Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 01.09.2014 - 12 LA 255/13
Fundstelle
openJur 2014, 20109
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 24. September 2013 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf31.045,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Baustoffrecyclinganlage sowie eine Kostenfestsetzung.

Die Beigeladene betreibt aufgrund der ihr im Jahr 2006 erteilten Baugenehmigung auf einem Teil des Grundstücks F. in G. einen Lagerplatz für Schüttgüter und hält dort Stellflächen für Container vor. Diese Einrichtungen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 148 Teil 1 der Stadt G., der dort ein Gewerbegebiet festsetzt. Im Jahr 2007 beantragte die Beigeladene, ihr auf dem Betriebsgelände die Nutzung einer mobilen Brecheranlage sowie zusätzliche Lagerflächen zu genehmigen. Die Entfernung zwischen dem vorgesehenen Standort der Brecheranlage und den Wohnhäusern der Kläger beträgt jeweils etwa 200 m. Das Grundstück des Klägers zu 2) liegt ebenfalls im Geltungsbereich des oben genannten Bebauungsplans. Das Grundstück des Klägers zu 1) ist nicht in einem beplanten oder im Zusammenhang bebauten Gebiet belegen.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2008 erteilte der Beklagte der Beigeladenen unter zahlreichen Nebenbestimmungen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Baustoffrecyclinganlage mit einer Durchsatzleistung von 400 t/d und einer Gesamtlagerkapazität von 9.500 t auf ihrem Betriebsgrundstück in der Gemarkung H., Flur 19, Flurstücke 2/6, 3/6 und 3/20. Die gegen diese Genehmigung eingelegten Widersprüche der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2009 als unbegründet zurück und setzte dafür durch Kostenfestsetzungsbescheid vom selben Tag Gebühren in Höhe von (insgesamt) 1.045,- EUR fest.

Die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24. September 2013 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Ansicht der Kläger sei die Genehmigung der Baustoffrecyclinganlage unter nachbarrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Der Kläger zu 2) könne als Eigentümer eines im Geltungsbereich des Bebauungsplans belegenen Grundstücks nicht mit Erfolg geltend machen, dass das genehmigte Vorhaben eine in einem Gewerbegebiet baugebietsunverträgliche Anlage sei. Nach § 8 Abs. 1 BauNVO dienten Gewerbegebiete vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Vorhabens in einem Gewerbegebiet sei wegen der in den §§ 2 bis 9 BauNVO enthaltenen Typisierung von zulassungsfähigen Nutzungen grundsätzlich von einer typisierenden bauplanungsrechtlichen Beurteilung auszugehen. Dabei folge aus dem Umstand, dass ein Gewerbebetrieb eine nach § 4 Abs. 1 BImSchG immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage sei, aufgrund der Regelung des § 15 Abs. 3 BauNVO noch nicht, dass sie unter dem ebenfalls zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Aspekt planungsrechtlich nur in einem Industriegebiet zulässig wäre. Das bedeute, dass auch eine immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage in einem Gewerbegebiet zulässig sei, wenn der konkrete Betrieb in der Weise vom üblichen Erscheinungsbild abweiche, dass er nach seiner Art und Betriebsweise von vornherein keine Störungen befürchten lasse, also atypisch sei, und damit seine Gebietsverträglichkeit - ggf. durch Nebenbestimmungen zur Genehmigung - dauerhaft und zuverlässig sichergestellt sei. So liege es hier. Entgegen der Ansicht des Klägers zu 2) sei die nach § 19 BImSchG im vereinfachten Verfahren genehmigte Anlage der Beigeladenen nicht als eine von ihrer Größe und Funktion her typische und deshalb generell in einem Industriegebiet unterzubringende Baustoffrecyclinganlage („Normalanlage“) einzustufen, sondern als eine auch in einem Gewerbegebiet zulässige anzusehen (wird ausgeführt). Die angefochtene Genehmigung verstoße auch nicht gegen das hier aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG folgende Gebot der Rücksichtnahme. Entgegen der Behauptung der Kläger würden sie und ihre Grundstücke keinen schädlichen Umwelteinwirkungen, insbesondere keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen durch Lärm oder Stäube ausgesetzt. Das folge aus den von Sachverständigen der Firma Zech gefertigten, auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruhenden, unter Anwendung der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen sowie technischen Normen mit der notwendigen Fachkunde erstellten, in sich schlüssigen Prognosen zu den durch den Betrieb der genehmigten Anlage zu erwartenden Geräusch- und Staubimmissionen. Gründe, die geeignet wären, eine Aufhebung des ebenfalls angegriffenen Kostenfestsetzungsbescheides zu rechtfertigen, seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich.

II.

Der Antrag der Kläger, gegen dieses Urteil die Berufung zuzulassen, hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht hinreichend dargetan und liegt auch nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Der Rechtsmittelführer muss darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Inhaltlich beschränken sich die Kläger im Wesentlichen darauf, nach Art einer Berufungsbegründung der Auffassung des Verwaltungsgerichts ihre eigene, gegenteilige Ansicht entgegen zu setzen. Richtigkeitszweifel ergeben sich daraus nicht. Im Einzelnen:

Die Kläger machen in Anknüpfung an eine Kommentarstelle bei Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger (zu § 8 BauNVO Rn. 26) geltend, es sei zu beanstanden, dass die vorhandene Gebietsstruktur vom Verwaltungsgericht überhaupt nicht in den Blick genommen worden sei. Diese sei gekennzeichnet durch ein „Nebeneinander“ von mischgebietstypischen und gewerbegebietstypischen Nutzungen sowie Wohnungen (einschließlich Betriebsleiterwohnungen). Daraus lasse sich ableiten, dass die Anforderungen an eine Abweichung von der Gebietstypik wesentlich höher sein müssten, wenn - wie hier - das Gewerbegebiet schon sehr weitgehend bebaut sei und Wohnnutzungen einen erheblichen Anteil hätten. Baustoffrecyclinganlagen ließen von vornherein erhebliche Störungen, die betriebsimmanent seien, befürchten. Die Mobilität der Brecheranlage und die verfügten Auflagen und Einschränkungen des Betriebs änderten nichts daran, dass die Anlage eine typische Baustoffrecyclinganlage bleibe.

Mit diesem Vortrag vermögen die Kläger die tragenden Gründe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht zu erschüttern. Abgesehen davon, dass der Kläger zu 1) als Eigentümer eines außerhalb des hier in Rede stehenden Gewerbegebiets und im Außenbereich gelegenen Grundstücks grundsätzlich keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor (angeblich) gebietsfremden Nutzungen im angrenzenden Plangebiet hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.2007 - 4 B 55.07 -, NVwZ 2008, 427), hat das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Gründen verneint, dass die zur Genehmigung gestellte Baustoffrecyclinganlage der Beigeladenen eine gebietswidrige Nutzung darstellt. Demgegenüber ist die Auffassung der Kläger augenscheinlich durch die Fehlvorstellung geprägt, eine Baustoffrecyclinganlage lasse stets - weil betriebsimmanent - erhebliche Störungen befürchten. Eine derart typisierende Betrachtungsweise ist mit § 15 Abs. 3 BauNVO nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen. Zwar kennzeichnet die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit eines Anlagentyps ein anlagentypisches Gefährdungspotential und kann demzufolge bauplanungsrechtlich in der Regel ein konkretes, die Gebietsprägung beeinträchtigendes Störpotential unterstellt werden. Das gilt aber etwa dann nicht, wenn der konkrete Betrieb in der Weise atypisch ist, dass er nach seiner Art und Betriebsweise keine erheblichen Belästigungen befürchten lässt und damit - gegebenenfalls auch durch Nebenbestimmungen - seine Verträglichkeit in einem Gewerbegebiet dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist (BVerwG, Urt. v. 24.9.1992 - 7 C 7.92 -, NVwZ 1993, 987). Zu verkennen ist auch nicht, dass der Verordnungsgeber im vereinfachten Verfahren gemäß § 19 BImSchG zu genehmigende Vorhaben (früher Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV) von vornherein als weniger konfliktträchtig beurteilt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.8.2002 - 7 ME 111/02 -). Da bauplanungsrechtlich also auf ein konkretes, die Gebietsprägung beeinträchtigendes Störpotential abzustellen ist, können die Einordnungen des immissionsschutzrechtlichen Verfahrensrechts nur als erster Anhalt für die bauplanungsrechtliche Beurteilung herangezogen werden. Auf diesen Gesichtspunkt soll hingewiesen werden, wenn es etwa in der Kommentierung (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Bd. VI, § 8 BauNVO Rn. 26) heißt, auch insofern komme es maßgeblich auf die konkrete Betriebsgestaltung und die Gebietsstruktur an. Die hier vorhandene und planerisch abgesicherte Gebietsstruktur ist indes die des Gewerbegebiets, mit dem das zur Genehmigung gestellte Vorhaben verträglich sein muss. Dass dies der Fall und die Anlage in dem Gewerbegebiet zulässig ist, hat das Verwaltungsgericht des Näheren und überzeugend wie folgt begründet (Urteilsabdruck S. 7 f.):

„Das folgt daraus, dass die Brecheranlage mobil ist und auch außerhalb des Betriebsgeländes an verschiedenen Orten eingesetzt wird, an nur 416 von 8760 möglichen Stunden pro Jahr auf dem Betriebsgelände der Beigeladenen genutzt werden darf, dass die Brecheranlage und die Siebanlage nicht gleichzeitig betrieben werden dürfen, die Siebanlage nur im Umfange von 40 Stunden pro Jahr arbeiten darf, der Durchsatz auf maximal 600 Tonnen Siebgut pro Jahr beschränkt ist und beide technischen Einrichtungen nur werktags an 8 bzw. 5 Stunden während der durch die TA Lärm definierten Tageszeit betrieben werden dürfen. In diesem Zusammenhang hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Durchsatzkapazität einer typischen, täglich betriebenen Baustoffrecyclinganlage bei etwa 120 t/Stunde und mehr liege, hier aber ein Vorhaben mit einem Durchsatz von nur max. 50 t/Stunde zur Genehmigung gestellt worden sei. Unter Berücksichtigung aller Umstände stellt die genehmigte Anlage keine typische Baustoffrecyclinganlage dar, sondern eine aus der kontinuierlichen Fortentwicklung des ursprünglich genehmigten, lediglich rd. 8.131 m² großen Lagerplatzes entstandene Anlage mit einem eher kleinen diesbezüglichen Maschinenpark und mit einer sehr eingeschränkten Durchsatzleistung ohne besondere Immissionsintensität.“

Dagegen bringen die Kläger substantielle Einwände nicht vor.

Mit Blick auf das Schutzprinzip des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG rügen die Kläger, dass den von ihnen im Klageverfahren vorgetragenen Bedenken gegen die Richtigkeit des Lärm- und Staubgutachtens nicht ausreichend nachgegangen worden sei. Insoweit wiederholen die Kläger jedoch lediglich Argumente, mit denen sich das Verwaltungsgericht auf den Seiten 8 bis 11 seines Urteils im Einzelnen befasst hat. Die aufrechterhaltene Rüge der Kläger stellt demgegenüber eine hinreichende Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht dar. Dies gilt auch für die erneut vorgebrachte Behauptung der Kläger, dass „für den Backenbrecher im Lastlauf nicht ein Immissionskennwert von 110 dB(A) zu veranschlagen war, sondern von 118 dB(A)“. Das Verwaltungsgericht hat auf Seite 9 seines Urteils darauf verwiesen, dass die Sachverständigen ausweislich ihrer Stellungnahme vom 16. September 2010 die Schallleistung des Brechers unter repräsentativen Betriebsbedingungen, also auch bei erhöhter und auch bei weniger intensiver Belastung der Maschine, gemessen, diese Werte auf eine achtstündige Betriebszeit umgerechnet und unter Berücksichtigung der Impulshaltigkeit der Geräusche nachvollziehbar mit 110 dB(A) ermittelt hätten. Dem können die Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die „Vorzerkleinerung besonders großer Baubrocken mit einem Meißelbagger“ werde überhaupt nicht in den Blick genommen und gerade „bei hartem und metalldurchsetztem Brechgut“ seien die Schallpegel wesentlich höher als in der Eigenmessung Zech angegeben. Wie vom Verwaltungsgericht dargelegt und aus der zitierten Stellungnahme der Zech Ingenieurgesellschaft vom 16. September 2010 ersichtlich, gehen die Sachverständigen davon aus, dass durch die Messung eine repräsentative Betriebssituation ausreichend erfasst worden sei, weil zwar einerseits zeitweise - materialabhängig - auch eine kurzzeitige Erhöhung des Emissionspegels nicht auszuschließen sei, andererseits aber - bei Laufzeiten mit losem Material - auch deutlich geringe(re) Schallemissionen absehbar seien, dem Beurteilungspegel indes der über eine maximal achtstündige Betriebszeit vorherrschende Mittelungspegel zugrunde gelegt werde. Dass diese vom Verwaltungsgericht aufgegriffenen Erwägungen tragfähig sind, ziehen die Kläger mit dem Vorbringen in ihrem Zulassungsantrag nicht fundiert in Zweifel. Gegen die Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung bringen sie spezifische Gründe gar nicht vor.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG und folgt den Gründen des verwaltungsgerichtlichen Streitwertbeschlusses vom 30. Oktober 2013.