OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2013 - I-1 U 116/12
Fundstelle
openJur 2014, 20421
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das am 29. März 2012 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 37.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. März 2007 zu zahlen.

Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger jeweils im Voraus eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 90 Euro zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 30 % sämtlicher weiterer materieller Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 2. April 2012 bereits entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Zudem wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger unter Berücksichtigung eines Mitverschuldenanteils von 70 % sämtliche weiteren immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 2. April 2012 noch entstehen werden.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges fallen zu 70 % dem Kläger und zu 30 % der Beklagten zur Last.

Die im Berufungsrechtszug angefallenen Kosten werden zu 25 % dem Kläger und zu 75 % der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jeder Partei bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Klage liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, der sich am 2. April 2004 gegen 16.30 Uhr in XXX auf der als XXXstraße ausgewiesenen XXX Straße in Höhe des Hauses Nr. XX zwischen dem Motorrad fahrenden Kläger und der sich ihm von rechts als Fußgängerin nähernden Beklagten ereignete. Infolge des Kollisionsereignisses wurde der Kläger schwer verletzt.

Er befuhr den linken von zwei Fahrstreifen in Fahrtrichtung XXX-Innenstadt. In der Mitte der durch ihn benutzten Fahrspur stieß er mit der Beklagten zusammen, die im Begriff war, die Straße zu überqueren. Es steht nunmehr außer Streit, dass die Beklagte zur Straßenüberquerung von rechts nach links angesetzt hatte. Etwa 10 m links neben ihr hatte bereits der Zeuge XXX mit der Straßenüberquerung in gleicher Richtung begonnen.

Durch die Wucht des Aufpralls kam die an der linken Körperseite erfasste Beklagte zu Fall und der Kläger löste sich von seinem Motorrad. Er geriet etwa 24 m hinter dem Kollisionsort in seine Endposition, sein Krad blieb nach einer Rutschstrecke liegen. Die Beklagte erlitt Prellungen, Schürfwunden sowie eine Nervenquetschung im linken Beinbereich. Weitaus gravierender waren die Verletzungen, die sich bei dem Kläger einstellten. Er erlitt ein Schädelhirntrauma ersten Grades, eine Rippenserienfraktur links, eine Claviculafraktur links sowie einen beidseitigen Hämatothorax nebst einer Lungenkontusion. Darüber hinaus stellte sich eine irreversible Querschnittslähmung ab dem 6. Brustwirbel mit einer neurogenen Harnblasen- und Darmentleerungsstörung ein mit der Folge einer Invalidität zu 100 %.

Wegen der Einzelheiten der Heil- und Rehabilitationsbehandlungen sowie der körperlichen und gesundheitlichen Folgen der Unfallverletzungen verweist der Senat auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 3 UA; Bl. 559 d.A.).

Eine dem Kläger am Unfalltag gegen 18.40 Uhr entnommene Blutprobe führte zu der Feststellung einer Blutalkoholkonzentration von 1,23 Promille. Eine ebenfalls durchgeführte toxikologische Untersuchung ergab einen positiven Befund im Hinblick auf Tetrahydrocannabinol (THC). Dazu hatte der Kläger die Behauptung aufgestellt, er habe vor dem Unfall weder Alkohol noch Betäubungsmittel zu sich genommen; der Nachweis der Stoffe habe seine Ursache in Fremdrückständen oder in Verunreinigungen der Blutproben.

Zum Unfallhergang hatte der Kläger behauptet, keine Erinnerung an das fragliche Geschehen zu haben. Ausweislich der Bekundungen der Zeugen XXX sowie XXX im Ermittlungsverfahren zu dem Az.: XXX StA XXX habe die Beklagte die XXX Straße zwischen geparkten Fahrzeugen hervortretend von links nach rechts überquert. Die herannahenden Fahrzeuge seien für die Beklagte erkennbar gewesen. Auf dem rechten Fahrstreifen hätten sich in Höhe der Unfallstelle mehrere Fahrzeuge befunden. Er, der Kläger, könne ausschließen, sich der Unfallstelle mit überhöhter Geschwindigkeit genähert zu haben.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Kapital- und Rentenform in Anspruch. Darüber hinaus beantragt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz immaterieller und materieller Unfallschäden.

Der Kläger hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 100.000 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. April 2002 zu zahlen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, monatlich im Voraus an ihn eine angemessene Rente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 200 €, zu zahlen,

3.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 2. April 2002 erwachsen sind und noch erwachsen werden, soweit diese nicht schon durch die Anträge zu 1. und 2. erfasst sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die XXX Straße von rechts nach links überquert zu haben. Bevor sie auf die Straße getreten sei, habe sie nach links in Richtung der herannahenden Fahrzeuge geblickt. Da diese jedoch noch hinreichend weit entfernt gewesen seien, habe sie mit der Überquerung der Fahrbahn - im zügigen Tempo - begonnen. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes sei der Kläger mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit zwischen 80 km/h und 100 km/h gefahren, ohne irgendeine Brems- oder Ausweichreaktion gezeigt zu haben. Infolge der überhöhten Geschwindigkeit sowie des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums habe der Kläger das Unfallgeschehen allein schuldhaft herbeigeführt.

Das Landgericht hat Beweis durch Zeugenvernehmung sowie durch Einholung unfallanalytischer Gutachten des Sachverständigen XXX erhoben. Mit den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen hat sich die Beklagte unter Vorlage zahlreicher Stellungnahmen der durch sie beauftragten Sachverständigen Prof. XXX und Dipl.-Ing. XXX kritisch auseinander gesetzt. Zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie zu den Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen nebst der Stellungnahmen der Privatgutachter wird auf die Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 5/6 UA; Bl. 561-562 d.A.).

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagten verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger im Voraus eine monatliche Schmerzensgeldrente im Umfang von 120 € zu zahlen. Schließlich hat das Landgericht die Feststellung ausgesprochen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 2. April 2002 erwachsen sind und noch erwachsen werden, soweit diese nicht schon durch die zugesprochenen Beträge erfasst sind - jedoch unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Klägers in Höhe von 60 %, soweit etwaige Ansprüche nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Beklagte habe ihre aus § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO folgende Sorgfaltspflicht beim Überqueren der XXX Straße schuldhaft verletzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass sie den bevorrechtigten Fahrzeugverkehr nicht hinreichend beachtet habe. Ereigne sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit der Straßenüberquerung durch einen Fußgänger, so streite der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO ohne hinreichende Beachtung des Fahrzeugverkehrs auf die Fahrbahn getreten sei. Diese Anscheinsbeweiswirkung sei zu Lasten der Beklagten einschlägig, da es unstreitig auf der linken Fahrspur der Einbahnstraße zu dem Zusammenstoß gekommen sei. Die Anscheinsbeweiswirkung sei weder erschüttert noch widerlegt. Umstände für einen atypischen Geschehensablauf habe die Beklagte nicht vorgetragen. Ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger dürfe sich nicht darauf beschränken, den fließenden Verkehr nur zu Überquerungsbeginn zu beobachten. Er sei spätestens ab der Straßenmitte gehalten, erneut in die Fahrtrichtung zu blicken, um sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Voranschreiten möglich sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte die XXX Straße - aus der Sicht des Klägers - von rechts nach links überquert habe. Die Angabe der Beklagten, zu Beginn des Querungsvorgangs und straßenmittig jeweils in Fahrtrichtung nach links geschaut zu haben, habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Bestätigung gefunden. Hätte sich die Beklagte tatsächlich pflichtgemäß verhalten, hätte sie - ebenso wie der Zeuge XXX - das vom Kläger geführte Kraftrad noch vor dem Zusammenstoß erkennen und darauf entsprechend reagieren können.

Der Kläger müsse sich jedoch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes einen Mitverschuldensanteil von 60 % anspruchsmindernd anrechnen lassen. Denn bei der Entstehung des Unfalls habe sich sein Verschulden mitursächlich ausgewirkt. Es sei davon auszugehen, dass er die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h deutlich überschritten habe. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen stehe fest, dass der Kläger mit seinem Kraftrad eine Geschwindigkeit von annähernd 70 km/h inne gehabt habe.

Nachfolgend hat sich das Landgericht im Einzelnen mit den Einwendungen der Beklagten gegen die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Hinblick auf die Ausführungen der Privatgutachter auseinander gesetzt und hat seine Ansicht begründet, aufgrund welcher Gegebenheiten dem Gutachten des Sachverständigen XXX zu folgen sei. Insbesondere sei der Einwand des Klägers unzutreffend, der gerichtlich bestellte Sachverständige sei unter dem Eindruck der Privatgutachten von seiner ursprünglichen Beurteilung abgerückt.

Die dem Kläger anzulastende Geschwindigkeitsüberschreitung sei mitursächlich für den Unfall gewesen. Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer solchen Überschreitung und dem Verkehrsunfall sei zu bejahen, wenn bei Einhaltung des zulässigen Tempos zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Zusammenstoß vermeidbar gewesen wäre. Der Kläger habe in dem Moment insbesondere durch Anpassung seiner Geschwindigkeit auf die Beklagte reagieren müssen, als diese die Mitte der rechten Fahrspur überquert habe. Auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich denjenigen, als sie die Fahrbahnmitte überschritten habe, sei nicht abzustellen. Der Kläger habe damit rechnen müssen, dass ein Fußgänger in zügigem Schritttempo die Straße überqueren und nicht an der Mittellinie anhalten werde. Zudem habe der Kläger schon wegen der früheren Straßenüberquerung des Zeugen XXX sein Fahrverhalten anpassen und einen Abbremsvorgang einleiten müssen. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Sichtverhältnisse für den Kläger wegen einer auf der rechten Fahrspur sich stauenden Fahrzeugkolonne eingeschränkt gewesen seien, bestünden nicht. Der Kläger habe wegen seines eigenen verkehrswidrigen Verhaltens nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte sich verkehrsgerecht verhalten werde. Die Beachtung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h solle gerade solche Gefahrensituationen verhindern, die bei einem Überschreiten der Fahrbahn durch einen Fußgänger entstünden. Den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen gemäß wäre die Kollision vermeidbar gewesen, wenn der Kläger mit dem zulässigen Höchsttempo gefahren wäre und in dem Moment einen Abbremsvorgang eingeleitet hätte, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrspur erreicht gehabt habe.

Es könne dahinstehen, ob dem Kläger der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens, nämlich des Führens eines Fahrzeuges unter Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln (§ 316 StGB) gemacht werden könne. Die Feststellung eines Cannabis-Abusus lasse keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Konsums und der damit verbundenen Rauschwirkung zu. Ausweislich des Blutalkoholgutachtens sei die erforderliche Zeitdauer von zwei Stunden zwischen der Rückrechnung des BAK-Mittelwertes und dem Vorfallzeitpunktes nicht eingehalten.

Im Hinblick auf die immateriellen Beeinträchtigungen des Klägers seien als Einsatzbeträge ein Kapital von 125.000 € sowie eine lebenslange Rente von monatlich 300 € angemessen. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils von 60 % führe dies zu einem Kapitalbetrag von 50.000 € sowie zu einer monatlichen Rente von 120 €. Nachfolgend hat das Landgericht im Einzelnen begründet, aufgrund welcher Umstände und Beeinträchtigungen es die in Ansatz gebrachten Schmerzensgeldbeträge als angemessen erachtet. Abschließend hat das Landgericht ausgeführt, die zulässige Feststellungsklage sei ebenfalls im Umfang der Anspruchsberechtigung von 60 % begründet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Dazu macht sie im Wesentlichen Folgendes geltend: Das Landgericht habe zu Unrecht ein ihr anzulastendes Mitverschulden von 40 % an der Schadensentstehung festgestellt. Zu dieser Quotierung sei es nur wegen einer unrichtigen und unvollständigen Würdigung der erhobenen Beweise gekommen. Aus der Ermittlungsakte ergebe sich aufgrund von Zeugenaussagen, dass der Kläger mindestens 80 km/h gefahren sei. Im Hinblick auf die Ausführungen der Privatgutachter XXX habe der Sachverständige XXX seine ersten Berechnungen bezüglich der Unfallgeschwindigkeit erheblich nach oben korrigieren müssen. Allein die Tatsache, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige bei seinen weiteren ergänzenden Begutachtungen an seinen Ausführungen festgehalten habe, soweit er sich nicht zu einer Berichtigung veranlasst gesehen habe, bedeute nicht, dass diese Darlegungen korrekt seien. Im Übrigen sei nach dem Gutachten XXX vom 16. September 2009 eine vorkollisionäre Geschwindigkeit des Klägers von 90 km/h als durchaus technisch möglich anzusehen. Insbesondere im Hinblick auf die Aussage des Zeugen xxx lasse sich belegen, dass die Beklagte den Kläger vorkollisionär gar nicht habe wahrnehmen können. Unberücksichtigt gelassen habe das Landgericht die Feststellung der Privatgutachter, dass der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h den Unfall zeitlich und räumlich hätte vermeiden können. Die Tatsache, dass der Kläger wegen vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums fahruntüchtig gewesen sei, habe das Landgericht ebenfalls zu Unrecht vollständig außer Acht gelassen. Letztlich sei auch bei Zugrundelegung der durch die Sachverständigen festgestellten Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von zumindest 70 km/h eine auf sie, die Beklagte, entfallende Haftungsquote von 40 % nicht nachvollziehbar. Letztlich sei darauf hinzuweisen, dass die seitens der Beklagten abgeschlossene Haftpflichtversicherung mit der vertraglich vereinbarten Höchstsumme nicht ausreichend sei, um die durch das Landgericht ausgeurteilte Summe abzudecken.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu Eigen und tritt dem gegnerischen Rechtsmittelvorbringen im Einzelnen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die Akte 401 Js 356/02 StA Mönchengladbach war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist weitgehend unbegründet. Sie erreicht nicht die mit ihrem Rechtsmittel erstrebte vollständige Klageabweisung. Ohne Erfolg zieht sie die Richtigkeit der Feststellung des Landgerichts in Zweifel, dass sie sich ein unfallursächliches Mitverschulden an der Entstehung des Verkehrsunfalls zurechnen lassen muss. Sie hat bei dem Versuch der Überquerung der XXX Straße ihre Pflichten als Fußgängerin fahrlässig verletzt. Diese Feststellung gründet sich nicht maßgeblich auf eine Anscheinsbeweiswirkung zu Lasten der Beklagten, sondern sie folgt zwingend aus dem Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Beweisaufnahme.

Die Beklagte erreicht mit ihrem Rechtsmittel lediglich eine geringfügige Korrektur der durch das Landgericht ausgesprochenen Haftungsverteilung zu ihren Gunsten. Die Anspruchsberechtigung des Klägers stellt sich nicht auf 40 % seiner materiellen und immateriellen Schäden; vielmehr ist zu seinen Lasten eine Quotierung von 30 % zu 70 % auszusprechen. Der Kläger hat die Entstehung des Schadensereignisses mit dem ganz überwiegenden Verantwortungsanteil durch eine überhöhte Ausgangsgeschwindigkeit mit einer Überschreitung des zulässigen Höchsttempos um 40 vom Hundert sowie durch ein schwerwiegendes Aufmerksamkeitsverschulden schuldhaft herbeigeführt. Hätte er die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten, so hätte er den Zusammenstoß mit der von rechts die Straße querenden Beklagten zeitlich vermeiden können.

Darüber hinaus lässt sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung feststellen, dass der Kläger wegen Alkohol- und Drogenkonsums in seiner Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit so beeinträchtigt war, dass er vorkollisionäre Reaktionsaufforderungen zur Einleitung ganz naheliegender Gefahrenabwehrmaßnahmen ignoriert hat. Die von seinem Krad ausgegangene Betriebsgefahr war aufgrund seines Annäherungsverschuldens so sehr gesteigert, dass diese Tatsache auch in der Haftungsverteilung ihren Niederschlag finden muss. Da sich aus dem Unfallereignis wegen der schweren Verletzungen des Klägers und der nicht minder gravierenden Folgebeeinträchtigungen erhebliche Schadensfolgen ergeben, sieht sich der Senat nicht gehindert, die durch das Landgericht ausgesprochene Quotierung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile mit dem begrenzten Ansatz von 10 % zu korrigieren. Eine weitergehende Abänderung zu Gunsten der Beklagten kommt entgegen ihrem Rechtsmittelvorbringen nicht in Betracht.

Die Höhe der Einsatzbeträge, die das Landgericht dem Kläger in Kapital- und Rentenform als Ausgleich für seine immateriellen Beeinträchtigung zuerkannt hat, ist unstreitig. Bezieht man diese Beträge auf die dem Kläger zustehende Anspruchsberechtigung von nicht mehr als 30 %, ergeben sich die tenorierten Kapital- und Rentenbeträge. Wegen der notwendigen Differenzierung zwischen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden sieht sich der Senat aus Gründen der Klarstellung zu einer Neufassung des Feststellungstenors veranlasst.

Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:

II.

Gemäß § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 159, 254, 258). Derartige Zweifel sind in Bezug auf die Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil, was den Hergang des Unfallgeschehens anbelangt, nicht gegeben.

1 )

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Landgericht am Ende einer sehr komplexen, langjährigen Beweisaufnahme in überzeugender Weise weitgehend richtige Feststellungen zum Unfallhergang getroffen hat. Das angefochtene Urteil ist zur Veröffentlichung gelangt (NZV 2012, 280 ff.).

a )

Es steht fest, dass sowohl der Kläger als Motorrad fahrender Verkehrsteilnehmer als auch die Beklagte als Fußgängerin jeweils durch ein vorkollisionäres Fehlverhalten schuldhaft zu der Entstehung des fatalen Zusammenstosses beigetragen haben. Diese Annahme beruht nicht maßgeblich auf Anscheinsbeweisgrundsätzen, sondern sie lässt sich als gesicherte Erkenntnis aus dem Ergebnis der umfänglichen erstinstanzlichen Beweisaufnahme gewinnen.

b )

Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände auf der Rechtsgrundlage der §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB ist unter Berücksichtigung der von dem Krad des Klägers ausgegangenen Betriebsgefahr und seines in mehrfacher Hinsicht gegebenen Annäherungsverschuldens die auf ihn entfallende Haftungsquote etwas höher zu gewichtigen als durch das Landgericht angenommen. Denn es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nach Alkoholgenuss und Drogenkonsum in seiner Fahrtauglichkeit wegen eines Aufmerksamkeits- und Reaktionsdefizits beeinträchtigt war und dass sich diese Beeinträchtigung auch auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat. Entgegen der durch die Beklagte vertretenen Ansicht hat jedoch der auf den Kläger entfallende Verursachungs- und Verschuldensanteil nicht ein solches Gewicht, dass demgegenüber die ihr anzulastende schuldhafte Mitverursachung der Kollision durch einen Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO außer Ansatz bleiben muß.

2 )

Der Hergang des streitigen Unfallgeschehens ist im Rahmen des Möglichen durch die gutachterlichen Stellungnahmen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. XXX sowie der Privatgutachter Prof. XXX aufgeklärt und durch das Landgericht weitgehend zutreffend festgestellt. Einer weiteren Beweiserhebung durch Einholung eines neuen unfallanalytischen Gutachtens (§ 412 Abs. 1 ZPO) bedarf es nicht.

a )

Allerdings teilt der Senat nicht die durch das Landgericht vertretene Ansicht, es sei nicht der gerichtlich bestellte Sachverständige unter dem Eindruck der Privatgutachten von seiner ursprünglichen Unfallanalyse im Erstgutachten vom 8. Dezember 2008 (Bl. 160 ff. d.A.) abgerückt. Vielmehr trifft das Gegenteil zu. Dieser Umstand ändert jedoch entgegen dem Berufungsvorbringen der Beklagten nichts an der weitgehenden Richtigkeit der Feststellungen zum Hergang des fraglichen Unfallgeschehens, die das Landgericht maßgeblich auf Erkenntnisse des gerichtlich bestellten Sachverständigen gestützt hat. Denn am Ende der dreieinhalbjährigen Beweisaufnahme, die durch eine Vielzahl gutachterlicher Stellungnahmen des Sachverständigen XXX nebst wiederholter Anhörungen und einer nicht minder großen Anzahl von Erwiderungen der Privatgutachter XXX gekennzeichnet ist, bleibt festzuhalten, dass zwischen den ursprünglich konträr gewesenen Unfallanalysen aufgrund einer Annäherung der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen an diejenigen der Privatgutachter letztlich keine signifikanten Unterschiede mehr bestehen. Soweit vereinzelt noch Divergenzen auszumachen sind, betreffen diese Marginalien, die im Rahmen des Versuches der Rekonstruktion eines komplexen Unfallgeschehens im Toleranzbereich der jeweiligen sachverständigen Begutachtung liegen. Bis in alle Einzelheiten genau lässt sich erfahrungsgemäß insbesondere eine Weg/Zeit-Analyse nicht erstellen.

b )

Sowohl aufgrund der Gutachten xxx als auch im Hinblick auf die gutachterlichen Stellungnahmen XXX steht fest, dass beide Beteiligten durch ein vorkollisionäres Fehlverhalten jeweils schuldhaft den Zusammenstoß herbeigeführt haben: Der Kläger ist unter einem alkohol- und drogenbedingten Aufmerksamkeits- und Reaktionsdefizit ohne jede Gefahrenabwehrmaßnahme mit dem unzulässig hohen Tempo von mindestens 70 km/h auf den späteren Kollisionsort zugefahren. Hätte er in der durch das Landgericht beschriebenen Weise unmittelbar nach Wahrnehmung der - ohne die Beeinträchtigung durch Alkohol- und Drogenkonsum für ihn erkennbaren - kritischen Verkehrslage seine Geschwindigkeit auf das zulässige Maß von 50 km/h reduziert, so hätte er, darin stimmen alle Gutachter letztlich überein, den Zusammenstoß - wenn auch möglicherweise nur knapp - zeitlich vermeiden können. Darüber hinaus steht unter Berücksichtigung aller gutachterlichen Stellungnahmen außer Zweifel, dass die Beklagte das Schadensereignis zwanglos räumlich hätte vermeiden können, wenn sie vor dem Versuch der Überquerung der durch den Kläger benutzten linken Spur der xxx Straße sich pflichtgemäß (§ 25 Abs. 3 Satz 1 StVO) über die linksseitige Annäherung bevorrechtigten Verkehrs vergewissert hätte.

III.

1 )

Die Pflichten, welche die Beklagte bei der Überquerung der XXX Straße als Fußgängerin zu beachten hatte, sind im angefochtenen Urteil zutreffend beschrieben (Bl. 7 UA; Bl. 563 d.A.).

Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO müssen Fußgänger Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung überschreiten - und zwar, wenn es die Verkehrslage erfordert, nur an Kreuzungen oder Einmündungen, an Lichtzeichenanlagen innerhalb von Markierungen oder auf Fußgängerüberwegen. Ein Fußgänger darf die Fahrbahn an dafür nicht besonders vorgesehenen Stellen nur mit erhöhter Vorsicht überqueren. Er hat auf den Verkehr Rücksicht zu nehmen und diesem im Allgemeinen den Vorrang einzuräumen. Er darf eine Fahrbahn nur überqueren, wenn er mit Sicherheit annehmen kann, er werde die andere Straßenseite vor Eintreffen des Fahrzeuges erreichen. Er hat folglich darauf zu achten, dass er nicht in die Fahrbahn eines anderen Fahrzeuges gerät und dieses behindert (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteil vom 6. September 2011, Az.: I-1 U 196/10 mit Hinweis auf BGH NJW 1984, 50 sowie KG NZV 2010, 149, 150 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Bei Annäherung eines Fahrzeuges hat der Fußgänger zu warten (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 25 StVO, Rdnr. 10 sowie Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 25 StVO, Rdnr. 34 jeweils mit Hinweis auf BGH NJW 2000, 3069).

2 a )

Das Landgericht ist von der Annahme ausgegangen, es streite der Anscheinsbeweis für eine Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 25 Abs. 3 StVO, wenn sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn durch einen Fußgänger ereigne. Dieser Anscheinsbeweis sei von der Beklagten weder erschüttert noch widerlegt (Bl. 7 UA; Bl. 563 d.A.).

b )

Der Senat geht von einer Anscheinsbeweiswirkung zu Lasten des Fußgängers aus, wenn er beim Überqueren der Fahrbahn mit einem Kraftfahrzeug auf dessen rechter Fahrzeugseite zusammenstößt (Urteil vom 15. Juni 2010, Az.: I-1 U 206/09 mit Hinweis auf BGH DAR 1953, 113; OLG Düsseldorf DAR 1977, 268; Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2004, 168, 171; Greger NZV 1990, 409, 413). Unstreitig hat sich der Zusammenstoß jedoch nicht auf der rechten Seite der XXX Straße ereignet. Vielmehr ist es auf dem linken Fahrstreifen der doppelspurigen Einbahnstraße zu dem Schadensereignis gekommen, als die Beklagte die rechte Fahrspur hinter sich gelassen hatte und bereits ca. 1 m auf dem etwa 3,30 m breiten linken Fahrstreifen vorgedrungen war. Dort näherte sich der Kläger in einem Überholvorgang (vgl. die Unfallrekonstruktionszeichnungen des Sachverständigen XXX als Anlage zu seinem Gutachten vom 8. Dezember 2008 - Bl. 188 d.A. - sowie der Sachverständigen XXX als Anlage A 32 zum Gutachten vom 23. Januar 2009 - Bl. 286 d.A. - ). Wenn ein Fußgänger beim Überschreiten einer breiten Fahrbahn etwa in Straßenmitte angefahren wird, nachdem er dort einige Sekunden stehengeblieben ist, soll ein Beweis des ersten Anscheins für sein Mitverschulden ausscheiden (BGH VersR 1966, 873).

c )

Im Ergebnis kann indes die Entscheidung der Frage dahinstehen, ob zu Lasten der Beklagten - wie durch das Landgericht angenommen - ein Anscheinsbeweis einschlägig ist. Denn ein Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung positiv festzustellen.

IV.

1 )

Einerseits ist die Zulässigkeit einer etappenweisen Straßenüberquerung zu berücksichtigen: auf breiten Straßen, insbesondere im Stadtverkehr, ist es verkehrsgerecht, die Fahrbahn abschnittsweise zu überschreiten, so dass der Fußgänger zunächst über die freie Fahrbahnhälfte bis zur Fahrbahnmitte geht und dort wartet, bis er die andere Fahrbahnhälfte gefahrlos überqueren kann (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 25 StVO, Rdnr. 11 mit Hinweis auf BGH VersR 1970, 818; Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 25 StVO, Rdnr. 37 mit Hinweis auf BGH VersR 1966, 873; BGH NJW 1960, 2255 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

2 )

Zweifelhaft ist aber schon, ob die durch den Sachverständigen XXX für den Bereich der Unfallstelle ermittelte Straßenbreite von ca. 6,3 m (rechte Spur 3 m; linke Spur 3,3 m) als hinreichend groß für die Zulässigkeit einer etappenweisen Überquerung angesehen werden kann. Im Ergebnis kann die Entscheidung dieser Frage indes dahin stehen. Selbst wenn eine etappenweisen Straßenüberquerung zulässig gewesen wäre, änderte dies nichts an der Feststellung einer unfallursächlichen Pflichtverletzung der Beklagten. Denn es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte sich nicht im Bereich der Fahrbahnmitte über die Möglichkeit einer gefahrlosen Fortsetzung der Straßenüberquerung vergewissert hat. Andernfalls wäre es nicht zu dem Zusammenstoß zwischen ihr und dem sich von links auf dem Motorrad nähernden Kläger gekommen. Es ist allerdings nicht festzustellen, dass der Beklagten ein Verstoß gegen ihre Beobachtungspflicht bereits für den Zeitpunkt anzulasten ist, zu welchem sie den - aus der Annäherungsrichtung des Klägers gesehen - rechten Gehweg verließ und in Querungsabsicht auf die XXX Straße trat.

a )

Entsprechend der auch durch den Kläger nicht mehr in Zweifel gezogenen Feststellung des Landgerichts ist erwiesen, dass die Beklagte vom rechten Gehweg zur Straßenüberquerung ansetzte (Bl. 7 - 8 UA; Bl. 563 - 564 d.A.).

b )

Wie noch darzulegen sein wird, ist für den Kläger eine Annäherungsgeschwindigkeit von mindestens 70 km/h zugrunde zu legen. Ausweislich der zeichnerisch verdeutlichten Weg/Zeit-Analyse des Sachverständigen XXX (Anlage zum Gutachten vom 3. März 2011; Bl. 499 d.A.) war bei diesem Ausgangstempo der Kläger in dem Zeitpunkt, als die Beklagte zu 1. die rechte Fahrspur betrat, noch weit über 30 m vom späteren Kollisionsort entfernt. Eine genauere Eingrenzung gestattet die Weg/Zeit-Analyse in der zeichnerischen Darstellung der Sachverständigen XXX in der Anlage A 32 zu ihrem Gutachten vom 23. Januar 2009 (Bl. 286 d.A.). Danach trennte die Beklagte im Moment des Betretens der Fahrbahn von dem Kläger bei einer unterstellten Ausgangsgeschwindigkeit von 65 km/h eine Distanz von etwa 47 m. Da das tatsächliche Annäherungstempo des Klägers etwas höher mit 70 km/h in Ansatz zu bringen ist, ist die tatsächliche Entfernung mit mindestens 50 m zu berücksichtigen.

c )

Bei ihrer Befragung durch das Landgericht im Termin vom 14. August 2008 hat die Beklagte angegeben, nach links geschaut zu haben, ohne dass sie zu diesem Zeitpunkt ein Motorrad wahrgenommen habe; nachdem sie ein sich auf der rechten Spur näherndes Fahrzeug habe vorbeifahren lassen, habe sie dann zur Straßenüberquerung angesetzt, weil weitere Fahrzeuge noch so weit entfernt gewesen seien, dass sie in Ruhe die Straße habe überqueren können (Bl. 138 d.A.). Diese Darstellung steht im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der Schilderung, welche die Beklagte anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung als Beschuldigte am 4. April 2002 gemacht hatte (Bl. 43, 44 Beiakte).

d )

Es besteht kein Anlass, die Richtigkeit dieser Darstellung in Zweifel zu ziehen.

aa )

Den Schilderungen der Zeugen XXX, XXXl sowie XXX zufolge bewegten diese sich vorkollisionär in deutlicher Entfernung vom späteren Unfallort mit ihren Fahrzeugen auf der rechten Spur der XXX Straße. Der Zeuge XXX steuerte mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h einen Lastkraftwagen, als er in Höhe des Restaurants "XXX", also kurz hinter einer Straßenüberführung (vgl. die Lichtbilder 3, 4 und 11 zum Gutachten XXX vom 8. Dezember 2008, Bl. 195, 199 d.A.), von dem Kläger, der "ca. 70 bis 80 km/h drauf" hatte (Bl. 101 d.A.), überholt wurde. Allein schon wegen der Ausgangsdistanz von mindestens 50 m ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die Beklagte bei Beginn der Straßenüberquerung die Annäherung des Klägers noch nicht als Gefahrenmoment wahrnahm. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass die Einsichtnahme auf den motorradfahrenden Kläger durch die Fahrzeuge der vorbenannten Zeugen, insbesondere durch den Lkw des Zeugen XXX, erschwert war.

bb )

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage des Zeugen XXX. Ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige hatte dieser Zeuge in einer Entfernung von etwa 10 m - links vom Ausgangspunkt der Beklagten gesehen - ebenfalls zum Überqueren der Fahrbahn angesetzt. Wie den Angaben der Beklagten bei ihrer Befragung durch das Landgericht im Termin vom 14. August 2008 zu entnehmen ist, war der Zeuge XXX früher auf die Fahrbahn getreten; denn als er etwa bereits die Mitte der Straße erreicht hatte, setzte die Beklagte zur Fahrbahnüberquerung an (Bl. 138 d.A.). Der Zeuge XXX hat bei seiner Befragung durch das Landgericht glaubhaft dargelegt, zum Zeitpunkt des Beginns der Straßenüberquerung den Motorradfahrer noch nicht gesehen zu haben (Bl. 97 d.A.). Deshalb ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die 10 m weiter rechts neben ihm positioniert gewesene Beklagte zu Beginn ihres Ganges über die Straße den Kläger ebenfalls noch nicht wahrgenommen hatte.

e )

Die Tatsache, dass die Beklagte den Beginn ihrer Straßenüberquerung in nicht vorwerfbarer Weise gefahrenneutral wähnte, entband sie im Hinblick auf § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO allerdings nicht von der Verpflichtung, die Verkehrssituation aus der Annäherungsrichtung des Klägers im Auge zu behalten. Tatsächlich ist ihr aber ein Beobachtungsverschulden vorzuhalten, weil sie den Gang über die Straße mit gewöhnlicher Gehgeschwindigkeit ohne eine Vergewisserung über die linksseitige Verkehrssituation bis zum Unfallort fortgesetzt hat.

aa )

Bei ihrer Befragung durch das Landgericht hat die Beklagte zu 1. ausgeführt, noch ein zweites Mal nach links geschaut zu haben, als sie ungefähr die Straßenmitte erreicht gehabt habe. Auch zu diesem Zeitpunkt seien die sichtbaren Personenkraftwagen noch so weit entfernt gewesen, dass sie ihres Erachtens die Straße habe "ganz normal überqueren" können (Bl. 139 d.A.). Es steht indes zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte zu 2. im Bereich der Straßenmitte in unfallursächlicher Weise den erforderlichen zweiten Blick nach links in die Annäherungsrichtung des Klägers unterlassen hat.

bb )

Denn sowohl bei ihrer Befragung durch die Polizei am Unfallort als auch anlässlich ihrer Vernehmung als Beschuldigte am 4. April 2002 hatte die Beklagte nichts dazu angegeben, sich zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beginn der Straßenüberquerung noch einmal über die linksseitige Verkehrssituation vergewissert zu haben. Sie hat vielmehr den Sachverhalt so dargestellt, dass sie nach einem anfänglichen Blick nach links zur Straßenüberquerung angesetzt hatte und sodann auf dem linken Fahrstreifen - für sie völlig überraschend - von dem Krad angefahren wurde ("sie könne nicht sagen, wo es her kam", Bl. 4 Beiakte; "dieses Motorrad habe ich vorher nicht gesehen", Bl. 44 Beiakte).

cc )

Anlässlich seiner Anhörung durch das Landgericht im Termin vom 23. Februar 2012 hat der Sachverständige XXX erläutert, dass die Beklagte 0,42 Sekunden vor dem Zusammenstoß bei ihrem Gang über die Straße die Fahrbahnmitte erreicht hatte; in dieser Phase befand sich der Kläger bei der in Ansatz zu bringenden Ausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h noch 8,3 m vom Unfallort entfernt (Bl. 539 d.A.). Dass die Beklagte in Höhe der Straßenmitte die sich abzeichnende Kollisionsgefahr bei dem geboten gewesenen Blick nach links ohne Weiteres hätte erkennen können, steht in Anbetracht der durch den Sachverständigen XXX aufgezeigten dichten Annäherung des Klägers außer Zweifel. Hätte sich also die Beklagte bei Erreichen der Straßenmitte - wie gegenüber dem Landgericht angegeben - pflichtgemäß verhalten, wäre ihr bei der Blickzuwendung nach links die gefährlich dichte Annäherung des Klägers auf seinem Motorrad zwangsläufig nicht verborgen geblieben mit der Folge, dass sie die Straßenüberquerung unterbrochen hätte, um dem Kläger die Vorbeifahrt zu ermöglichen. Statt dessen hat sie unbeirrt ihren Weg in Geradeausrichtung fortgesetzt, so dass sie - dies lässt sich ohne jede Übertreibung feststellen - blindlings in die Kollisionssituation hinein gelaufen ist. Ihrer glaubhaften weiteren Schilderung vor dem Landgericht gemäß hatte sie den Kläger ganz kurz vor dem Zusammenstoß nur akustisch mit der Unmutsäußerung "Scheiße" wahrgenommen (Bl. 137 unten d.A.).

dd )

Der Zeuge XXX hatte bei seiner - früheren - Straßenüberquerung den sich ihm von links auf der linken Spur nähernden Kläger ebenfalls zunächst optisch nicht wahrgenommen. Anlässlich seiner Befragung durch das Landgericht hat er aber auch ausgesagt, als er ungefähr die Straße zur Hälfte überquert gehabt habe, sei er durch ein lautes Motorengeräusch auf den Kläger aufmerksam geworden, den er sehr schnell auf sich zukommen gesehen habe. Die Annäherung des Krades - im Überholvorgang wesentlich schneller als die überholten Personenkraftwagen - hat er mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h in Verbindung gebracht (Bl. 97 d.A.). Der weiteren anschaulichen Darstellung des Zeugen zufolge ist es ihm noch mit knapper Not gelungen, vor dem mit erhöhtem Tempo herannahenden Krad die rettende andere Straßenseite zu erreichen, ohne dass er etwas von einem Bremsvorgang des Klägers zu berichten wusste ("... und darüber hinaus habe ich das Ende der Straße nur ganz knapp zwischen zwei parkenden Autos erreicht, dann spürte ich einen kurzen Luftzug"; Bl. 97, 98 d.A.).

3 )

Im Gegensatz zu dem Zeugen XXX hatte die Beklagte das Annäherungsgeräusch des Klägers auf seinem Motorrad nicht gehört. Der Senat verkennt nicht, dass das Betreten der Fahrbahn kurz vor einem erkennbar herannahenden Fahrzeug in der Regel als ein grob fahrlässiges Fehlverhalten zu würdigen ist (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 25 StVO, Rdnr. 20 mit Hinweis auf KG NZV 2009, 344). Aller Wahrscheinlichkeit nach setzte die Beklagte ihren Weg zur anderen Straßenseite hin in der Annahme fort, die zu Beginn der Fahrbahnüberquerung wahrgenommene, scheinbar gefahrenlose Verkehrssituation bestehe unverändert fort. Gleichwohl vermag der Senat die Unaufmerksamkeit der Beklagten nicht als ein grob fahrlässiges Fehlverhalten zu qualifizieren. Denn es ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass an der Unfallstelle ein erhebliches Lärmaufkommen herrschte. Dieses hat die Beklagte an der rechtzeitigen akustischen Wahrnehmung des sich zu schnell auf seinem Motorrad nähernden Klägers gehindert, den sie allerdings bei der gebotenen Blickzuwendung nach links vor Erreichen der Straßenmitte rechtzeitig hätte erkennen können.

a )

Die unfallnah gefertigten Lichtbilder lassen erkennen, dass die Kollisionsstelle in Höhe einer Großbaustelle am rechten Rand der XXX Straße gelegen war (vgl. die von der Überführung aufgenommenen Übersichtsbilder zum Gutachten XXX vom 8. Dezember 2008 hinter Bl. 199 d.A.). Anschaulich hat die Situation die Zeugin XXX wiedergegeben ("... gegenüber war eine riesengroße Baustelle und da war es sehr laut"; Bl. 141 d.A.). Zwar sind die Bekundungen des Zeugen XXX aufgrund der Tatsache kritisch zu würdigen, dass er in Widerspruch zu dem tatsächlichen Ablauf des Geschehens vermeinte, die Annäherung der Beklagten von der linken zur rechten Straßenseite hin beobachtet zu haben (Bl. 142 d.A.). Auf keine Glaubhaftigkeitsbedenken stößt allerdings die Angabe des Zeugen anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung vom 28. April 2008, er habe sich zum Unfallzeitpunkt auf dem rechten Gehweg der XXX Straße etwa in der Höhe der Querungsrichtung der Beklagten aufgehalten (Bl. 90 Beiakte). Seiner Darstellung vor dem Landgericht gemäß war er auf der Großbaustelle ("Abbruchhaus") eingesetzt und vor dem Unfallereignis damit befasst, einen beladenen Lastkraftwagen zur Straße vorzuleiten und diesen dann bei passender Gelegenheit auf die Fahrbahn zu dirigieren (Bl. 142 d.A.).

b )

Nach Lage der Dinge ist somit davon auszugehen, dass hinter der Klägerin eine erhebliche Geräuschkulisse mit Abbruchlärm und der Geräuschentwicklung durch den laufenden Motor eines Lastkraftwagens herrschte. Die Tatsache, dass unter diesen Umständen der Beklagten die Annäherung des Klägers auf seinem Motorrad akustisch verborgen geblieben ist, erachtet der Senat als ohne weiteres nachvollziehbar - auch wenn das Krad, auch wegen der Auspuffanlage, geräuschintensiv war.

c )

Dies ändert allerdings nichts an der Feststellung, dass die Beklagte sich pflichtwidrig verhalten hat, indem sie im Bereich der Straßenmitte die erforderliche Beobachtung der Verkehrssituation aus der Annäherungsrichtung des Klägers unterlassen und stattdessen fahrlässig darauf vertraut hat, die zu Beginn der Straßenüberquerung als gefahrenneutral eingeschätzte Situation bestehe unverändert fort. Diesem Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 S. 1 StVO ist ein solches Gewicht beizumessen, dass der Verschuldensbeitrag der Beklagten bei der Abwägung gemäß §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB nicht als haftungsbegründender Umstand in Fortfall geraten kann. Aus diesem Grund erreicht die Beklagte nicht die mit ihrer Berufungsbegründung angestrebte vollständige Klageabweisung.

V.

Das Rechtsmittelvorbringen der Beklagten ist durch das Bemühen gekennzeichnet, den auf den Kläger entfallenden Verursachungs- und Verschuldensbeitrag an der Entstehung des Schadensereignisses zu akzentuieren. Einerseits steht außer Zweifel, dass den Kläger - wie bereits durch das Landgericht richtigerweise festgestellt - die überwiegende Verantwortlichkeit an der Entstehung des Schadensereignisses trifft. Andererseits lässt sich nach dem Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung nicht feststellen, dass der Kläger sich entsprechend dem Vorbringen der Beklagten mit mehr als 70 km/h der Unfallstelle genähert hat.

1 )

In Übereinstimmung mit der Feststellung des Landgerichts ist im Hinblick auf die letzten Ausführungen des Sachverständigen XXX anlässlich seiner Anhörung im Termin vom 23. Februar 2012 (Bl. 537 ff. d.A.) sowie in seinem Schlussgutachten vom 27. Februar 2012 (Bl. 542 ff. d.A.) von einer durchgehenden Annäherungsgeschwindigkeit des Klägers auf seinem Motorrad in Höhe von mindestens 70 km/h auszugehen.

a )

Im Termin vom 23. Februar 2012 hatte das Landgericht auf die Aussage des Zeugen XXX hingewiesen, der für den Zeitpunkt, als er durch den Motorrad fahrenden Kläger überholt wurde, sein Lkw-Tempo mit ca. 50 km/h angegeben hatte (Bl. 101 d.A.). Die Überholgeschwindigkeit des Klägers schätze der Zeuge auf ca. 70 bis 80 km/h (Bl. 101 d.A.). Nachdem der Sachverständige XXX in seinem Erstgutachten vom 8. Dezember 2008 die Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Motorrades mit 50 bis 62 km/h eingegrenzt hatte (Bl. 182 d.A.), hat er in seinem späteren Folgegutachten vom 3. März 2011 eine Maximalgeschwindigkeit von bis zu 70 km/h als realistisch bezeichnet (Bl. 496 d.A.). Im Hinblick auf den Hinweis des Landgerichts betreffend die Geschwindigkeitsangabe des Zeugen XXX hat sich der Sachverständige XXX dann in seinem Schlussgutachten vom 27. Februar 2012 auf eine Kollisionsgeschwindigkeit von 70 km/h festgelegt (Bl. 542, 543 d.A.).

b )

Einerseits macht die Beklagte zu Recht geltend, dass sich aus den Zeugenaussagen ein höheres Annäherungstempo des Klägers als ein solches von 70 km/h ableiten lässt. So meinte der Zeuge XXX am Ende, der als "richtiger Raudi" bezeichnete Kläger sei mit ca. 120 km/h gefahren (Bl. 142 d.A.). Der Zeuge XXX hatte anlässlich seiner Vernehmung durch die Polizei am 16. April 2002, auf die er anlässlich seiner Befragung durch das Landgericht Bezug genommen hat, das Annäherungstempo des Klägers mit mindestens 80 km/h konkretisiert (Bl. 59 Beiakte; Bl. 100 d.A.). Auch der Zeuge XXX meinte, der Kläger sei mindestens 80 km/h schnell gewesen, nachdem er zunächst im Beweisaufnahmetermin vom 19. Juni 2008 das Annäherungstempo mit 70 bis 80 km/h eingegrenzt hatte (Bl. 101, 102 d.A.). Hingegen meinte die Zeugin XXX, es sei "das Motorrad wenigstens 70 km/h gefahren" (Bl. 141 d.A.).

c )

Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass zeugenschaftliche Geschwindigkeitseinschätzungen kritisch zu würdigen sind. Dem Kraftfahrzeugführer, der durch eine wirkliche oder vermeintlich zu schnelle Annäherungsgeschwindigkeit ein Schadensereignis verursacht hat, wird oftmals aus einer subjektiven Fehleinschätzung heraus ein im Vergleich zum wahren Geschehen höheres Schlusstempo bescheinigt. Den Sachverhalt auf den Punkt gebracht hat der Zeuge XXX mit seiner Aussage, man könne sehr schwer die Geschwindigkeit eines Motorrades schätzen (Bl. 102 d.A.). Im Hinblick auf die Zeugenaussagen sieht der Senat keinen Anlass, in Abweichung von der Feststellung des Landgerichts dem Kläger ein höheres Ausgangstempo als ein solches von mindestens 70 km/h, das nach den letzten gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen XXX sicher feststellbar ist, zuzuordnen.

2 )

Es verfängt nicht der Einwand der Beklagten, die Privatgutachter XXX hätten im Gutachten vom 16. September 2009 (richtig: 16. Juni 2009) eine Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von 90 km/h aus technischer Sicht als durchaus technisch möglich dargestellt (Bl. 616 d.A.). Diese Schlussfolgerung beruht - wie schon im Anfangsgutachten vom 23. Januar 2009 derselben Sachverständigen verdeutlicht - auf der Prämisse einer vorkollisionären Abbremsung des Klägers. Für die Annahme einer nennenswerten Verzögerung des Motorrades vor dem Zusammenstoß mit der Beklagten ist indes kein Raum.

a )

Die Polizei hat anlässlich der Spurensicherung keine Brems- oder Blockierzeichnungen der Motorradreifen ermitteln können, die vor dem Kollisionsort einsetzen. Keiner der Zeugen hat etwas von der Einleitung eines Bremsvorganges durch den Kläger bei der Annäherung an die spätere Kollisionsstelle zu berichten gewusst. An dieser Stelle sei noch einmal auf die aufschlussreiche Schilderung des Zeugen XXX hingewiesen. Dieser hatte nichts von einer Verzögerung des Klägers bemerkt hat und dessen Vorbeifahrt als so knapp und gefährlich empfunden, dass ihm "ein Schauer über den Rücken lief" (Bl. 98 d.A.).

b )

Bereits in seinem Erstgutachten vom 8. Dezember 2008 hatte der Sachverständige XXX ausgeführt, es fänden sich keine Hinweise für eine nennenswerte vorkollisionäre Abbremsung des Klägers (Bl. 181 d.A.). In Übereinstimmung damit steht die Klarstellung im Gutachten XXX vom 23. Januar 2009, ein vorkollisionärer Bremsvorgang des Krades könne aus technischer Sicht nicht aufgezeigt werden, da die Polizeibeamten an der Unfallstelle keine Brems-Blockierspur des Krades vorgefunden hätten (Bl. 250 d.A.). Nach der technischen Beschreibung des Motorrades in dem für den Polizeipräsidenten Mönchengladbach erstatteten Gutachten des Sachverständigen XXX vom 19. April 2002 ist dieses nicht mit einem ABS-Bremssystem ausgestattet, sondern mit mechanischen Betriebsbremsanlagen (Bl. 67 Beiakte).

c )

Die Sachverständigen XXX haben für das Krad eine Kollisionsgeschwindigkeit in der Bandbreite zwischen 65 km/h und 75 km/h ermittelt (Gutachten vom 16. April 2010; Bl. 435 d.A.). Eine signifikante Abweichung zu dem zuletzt durch den Sachverständigen XXX angegebenen Kollisionstempo von 70 km/h besteht nicht. Kleinere Divergenzen zwischen den unfallanalytischen Feststellungen von Sachverständigen, die unabhängig voneinander mit einer Unfallrekonstruktion befasst sind, sind nach den einschlägigen Erfahrungen des Senats eher die Regel und bleiben unbeachtlich, soweit sie - wie hier - sich im Rahmen marginaler Toleranzen bewegen.

VI.

Unbeachtlich sind zudem die Bedenken, welche die Beklagte in Bezug auf die sachliche Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen XXX mit dem Hinweis darauf äußert, soweit der gerichtlich bestellte Sachverständige auf Vorhalt der Privatgutachter zu einer Berichtigung seiner Unfallanalyse veranlasst gewesen sei, bedeute nicht, dass diese dann auch richtig sei (Bl. 616 d.A.). Zutreffend ist zwar, dass der Sachverständige XXX im Laufe der mehrjährigen Beweisaufnahme seine unfallanalytischen Erkenntnisse denjenigen der Privatgutachter XXX angeglichen hat. Da die Unfallanalysen sowohl des gerichtlich bestellten Sachverständigen als auch derjenigen der Privatgutachter letztlich weitgehend übereinstimmen und in ihrer Kongruenz überzeugend wirken, erscheint der fragliche Unfallhergang im Rahmen des Möglichen hinreichend aufgeklärt.

1 )

Sachlich unbegründet ist die Beanstandung der Beklagten, im angefochtenen Urteil habe die Erkenntnis der Sachverständigen XXX keine Berücksichtigung gefunden, dass für den Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Das Landgericht hat sich die identische Feststellung des Sachverständigen XXX aus dessen Schlussgutachten vom 3. März 2011 zu Eigen gemacht, das Unfallgeschehen wäre für den Kläger (zeitlich) vermeidbar gewesen, wenn in dem Moment, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrspur erreichte, er mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren wäre und er nach der üblichen Reaktionszeit von einer Sekunde den Abbremsvorgang eingeleitet hätte (Bl. 13 UA, Bl. 569 d.A.; Bl. 498 d.A.).

2 )

In seinem Zweitgutachten vom 16. Februar 2010 hat der Sachverständige XXX die bis dahin bestehenden Übereinstimmungen einerseits und Unterschiede andererseits zwischen seinen unfallanalytischen Erkenntnissen und denjenigen der Sachverständigen XXX aufgezeigt.

a )

Kein wesentlicher Unterschied ergab sich für den Ansatz der Gehgeschwindigkeit der Beklagten. Übereinstimmung bestand auch in Bezug auf die Querungsrichtung der Beklagten (von rechts nach links) sowie im Hinblick auf die Bestimmung des Kollisionspunktes (Bl. 391, 392 d.A.).

b )

Divergenzen zeigten sich seinerzeit noch bei der Bestimmung der Rutschverzögerungswerte, der kollisionsbedingten Verzögerung selbst, der Eingrenzung der Rutschwegstrecken, der Beurteilung der Kippphase sowie in Bezug auf die Vermeidbarkeitsanalyse (Bl. 392 d.A.). Diese Unterschiede sind indes letztlich einer - bis auf kleine Differenzen - weitgehend übereinstimmenden Betrachtungsweise aller Gutachter gewichen.

aa )

Was die rutschbedingten Verzögerungswerte sowie die durch den Zusammenstoß selbst bewirkte Verzögerung anbelangt, verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (Bl. 10-11 UA; Bl. 566-567 d.A.). Aufgrund der beschriebenen Chronologie der gutachterlichen Tätigkeit des gerichtlich bestellten Sachverständigen - insbesondere gekennzeichnet durch Rücksprachen mit Fachleuten aus dem Crash-Test-Center in XXX - stellt sich der Sachverhalt allerdings entgegen der Darstellung des Landgerichts tatsächlich so dar, dass die Ausführungen des Gutachters XXX sich bis zu einer weitgehenden Identität denjenigen der Privatgutachter XXX angeglichen haben. Gleiches gilt für die Beurteilung der Kippphase. Insoweit hat der Sachverständige XXX bei seiner Anhörung vom 23. Februar 2010 eingeräumt, er habe bei seiner ersten Berechnung für diese Phase noch keine Verzögerung einkalkuliert, während eine solche tatsächlich doch auch ohne eine Spurzeichnung eingetreten sein könne (Bl. 539 d.A.). Auf diesem Hintergrund erklärt sich die Tatsache, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige die in seinem Erstgutachten vom 8. Dezember 2008 mit 50 km/h bis 62 km/h eingegrenzte Kollisions- und Annäherungsgeschwindigkeit schließlich nach oben korrigiert und nach Vorhalt der Aussage des Zeugen XXX bei seiner Anhörung im Termin vom 23. Februar 2012 (Bl. 538 d.A.) auf 70 km/h festgelegt hat (Bl. 538 d.A.). Dieses Annäherungs- und Kollisionstempo hat dann schließlich auch Eingang in sein Schlussgutachten vom 27. Februar 2012 gefunden (Bl. 542 d.A.). Soweit die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung auf eine Kollisionsgeschwindigkeit des Krades von 50 bis 62 km/h abstellt (Bl. 637 d.A.), argumentiert sie mit überholten Zahlenwerten.

bb )

Darüber hinaus kann für die Vermeidbarkeitsbetrachtung auch nicht mehr die Darlegung des Sachverständigen XXX in seinem Erstgutachten vom 8. Dezember 2008 Berücksichtigung finden, dem Kläger sei keine verspätete Reaktion bei dem Anblick der die Straße querenden Beklagten nachzuweisen (Bl. 185 d.A.).

aaa )

Denn für die Vermeidbarkeitsbetrachtung hatte er seinerzeit darauf abgestellt, dass den Kläger eine Reaktionsaufforderung erst zu dem Zeitpunkt erreicht habe, als die Beklagte im Zuge des Überschreitens der unterbrochenen Leitlinie 0,4 Sekunden bis 0,6 Sekunden vor dem Unfall erkennbar in die linke Fahrspur vorgedrungen sei (Bl. 185 d.A.). Eine räumliche Vermeidbarkeit hatte der Sachverständige XXX - eher theoretisch - an die Voraussetzung geknüpft, dass der Kläger bereits dann mit einer Vollbremsung auf die Beklagte reagiert hätte reagieren müssen, als diese sich noch am rechten Rand der rechten Fahrbahn oder weitergehend noch auf dem rechten Gehweg befand (Bl. 186 d.A.).

bbb )

Demgegenüber haben die Privatgutachter XXX in ihrer ersten Stellungnahme vom 23. Januar 2009 bereits richtigerweise auf zwei Signalpositionen hingewiesen, die dem Kläger als Reaktionsaufforderung Anlass zu der Einleitung von Abbremsreaktionen hätten geben müssen: Hätte der Kläger eine moderate Angleichsbremsung (3 m/sec²) in der Phase eingeleitet, als die Beklagte auf der rechten Fahrspur einen Meter vorangegangen war (Signalposition 1) und hätte der Kläger diese Bremsung im Zuge des Erreichens der Leitlinie durch die Beklagte in der erforderlichen Weise verstärkt, hätte er bei der gebotenen Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h den Zusammenstoß räumlich vermeiden können (Bl. 252 d.A.). Nach den weiteren überzeugenden Darlegungen der Privatgutachter wäre eine zeitliche Vermeidbarkeit bei Beachtung des zulässigen Höchsttempos selbst dann noch zu erreichen gewesen, wenn der Kläger eine sofortige Vollbremsung in dem Zeitpunkt eingeleitet hätte, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrspur erreicht gehabt hatte (Signalposition 2; Bl. 250 d.A.). Diese Vermeidbarkeitsanalyse ist anschaulich in der Anlage A 32 zum Gutachten vom 23. Januar 2009 zeichnerisch sowie mit einem Weg-Zeit-Koordinatensystem wiedergegeben (Bl. 286 d.A.).

ccc )

Der letztgenannten Vermeidbarkeitsbetrachtung hat sich der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten vom 3. März 2011 (Bl. 498 d.A.) sowie anlässlich seiner Anhörung vom 23. Februar 2012 (Bl. 539 d.A.) angeschlossen. Denn er hat ausgeführt, bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, einer Vorbremszeit von 1 Sekunde und einer mittleren Verzögerung von 5 m/sec² - auch diesen Verzögerungswert haben die Privatgutachter durchgehend zugrunde gelegt - hätte sich für den Kläger eine knappe zeitliche Vermeidbarkeit ergeben, wenn er mit einer Vollbremsung reagiert hätte, als die Beklagte als Fußgängerin bis zur Mitte der rechten Fahrspur vorgedrungen war. Im Ergebnis stimmen somit sämtliche Gutachter darin überein, dass der Kläger für den Fall der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und einer regelrechten Abbremsreaktion bei der durch XXX bezeichneten Signalposition 2 das Unfallgeschehen zeitlich hätte vermeiden können.

cc )

Als einzig erkennbare Divergenz zwischen den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen einerseits und denjenigen der Privatgutachter andererseits verbleibt die Eingrenzung der Rutschwegstrecke (XXX 37 Meter, XXX 35 Meter). Anlässlich seiner Anhörung im Termin vom 3. Dezember 2010 hat der gerichtlich bestellte Sachverständige erläutert, aus welchen Gründen er seine Rutschwegstreckenangabe für richtig hält (Bl. 486-487 d.A.). Im Ergebnis kann Klärung der Tatsachenfrage, welche Streckenangabe für die Bestimmung der Annäherungs- und Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers maßgeblich ist, letztlich dahinstehen. Der Unterschied von zwei Metern ist so gering, dass er als im Rahmen der üblichen Toleranzbandbreiten liegend angesehen werden kann.

3 a )

In seinem Zweitgutachen vom 16. Februar 2010 hat der Sachverständige XXX richtigerweise ausgeführt, der Reaktionspunkt, bei welchem von dem Kläger als Motorradfahrer eine heftige Reaktion zur Vermeidung des drohenden Zusammenstoß habe verlangt werden können, unterliege nicht der Beurteilung eines technischen Sachverständigen (Bl. 403 d.A.). Zu diesem Punkt hat das Landgericht völlig zu Recht dargelegt, der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Geschwindigkeitsüberschreitung und dem Verkehrsunfall sei zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre; die kritische Verkehrslage beginne für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür biete, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen könne (BGH VersR 2003, 783; Bl. 11 UA, Bl. 567 d.A.). Diese Sichtweise für eine Vermeidbarkeitsanalyse entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 5. Februar 2013, Az.: I - 1 U 81/12).

b )

In diesem Zusammenhang hat das Landgericht in jeder Hinsicht beanstandungsfrei darauf abgestellt, der Kläger habe durch eine Geschwindigkeitsanpassung in dem Moment auf die Beklagte reagieren müssen, als diese den Punkt der Mitte der rechten Fahrspur überquert habe; auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich auf denjenigen des Erreichens der Fahrbahnmitte, komme es nicht an (Bl. 11-12 UA; Bl. 567-568 d.A.). Somit hat das Landgericht als Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung an den Kläger zur Einleitung einer Vollbremsung sich auf die vorbezeichnete Signalposition 2 nach XXX festgelegt. Auch dieser Feststellung, die von den Parteien im Übrigen auch nicht in Zweifel gezogen wird, schließt sich der Senat ohne jede Einschränkung an. In der vorgenannten Position befand sich der Kläger ausweislich der Weg/Zeit-Analyse der Sachverständigen XXX bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 65 km/h knapp 27 Meter vom Unfallort entfernt ( Anlage A 32 zum Gutachten vom 23. Januar 2009; Bl. 286 d.A. ). Da das Annäherungstempo des Klägers tatsächlich mit 70 km/h

in Ansatz zu bringen ist, ist auch die Schlussdistanz etwas größer gewesen.

c )

Zutreffend ist auch, dass der Kläger wegen seines eigenen verkehrswidrigen Verhaltens nicht darauf vertrauen durfte, die Beklagte werde sich verkehrsgerecht verhalten (Bl. 12 UA; Bl. 568 d.A.), also straßenmittig anhalten und seine Vorbeifahrt auf dem Motorrad abwarten. Die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 50 km/h gemäß § 3 Abs. 3 Ziff. 1 StVO dient dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer. Der vorliegende Fall verdeutlicht exemplarisch das Gefahrenpotential, das mit einer deutlichen Überschreitung des zulässigen innerörtlichen Höchsttempos einhergeht: aus den bereits dargelegten Gründen war für die Beklagte zu dem Zeitpunkt, als sie vom rechten Fahrbahnrand aus zur Straßenüberquerung ansetzte, die Annährung des Klägers aus einer Entfernung von mindestens 50 Meter noch nicht wahrnehmbar. Gleiches galt für den Zeugen XXX, der kurze Zeit zuvor 10 Meter links neben der Beklagten ebenfalls zum Zwecke der Straßenüberquerung auf die rechte Fahrbahn getreten war. Bei einem Ausgangstempo von 70 km/h legte der Kläger auf seinem Motorrad in einer Sekunde 19,4 Meter zurück. Erst durch das Motorengeräusch des klägerischen Krades wurde der Zeuge auf die Annäherung des Unfallgegners der Beklagten aufmerksam.

4 )

Ein Verkehrsteilnehmer, der sich selbst regelrecht verhält, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls die Verkehrsregeln einhalten, beispielsweise sein Vorfahrtsrecht achten. Der Vertrauensgrundsatz kommt jedoch regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (BGH a.a.O. mit Hinweis auf BGH VersR 1967, 157, 158; Urteil vom 15. Mai 1973, Aktenzeichen VI ZR 6272; BGH VersR 1985, 637, 639; BGHSt 9, 92, 93; BGHSt 13, 169, 172; BGHSt 15, 191, 193 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Ein Verkehrsteilnehmer, der die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, ist ständig gehalten, seine Geschwindigkeit auf das zulässige Maß zu reduzieren. Deswegen besteht für ihn das rechtmäßige Alternativverhalten, welches - fiktiv - der Kausalitätsprüfung zugrunde zu legen ist, nicht in einem sofortigen Abbremsen auf die sofortige Höchstgeschwindigkeit, sondern in der Einhaltung dieser Geschwindigkeit bereits bei Beginn der kritischen Verkehrslage (BGH a.a.O., mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 11. Januar 1977, Az.: VI ZR 268/7 sowie BGHSt 33, 61, 63; Senat a.a.O.).

VII.

Das Landgericht hat die Tatsachenfrage offengelassen, ob dem Kläger der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens in dem Sinne gemacht werden könne, ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln (§ 316 StGB) geführt haben (Bl. 13-14 UA; Bl. 569-570 d.A.). Unabhängig von der Frage einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers ist der Senat der Überzeugung, dass die Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit des Klägers wegen eines vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums in unfallmitursächlicher Weise so eingeschränkt war, dass er die vorkollisionären Reaktionsaufforderungen zur Einleitung einer ganz naheliegenden Gefahrenabwehrmaßnahme, nämlich einer Notbremsung, ignoriert hat.

1 )

Eine dem Kläger im Zustand der Bewusstlosigkeit etwa zwei Stunden und 10 Minuten nach dem Unfall aus der freigelegten Oberschenkelvene entnommene Blutprobe führte ausweislich der Stellungnahme der Medizinal-Untersuchungsstelle im Regierungsbezirk XXX vom 4. April 2002 zu der Feststellung des Mittelwertes einer Blutalkoholkonzentration von 1,23 Promille. Auf diesen Laborwert kann allerdings nicht die Feststellung einer absoluten Fahruntauglichkeit des Klägers gestützt werden. Denn nach der Stellungnahme der Untersuchungsstelle ist die Einhaltung der Karenzzeit von zwei Stunden zwischen Trinkende und Vorfallzeit nicht feststellbar; eine Rückrechnung des BAK-Mittelwertes auf den Vorfallzeitpunkt ist somit nicht statthaft (Bl. 37 Beiakte). Gleichwohl bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Schadensereignisses unter einer erheblichen Alkoholeinwirkung, deren genaue Höhe nicht mehr zu ermitteln ist, ein Kraftfahrzeug führte.

2 )

Einer weiteren Stellungnahme der Medizinal-Untersuchungsstelle im Regierungsbezirk XXX vom 12. April 2002 gemäß ließ sich in der Blutprobe chromatographisch ein Gehalt von 4,4 ng/ml an Tetrahydrocannabinol (THC) nachweisen. Dieser Wert überschreitet die Nachweisgröße von 2,0 ng/ml um mehr als das Doppelte. Darüber hinaus führte die Blutprobe zu der Feststellung eines Gehaltes an THC-Carbonsäure von 77,7 ng/ml. Dieser Wert überschreitet die Nachweisgröße von 5,0 ng/ml um mehr als das 15fache (Bl. 39 Beiakte). In der Stellungnahme vom 12. April 2002 ist darüber hinaus ausgeführt, der Konsum von Cannabis (THC) rufe Wahrnehmungs- und Konzentrationsschwächen hervor; die Beeinträchtigung von Motorik und Koordination sei nicht mit dem sicheren Führen eines Fahrzeuges vereinbar (Bl. 39, 40 Beiakte).

3 )

Der Vortrag des Klägers, der Nachweis einer Blutalkoholkonzentration und von Tetrahydrocannabinol beruhe auf Fremduntersuchungsrückständen oder Verunreinigungen, stellt sich als eine durchsichtige Schutzbehauptung dar, für deren Richtigkeit nach Aktenlage nichts spricht.

4 )

Es gibt noch keinen Beweisgrenzwert für die Annahme einer absoluten Fahruntauglichkeit nach Rauschmittelkonsum (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 316 StGB, Rdnr. 27a mit Hinweis auf BGH NZV 1999, 49 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen sind aber umso geringer, je höher die festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Bei einem Zusammenwirken von Alkohol und Medikamenten kommt es darauf an, ob durch den Genuss des Alkohols allein oder im Zusammenwirken mit anderen Ursachen ein alkoholbedingt fahrunsicherer Zustand verursacht wurde (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., Rdnr. 28). Nichts anderes gilt für das Zusammenwirken von Alkohol und Cannabis. Letzteres verschlechtert als berauschendes Mittel das Fahrverhalten erheblich (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 316 StGB, Rdnr. 58 mit Hinweis auf BayObLG DAR 1990, 366) und kann zur Fahrunsicherheit führen (Hentschel/König/Dauer a.a.O. mit Hinweis auf BVerfG NJW 2002, 2379, 2381). Cannabis verlängert und stört die Reaktionen, die Lenkautomatismen und verändert die Umweltwahrnehmungen ungünstig (Hentschel/König/Dauer a.a.O. mit Hinweis auf RegE zu § 24a StVG). Dies ergibt sich auch aus der Stellungnahme der Medizinal-Untersuchungsstelle vom 12. April 2002.

5 )

Der Kläger zeigte noch keine Gefahrenabwehrreaktion, die aus den dargelegten Gründen nach den Umständen geboten war, als die Beklagte die Signalposition 2 in Höhe der Mitte der rechten Fahrbahn erreicht hatte und er bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h nur noch etwas mehr als 27 Meter vom späteren Unfallort entfernt war. Diese Schlussentfernung hatte er in allenfalls zwei Sekunden überwunden. Entweder hatte er in dieser Phase seine spätere Unfallgegnerin wegen einer alkohol- und drogenbedingten Beeinträchtigung überhaupt noch nicht als eine die Straße querende Fußgängerin wahrgenommen. Es lässt sich andererseits zugunsten des Klägers nicht die Möglichkeit ausschließen, dass er die Beklagte als querungswillige Fußgängerin gesehen hatte, er aber von der Erwartung ausging, die Passantin habe ihn in der Annäherung auf dem Motorrad optisch und/oder akustisch wahrgenommen und werde deshalb im Bereich der Straßenmitte inne halten, um seine Vorbeifahrt abzuwarten. Deswegen kann diese Phase des vorkollisionären Geschehen noch nicht zwingend für die Feststellung einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit des Klägers herangezogen werden, die auf Alkohol- und Drogenkonsum zurückzuführen sind.

6 a )

Etwas anderes gilt jedoch für die sich daran anschließende Abfolge des Geschehens, als der Kläger die Höhe des Zeugen XXX erreichte, der etwa 10 m neben der Beklagten die XXX Straße überquerte. Wie bereits ausgeführt, schaffte es der Zeuge nur mit knapper Not, sich vor dem von links mit überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Kläger auf die linke Straßenseite zu retten, ohne dass er irgendetwas von einer Abbrems- oder sonstigen Gefahrenabwehrreaktion des Klägers zu berichten wusste. Anschaulich hat der Zeuge geschildert, dass ihm wegen der Gefahrensituation "ein Schauer über den Rücken lief", er meinte auch "einen kurzen Luftzug" des hinter ihm vorbeifahrenden Krades verspürt zu haben (Bl. 97, 98 d.A.). Mit anderen Worten: Der Kläger ist unbeeindruckt von der Gefahrensituation, die sich aus der Straßenüberquerung des Zeugen XXX

unmittelbar vor ihm ergab, stur mit überhöhter Geschwindigkeit weiter geradeaus gefahren.

b )

Die Beklagte setzte nur 10 Meter neben dem Zeugen zur Überquerung der XXX Straße an - und zwar zu dem Zeitpunkt, als dieser bereits die Straßenmitte erreicht hatte. Als der Zeuge dann dem linken Fahrbahnrand zustrebte, näherte sich die Beklagte, dies über die vorbezeichnete Signalposition 2 hinaus, der Leitlinie im Bereich der Fahrbahnmitte. Diese Wahrnehmung der gefahrenimmanenten, dichten Annäherung seiner späteren Unfallgegnerin hat den Kläger ebenfalls nicht dazu veranlasst, irgendeine Gefahrenabwehrmaßnahme einzuleiten. Wie bereits ausgeführt, zeigte er erstmals eine Reaktion auf die sich in seine Fahrspur hinein bewegende Beklagte, als er kurz vor dem Zusammenstoß die durch sie wiedergegebene Unmutsäußerung von sich gab. Insbesondere lässt sich für diese letzte vorkollisionäre Phase keine Abbremsung des Motorrades feststellen.

7 a )

Der Ursachenzusammenhang zwischen alkoholbedingter Fahruntauglichkeit und einem Unfall kann mittels Anscheinsbeweises festgestellt werden (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 38, Rdnr. 62 mit Hinweis auf BGHZ 18, 311 sowie BGH VersR 1986, 142 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Gleiches gilt für eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit eines Kraftfahrzeugführers unter der gleichzeitigen Einwirkungen von Alkohol und Drogen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Umstände zu dem Unfall geführt haben, die auch ein nüchterner Fahrer nicht hätte meistern können (Greger a.a.O. mit Hinweis auf BGH VersR 1960, 479 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Senat, Urteil vom 2. März 2009, Az.: I-1 U 86/08).

b )

In Anbetracht der vorkollisionären innerstädtischen Verkehrssituation mit einer erheblichen Lärmkulisse wegen einer rechtsseitigen Großbaustelle hätte ein nüchterner Kraftfahrzeugführer, der die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 40 % überschritten hatte, wegen seiner sehr späten Wahrnehmbarkeit möglicherweise bereits dann auf den Anblick einer sich von rechts nähernden Fußgängerin mit einer deutlichen Geschwindigkeitsreduzierung reagiert, als diese die Mitte der rechten Fahrbahn erreicht hatte (Signalposition 2). Jedenfalls hätte er sich spätestens dann zu der Einleitung einer Gefahrenbremsung gezwungen gesehen, als der Zeuge XXX nur noch mit knappem Abstand vor ihm die Straße überqueren konnte. Allein schon um einen zeitlichen und räumlichen Sicherheitsabstand zu gewinnen, wäre eine Abbremsung die ganz naheliegende Gefahrenabwehrmaßnahme gewesen. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass zu diesem Zeitpunkt die Beklagte zu 1. ebenfalls ihren Weg zur Straßenmitte hin fortsetzte und nichts darauf hindeutete, dass sie die linksseitige Annäherung des Klägers auf seinem Motorrad mit überhöhtem Tempo bemerkt hatte. Für die Feststellung eines vorkollisionären Blickkontaktes zwischen dem Unfallbeteiligten bestehen keine Anhaltspunkte. Der Abstand von etwa 10 m, welcher die Querungslinie des Zeugen XXX von derjenigen der Beklagten trennte, stellte keinerlei Sicherheitsreserve dar, weil der Kläger bei der Ausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h die Strecke in knapp einer Sekunde überwunden hatte.

8 )

Dass der Kläger entsprechend den Ausführungen im Erstgutachten XXX vom 8. Dezember 2008 keine Möglichkeit zur Vermeidbarkeit der Kollision mehr hatte, als die Beklagte im Begriff war, auf die linke Fahrspur einzudringen, spielt für die Vermeidbarkeitsbetrachtung im Ergebnis keine Rolle mehr.

VIII.

Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB überwiegt eindeutig der auf den Kläger entfallende Eigenhaftungsanteil.

1 )

Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Kraftfahrzeug und einem bei Tageslicht die Straße überquerenden Fußgänger haftet Letzterer wegen eines Verstoßes gegen § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO grundsätzlich allein, sofern er erst kurz vor dem Fahrzeug auf die Fahrbahn getreten ist (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O., § 25 StVO, Rdnr. 22 mit Hinweis auf BGH VersR 1975, 1121 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Diese Fallkonstellation ist hier schon aufgrund der Tatsachen nicht einschlägig, dass die Beklagte vor dem Zusammenstoß mit dem Kläger schon die drei Meter breite rechte Fahrspur hinter sich gelassen hatte. Die kritische Verkehrssituation, die den Kläger zu einer Verminderung seiner Annäherungsgeschwindigkeit hätte veranlassen müssen, war bereits gegeben, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrspur erreicht hatte (Signalposition 2). Hat der Fußgänger die Mittellinie bereits überschritten und stößt er mit einem von rechts kommenden Fahrzeug zusammen, ist im Grundsatz eine Schadensquotierung vorzunehmen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., Rdnr. 24 mit Hinweis auf KG VM 1992, 27 - Haftung zu je 50 %). Eine Mithaftung des Kraftfahrzeugführers ist auch dann in Betracht zu ziehen, wenn er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet. Gleiches gilt, wenn der Fahrer betrunken ist (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., Rdnrn. 22 u. 23). Dem Kläger ist ein alkohol- und drogenbedingtes Aufmerksamkeits- und Reaktionsverschulden anzulasten, weil er vorkollisionär trotz eindeutiger Reaktionsaufforderungen keinerlei Gefahrenabwehrmaßnahme eingeleitet hatte.

2 )

Zu Lasten der Beklagten ist haftungsbegründend ein Aufmerksamkeitsverschulden zu berücksichtigen, weil ihr bei Erreichen der Mitte der XXX Straße die Annäherung des auf der linken Fahrspur herannahenden Klägers verborgen geblieben war. Der damit verbundene Fahrlässigkeitsvorwurf relativiert sich jedoch im Hinblick darauf, dass wegen der um 40 % überhöhten Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers er für die Beklagte - ebenso wie für den Zeugen XXX - erst spät erkennbar wurde und dass aus den dargelegten Gründen die akustische Wahrnehmbarkeit des Annäherungsgeräusches durch die Baulärmkulisse hinter der Beklagten beeinträchtigt war. Die zu den Akten gelangten Lichtbilder von der Verlauf der XXX Straße vor und hinter der Unfallstelle lassen nicht erkennen, dass in der Nähe des Kollisionsortes ein Fußgängerüberweg oder eine ampelgeregelte Fuß-

gängerfurt gelegen war, auf deren Benutzung die Beklagte zumutbarerweise hätte

verwiesen werden können.

3 )

In Abänderung der durch das Landgericht ausgesprochenen Quotierung erachtet der Senat eine Haftungsverteilung im Verhältnis 70 % zu 30 % zu Lasten des Klägers als angemessen.

4 )

Die Höhe des dem Kläger in Kapital- und Rentenform zustehenden Schmerzensgeldes ist unstreitig. Das Landgericht ist von einem Kapitalbetrag im Umfang von 125.000 € sowie einer lebenslangen monatlichen Rente in Höhe von 300 € ausgegangen. Reduziert man diese Einsatzbeträge im Hinblick auf die dem Kläger zustehende Anspruchsberechtigung von 30 %, verbleibt als Entschädigung für die unfallbedingten immateriellen Beeinträchtigungen ein Kapitalbetrag von 37.500 € sowie eine monatliche Rente zu 90 €.

5 )

Im Hinblick auf die wegen des auf den Kläger entfallenden Mitverantwortungsanteils notwendige Differenzierung zwischen immateriellen Beeinträchtigungen einerseits und materiellen Schäden andererseits hat sich der Senat aus Gründen der Klarstellung zu einer Neufassung des Feststellungstenors veranlasst gesehen. Dieser umfasst entsprechend dem Feststellungsausspruch des Landgerichts neben zukünftigen Schäden auch bereits entstandene materielle Unfallschäden. Nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers in der Klageschrift ist eine konkrete Bezifferung des Erwerbsschadens vor der noch ausstehenden abschließenden beruflichen Neuorientierung nicht möglich (Bl. 9 d.A.). Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt - z.B. der Schaden - zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung, ist die Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (Zöller/Greger, Kommentar zur ZPO, 29. Aufl., § 256, Rdnr. 7a mit Hinweis auf BGH NJW 1984, 1552, 1554; BGH VersR 1991, 788).

IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 59.200 € (50.000 € + 7.200 € + 2.000 €).

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

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