägerin an den Zeugen A übereignet haben könnte, obwohl er nach den Gesamtumständen davon ausging, dass die Klägerin seine (zahlende) schuldrechtliche Vertragspartnerin ist, erscheint abwegig, da die Übergabe und Übereignung gerade der Erfüllung der dinglichen Pflicht aus ebendiesem Vertrag diente. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zum Vertragsschluss und der Unterzeichnung durch den Zeugen A ist bei der ursprünglich an letzteren adressierten Rechnung für das Ersatzfahrzeug aus denselben Gründen von einem Büroversehen des Autohändlers auszugehen.

2. Die in der Reparaturkalkulation des Unfallgutachtens enthaltene Umsatzsteuer ist Bestandteil des gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags. Die Norm schließt Umsatzsteuer mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Vorliegend hat die Klägerin als Ersatz für das Unfallfahrzeug ein Neufahrzeug erworben und hierbei Umsatzsteuer gezahlt. Bis zur Höhe des erforderlichen Wiederherstellungsaufwands -- mithin in voller Höhe der in der Reparaturkalkulation ausgewiesenen Umsatzsteuer -- kann sie daher Ersatz dieser tatsächlich angefallenen Umsatzsteuer beanspruchen. Hierbei handelt es sich insbesondere nicht um eine unzulässige Kombination konkreter und fiktiver Schadensabrechnung, sondern um eine vom Geschädigten frei zu wählende Form der Schadensbehebung, wie sie den gesetzgeberischen Motiven entspricht (vgl. hierzu ausführlich BGH, Urteil vom 05.02.2013 - VI ZR 363/11 -, juris).

II. Die Klägerin hat gegen den Beklagten ferner Anspruch auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten aus §§ 7, 18 StVG in Höhe von 269,01 €.

1. Dass die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs notwendig war, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge A hat glaubhaft bekundet, dass die Familie der Klägerin durchgängig auf zwei Fahrzeuge angewiesen ist.

2. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz ortsüblicher Mietwagenkosten für eine Anmietdauer von 12 Tagen. Dass sie über die Beauftragung der Reparatur bzw. die Neuanschaffung eines anderen Fahrzeugs billigerweise erst entscheiden musste, als ihr das Gutachten zur Höhe des Reparaturaufwandes vorlag, versteht sich von selbst. Hiernach wären 8 Tage ab dem 16.10.2012 ersatzfähig. Geltend macht die Klägerin indes nur Mietwagenkosten bis zum 22.10.2012.

3. Der Höhe nach kann die Klägerin indes nur weitere 269,01 € beanspruchen.

a. Die Schwackeliste Automietpreisspiegel ist nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich die vorzugswürdige Schätzgrundlage. § 287 Abs. 1 ZPO lässt dem Gericht einen weiten Spielraum bei der Auswahl tatsächlicher Anknüpfungspunkte für seine Schätzung. Lediglich offenkundig falsche oder unsachliche Erwägungen dürfen nicht herangezogen werden. Unterschiede in der Markterhebungspraxis mit im Ergebnis deutlich voneinander abweichenden Angaben in Preisspiegellisten verschiedener Herausgeber ziehen die Eignung einer dieser Listen nicht per se in Zweifel (BGH, Urteil vom 12.04.2011 - VI ZR 300/09 -, juris). Nach Abwägung der Vor- und Nachteile insbesondere mit dem von der Rechtsprechung ebenfalls herangezogenen Fraunhofer Mietpreisspiegel, der im Auftrag des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft herausgegeben wird (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.04.2010 - 4 U 131/09 -, juris), hält das Gericht an seiner Praxis fest, die Schwackeliste Automietpreisspiegel seiner Schätzung zugrunde zu legen, soweit nicht im Einzelfall konkrete Tatsachen entgegenstehen. Die Schwackeliste beruht auf Preislisten der Anbieter, die vor Aufnahme in die Erhebung durch telefonische Anfragen und Kontrolle der im Internet veröffentlichten Preise verifiziert werden. Ein nicht verifizierter, nur auf Angaben des Vermieters beruhender Preis findet keinen Eingang in die Schwackeliste. Ferner berücksichtigt die Schwackeliste nicht nur die 6 größten und überregional operierenden Anbieter, sondern alle Anbieter vor Ort. Dem Fraunhofer Mietpreisspiegel liegen demgegenüber für Angaben im zweistelligen PLZ-Bereich gerade diese 6 größten Anbieter zugrunde; die regional erhobenen Angebote machen nur 10 % der im Fraunhofer Mietpreisspiegel dargestellten Mittelwerte aus (vgl. Fraunhofer Mietpreisspiegel, Einleitung, S. 17). Durch die Aufgliederung der Schwackeliste in dreistellige PLZ-Bereiche ist zudem sichergestellt, dass tatsächlich der ortsüblich relevante Markt abgebildet wird; anhand zweistelliger PLZ-Bereiche können ortsübliche Mietwagenkosten regelmäßig nicht ermittelt werden (vgl. zum Ganzen ausführlich Thüringer OLG, Urteil vom 26.10.2011 - 7 U 1088/10 -, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 08.05.2012 - 12 U 233/11 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 29.02.2012 - 14 U 49/11 -, juris).

b. Vorliegend hat der Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, die Schwackeliste als vorzugswürdige Schätzgrundlage in Zweifel zu ziehen. Der pauschale Verweis auf die Eignung des Fraunhofer Mietpreispiegels ist keine konkrete Tatsache. Der Vortrag zu Internetangeboten und dort ausgewiesenen im Vergleich zur Schwackeliste günstigeren Angeboten, ist unsubstantiiert. Doch selbst wenn der Beklagte dem Kläger am Unfalltag tatsächlich zugängliche konkrete Angebote nachgewiesen hätte, wären diese als Schätzgrundlage der Höhe nach erforderlicher Mietwagenkosten ungeeignet. Dem Gericht ist aus einer Vielzahl vorangegangener Verfahren bekannt, dass Internetangebote regelmäßig mit Einschränkungen verbunden sind, auf welche sich der Geschädigte in der Situation der Ersatzanmietung nach einem Verkehrsunfall nicht verweisen lassen muss: Teilweise ist eine Reservierung von ein bis zwei Tagen erforderlich. Die Bezahlung erfolgt per Vorauskasse, teilweise nur per Kreditkarte. Eine nachträgliche Verlängerung der Mietdauer ist teilweise nicht möglich. Die im Mietpreis inbegriffenen Fahrtkilometer sind teilweise begrenzt.

c. Das Gericht konnte davon absehen, ein Sachverständigengutachten zur Höhe der zum Unfallzeitpunkt ortsüblichen Mietwagenkosten einzuholen. Ein im Jahre 2013 anlässlich eines vergleichbaren Rechtsstreits eingeholtes Sachverständigengutachten zur Frage ortsüblicher Mietwagenkosten hat gezeigt, dass identische Anbieter gegenüber dem Sachverständigen jeweils verschiedene Angaben machten, je nachdem, ob dieser anonym oder "offiziell" zu Preisen in der Vergangenheit anfragte. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten sodann angeregt, die Höhe der erforderlichen Kosten gerichtlich zu schätzen und hierfür die Schwackeliste ausdrücklich als mögliche Schätzgrundlage benannt.

d. Hiernach verbleibt es bei der Schätzung der Mietwagenkosten anhand der Schwackeliste. Dass die Rechnung des von der Klägerin gewählten Vermieters der Höhe nach der Schwackeliste entspricht, hat der Beklagte nicht bestritten. Abzuziehen sind jedoch die Verbringungskosten in Höhe von 77,99 €. Dafür, dass solche angefallen sind, ist die Klägerin beweisfällig geblieben.

e. In Abzug zu bringen sind von den hiernach der Höhe nach erforderlichen Mietwagenkosten von 1.104,13 € ferner nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts ersparte eigene Aufwendungen der Klägerin in Höhe von 10 % (ebenso BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08 -, juris), mithin 110,41 €. Auf die übrigen 993,72 € hat der Beklagte bereits 724,71 € gezahlt, sodass ein offener Betrag in Höhe von 269,01 € verbleibt.

III. Die erforderliche Höhe der dem Grunde nach unstreitigen Kostenpauschale schätzt das Gericht in ständiger Rechtsprechung auf 25,00 €, § 287 ZPO. In dieser Höhe hat der Beklagte bereits geleistet. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht.

IV. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der Finanzierungskosten. Grundsätzlich gehören notwendige Kreditkosten zwar zum erstattungsfähigen Herstellungsaufwand im Sinne von § 249 S. 2 BGB. Voraussetzung dafür ist jedoch die Erforderlichkeit der Kreditaufnahme, ob also ein verständiger und wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten sie ebenso getätigt hätte. Insbesondere schuldet der Schädiger von mehreren zugänglichen Finanzierungsarten nur die günstigste (vgl. BGH NJW 1974, 34). Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin schon am Unfalltag einen Kredit aufnahm, wenn zu dieser Zeit nicht feststand, ob eine Reparatur oder Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs erfolgen soll. Gerade für den Fall der -- tatsächlich erfolgten -- Anschaffung eines Neufahrzeugs bestehen am Markt offenkundig günstigere Finanzierungsmöglichkeiten. Zudem hat die Klägerin die Haftpflichtversicherung des Beklagten erst über die Notwendigkeit eines Vorschusses in Kenntnis gesetzt, als die geltend gemachten Finanzierungskosten bereits entstanden waren. Auch insoweit hat sie ihre Schadensminderungspflicht verletzt.

V. Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten kann die Klägerin hiernach aus einem Gegenstandswert in Höhe von 12.879,95 €, mithin in Höhe von 837,52 € beanspruchen. In dieser Höhe hat die Haftpflichtversicherung des Beklagten bereits geleistet.

VI. Die Klägerin kann wegen des Verzuges des Beklagten -- wie beantragt seit dem 13.11.2012 -- aus den Gründen zu IV. lediglich Zinsen in gesetzlicher Höhe verlangen, §§ 286, 288 BGB.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

C. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708, 709, 711 ZPO.

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