OLG Stuttgart, Urteil vom 06.07.2012 - 6 - 2 StE 2/10
Fundstelle
openJur 2014, 20044
  • Rkr:
Strafrecht
§§ 27, 52 Abs. 1, 211 StGB

(Psychische) Beihilfe zum Mord (RAF) durch "vehementes" Drängen zur (geplanten) Tatausführung in vorbereitenden Tatplanungsgesprächen

Härteausgleich oder Vollstreckungslösung im Rahmen der Strafzumessung bei ursprünglicher Gesamtstrafenfähigkeit, wenn die früher verhängte (bei gleichzeitiger Verurteilung einzubeziehende) lebenslange Freiheitsstrafe bereits vollständig verbüßt war

Tenor

Die Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Mord in drei tateinheitlichen Fällen.

Sie wird deswegen zu der

Freiheitsstrafe von 4 Jahren

verurteilt.

Als Härteausgleich für entgangene Gesamtstrafenbildung gelten 2 Jahre 6 Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt.

Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.

Angewandte Vorschriften: §§ 211, 27, 52 Abs. 1 StGB.

Gründe

Vorbemerkungen

Am 7. April 1977 verübten Mitglieder des „Kommandos Ulrike Meinhof" der terroristischen Vereinigung „Rote Armee Fraktion“ („RAF“) im Rahmen der sog. „Offensive 77“ in Karlsruhe einen Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried B., dem auch dessen Fahrer Wolfgang G. und der Justizbeamte Georg W. zum Opfer fielen. Siegfried B. und Wolfgang G. verstarben noch am Tatort, Georg W. erlag am 13. April 1977 seinen schweren Schussverletzungen.

Der Plan für den Anschlag war Mitte des Jahres 1976 von damaligen Mitgliedern der „RAF“ in einem jemenitischen Ausbildungslager in Aden vorbehaltlich seiner Durchführbarkeit grundsätzlich gefasst sowie auf zwei nachfolgenden Gesamttreffen der Gruppe im Harz im November 1976 und in den Niederlanden Anfang 1977 jeweils unter Mitbestimmung der Angeklagten beschlossen worden. Diese hatte sich nach ihrer Freipressung - als Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ - aus der Haft (im März 1975) im Rahmen der sog. L. Entführung danach der „RAF“ angeschlossen. Entsprechend der von allen „RAF“-Mitgliedern getroffenen Entscheidung wurden in der Folgezeit die weiteren Vorbereitungen bis zur Ausführung des Attentats weiterverfolgt.

Die Angeklagte hatte spätestens seit ihrer Rückkehr aus Aden im Herbst des Jahres 1976 eine Führungsrolle und damit aktive Stellung innerhalb der „RAF“ inne und hat diese stets, insbesondere auch bei dem Gruppentreffen in den Niederlanden, an dem als Mitglieder der Gruppe auch die späteren Täter des unmittelbaren Ausführungskommandos des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. teilnahmen, vehement für die Durchführung des Anschlags eingesetzt und dadurch, wie auch durch ihre weiter fortdauernde führende Rolle in der Gruppe, die unmittelbaren Täter wissentlich und willentlich in ihrem Tatentschluss bis zur letztendlichen Tatausführung bestärkt. Die unmittelbaren Täter des Ausführungskommandos aus der Gruppe führten den Anschlag, aus deren Sicht mitgetragen und beeinflusst durch die Angeklagte, nach Ausführung der erforderlichen Vorbereitungen am 7. April 1977 durch.

(…)

1. Abschnitt: Feststellungen

A. Feststellungen zur Person der Angeklagten

I. Werdegang der Angeklagten

Die 59 Jahre alte ledige Angeklagte wuchs mit neun Geschwistern im elterlichen Haushalt in Berlin auf.

(…)

Im Herbst 1971 schloss sich die Angeklagte in Berlin der sog. „Schwarzen Hilfe“ an, einem Kreis von militanten Kommunisten und Anarchisten, der sich vor allem mit der Betreuung - in der Ausdrucksweise der „Schwarzen Hilfe“ - „Politischer Gefangener“ befasste. Dort lernte die seit Dezember 1971 polizeilich nicht mehr gemeldete Angeklagte u.a. Michael B., Heinz B. und Peter K. kennen, die schon im Untergrund lebten und eine anarchistische Bewegung aufbauten, die später - benannt nach dem Todestag des während der Demonstrationen vom 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schahs von Persien erschossenen O. - den Namen „Bewegung 2. Juni“ erhielt. Ziel dieser Organisation war die gewaltsame Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Die damals in ihrer Persönlichkeit noch ungefestigte Angeklagte war von diesen Idealen angetan. Sie entfernte sich zunehmend aus der bürgerlichen Gesellschaft und schloss sich der „Bewegung 2. Juni“ an.

Weil am 30. Januar 1972 in Londonderry/Nordirland bei Ausschreitungen im Rahmen der Auseinandersetzungen von Konfessionsgruppen die britische Armee auf Demonstranten schoss und mehrere Personen zu Tode kamen, verübte die Angeklagte am 2. Februar 1972 als Mitglied der kriminellen Vereinigung „Bewegung 2. Juni“ mit weiteren Mittätern als Vergeltungsaktion einen Bombenanschlag auf einen britischen Yachtclub in Berlin, bei dem nach der Vorstellung der Täter lediglich Sachschaden entstehen sollte, dann aber eine Person, die den Sprengsatz entdeckt hatte, zu Tode kam.

Am 4. April 1972 überfiel sie mit weiteren Mittätern von der „Bewegung 2. Juni" im Rahmen einer sog. Geldbeschaffungsaktion für das Leben im Untergrund und Aufrechterhaltung der Bewegung bewaffnet eine Bank in Berlin; sie konnte mit ihren beiden Mittätern und knapp 30.000 DM Beute entkommen.

Am 21. Juli 1972 wurde die Angeklagte festgenommen.

Wegen der im Februar und April 1972 verübten Taten wurde sie am 12. Dezember 1974 vom Landgericht Berlin zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren verurteilt (s. nachf. II.1.a.), die in der Folgezeit gegen sie - bis Anfang März 1975 - vollstreckt wurde.

Am 28. Februar 1975 wurde der Landesvorsitzende der Berliner CDU, Peter L., von Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ entführt. Für seine Freilassung forderten die Entführer die Entlassung der Angeklagten sowie weiterer Inhaftierter der „Bewegung“ und die Aushändigung von je 20.000 DM an die Freizulassenden, die in Begleitung des Pfarrers und Regierenden Berliner Bürgermeisters a.D. Heinrich A. in ein Land ihrer Wahl ausgeflogen werden sollten. Am 2. März 1975 verfügte der Senator für Justiz in Berlin die Freilassung auch der Angeklagten B. ohne Aufhebung des Haftbefehls. Am 3. März 1975 wurde die Angeklagte zusammen mit vier weiteren Häftlingen, namentlich Rolf H. sowie Gabriele K.-T., Ingrid S. und Rolf P. in die Volksrepublik Südjemen ausgeflogen. Peter L. wurde daraufhin freigelassen.

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, jedenfalls ab Ende 1975 bzw. Anfang 1976 begab sich die Angeklagte zusammen mit Rolf H., die sich beide nach ihrer gewaltsamen Freipressung im Bereich Südjemen aufgehalten hatten, in ein Ausbildungslager der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ („Popular Front for the Liberation of Palestine“; kurz PFLP) in der Nähe von Aden. In der Folgezeit, spätestens Mitte des Jahres 1976, als sich dort Mitglieder der „RAF“ zur Guerillaschulung und internen weiteren Gruppenfindung einfanden, schlossen sich die Angeklagte und Rolf H. der „RAF“ an.

Im Herbst des Jahres 1976 kehrte sie - wie auch die weiteren Gruppenmitglieder der „RAF“ - in die Bundesrepublik zurück, um sich an „Aktionen“ der „RAF“ im Rahmen der sog. „Offensive 77“ zu beteiligen (hierzu nachf. B.I.2.a.).

Am 3. Mai 1977 wurde die Angeklagte gemeinsam mit Günter S. in Singen am Hohentwiel festgenommen. Weil die Angeklagte versucht hatte, sich dieser Festnahme durch gezielte Schüsse auf Polizeibeamte zu entziehen, wurde sie am 28. Dezember 1977 vom Oberlandesgericht Stuttgart u.a. wegen versuchten mehrfachen gemeinschaftlichen Mordes u.a. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt (s. nachf. II.1.b.).

Im Anschluss an ihre Festnahme verbüßte die Angeklagte zunächst bis zum 8. Oktober 1980 den verbliebenen Rest der vom Landgericht Berlin verhängten sechsjährigen Jugendstrafe. Ab 9. Oktober 1980 wurde gegen sie die seit 22. September 1978 rechtskräftig verhängte lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt.

Ihre Haftzeit verbrachte die Angeklagte nach ihrer Festnahme Anfang Mai 1977 zunächst ausschließlich - (…) - in der JVA Stuttgart-Stammheim. Am 31. März 1978 wurde sie in die JVA Frankfurt-Preungesheim verlegt. Wegen (…) wurde sie am 8. März 1979 in die (…) JVA Kassel verbracht; am 12. März 1979 wurde sie wieder in die JVA Frankfurt-Preungesheim zurückverlegt. Wegen (…) kam sie am 30. Januar 1981 erneut ins Justizvollzugskrankenhaus Kassel. Von dort wurde sie im Zeitraum vom 4. bis 7. Dezember 1981 in eine nicht näher bekannte Einrichtung (…) außerhalb des Vollzugs verbracht. Am 10. Dezember 1981 wurde sie in die JVA Köln und am 24. Februar 1987 schließlich in die JVA Willich II verlegt.

Während ihrer Haftzeit schloss sich die Angeklagte im Jahr 1977 und in den Folgejahren bis 1984 mehreren Hungerstreikaktionen von inhaftierten „RAF“-Angehörigen an, um eine Zusammenlegung mit diesen und Hafterleichterungen zu erreichen. Sie befand sich lange Zeit in Einzelhaft. Die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen war ihr zunächst verwehrt. Später lehnte sie - als sie ab August 1982 mit dem ebenfalls in die JVA Köln verlegten „RAF“-Mitglied Sieglinde H. Kontakt hatte - die Teilnahme an sämtlichen Gemeinschaftsveranstaltungen sowie am gemeinschaftlichen Hofgang ab. Sie nutzte vielmehr die ihr angebotene Möglichkeit, mit Sieglinde H. Umschluss zu erhalten.

Ab Ende des Jahres 1984 distanzierte sich die Angeklagte zunehmend von der „RAF“. Sie bemühte sich nicht mehr um Kontakte mit Sieglinde H., beteiligte sich in der Zeit von Dezember 1984 bis Februar 1985 nicht mehr an der weiteren Hungerstreikaktion inhaftierter „RAF“-Gefangener und zeigte sich an einer Zusammenlegung mit weiteren „RAF“-Gefangenen nicht mehr interessiert. Ab Anfang Dezember 1984 nahm sie am allgemeinen Umschluss, am gemeinschaftlichen Hofgang und sonstigen Gemeinschaftsveranstaltungen teil und drängte in der Folgezeit auf eine Verlegung in eine Anstalt, in der keine „RAF“-Mitglieder einsaßen.

Die Angeklagte beschäftigte sich ab 1985 mit Fernkursen in Biologie, Chemie und Latein, um sich auf eine von ihr angestrebte Berufsausbildung zur Heilpraktikerin vorzubereiten. Ende 1985 konnte sie auf eine „Normalzelle“ verlegt werden.

Am 10. Januar 1989 stellte sie ein Gnadengesuch, das von ihrer Mutter und ihrer Schwester unterstützt wurde. U.a. trug sie vor:

„meine taten, für die ich verurteilt wurde, sind bekannt. ich will da nichts relativieren (…) eines möchte ich mit nachdruck aussprechen: ich war sehr erleichtert, dass keiner der bei meiner verhaftung im mai 77 beteiligten polizeibeamten tödlich verletzt wurde.

was bleibt nach allen irrtümern und leiden, die auch von mir verursacht wurden, zu tun?

meines Erachtens nicht das wohlfeile büßer gewand, sondern bescheidenheit, die sich äußern muss in aufmerksamer sorgfalt und umsicht gegenüber den aktuellen bezügen meiner eigenen geschichte. nur so wird es möglich sein, insbesondere den gefühlen der opfer respekt zu erweisen und meiner persönlichen verantwortung gerecht zu werden.

nach meiner zweiten verhaftung, als meine zweifel am eigenen tun und deren wirkungen immer stärker wurden, habe ich mich bemüht, die dinge zu wägen ohne mich zu exponieren.

ich war erschöpft durch die situation der haft, aus der sich kein ausweg zeigte. es war eine sehr einsame, schwere zeit für mich. ich musste durch meine eigene hölle gehen.

wie sollte es auch anders sein, wenn man sich von überzeugungen, die man mit so einer unerbittlichen konsequenz verfolgt hat, langsam löst und das unter den bekannten hochsicherheitstrakt-bedingungen.

zu einer dauernden umkehr gehört nicht nur die nötige selbstprüfung und selbsterkenntnis, sondern genauso ein langsames erspüren neuer möglichkeiten und erkennen eigener grenzen (…)“

Mit Schreiben vom 12. April 1989 ist der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart einer Aussetzung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung durch Gnadenentscheid mit Wirkung zum 8. Oktober 1989 nicht entgegengetreten.

Der Generalbundesanwalt hat in einer Stellungnahme vom 30. Juni 1989 die bedingte Aussetzung der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe im Wege der Gnade mit Wirkung vom 9. Oktober 1990 befürwortet. Zur Begründung führte er aus, dass die Angeklagte in der Haft zu einer anderen Einstellung zu den von ihr begangenen Taten und den von ihr verursachten Leiden gefunden habe; dies bringe sie in ihrem Gnadengesuch glaubhaft zum Ausdruck. Hierin sei die Reue der Angeklagten über ihre Verbrechen deutlich geworden. Während der Haft habe sich die Verurteilte in einem sich über Jahre hinziehenden, schwierigen Prozess von ihren Überzeugungen und damit von der „RAF“ gelöst. Aus den beigezogenen Berichten der Leiter der Vollzugsanstalten in Köln und Willich II seien detailliert die Beobachtungen wiedergegeben, die eine Veränderung im Verhalten der Angeklagten zeigten. Es bestehe danach kein Zweifel daran, dass sie sich von der „RAF“, deren Gedankengut und Bewertungsmaßstäben unmissverständlich und frei von allen taktischen Überlegungen losgesagt habe.

Durch Entscheidung des Bundespräsidenten vom 25. September 1989 wurde die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe mit Wirkung zum 1. Dezember 1989 im Wege der Gnade zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von 5 Jahren festgesetzt.

Am 30. November 1989 wurde die Angeklagte aus der Vollzugsanstalt Willich II entlassen; ...

Durch Entscheidung vom 30. April 1995 hat der Bundespräsident der Angeklagten den nicht verbüßten Teil der Freiheitsstrafe, auf die der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart mit Urteil vom 28. Dezember 1977 erkannt hatte, im Wege der Gnade erlassen.

II. Ermittlungen/Strafverfahren gegen die Angeklagte

1. Gegen die Angeklagte ergangene Straferkenntnisse

a. Durch Urteil des Schwurgerichts des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 1974 (2 PKs 1/74; rechtskräftig seit 3. September 1975) wurde sie - gemeinsam mit Willi R. - wegen gemeinschaftlicher versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Von der Verfolgung wegen weiterer vorbereiteter und versuchter Brand- und Sprengstoffanschläge wurde im Strafverfahren abgesehen.

Der Verurteilung lagen folgende Sachverhalte zu Grunde:

„II.1. Im Herbst 1971 schlossen sich die Angeklagte und die flüchtige Inge V. wie zuvor schon der Zeuge Harald S. der ´Schwarzen Hilfe` an, einem Kreis, der sich mit der Betreuung vor allem sog. politischer Gefangener befasste. Bei den Mitgliedern dieses Kreises handelte es sich überwiegend um militante Kommunisten und Anarchisten. Durch sie lernte die Angeklagte u.a. Michael B., Heinz B. und Peter K. kennen, die bereits im Untergrund lebten und eine rein anarchistische Organisation aufbauten, die später den Namen ´Bewegung 2. Juni` (benannt nach dem Todestag O.s) erhielt. Man diskutierte über eine gewaltsame Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Dabei interessierte sich die Angeklagte weniger für theoretische, ideologische Fragen als für praktische Aktionen und war leicht beeinflussbar. Der Angeklagte R., der nach seiner Haftentlassung im Dezember 1971 zu dem Kreis stieß, bejahte ebenfalls gewaltsame Maßnahmen.

Nachdem es am 30. Januar 1972 in Londonderry/Nordirland bei einer Demonstration zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen war, erschienen B. und B. in der Wohnung Inge V.s in Kreuzberg, Eisenbahnstr. 22. Sie sprachen dort zunächst mit der Angeklagten über die Möglichkeiten eines Anschlages gegen eine Einrichtung der britischen Schutzmacht in Berlin als Vergeltungsaktion. Wie B. zeigten sich auch Inge V. und Harald S., die dann hinzugezogen wurden, damit einverstanden, einen solchen Bombenanschlag auszuführen. Man verabredete ein Treffen für den Abend des 31. Januar in einer Charlottenburger Gaststätte. (…).

Zu dem Treffen brachte B. den Angeklagten R. mit, der sich mit dem Vorhaben einverstanden erklärt hatte und den sie als ´zuverlässigen und brauchbaren Typ` bezeichnete.

In zwei Pkws fuhren B., B. und K. sowie V., S. und die beiden Angeklagten in eine von den Eheleuten Karin und Siegfried M. zu konspirativen Zwecken angemietete Wohnung in der Seybelstraße 26, zu der B. Schlüssel besaß.(…). Dort baute sodann der Zeuge B. in einer Art Vorführung für die Angeklagten, S. und V. den Sprengsatz zusammen. (…).

Brockmann erklärte beim Zusammenbau den Mechanismus der Bombe, verpackte sie in noch nicht scharfem Zustand in eine Tasche und überließ sie der Gruppe V., S., B. und R.

Diese vier erkundeten in der gleichen Nacht vereinbarungsgemäß britische Militäreinrichtungen in dem Raume Gatow-Kladow. Sie waren ihnen jedoch für den für die nächste Nacht geplanten Anschlag zu gut gesichert. Als ihnen auf der Rückfahrt auf dem Kladower Damm erneut ein Hinweisschild auf den britischen Yachtclub auffiel, fuhren sie zum Gelände, Nähe Breitehorn an der Havel. S. meinte, das Objekt eigne sich gut für einen Anschlag, da es wohl hauptsächlich von britischen Offizieren besucht und im Winter unbenutzt sein werde. (…). Sie beschlossen, dort die Bombe in der nächsten Nacht abzulegen, und unterrichteten die Mädchen davon. Diese waren einverstanden. Alle waren sich darin einig, dass nur Sachschaden verursacht werden sollte.

Die Angeklagte B. berichtete am nächsten Tage, dem 1. Februar 1972, der Gruppe B., B. und K. von dem Plan. Man verabredete als Zündzeitpunkt 2.15 Uhr der kommenden Nacht. Zur gleichen Zeit sollten weitere Anschläge der ´Bewegung 2. Juni` stattfinden.

Am Abend des 1. Februar 1972 kam S. wieder zu B. und Inge V. in die Eisenbahnstr. 22. Auf seinen Vorschlag beschriftete er einen DIN-A 3-Bogen mit dem Text: ´Solidarität mit der IRA, Kommando Rache für Londonderry`. Das Flugblatt sollte am Tatort hinterlassen werden.

Als nach Mitternacht auch der Angeklagte R. eintraf, fuhren alle vier zunächst mit dessen und ab Charlottenburg mit dem bereits in der vorigen Nacht benutzten Pkw eines Bekannten von Inge V. zum Tatort. Dort wendete Inge V. den Wagen und blieb als Fahrerin im Fahrzeug, um erforderlichenfalls eine schnelle Flucht zu ermöglichen. Die anderen überstiegen mit dem Sprengsatz den Zaun. Die Angeklagte B. beobachtete die Umgebung. S. und R. legten die Bombe an der Wasserseite des Clubhauses auf der Terrasse auf einem Stuhl in der Tür an einem Gebäudevorsprung ab.

Da sie sich etwas verspätet hatten, stellte der Angeklagte R. den Zündzeitpunkt erst auf 2.30 Uhr ein und schärfte die Bombe nach den Anweisungen B.s, indem er die Steckkontakte zwischen Wecker und Zünder herstellte und die Alarmtaste des Weckers betätigte. Dann stülpte er die Tasche wieder über den Sprengsatz und versicherte S., alles richtig gemacht zu haben. Dieser legte das Flugblatt in der Nähe ab. Alle verließen unbemerkt den Yachtclub und fuhren davon, ohne den Detonationszeitpunkt abzuwarten.

Während in dieser Nacht gleichartige Sprengsätze unter zwei PKW britischer Schutzmachtangehöriger in Charlottenburg detonierten, explodierte die Bombe im Yachtclub nicht zur vorgesehenen Zeit. Ob das an der winterlichen Kälte lag oder welche Ursachen sonst dafür maßgebend waren, konnte nicht geklärt werden.

Am 2. Februar 1972 zwischen 8:00 Uhr und 8:15 Uhr fand der 66-jährige Bootsbauer Erwin B., der seit etwa 20 Jahren im britischen Yachtclub beschäftigt war, auf seinem morgendlichen Rundgang durch das Gelände die Tasche mit dem Sprengsatz. Er nahm sie mit in das Bootshaus. Dort detonierte die Bombe kurz darauf. Das kann durch die Erschütterung beim Tragen, durch die höhere Temperatur im Bootshaus oder durch ein Hantieren des Bootsbauers an der Bombe ausgelöst worden sein. Die genaue Ursache ließ sich nicht feststellen.

Durch die Explosion wurden beide Hände Erwin B.s verletzt; an der rechten Hand wurden ihm mehrere Finger abgerissen. Eine sechskantige Metallverschlusskappe der Bombe drang in seinen rechten Unterbauch ein, verursachte dort eine breitklaffende Wunde und riss die rechte Oberschenkelschlagader auf. Der Bootsbauer war noch kurze Zeit handlungsfähig und versuchte, Hilfe herbeizurufen, brach dann im Bootshaus zusammen und verblutete. Die Zeugen Herbert und Helmut P. sowie ihr Kollege L. fanden ihn dort gegen 11:00 Uhr tot auf.

Als die Angeklagten, der Zeuge S. und Inge V. am Abend des 2. Februar von diesen Folgen ihres Anschlags durch das Fernsehen erfuhren, zeigten sie sich betroffen und teilweise erschüttert. Das galt besonders für den Angeklagten R., der danach an weiteren Aktionen der Gruppe nicht mehr teilnahm, jedoch weiter mit ihr sympathisierte und ihr wiederholt seinen PKW zur Verfügung stellte. B., Inge V. und Harald S. schlossen sich enger zusammen. Sie beseitigten alle Spuren, die auf ihre Täterschaft hindeuten konnten und beschlossen, in Zukunft vorsichtiger und sorgfältiger vorzugehen. Ihr Vorhaben, als eigenständige Gruppe der ´Bewegung 2. Juni` weitere gewaltsame Aktionen durchzuführen, gaben sie nicht auf.

2. Die dazu und zu ihrem Lebensunterhalt erforderlichen Geldmittel wollten sie sich durch Überfälle verschaffen. Wegen mehrerer solcher vergeblicher Unternehmungen sowie weiterer vorbereiteter und versuchter Brand- und Sprengstoffanschläge ist das Verfahren gegen die Angeklagte B. gem. §§ 154,154 a StPO eingestellt worden.

Nach einem aufgegebenen Überfall auf eine Filiale der Berliner Bank in Hermsdorf am 30. März 1972 erinnerte sich S. eines erfolgreichen Banküberfalls einer Gruppe der ´Bewegung 2. Juni` auf eine Filiale der Berliner Discontobank in Britz, Fritz-Reuter-Allee 173. Er und die Angeklagte B. besichtigten unter dem Vorwand, Einrollpapier für Geldmünzen zu benötigen, den Schalterraum der Bank. Sie sahen die Bank für einen Überfall zu dritt als geeignet an und planten in den folgenden Tagen die Ausführung der Tat im einzelnen so, wie sie dann auch ablief:

In der Nacht zum 4. April 1972 entwendeten die Angeklagten B. und Inge V. ein Klappfahrrad und den im Herzblattweg 12 abgestellten VW Käfer der Zeugin Sch.. Das Fahrrad stellten sie in der Backbergstraße ab, den PKW verbargen sie in einer Britzer Garage.

Am Morgen des 4. April 1972 fuhren sie gemeinsam mit S. mit der U-Bahn nach Britz und von dort mit dem gestohlenen Fahrzeug zu dem der Bankfiliale gegenüberliegenden Parkplatz. Sie waren mit von der Gruppe B., B., K. erhaltenen, geladenen Faustfeuerwaffen nebst Ersatzmunition bewaffnet: Inge V. mit einem Colt, Kaliber 45, B. mit einer ´Firebird`-Pistole und Harald S. mit einer 38er Special ´Smith&Wesson`. Die Waffen sollten bei dem Überfall als Drohmittel verwendet werden. Bei einer eventuellen Verfolgung wollten alle drei nur auf Polizeifahrzeuge schießen. Sie trugen Handschuhe. Inge V. hatte ihre Haare unter einer roten Ballonmütze versteckt. Sie fungierte wieder als Fahrerin. Die Angeklagten B. und S. gingen zur Bank.(…). Im Schaltervorraum maskierte sich B. mit einer Pudelmütze so, dass sie durch Sehschlitze sehen konnte. S. zog ein Halstuch bis zur Nase hoch. Er trug eine Sonnenbrille. Beide stürmten gegen 9:14 Uhr mit gezogenen Waffen in den Schalterraum und riefen: ´Überfall, Hände hoch, alles da rüber`. Mit vorgehaltener Waffe wies B. die etwa 10-15 anwesenden Kunden auf einen Platz zwischen Bankschalter und Tür und hielt die etwa 10-12 Angestellten in Schach. Den während des Überfalls die Bank betretenden Zeugen M. zog sie herein und drängte ihn zu den übrigen Kunden. S. lief zur Kassenbox am Schalterende und forderte den Kassierer, den Zeugen G., mit vorgehaltener Waffe zur Geldherausgabe auf. Der Zeuge stellte eine Geldlade mit ca. 9.000 DM auf den Tresen, aus der S. das Geld in eine mitgebrachte Plastiktüte steckte. Mit etwa den Worten: ´da unten ist noch mehr!` verlangte S. weiteres unter dem Tresen vermutetes Geld. Der Kassierer gab daraufhin aus dem dort tatsächlich befindlichen Tagestresor eine weitere Geldlade, deren Inhalt S. ebenfalls in die Plastiktüte verstaute. (…). Sein Halstuch rutschte einmal kurz herunter. Mit insgesamt 29.450 DM rannte er nach ein bis 2 Minuten zusammen mit der Angeklagten B. aus der Bank. Dort war vereinbarungsgemäß Inge V. gerade mit dem VW vorgefahren und hielt mit laufendem Motor. B. und S. sprangen in das Fahrzeug. Inge V. fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf dem abgesprochenen Fluchtweg zur Parchimer Allee davon, so dass sie der Zeuge M., der sie mit seinem PKW verfolgte, aus den Augen verlor.

An der Parchimer Allee verließen die Angeklagte und S. den PKW und fuhren getrennt mit der U-Bahn zur Wohnung Ulrich Schmückers in Neukölln, Weisestr. 30. Inge V. stellte den VW unverschlossen in der Backbergstraße ab und fuhr mit dem dort abgestellten Klappfahrrad ebenfalls zur Wohnung Sch.s. Sie hatte die Beute bei sich.

In dem aufgefundenen Fahrzeug der Zeugin Sch. stellte die Polizei die abgelegte Verkleidung der Täter und ein gefülltes, von B. verlorenes Magazin der ´Firebird` sicher. Später wurde noch eine Patrone gefunden.“

b. Durch Urteil des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Dezember 1977 (5-1 StE 1/77; rechtskräftig seit 22. September 1978) wurde die Angeklagte wegen zweier Verbrechen des versuchten gemeinschaftlichen Mordes (1), eines Verbrechens des gemeinschaftlichen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer, tateinheitlich zusammentreffend mit einem Verbrechen der gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung (2) und vierer tateinheitlich zusammentreffender Verbrechen des versuchten gemeinschaftlichen Mordes (3) schuldig gesprochen. Als Einzelstrafen hat der Senat je eine lebenslange Freiheitsstrafe (zu 1) und Freiheitsstrafen von 7 Jahren (zu 2) bzw. 10 Jahren (zu 3) als verwirkt angesehen, eine Gesamtstrafe von 13 Jahren Freiheitsstrafe aus den beiden zeitigen Strafen gebildet und im Entscheidungssatz auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt, weil daneben die weitere ausgesprochene lebenslange Freiheitsstrafe und die zeitige (Gesamt-) Freiheitsstrafe nicht vollstreckt werden können.

Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

„B. I. Am Morgen des 3. Mai 1977 trafen, mit der Bundesbahn von Essen kommend, die Angeklagte und der damals 22-jährige ledige Student Günter S. in Singen am Hohentwiel ein. Beide lebten im Untergrund. Gegen B. bestand ein Haftbefehl wegen der Vollstreckung der restlichen Jugendstrafe aus dem Urteil des Schwurgerichts Berlin vom 12. Dezember 1974. Nach der Angeklagten wurde außerdem, ebenso wie nach Günter S., wegen des Verdachts der Beteiligung an der Tötung des Generalbundesanwalts B. und seiner zwei Begleiter am 7. April 1977 in Karlsruhe gefahndet.

B. und S. beabsichtigten, in der Nähe des bereits auf schweizerischem Staatsgebiet liegenden Ortes Thayngen, der von Singen ca. 10 km entfernt ist, illegal über die sogenannte grüne Grenze in die Schweiz zu gelangen.

Die Angeklagte B. trug eine dunkelblaue Nappalederjacke, Bluejeans, Sportschuhe und eine weinrote lederne Umhängetasche, sowie aus Tarnungsgründen eine Brille. S. war bekleidet mit einer braunen Nappalederjacke, einer grünen Cordhose und Sportschuhen. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack, außerdem eine hellbraune lederne Herrenumhängetasche. Er hatte sich einen Rundbart wachsen lassen. Die Beiden hatten eine Anzahl von Waffen, größere Mengen Munition, gefälschte und verfälschte Ausweispapiere und zahlreiche Diebeswerkzeuge bei sich und zwar:

1) Waffen:

a) Die Angeklagte B. verfügte über einen sechsschüssigen Revolver Colt und einen fünfschüssigen Revolver Smith & Wesson, jeweils geladen mit Teilmantel-Hohlspitzgeschossen, sowie einen gefüllten Schnellader für die fünfschüssige Waffe. Weitere mindestens 16 derartige Patronen führte sie in der linken Außentasche ihrer Lederjacke mit sich. In ihrer Umhängetasche verwahrte sie eine durchgeladene Pistole FN mit 13 Patronen im Magazin.

b) Günter S. war mit einer durchgeladenen Pistole Smith & Wesson, die er in einem Lederholster am Gürtel trug, bewaffnet. Im Magazin der Waffe befanden sich acht Patronen. Außerdem hatte er drei weitere Magazine, gefüllt mit je acht Patronen, davon zwei Magazine in einer Magazintasche am Gürtel, bei sich. In der linken Außentasche seiner Lederjacke verwahrte er in einem Lederbeutel über 40 Patronen. Bei dem überwiegenden Teil der Munition handelte es sich um Teilmantel-Hohlspitz-Geschosse.

c) In dem Rucksack, den S. trug, befanden sich ein Selbstladegewehr ´Heckler und Koch`, Modell 43 Nr. 1001529 E, Kal. .223(5,56mm), Baujahr 1975, sowie drei Magazine mit 97 Patronen dieses Kalibers. Zwei weitere derartige Patronen verwahrte die Angeklagte B. in ihrer Umhängetasche. Bei dem Gewehr waren der Lauf um 10 cm und der Schaft um 24 cm gekürzt. Mit dieser Waffe waren, wie S. und B. wussten, am 7. April 1977 in Karlsruhe Generalbundesanwalt B. und seine zwei Begleiter getötet worden. Sie war außerdem zuvor in einem Wald bei Schützingen zu Schießversuchen benützt worden. Zerlegt führten sie im Rucksack die Pistole Star mit vier Magazinen und 29 dazugehörigen Patronen bei sich. Insbesondere das Selbstladegewehr, das, wie die Angeklagte und S. wussten, bei der Ermittlung des oder der Täter der Straftaten vom 7. April 1977 in Karlsruhe als Beweismittel eine erhebliche Rolle spielen konnte, wollten sie ebenso wie die zerlegte Pistole Star außer Landes schaffen. Wem das Gewehr gehört, ist, zumal bislang nicht geklärt ist, wer die Taten vom 7. April 1977 begangen hat, offen geblieben. Die Angeklagte und S. waren sich einig, dass sie im ´Ernstfall` von allen mitgeführten schussbereiten Waffen auch Gebrauch machen würden.

d) Weder die Angeklagte noch S. besaßen eine gültige Erlaubnis zum Besitz oder zum Führen auch nur einer Schusswaffe oder zum Besitz der Munition.

2) Ausweispapiere:

a) Die Angeklagte B. trug Ausweispapiere auf den Namen Telse P., geb. am 22. November 1954 in Marne, in ihrer Umhängetasche bei sich. Es handelte sich um einen Bundespersonalausweis (Nr. G 6118452), einen Führerschein der Klasse drei, ausgestellt vom Bezirksamt Harburg der Hansestadt Hamburg am 23. April 1975, und einen Mitgliedsausweis der DJH, Ortsverein Hamburg. In diesen ursprünglich echten Ausweispapieren waren das amtlich angebrachte Lichtbild jeweils gegen ein Foto der Angeklagten ausgewechselt und der Stempelabdruck ergänzt worden.

b) Günter S. hatte in einer Brieftasche in seiner Jacke Ausweispapiere auf den Namen Matthias H., geboren am 15. Juni 1955 in Speyer, bei sich. Es handelte sich um einen Bundespersonalausweis (Nr. G 2152260) und einen Führerschein der Klassen drei und vier, ausgestellt von der Stadt Speyer am 14. Mai 1973. Auch in diesen ursprünglich echten Papieren war das Lichtbild gegen ein solches des Günter S. ausgewechselt und der fehlende Stempelabdruck auf dem Lichtbild ergänzt worden. Außerdem hatte er gefälschte österreichische Ausweispapiere bei sich und zwar zwei Personalausweise auf die Namen Franz J. L. und Johann P. St., sowie einen Waffenpass auf den Namen Johann P. St., mit der angeblichen Berechtigung, 24 Faustfeuerwaffen zu erwerben und zu besitzen. Auch diese Ausweise waren mit seinem Lichtbild versehen. Schließlich hatte er einen total gefälschten Führerschein der Klassen drei und vier der Hansestadt Hamburg, angeblich ausgestellt am 17. April 1974 auf den Namen Günter C., geb. am 2. Oktober 1952 in Nürnberg, der mit seinem Lichtbild versehen war, in Besitz.

c) In der rechten vorderen Außentasche des Rucksacks befanden sich: ein total gefälschter Führerschein, angeblich ausgestellt von der Hansestadt Hamburg am 18. Juni 1974 auf den Namen Ralph M., geboren am 1.4.1951 in Freudenstadt, mit einem Lichtbild des Knut F.; ein Reisepass (C 9113664) auf den Namen Hans Eduard Karl T., geboren am 1. Oktober 1954 in Bühl, ein Führerschein der Klasse drei, ausgestellt vom Landratsamt Bühl am 5. Oktober 1972, und ein Studentenausweis der Universität Heidelberg vom 8. Oktober 1974, alle ebenfalls auf den Namen T. Auch in diesen drei ursprünglich echten Ausweisen waren das Lichtbild gegen ein Foto des Knut F. ausgewechselt und der Stempel nachgezogen worden. Diese Ausweispapiere sollten ebenfalls ins Ausland geschafft werden.

3) Im Rucksack steckten außerdem die österreichischen Autokennzeichenpaare T 109.111 und T 107.759, mehrere Landkarten der Schweiz und eine Vielzahl von Diebeswerkzeugen, geeignet zum Aufbruch und Kurzschließen von Kraftfahrzeugen. Die Angeklagte und S. führten insgesamt etwa 7.000 DM, circa 2.200 Schweizer Franken, 200 DM Ost und 47 US-Dollar bei sich.

II. 1) Gegen 8:30 Uhr betraten die Angeklagte und Günter S. in Singen das Café Hanser in der August-Ruf-Straße 4 und frühstückten. Eine Besucherin des Kaffees meinte sich zu erinnern, die beiden schon auf Fahndungsblättern im Zusammenhang mit der Tötung des Generalbundesanwalts B. gesehen zu haben. Sie ging eilig zu dem etwa 80 m entfernt liegenden Polizeirevier und schilderte Schichtführer POM W. ihren Verdacht. Nach Vorlage mehrerer Fahndungsfotos männlicher Personen meinte die Frau, es könne Knut F. sein. POM W. teilte dies dem eben zur Wache gekommenen Polizeihauptwachtmeister J., der im Bezirksdienst in Zivilkleidung tätig war, mit und verwies die Frau an ihn. Diese gab auch J., der ihr nochmals Fahndungsfotos der damals des Mordes an Generalbundesanwalt B. Verdächtigen Günter S., Knut F. und Christian K. sowie der Juliane P. zeigte, gegenüber an, dass F. und möglicherweise Juliane P. im Café Hanser säßen. POM W. ordnete an, dass J. und PHM S. die Personalien der beiden Personen im Café Hanser überprüfen sollten. Da J. seine Dienstwaffe nicht mit sich führte, überließ ihm W. seine Pistole, die durchgeladen und gesichert war. J. steckte sie in sein auf der rechten Körperseite am Gürtel angebrachtes Holster. Zu der Zeit waren auch beim Revier in Singen schon häufig Hinweise auf gesuchte Terroristen eingegangen, die sich stets als falsch entpuppt hatten. Deshalb maßen die drei Beamten dem Hinweis keine besondere Bedeutung bei und gingen davon aus, dass es sich um eine Routineüberprüfung handle.

2) Gegen 9:00 Uhr betraten S. - in Dienstkleidung - und J. - in Zivilkleidung - das Café Hanser. An der von der Hinweisgeberin bezeichneten Stelle saßen die Angeklagte und S. und frühstückten noch. Die beiden Beamten wünschten einen guten Tag und verlangten die Personalausweise. Schon nach einem kurzen Blick auf die zu überprüfenden Personen waren beide Beamte unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem Pärchen nicht um Knut F. und Juliane P. oder andere, sonst gesuchte Personen, handle.

S. und die Angeklagte erweckten den Anschein, in ihren Umhängetaschen nach ihren Personalpapieren zu suchen. Obwohl sie die unter B I 2 beschriebenen gut verfälschten Ausweispapiere (auf die Namen H. und P.) griffbereit bei sich hatten, machten sie davon keinen Gebrauch, vielmehr erklärte nach einigen scheinbar vergeblichen Versuchen zunächst S. und dann die Angeklagte, die Papiere befänden sich in ihrem Auto. Damit wollten die Angeklagte und S. zunächst einmal Zeit für ihre Flucht gewinnen. Sie wollten erreichen, dass sie nicht im Café durchsucht werden, was, wie sie wussten, schon angesichts der ohne Erlaubnis mitgeführten Waffen und sonstiger Gegenstände zu ihrer sofortigen Festnahme führen musste. Es kam ihnen darauf an, zunächst einmal das Café, in dem inzwischen zahlreiche weitere Gäste Platz genommen hatten, verlassen zu können. Sie wollten unter allen Umständen verhindern, dass die von ihnen mitgeführten Waffen und die Munition, insbesondere aber das Selbstladegewehr ´Heckler & Koch`, mit dem Generalbundesanwalt B. und seine zwei Begleiter getötet worden waren, und das auch aus der Sicht der Angeklagten und S. ein wichtiges Beweismittel für die Ermittlung der oder des Täters war, entdeckt wurden. Sie waren sich deshalb nach dem Auftauchen der Beamten, als S. das Stichwort gab, die Ausweispapiere seien im Auto, sofort einig, die Beamten im Freien - möglichst ohne Zeugen - unter Einsatz ihrer Schusswaffen an einer ihnen günstig erscheinenden Stelle zu töten.

Erwartungsgemäß forderte Seliger die Angeklagte und S. dann auch auf, mit den Beamten zum Fahrzeug zu gehen, damit dort die Personenüberprüfung vorgenommen werde.

Während S. die Zeche an der Theke bezahlte, fragte J. die Angeklagte nach dem Inhalt des auf einer Seite (wegen des Gewehrs) wesentlich höher gepackten Rucksacks. Sie wies auf S. und meinte, im Rucksack seien dessen ´Klamotten`. Anschließend verließen die Beamten mit S. und der Angeklagten das Café.

3) Vor dem Café deutete S. auf eine Frage S.s nach dem Standort des Autos die August-Ruf-Straße in nördlicher Richtung hinunter und meinte, das Fahrzeug stehe ´da vorne in einer Querstraße`. B., S. und die beiden Beamten bogen auf Veranlassung S.s auf der August-Ruf-Straße auf Höhe des Polizeireviers ostwärts in die Hegaustraße und überquerten auf dem linken Gehweg die Thurgauer- und die Alpenstraße. Vor jeder dieser Kreuzungen fragte S., ob dies die Querstraße sei. S. antwortete jeweils ´nein, noch nicht`. An der Kreuzung Hegau-/Alpenstraße mischte sich die Angeklagte B. ins Gespräch und meinte, indem sie S. anschaute, die nächste Querstraße sei es, wo das Fahrzeug stehe. Dies war für die Angeklagte und S. das Zeichen, doch zur Tat zu schreiten. S. erklärte seine Ortsunkenntnis S. gegenüber damit, dass sie beide aus Stuttgart kommen würden. Entsprechend dem Hinweis der Angeklagten bogen die vier Personen an der aus nördlicher Richtung in die Hegaustraße einmündenden Höristraße - sie hatten auf der Hegaustraße inzwischen ca. 360 m zurückgelegt - nach Norden ab. Nach weiteren etwa 120 m zeigte S. in nördlicher Richtung auf einen dort etwa 160 m entfernt hinter der Kreuzung Höri-/Freiheitsstraße liegenden Parkplatz und sagte zu S.: ´Da vorne, das rote Fahrzeug ist es`. Tatsächlich parkten an der bezeichneten Stelle zwei rote Fahrzeuge. Während des gesamten Fußmarsches sprachen die Angeklagte und S. kein Wort miteinander. Dies war aber auch nicht nötig. Aufgrund der an S. gegebenen Hinweise waren sie sich nun auch über den genauen Tatort und die Tatzeit einig. Die Angeklagte B. wurde, je mehr sich die Gruppe den parkenden Wagen näherte, immer nervöser. J. sah, wie sie sich in immer kürzeren Abständen mit der Zunge die Lippen benetzte. Sie schaute sich auch in verdächtiger Weise um. Dies veranlasste J., seine Pistole heimlich zu entsichern.

Die Gruppe überquerte die Freiheitsstraße auf der westlichen Seite bei einem auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehenden großen Kastanienbaum. Dort hatte der Zeuge Hans B. gerade sein Fahrzeug abgestellt. Er ist Angestellter des Autohauses E. und Leiter der Gebrauchtwagenabteilung. Der Gebrauchtwagenplatz liegt an der nordwestlichen Seite der Ecke Freiheits-/Höristraße, zwischen der Freiheitsstraße und der etwa 50 m nördlich davon parallel verlaufenden Theodor-Hanloser-Straße. Der Platz bis zur Höristraße hin ist mit einem Eternitzaun versehen. Zwischen diesem Zaun und der Höristraße standen auf dem etwa 6 m breiten Gehweg, rechtwinklig zur Höristraße, Fahrzeuge geparkt, darunter als zweites ein VW-Passat und als drittes der von S. bezeichnete Audi 50, der mit seiner Front zum Eternitzaun hinwies. B. verfolgte das weitere Geschehen, weil er das Erscheinen des uniformierten Seliger und dreier Zivilisten mit einem möglichen Diebstahl aus einem der dort geparkten Wagen in Verbindung brachte.

Nach dem Überqueren der Freiheitsstraße gingen B., S. und die beiden Beamten zunächst auf der Fahrbahn der Höristraße etwa 20 m weit. Von dort trat S. über den Gehweg auf die Beifahrerseite des Audi 50 zu und tat so, als suche er den Autoschlüssel. S. folgte ihm in einem Abstand von 3-4 m in Richtung auf die andere Seite dieses Fahrzeugs und stand dann, von der Höristraße aus gesehen, vor den parkenden Wagen etwa zwischen dem Audi 50 und dem VW-Passat. Dabei bemerkte er, dass an dem Audi 50 ein Konstanzer Kennzeichen angebracht war. Nach den Kennbuchstaben und den Kennziffern musste der Wagen auf einen Singener Bürger zugelassen sein. Dies erregte sein Misstrauen, weil S. zuvor gesagt hatte, er sei ortsunkundig und komme aus Stuttgart. S. griff deshalb vorsichtshalber einmal zur Pistolentasche.

J. und die Angeklagte B. waren auf der Fahrbahn der Höristraße geblieben und zwar J. auf der westlichen Seite und die Angeklagte mehr zur Fahrbahnmitte, 2-3 m von J. entfernt, etwa in Höhe des am Audi 50 stehenden Günter S. J. beobachtete noch, wie S. mit seiner rechten Hand in seine Kleidung griff. Da J. dabei ´ein ungutes Gefühl` hatte, griff er sicherheitshalber einmal zur Dienstpistole. Damit, dass die Angeklagte und S. entschlossen waren, sie zu töten, rechneten die beiden Beamten nicht im entferntesten.

4) Für sie deshalb völlig überraschend, zog S. in diesem Augenblick, dem gemeinsamen Tatplan entsprechend, die beiden Beamten gemeinsam zu töten, ohne dass es einer weiteren Verständigung mit der Angeklagten bedurfte, seine Pistole ´Smith & Wesson` und schoss im Drehen mit dem beschriebenen Tötungsvorsatz auf S.. Der erste Schuss traf Seliger entweder am linken Oberschenkel oder an der rechten Hand. Der Beamte brach rückwärtslaufend oder -stolpernd zusammen. Währenddessen schoss S. weiter gezielt auf S.. Dieser konnte seine Dienstpistole nicht mehr ergreifen, weil an seiner rechten Hand ein Teil des Mittelfingers abgeschossen war. Er versuchte, am Boden kriechend, auf der Beifahrerseite des VW-Passat Deckung zu finden. S. ging hinter ihm her und gab mit ausgestrecktem Arm aus etwa 2 m Entfernung noch zwei gezielte Schüsse auf S. ab, die auch trafen. S. schoss insgesamt neun Mal gezielt auf S., bis sein Magazin leer war.

5) Fast gleichzeitig oder unmittelbar nach Abgabe des ersten Schusses durch Günter S., als J. eben zur Dienstpistole gegriffen hatte, drehte sich die Angeklagte B. blitzschnell zu J., dem sie bislang den Rücken gezeigt hatte, um und schoss entsprechend dem gemeinsamen Tatplan aus der Drehung heraus mit ihrem Revolver ´Colt Detective Special` mit dem oben geschilderten Tötungsvorsatz aus etwa 2 m Entfernung auf J.. Die Kugel durchschlug dessen rechten Unterarm. Er schrie auf und ließ sich fallen. Die Pistole fiel ihm aus der Hand. Während des Fallens gab die Angeklagte noch einen gezielten zweiten Schuss auf J. ab, der jedoch nicht traf. J. blieb auf der Fahrbahn der Höristraße bewegungslos auf der rechten Körperseite liegen, den linken Arm auf der linken Körperseite, den rechten Arm angewinkelt am Kopf, die Augen geschlossen. Auf den so bewegungslos vor ihr liegenden Beamten gab die Angeklagte noch mindestens einen gezielten Schuss ab, der die Lederjacke des J., die sich beim Fallen geöffnet hatte, an der rechten Brusttasche von innen nach außen durchschlug, dabei ein in der rechten Jackentasche steckendes Notizbuch und ein Schlüsseletui beschädigte und Jacke und Hemd am rechten Ellenbogen streifte.

Da sich J. nicht mehr bewegte, hielt ihn die Angeklagte B. für tot und wandte sich S. zu. Sie schaute zu, als dieser auf Seliger die beiden letzten Schüsse abgab. Die Angeklagte und S., die davon ausgingen, dass auch S., der sich nicht mehr rührte, alsbald sterben werde, rannten dann miteinander, um nicht gefasst zu werden, auf dem Gehweg der Höristraße in Richtung Theodor-Hanloser-Straße, ihre Waffen noch in der Hand haltend.

6) S. erlitt durch die Schüsse des S. folgende sechs Verletzungen: einen Durchschuss von unterhalb des rechten Schlüsselbeins mit Ausschuss an der Außenseite des rechten Oberarms, eine weit klaffende Verletzung der Weichteile der rechten vorderen Brustwand von unterhalb der Brustwarze bis etwa zum rechten Rippenbogen, eine ähnliche Verletzung an der linken Brustwand vorne und seitlich, einen Durchschuss des linken Oberschenkels mit einem Einschuss an der Vorderseite und zwei Ausschüssen an der Hinterseite, einen Steckschuss im Bereich des linken Hodensackes mit einer Verletzung des linken Hodens und des Schwellkörpers, eine Zertrümmerung des Mittel- und Endgliedes des rechten Mittelfingers.

Beide Fingerglieder mussten amputiert werden. S. blieb beim Eternitzaun, zwischen dem VW-Passat und einem Pkw Marke Ford liegen. Dort wurde er von dem Zeugen B. und R. blutverschmiert angetroffen.

7) Nachdem keine Schüsse mehr zu hören waren, schlug J. die Augen auf, ergriff seine Dienstpistole, stand auf und rannte, weil er nicht wusste, wohin die Täter geflüchtet waren, in Richtung Freiheitsstraße. An der Kreuzung sah er an einem Lkw einen älteren Mann stehen, der ihm die Fluchtrichtung der beiden Täter wies. Währenddessen waren B. und S., die sich bei ihrer Flucht immer wieder nach Verfolgern umschauten und die bemerkt hatten, dass J. entgegen ihrer Annahme doch nicht tot war, nach links in die Theodor-Hanloser-Straße verschwunden. Ungeachtet seiner blutenden Armverletzungen nahm J., der infolge seiner Aufregung den am Eternitzaun liegenden S. nicht bemerkte, die Verfolgung der Angeklagten und ihres Begleiters auf. Da jedoch der Vorsprung der Flüchtenden zu groß war, bat er den Zeugen Roland Sch., der, durch die Schüsse aufgeschreckt, die flüchtigen Täter von seinem Arbeitsplatz in der Theodor-Hanloser-Straße aus beobachtet und sich in sein Fahrzeug gesetzt hatte, den Tätern nachzufahren. Sch. verlor jedoch die beiden, die nach etwa 120 m von der Hanloser Straße in die Alpenstraße nach Süden abgebogen waren, aus den Augen. Er nahm deshalb den Verletzten J. in sein Fahrzeug auf und fuhr mit ihm in Richtung Polizeirevier. In der Nähe des Polizeireviers, an der Hartwig-Thurgauer-Straße ließ J. bei einem Polizeifahrzeug Mercedes, das mit den Beamten W. und F. besetzt war, anhalten und erstattete ihnen Bericht. Währenddessen fuhren die Polizeibeamten Sch. und W. in einem Dienstwagen VW-Passat mit Blaulicht und Martinshorn in Richtung Freiheitsstraße. Dem Beamten Schwarze war von der Zeugin P., die im Büro des Dr. Sl. an der südöstliche Ecke der Höri-/Freiheitsstraße arbeitete und die einen Teil des Geschehens beobachtet hatte, bruchstückhaft mitgeteilt worden, dass an der Freiheitsstraße jemand totgeschossen worden sei. Näheres hatte er nicht erfahren. Als W. und F. mit ihrem Fahrzeug dem Polizei-VW-Passat folgten, bat J. den Zeugen Sch., ihn ins Krankenhaus zu fahren.III.

Die Angeklagte und S. hatten auf ihrer Flucht inzwischen die Kreuzung Alpen-/Freiheitsstraße erreicht und befanden sich nur etwa 120 m westlich des Tatortes vor den Geschäftsräumen des Autohauses E. Sie waren sich im klaren darüber, dass sie verfolgt wurden und eine erfolgreiche Flucht nur mit einem Fahrzeug möglich war. Sie beschlossen deshalb, unter allen Umständen, erforderlichenfalls auch unter Einsatz der mitgeführten Schusswaffe, sich eines vorbeifahrenden Fahrzeugs für die weitere Flucht zu bemächtigen.

Zu dem Zeitpunkt kam der Kaufmann Rainer P. mit seinem Pkw, einem blauen Opel Ascona, aus westlicher Richtung auf der Freiheitsstraße mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren. Als er sich der Kreuzung Freiheitsstraße/Alpenstraße näherte, traten, entsprechend dem gemeinsamen Plan, zuerst S. und dann die Angeklagte, auf die Fahrbahn der Freiheitsstraße. S. machte mit beiden Armen heftige Anhaltebewegungen. P. musste, wollte er die beiden Fußgänger nicht überfahren, anhalten. Er machte eine Vollbremsung. Hinter ihm konnte der Landwirt Anton St. seinen Wagen gerade noch zum Halten bringen. Während die Angeklagte etwa vor dem rechten Kotflügel des Opel Ascona stehen blieb, trat S. zum Fahrer, der die linke Seitenscheibe heruntergedreht hatte, und erklärte P., er sei von der Kriminalpolizei und benötige das Fahrzeug, um eine Verfolgung aufzunehmen. Als P. von S. die Vorlage eines Dienstausweises verlangte, riss S. die Fahrertüre auf, zog gleichzeitig seine Pistole, bedrohte P. damit, indem er die Waffe auf höchstens 20 cm Entfernung auf den Kopf oder Hals des Zeugen richtete und rief: ´Raus`. Die Waffe war zwar zu dem Zeitpunkt, was P. nicht wusste, leergeschossen, S. hatte jedoch, was auch der Angeklagten bekannt war, 3 gefüllte Magazine, davon zwei sofort griffbereit in einer Tasche am Gürtel, zum Nachladen bei sich. Die Waffe konnte also in kürzester Zeit durch Magazinwechsel und durch Laden schussbereit gemacht werden. Außerdem hatte die Angeklagte drei geladene Faustfeuerwaffen zur Verfügung und war bereit, damit erforderlichenfalls einzugreifen. Da P. mit seinem Wagen eingekeilt war - vor dem Wagen stand die Angeklagte und hinter ihm der Wagen des Zeugen S. - und er angesichts der Enge im Wagen am Fahrersitz keine Fluchtmöglichkeit hatte, S. vielmehr ausgeliefert war, entschloss er sich angesichts dieser bedrohlichen Situation, auszusteigen und seinen Wagen Günter S. und der Angeklagten, die vorübergehend ebenfalls zur Fahrerseite kam, zu überlassen. Als P. für S. nicht schnell genug ausstieg, packte S. den Fahrer beim Aussteigen, nachdem er die Pistole in die linke Hand genommen hatte, am Jackett und zog ihn vollends aus dem Wagen heraus.

S. warf den Rucksack auf den Rücksitz, setzte sich ans Steuer des Wagens und öffnete die Beifahrertüre. Die Angeklagte rannte dorthin und stieg rasch ein. Nachdem S. zunächst den Motor abgewürgt hatte, gelang es ihm schließlich, den Wagen in Gang zu bringen. Er bog nach links in die Alpenstraße ab, befuhr sodann die Ekkehardstraße, eine Parallelstraße zur Freiheitsstraße, nach links in westlicher Richtung, bog nach Norden in die Höristraße ein, befuhr in unmittelbarer Nähe des ersten Tatortes auf der Freiheitsstraße in westlicher Richtung, kam so wieder am Autohaus E. vorbei und setzte die Flucht mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h stadtauswärts in Richtung Hauptstraße fort. Die Angeklagte und S. fühlten sich einigermaßen sicher, Verfolger waren nicht erkennbar.IV.

Die Freiheitsstraße führt als Einbahnstraße mit drei Fahrspuren auf die Hauptstraße zu. Die linke Fahrspur ist für Linksabbieger nach Rielasingen bestimmt. Die mittlere Spur (B 34) und die rechte Spur (B 33) sind als Rechtsabbiegespuren ausgeschildert und führen nach Waldshut bzw. Schaffhausen (B 33) und nach Donaueschingen (B 34). An der Einmündung der Freiheitsstraße in die in Nord-Südrichtung verlaufende Hauptstraße befindet sich eine Lichtzeichenanlage. Die beiden Rechtsabbiegerspuren und die Linksabbiegespur sind durch eine Verkehrsinsel an der Einmündung getrennt.

1) Als sich die Angeklagte und S. der Einmündung mit dem Opel Ascona näherten, zeigte die Ampelanlage für alle Fahrspuren ´rot`. S. hielt auf der mittleren Fahrspur hinter einem unmittelbar vor der Ampel stehenden VW an. Auf der rechten Spur stand neben dem Opel Ascona ein Lkw-Mercedes mit Anhänger, der vom Zeugen Oskar B. gesteuert wurde. In der Zwischenzeit waren die Beamten Sch. und W. mit dem VW-Passat über die Thurgauer-Straße entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung in die Freiheitsstraße in westlicher Richtung eingebogen, waren beim Autohaus E. von Passanten auf den Fluchtweg und das Fahrzeug der Täter samt Kennzeichen aufmerksam gemacht worden, hatten gewendet und verfolgten mit Blaulicht und Martinshorn die Täter. An der Ampelanlage hielt Sch. den Dienstwagen auf der freien Linksabbiegespur, schräg versetzt in Höhe der hinteren Stoßstange des Opel Ascona, den die beiden Beamten als das bezeichnete Fluchtfahrzeug erkannten, an. Auch die Polizeiobermeister W. und F., beide vom Verkehrszug Mühlhausen-Ehingen, beteiligten sich an der Verfolgung. Sie waren, nachdem sie von J. kurz informiert worden waren, zur Freiheitsstraße gefahren und waren dort ebenfalls von Passanten auf das Fluchtfahrzeug und die Fluchtrichtung hingewiesen worden. Sie hielten mit ihrem Dienst-PKW Mercedes an der Einmündung der Freiheits- in die Hauptstraße mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn ca. 5 m hinter dem VW-Passat, je etwa zur Hälfte auf der mittleren und der linken Fahrspur, an. Schon kurz zuvor waren der Zeuge Sch. mit dem verletzten Polizeibeamten J. auf der Fahrt in das Singener Krankenhaus an der Signalanlage angelangt und unmittelbar hinter dem Opel Ascona zum Stehen gekommen.

2) Die beiden Flüchtenden hatten ihre Verfolger bemerkt. In dieser - neuen - Situation ging es ihnen nur noch beiläufig darum, die Entdeckung der mitgeführten Waffen und Munition zu verhindern, in erster Linie kam es ihnen darauf an, zu flüchten, um ihre Identität zu verschleiern und nicht für die kurz zuvor begangenen Straftaten in der Höristraße und beim Autohaus E. zur Verantwortung gezogen werden zu können. Da S. durch die Steuerung des Wagens voll in Anspruch genommen war, fiel der Angeklagten fortan die Aufgabe zu, die Verfolger durch Einsatz der mitgeführten gebrauchsfähigen Schusswaffen auszuschalten. Die Angeklagte und S. waren sich einig, dass die Verfolger dabei möglicherweise zu Tode kommen konnten. Dies nahmen sie billigend in Kauf. Der Versuch der Angeklagten B., die Beifahrertüre zu öffnen, scheiterte zunächst, weil das Fluchtfahrzeug zu nahe an dem Lkw des Zeugen B. stand und die Türe wegen des unmittelbar daneben befindlichen vorderen linken Rads des LKW`s kaum zu öffnen war.

a) Die Angeklagte, die inzwischen den Rucksack vom Rücksitz in den vorderen rechten Fußraum gestellt hatte, zog deshalb das Selbstladegewehr aus dem Rucksack und brachte es zwischen den Vordersitzen hindurch in Richtung des VW-Passat in Anschlag. Mit der Waffe konnte sie jedoch nicht schießen, weil sie nicht durchgeladen war, und ein Durchladen wegen der Enge im Wagen und/oder des dazu erforderlichen Kraftaufwandes ihr nicht ohne weiteres möglich war. Sie warf deswegen die Langwaffe auf den Rücksitz.

b) Inzwischen versuchte S., sich mit dem Fluchtfahrzeug zwischen dem vor ihr stehenden PKW und dem VW-Passat hindurchzuzwängen. Dabei geriet er gegen den Randstreifen der Verkehrsinsel und würgte den Motor ab. Die Angeklagte ersetzte währenddessen in ihrem Revolver die verschossene Munition und wechselte das leere Magazin in der Pistole S. gegen ein volles aus. W., der ebenso wie sein Kollege Sch. das Gewehr nicht bemerkt hatte, war inzwischen an der Beifahrerseite des VW-Passat ausgestiegen und unbewaffnet - seine Dienstwaffe hatte immer noch J. im Besitz - auf das Fluchtfahrzeug zugegangen. Auch Polizeiobermeister Sch. war ausgestiegen. Er befand sich gerade neben der Fahrertüre seines Wagens, als die Angeklagte die Beifahrertüre des Opel Ascona öffnete und mindestens so weit ausstieg, dass sie sich nach hinten umdrehen konnte. Mit einem der beiden Revolver gab sie über das Dach des Wagens in Richtung der beiden zueinander zwar versetzt, aber von ihr aus etwa in einer Richtung stehenden Verfolger W. und Sch. einen Schuss ab, wobei sie die Tötung zumindest eines der Beamten billigend in Kauf nahm. Die beiden Polizeibeamten konnten sich jedoch zuvor wegducken, wobei Sch. neben der Fahrertüre Schutz suchte. Das abgefeuerte Projektil streifte im flachen Winkel die linke untere Seite der Windschutzscheibe des VW-Passat etwa in Höhe des Fahrersitzes. Inzwischen waren auch die Insassen des Polizei-Mercedes aus ihrem Wagen gesprungen und hatten hinter dem Wagen des Zeugen Sch. Schutz gesucht. Als nunmehr die Signalanlage auf ´grün` schaltete, fuhren S. und B. auf der Hauptstraße, nach rechts abbiegend, davon. W. und F. gaben je zwei Schüsse aus ihrem Dienst Pistolen auf dem Opel Ascona ab. Sie folgten dann mit ihrem Wagen dem VW-Passat, dessen Insassen sofort die Verfolgung der Flüchtenden aufgenommen hatten. Sch. fuhr den Beamten J. ins Krankenhaus.

c) S. änderte nach kurzer Fahrt auf der Hauptstraße die Fahrtrichtung und fuhr nach einer Straßenspinne, einen Haken schlagend, nach rechts in die geradeaus führende Burgstraße ein. Er erhöhte dann seine Geschwindigkeit bis auf ca. 100 km/h und fuhr in die Keltenstraße ein, die bis zum Ende des bebauten Stadtgebietes asphaltiert ist, sich dann verengt als Feldweg fortsetzt und in ein Wiesen-, Acker- und Baumgelände südlich der Aach mündet. Der geradeaus führende Feldweg steigt zunächst leicht an und erreicht dann eine Kuppe, von der aus er bis zu seinem Ende, etwa 25 m weiter, abfällt. Am Ende des Feldweges ist eine quer verlaufende, rot/weiß gestrichene Warnbake angebracht. Die Fortsetzung der Fahrt ist dort nur in einem Winkel von ca. 90 Grad nach rechts oder links möglich. Infolge der für die örtlichen Verhältnisse überhöhten Geschwindigkeit bemerkte S. zu spät, dass eine Weiterfahrt geradeaus unmöglich war. Trotz scharfen Bremsens, wodurch eine Staubwolke aufgewirbelt wurde, fuhr er noch leicht auf die Bake auf. Dabei wurde das Fluchtfahrzeug an der vorderen Stoßstange geringfügig beschädigt. Sch., dem die örtlichen Verhältnisse vertraut waren, hielt den VW-Passat auf der Kuppe an. Martinshorn und Blaulicht waren noch in Betrieb. Als die Staubwolke sich zu lichten begann, sahen die beiden Beamten, dass die Angeklagte B. auf der Beifahrerseite ausgestiegen war. Sie stand vor der geöffneten Beifahrertüre des, von den Beamten aus gesehen, schräg nach links vor die Bake gesetzten Opel Ascona und war deshalb teilweise durch das Fahrzeug gedeckt. Sie schoss mindestens zweimal auf ihre Verfolger, die, jeder auf seiner Fahrzeugseite, ins Freie sprangen. Sie nahm dabei entsprechend dem zuvor gemeinsam gefassten Fluchtplan den Tod der Beamten billigend in Kauf. Sie traf jedoch nicht. W. hatte sich während der Verfolgungsfahrt Dienstpistole und Ersatzmagazin des Sch. geben lassen. Er erwiderte das Feuer und schoss etwa fünf Mal zurück, ebenfalls ohne zu treffen. Währenddessen waren auch die Beamten W. und F. eingetroffen. Sie sahen im Heranfahren, wie ihre beiden Kollegen aus dem Wagen sprangen und Deckung suchten. Sie hielten deshalb hinter dem VW-Passat an. W. suchte hinter diesem Fahrzeug Schutz, F. warf sich nach rechts auf die Wiese.

d) S. hatte zwischenzeitlich das Fluchtfahrzeug startklar gemacht. Die Angeklagte war rasch wieder ins Fahrzeug eingestiegen. S. stieß mit dem Fahrzeug zurück und bog sodann nach rechts ab. W., der seine Pistole nachgeladen hatte, sowie W. und F. feuerten auf den ihnen beim Wegfahren die rechte Breitseite zeigenden Opel Ascona. Der Wagen erhielt dabei insgesamt vier Treffer. Nach etwa 30 m fuhr S. das Fluchtfahrzeug, dessen rechter Hinterreifen Luft verloren hatte, nach links in eine Wiese und hielt an. W. rannte derweil zur Warnbake. Die Angeklagte sprang erneut aus dem Fluchtfahrzeug und schoss mit bedingtem Tötungsvorsatz mindestens einmal in Richtung des Beamten F., der auf der Wiese rechts des Feldweges in ihr Blickfeld gekommen war. F. schoss viermal zurück, dann war sein Magazin leer. Die Angeklagte B. rannte sodann zur Fahrerseite. Dort hantierte S. an dem Selbstladegewehr. Dies veranlasste F., in Deckung zu gehen und seinen Kollegen zuzurufen, dass einer der Täter eine ´MP` habe. S. ließ das Gewehr ´HK 43` schließlich im Fahrzeug zurück und rannte der Angeklagten nach, die ihn zuvor schon vom Fahrzeug weggezogen hatte. Er holte sie alsbald ein. Beide flüchtenden zu Fuß über eine leicht abfallende Wiese in Richtung Aach. Den Rucksack samt Inhalt und das Selbstladegewehr hatten sie im Auto zurückgelassen. Sie hatten nur die Umhängetaschen mitgenommen. Während Sch. mit dem VW-Passat langsam zu dem Fluchtfahrzeug fuhr, riefen die Beamten W., W. und F. den beiden Flüchtenden wiederholt zu, sie sollten stehen bleiben, die Hände hoch nehmen und sich ergeben. Etwa in der Mitte der Wiese, nach etwa 40 m Flucht, drehten sich die Angeklagte und S. um. Jeder von ihnen hielt einen Revolver in der Hand. Mindestens einer der beiden - zu Gunsten der Angeklagten geht der Senat davon aus, dass es S. war - schoss in Richtung des Polizeibeamten W., in dessen Nähe sich auch der Zeuge F. aufhielt. S. und die Angeklagten nahmen dabei den Tod des Beamten innerlich billigend in Kauf. Dann liefen die Flüchtenden weiter. Nach weiteren vergeblichen Zurufen, die Waffen wegzuwerfen und sich zu ergeben, schoss W. dreimal auf die Flüchtenden. Von einem dieser Schüsse wurde S. hinter dem rechten Ohr getroffen. Er torkelte und stürzte etwa 80 m vom Fluchtfahrzeug entfernt, auf einem Acker an der Aach zu Boden. Er versuchte wiederholt vergeblich, sich aufzurichten. Die Angeklagte, die bereits einige Meter weiter gelaufen war, kehrte zu S. zurück. Auch ihr gelang es nicht, ihn aufzurichten. W., W. und F. gingen nun in dieser Reihenfolge - von links nach rechts - in einem seitlichen Abstand von etwa 20 m zueinander auf die Angeklagte und S. zu. Die Angeklagte B. hielt jetzt zwei Revolver in den Händen. Der wiederholten Aufforderung, die Waffen wegzuwerfen, leistete sie keine Folge. Sie schoss vielmehr auf den ihr am nächsten gekommenen Verfolger, den Polizeibeamten W., der sich ihr auf 20-30 m genähert hatte, ohne jedoch zu treffen. Auch bei diesem Schuss nahm sie den Tod des verfolgenden Beamten billigend in Kauf. W. rief daraufhin seinem Kollegen F., der auf Hinweis seines Begleiters W. aus dem Fluchtfahrzeug das - bereits entsicherte - Selbstladegewehr ´Heckler und Koch` geholt und durchgeladen hatte, zu, er solle schießen. F. legte das Gewehr an einem Baumstamm an und schoss einmal gezielt auf die Angeklagte B.. Er traf sie in den linken Unterschenkel. Sie sackte zusammen und blieb auf dem Acker liegen. Unter ständigem Zurufen, die beiden Waffen wegzuwerfen, kamen die Beamten näher. Erst nach längerem Zögern warf die Angeklagte den einen und nach weiterem Zögern schließlich den zweiten Revolver weg. Erst jetzt konnten B. und S. entwaffnet und festgenommen werden. Unmittelbar danach trafen von Sch. sofort nach der Verletzung des S. alarmierte Krankenwagen ein. B. und S. wurden in das städtische Krankenhaus Singen gebracht, wo S. alsbald einer lebensrettenden Kopfoperation unterzogen wurde.

e) Aus den beiden von der Angeklagten zuletzt benützten Revolvern waren jeweils drei Patronen verfeuert. Zwei bzw. drei Teilmantel-Hohlspitz-Geschosse waren noch in den Trommeln. In ihrer Umhängetasche hatte die Angeklagte noch die durchgeladene Pistole ´FN`. In der Umhängetasche des S. befand sich die Pistole ´Smith&Wesson`, durchgeladen und mit sieben Patronen im Magazin. Außerdem hatten sie die unter B I 1 beschriebene Munition in ihren Lederjacken.

f) Die Beamten W., Sch., W. und F. waren durch die Schüsse nicht verletzt worden. Der Polizeibeamte J. befand sich wegen der Schussverletzung am rechten Arm drei Wochen in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Er war deshalb bis 4. Juli 1977 dienstunfähig. Die Verletzung ist folgenlos verheilt. Die Verletzungen des Polizeibeamten S. waren - im Nachhinein betrachtet - nicht lebensgefährlich, weil keine lebenswichtigen Organe oder eine Schlagader getroffen worden waren. S. lag drei Wochen im Krankenhaus und musste weitere fünf Wochen ambulant behandelt werden. Er war vier Monate nicht im Dienst. Die einzige Dauerfolge aus dem Geschehen ist der durch die Teilamputation eingetretene Verlust des Mittel- und Endgliedes des rechten Mittelfingers. S. übt den gleichen Dienst wie vor den Verletzungen aus.(..)“

Im Rahmen der Strafzumessung hat der Senat ausgeführt:

„E. Die Strafzumessung

I. Strafzumessungserwägungen zu den Mordversuchen an den Polizeibeamten J. und S.

1. (…)2. (…)3. Diese von der Rechtsprechung entwickelten und an Schuldgesichtspunkten orientierten Grundsätze verbieten eine Strafmilderung für die Mordversuche der Angeklagten an den Polizeibeamten J. und S.. Die Angeklagte und S. haben als Mittäter in der Höristraße nach ihrer Vorstellung alles getan, um die Polizeibeamten J. und S. zu töten (beendeter Versuch). Beide haben mit großkalibrigen Faustfeuerwaffen nicht nur aus kürzester Entfernung auf die Beamten das Feuer eröffnet, sondern haben auch noch auf die regungslos am Boden Liegenden weitergeschossen. Die Angeklagte hat auf den mit geschlossenen Augen wie tot daliegenden J. einen gezielten, S. hat auf den ebenfalls am Boden liegenden S. zwei gezielte Schüsse abgegeben. Diese ´Fangschüsse` machen überdeutlich, dass die Angeklagte und S., die den Tod der Beamten unter allen Umständen wollten - aus ihrer Sicht - über das dafür Erforderliche sogar noch hinausgingen. Die Angeklagte und S. haben mit einer kaum noch zu überbietenden kriminellen Energie und Ausdauer gehandelt.

Irgendwelche sonstigen Gesichtspunkte von Belang in der Täterveranlassung, den Tatumständen oder im Verhalten der Angeklagten nach der Tat, welche eine mildere Beurteilung der Mordversuche zuließen, sind nicht ersichtlich. Die Angeklagte und ihr Begleiter wollten von vornherein jegliches Risiko für sich selbst ausschließen und machten so noch nicht einmal von ihren gut verfälschten Ausweisen Gebrauch, sondern lockten die Beamten in eine ruhige Seitenstraße und ließen ihnen dort keinerlei Chance. Auch aus dem bisherigen Werdegang der Angeklagten sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche für eine Strafmilderung sprechen. Die Angeklagte hat bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen. Am 12.12.1974 war sie wegen versuchter gemeinschaftlicher Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung zu 6 Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Davon hatte sie vor Begehung der nunmehr zur Aburteilung stehenden Straftaten etwa zweieinhalb Jahre verbüßt, ohne dass dies ihre Lebenseinstellung in irgendeiner Weise korrigiert oder sie abgeschreckt hätte. Auch ihre am 3.3.1975 im Rahmen der Entführung des Peter L. im Wege der Freipressung erlangte Freiheit hat sie nicht zu einer anderen Einschätzung des Lebens anderer Menschen veranlasst. In ihrer Tat kam in augenscheinlicher Weise wiederum zum Ausdruck, wie gering sie das Leben ihrer Mitmenschen einschätzt.

Auch ein politisch gefärbtes Motiv der Angeklagten, die sich in ihrem Schlusswort als Gefangene aus der ´RAF` bezeichnet hat, kann die Tat im vorliegenden Fall nicht in einem milderen Licht erscheinen lassen. Berücksichtigenswert erschien dem Senat, dass die Angeklagte im gesamten Strafverfahren, auch in ihrem Schlusswort nicht ein einziges Wort über die Opfer verlor. Wohl aber beklagte sie sich ausführlich über ihre Haftbedingungen, die sie in bewusster maßloser Übertreibung als Folter bezeichnete. Um ihre mit dem derzeitigen Gesellschaftssystem in Widerspruch stehenden Ziele zu erreichen, ist ihr jedes Mittel recht. In ihrem Schlusswort räumte sie dies ein, indem sie zwar meinte, die ´RAF` wolle den Terrorismus nicht, aber manchmal gebe es eben keine andere Möglichkeit. Die im Urteil des Schwurgerichts Berlin vom 12.12.1974 ausgesprochene negative Prognose über den weiteren Werdegang der Angeklagten hat sich voll bestätigt. Sie lebt in einer Welt, in der eine Art revolutionäre Moral gilt und in der sie, vollkommen ichbezogen, sich über die geltende Rechtsordnung einfach hinwegsetzt und sich zum Maß aller Dinge macht.

4. Anhaltspunkte für einen Schuldmilderungsgrund sind nicht ersichtlich.

5. Die Angeklagte hat unter Berücksichtigung all dieser Umstände für jeden der versuchten gemeinschaftlichen Morde je eine lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt.

II. Im Falle der Straftaten gegen den Kraftfahrer P. hält der Senat eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren für schuldangemessen. Es handelt sich weder um einen besonders schweren Fall i.S.d. § 316 a Abs. 1 S. 2 StGB noch um einen minder schweren Fall i.S.d. §§ 316 a Abs. 1 S. 2 oder 250 Abs. 2 StGB. Bei der Strafzumessung hat der Senat einerseits berücksichtigt, dass der Tatbeitrag der Angeklagten geringer war als der S.s. Strafschärfend wirkte sich hingegen aus, dass die Angeklagte erst im Dezember 1974 schon einmal wegen räuberischer Erpressung verurteilt werden musste. Diese Strafe hatte sie noch nicht einmal verbüßt, als sie in gleicher Weise wieder straffällig wurde. Ihre einschlägige Vorstrafe und ihre Strafunempfindlichkeit erfordern die Verhängung der über der Mindeststrafe liegenden Freiheitsstrafe.

III. Strafzumessungserwägungen für die tateinheitlich begangenen gemeinschaftlichen Mordversuche an den Polizeibeamten Sch., W., W. und F.

Unter Berücksichtigung der unter E I angeführten Grundsätze hält der Senat für diese Taten eine Strafmilderung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB für angebracht. Bei Prüfung der Frage, wie nahe diese Taten dem vollendeten Mord gekommen sind, ergeben sich gegenüber dem Geschehen in der Höristraße deutliche Unterschiede. Während J. und S. den aus nächster Nähe abgefeuerten Schüssen der Angeklagten und S.s hilflos ausgeliefert waren, konnten sich W. und Sch. an der Lichtzeichenanlage noch in Deckung bringen. Die Angeklagte hatte dort keinen sicheren Stand. Die Beamten Sch., W., W. und F. haben ihr Überleben nicht nur dem Zufall zu verdanken. Die Entfernung der Angeklagten zu ihren Opfern war wesentlich größer. Es waren nur sogenannte Deutschüsse und die Angeklagte handelte nur mit bedingtem Tötungsvorsatz. Die Beamten waren in der Mehrzahl, die Angeklagte und S. waren zu Gejagten geworden, von vier Beamten mit zwei Fahrzeugen verfolgt. Die Chance für ein Überleben war für die Beamten eher größer als für die Angeklagte. Auch mag die Angst um das eigene Leben mitgespielt haben. Von den Beamten wurde im Gegensatz zur Angeklagten keiner verletzt.

Innerhalb des von drei bis fünfzehn Jahren reichenden Strafrahmens hält der Senat eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren für angemessen. Hierbei hat der Senat strafschärfend berücksichtigt, dass die Angeklagte bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen hat, es sich um vier tateinheitliche Mordversuche handelt, die Angeklagte eine ungebrochene kriminelle Energie zeigte und keine Spur von Reue erkennbar ist, dass andererseits die Situation, in der sie sich befand, sich grundlegend geändert hatte, sie verfolgt wurde und sich einer zahlenmäßigen Übermacht gegenübersah.

IV. Aus den beiden zeitigen Freiheitsstrafen wurde gem. § 54 StGB unter Erhöhung der Einsatzstrafe von 10 Jahren eine Gesamtstrafe von 13 Jahren gebildet. Hierfür waren die bereits erwähnten Strafzumessungserwägungen, aber auch die Tatsache von Bedeutung, dass sich die Angeklagte ohne Skrupel nach den beiden Mordversuchen an den Beamten J. und S. alsbald zur Verübung neuer, schwerer Straftaten entschloss und diese mit Hilfe ihres Begleiters mit erheblicher krimineller Energie auch zumindest teilweise durchsetzte. Die Strafe entspricht dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld, welche die Angeklagte durch sie auf sich geladen hat.

V. In den Entscheidungssatz ist nur einmal eine lebenslange Freiheitsstrafe aufzunehmen, weil daneben die weitere ausgesprochene lebenslange und die zeitige (Gesamt-) Freiheitsstrafe nicht vollstreckt werden können (§ 260 Abs. 4 Satz 5 StPO). (..).“

c. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 30. Mai 1996 (237 Cs 589/96; rechtskräftig seit 26. Juni 1996) wurde die Angeklagte wegen eines am 6. April 1996 begangenen Diebstahls von Bettwäsche im Wert von 89,90 DM bei der Fa. K. AG in Berlin zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt.

d. Durch Strafbefehl vom 19. Mai 1998 setzte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten (236 Cs 488/98; rechtskräftig seit 22. Januar 1999) wegen eines am 18. Februar 1998 begangenen Diebstahls von drei Büchern zum Gesamtverkaufspreis von 161,80 DM bei der Buchhandlung K. in Berlin gegen die Angeklagte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 DM gegen die Angeklagte fest.

Beide Geldstrafen wurden vollständig bezahlt.

2. Gegen die Angeklagte geführte (weitere) Ermittlungsverfahren

a. Im vorgenannten Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wurde mit Beschluss des Strafsenats vom 28. November 1977 das Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der ab Spätsommer 1976 gebildeten terroristischen Vereinigung „RAF“ gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.

b. Mit Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 19. Oktober 1979 wurde das gegen die Angeklagte (und Günter S.) geführte Verfahren wegen räuberischer Erpressung (Banküberfall in Köln am 12. April 1977; 1 BJs 27/77) im Hinblick auf die am 22. September 1978 rechtskräftig gewordene o.g. Verurteilung durch das OLG Stuttgart nach § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.

c. Mit Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 20. Februar 1980 wurde das gegen die Angeklagte (und die Mitbeschuldigten H., W. und H.) geführte Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung hinsichtlich des Verdachts der Teilnahme an einer Ausbildung für terroristische Aktionen im Sommer 1976 in einem Lager der PFLP im Südjemen im Hinblick auf die obige Verurteilung durch das OLG Stuttgart gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.

d. Mit Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 7. April 1982 wurde in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte, sich - neben anderen - ab Mitte Juni 1980 an einem illegalen Informationssystem inhaftierter „RAF“-Mitglieder beteiligt zu haben, von einer Strafverfolgung im Hinblick auf die obige Verurteilung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO abgesehen.

e. Mit Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 31. August 1982 wurde das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Nötigung von Verfassungsorganen gegen die Angeklagte und die übrigen vier im Zusammenhang mit der Entführung des CDU-Politikers Peter L. in den Südjemen ausgeflogenen Häftlingen - soweit die Angeklagte betroffen war - gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

f. Mit Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 3. Dezember 1984 wurde in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte, sich - neben anderen - seit etwa Herbst 1982 durch Teilnahme an einem der Fortführung der „RAF“ dienenden Nachrichtenaustausch als Mitglied dieser Vereinigung betätigt zu haben, von einer Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO im Hinblick auf die obige Verurteilung abgesehen.

III. Umstände des vorliegenden Verfahrens

Im Haftbefehl des Bundesgerichtshofs vom 10. Mai 1977 (mithin 1 Woche nach der Festnahme B.s in Singen) war der Angeklagten noch mittäterschaftliche Beteiligung an dem Anschlag auf Generalbundesanwalt B. und seine beiden Begleiter vom 7. April 1977 in Karlsruhe zur Last gelegt worden. Das deswegen gegen die Angeklagte geführte Ermittlungsverfahren hat die Bundesanwaltschaft durch Verfügung vom 31. März 1980 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt; der Haftbefehl wurde am 10. April 1980 aufgehoben.

Am 9. April 2008 nahm die Bundesanwaltschaft das eingestellte Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte wegen des „Anschlags vom 7. April 1977“ wieder auf, nachdem sich in dem im April 2007 eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. weitere, auch sie möglicherweise belastende, Spurenhinweise ergeben hatten.

Aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 26. August 2009 wurde die Angeklagte wegen des Tatvorwurfs des am 7. April 1977 gemeinschaftlich begangenen Verbrechens des Mordes in drei tateinheitlichen Fällen am 27. August 2009 festgenommen. Von diesem Tage an befand sie sich bis zum 23. Dezember 2009 in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 23. Dezember 2009 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf die Haftbeschwerde der Angeklagten den Haftbefehl aufgehoben, weil nach dem bisherigen Aktenstand lediglich dringender Tatverdacht wegen Beihilfe zum Mord bestehe und im Hinblick auf die reduzierte Straferwartung keine Fluchtgefahr mehr vorliege.

Nach ihrer Haftentlassung begab sich die Angeklagte an ihren bisherigen Wohnsitz im Haus ihrer Schwester zurück. Sie lebt nach wie vor von Rente und ergänzenden staatlichen Unterstützungsleistungen.

B. Feststellungen zur Sache

I. Die terroristische Vereinigung „RAF“

1. Entstehung, Entwicklung und Ziele der „RAF“

Im Zuge der Studentenunruhen Ende der 1960er Jahre legten Andreas B., Gudrun E., Thorwald P. und Horst S. am 2. April 1968 Brandsätze in Frankfurter Kaufhäusern. Ihr Ziel war der Umsturz der in der Bundesrepublik bestehenden Gesellschaftsordnung, insbesondere die Zerschlagung des Kapitalismus als „Werkzeug der Ausbeutung und Unterdrückung der Schwachen“. Nach ihrer Verurteilung zu Freiheitsstrafen wegen dieser Taten tauchten Gudrun E. und Andreas B. bei Freunden in Berlin, u.a. bei Ulrike M. sowie dem ehemaligen Verteidiger B.s, Horst M., unter, um der Strafvollstreckung zu entgehen. Andreas B. konnte am 4. April 1970 in Haft genommen werden, wurde jedoch am 14. Mai 1970 u.a. von Ulrike M., Irene G. und Ingrid Sch. während einer Ausführung gewaltsam aus der Haft befreit. Andreas B., Gudrun E., Ulrike M., Horst M., Irene G., Ingrid Sch. u.a. begaben sich anschließend nach Jordanien, wo sie sich in einem Lager der palästinensischen Befreiungsorganisation „El Fatah“ im Gebrauch von Sprengmitteln und Waffen und in der Taktik des Guerillakampfes unterrichten ließen.

Dort organisierte sich der Kern der nach ihrer Rückkehr nach Berlin im Sommer 1970 von Andreas B., Gudrun E., Horst M., Ulrike M. u.a. gegründeten linksextremistischen bewaffneten Untergrundorganisation, die unter dem Namen „B.-M.-Bande“ bekannt wurde. Bei dieser Gruppierung handelte es sich um die sog. „erste Generation“, die sich später den Namen „Rote Armee Fraktion (RAF)“ gab.

Ihre Mitglieder sahen sich als revolutionäre Kommunisten und bezogen sich auf die Rote Armee, die sich nach der Oktoberrevolution in der früheren Sowjetunion konstituiert hatte. Sie gingen von der Notwendigkeit eines bewaffneten Arms für eine erfolgreiche Revolution aus. Die „RAF“ sah sich als den in Deutschland agierenden Teil (Fraktion) einer weltweiten Befreiungsbewegung. Ihr Ziel war die Zerstörung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland. Als Leitfaden diente ihnen das „Minihandbuch der Stadtguerilla“ des brasilianischen Guerillaführers Carlos Marighella. Durch Terrorakte wie Sprengstoffanschläge und Morde wollte die Gruppe im Rahmen ihres „bewaffneten antiimperialistischen Kampfes“ die Voraussetzungen für einen revolutionären Umsturz der Gesellschaftsordnung schaffen. Zur Finanzierung und Schaffung ihrer Logistik verübten Bandenmitglieder auch Einbruchsdiebstähle und Raubüberfälle.

Die im Untergrund lebenden Mitglieder, zu denen neben den vorgenannten Gründern u.a. Monika B., Irene G., Manfred G., Petra Sch., Ingrid Sch., Jan-Carl R., Holger M. und Klaus J. gehörten, gingen zur Verfolgung ihrer Ziele äußerst konspirativ vor. Sie benutzten aus Tarnungsgründen Decknamen, waren mit gefälschten Ausweisen versehen und verbargen sich in konspirativen Wohnungen, die unter falschen Namen angemietet worden waren. Waffen, Munition, Sprengstoff, Ausweise und Geld wurden in Depots im Wald versteckt. Die „Illegalen“ führten großkalibrige Pistolen und Revolver, die ihnen von der „RAF“ zur persönlichen Verfügung gestellt wurden, jederzeit schussbereit mit sich. Zwischen ihnen bestand Einigkeit, sich bei drohender Festnahme durch rücksichtslosen Gebrauch der mitgeführten Waffen den Fluchtweg frei zu schießen.

Nach einer Serie von Sprengstoff- und Mordanschlägen im Mai 1972 in Frankfurt, Heidelberg, Augsburg, München, Karlsruhe und Hamburg wurden Andreas B., Gudrun E., Ulrike M., Jan-Carl R. sowie Holger M. im Juni 1972 festgenommen und kamen anschließend in die JVA Stuttgart-Stammheim in Haft.

Damit war der bewaffnete Kampf jedoch nicht beendet, er wurde vielmehr von den in Freiheit verbliebenen „RAF“-Mitgliedern, denen sich immer wieder gleich gesinnte Personen als neue Mitglieder anschlossen, gemeinsam mit den in der JVA Stuttgart-Stammheim inhaftierten „Kämpfern“ fortgeführt. Durch das von Andreas B. entwickelte Informationssystem war der organisatorische Zusammenhalt zwischen den in verschiedenen Haftanstalten untergebrachten „RAF“-Angehörigen und den in Freiheit befindlichen Gruppenmitgliedern gewährleistet. Der Nachrichtenaustausch erfolgte über Kassiber.

Zu der oben beschriebenen Zielsetzung der „RAF“ kam nunmehr hinzu, die inhaftierten Genossen durch Begehung schwerster Straftaten gewaltsam frei pressen zu wollen.

So verübten am 24. April 1975 sechs „RAF“-Mitglieder als „Kommando Holger Meins“ einen Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm mit dem Ziel, die Freilassung von 26 inhaftierten Gesinnungsgenossen aus Haftanstalten in der Bundesrepublik gewaltsam zu erzwingen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, erschossen die Terroristen die Botschaftsangehörigen M. und Dr. H.. Bei der Explosion des von den Tätern in das Botschaftsgebäude eingebrachten Sprengstoffes wurden etliche Geiseln - zum Teil schwer - verletzt. Zwei der Täter - Ulrich W. und Siegfried H. - erlitten dabei tödliche Verletzungen; die übrigen vier Täter konnten festgenommen werden.

Nach dem Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm agierten die in Freiheit verbliebenen „RAF“-Mitglieder zusammen mit vereinzelten Splittergruppen u.a. in Frankfurt, Heidelberg und Karlsruhe. Es gab in der Bundesrepublik im Wesentlichen drei Gruppen, die bereit waren, den bewaffneten Kampf der „RAF“ im Untergrund fortzuführen: (1.) die sog. „Karlsruher bzw. Förstergruppe“ mit Günter S., Adelheid Sch., Christian K. und Knut F., (2.) die sog. „Heidelberger Gruppe“ um Sieglinde H., Stefan W. und Siegfried H. und (3.) die sog. „Frankfurter Gruppe“ mit Rolf C. W., Waltraud L. sowie Peter-Jürgen B. Wenn sich auch einzelne Mitglieder dieser Splittergruppen aus Anlass legaler Aktionen, wie beispielsweise Hungerstreikdemonstrationen, vom Sehen her kannten, standen sie bis 1976 doch untereinander nur lose in Kontakt.

2. Die „Aktionen“/Attentate der „RAF“ ab 1977

a. Die sog. „Offensive 77“

Der im Mai 1975 untergetauchte Rechtsanwalt Siegfried H., der zeitweilig Andreas B. und Holger M. verteidigt hatte, sich aber zunehmend in deren kriminelle Machenschaften hatte einbinden lassen, unternahm in Abstimmung mit „den Stammheimern“ ab Mitte des Jahres 1976 Bestrebungen, die Mitglieder und Gruppierungen wieder zusammenzuführen und die „RAF“ neu zu formieren.

Der Zusammenschluss zu einer Gesamtgruppe sollte nach dem Willen der in Stammheim inhaftierten Gefangenen, der über Siegfried H. weitergegeben worden war, in einem Lager der palästinensischen Terrororganisation PFLP im Südjemen erfolgen. Dieses damals von Wadi Haddad (in der PFLP Abu Hani genannt) geleitete Lager diente der PFLP überwiegend zur militärischen Ausbildung ihrer eigenen Mitglieder; die PFLP bildete aber auch Mitglieder befreundeter Organisationen wie der „RAF“, der „Bewegung 2. Juni“ oder niederländischer Gruppierungen aus. Nach dem Attentat auf die Deutsche Botschaft in Stockholm waren bereits einige „RAF“-Mitglieder aufgrund des starken Verfolgungsdrucks in den Südjemen gereist. Bis Mitte des Jahres 1976 kamen die o.g. Einzelgruppen nahezu vollzählig in dieses Ausbildungslager. Gegen Ende des Aufenthalts im Lager hatten sich die einzelnen Gruppierungen unter der Koordination von Siegfried H. zu einer Gesamtgruppe „RAF“, die später als sog. „zweite Generation“ der „RAF“ bezeichnet wurde, strukturiert und formiert. Spätestens hier schloss sich auch die Angeklagte, die sich seit ihrer Freipressung im März 1975 im Südjemen aufgehalten hatte und dann in das Lager wechselte, der „RAF“ an.

Die in Aden zusammengekommenen „RAF“-Mitglieder, insbesondere auch die Angeklagte, waren stark auf die Stammheimer Gefangenen bezogen. Deren Ansichten und Anweisungen hatten für sie außerordentliches Gewicht. Die Gefangenen verlangten von den in Freiheit befindlichen Gesinnungsgenossen „Befreiungsaktionen“ sowie vordringlich eine „Bestrafungsaktion“ gegen Generalbundesanwalt B.. Aus Sicht der „RAF“ war dieser hauptverantwortlich sowohl für die angeblichen „Ermordungen“ insbesondere von Holger Meins, der an den Folgen eines mehrwöchigen Hungerstreiks am 9. November 1974 in der Haft verstorben war, und von Ulrike Meinhof, die sich, vor allem wegen ständiger Auseinandersetzungen zwischen den inhaftierten „RAF“-Angehörigen, am 9. Mai 1976 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart das Leben genommen hatte, als auch für die Haftbedingungen der Gefangenen, die sie als „Isolationsfolter“ bezeichnete. Die Inhaftierten sollten möglichst bald befreit werden, um mit ihnen gemeinsam den bewaffneten „antiimperialistischen Kampf“ gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung in der Bundesrepublik fortzusetzen und zum revolutionären Erfolg zu führen.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich innerhalb der Gruppe die Idee für die von der „RAF“ „Offensive 77“ genannte Anschlagsserie. Die ersten Planungen hierzu erfolgten nach Vorüberlegungen in den einzelnen Splittergruppen bereits im Sommer 1976 in dem Trainingscamp der PFLP im Südjemen. Die geplanten Anschläge wurden konspirativ gekennzeichnet mit den Worten „margarine“, „big money“, „big raushole-rache“.

Den Auftakt zur „Offensive 77“ sollte der Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt B. bilden. Die Planungen und Vorbereitungen hierfür nach Rückkehr der Gruppe aus Aden wurden am 30. November 1976 durch die Festnahme der „RAF“-Mitglieder Siegfried H. und Roland M. kurzzeitig unterbrochen, spätestens aber ab der Jahreswende 1976/1977 fortgeführt.

Im Rahmen der sog. „Offensive 1977“ kam es zu folgenden „Aktionen“/Attentaten der „RAF“, zu denen sie sich jeweils kurze Zeit danach durch an verschiedene Presseagenturen versandte Schreiben bekannte:

- Der Racheaktion „Margarine“ („SB“) fielen am 7. April 1977 in Karlsruhe durch das Kommando „Ulrike Meinhof“ Generalbundesanwalt Siegfried B. und dessen Begleiter Wolfgang G. und Georg W. zum Opfer (hierzu später mehr).

- Am 30. Juli 1977 verschafften sich „RAF“-Mitglieder entsprechend ihrem Plan, Persönlichkeiten der Wirtschaft in ihre Gewalt zu bringen, um sie gegen die Gefangenen auszutauschen („big raushole“), durch Susanne A. als vermeintliche Besucherin Zutritt zum Wohnhaus des Vorstandssprechers der Dresdner Bank Jürgen P. in Oberursel. Als der Versuch, Jürgen P. unter Waffendrohung zu entführen, an dessen Gegenwehr scheiterte, erschossen ihn die Täter.

- Der „Aktion Rache“ sollte auch der (versuchte) Raketenwerferanschlag auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft am 25. August 1977 in Karlsruhe dienen; an diesem Tag überwältigten „RAF“-Mitglieder in einem dem Gebäude der Bundesanwaltschaft gegenüberliegenden Wohnhaus die Wohnungsinhaber, ein älteres Ehepaar. Dann installierten sie am Fenster einen von Peter-Jürgen B. konstruierten und gebastelten, mit 42 Geschossen bestückten Granatwerfer. Damit sollten möglichst viele der in den gegenüberliegenden Büros arbeitenden Bundesanwälte und sonstige Beschäftigen getötet werden.

- Am 5. September 1977 entführten Mitglieder der „RAF“ auf offener Straße in Köln den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Dr. Hanns Martin Sch. und erschossen seinen Fahrer Heinz M. und die drei begleitenden Polizeibeamten B., U. und P.. In den folgenden Wochen hielt die „RAF“ Dr. Sch. gefangen und forderte von der Bundesregierung die Freilassung von elf inhaftierten Gesinnungsgenossen, darunter auch die Angeklagte. Da der Erpressung nicht nachgegeben wurde und die durch palästinensische Terroristen der PFLP am 13. Oktober 1977 in einer Lufthansa-Maschine - ebenfalls zum Zwecke der Freipressung der Gefangenen - genommenen insgesamt 87 Geiseln in Mogadischu befreit wurden, nahmen sich Andreas B., Gudrun E. und Jan-Carl R. am 18. Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim das Leben. Daraufhin töteten zwei „RAF“-Mitglieder Dr. Sch. am 18. Oktober oder am 19. Oktober 1977.

- Neben diesen Anschlägen führte die „RAF“ noch sog. Beschaffungstaten durch:

So überfielen am 12. April 1977 zwei bewaffnete Mitglieder der „RAF“ die Zweigstelle der Dresdner Bank in Köln und flüchteten mit einer Beute von etwa 54.000 DM und zusätzlichen 15.000 DM in ausländischer Währung zu einem in der Nähe abgestellten Pkw, in dem sie ein drittes Mitglied der Gruppe erwartete.

Am 1. Juli 1977 überfielen Mitglieder der „RAF“ den Kaufmann Rolf-Bernd F. in seinem Waffengeschäft in Frankfurt am Main. Sie verletzten F. und einen Kunden durch Schläge mit einem Hartkunststoffhammer schwer und raubten zahlreiche Faustfeuerwaffen.

b. Die „Aktionen“/Attentate der „RAF“ nach 1977

Auch nach den Aktionen des Jahres 1977 und dem Tod ihrer führenden Mitglieder setzte die „RAF“ ihren „Kampf“ fort.

Am 24. September 1978 stießen die Polizeibeamten H. und Sch. am südlichen Stadtrand von Dortmund auf die drei „RAF“-Mitglieder L., K. und S., die dort zur Vorbereitung von weiteren Aktionen Schießübungen unternahmen. Bei dem anschließenden Schusswechsel wurde der Polizeibeamte H. tödlich getroffen, während sein Kollege Sch. - von drei Schüssen getroffen - überlebte.

Am 1. November 1978 erschossen die „RAF“-Mitglieder Rolf H. und Adelheid Sch. in Kerkrade an der deutsch-niederländischen Grenze die zwei Zollbeamten de J. und G. und verletzten einen weiteren Zollbeamten schwer, als eine Personenkontrolle durchgeführt werden sollte.

Im März und April 1979 raubten „RAF“-Mitglieder im Rahmen von Geldbeschaffungsaktionen in Darmstadt und Nürnberg zwei Banken aus.

Am 25. Juni 1979 verübten „RAF“-Mitglieder bei Obourg in Belgien einen Sprengstoffanschlag auf den damaligen NATO-Oberbefehlshaber in Europa, General Alexander H.. Dieser blieb unverletzt, drei Insassen des Begleitfahrzeugs erlitten Verletzungen.

Am 19. November 1979 verübten die „RAF“- Mitglieder Christian K., Rolf C. W., Peter-Jürgen B. und Henning B. einen Raubüberfall auf die Schweizerische Volksbank in Zürich. Auf der Flucht erschossen sie die Passantin Edith K., drei weitere durch gezielte Schüsse verletzte Personen überlebten.

Am 31. August 1981 wurden im Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Europa in Ramstein/Pfalz 14 Personen durch einen von der „RAF“ als Bombenwagen präparierten und zur Explosion gebrachten PKW verletzt.

Am 15. September 1981 verübte in Heidelberg das „Kommando Gudrun Ensslin“ der „RAF“ einen Panzerfaustanschlag auf US-General K. und seine Begleiter. Dabei wurden General K. und seine Ehefrau verletzt.

Auch nachdem im November 1982 Brigitte M., Adelheid Sch. und Christian K. verhaftet worden waren, setzte die „RAF“ ihre Anschläge fort. Es formierte sich eine sog. „dritte Generation" der „RAF“ mit einer gut abgeschotteten und namentlich kaum bekannten „Kommandoebene".

Am 1. Februar 1985 erschoss ein „RAF“-Kommando den Vorstandsvorsitzenden der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) Ernst Z. in Gauting bei München.

Am 8. August 1985 ermordeten „RAF“-Mitglieder in Wiesbaden den US-Soldaten Edward P., um in den Besitz seiner Identitätskarte zu kommen. Diese benutzte ein „RAF“-Mitglied wenige Stunden später, um mit einem Pkw den Wachposten der US-Airbase in Frankfurt passieren zu können. Als der im Kofferraum des Wagens deponierte Sprengsatz explodierte, verloren zwei Menschen ihr Leben, 23 Personen wurden verletzt.

Am 9. Juli 1986 kamen in Straßlach bei München der Manager der Siemens AG Karl Heinz B. und sein Fahrer Eckard G. ums Leben, als eine von der „RAF“ am Straßenrand deponierte Sprengladung explodierte.

Am 10. Oktober 1986 erschossen „RAF“-Mitglieder den Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt Gerold B. in Bonn.

Am 30. November 1989 verübten „RAF“-Mitglieder in Bad Homburg einen Sprengstoffanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred H., der hierdurch getötet wurde; sein Fahrer wurde schwer verletzt.

Am 1. April 1991 ermordete ein „RAF“-Kommando den Präsidenten der Treuhandanstalt Detlev Karsten R. in seinem Haus in Düsseldorf.

Auch zu diesen Anschlägen bekannte sich jeweils ein Kommando der „RAF“.

c. Die Auflösung der „RAF“

Im März 1998 löste sich die „RAF“ auf. Bis dahin hatte die Gruppe 34 Personen getötet und darüber hinaus zahlreiche weitere Personen zum Teil schwer verletzt. In ihrer Auflösungserklärung brachte die „RAF“ zum Ausdruck, dass sie nach fast 28 Jahren gewaltsamer Aktionen deren Wirkungslosigkeit erkannt habe, gleichzeitig aber darauf beharre, dass die Entscheidung zur Gewalt „notwendig und legitim“ gewesen sei.

3. Die Willensbildung in der „RAF“

Die Entscheidung über die Ziele der „RAF“ und insbesondere auch über die Durchführung ihrer Anschläge erfolgte jeweils aufgrund kollektiver und gleichberechtigter Willensentscheidung aller „RAF“-Mitglieder.

Auch die „Offensive 77“ war von dem für die „RAF“ typischen Struktur- und Arbeitsprinzip der Kollektivität geprägt. Sog. „Aktionen“ wurden nach eingehender Diskussion einstimmig und damit für alle verbindlich festgelegt. Es bestand Einigkeit darüber, dass jedes Mitglied an der Verwirklichung der in gemeinsamer Diskussion erörterten und beschlossenen Ziele solidarisch mitzuwirken und sein Handeln an den gefassten Kollektiventscheidungen auszurichten hatte.

II. Der Anschlag vom 7. April 1977: Entschluss, Planung und Vorbereitung seitens der „RAF“

In dem „Trainingslager“ in der Nähe von Aden (s. nachf. Ziff. 1) wurde unter Mitwirkung der Angeklagten die grundsätzliche Entscheidung über den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. und mögliche Begleiter getroffen. Dieses Anschlagsvorhaben wurde auf nachfolgenden Treffen der Gruppe im Harz (s. u. Ziff. 3) und in den Niederlanden (s.u. Ziff. 6) weiter entwickelt. Die Gruppenmitglieder besprachen gemeinschaftlich Tatmodalitäten für die Durchführung, verteilten Aufgaben im Rahmen der Anschlagsvorbereitung und bestimmten das Anschlagskommando, schließlich diskutierten sie den Zeitpunkt des Anschlags.

Hierzu im Einzelnen:

1. Das Trainingscamp in Aden im Sommer 1976

Bereits vor ihrer Reise in den Jemen hatten einzelne der schon genannten Gruppierungen Vorüberlegungen zu möglichen Anschlägen angestellt. Zu diesem Zweck hatte die „Karlsruher Gruppe“ bereits die Wohnverhältnisse des Generalbundesanwalts B., seine täglichen Gewohnheiten und die von ihm benutzten Fahrzeuge ausgekundschaftet. Die „Frankfurter Gruppe“ hatte Terroraktionen gegen Bankiers und Dr. Hanns Martin Sch. erwogen.

Ab Juni 1976 hielten sich in dem militärischen Ausbildungslager der PFLP zumindest Siegfried H., Günter S., Stefan W., Peter-Jürgen B., Sieglinde H., Friederike K., Waltraud L., Rolf C. W., Rolf H. und die Angeklagte auf. Rolf H. und die Angeklagte waren inzwischen - wie schon angeführt - von der „Bewegung 2. Juni“ zur „RAF“ gewechselt.

Gleich zu Beginn ihres Aufenthalts führten die Camp-Teilnehmer kontroverse Diskussionen über die Benennung eines sog. „Leaders“, der sie gegenüber den Palästinensern repräsentieren sollte. Die Verantwortlichen der „PFLP“ hatten nämlich für Fragen der Ausbildung und des Kontakts zu der Gruppe die Bestimmung einer Einzelperson als Ansprechpartner gefordert, da sie sich nicht auf Diskussionen mit der gesamten Gruppe einlassen wollten. Die Funktion eines „Leaders“ passte allerdings nicht zum Selbstverständnis einer marxistisch-leninistischen, nach dem Grundsatz der Kollektivität organisierten Gruppierung. Letztlich bestimmte die Gruppe für Kontaktaufnahmen mit der „PFLP“ Siegfried H., der wegen seines Kontakts zu den Stammheimern am ehesten hierfür „legitimiert“ erschien.

In der Folgezeit absolvierten die vorgenannten Personen in diesem „Camp“ bis September bzw. Oktober 1976 eine militärische Ausbildung, wobei sie sich neben einer körperlichen Kampf- und Fitnessausbildung im Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoff übten. Im täglichen Training wurden besondere Fertigkeiten der einzelnen Personen, z.B. im Umgang mit Waffen, erkennbar und herausgebildet. Außerdem sollte der persönliche Zusammenschluss als „RAF“ hierbei gefestigt werden.

Neben der militärischen Ausbildung wurden mögliche Aktionen diskutiert. Dabei war - wie schon von der „Karlsruher Gruppe“ erwogen - auch über Siegfried H. die auf Siegfried B. bezogene Aufforderung der in Stammheim inhaftierten Gefangenen der „RAF“, Andreas B., Gudrun E. und Jan-Carl R., in die Gruppe getragen worden: „Der General muss weg!“

Nach zahlreichen Diskussionen trafen die „RAF“-Mitglieder im Sommer/Herbst 1976 in diesem Lager in Aden die grundsätzliche Entscheidung, als neu formierte Gruppe „RAF“ „Aktionen“ gegen führende Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland zu begehen. Diese Anschläge sollten nach der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt werden, sofern sie sich - was im Detail noch zu klären war - als umsetzbar erwiesen.

Neben der geplanten Gefangenenbefreiung „big raushole“ und einem in den Blick genommenen Anschlag auf das Dienstgebäude der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe stand, wie bereits erwähnt, die Durchführung des Anschlages auf Generalbundesanwalt B. - unter der Tarnbezeichnung „Margarine“ - im Mittelpunkt der Überlegungen zu einer Anschlagsserie (die spätere „Offensive 77“). Es wurden hierfür verschiedene Varianten der Tatbegehung durchgesprochen, darunter auch die Möglichkeit, von einem Motorrad aus eine Haftmine auf das Dienstfahrzeug des Generalbundesanwalts zu platzieren. Eine endgültige Entscheidung über die konkrete Vorgehensweise sollte jedoch erst in Deutschland, nachdem alle weiteren Details abgeklärt waren, getroffen werden.

Bereits in Aden bestand in der verhältnismäßig kleinen Gruppe von maximal 15 Personen, darunter einige Frauen, Einigkeit darüber, dass jedes Mitglied an der Verwirklichung der in gemeinsamer Diskussion erörterten und beschlossenen Ziele solidarisch mitzuwirken und sein Handeln an den gefassten Beschlüssen auszurichten hatte. Dabei war jedes Mitglied bereit, im Rahmen dieser eingeschworenen Gemeinschaft auf Aufforderung aus der Gruppe Aufgaben für die ins Auge gefassten Aktionen zu übernehmen. Die Anschlagsaktionen selbst sollten durch aus der Gruppe heraus gebildete Kommandos ausgeführt werden. Für jedes Mitglied der aktiven Kerngruppe war es eine „Ehre“, an einem Kommando teilzunehmen.

2. Die Rückkehr nach und anschließende Aktivitäten in Deutschland

Ab September 1976 kehrten die Mitglieder der „RAF“ nacheinander - aus Gründen der Tarnung paarweise - in die Bundesrepublik Deutschland zurück, um jetzt die angestrebten terroristischen Aktionen, insbesondere die Planungen zum Anschlag auf Generalbundesanwalt B. voranzutreiben und umzusetzen.

Nach der in Aden durchlaufenen Schulung waren sie für Aktionen vorbereitet und bereit. Sie lebten in der Bundesrepublik in der Illegalität, was ihren Zusammenhalt noch verstärkte und hatten zu den Stammheimern über ein in der Zwischenzeit eingerichtetes Informationssystem Kontakt. Als Schaltstelle für entsprechende Kontaktaufnahmen fungierte das Rechtsanwaltsbüro Dr. C. in Stuttgart. Die Stammheimer Gefangenen B., E. und R., gegen die seit Mai 1975 (bis zu ihrer Verurteilung am 28. April 1977) die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart u.a. wegen den anlässlich ihrer Festnahme im Juni 1972 verübten Taten und wegen Beteiligung an dem Bombenanschlag auf das Hauptquartier des V. US-Korps in Frankfurt am Main am 11. Mai 1972, an den Bombenanschlägen auf die Polizeidirektion Augsburg und das Bayerische Landeskriminalamt in München am 12. Mai 1972, an dem Autobombenanschlag auf den Bundesrichter Wolfgang Buddenberg in Karlsruhe am 15. Mai 1972, an dem Bombenanschlag auf das Verlagshaus der A. S. AG in Hamburg am 19. Mai 1972 und an dem Bombenanschlag auf das Europa-Hauptquartier der US-Army in Heidelberg vom 24. Mai 1972 - mit insgesamt 4 Toten und 34 Verletzten - stattfand, bedrängten die Gruppenmitglieder nun massiv, sie baldmöglichst aus der Haft zu befreien und eine „Bestrafungsaktion“ gegen den Generalbundesanwalt durchzuführen.

Nach ihrer Rückkehr aus dem Südjemen arbeiteten die „RAF“-Mitglieder nahezu ausschließlich an der Vorbereitung der gefassten Gruppenziele. Zum einen wurde die Realisierbarkeit der ins Auge gefassten Aktionen und die angedachte Begehungsweise abgeklärt. Zum anderen wurden konspirative Wohnungen in Deutschland und im benachbarten Ausland angemietet und bezogen, Falschpapiere hergestellt, Waffen und Fahrzeuge besorgt und die hierfür erforderlichen Geldmittel durch Banküberfälle beschafft. So kam es insbesondere zu folgenden Aktivitäten:

Am 20. September 1976 überfielen zwei männliche Mitglieder der „RAF“ eine Zweigstelle der Commerzbank in Köln und erbeuteten hierdurch ca. 107.000 DM und etwa 16.400 DM in ausländischer Währung.

Am 29. September 1976 mietete ein weibliches Gruppenmitglied eine Kommandowohnung in Hannover im Gebäude Ihmeplatz 1 an, für die Waltraud L. die Oktobermiete und die Kaution überwies. Die Wohnung wurde bis Anfang Dezember 1976 u.a. als Werkstatt zum Fälschen bzw. Verfälschen von Ausweispapieren genutzt.

Am 27. Oktober 1976 erwarben Siegfried H., Roland M. und Christian K. in Aosta/Italien drei Revolver und eine Pistole Heckler & Koch für die „RAF“. Christian K. befand sich in Begleitung der Karlsruher Sympathisantin Sabine Sch., die am Vortag zusammen mit dem „RAF“-Mitglied Adelheid Sch. mit einem Fahrzeug des Uwe F. in der Nähe in einen Autounfall verwickelt war.

Am 12. November 1976 wurden bei einem Überfall auf die Passabteilung der Bezirkshauptmannschaft in Landeck/Tirol unter Beteiligung von Waltraud L., Blanko-Passformulare, Pässe, Waffenpässe und -scheine entwendet. Der auf die Personalien „Franz Ladner“ ausgestellte österreichische Personalausweis, den Günter S. bei seiner Festnahme am 3. Mai 1977 mit sich führte, stammte aus diesem Überfall.

Am 15. November 1976 überfielen zwei männliche Mitglieder der „RAF“ die Zweigstelle der Vereins- und Westbank in Hamburg und entkamen mit einer Beute von etwa 118.400 DM und ca. 10.000 DM an Sorten.

Ebenfalls im November 1976 entwendeten Mitglieder der „RAF“ in Bochum bzw. in Celle je einen VW-Bus und ebenfalls in Bochum einen Opel Admiral; außerdem kaufte Roland M. in Stuttgart einen Alfa Romeo und in Mannheim einen Opel Commodore.

3. Das erste Gesamttreffen im Harz im Herbst 1976

Zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt, etwa zwei Wochen vor dem 30. November 1976, dem Tag der Festnahme von Siegfried H. und Roland M., fand ein über zwei Tage andauerndes Gesamttreffen der in Aden neu gebildeten Gruppe „RAF“ in der Nähe von Goslar im Harz statt, an dem nahezu alle Gruppenmitglieder, zumindest Siegfried H., Roland M., Günter S., Stefan W., Peter-Jürgen B., Rolf H., Sieglinde H., Waltraud L., Christian K., Rolf C. W. und die Angeklagte teilnahmen.

Das Treffen diente dazu, die bisher entfalteten Aktivitäten und das weitere Vorgehen, die Planungen und Vorbereitungen der in Aden ins Auge gefassten Anschläge zu besprechen. Auch bei diesem Treffen gingen allen Entscheidungen der Illegalen ausführliche Diskussionen voraus. Die dann getroffenen Entscheidungen waren für alle verbindlich.

Die Planungen betrafen insbesondere das Attentat auf Generalbundesanwalt B. unter der Bezeichnung „Margarine“, die Entführung des Dr. Hanns Martin Sch. („H.M.“), „Big Money“ genannt, und eine als „Big Raushole“ benannte Aktion. Nach den zwischenzeitlich vorgenommenen Abklärungen durch die „Karlsruher Gruppe“ erschien ein Anschlag auf Generalbundesanwalt B. durchführbar. Die dafür notwendigen Arbeiten und Aufgaben wurden gemeinsam besprochen und verteilt.

Siegfried H. hielt die Ergebnisse der Diskussionen im Harz in einem Arbeitsplan und weitere organisatorische Einzelheiten auf zehn beschriebenen Notizzetteln fest. Auch Roland M. fertigte schriftliche Aufzeichnungen zur Vor- und Nachbereitung von Diskussionen und erarbeitete einen detaillierten „Ablauf-/Beschaffungsplan“, in dem er die Programmpunkte für die von der Gruppe zu erfüllenden Aufgaben in einem Schreibblock zusammenstellte.

In dem von Siegfried H. erstellten Arbeitsplan wurden für den Zeitraum vom 20. November bis 2. Dezember 1976 verschiedene Aufgaben auf elf mit Tarnnamen benannte Gruppenmitglieder verteilt. Nach dem damaligen Planungsstand sollte der Karlsruher Anschlag von einem Motorrad aus mittels einer Haftmine („Topf“) durchgeführt werden, die auf dem Dach des vom Generalbundesanwalt genutzten Dienstwagens angebracht werden sollte. Peter-Jürgen B. hatte eine entsprechende Haftmine konstruiert, die am 29. November 1976 von Christian K. („Ede“) und Günter S. („Bodo“) getestet werden sollte. Im Rahmen der Aufgabenverteilung wurde Peter-Jürgen B. unter dem Decknamen „Tim“ insbesondere noch das Fälschen von Ausweisen („Pappen basteln“) zugewiesen. Auch Christian K. war für Fälschungsarbeiten eingeteilt. Roland M. („Michael“), Günter S., die damalige Ehefrau des Peter-Jürgen B., Waltraud L. („Inge“) und Sieglinde H. („Olga“) waren für die Beschaffung von Autos für die Gruppe, die teils gekauft, teils entwendet werden sollten, vorgesehen. Weitere Aufgaben betrafen Schießübungen, z.B. durch Peter-Jürgen B., Waltraud L. und Christian K., die Anmietung einer Kommandowohnung durch Roland M. und verschiedene Depotarbeiten. Die Angeklagte, Deckname „Paula“, war vor allem mit Aufgaben im Zusammenhang mit Depots betraut. Sie sollte am 30. November 1976 „andere Depotsachen packen; Schwertransport“ erledigen. Nach der damaligen Planung sollte sie auch am 2. Dezember 1976 gemeinsam mit Günter S. und „Hans“ zur Kommandowohnung in den Bereich Nordschwarzwald fahren. Dorthin sollten sich bereits am 30. November 1976 Siegfried H. und Roland M. begeben haben. Für den 3. Dezember 1976 war zwischen diesen sowie Waltraud L., Christian K., Günter S., „Hans“ und der Angeklagten ein Treffen in der Musikkneipe „Turning Point“ in Herrenwies (im Nordschwarzwald) vorgesehen. Waltraud L. sollte sich am 4. Dezember 1976 nach Österreich („F 2“) begeben, um eine „Bank vorzubereiten“.

Die im Untergrund lebenden „RAF“-Angehörigen führten dabei eine „Personaldebatte“ über die Zusammensetzung des Kommandos für die Aktion „Margarine“. Wer einem Tatkommando angehören sollte, wurde in Diskussionen der Gruppe der Illegalen bestimmt. Entscheidend waren die Fähigkeiten, z.B. im Umgang mit Waffen oder Motorrädern und/oder Ortskenntnisse. Jedes Mitglied, auch die Angeklagte, war grundsätzlich bereit, in dem Kommando mitzuwirken oder bei Aufforderung einzelne Arbeiten zu übernehmen, was jeweils gegenseitig stützend war.

Die Kommandowohnung für den Anschlag sollte sich im Umkreis von 30 Kilometern um den späteren Tatort Karlsruhe befinden. Als geeigneter Standort wurde das Gebiet um die Gemeinde Dobel in der Nähe von Karlsruhe diskutiert. Ferner erörterten die Illegalen im Rahmen der Planungen für die Aktion „Margarine“ frühzeitig die Rückzugsmöglichkeiten der Kommandomitglieder unmittelbar nach der Anschlagsdurchführung.

Als „Perspektive nach Margarine“ diskutierte die Gruppe der Illegalen bei dem Treffen die Aktion „Big Money“, die „schon jetzt“ vorbereitet werden sollte. In diesem Zusammenhang sollte Dr. Hanns Martin Sch. („H.M.“) „ausgecheckt“ werden. Ferner stellte die Gruppe Überlegungen zu einem geeigneten Versteck für das Opfer an („wo den Typ bunkern“). Eine zweite Aktion für die Zeit nach dem Anschlag auf den Generalbundesanwalt war, wie bereits erwähnt, unter der Bezeichnung „Big Raushole-Rache!“ geplant.

Bis zur Festnahme von Siegfried H. und Roland M. am 30. November 1976 (s. nachf. Ziff. 4) waren im Rahmen der weiteren Vorbereitungen in der Karlsruher Innenstadt einzelne Straßen entlang des ausgespähten gewöhnlichen Anfahrtsweges von Generalbundesanwalt B. von seiner Wohnung zu seinem Dienstort ausgemessen und abgeschritten worden, um alternativ - wenn die Tests mit dem sog. „Topf“ nicht erfolgreich sein würden - auch andere Möglichkeiten der Anschlagsbegehung zu planen.

Mit dem Treffen im Harz waren die Planungen für den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. schon so weit fortgeschritten, dass die Anwesenden, darunter die Angeklagte, beschlossen, das Attentat im Dezember 1976 auszuführen. Roland M. hatte hierzu vermerkt: „Vorbereitung d. Margarine - alles klar“. Wegen der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. kurze Zeit nach diesem Treffen wurde jedoch die Anschlagsdurchführung zunächst zurückgestellt.

4. Die Festnahme H./M. am 30. November 1976

Am 30. November 1976 wurden Siegfried H. und Roland M., die sich mit einem am 28. November 1976 in Bochum entwendeten Opel-Admiral, wie vorbesprochen und in dem Arbeitsplan entsprechend aufgeführt, auf der Fahrt über Frankfurt in den Nordschwarzwald befanden, auf der Bundesautobahn Kassel-Frankfurt - A 5 - bei Butzbach festgenommen. Der von Siegfried H. erstellte Arbeitsplan sowie die von Siegfried H. und Roland M. gefertigten Notizen und andere Unterlagen wurden hierbei sichergestellt.

Die Sicherstellung der von den beiden Festgenommenen mitgeführten schriftlichen Unterlagen, u.a. von der Karlsruher Innenstadt angefertigte Skizzen, die sich in einem unverschlossenen Briefumschlag mit der Aufschrift „Margarine“ in M.s Umhängetasche befanden, führte dazu, dass die übrigen Gruppenmitglieder „RAF“ stark verunsichert waren und daher entschieden, die vorgesehene Aktion „Margarine“ zunächst aufzuschieben. Sie hatten die Befürchtung, dass die Notizen entschlüsselt und die Anschlagsvorbereitungen insoweit aufgedeckt worden sein könnten.

Die zuvor bereits geplante weitere Beschaffungstat wurde jedoch durchgeführt. So überfielen am 13. Dezember 1976 in Wien Waltraud L. und zwei weitere männliche Mitglieder der „RAF“, die noch vor Festnahme von Siegfried H. und Roland M. für diese Aufgabe vorgesehen waren und sich - so die Aufzeichnungen in den bei der Festnahme sichergestellten Papieren - am 4. Dezember 1976 in die Filiale „F2“ begeben sollten, die Creditanstalt - Bankverein Filiale in der Kärntnerstraße 53, wobei mindestens 3,4 Millionen Schilling entwendet werden konnten. Waltraud L., die einen von Christian K. am 27. Oktober 1976 in Aosta erworbenen Revolver Smith&Wesson mit sich führte, wurde auf der anschließenden Flucht festgenommen und verurteilt.

Da Siegfried H. Koordinator der Aktivitäten gewesen war, mussten nach dessen Festnahme die weiteren Aktivitäten und Planungen den veränderten Gegebenheiten angepasst werden.

5. Kontakte der „RAF“ zur „Bewegung 2. Juni“

Zur Abklärung der Möglichkeit, ob eventuell auch Aktionen gemeinsam mit anderen extremistischen Gruppen durchgeführt werden könnten, nahm die „RAF“ Verbindung zur „Bewegung 2. Juni“ auf. Anfang 1977 wurde die Angeklagte von den übrigen „RAF“-Mitgliedern als früheres Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ bestimmt, gemeinsam mit Günter S. entsprechende Gespräche zu führen.

An einem nicht ermittelten Ort trafen sich daraufhin die Angeklagte und Günter S. mindestens zweimal mit Vertretern der „Bewegung 2. Juni“, nämlich mit Gabriele R. und Inge V. Auch diese Gruppe hielt eine Befreiungsaktion für die im Gefängnis sitzenden Gesinnungsgenossen bzw. politischen Gefangenen (der „RAF“) für notwendig und erwog, eine solche Aktion gemeinsam zu planen und durchzuführen. Nach diesen Treffen wurden die weiteren Gespräche mit der „Bewegung 2. Juni“ von Seiten der „RAF“ von Stefan W. und Willy St. übernommen. Wegen unterschiedlicher Vorstellungen kam es jedoch nicht zu weiteren Planungen einer gemeinsamen Aktion.

6. Das zweite Gesamttreffen in den Niederlanden Anfang 1977

a. Um nach der Verhaftung Siegfried H. die Koordination in der Gruppierung und insbesondere die Frage, wie es im Hinblick auf die bei der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. sichergestellten Unterlagen mit den geplanten und aufgeschobenen Anschlagsaktionen weitergehen könne, zu klären, kam es zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt Anfang des Jahres 1977 - jedenfalls bevor das „RAF“-Mitglied Brigitte M. Ende Februar 1977 zur Gruppe der „Illegalen“ gestoßen war - zu einem Gesamttreffen der „RAF“-Mitglieder in einer Ferienanlage in den Niederlanden. An diesem Treffen nahmen alle beim ersten Gruppentreffen im Harz anwesenden „RAF“-Mitglieder mit Ausnahme der in der Zwischenzeit verhafteten Siegfried H., Roland M. sowie Waltraud L. teil. Darunter befanden sich wieder die Angeklagte sowie die späteren unmittelbar am Anschlag beteiligten Täter. Außerdem waren auch Adelheid Sch., Angelika S. und Knut F. anwesend, die nach der Verhaftung H.s in die Illegalität gegangen waren.

Nachdem sich Siegfried H. mit seinen Aufgaben innerhalb der Gruppe bis zu seiner Festnahme immer stärker in den Vordergrund gebracht hatte, wurde unter Mitwirkung der Angeklagten zunächst entschieden, dass es künftig mehr auf das „RAF“-Kollektiv ankommen solle. Weil die Gruppe aufgrund der Verschlüsselung der bei der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. sichergestellten Unterlagen und des Zeitablaufs seit ihrer Festnahme die Durchführung des geplanten Anschlags auf Generalbundesanwalt B. bzw. die weiteren Anschlagsvorhaben nicht weiter als gefährdet ansah, bestand nunmehr Einigkeit, dass das Attentat auf Generalbundesanwalt B. verübt und auch die Planungen hinsichtlich der übrigen „Aktionen“ fortgeführt werden sollten.

Bei den in den Niederlanden geführten Diskussionen traten jedoch zunächst unterschiedliche Ansichten über den Zeitpunkt des Mordanschlags zu Tage. Den Gruppenmitgliedern war bei dem Treffen bekannt, dass die Gefangenen in Stammheim mittels Kassiber Anfang des Jahres 1977 auf die baldige Durchführung des Anschlags gedrängt hatten. Während ein Teil der Gruppe um die später mit der Tatvorbereitung/ -ausführung befassten Täter wie Günter S., die mit den Einzelheiten der Anschlagsdurchführung und der Bestimmung des Anschlagszeitpunkts befasst waren, meinte, sie selbst müssten bestimmen, wie und mit welchem zeitlichen Ablauf die einzelnen Aktionen durchgeführt werden, vertraten andere den Standpunkt, die Gefangenen kritisierten zu Recht, dass es mit der Planung und Durchführung der Aktionen zu langsam vorangehe. Dieser Meinung waren insbesondere die Frauen aus dem Kreis der Illegalen, darunter auch die Angeklagte.

Letztlich setzten sich innerhalb der Gruppe vorwiegend die Frauen um die Angeklagte mit ihrer Auffassung durch. Die späteren unmittelbaren Täter ließen sich durch das vehemente Eintreten der Angeklagten im Rahmen der Diskussion von der Notwendigkeit einer beschleunigten Durchführung des Anschlags überzeugen und trafen, auch vom vehementen Einsatz der Angeklagten für die Forderung der Gefangenen beeinflusst und bestimmt, gemeinschaftlich mit allen in Holland anwesenden Gruppenmitgliedern die Entscheidung zur Ermordung Siegfried B.s. Dieser bereits vor der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. gemeinsam gefasste Tatentschluss sollte nun auch zeitnah umgesetzt werden; außerdem sollten die weiteren Anschlagsaktionen vorangetrieben werden. Die Angeklagte bestärkte die anwesenden unmittelbaren Täter durch ihre entschiedenen Diskussionsbeiträge bewusst und gewollt in ihrem bereits gefassten Tatenschluss und wollte die Anschlagsdurchführung dadurch bewusst fördern.

Zum damaligen Zeitpunkt stand aufgrund der zwischenzeitlich durchgeführten Tests fest, dass der ursprüngliche Plan, die von Peter-Jürgen B. für den Anschlag konstruierte Haftmine auf dem Dienstfahrzeug des Generalbundesanwalts zur Detonation zu bringen, nicht durchführbar war, weil diese bei Versuchen jeweils vom Fahrzeugdach gerutscht war. Daher war sich die Gruppe darüber einig, dass der Anschlag auf den Generalbundesanwalt auf der Fahrt vom Wohnort zum Dienstort mit einer Schusswaffe von einem Motorrad aus durchgeführt werden sollte. Die Festlegung des konkreten Tatorts auf der Fahrstrecke zum Dienstort in Karlsruhe sollte - ebenso wie die genaue Bestimmung des Anschlagszeitpunkts - den Mitgliedern des unmittelbaren Tatkommandos überlassen bleiben.

Alle Gruppenmitglieder waren sich der Notwendigkeit bewusst, dass das Gelingen einer Aktion und die anschließende Flucht der Kommandomitglieder nicht durch etwaige überlebende Begleitpersonen gefährdet werden dürfe. Sie entschieden deshalb gemeinsam, dass bei der Tatausführung etwaige Schutz- und Begleitpersonen ebenfalls getötet werden müssten.

Jedem der „RAF“-Mitglieder - auch der Angeklagten - war klar, dass in jedem Fall die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer für die Ausführung der Tat eingeplant und ausgenutzt werden sollte.

Die Angeklagte gehörte nach der gemeinsamen Abrede nicht der Kommandoeinheit an, die den Anschlag unter der Bezeichnung „Kommando Ulrike Meinhof“ unmittelbar durchführen sollte.

b. Brigitte M. war bei diesem Treffen in den Niederlanden nicht anwesend. Nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von insgesamt 4 Jahren und 8 Monaten aus Verurteilungen des Landgerichts Berlin von 1974 bzw. 1975 u.a. wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und unerlaubten Waffenbesitzes wurde Brigitte M. am 8. Februar 1977 aus der Haft entlassen. Sie hatte - nach ihrer Festnahme am 9. Juni 1972 in Berlin - während ihrer Haftzeit ab Juni 1976 in Stuttgart-Stammheim engen Kontakt zu den Mitgefangenen Andreas B., Gudrun E., Jan-Carl R., Ingrid Sch. und Irmgard M. bekommen. Sie begab sich unmittelbar nach ihrer Freilassung in das Büro der Rechtsanwälte Dr. C., M. und N. in Stuttgart, die sich als Verteidiger von „RAF“-Mitgliedern einen Namen gemacht hatten und mit diesen sympathisierten. Aus der Kanzlei heraus betreuten zu diesem Zeitpunkt Volker S., Ralf F., Christoph W., Elisabeth v. D. und Gisela P. die inhaftierten „RAF“-Mitglieder. Innerhalb kürzester Zeit organisierte M. - in Ausführung des Willens der in der Vollzugsanstalt verbliebenen Gefangenen - das Anwaltsbüro um mit dem Ziel, eine wirkungsvollere Zusammenarbeit zwischen den Gefangenen und den Illegalen „draußen“ zu ermöglichen.

Ende Februar 1977, etwa drei Wochen nach ihrer Entlassung, stieß auch Brigitte M. zu den im Untergrund lebenden „RAF"-Angehörigen, die zu diesem Zeitpunkt bereits fest entschlossen waren, das Attentat auf Generalbundesanwalt B. baldmöglichst durchzuführen. Da sie feststellte, dass die Gefangenen insoweit die gleichen Vorstellungen wie die Illegalen hatten, war sie mit den vorhandenen Planungen einverstanden und wirkte fortan an deren Umsetzung mit. Brigitte M. erlangte im Laufe der weiteren Zeit aufgrund ihrer geschilderten Vorgeschichte - wie auch schon die Angeklagte - eine Führungsrolle in der Gruppe.

III. Die unmittelbaren Vorbereitungen des Anschlags vom 7. April 1977

In Umsetzung des von allen Mitgliedern der „RAF“ beschlossenen Anschlagsvorhabens wurden folgende konkrete Vorbereitungen getroffen, an denen zumindest Günter S., Christian K. und Knut F. arbeitsteilig zusammenwirkten. Die Angeklagte, die weiterhin als eine bestimmende Person der Gruppe angehörte, führte selbst keine Vorbereitungshandlungen aus.

1. Die Anmietung einer Kommandowohnung

Anfang März 1977 begaben sich vier unbekannt gebliebene „RAF“-Mitglieder mit einem roten Renault R4 in den von Karlsruhe etwa 65 km entfernt liegenden Ort Freudental, um dort eine Wohnung bzw. ein Haus als Kommandowohnung anmieten zu wollen. Gegen 13:45 Uhr erkundigten sich zu diesem Zweck zwei männliche Personen von ihnen bei Doris B., ob das auf dem Nachbargrundstück in der Pforzheimer Straße 25 gelegene Bauernhaus zu mieten sei, worauf diese die Beiden an die Eigentümerin Erna Z. verwies.

Am 5. März 1977 erschienen daraufhin gegen 16:00 Uhr zwei ebenfalls nicht ermittelte männliche Mitglieder der „RAF“ bei Erna Z., die eine beabsichtigte Anmietung des Bauernhauses jedoch ablehnte, woraufhin die beiden Personen mit zwei weiteren, in einem roten Renault R4 wartenden, „RAF“-Mitgliedern in Richtung Bietigheim davonfuhren.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt mieteten nicht näher bekannte „RAF“-Mitglieder deshalb eine nicht ermittelte Kommandowohnung in dem ebenfalls 65 km von Karlsruhe entfernt gelegenen Mannheim an.

2. Die Beschaffung des Tat- bzw. des Fluchtfahrzeugs

Am 2. April 1977 wurden die zur Umsetzung des Plans erforderlichen Tat- und Fluchtfahrzeuge, nämlich ein Motorrad Suzuki GS 750 und ein Pkw Alfa Romeo, beschafft.

a. Zur Beschaffung des Motorrads fuhr zunächst am 1. April 1977 Knut F. zusammen mit Günter S. und einem weiteren unbekannt gebliebenen männlichen „RAF“-Mitglied, das in einem roten R4 wartete, nach Mönchengladbach, um im Motorradgeschäft des Ralf W. eine Suzuki GS 750, das damals schnellste Serienkrad, anmieten zu wollen. Da Ralf W. die ihm unbekannten Kunden nicht vertrauenserweckend erschienen, war er an einem Geschäft nicht interessiert und verwies die beiden Personen an die Firma Hein G. in Düsseldorf, woraufhin S. zu seinem Begleiter sinngemäß äußerte: „Dann lass´ uns nach Düsseldorf fahren.“

Am Vormittag des 2. April 1977 erschien Günter S. in den Geschäftsräumen der Firma Hein G. in Düsseldorf und mietete beim dortigen Geschäftsführer Hermann G. unter Vorlage eines auf die Personalien „Hans Georg Sch., geboren am 2. August 1950, Anschrift in Düsseldorf, Rather Straße 82“ lautenden gefälschten Führerscheins das blaue Kraftrad Suzuki GS mit amtlichem Kennzeichen D-AT 792 für eine Probefahrt, wobei er 300 DM Kaution hinterlegte und der Wahrheit zuwider zusicherte, das Motorrad bis 13 Uhr zurückzubringen.

b. Ebenfalls am 2. April 1977 kaufte ein unter den falschen Personalien „Hans-Dieter G., Frankfurt, Bergerstraße (…)“ auftretendes, nicht identifiziertes männliches „RAF“- Mitglied in den Mittagsstunden in Germersheim bei Arno M. dessen Pkw Alfa Romeo Super mit dem amtlichen Kennzeichen GER-AM 25 zu einem Preis von 4.650 DM, den der Käufer sofort bar bezahlte und eine Ummeldung des Wagens innerhalb von acht Tagen nach Frankfurt zusicherte, was in der Folgezeit jedoch nicht geschah.

3. Die Beschaffung von weiteren, zur Tatvorbereitung bzw. zur Tatausführung verwendeten Gegenständen:

a. Am 28. März 1977 kaufte ein nicht identifiziertes männliches „RAF“-Mitglied in Karlsruhe im Kaufhaus H. ein Damenfahrrad der Marke „Globus 77“. Am darauf folgenden Tag erwarb in Karlsruhe in der Verkaufsstelle des Versandhauses Q. ein weibliches, nicht identifiziertes „RAF“-Mitglied ein Damenfahrrad der Marke „Mars Luxus“. Beide Fahrräder wurden in der Folgezeit dazu benutzt, um die aktuell möglichen Fluchtwege in Karlsruhe, die für den allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr verboten waren, unauffällig auszukundschaften.

b. Zu einem bislang unbekannten Zeitpunkt wurden zwei Integralhelme der Marke Römer, einen mit weißer und einen mit roter Grundfarbe, beschafft, die anschließend mit grünem Autolack übersprüht wurden.

c. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt, jedenfalls vor dem Abend des 4. April 1977 (dem ersten Tag der Schießübungen bei Schützingen; s.nachf. 6.) holte ein „RAF“-Mitglied die spätere Tatwaffe, eine Heckler & Koch 43, Kaliber 223, Nr. 10 01529E (HK 43) sowie mindestens zwei weitere Waffen nebst zugehöriger Munition aus einem von der „RAF“ angelegten Depot.

Die bezeichnete HK 43 war am 16. Dezember 1975 bei der Firma G. & E. in Malters/Schweiz von einem männlichen „RAF“-Mitglied unter den falschen Personalien „H. Zeidler, Düsseldorf“ zum Preis von 960 sFr. erworben worden. Anschließend hatte Peter-Jürgen B. diese Waffe zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt an Lauf und Schaft verkürzt, so dass die nur noch 57 cm lange Waffe leicht verborgen und unauffällig transportiert bzw. mitgeführt werden konnte.

d. Für den Transport der späteren Tatwaffe wurde am 4. April 1977 in Mannheim in einer Filiale der K. AG eine braune Kunstledertasche gekauft, die von den Attentätern später im Fluchtfahrzeug zurückgelassen wurde.

4. Veränderungen am Motorrad Suzuki

Um eine mögliche Identifizierung des teilweise zum Auskundschaften der Örtlichkeiten, zu Erprobungsfahrten und auch als Tatfahrzeug vorgesehenen Motorrads zu vereiteln bzw. zu erschweren, wurden an dem beschafften Motorrad von unbekannten „RAF“-Mitgliedern ab dem Nachmittag des 4. April 1977 Veränderungen vorgenommen. Zu diesem Zweck wurde an der rechten Seite des Motorrads ein Rückspiegel angebracht, es wurden neue Blinker montiert, die an beiden Seiten des Tanks angebrachten Schriftzüge „Suzuki“ wurden entfernt und schwarz-rot-goldene Klebestreifen befestigt, am Tank außerdem mehrere Aufkleber - u.a. ein schwarzer Panther und ein vierblättriges Kleeblatt - aufgeklebt.

Entsprechend der üblichen Vorgehensweise der „RAF“ bei ihren bisherigen Gewalttaten, die verwendeten Fahrzeuge mit Kennzeichen-Doubletten von existierenden Fahrzeugen zu versehen, wurde an das Motorrad das Kennzeichen LU-NL 8 angebracht. Einem männlichen „RAF“-Mitglied war, als es am 4. April 1977 bei der Fa. R. OHG in Ludwigshafen/Rhein u.a. einen rechten Original-Rückspiegel für ein Motorrad dieser Marke erwarb, das zur gleichen Zeit vor Ort befindliche lavendelfarbene Motorrad Suzuki GT 750 des Rüdiger P. aufgefallen, das mit diesem amtlichen Kennzeichen ausgestattet war.

Nach vorheriger telefonischer Bestellung hatte daraufhin am 5. April 1977 ein nicht bekanntes männliches „RAF“-Mitglied bei Gabriele und Manfred S. in Ludwigshafen kurz vor 12:30 Uhr ein Kennzeichen LU-NL 8 gekauft und dieses anschließend gegen das Originalkennzeichen des späteren Tatmotorrads ausgetauscht.

5. Erkundungen der Tatörtlichkeiten und des Fluchtweges

Mit den erworbenen Fahrzeugen wurden ab dem 3. April 1977 vor der Tat - auch zur Erprobung und zur Erkundung des Tatortes und des Fluchtweges - Fahrten in Karlsruhe und in den angrenzenden Gebieten ausgeführt. Bei den nachfolgend genannten Fahrten waren nur (mehrere) männliche „RAF“-Mitglieder, darunter zumindest Christian K. und Knut F. beteiligt.

a. Fahrten mit dem Alfa Romeo

Am 3. April 1977 stand das Fahrzeug, besetzt mit einer Person, mit laufendem Motor in den frühen Morgenstunden in Karlsdorf.

Am 4. April 1977 wartete das mit drei Personen besetzte Fahrzeug gegen 10:30 Uhr an der geschlossenen Schranke des von dem Bahnwärter Andreas T. betriebenen Bahnübergangs Blankenloch/ Friedrichstal. Gegen 16:00 Uhr dieses Tages nahm dieses mit einer Person besetzte Fahrzeug an der Einmündung Schlossplatz/Herrenstraße in Karlsruhe zwei bevorrechtigten Fahrzeugen die Vorfahrt.

Am 5. April 1977 war der Pkw gegen 9:30 Uhr unter der Autobahnbrücke beim Schwimmbad Wolfartsweier abgestellt. Ebenfalls an diesem Vormittag stand der Pkw vor einer Metzgerei in Marbach a.N.. Gegen 10:30 Uhr stand das Fahrzeug im von Marbach a.N. etwa 13 km entfernten Bietigheim-Bissingen auf der Stuttgarter Straße, wobei sich drei männliche Personen, darunter zumindest Knut F. in der Nähe des Fahrzeugs aufhielten. Gegen 13:15 Uhr wartete der mit Christian K. und Knut F. und einer weiteren männlichen Person besetzte Pkw am geschlossenen Bahnübergang in Kleinglattbach bei Vaihingen/Enz. Gegen 16:00 Uhr fuhr der von einer Person gelenkte Pkw in Karlsruhe auf der Hans-Thoma-Straße und hatte sich zum Linksabbiegen in die Moltkestraße eingeordnet. Gegen 17:00 Uhr war das Fahrzeug in Kleinglattbach vor dem Gebäude Bahnhofstraße 105 abgestellt.

Am 6. April 1977 stand der Pkw gegen 9:00 Uhr in der Nähe bzw. unter der Autobahnbrücke in Wolfartsweier. Gegen 11:00 Uhr des gleichen Tages stieg eine Person in den in Marbach a.N. in der Marktstraße abgestellten Pkw ein. Gegen 13:45 Uhr stand das Fahrzeug - wie schon am Vortag - am Bahnübergang in Kleinglattbach. Das an diesem Tag aus Richtung Horrheim kommende Fahrzeug war mit zwei Personen, darunter Knut F., besetzt. Gegen 15:00 Uhr waren drei Personen, darunter Knut F. und Christian K., mit diesem Pkw in Mundelsheim unterwegs, wo sie in der dortigen Winzergenossenschaft Wein einkauften.

In der Nacht vom 6. auf den 7. April 1977 war der Pkw zwischen 23:25 Uhr und 0:27 Uhr wieder unter der Autobahnbrücke beim Schwimmbad Wolfartsweier abgestellt.

b. Fahrten mit dem Motorrad Suzuki

Am 4. April 1977 war das zwei Tage zuvor angemietete und noch mit dem amtlichen Kennzeichen D-AT 792 versehene Motorrad unter der Wasserwerkbrücke in Karlsruhe (entlang des späteren Fluchtweges) abgestellt; gegen 16:30 Uhr fuhren zwei männliche „RAF“-Mitglieder mit dem Motorrad von dort weg.

Am 5. April 1977 fuhr das mit zwei Personen besetzte Motorrad gegen 16:00 Uhr in Karlsruhe auf der Reinhold-Frank-Straße in Richtung Moltkestraße. Gegen 19:30 Uhr des gleichen Tages hielten sich Christian K. und Knut F. mit dem Motorrad an der AGIP-Tankstelle in Sachsenheim auf.

Am 6. April 1977 fuhr das mit zwei Personen besetzte Motorrad gegen 9:00 Uhr in Karlsruhe in der Kurve vor der Zufahrt zum Bundesverfassungsgericht in Richtung Kreuzung Waldstraße. Gegen 13:00 Uhr des gleichen Tages befuhr Christian K. mit dem Motorrad in Karlsruhe die Linkenheimer Landstraße in der Nähe des späteren Tatorts.

c. Erkundungen mit den beiden Damenfahrrädern

In den Nachmittagsstunden des 4. April 1977 hielten sich zwei männliche „RAF“-Mitglieder zu Erkundungszwecken mit den beiden zuvor angeschafften Damenfahrrädern auf den Feldwegen des Bereichs Wasserwerk/ Oberwald/ Autobahndreieck auf. Gegen 16:30 Uhr ketteten sie die Fahrräder mit Schlössern an das Verkehrszeichen „Durchfahrt verboten“ an der Ecke Wasserwerkstraße/ Mittelbruchstraße an; einer der beiden Männer wischte anschließend mit seinen Handschuhen die Lenkräder und Luftpumpen der Fahrräder zum Zwecke der Verwischung von Fingerspuren ab. Beide Männer gingen anschließend zu dem unter der Wasserwerkbrücke abgestellten Motorrad Suzuki und fuhren davon.

Ob sich diese beiden männlichen „RAF“-Mitglieder bereits am Morgen des 4. April 1977 zu Erkundungen in dieser Gegend aufgehalten hatten oder sie diese am 5. April 1977 bzw. 6. April 1977 fortsetzten, steht nicht fest; an einem der genannten Tage hatten gegen 8:30 Uhr zwei männliche Personen ihre Fahrräder mit Zahlenschlössern an dem bereits genannten Verkehrszeichen befestigt und waren dann in Richtung Wasserwerkbrücke weggegangen.

6. Schießübungen

Mit mindestens drei Waffen, nämlich der späteren Tatwaffe HK 43 sowie einer Pistole Smith & Wesson, die Günter S. bei seiner späteren Festnahme am 3. Mai 1977 in Singen in geladenem Zustand in einem Holster trug und einer Pistole Colt wurden am 4. April 1977 und am 5. April 1977 jeweils gegen 22:00 Uhr in einem Waldstück bei Schützingen Schießübungen durchgeführt. Dies erfolgte vorwiegend zu dem Zweck, dass sich der spätere Schütze des Attentats auf Generalbundesanwalt B. und seine beiden Begleiter mit den Eigenarten der Tatwaffe vertraut machen konnte. Zur Anfahrt wurde das spätere Tatmotorrad benutzt. An den Schießübungen war Günter S. beteiligt.

IV. Die Durchführung des Anschlags

Aus der Gruppe der „RAF“-Mitglieder war ein aus drei männlichen Personen bestehendes „Kommando Ulrike Meinhof" bestimmt worden, das den Anschlag durchführen sollte. In Ausführung der vorgeplanten Tat begaben sich am Vormittag des 7. April 1977 zwei nicht festgestellte männliche „RAF“-Mitglieder aus diesem Kommando mit dem Motorrad der Marke Suzuki GS 750, an dem die Kennzeichen-Doublette LU-NL 8 angebracht war, absprachegemäß nach Karlsruhe zur Linkenheimer Landstraße, um in diesem Bereich auf das Eintreffen des Dienstwagens von Generalbundesanwalt B. zu warten, da sie aufgrund vorangegangener Ausspähungen wussten, dass der Dienstwagen auf der Fahrt von der Wohnung Siegfried B.s in Karlsruhe-Neureut bis zu dem in der Herrenstraße in Karlsruhe gelegenen Dienstgebäude der Bundesanwaltschaft üblicherweise diese Straße befuhr.

Zu diesem Zweck fuhren sie gegen 8:30 Uhr auf das Gelände der an der Linkenheimer Landstraße etwa 4 km vom späteren Tatort entfernt gelegenen, von Heinrich W. geführten, Esso-Tankstelle, wobei sie das Motorrad in die Nähe der vorderen, zur Straße gelegenen Zapfsäule abstellten, um die Linkenheimer Landstraße gut einsehen zu können. Die beiden Kommandomitglieder waren dunkel gekleidet und hatten die umgespritzten Vollhelme mit Visier auf. Die auf dem Sozius des Motorrads sitzende Person stieg ab und entnahm aus einer braunen Reisetasche einen Schraubenzieher und machte sich zum Schein an dem Motorrad zu schaffen, ebenso reinigte die Person auch die Rückstrahler, obwohl das Motorrad nicht verschmutzt war. Beide Personen beobachteten hierbei den Verkehr auf der Linkenheimer Landstraße. Da der Dienstwagen des Generalbundesanwalts entgegen ihren Erwartungen während ihres Aufenthalts auf dem Tankstellengelände nicht an der Tankstelle vorbei fuhr, setzten sie nach gut 10 Minuten ihre Fahrt mit dem Motorrad auffallend langsam in Richtung Stadtmitte fort.

Die Fahrt des Generalbundesanwalts hatte sich an diesem Morgen verzögert; der Dienstwagen war am Wohnort zunächst nicht angesprungen.

Um weiter auf die Vorbeifahrt des Dienstwagens zu warten, fuhren sie auf den an der Linkenheimer Landstraße - nach der dortigen ARAL-Tankstelle - gelegenen Parkplatz vor dem entlang der Straße stehenden Gebäude der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (künftig VBL) und stellten das Motorrad - jederzeit startbereit - etwa 100 m vom späteren Tatort entfernt, direkt an die Straßeneinfahrt, um in der Folge den vorbeifahrenden Verkehr zu beobachten.

Kurz nach 9:00 Uhr näherte sich schließlich der vom Kraftfahrer Wolfgang G. gesteuerte Dienstwagen Mercedes des Generalbundesanwalts auf der Linkenheimer Landstraße der Einmündung zur Moltkestraße in Richtung Stadtmitte. Generalbundesanwalt B. saß - wie üblich - auf dem Beifahrersitz. Der Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, Erster Justizhauptwachtmeister Georg W., der nur ausnahmsweise im Zusammenhang mit den Startproblemen des Wagens mitfuhr, saß auf dem Rücksitz rechts.

Da die in Höhe der Einmündung zur Moltkestraße angebrachte Lichtzeichenanlage Rotlicht zeigte, hielt der auf der rechten der beiden Geradeausspuren fahrende Dienstwagen unmittelbar vor der Haltelinie an. Die beiden Kommandomitglieder, die die Vorbeifahrt des Dienstwagens an ihrem Standort an der Einfahrt neben der ARAL-Tankstelle beobachtet hatten, waren dem Dienstwagen gefolgt; sie fuhren mit ihrem Motorrad an die rechte Seite des Dienstwagens von hinten heran und blieben ebenfalls stehen.

Als die Lichtzeichenanlage die Weiterfahrt freigab, zog die Person auf dem Sozius des Motorrads plötzlich aus der zwischen sich und der Person des Fahrers mitgeführten braunen Reisetasche das darin verborgen gehaltene Selbstladegewehr HK 43 heraus. In dem Moment, als das Dienstfahrzeug anfuhr, gab die auf dem Sozius des Motorrads sitzende Person in direkter Tötungsabsicht in schneller Folge durch die beiden rechten Seitenfenster des Dienstwagens mindestens 26 Schüsse in das Fahrzeuginnere auf die nichts ahnenden und damit wehrlosen Insassen ab, die von den Schüssen im Rücken und auf ihrer rechten Körperseite mit Schussrichtung schräg von oben nach unten und von hinten nach vorne getroffen wurden. Während der Schussabgabe lenkte die das Motorrad steuernde Person dieses neben dem Dienstwagen mit etwa gleicher Geschwindigkeit, mit der auch der PKW fuhr.

Die Einbeziehung der beiden Begleiter des Generalbundesanwalts in den Anschlag war aus der Sicht der Täter - wie vorgeplant - notwendig, um von vornherein jede Gegenwehr, Verfolgung sowie eine mögliche Wiedererkennung oder Ergreifung auszuschließen.

Die mindestens 16 auf Generalbundesanwalt B. abgegebenen Schüsse zertrümmerten bei ihm die mittlere Brustwirbelsäule, das rechte Schlüsselbein und den rechten Oberarm, führten zum Bruch des rechten Schulterblattes und zu mehreren Rippenbrüchen. Sie zerrissen beide Lungenflügel, den rechten Herzvorhof sowie die Pulmonalarterie. Ferner durchschlugen die Schüsse u.a. die große Körperschlagader, das Zwerchfell, den Magen und den Darm.

Wolfgang G. erlitt durch die mindestens 7 Geschosse, die ihn trafen, neben Splitterverletzungen und Streifschusswunden u.a. einen Lungendurchschuss, eine Fraktur der fünften Rippe sowie einen Trümmer- und Stückbruch des rechten Oberarmes. Georg W. wurde neben einem folgenlosen Streifschuss von mindestens zwei Geschossen getroffen, die sein Zwerchfell durchtrennten und in die Milz, die Bauchspeicheldrüse, die linke Niere und die Bögen des ersten und zweiten Lendenwirbels eindrangen. Georg W. erlag diesen Verletzungen am 13. April 1977, während Generalbundesanwalt B. und sein Fahrer Wolfgang G. noch am Tatort verstarben.

Nach Abfeuern der Schüsse ließ sich das auf der rechten Seite des Dienstwagens fahrende Motorrad etwas hinter den Dienstwagen zurückfallen, während der Dienstwagen ab etwa der Mitte des Einmündungsbereiches führerlos weiterrollte und gegen einen vor dem weiteren Gebäude der VBL am rechten Fahrbahnrand stehenden Metallpfosten - jenseits des Einmündungsbereiches - prallte. Dessen Fahrer Wolfgang G. war, nachdem es ihm noch gelungen war, die Fahrertür zu öffnen, im Einmündungsbereich aus dem Dienstwagen gefallen.

Die Täter fuhren anschließend an die linke Seite des Dienstwagens, blickten im Vorbeifahren in das Wageninnere, prüften dabei das Gelingen ihres Anschlags und fuhren sodann auf ein wechselseitiges Handzeichen hin in zügiger Fahrt in Richtung Karlsruher Innenstadt, wobei die auf dem Sozius sitzende Person die Tatwaffe wieder in die Aktentasche steckte.

V. Die Flucht

Über den Zirkel und die Brücke am Wasserwerk flüchteten die Täter durch den nahe gelegenen Oberwald und über einen an einer Kleingartenanlage vorbeiführenden Feldweg zu der in Wolfartsweier gelegenen Autobahnbrücke. Dort versteckten sie das Motorrad und die beiden Sturzhelme (an einem Helm fehlte das Visier) - wie zuvor ausgespäht und abgesprochen - in der Kammer eines Brückenpfeilers. Die Tasche nebst der Waffe als Inhalt nahmen sie mit.

Die dritte Person des Kommandos hatte in der Zwischenzeit auf das Eintreffen der beiden Kommandomitglieder abredegemäß in der Nähe des Brückenpfeilers auf einem Parkplatz unter der Autobahnbrücke mit dem PKW Alfa Romeo, amtliches Kennzeichen GER-AM 25, gewartet. Mit diesem Fahrzeug setzten die drei Personen des Kommandos ihre Flucht in Richtung Sachsenheim fort.

Kurze Zeit später stellten sie das Fahrzeug zwischen 10:00 Uhr und 10:30 Uhr in der Wiesenstraße in Sachsenheim ab und entfernten sich vom Fahrzeug in Richtung des nahegelegenen Bahnhofs. Sie entkamen auf unbekanntem Wege.

Die Angeklagte saß weder auf dem Motorrad noch wartete sie im Fluchtfahrzeug.

VI. Die Tatbeteiligung der Angeklagten

1. Die Mitgliedschaft der Angeklagten in der „RAF“

Wie bereits an verschiedenen Stellen ausgeführt, begaben sich zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, jedenfalls ab Ende 1975 bzw. Anfang 1976 die Angeklagte und Rolf H., die sich beide seit ihrer gewaltsamen Freipressung Anfang März 1975 im Südjemen aufhielten, in das vorgenannte militärische Ausbildungslager in der Nähe von Aden, wo sie etwa Mitte des Jahres 1976 mit den oben erwähnten Personen bzw. Einzelgruppen zusammen kamen.

Spätestens in diesem Lager schloss sich die Angeklagte der „RAF“ an. Sie war eine strikte Verfechterin des bewaffneten Kampfes, wie er von den Stammheimer Gefangenen gefordert wurde. Wegen ihrer harten, kompromisslosen Haltung, ihrer bisherigen Teilnahme an gewalttätigen Aktionen in Berlin und als Freigepresste erlangte sie bald eine führende, dominante Stellung innerhalb der Gruppe.

2. Die Beteiligung der Angeklagten an Tatentschluss und -planung

Die Angeklagte wollte - wie auch die anderen Gruppenmitglieder - die Tötung des Generalbundesanwalts, um Rache an ihm - als maßgeblicher Repräsentant der Strafverfolgungsbehörde - für den Tod von Holger M. und Ulrike M. und für die Haftbedingungen der Stammheimer Gefangenen zu üben.

a. Die Angeklagte wirkte an der bereits im Sommer 1976 in Aden nach zahlreichen Diskussionen grundsätzlich getroffenen Entscheidung mit, „Aktionen“ gegen führende Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, darunter insbesondere einen Mordanschlag auf Generalbundesanwalt B. nebst seinen möglichen Begleitern zu begehen.

b. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland nahm auch die Angeklagte im November an dem Gesamttreffen der neu formierten Gruppe im Harz teil, um an der weiteren Konkretisierung der in Aden gefassten Pläne mitzuwirken und gegebenenfalls Aufgaben im Rahmen der Vorbereitung insbesondere des B.-Anschlags zu übernehmen. Auch die Angeklagte wollte, dass das Attentat noch im Dezember 1976 ausgeführt werde.

In dem von Siegfried H. erstellten Arbeitsplan mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Anschlagsvorbereitung ist die Angeklagte unter dem Decknamen „Paula“ verzeichnet. Sie war nach diesem Plan u.a. mit Aufgaben im Zusammenhang mit Depots betraut und sollte zwei Tage vor der gemeinsamen Abfahrt aller „RAF“-Mitglieder „andere Depotsachen packen“ und einen sog. „Schwertransport“ übernehmen. Sie sollte sich außerdem am 2. Dezember 1976 mit Günter S. und „Hans“ zur Kommandowohnung in den Nordschwarzwald begeben, um dort Siegfried H. und Roland M. zu treffen.

c. Nach der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. nahm die Angeklagte Anfang 1977 an dem zweiten Gesamttreffen der „RAF“-Mitglieder in den Niederlanden teil, um dort gemeinsam die weiteren Aktivitäten und Planungen hinsichtlich des aufgeschobenen B.-Anschlags den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Weil die „Illegalen“ aufgrund der Verschlüsselung der bei der Festnahme von H. und M. sichergestellten Unterlagen und des Zeitablaufs nach dieser Festnahme ohne erkennbare Aktivitäten der Ermittlungsbehörden die Durchführung des geplanten Anschlags auf Generalbundesanwalt B. bzw. die weiteren Anschlagsvorhaben nicht mehr als gefährdet ansahen, war sich die Angeklagte mit allen weiteren Illegalen einig, dass das Attentat auf Generalbundesanwalt B. verübt und auch die Planungen hinsichtlich der übrigen „Aktionen“ fortgeführt werden sollten.

Bei den über den Zeitpunkt des Mordanschlags geführten Diskussionen (s.o. unter II. 6.) vertrat die Angeklagte auch auf diesem Treffen - ebenso wie Peter-Jürgen B., Angelika S. und Sieglinde H. - eindeutig und mit Nachdruck den Willen der Stammheimer Gefangenen, die über einen Kassiber Anfang des Jahres 1977 auf die baldige Durchführung des Anschlags gedrängt hatten. Auch weil die Angeklagte in der Diskussion vehement für die Forderung der Gefangenen nach einer grundsätzlichen und baldigen Durchführung des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. und mögliche Begleiter eintrat, setzten sich die Befürworter einer zeitnahen Aktion schließlich gegen die Gruppe um die späteren Täter, die den Standpunkt vertraten, sie selbst, weil konkret mit den Einzelheiten der Anschlagsdurchführung befasst, müssten bestimmen, wie und mit welchem zeitlichen Ablauf die einzelnen Aktionen durchgeführt werden, durch. Die späteren unmittelbaren Täter des Anschlags ließen sich dabei auch durch das vehemente Eintreten der Angeklagten für die Forderung der Stammheimer zu dem Anschlag beeinflussen. Die Angeklagte war sich dessen bewusst, dass sie die späteren Täter in der Gruppe dadurch in deren Bereitschaft, den Tatplan nunmehr auszuführen, bestärkte und dadurch eine schnellstmögliche Tatdurchführung förderte und erleichterte. Dies wollte sie auch.

Unter bestimmender Mitwirkung der Angeklagten trafen die in den Niederlanden anwesenden Gruppenmitglieder letztlich die Entscheidung, dass der bereits vor der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. gemeinsam gefasste Tatentschluss zur Ermordung des Siegfried B. zeitnah umgesetzt werden sollte, damit endlich Rache an dem Repräsentanten des verhassten Systems geübt werde. Außerdem sollten die weiteren Anschlagsaktionen weiter geplant und vorangetrieben werden.

Alle Gruppenmitglieder einschließlich der späteren Täter und der Angeklagten entschieden bewusst und gewollt, dass auch etwaige Schutz- und Begleitpersonen des Generalbundesanwalts getötet werden sollten, um nach der Tat unerkannt und unbehelligt flüchten zu können. Dabei erachteten die Gruppenmitglieder einschließlich der späteren Täter und der Angeklagten den Persönlichkeitswert der Opfer gering angesichts ihres Ziels, das bestehende System zu beseitigen und den Generalbundesanwalt als Repräsentanten dieses verhassten Systems aus Rache und auch seine Begleiter zu töten, letztere nur, um diese „Aktion“ sicherer und leichter durchführen zu können.

Da sich die von Peter-Jürgen B. konstruierte Haftmine in Tests nicht bewährt hatte, fasste die Gruppe unter Mitwirkung der Angeklagten den Beschluss, dass der Anschlag mit Schusswaffen von einem Motorrad aus durchgeführt werden sollte.

Bei dem Treffen wurde zwar festgelegt, dass das Anschlagskommando selbst den konkreten Tatort auf der Fahrt zur Dienststelle und die konkrete Tatzeit zu bestimmen hatte. Jedes „RAF“-Mitglied - auch die Angeklagte - wusste und wollte jedoch, dass die Opfer, die mit einem Angriff nicht rechnen würden, durch die Schüsse von dem Motorrad überrascht werden würden und dass die Täter diese Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer für die Ausführung der Tat gezielt einplanten und ausnutzen sollten.

d. Auch nach dem Treffen in den Niederlanden hat die Angeklagte - als zu den Führungspersonen der „RAF“ gehörend - ihre bei dem Treffen eingenommene Haltung zu einer zügigen Durchsetzung des beschlossenen Attentats auf Generalbundesanwalt B. bei ihren weiteren Kontakten mit Gruppenmitgliedern bis zum Anschlag und darüber hinaus, u.a. auch mit denjenigen aus der Gruppe, die mit der weiteren Vorbereitung des Anschlags und auch mit diesem selbst befasst waren, fortdauernd beibehalten. Die anderen Mitglieder, darunter Günter S., ließen sich hierdurch weiterhin darin bestärken, die weiteren Vorbereitungen zum Attentat und den Anschlag selbst beschleunigt im Sinne der Gefangenen durchzuführen.

3. Die Beteiligung der Angeklagten am Nachtatgeschehen

Bereits vor Durchführung des Attentats standen eine Reihe von Aufgaben fest, die unmittelbar im Anschluss an die Tat erforderlich waren. Auch für diese - nach dem Anschlag anfallenden - Arbeiten standen alle Gruppenmitglieder einschließlich der Angeklagten grundsätzlich bereit. So war insbesondere die Tatbekennung als sehr wesentlicher Bestandteil der Anschläge zu verfassen und zu versenden, weil die „RAF“ die mit der jeweiligen Aktion verbundene Botschaft der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Die bei der Tat verwendete Waffe, die wegen ihrer hohen Durchschlagskraft und Funktionalität von besonderem Wert für die Gruppe war, sollte sicher verwahrt werden.

Die Angeklagte beteiligte sich nach der Tat an der Versendung der Bekennerschreiben des Kommandos „Ulrike Meinhof“ (s. nachf. VII. 2.). Sie war auch daran beteiligt, die Tatwaffe vom 7. April 1977 außer Landes zu schaffen ( s. nachf. VII. 4.).

VII. Das Geschehen nach dem Anschlag

1. Information über die erfolgte Anschlagsdurchführung

Am 7. April 1977 hielten sich in einer Kommandowohnung für „RAF“-Mitglieder im Baden-Powell-Weg in Amsterdam zumindest Brigitte M., Sieglinde H., Silke M.-W. und Peter-Jürgen B. auf. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt an diesem Tag erhielt Brigitte M. einen Anruf von einem namentlich nicht bekannten „RAF“-Mitglied, dass der Anschlag auf Generalbundesanwalt B. erfolgreich durchgeführt wurde.

2. Die Tatbekennung

Nach dem Anschlag bekannte sich die „RAF“ - wie zuvor verabredet - zu dem Anschlag.

Am 13. bzw. 14. April 1977 gingen bei insgesamt 11 Nachrichtenagenturen bzw. Presseorganen Briefe ein, in denen das „Kommando Ulrike Meinhof“ der „RAF“ die Verantwortung für den Anschlag vom 7. April 1977 übernahm. Die Sendungen waren - mit Ausnahme des für die dpa in Düsseldorf bestimmten Schreibens, das in deren Hausbriefkasten geworfen wurde - spätestens am 13. April 1977 in Düsseldorf und Duisburg zur Post aufgegeben worden und gingen bei der Welt und der Agence France Presse in Bonn, der dpa in Düsseldorf und dem NDR in Hamburg noch am 13. April 1977, bei der Nachrichtenagentur Reuters und bei ADN in Bonn, der Frankfurter Rundschau, der Associated Press in Frankfurt, dem ZDF in Mainz, der dpa in Hamburg und dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL in Hamburg am 14. April 1977 ein.

Die Briefe enthielten jeweils 5 Seiten, die allesamt den folgenden gleichen Inhalt hatten: Der ersten Seite, einem Titelblatt mit einem ca. 11 cm großen „RAF"-Emblem (fünfzackiger Stern mit Maschinenpistole und den Buchstaben RAF) folgte ein dreiseitiger Textteil, der sich mit dem Mord an Generalbundesanwalt B. befasst. Als letzte Seite war jeweils eine Fotokopie des Mietvertrages der Fa. Hein G. über das Motorrad Suzuki GS 750 vom 2. April 1977 beigefügt.

Der Textteil des Schreibens hatte folgenden Inhalt:

„für `akteure des systems selbst´ wie B. findet die geschichte immer einen weg.

am 7.4.77 hat das KOMMANDO ULRIKE MEINHOF generalbundesanwalt siegfried B. hingerichtet.

B. war direkt verantwortlich für die ermordung von holger m., siegfried h. und ulrike m..

er hat in seiner funktion als generalbundesanwalt - als zentrale schalt- und koordinationsstelle zwischen justiz und den westdeutschen nachrichtendiensten in enger kooperation mit der cia und dem nato-security-committee - ihre ermordung inszeniert und geleitet.

unter B.s regie wurde

holger am 9.11.74 durch systematische unterernährung und bewusste manipulation des transportzeitpunkts von wittlich nach stammheim gezielt ermordet. das kalkül der bundesanwaltschaft war, durch die exekution eines kaders den kollektiven hungerstreik der gefangenen gegen die vernichtungskraft zu brechen, nachdem der versuch, andreas durch einstellung der zwangsernährung umzubringen, durch die mobilisierung der öffentlichkeit gescheitert war.unter B.s regie wurde

siegfried, der das kommando holger m. geleitet hat und der die sprengung der deutschen botschaft in stockholm durch westdeutsche mek-einheiten hätte nachweisen können, am 4.5.75 ermordet. während er unter der ausschließlichen verfügungsgewalt der bundesanwaltschaft und des bka stand, wurde seine auslieferung in die brd und der lebensgefährliche transport in das gefängnis von stuttgart-stammheim durchgeführt, was seinen sicheren tod bedeutete.

unter B.s regie wurde

ulrike am 9.5.76 in einer aktion des staatsschutzes exekutiert. ihr tod wurde als selbstmord inszeniert, um die sinnlosigkeit der politik, für die ulrike meinhof gekämpft hat, zu demonstrieren.

der mord war die eskalation nach dem versuch der bundesanwaltschaft, ulrike durch einen neurochirurgischen zwangseingriff zu kretinisieren, um sie - zerstört - im stammheimer prozess vorführen und bewaffneten widerstand als krankheit denunzieren zu können. dieses projekt wurde durch internationalen protest verhindert.

der zeitpunkt ihrer ermordung war präzise kalkuliert:

vor der entscheidenden initiative im prozess, den anträgen der verteidigung, die an den angriffen der RAF gegen die us-headquaters in frankfurt und heidelberg 1972 die beteiligung der brd an der völkerrechtswidrigen aggression der usa in vietnam interpretieren sollten;

vor ulrikes zeugenvernehmung im prozess in düsseldorf gegen das kommando holger m., wo sie authentisch über die äusserste form der folter, die an ihr in 8 monaten toten trakts vollstreckt worden war, hätte aussagen können;

vor ihrer verurteilung - da die kritische internationale öffentlichkeit, die sich an dem schauprozess in stammheim und einer zynischen darstellung imperialistischer gewalt entwickelt hat, von der bundesregierung begriffen worden war, weil sie dabei war, ihnen auf die füsse zu fallen.

ulrikes geschichte ist deutlicher als die vieler kämpfer die geschichte der kontinuität von widerstand -

sie verkörpert für die revolutionärte bewegung eine ideologische avantgardefunktion, auf die B.s konstruktion des fingierten selbstmords zielte: ihr tod - von der bundesanwaltschaft als `einsicht in das scheitern´ bewaffneter politik propagandistisch verwertet - sollte die gruppe, ihren kampf und die spur ihrer wirkung moralisch vernichten.

die konzeption der bundesanwaltschaft, die seit 71 fahndung und verfahren gegen die RAF an sich gezogen hat, läuft nach der linie der im security committee der nato konzipierten antisubversionsstrategie: kriminalisieriung revolutionären widerstands - deren taktische schritte infiltration, entsolidarisierung und isolierung der guerilla und eliminierung ihrer leader sind.

im rahmen der counterstrategie der imperialistischen brd gegen die guerilla ist die justiz kriegführendes instrument - in der verfolgung der aus der Illegalität operierenden guerilla und in der vollstreckung der vernichtung der kriegsgefangenen.

B. - wie schmidt sagt `ein tatkräftiger kämpfer´ für diesen staat - hat die auseinandersetzung mit uns als krieg begriffen und geführt: `ich habe den krieg überstanden. dies ist ein krieg mit anderen mitteln.´

was revolutionärer krieg ist - und das werden die bullen wie B. nie begreifen - ist die kontinuität, die solidarität, die liebe, die die aktion der guerilla ist.

wir werden verhindern, dass unsere fighter in westdeutschen gefängnissen ermordet werden, weil die bundesanwaltschaft das problem, dass die gefangenen nicht aufhören zu kämpfen, nicht anders als durch ihre liquidierung lösen kann.

wir werden verhindern, dass bundesanwaltschaft und staatsschutzorgane sich an den gefangenen fightern rächen für die aktionen der guerilla draussen.

wir werden verhindern, dass die bundesanwaltschaft den vierten kollektiven hungerstreik der gefangenen um die minimalen menschenrechte benutzt, um andreas, gudrun und jan zu ermorden wie es die psychologische kriegführung seit ulrikes tod offen propagiert.

KOMMANDO ULRIKE MEINHOFROTE ARMEE FRAKTION

DEN BEWAFFNETEN WIDERSTAND UND DIE ANTIIMPERIALISTISCHE FRONT IN WESTEUROPA ORGANISIERENDEN KRIEG IN DEN METROPOLEN IM RAHMEN DESINTERNATIONALEN BEFREIUNGSKAMPFES FÜHREN".

Der Inhalt des Bekennerschreibens wurde nach teilweisen Vorgaben der Stammheimer Gefangenen von Brigitte M. und Sieglinde H. in der konspirativen Wohnung in Amsterdam im Baden-Powell-Weg am Tattage oder an den darauf folgenden Tagen verfasst.

Die Angeklagte stand für sich weiterhin zu der Tat und wollte entsprechend dem allgemeinen Gruppenwillen, jederzeit für „Aufgaben“ bereit zu sein, sich einbringen. So beteiligte sie sich nach dem Attentat an der für die - als politische Aktion propagierten - Tatziele notwendigen Verteilung dieser Bekennerschreiben, indem sie Bekennerbriefe verpackte und frankierte.

3. Der Aufenthalt der Angeklagten und weiterer Gruppenmitglieder in der Schweiz

Jedenfalls im Zeitraum vom 21. April 1977 bis 28. April 1977 hielten sich mehrere „RAF“-Mitglieder, darunter u.a. Günter S., Knut F. und die Angeklagte zumindest zeitweilig in der Schweiz, u.a. in Zürich auf und übernachteten in dortigen Hotels.

Am 21. April 1977 mietete die Angeklagte in Zürich unter den Aliaspersonalien Telse Pohlmann und unter Vorlage eines auf diese Personalien lautenden gefälschten Personalausweises und eines gefälschten Führerscheins einen Pkw Ford Taunus 1600 an, den sie am 28. April 1977, nachdem das Fahrzeug eine Strecke von 1.481 km zurückgelegt hatte, zurückbrachte. Nach ihren schriftlichen Schilderungen bei der Rückgabe des Fahrzeugs sei sie am 27. April 1977 in Zürich beim Rückwärtsfahren mit einer Parkuhr kollidiert, wobei die hintere rechte Fahrzeugtür beschädigt worden sei. Bei der Rückgabe waren die Karosserie und der Innenraum des Fahrzeugs mit Walderde verschmutzt, weil die genannten „RAF“-Mitglieder u.a. „Depotarbeiten“ durchgeführt hatten. Während des Aufenthalts eines Teils der „RAF“-Mitglieder in der Schweiz hatte Rolf C. W. am 23. April 1977 von Essen aus telegrafisch einen Betrag von 4.000 DM an die Angeklagte nach Zürich angewiesen.

4. Die Festnahme der Angeklagten am 3. Mai 1977

Am 2. Mai 1977 fuhr die Angeklagte zusammen mit Günter S. und vier weiteren Begleitern mit dem Zug D209 gegen 22:30 Uhr vom Essener Hauptbahnhof in Richtung Zürich. Während von den Begleitern eine männliche Person in Köln, eine weibliche und eine männliche Person in Bonn sowie eine Person in Karlsruhe ausstiegen, fuhren die Angeklagte und Günter S. bis Singen weiter, wo sie beabsichtigten, sich über die „Grüne Grenze“ in die Schweiz und sodann nach Zürich zu begeben. Nach einem Aufenthalt in einem Café in Singen im Laufe des Vormittags des 3. Mai 1977 wurden sie allerdings festgenommen.

Die Angeklagte und Günter S. führten - wie oben schon ausgeführt - neben verschiedenen Waffen und gefälschten Ausweispapieren auch die bei der Tatausführung am 7. April 1977 von den Tätern verwendete HK 43 mit sich. Die Angeklagte hatte dabei in ihrer Umhängetasche 2 Patronen des Kalibers dieser Waffe bei sich. Beide Personen hatten nach dem Attentat die Aufgabe übernommen, die Tatwaffe und weitere Gegenstände, die für die Gruppe bei Bedarf eine spätere Verwendung finden sollten, in die Schweiz zu transportieren.

VIII. Bisherige Verurteilungen zum Anschlag vom 7. April 1977

1. Verurteilung von Knut F.s

Durch Urteil des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart (2 - 1 StE 5/79) vom 31. Juli 1980 wurde gegen Knut F. wegen des Anschlags vom 7. April 1977 und wegen des Überfalls auf das Waffengeschäft F. in Frankfurt am 1. Juli 1977 eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Der 2. Strafsenat hat insoweit Folgendes festgestellt:

„(...) B. Feststellungen zur Sache

I. Der Anschlag in Karlsruhe

(...) 1. Die Tat wurde von mindestens drei Personen, unter denen sich der Angeklagte und Günter S. befanden, nach vorgefasstem Plan gemeinsam als „Aktion der RAF“ ausgeführt (...)

Ob der Angeklagte auf dem Motorrad saß oder mit dem Pkw wartete, ließ sich nicht feststellen. Sicher ist, dass er das eine oder das andere tat.

2. Auch bei der Vorbereitung der Tat waren mindestens drei Personen, unter ihnen der Angeklagte und Günter S., beteiligt:

Zur Beschaffung des Motorrades fuhren am 1. April 1977 der Angeklagte, Günter S. und eine weitere, unbekannt gebliebene Person mit einem Pkw nach Mönchengladbach und sprachen dort im Motorradgeschäft W. vor, um eine Suzuki GS 750 anzumieten. (...).

Am 2. April 1977 wurde der später zur Flucht benützte Pkw Alfa Romeo mit dem amtlichen Kennzeichen GER-AM 25, bei Arno M. in Germersheim gekauft.(...).

Mit diesem Fahrzeug wurden an den folgenden Tagen - auch zur Erkundung des Tatortes und des Fluchtweges - Fahrten im Karlsruher Raum ausgeführt, wobei bis zu drei Personen im Fahrzeug waren:

So (…) am 4. und 5. April 1977 jeweils in Karlsruhe der Angeklagte, am 5. April 1977 am Bahnhof Bietigheim-Bissingen der Angeklagte, Günter S. und eine weitere Person, (…), am 5. und 6. April 1977 jeweils am Bahnübergang Kleinglattbach der Angeklagte mit zwei anderen Personen und am 6. April 1977 in Mundelsheim der Angeklagte mit zwei anderen Personen.(...).“

2. Verurteilung von Brigitte M. und Christian K.

Am 2. April 1985 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart (5 - 1 StE 1/83) Brigitte M. und Christian K. u.a. wegen des Anschlags vom 7. April 1977 schuldig gesprochen. Der 5. Strafsenat hat insoweit u.a. folgende Feststellungen getroffen:

„(…) Feststellungen

(…)G. Der Anschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried B. sowie dessen Begleiter Wolfgang G. und Georg W..

Planung und Vorbereitung

(..) Den Plänen entsprechend, die die Mitglieder der „RAF“ einschließlich der Angeklagten entwarfen, trachteten sie dem Generalbundesanwalt auf der Fahrt von seiner Wohnung zu seinen Dienstsitz aufzulauern. (…)

Die unmittelbare Tatausführung übernahmen neben dem Angeklagten K. die ihm seit langem verbundenen „RAF“-Mitglieder S. und F., da diese drei in Karlsruhe gelebt hatten, Stadt und Umgebung demnach genau kannten.

Bandenmitglieder, darunter die Genannten, spähten die tägliche Fahrtstrecke und die Fahrgewohnheiten des Generalbundesanwalts einschließlich der für ihn getroffenen Sicherheitsmaßnahmen eingehend aus.(…).

Im Rahmen der Beschaffungshandlungen sprachen F. und S. am 1. April 1977 in Motorradfachgeschäft W. in Mönchengladbach vor, um dort eine Suzuki 750 GS, die damals schnellste Serienmaschine, anzumieten.(…). Mit dem Motorrad unternahm der Angeklagte K. in den Tagen vor der Tat Übungs-und Aufklärungsfahrten.

Am 2. April kaufte ein nicht identifiziertes „RAF“-Mitglied den später zur Tatvorbereitung und Flucht benutzten silbergrauen Alfa Romeo GER-AM 25 bei Arno M. in Germersheim.(...). Mit diesem Fahrzeug wurden an den Tagen vor der Tat - auch zur Erkundung des Tatortes und des Fluchtweges - Fahrten im Raum Karlsruhe/Sachsenheim ausgeführt. Anlässlich dieser Fahrten waren in wechselnder Besetzung bis zu drei Personen, nämlich Günter S., Knut F. und der Angeklagte K. im Fahrzeug.

Der Anschlag

(..). Dass sich die Angeklagte M. am Tatort oder im Umfeld aufgehalten hätte, ließ sich nicht feststellen. An den Planungen und Vorbereitungen dieses Anschlags hatte sie aber wesentlichen Anteil. (..).

Vom Angeklagten K. steht fest, dass er entweder Lenker oder Soziusfahrer des Motorrads war oder mit dem Alfa Romeo wartete.“

Nach eingelegten Revisionen erlangten diese Urteile Rechtskraft.

2. Abschnitt: Beweiswürdigung

A. Die Einlassungen der Angeklagten

Die Angeklagte hat sich bei der Eröffnung des Haftbefehls beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 28. August 2009 und vor dem Senat am 89. und 91. Hauptverhandlungstag zur Person und zur Sache eingelassen.

Beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat sie - unter Geltendmachung ihres Schweigerechts zum Tatvorwurf selbst - zu ihren persönlichen Verhältnissen angegeben, sie habe insgesamt neun Geschwister, zu denen sie einen guten Kontakt habe; (…)

Schon während ihrer Ausbildung zur Heilpraktikerin sei sie den spirituellen Weg gegangen; auf diesem Weg versuche sie für sich herauszubekommen, wie ihr bisheriges Leben verlaufen sei. Auf diesen spirituellen Weg beziehe sich auch der Satz der im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2009 erwähnten Notiz „Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen“. Gemeint sei damit ihr früherer Weg mit dem bewaffneten Kampf, den sie schon vor langer Zeit aufgegeben habe, weil dadurch noch mehr Leid entstehe. Die Notiz („7.04.08 - nein, ich weiß noch nicht wie ich für Herrn B. beten soll, ich habe kein wirkliches Gefühl für Schuld u. Reue. Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen - aber ist das nicht armselig so zu denken u. zu fühlen?! Das ist nicht Heilung, das scheint noch ein weiter Weg zu sein.“) sei bei einem „intuitiven Schreiben“ entstanden; die Notiz sei nur für sie selbst bestimmt gewesen. Sie neige dazu, beispielsweise Briefe zu schreiben, die sie nie abschicke. Das Datum 7. April komme daher, dass die Medien an diesem Tag viel darüber berichtet hatten und die Sache deshalb auch in Ihrem Kopf gewesen sei. Die Notiz beziehe sich auf Herrn B. jr.; sie habe sich viele Gedanken gemacht, ob sie ihn anspreche. Sie habe auch einen Brief an ihn geschrieben, den sie nie abgeschickt habe, weil das für sie „noch nicht stimmig“ gewesen sei und auch ihr Rechtsanwalt ihr dazu geraten habe, den Brief nicht abzuschicken. Die Idee, mit Herrn B. jr. Kontakt aufzunehmen, sei im Jahr 2007 entstanden, als Herr B. jr. die Sache in der Öffentlichkeit angesprochen und sie beschuldigt habe. Spirituell gesehen hätten Herr B. jr. und sie daher einen Konflikt, den es zu heilen gelte.

In der Hauptverhandlung hat die Angeklagte geäußert, dass sie zu dem stehe, was sie im August 2009 im Rahmen der Vorführung vor den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gesagt habe.

Darüber hinaus hat sie angegeben, dass die Erklärungen, die sie im Rahmen des Begnadigungsverfahrens zu ihrer Biografie gemacht habe, ebenso zutreffend seien wie die Erklärungen derjenigen, die sie damals unterstützt hätten. Die darüber hinaus verlesenen Urkunden über sie würden im Wesentlichen ihren weiteren äußeren Lebenslauf korrekt wiedergeben. Seit Mitte der achtziger Jahre sei sie ihren eigenen Weg gegangen und daran habe sich bis heute nichts geändert.

Zur Sache äußerte sie sich wie folgt: Nach Verlassen des Gefängnisses im Jahr 1975 in Berlin und dem Ausflug nach Aden sei es für längere Zeit ungewiss gewesen, wann sie nach Europa würde zurückkehren können. 1976 hätte sie sich bis in den Juli, vielleicht August, im Camp der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in der Demokratischen Volksrepublik Jemen aufgehalten. Dort seien unter den anwesenden Gruppenmitgliedern ergebnisoffen Möglichkeiten für militante Aktionen in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert worden. Definitive Entscheidungen seien nicht gefällt worden; erst recht habe niemand konkrete Anschlagsaufgaben übernommen. Die Behauptung, dass sie in diesem Zeitraum zusammen mit Siegfried H. und Peter-Jürgen B. bei dessen Ankunft in Aden - auf dem Vordach des Flughafengebäudes stehend - empfangen habe, sei falsch. Bis zu ihrer Rückreise nach Europa sei sie durchgehend im Nahen Osten gewesen.

Nach ihrer Rückkehr im Spätsommer 1976 habe es zwei größere Gruppentreffen gegeben, bei denen sie dabei gewesen sei. Das eine Treffen habe Ende des Jahres 1976 vor der Verhaftung von Siegfried H. und Roland M. im Harz stattgefunden. Dort sei über einen Anschlag auf Generalbundesanwalt B. gesprochen worden; einige Alternativen seien diskutiert worden, wobei bei diesem Treffen konkrete örtliche bzw. zeitliche Einzelheiten nicht abgeklärt gewesen und deshalb keine abschließende Entscheidung gefallen sei. Bei der grundsätzlichen Entscheidung, verschiedene Aktionen anzugehen, habe sie sich in keiner Weise hervorgetan; dies habe sie nicht gebraucht. Richtig sei, dass alle, die mit ihr damals in der RAF organisiert gewesen seien, von einem starken Bedürfnis geleitet worden seien, die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu befreien. Von allen sei eine Aktion gegen GBA B. im Grundsatz für richtig befunden worden. Während sie damals - wie alle in der Gruppe - solche Schritte gebilligt gehabt habe, habe ihr Weg sie später davon weggeführt. Ihre Aufgabe in der Gruppe habe damals hauptsächlich darin bestanden, die Verbindung zu Gruppierungen in den Nahen Osten zu organisieren und den Kontakt zu der Gruppe „Bewegung 2. Juni“ zu halten.

Die in den nach der Verhaftung von Siegfried H. und Roland M. bei diesen gefundenen Papieren der Angeklagten unter dem zutreffenden Tarnnamen „Paula“ verschlüsselt zugeschriebenen Tätigkeiten hätten nichts mit einem Anschlag auf den Generalbundesanwalt zu tun. An einer konkreten Anschlagsvorbereitung sei sie nie beteiligt gewesen. Für einen Anschlag auf Generalbundesanwalt B. seien jedenfalls Ende 1976 nach ihrer damaligen Kenntnis die Teilnehmer eines solchen Kommandos noch nicht festgestanden. Sie selbst sei nicht als Mitglied einer solchen Aktion vorgesehen oder sonst an irgendwelchen konkreten Vorbereitungen beteiligt gewesen.

Bei einem zweiten Treffen der Gruppe Anfang des Jahres 1977 „in Holland“ sei sie nur anfangs dabei gewesen. Während ihrer Anwesenheit sei es in der Diskussion um die Verbindung der Gruppe in den Nahen Osten gegangen. Sie habe dieses Treffen damals vorzeitig verlassen müssen, weil sie Verabredungen gehabt habe, die sich nicht hätten verschieben lassen.

Im März 1977 habe sich für sie eine erneute Reise in den Nahen Osten ergeben, auf der anfangs zwei weitere Begleiter aus der Gruppe zugegen gewesen seien. Sie sei die dritte Reisende der von dem Zeugen B. im Rahmen seiner Vernehmung vom 2. April 1992 beschriebenen Reisegruppe gewesen; B. sei entgegen seiner Aussage aber nicht der Reiseleiter der Gruppe gewesen. Die zwei Begleiter seien nach ca. zwei Wochen wieder abgereist. Sie selbst habe ihre Rückreise nach Europa am 8. April 1977 angetreten, wobei sie bei dieser Reise neben einem anderen Pass zur Belegung der Reiselegende den zypriotischen Pass, ausgestellt auf den Namen „Stella Ratson“, benutzt habe. Sie sei über Jugoslawien nach Rom gereist, um dort - wie zuvor im Nahen Osten vereinbart - ein Treffen durchzuführen. Sie habe noch vor dem Treffen aus den Medien von dem Anschlag auf Generalbundesanwalt B. erfahren. Zum Zeitpunkt der Reise habe sie nicht gewusst, dass der Anschlag auf Generalbundesanwalt B. am 7. April habe stattfinden sollen. Sonst hätte sie einen späteren Zeitpunkt für ihre Reise gewählt, um nicht das erhöhte Risiko einzugehen, in eine großangelegte Fahndung zu geraten.

Nach ihrer Rückkehr aus Rom sei sie in Deutschland mit anderen Gruppenmitgliedern zusammengetroffen; bei ihnen hätte die bereits fertiggestellte „Kommandoerklärung Ulrike Meinhof“ vorgelegen. Seit dem Anschlag seien bereits einige Tage vergangen gewesen und die Versendung der Kommandoerklärung habe angestanden. Sie habe hieran mitgewirkt und beispielsweise Briefumschläge verschlossen; dies sei vorher nicht geplant gewesen.

Der einzige Bezug zu der HK 43 und den anderen Waffen, die bei ihrer und Günter S.s Verhaftung am 3. Mai 1977 in einem Rucksack bei ihnen gefunden wurden, bestehe darin, dass S. und sie die genannten Waffen ins nahe gelegene Ausland in ein Depot hätten bringen wollen. Mit der HK 43 habe sie im Übrigen nie geschossen.

Bis zu ihrer Verhaftung 1972 in Berlin habe ihr die Gelegenheit gefehlt, in einer Fahrschule Fahrstunden für Motorräder zu nehmen; sie habe sich auch sonst von niemandem anderen darin unterweisen lassen, diese Fähigkeit zu erwerben. Auch nach dem Austausch gegen Peter L. im Jahr 1975 hätte sie zu keinem Zeitpunkt mehr die Möglichkeit gehabt, Motorradfahren zu lernen. Sie habe nie selbst ein Motorrad gefahren.

Nach ihrer Rückkehr aus dem Nahen Osten im Jahr 1976 sei sie in der Folgezeit bis zu ihrer Festnahme im Mai 1977 weder am 6. April 1977 noch an anderen Tagen in Karlsruhe oder in Stuttgart bzw. in dortigen Vororten gewesen. Sie sei auch an dem Banküberfall in Köln am 12. April 1977 nicht beteiligt gewesen.

B. Feststellungen zur Person

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten, insbesondere zu ihrem familiären Hintergrund, zu ihrem Lebenslauf, ihrer schulischen und persönlichen Entwicklung bis zum Zeitpunkt ihrer Festnahme im Jahre 1977 ergeben sich aus den gegen die Angeklagte ergangenen Urteilen des Landgerichts Berlin und des Oberlandesgerichts Stuttgart. Hierzu ergab die Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren keine Änderungen.

Die Feststellungen zu den Gegebenheiten während der vollstreckten Untersuchungs- bzw. Strafhaft beruhen einerseits auf den Angaben des Zeugen KHK H., der die Gefangenenpersonalakten der Angeklagten ausgewertet hat, andererseits auf den Urkunden aus dem Gnadenheft und dem Vollstreckungsheft.

Die Überzeugung des Senats zum beruflichen Werdegang der Angeklagten und zu ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation nach ihrer gnadenweisen Entlassung basieren auf den Angaben des Zeugen KHK Sch., der bei den durchgeführten Ermittlungen insbesondere die Sozialamtsakte der Angeklagten erhoben und ausgewertet hat.

Die Feststellungen zu ihren Vorstrafen ergeben sich aus dem Bundeszentralregisterauszug, den verlesenen Urteilen und den Strafbefehlen. Die Feststellungen zu früheren Ermittlungsverfahren beruhen auf den insoweit verlesenen Einstellungsverfügungen.

Im Einklang hierzu steht die Einlassung der Angeklagten, dass die verlesenen Urkunden im Wesentlichen ihren äußeren Lebenslauf korrekt wiedergeben.

C. Feststellungen zur Sache

Vorab sind folgende (allgemeine) Bemerkungen zur durchgeführten Beweis-aufnahme, insbesondere zur Qualität einzelner Beweismittel und den sich daraus für den Senat ergebenden Schlüssen veranlasst.

I. Vorbemerkungen zu einzelnen Beweiserhebungen

1. Feststellungen zum Anschlag vom 7. April 1977

Der Senat hat zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich des Tatgeschehens am 7. April 1977, welches die Angeklagte - wie noch näher auszuführen sein wird - durch ihr vehementes Eintreten für die Durchführung der Tat gefördert hat, eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Dabei wurde - wovon im Rahmen der früheren Ermittlungen und anlässlich der durchgeführten Strafverfahren Abstand genommen worden war - durch Anhörung von mehreren Sachverständigen eine Rekonstruktion des unmittelbaren Tatgeschehens durchgeführt. Die umfassende Aufklärung hat sich auch auf das Geschehen unmittelbar vor und nach dem Attentat bezogen. Der Senat hat insoweit neben den Zeugen, die bislang im Rahmen der durchgeführten Ermittlungen bereits (mehrfach, auch in den o.a. Strafverfahren gegen F., K. und M.) vernommen waren, auch mehrere Zeugen gehört, die sich aus den Spurenakten noch ergaben oder sich erst im Laufe der Beweisaufnahme gemeldet hatten.

Dabei waren die Sachverhaltsfeststellungen dem Senat zunächst dadurch erschwert, dass es um die Feststellung von Geschehensabläufen geht, die mehr als 30 Jahre zurückliegen. Eine ganze Reihe von Zeugen waren bereits verstorben; andere Zeugen konnten aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung nicht mehr vernommen werden, sodass sich die Beweisaufnahme insoweit nur auf die Verlesung der Vernehmungsprotokolle beschränken konnte. Dabei wurde berücksichtigt, dass Nachfragen nicht mehr möglich waren.

Bei den Feststellungen zu den unmittelbaren Tätern des Attentats war eine vollständige Sachverhaltsaufklärung u.a. auch deshalb nicht möglich, weil sich eine ganze Reihe von Zeugen aus dem Kreis der ehemaligen „RAF“-Mitglieder dazu entschieden haben, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

2. Angaben von Zeugen der Justiz und der Polizei

Die Aussagen der vernommenen Zeugen der Justiz (ehemalige Mitglieder der Strafsenate des OLG Stuttgart, noch aktive, frühere bzw. im Ruhestand befindliche Beamte der Bundesanwaltschaft), des Bundeskriminalamts und den der Polizeidirektion Karlsruhe unterstellten Polizeibeamten, die über die im Rahmen ihrer Tätigkeit als Richter, Staatsanwälte oder ermittlungsführende Polizeibeamte gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung anschaulich und detailreich zu den verschiedenen Bereichen im Sinne der Feststellungen zum Sachverhalt berichtet haben, sind nach Überzeugung des Senats glaubhaft und richtig. Weder ihr Aussageverhalten noch der Inhalt ihrer Bekundungen in der Hauptverhandlung gab Anlass, an ihrer Glaubwürdigkeit oder der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zu zweifeln. Ein gesteigertes Verfolgungsinteresse war bei keinem der Zeugen aus den vorgenannten Behörden festzustellen. Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte für eine Manipulation oder Vernichtung von Beweisen im Rahmen der Ermittlungen zum Anschlag vom 7. April 1977 ergeben. Insbesondere hat der Senat keinerlei Hinweise auf die gelegentlich behauptete gezielte Nichtanfertigung oder Vernichtung von Vernehmungsprotokollen zur Unterdrückung von Beweismitteln gefunden.

3. Angaben von Zeugen über Vorgänge aus den Jahren ab 1975

Soweit die Sachverhaltsfeststellungen auf Angaben von Zeugen beruhen, hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Angaben teilweise auf über 30 Jahre zurückliegende Vorgänge bzw. Geschehensabläufe beziehen und dadurch bei den Zeugen naturgemäß Schwierigkeiten auftraten, das wahrgenommene Geschehen noch detailliert zu schildern, da bei derart lange zurückliegenden Vorgängen die Möglichkeit naheliegt, dass Erinnerungslücken bestehen. Andererseits war zu bedenken, dass die Länge der Zeit, die seit der Wahrnehmung verstrichen ist, in ihrer Bedeutung zurücktreten kann, wenn der Vorgang, zu dem Angaben gemacht worden sind, für die Zeugen bedeutsam gewesen ist, sein bzw. ihr Interesse geweckt haben oder sich die Zeugen auf nachvollziehbare Erinnerungshilfen stützen konnten. Im Hinblick auf die sehr ausführliche und stetige Berichterstattung in den Medien über den vorliegenden Komplex hat der Senat außerdem in Betracht gezogen und in jedem Einzelfall gewürdigt, dass die Erinnerungen an einzelne Abläufe durch die Kenntnisnahme von Berichten hierüber in den Medien überlagert oder verfälscht worden sein könnten.

Bei der Frage der Beurteilung der Glaubhaftigkeit dieser Angaben hat der Senat außerdem berücksichtigt, ob die Zeugen bereits früher zu dem Vorgang gehört worden sind oder nun erstmals Angaben gemacht haben mit der nahe liegenden Folge, dass die Zeugen erst nach mehreren Jahren die Bedeutung der Beweisfrage erkennen konnten.

Wenn die Zeugen auch nach ausführlicher Bemühung ihres Gedächtnisses nicht in der Lage waren, sich an die früheren Vorgänge zu erinnern bzw. im Rahmen ihrer Vernehmung Erinnerungslücken erkennbar wurden, ist das jeweilige Vernehmungsprotokoll im Urkundenbeweis verlesen worden.

Soweit es im Rahmen der Angaben der Zeugen über deren Wahrnehmungen zum Geschehen am 7. April 1977 oder zu Vorgängen im zeitlichen Zusammenhang hierzu auf die Frage der optischen Wiedererkennung einer Person ankam, hat der Senat berücksichtigt, dass das Wiedererkennen einer Person durch einen Zeugen aus gedächtnispsychologischer Sicht im Hinblick auf den teilweise erheblichen Zeitablauf zwischen den Beobachtungen, den Angaben vor der Polizei bzw. vor Gericht und den Gegenüberstellungen fehlerträchtig sein kann. Den Zeugen, die im damaligen Ermittlungsverfahren oder in den Hauptverhandlungen des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Knut F. bzw. Christian K. und Brigitte M. vernommen wurden, waren damals die gesuchten Personen durch Lichtbilder teils vom Fernsehen und aus Zeitungsberichten, teils von Fahndungsplakaten und Fahndungshandzetteln vor den Personenbeschreibungen bei polizeilichen Vernehmungen und durch Lichtbildvorlagen vor den späteren Gegenüberstellungen bekannt geworden. Bei der Durchführung von Gegenüberstellungen in Haftanstalten wussten die Zeugen teilweise darüber Bescheid, wer von den verdächtigen Personen dort einsaß. Insoweit war eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung geboten.

In der hiesigen Hauptverhandlung waren die unmittelbaren Augenzeugen nicht mehr in der Lage, aufgrund ihrer Erinnerung an die damaligen Geschehensabläufe eine Identifizierung der damals wahrgenommenen Person(en) vorzunehmen.

Der Senat war daher darauf angewiesen, die damalige Einschätzung der Zeugen in den polizeilichen Vernehmungen und in den vorgenannten früheren Strafverfahren nachzuvollziehen. Der Senat war sich bei der Bewertung bewusst, dass ein damaliges wiederholtes Wiedererkennen einen geringeren Beweiswert als das erste Wiedererkennen haben kann und der Umstand, wenn ein Zeuge eine von ihm zunächst identifizierte Person später nicht mehr wiedererkennt, gegen die Zuverlässigkeit der früheren Identifizierung sprechen kann, wobei allerdings in einer Gesamtschau wiederum sich Angaben von Zeugen gegenseitig zu stützen vermögen, wenn mehrere Zeugen bei Lichtbildvorlagen und/oder Gegenüberstellungen Ähnlichkeiten zwischen den von ihnen beobachteten Personen und tatverdächtigen Mitgliedern der „RAF“ bekundet haben.

4. Angaben/Aussageverhalten von Zeugen aus der (früheren) „RAF“

Im Rahmen der Beweisaufnahme haben in der Hauptverhandlung die früheren „RAF“-Mitglieder Peter-Jürgen B., Werner L. sowie Silke M.-W. Angaben gemacht, während die anderen vorgeladen gewesenen ehemaligen „RAF“-Mitglieder schwiegen.

a. Peter-Jürgen B.

Peter-Jürgen B. war nach seiner Festnahme am 22. Januar 1981 vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 7. April 1984 in Verbindung mit dem Urteil des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. November 1986 wegen seiner Beteiligung an der Ermordung von Jürgen P. am 30. Juli 1977, dem versuchten Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft am 25. August 1977 und an der Entführung und Ermordung von Dr. Sch. am 5. September 1977 bzw. am 18./19. Oktober 1977 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt worden. Unter Einbeziehung der vorgenannten Strafen wurde Peter-Jürgen B. durch Urteil des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. November 1992 wegen seiner Beteiligung an dem Überfall auf die Schweizerische Volksbank in Zürich am 19. November 1979 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Im Rahmen des letztgenannten Verfahrens hatte Peter-Jürgen B. seine Tatbeteiligung und alle Einzelheiten des Überfalls in der Schweiz vollumfänglich eingeräumt und richtig gestellt, dass er - nicht Willy P. St. - bei der „Aktion P.“ in dem für die Flucht vorgesehenen Pkw gesessen hätte.

Die Vernehmung des ehemaligen „RAF“-Mitglieds Peter-Jürgen B. in der nunmehrigen Hauptverhandlung erstreckte sich über fünf Tage. B. machte meist von sich aus ausführliche Angaben. Während der Vernehmung wurden ihm insbesondere seine früheren Angaben in den Beschuldigtenvernehmungen in den gegen ihn selbst geführten Ermittlungsverfahren und in der Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Monika H. jeweils durch den damaligen Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof P. aus dem Jahr 1992, seine Zeugenaussagen vor der Bundesanwaltschaft in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. aus dem Jahr 2007 und in dem Ermittlungsverfahren gegen V. B. aus dem Jahr 2009 vorgehalten. Peter-Jürgen B. bestätigte in der Hauptverhandlung ganz überwiegend seine früheren Angaben im Rahmen dieser Vernehmungen nach dem Schreiben an den Bundespräsidenten im Jahr 1992 (hierzu später mehr), erläuterte und ergänzte sie gelegentlich. Zuvor hatte er im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren noch vielfach unrichtige Angaben gemacht. Insgesamt war sein jetziges Bemühen um wahrheitsgemäße, möglichst genaue Angaben erkennbar. Gelegentlich konnte sich B. an Einzelheiten der nunmehr 35 Jahre zurückliegenden Sachverhalte nicht mehr oder nur auf Vorhalt erinnern. Mit Angaben, die frühere „RAF“-Mitglieder einschließlich der Angeklagten belasten konnten, hielt er sich ersichtlich zurück. Zu der ausführlichen Würdigung seiner Angaben wird auf III.8. verwiesen.

b. Silke M.-W.

Gegen Silke M.-W., die am 18. Juni 1990 in der früheren DDR festgenommen worden war, wurde vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 8. Oktober 1991 wegen ihrer Beteiligung an der Entführung und Ermordung von Dr. Sch. am 5. September 1977 bzw. 18./19. Oktober 1977, am Anschlag auf General H. in Obourg am 25. Juni 1979 und an dem Überfall auf die Schweizerische Volksbank in Zürich am 19. November 1979 eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren als Gesamtstrafe verhängt. Nach den Feststellungen dieser Entscheidung war Silke M.-W. der „RAF“ am 7. April 1977 in Amsterdam beigetreten. Sie hatte vom Zeugen Peter-Jürgen B. an diesem Tag in Amsterdam ihre persönliche Schusswaffe auch als Zeichen der Aufnahme in die „RAF“ ausgehändigt erhalten. Silke M.-W., die sich Ende 1979 von der „RAF“ gelöst hatte, hatte in mehreren Beschuldigtenvernehmungen von Juni 1990 bis Dezember 1990 und im späteren gegen sie geführten Strafverfahren geständige Angaben gemacht.

Die Zeugin M.-W. hat auch in der hiesigen Hauptverhandlung an zwei Tagen bereitwillig Angaben gemacht, die für den Senat glaubhaft waren. Sie hat sich von ihren früheren Überzeugungen nochmals offenkundig distanziert und forderte in der jetzigen öffentlichen Hauptverhandlung die früheren Gruppenmitglieder auf, durch jetzt wahrheitsgemäße Angaben an der Aufklärung mitzuwirken.

c. Werner L.

Gegen Werner L., der am 14. Juli 1990 ebenfalls in der früheren DDR festgenommen worden war, wurde am 31. Januar 1991 vom 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Verbindung mit dem Urteil des 6. Strafsenats des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 10. März 1992 wegen seiner Beteiligung an einer Schießerei mit Polizeibeamten nach einem Übungsschießen am 24. Juni 1978 in Dortmund, an Banküberfällen am 19. März 1979 in Darmstadt und am 17. April 1979 in Nürnberg sowie am Anschlag auf General H. in Obourg am 25. Juni 1979 zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren als Gesamtstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen im vorgenannten Urteil hatte Werner L. Ende 1978 im Rahmen seiner Aufnahme in die „RAF“ von Monika H. eine Faustfeuerwaffe als persönliche Waffe ausgehändigt erhalten. Er hat durch seine geständigen Angaben zu einer umfassenden Aufklärung der unter seiner Beteiligung begangenen Straftaten beigetragen.

Die Angaben des Zeugen L. in der hiesigen Hauptverhandlung waren glaubhaft. Im Rahmen seiner Vernehmung wurde deutlich, dass der Zeuge unter dem damaligen Geschehen erkennbar leidet und seine frühere Betätigung in der „RAF“ als Fehlverhalten wertet.

d. Angaben der übrigen Mitglieder der „RAF“

Der Senat hat sich - seiner gesetzlichen Verpflichtung folgend - darüber hinaus bemüht, auch die weiteren „RAF“-Mitglieder Günter S., Stefan W., Rolf H., Waltraud L., Knut F., Brigitte M., Sieglinde H., Rolf C. W., Irmgard M., Siegfried H., Roland M., Sigrid F. (geb. St.), Christian K., Adelheid Sch. und Christa E. zu befragen. Diese Zeugen haben sich jedoch in der Hauptverhandlung bzw. anlässlich ihrer kommissarischen Vernehmung - berechtigt - auf ein vollumfängliches Auskunftsverweigerungsrecht berufen und jegliche Angaben verweigert.

5. Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz

Der Senat hat zu den etwaigen Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz (nachf. BfV) zu den Tatbeteiligten des Anschlags vom 7. April 1977 und Erkenntnissen zu den Vorbereitungen und den damaligen Strukturen und sonstigen Gegebenheiten der Gruppe der „RAF“ sowie zur eventuellen Zusammenarbeit der Angeklagten mit dem BfV Behördenerklärungen dieses Amts verlesen und dessen ehemalige Mitarbeiter, die Zeugen Winfried R., Manfred S. und Lothar M. vernommen.

Nach der verlesenen Behördenerklärung vom 15. Juni 2007 hat der Präsident des BfV auf entsprechende Anfrage der Bundesanwaltschaft Folgendes mitgeteilt:

„(…) zu Ihrer Anfrage darf ich Ihnen mitteilen, dass einer älteren unbestätigten Einzelinformationen im BfV zufolge beim Mord am damaligen GBA B. und seine Begleitern folgende Personen als unmittelbare Tatausführende beteiligt gewesen seien:

Siegfried W. als Schütze auf dem Soziussitz des Motorrades,Günter S. als Fahrer des Motorrades undChristian K. als Fahrer des Fluchtfahrzeugs Alfa Romeo.“

In der Folgezeit hat der Präsident des BfV die Bitte der Bundesanwaltschaft um Übersendung sämtlicher Quelleninformationen sowie Auswertungsvermerke in gerichtsverwertbarer Form abgelehnt und nur zu einzelnen Fragen der Bundesanwaltschaft Stellung genommen:

- So wurde der in der obigen Erklärung genannte Vornamen des Schützen in „Stefan“ korrigiert.

- In einer weiteren Erklärung vom 12. April 2008 wurden in Beantwortung eines Fragenkatalogs der Bundesanwaltschaft im Verfahren gegen Stefan W. wegen Mordes hinsichtlich des Anschlags vom 7. April 1977 folgende Einzelheiten zur angeführten Einzelinformation genannt:

„Die Quelle tätigte ihre Aussagen Anfang der 80er Jahre. Die Quelle hatte sich aus eigenem Antrieb mit dem BfV in Verbindung gesetzt. Die Quelle hatte eine Aussage ohne Gegenleistung abgelehnt. Die Informationen wurden mit Geld honoriert. Aus den Akten ist heute nicht mehr nachvollziehbar, ob die Informationen als eigenes unmittelbares Wissen der Quelle zugerechnet werden können oder Informationen vom Hörensagen sind. Im Rahmen ihrer Aussagen hat die Quelle Kenntnisse von sich aus offenbart. Die Quelle machte weitere Angaben zu Anschlägen der ´RAF` und Tatbeteiligten. Es liegen dem BfV darüber hinaus keine weiteren Informationen vor, die diese Sachverhalte bestätigen oder widerlegen könnten.“

Der Senat hat den Versuch unternommen, den Inhalt der sog. Quellenangaben über die Vernehmungen der ehemaligen Mitarbeiter des BfV, der Verhörsperson Manfred S. und des Auswerters Lothar M., in die Hauptverhandlung einzuführen. Die - wiederholten - Vernehmungen dieser als Zeugen geladenen ehemaligen Beamten haben jedoch keinen weiteren Erkenntnisgewinn er.-bracht. Beide konnten zwar noch Details zu äußeren Umständen der Gespräche und der Protokollierung der Angaben benennen, gaben aber an, keinerlei Erinnerung (mehr) an den Inhalt der verschrifteten Quellenangaben zu haben. Der Zeuge S. konnte sich lediglich noch daran erinnern, dass die Quelle die drei Tatbeteiligten erst benennen wollte, als der Zeuge das Tonband, das er bei der Befragung der Quelle habe mitlaufen lassen, ausgeschaltet hatte.

Der Zeuge Winfried R., der von 1972 - 1995 im BfV tätig und seit 1977 als Referatsleiter im Bereich Auswertungen u.a. für die „RAF“ zuständig war, konnte diesbezüglich keine weitergehenden Einzelheiten nennen. Der Zeuge hat nachvollziehbar angegeben, dass es keinem der sog. Dienste - einschließlich des BfV - gelungen sei, in der damaligen Zeit der sog. Offensive 77 aus dem Kernbereich der „RAF“ eine menschliche Quelle zu führen. Erst Anfang der 80er Jahre seien dem BfV von einer Quelle als unmittelbare Tatbeteiligte des Anschlags vom 7. April 1977 Günter S., Christian K. und Stefan W. genannt worden. Eine Bestätigung durch andere Informationen habe es aber nicht gegeben.

Zu Angaben über die Identifizierung der Quelle hatten die Zeugen keine Aussagegenehmigung erhalten.

Das BfV hat der Bundesanwaltschaft aus Gründen des Quellenschutzes geschwärzte und als VS-geheim eingestufte Abdrucke von Unterlagen des BfV, nämlich einen Vermerk über Gespräche mit der Quelle vom 4. Dezember, 5. Dezember und 6. Dezember 1981 und mehrere Auswertungsvermerke übergeben. Die Berücksichtigung des Inhalts der vorgelegten Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz über Gespräche mit einer sog. „Quelle“ blieb dem Senat bei der Überzeugungsbildung zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage aus Rechtsgründen allerdings verwehrt.

Der Senat kann nämlich nicht ausschließen, dass es sich bei der Quelle um die Angeklagte handelte. Folgende Gesichtspunkte führen zu dieser Beurteilung:

- Winfried R. hat zu dieser Frage in der in Augenschein genommenen ARD-Reportage „RAF - B.s Mörder“, die am 2. September 2009 im Fernsehen ausgestrahlt wurde, Folgendes angegeben:

„(…) V. B. ist damals in einer persönlichen und gesundheitlichen Krisensituation gewesen und dass in einer solchen Situation die Überlegung Platz greift, welche Möglichkeiten gibt es, um meine Haftbedingungen zu verbessern, dies ist nachvollziehbar. Und dass der Verfassungsschutz eine entsprechende Offerte sofort aufgreift, auch das ist nachvollziehbar, denn es ist selten genug gewesen, dass es aus dem Kreis der Inhaftierten Gesprächsangebote gegeben hat.(...) Das spektakulärste Ergebnis war, dass sie dem Verfassungsschutz einen Namen genannt hat, nämlich Stefan W., der der Schütze auf dem Motorrad gewesen ist.“

- Der Zeuge, Bundesminister des Innern a.D., Gerhart B. hat in der Hauptverhandlung bestätigt, in der ARD-Sendung „Anne Will - Bomben, Terror, Tote -der Krieg der Bürgerkinder“ vom 22. November 2009 Folgendes erklärt zu haben:

„(…) Ich war damals Innenminister. Ich weiß nicht, was in den Akten steht, aber ich weiß, dass B. mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet hat und nützliche Hinweise gegeben hat…“

Hierzu hat er in der Hauptverhandlung allerdings angegeben, er wisse heute nicht mehr, ob er die Informationen dienstlich oder aus öffentlich zugänglichen Quellen gehabt habe.

- Bei der Angeklagten wurde im Rahmen der Durchsuchung deren Wohnung nach den Angaben des Zeugen KK L. ein Briefentwurf - sowohl als Datei als auch maschinenschriftlich mit handschriftlichen Notizen - mit folgendem Inhalt sichergestellt:

„Diesen Brief schreibe ich an Knut, KH (und?)

Er geht auch an: Brigitte, Christian, Günter und Stephan, Sieglinde, RCW, Rolf und Hanna

Ich wähle diese Form mich zu äußern, denn was ich zu sagen habe, dient dem - Worum geht es hier eigentlich?

Ihr benutzt seit fast einem Jahr einen Teil meiner Geschichte, um die öffentliche Meinung zu manipulieren, um eure Vorstellungen indirekt zu lancieren.

Es geht dabei nicht um mich, denn ich tauche dort als Person nicht auf, sondern nur als Objekt.

Es geht dabei auch nicht um die anderen, was ihr in dem Aufruf gegen Beugehaft zum Beispiel vorgaukelt, denn so wie ihr in der Geschichte agiert es ist euer Ding was ihr durchziehen wollt.

Aber ich werde mich auf dieser Ebene nicht daran beteiligen, denn ich lasse mir den Zeitpunkt mich zu äußern und durch euer Intrigenspiel nicht aufzwingen (handschriftlich vermerkt: vorgeben)

Ich bin es leid mich zu bekriegen mit anderen. Auch nicht mit euch.

Es gibt keine juristisch verwertbaren Informationen von mir. Und ich habe auch im Sommer vor der BAW keine Angaben gemacht.

Und was die VS-Geschichte angeht, da habe ich manipuliert und gelogen und das jetzt als die Wahrheit anzubieten, weil euch die eine oder andere öffentlich gemachte Nachricht vielleicht in den Kram passt, ist schäbig.

Mir ging es damals verdammt beschissen, und ich bin mit vielem nicht klar gekommen - ich habe meine Orientierung verloren. Dazu beigetragen haben: die strikte Isolierung, die Erkrankung und meine inneren Bedingungen, die mittels der äußeren ihren Ausdruck, in dieser Verzweiflung, in diesem Wahn, gefunden haben. Das alles hat mich an den Rand des Todes geführt, aber ich bin nicht daran zu Grunde gegangen. Ihr habt dafür nur die Gehässigkeit übrig.(…).“

Eine förmliche Verlesung der Angaben der Angeklagten nach §§ 249 ff. StPO, um auf den Inhalt der Unterlagen Feststellungen zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage stützen zu können, war danach - anders als wenn es sich bei der Quelle um einen Zeugen gehandelt hätte - nicht möglich.

Hinsichtlich des Beweiswerts der unbestätigten Einzelinformation des BfV wird auf die Ausführungen unter C.V.3 verwiesen.

II. Feststellungen zur terroristischen Vereinigung „RAF“

1. Entstehung, Entwicklung und Ziele der „RAF“

Die Erkenntnisse zur Entstehung, Entwicklung und zu den Zielen der „RAF“, zu der Anschlagsserie „Offensive 77“, den weiteren Anschlägen der „RAF“ und zur Willensbildung innerhalb dieser Vereinigung hat der Senat vornehmlich aus gegen ehemalige „RAF“-Mitglieder ergangenen - in der Hauptverhandlung eingeführten - Urteilen gegen Ingrid Sch., Irene G., Horst M., Brigitte A., Monika B., Siegfried H., Roland M., Angelika S., Knut F., Stefan W., Rolf H., Christian K., Brigitte M., Silke M.-W. und Sigrid F., geb. St., gewonnen.

Die Beweisaufnahme hat keinerlei Anhaltspunkte erbracht, die Zweifel an den dort grundsätzlich getroffenen Feststellungen zur terroristischen Vereinigung „RAF“ und den von ihr begangenen Anschlägen begründen könnten. Die Erkenntnisse zur „RAF“ aus den genannten Urteilen wurden jeweils in Teilen durch die Einlassungen der Angeklagten und die Angaben der Silke M.-W., des Peter-Jürgen B. und des Werner L. hierzu in der Hauptverhandlung bestätigt. Bundesanwalt b. BGH - AL - G. berichtete über die Aussagen der damaligen „RAF“-Mitglieder Adelheid Sch., Irmgard M., Knut F. und Günter S. in dem Strafverfahren des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Christian K. und Brigitte M., wo sie sich auch zur Anschlagsserie „Offensive 77“, die gerade durch die Verbindung mehrerer Anschläge eine größere Wirkung habe zeigen sollen, zu den Hintergründen des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. als Racheaktion und zu dem nach den Angaben der Zeugen für die „RAF“ ganz wesentlichen Grundsatz der Kollektivität geäußert hatten.

2. Die Mitgliedschaft der Angeklagten in der „RAF“

Die Angeklagte hat ihre damalige Mitgliedschaft in der „RAF“ in ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung eingeräumt. Bereits in ihrer „Erklärung der Gefangenen aus der „RAF“, Prozesserklärung von V. B.“ vom 23. Dezember 1977 in dem gegen sie geführten Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bekannte sich die Angeklagte zur „RAF“. Die Erklärung der Angeklagten beginnt mit den Worten „Wir die Gefangenen aus der RAF… (…)“. Auch im weiteren Text machte die Angeklagte wiederholt durch die Benutzung der Pronomen „wir“ und „uns“ im Zusammenhang mit der „RAF“ ihre Zugehörigkeit zu dieser Vereinigung deutlich.

Die damalige Mitgliedschaft der Angeklagten in der „RAF“ ergibt sich auch nach der Beweisaufnahme aus folgenden Umständen:

Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnräume der Angeklagten am 20. August 2009 wurde nach den Bekundungen von EKHK H. ein von der Angeklagten benutzter Laptop sichergestellt. Bei der u.a vom Zeugen KHK H. vorgenommenen Auswertung der auf dem Laptop gespeicherten Dateien konnte u.a. im Pfad C/Dokumente und Einstellungen/ B./ EigeneDateien/ V./ Schreiben folgendes Dokument gefunden werden:

„Leben und Tod zwei Geschichten - ein Thema

2006-11-25 - heute fange ich an als Schriftstellerin zuschreiben! An einem 25., so wie ich in einem Haus mit der Nr. 25 geboren bin, Gartenhaus dritter Stock.

Erst einmal schreibe ich jede Geschichte als Skizze für sich, dann wird vielleicht eine daraus. Ja, es ist eine große Geschichte, das spüre ich schon.(…).

25 Jahre zurückblicken. Da ist sie wieder, die 25. Es ist 25 Jahre her. Vielleicht habe ich noch einmal 25 Jahre, bis ich wirklich gehe. (…).

Warum wollte ich RAF sein, erst in Moabit im Krankenhaus, dann in Aden und erst recht in Stammheim? Auch darüber muss ich schreiben, um zu verstehen, um frei zu sein. Ob ich es dann veröffentlichen will ist eine zweite Entscheidung. (…).“

Diese Ausführungen, an deren Authentizität der Senat nicht zweifelt, belegen, dass die Angeklagte beabsichtigte, sich im Rahmen ihrer schriftlich niedergelegten Gedanken auch mit dem Grund für ihre Zugehörigkeit zur „RAF“ zu verschiedenen Zeitpunkten, u.a. in Aden zu befassen.

Hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns der Mitgliedschaft in der „RAF“ geht der Senat davon aus, dass sich V. B. nach ihrer Freipressung im Zusammenhang mit der „L.-Entführung“ im Frühjahr 1975 von der „Bewegung 2. Juni“ löste und sich spätestens Mitte des Jahres 1976, als sie mit dem ebenfalls schon im Südjemen befindlichen Rolf H. in das Ausbildungslager ging, der „RAF“ anschloss.

Der Senat entnimmt seine Überzeugung u.a. aus den Angaben der Zeugen Peter-Jürgen B. und Gabriele R. zu diesem Umstand. Nach den Schilderungen des Zeugen B. habe dieser von Rolf H. gehört, dass die Angeklagte bereits auf dem Flug in den Jemen nach der Freipressung davon gesprochen hatte, zur „RAF“ wechseln zu wollen. Die Angeklagte habe dann nach dem Aufenthalt in Aden zu den „Führungspersonen“ der „RAF“ gehört. Ein Hinweis auf die Richtigkeit dieser Einschätzung des Zeugen ergibt sich nach der Auffassung des Senats auch aus der - etwa in dem eingeführten Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 04. Dezember 1981 gegen Stefan W. wiedergegebenen - Liste derjenigen Gefangenen, deren Freilassung im Herbst 1977 durch die Entführung von Dr. Sch. und der „Landshut“ erpresst werden sollte. Auf dieser mit den „Stammheimern“ abgestimmten Liste war V. B. gleich nach Andreas B., Gudrun E. und Jan-Carl R. an vierter Stelle aufgeführt.

Hinzu kommt, dass die Angeklagte zusammen mit Günter S. als Verhandlungsführer der „RAF“ mit Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ die Möglichkeit einer Zusammenarbeit erörtert hat. Diese Feststellung beruht auf den Angaben der Gabriele R., die glaubhaft von Anfang 1977 geführten Gesprächen von Beiden für die „RAF“ berichtete. Der Senat glaubt den Angaben der Zeugin R. Sie wirkten sachlich und zurückhaltend und fügten sich widerspruchslos in das Ergebnis der Beweisaufnahme ein. Die Zeugin zeigte keinerlei Belastungseifer; sie war vielmehr sichtlich bemüht, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Ihre Aussage fügt sich auch widerspruchslos in das weitere Beweisergebnis ein. Nach den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. und Roland M. stand die Vereinigung in Kontakt zu anderen Gruppen und zu einer Reihe außenstehender Personen. Es sei zwischen Bündnispartnern und Sympathisanten unterschieden worden. Die Gruppe habe drei Bündnispartner, genannt „P´s“, „ML“ und „2.6.“. Letzteres ergibt sich aus den anlässlich der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. sichergestellten Notizen des Roland M. Peter-Jürgen B. gab in der Hauptverhandlung dazu an, mit der Abkürzung „P’s“ seien die Palästinenser gemeint, mit „ML“ die Marxisten/Leninisten und mit „2.6.“ die „Bewegung 2. Juni“.

Schließlich stützt der Senat seine Überzeugung von der damaligen Zugehörigkeit der Angeklagten zur aktiven Kerngruppe der „RAF“ auch auf Eintragungen in dem von H. erstellten Arbeitsplan. Danach war die Angeklagte als „Paula“ einerseits mit Aufgaben im Zusammenhang mit Depots betraut. In der Spalte „Paula“, Zeile „Di 23“ ist vermerkt: „neues Depot“, in der Zeile „Mi 24“: „ mit Olga Depot ? Zentrale“ und in der Zeile „Di. 30“: „andere Depotsachen packen Schwertransport“. Nach der damaligen Planung sollte sie darüber hinaus aber am 2. Dezember 1976 gemeinsam mit Günter S. und „Hans“ zur Kommandowohnung in den Bereich Nordschwarzwald fahren. Dorthin sollten sich entsprechenden Eintragungen in der Zeile „Di. 30“ zufolge Siegfried H. und Roland M. bereits am 30. November 1976 begeben haben. In der Zeile „Fr. 3“ ist bei „Inge“, „Ede“, „Bodo“ und „Paula“ vermerkt „Turning point - Diskothek oder Hotel“, bei „Mich“ (= Michael), „Egon“ und „Hans“ steht ein Kreuz. Diesen Eintragungen entnimmt der Senat, dass sich die genannten Personen entweder am Freitag oder, worauf der Vermerk „14-15 Do“ rechts außen in der selben Zeile hinweist, schon am Donnerstagnachmittag bei der Diskothek „Turning Point“ in Herrenwies im Nordschwarzwald treffen sollten.

Beim „Turning Point“ handelte es sich um eine Musikkneipe bzw. Diskothek in Herrenwies im Nordschwarzwald, die Wolfgang F., wie er in der Hauptverhandlung bekundete, schon 1976 unter diesem Namen betrieb. Etwa 200 m von der Diskothek entfernt unterhielt seine Mutter ein Gästehaus. Der Senat geht davon aus, dass sich die Eintragung „oder Hotel“ auf diese Pension bezog.

Die beschriebenen Vorgänge waren zwar Gegenstand der Planungen vor der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass sich die Stellung der Angeklagten in der „RAF“ im Zeitraum zwischen dieser Festnahme am 30. November 1976, dem Anschlag am 7. April 1977 und bis zu deren Festnahme am 3. Mai 1977 nicht geändert hat.

III. Feststellungen zu Tatentschluss, Planung und Vorbereitung

1. Das Trainingscamp in Aden im Sommer 1976

Der Senat ist davon überzeugt, dass V. B. im Sommer 1976 in einem palästinensischen Trainingslager in der Nähe von Aden gemeinsam mit anderen Mitgliedern der „RAF“ ein militärisches Training absolvierte und dass sie dort an der grundsätzlichen Entscheidung mitwirkte, in Deutschland - soweit durchführbar - einen Mordanschlag auf den Generalbundesanwalt B. und mögliche Begleiter auszuführen.

a. Die Angeklagte räumt ihren Aufenthalt in Aden und ihre Teilnahme an Diskussionen zwischen den dort anwesenden „RAF“-Mitgliedern über mögliche militante Aktionen in Deutschland im Rahmen ihrer Einlassung ein.

Ihre Erklärung steht damit in Grundzügen in Einklang mit den Angaben des Peter-Jürgen B., der zum Aufenthalt der „Illegalen“ in dem Trainingslager der PFLP im Jahr 1976 in seinen Vernehmungen seit 1992 wiederholt konstante und detaillierte Angaben auch zu den Hintergründen dieses Aufenthalts machte. Seine Aussagen hierzu fügen sich ohne weiteres in das übrige Beweisergebnis ein, wurden in vielen Teilen durch andere Beweiserhebungen bestätigt und ergeben insgesamt ein in sich geschlossenes Bild.

b. Eine militärische Ausbildung der „RAF“ in dem Trainingscamp der PFLP nahe Aden im Jahr 1976 hat Peter-Jürgen B. in seiner Zeugenvernehmung vom 24. März 1992 in dem Verfahren gegen Monika H. erwähnt: Er habe Monika H. Ende 1976 oder Anfang 1977 in Aden kennengelernt. Er sei damals Mitglied einer zweiten Gruppe der „RAF“ gewesen, die in Aden zur Ausbildung gewesen sei. In seiner Beschuldigtenvernehmung vom selben Tag machte er weitere Ausführungen hierzu: Die „Frankfurter Gruppe“, der er angehörte, habe sich zum Zeitpunkt eines Treffens mit „RAF“-Mitgliedern in Sprendlingen der „RAF“ anschließen wollen. Als erster Schritt für diesen Beitritt sei für sie ein militärisches Training im Jemen vorgesehen gewesen.

c. In seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. April 1992 führte B. weiter aus, das Bestreben der „RAF“ nach dem Überfall auf die Botschaft in Stockholm und der damit verbundenen Inhaftierung eines Großteils ihrer Mitglieder sei es gewesen, die in ganz Deutschland verstreuten Einzelgruppierungen zu einer neuen schlagkräftigen Gesamtgruppe zusammenzufassen. Zu diesem Zweck habe ein militärisches Training durchgeführt werden sollen, um ein koordiniertes Planen und Handeln der einzelnen Gruppenmitglieder zu ermöglichen. Außerdem hätten durch diese gemeinsame Ausbildung ideologische Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen ausgeräumt werden sollen.

Die Gruppenmitglieder seien damals auf verschiedenen Routen und in Einzelgruppen innerhalb von drei bis vier Wochen in Aden eingetroffen. Bei seiner eigenen Ankunft sei bereits heftig über die Forderung der Palästinenser diskutiert worden, nur mit einem bestimmten einzelnen Mitglied der Gruppe verhandeln zu wollen. Diskussionen mit dem gesamten Kollektiv hätten die Palästinenser abgelehnt. Die Gruppe habe sich jedoch nicht als hierarchisch und militärisch aufgebaute Organisation verstanden. Da die Palästinenser in dieser Frage kompromisslos geblieben seien, habe die Gruppe schließlich nach wochenlangen hart geführten Diskussionen einstimmig einen „Leader“ gewählt, den B. in der damaligen Vernehmung allerdings noch nicht namentlich benennen wollte.

Damals habe sich fast die gesamte „RAF“ in Aden aufgehalten, seiner Erinnerung nach insgesamt etwa fünfzehn Personen; nur ein oder zwei Mitglieder seien in Europa zurückgeblieben. Die „RAF“-Mitglieder, die die „Frankfurter Gruppe“ für die „RAF“ rekrutiert hätten, seien bereits Ende 1975/Anfang 1976 nach Aden geflogen. Auch die im Rahmen der „L.-Entführung“ freigekommenen V. B. und Rolf H. hätten sich dort aufgehalten.

Während ihres Aufenthalts in Aden hätten sie eine militärische Grundausbildung erhalten. Außerdem sei über die Planung der meisten Aktionen gesprochen worden, die dann im Jahr 1977 durchgeführt worden seien. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei eine Befreiungsaktion, genannt „big raushole“, und eine Bestrafungsaktion geplant gewesen. Letztere sei „Margarine“ genannt worden, wegen der Margarine-Marke „SB“ als Hinweis auf die Initialen des Generalbundesanwalts Sieg-fried B..

Für die Befreiungsaktion habe es schon eine Namensliste mit Personen gegeben, die der Gruppe wegen ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung geeignet erschienen seien, den angestrebten Austausch mit Gefangenen der „RAF“ zu erreichen. Dr. Hanns Martin Sch. habe auf der Liste an erster Stelle gestanden. Auch Jürgen P. sei dort aufgeführt gewesen als einer von drei führenden Bankiers. Sie hätten sich damals auch über eine große Aktion unter dem Stichwort „big money“ unterhalten, mit deren Hilfe sie durch eine Entführung auf einen Schlag zu viel Geld hätten kommen wollen. Bei seinem Abflug aus Aden sei diese Entführungsaktion noch nicht konkret bestimmt gewesen.

Die Palästinenser seien damals an weiteren Verbündeten in Europa interessiert gewesen, um eine europäische Stadtguerilla aufzubauen. Zu diesem Zweck hätten sie in Aden europäische Gruppen im Häuserkampf, im Umgang mit Sprengstoff etc. ausgebildet. Während Peter-Jürgen B. Aufenthalt in Aden sei dort eine niederländische Gruppe erschienen, bei deren Ausbildung Peter-Jürgen B. selbst mitgeholfen habe.

Die Anwesenheit der niederländischen Gruppe in dem Lager zu dem von Peter-Jürgen B. genannten Zeitpunkt hat die ehemalige niederländische Terroristin Lidwina J. neben weiteren von B. angegebenen Umständen bestätigt (hierzu später mehr).

d. In seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 hat B. seine früheren Angaben zu dem Aufenthalt in Aden wiederholt und ergänzt. Im Sommer 1976 seien mehrere kleine Gruppen, die vorher keinen Kontakt gehabt hätten, zum ersten Mal in einem Camp nahe Aden/Jemen zusammengeführt worden. Dort sei auch die Planung der später „Offensive 77" genannten Anschlagsserie erfolgt. In diesem Zusammenhang nannte der Zeuge B., als zusätzliches Indiz für die Zuverlässigkeit seiner Angaben, ein weiteres Detail, das er auch in der Hauptverhandlung bei der Erörterung der sog. „H.-M.-Papiere“ (siehe unten III.3.) nochmals erwähnte: Christian K. sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied der „RAF“ gewesen, er habe keine militärische Ausbildung gehabt und keinen Einfluss auf die Planung.

Diese Schilderung wird belegt durch die bei dem damaligen „RAF“-Mitglied Roland M. sichergestellten Notizen, wonach die Stellung des Christian K. als Mitglied innerhalb der Gruppe bis zur Festnahme von Siegfried H. noch nicht gefestigt war. Weitere Einzelheiten hierzu werden ausgeführt unter III.3.c..

Die kleinen Gruppen hätten, so Peter-Jürgen B. weiter, zu diesem Zeitpunkt bereits für sich Aktionen erwogen, die in einer Liste zusammengefasst worden seien. Die „Frankfurter Gruppe“ habe Bankiers aus dem Frankfurter Bereich und „Sch.“ vorgeschlagen. Die „Karlsruher Gruppe“, darunter Günter S., habe Anschläge auf die Bundesanwaltschaft, den Bundesgerichtshof oder den Generalbundesanwalt B. vorgeschlagen. Die „Heidelberger Gruppe“ habe keinen eigenen Vorschlag eingebracht. Sie sei mehr für die Infrastruktur zuständig gewesen, da sie über gute Kontakte zur Sympathisantenszene verfügt und auch den Kontakt zu den Palästinensern hergestellt habe, ohne die das Treffen und die Ausbildung nicht zustande gekommen wären.

Zur ersten großen Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe sei es wegen der Bestimmung eines „Leaders“ gekommen. Angeblich hätten die Palästinenser auf der Benennung eines Ansprechpartners beharrt. Die Gruppe habe deswegen Schwierigkeiten damit gehabt, weil diese „Leader-Eigenschaft“ als feststehend präsentiert worden sei und sie keine Gelegenheit erhalten hätten, daran mitzudiskutieren. Für sie habe die Kollektivität im Vordergrund gestanden. Dies sei Gegenstand nächtelanger Diskussionen gewesen. In den nächsten Tagen habe es einen Wechsel gegeben zwischen militärischer Ausbildung und Diskussionen. Wegen der hohen Temperaturen sei die militärische Ausbildung frühmorgens und in den frühen Abendstunden erfolgt. Zwischen der Morgen- und Nachmittagsausbildung und nach der Nachmittagsausbildung hätten die Diskussionen stattgefunden.

Sie hätten dann erfahren, dass zwei Mitglieder der Gruppe bereits bei einer Aktion mit den Palästinensern verhaftet worden seien und sich in Israel aufhielten. Dies hat die ehemalige Terroristin Monika H., die gemeinsam mit diesen beiden „RAF“-Mitgliedern, nämlich Brigitte Sch. und Thomas R., nach Aden gereist war, in der Hauptverhandlung bestätigt und näher erläutert.

Der Zeuge B. berichtete weiter, er sei nach September 1976 mit als Letzter aus dem Jemen in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt. Unmittelbar zuvor hätten sie die einzelnen, auf einer Liste zusammengetragenen Aktionen eingehend erörtert. Bei der Liste, auf der unter anderem die Begriffe „big raushole“, „margarine“, „HM“ und „big money“ vermerkt gewesen seien, handle es sich um diejenige, die später bei H. nach dessen Festnahme aufgefunden worden sei. Die meisten übrigen Gruppenmitglieder seien bereits zuvor in Zweiergruppen, möglichst als Pärchen zurückgekehrt. Bei B. habe sich die Rückreise verzögert, weil er auf Wunsch der Palästinenser bei der Grundausbildung einer Gruppe von „Holländern“ im Camp mitgeholfen habe.

e. In der Zeugenvernehmung vom 12. November 2009 in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte führte Peter-Jürgen B. weitere Einzelheiten zu dem Aufenthalt in Aden aus. In dieser Vernehmung nannte B. erheblich mehr Namen als in früheren Aussagen und erwähnte ausdrücklich auch die Anwesenheit der Angeklagten im Trainingslager.

Die Weisung „aus Stammheim“, die bestehenden kleineren Gruppen zu einer militärischen Ausbildung im Jemen zusammenzuführen, sei ihnen über Siegfried H. übermittelt worden. Im Auftrag des H. hätten damals die „RAF“-Mitglieder Sieglinde H. und Detlef Sch. in Frankfurt Kontakt zu ihnen aufgenommen und ihnen die Ausbildung und Vereinigung mit anderen Gruppen im Jemen angeboten. Im Lager habe er neben der Angeklagten und Siegfried H. auch Sieglinde H., seine Ehefrau Waltraud L., Stefan W., Friederike K., Rolf H. und Rolf C. W. angetroffen. Unter der Leitung von H. hätten sie untereinander Kontakt aufgenommen und sich gegenseitig kennen gelernt. Sie hätten sich zuvor nur teilweise und dann auch nur sehr oberflächlich gekannt. Es habe nächtelange Gespräche und Aussprachen gegeben. Die Gruppe mit ihrem marxistisch-leninistischen Anspruch habe es als problematisch angesehen, dass H. sich mit der Begründung, die Palästinenser hätten einen Ansprechpartner verlangt, als „Leader“ bezeichnet habe.

Anfangs habe B. den Eindruck gehabt, H. und B. seien ein Pärchen, weil sie häufig gemeinsam aufgetreten seien und denselben Raum bezogen hätten. Dann habe er jedoch festgestellt, dass H. die Angeklagte lediglich dazu benutzt habe, seine Stellung innerhalb der Gruppe zu stärken. B. erläuterte dazu, in der „RAF“ habe grundsätzlich ein Misstrauen gegenüber Rechtsanwälten geherrscht und V. B. sei eine alte Kämpferin gewesen, die freigepresst worden sei und auch Rolf H. mit in die „RAF“ „rüber gezogen“ habe.

In der Folgezeit hätten sich die Gruppen einander zunehmend angenähert. Nach einigen Tagen habe H. während einer nächtlichen Diskussion angeregt, sie sollten die Ziele, die einzelne Gruppen schon ins Auge gefasst hatten, zusammentragen. Die „Karlsruher Gruppe“ habe bereits Überlegungen zu einem möglichen Anschlag auf Generalbundesanwalt B. und/oder den Bundesgerichtshof angestellt. Sie, die Frankfurter, hätten Anschläge auf Bankleute und Vertreter der Wirtschaft, „Bosse und Banker“, ins Auge gefasst. Weil sie einen Bezug in den Raum Köln/Ruhrgebiet gehabt hätten, hätten sie bereits Hanns Martin Sch. observiert.

Die Idee, einen Anschlag auf Generalbundesanwalt B. zu verüben, habe H. sofort gefallen. Er habe den Befehl der Stammheimer übermittelt: „Der General muss weg“. Damit sei eine Art Erpressung der Stammheimer verbunden gewesen: Nur wenn die Gruppe einen solchen Anschlag verüben werde, dürfe sie sich als „RAF“ bezeichnen. Der Zweck des Aufenthaltes in dem Ausbildungslager im Jemen sei gewesen, die einzelnen Gruppen zu einer gemeinsamen Gruppierung zusammenzuführen. Im Jemen sei die „RAF“ neu formiert worden. Später seien noch weitere Personen dazu gekommen.

Die Ausbildung im Jemen habe zum einen der körperlichen Ertüchtigung gedient, zum anderen hätten sie eine Ausbildung im Nahkampf und im Umgang mit Waffen und Sprengstoff erhalten. Diese Ausbildung habe die Vorbereitung auf Anschläge und Überfälle in Deutschland sowie die Gruppenstrukturierung bezweckt.

Bei der Ausbildung hätten sich die unterschiedlichen Fähigkeiten jedes Einzelnen gezeigt. Der eine habe gut schießen, der andere gut Auto fahren oder mit einem schweren Motorrad umgehen können. Wieder andere hätten logistische Fähigkeiten oder einen besonders guten Überblick bewiesen. Dies sei auch für die Planung der einzelnen Anschlagskommandos von Bedeutung gewesen, damit die für den jeweiligen Anschlag geeigneten Personen beteiligt werden konnten. Er selbst sei technisch begabt gewesen, habe sich gut mit Waffen und Sprengstoff ausgekannt und beim Fälschen von Personaldokumenten geschickt angestellt. Sieglinde H. und Stefan W. hätten sehr gut geschossen; B. sei im Schießen auf große Distanz im Vergleich zu den anderen eher schlecht, im Nahbereich etwas besser gewesen.

f. Während seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung wiederholte B. im Wesentlichen diese Angaben. Um die Jahreswende 1975 auf 1976 habe die „Frankfurter Gruppe“ Kontakt zu anderen Splittergruppen bekommen. Sie hätten gewusst, dass es andere Gruppen in Heidelberg und Karlsruhe gegeben habe, die dieselben Ziele wie sie selbst, die Befreiung der „RAF“-Gefangenen, angestrebt hätten. Irgendwann habe man ihnen die Möglichkeit eröffnet, sich mit diesen Gruppen zusammenzufinden, um die „RAF“ neu zu konzeptionieren. Das habe in Aden stattfinden sollen, im Rahmen einer militärischen Ausbildung. Es seien Zweier- und Dreiergruppen zusammengestellt worden, die über verschiedene Flughäfen nach Aden zur Ausbildung geflogen seien. Das sei über einen Zweig der PFLP zustande gekommen, der von Wadi Haddad, genannt Abu Hani, geleitet worden sei. Im Laufe der militärischen Ausbildung sei zusammengetragen worden, was sich die einzelnen Gruppen schon an Anschlagszielen vorgenommen und „angecheckt“ hätten. Darunter sei auch die Idee eines Anschlags auf den Generalbundesanwalt gewesen. Dieser Plan sei auf die Stammheimer zurückgegangen und habe an vorderster Stelle gestanden. Zum damaligen Zeitpunkt sei nur grob festgelegt worden, welche Ziele sie hätten verfolgen wollen. Ob diese Aktionen und gegebenenfalls von welchen Personen durchführbar seien, habe erst nach der Rückkehr aus Aden herausgefunden werden sollen. Die Gruppen seien nach Kriterien wie Ortskenntnisse oder besondere Fähigkeiten aufgeteilt worden. Seine, B.s, Rolle habe sich vor allem auf den Versuch der „Frankfurter Gruppe“, Dr. Hanns Martin Sch. zu entführen, bezogen. Sie hätten sich in Köln die Örtlichkeiten angeschaut und versucht, seine täglichen Fahrstrecken herauszufinden. Sie seien noch nicht sehr weit gekommen, ein Anschlag sei ihnen aber durchaus möglich erschienen. Bs zweiter Schwerpunkt sei die Beschäftigung mit technischen Arbeiten gewesen. Die Stammheimer hätten ihre eigene Prioritätenliste gehabt und der Generalbundesanwalt habe an vorderster Stelle gestanden. Die erste Idee hierzu sei gewesen, im Vorbeifahren eine Haftmine mit einem Magneten auf das Dach des Dienstfahrzeugs zu heften. Das habe sich aber in praktischen Tests als nicht durchführbar erwiesen und sei später verworfen worden.

Bereits in seiner Zeugenvernehmung vom 26. April 2007 hatte B. ausgesagt, es habe am Anfang noch keine feste Planung zu den Tatmodalitäten gegeben. Es sei die Idee einer Sprengfalle diskutiert worden oder eine Hohlladung auf dem Autodach anzubringen. Er habe nach dem Aufenthalt in Aden eine Vorrichtung, die mit Magneten auf dem Autodach angebracht werden konnte, gebaut, sei jedoch bei den Tests nicht dabei gewesen. Man habe ihm gesagt, die Mine sei bei jedem zweiten oder dritten Versuch vom Autodach gefallen. Sie hätten deshalb letztlich von dieser Idee Abstand genommen.

In diesem Zusammenhang hatte er auch die Vermutung geäußert, er glaube, die Testphase sei etwa zwei bis drei Wochen vor dem eigentlichen Anschlag gewesen. In der Hauptverhandlung gab Peter-Jürgen B. demgegenüber für den Senat nachvollziehbar an, der Plan mit der Haftmine sei schon Monate vor dem Anschlag verworfen worden, als man bei Tests festgestellt habe, dass das nicht gehe. Auf anschließenden Vorhalt seiner Aussage vom 26. April 2007 meinte er, der Plan mit der Haftmine habe sich möglicherweise bereits vier Wochen oder mehrere Monate vor dem Karlsruher Anschlag als undurchführbar erwiesen.

Peter-Jürgen B. gab an, keine Namen von Personen, die Anfang 1976 - vor seinem eigenen Aufenthalt dort - schon in Aden gewesen seien, nennen zu können. Aus dem Gespräch in Sprendlingen sei aber klar gewesen, dass Sch. und H. von dort gekommen seien.

Auf Vorhalt, Sprendlingen sei am 7. Mai 1976 gewesen, gab der Zeuge in der Hauptverhandlung an, der Flug nach Aden sei nicht unmittelbar nach Sprendlingen gewesen, er meine im Juni 1976. Auf weiteren Vorhalt gab Peter-Jürgen B. an, er sei mit Günter S. geflogen. Es seien immer Zweiergruppen gewesen. Von der „Frankfurter Gruppe“ seien Waltraud L., Rolf C. W. und er, B., nach Aden geflogen. S. habe zur „Karlsruher Gruppe“ gehört.

Er sei bis Ende September 1976 in Aden geblieben. Auf die Frage, wer mit ihm im Lager gewesen sei, antwortete der Zeuge B., Rolf H., Waltraud L., Siegfried H., B., Sieglinde H. und Günter S.. Zusätzlich bestätigte er die Anwesenheit von Stefan W. und Rolf C. W. An Knut F. und Friederike K. konnte er sich nicht erinnern. Christian K. sei zu diesem Zeitpunkt nicht in Aden gewesen.

Man habe ihnen gesagt, die PFLP, also Abu Hani, wolle keine Gespräche mit allen aus der Gruppe, sondern lege Wert auf eine Person als zuständigen Ansprechpartner. Das sei H. gewesen. Darüber habe es eine Auseinandersetzung gegeben, weil die Gruppe mit einem „Leader“ Schwierigkeiten gehabt habe. Aber es sei klar gewesen, dass Abu Hani nur mit H. habe reden wollen, weil der den direkten Zugang zu den Stammheimern gehabt habe.

Der Zeuge B. machte im Einzelnen Angaben zum Ablauf des Trainings und zur Unterbringung im Lager unter den dort herrschenden klimatischen Bedingungen.

Peter-Jürgen B. wiederholte in der Hauptverhandlung, sie, die „Frankfurter“, hätten bereits Frankfurter Bankiers ins Auge gefasst. Köln hätten sie als Stützpunkt genutzt und dort Dr. Hanns Martin Sch. beobachtet. Aus den Reden H.s seien klare Prioritäten der Stammheimer deutlich geworden. Eine davon sei der Anschlag auf Generalbundesanwalt B., die zweite sei eine Aktion „big raushole“, nämlich die Befreiung der Mehrzahl der inhaftierten „RAF“-Mitglieder gewesen. Jede der Gruppen habe sich vorher überlegt, was gemacht werden könne. Die „Frankfurter Gruppe“ habe die Bankiers und Sch. angedacht, die „Karlsruher Gruppe“ B.. Es habe auch eine „Heidelberger Gruppe“ um Siegfried H. herum gegeben und eine „Hamburger Gruppe“. Das seien „diese drei Frauen“ gewesen, die seien aber erst später zur „RAF“ gekommen. Hier meinte Peter-Jürgen B. zur Überzeugung des Senats Susanne A., Silke M.-W. und Sigrid St., genannt die „Hamburger Tanten“. Der Zeuge gab an, nicht mehr sicher sagen zu können, ob der Anschlag auf die Bundesanwaltschaft seinerzeit auch schon im Gespräch gewesen sei.

Die Koordination sei naturgemäß von Siegfried H. ausgegangen, er sei der Anwalt der Stammheimer gewesen und habe deren Willen vertreten. Die Angeklagte habe im Wesentlichen alles vehement unterstützt, was die Stammheimer gewollt hätten, mithin auch die Liste der Stammheimer. Der Zeuge B. gab an, die Aufforderung, „Der General muss weg“ sei von den Stammheimern gekommen. Das sei erstmals in einem Kassiber aufgetaucht und über das Stuttgarter Büro gelaufen, nicht am Anfang, eher in der Mitte der Ausbildung.

g. Die im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben des Zeugen B. zu dem Trainingslager im Jemen werden, insbesondere zum Ablauf der Ausbildung und zur Unterbringung im Lager und zur Anwesenheit einzelner „RAF“-Mitglieder, in zahlreichen Details ergänzt und bestätigt durch die Aussagen der Lidwina J.. Diese war als niederländische Terroristin ebenfalls im Sommer 1976 in dem Trainingscamp der PFLP ausgebildet worden. Sie wurde im Herbst 1976 bei der Vorbereitung eines Anschlags auf dem Flughafen „Ben Gurion“ in Tel Aviv von Mitarbeitern des israelischen Geheimdienstes festgenommen und später von einem israelischen Gericht verurteilt. J. hatte in einer polizeilichen Vernehmung nach ihrer Festnahme in Israel die Angeklagte, Siegfried H., Stefan W., Rolf H. und Sieglinde H. auf Lichtbildern als - ihr allerdings nur unter ihren arabischen Decknamen bekannte - deutsche Terroristen erkannt, die sich zur selben Zeit wie sie selbst in dem Lager aufgehalten hätten. Diesen Angaben glaubt der Senat, obwohl Lidwina J. ihre Aussage - insbesondere in Bezug auf die Wiedererkennung damals im Lager anwesender Deutscher - in späteren Vernehmungen immer weiter abschwächte. Dass Lidwina J. und Peter-Jürgen B. unabhängig voneinander dieselben Personen als Teilnehmer bezeichneten und die Zuordnung von Tarnnamen durch J. jedenfalls teilweise von anderen Zeugen bestätigt wurde, begründet die Überzeugung des Senats, dass die Zeugin eigene Wahrnehmungen wahrheitsgemäß wiedergab, zumal auch die von Lidwina J. als „Souha“ identifizierte Angeklagte ihre Anwesenheit im Trainingscamp im Sommer 1976 eingeräumt hat. Peter-Jürgen B. bestätigte in der Hauptverhandlung auf Vorhalt die von Lidwina J. in ihrer polizeilichen Vernehmung genannten arabischen Decknamen der Angeklagten („Souha“), des Siegfried H.(„Khalid“), des Stefan W. („Ali“), des Rolf H.(„Rafik“), und der Sieglinde H. („Um Hussein“). Auch Werner L. und Monika H. bezeichneten in der Hauptverhandlung „Rafik“ als den arabischen Decknamen des Rolf H.; Monika H. erinnerte sich darüber hinaus daran, dass Stefan W. „Ali“ genannt worden sei. Demgegenüber misst der Senat dem Umstand, dass die Zeugin J. ihre ursprünglichen Angaben im vorliegenden Verfahren nach mehr als dreißig Jahren so nicht wiederholt hat, keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer damaligen Angaben bei. Lidwina J. gab an, sie habe die damaligen Erlebnisse im Südjemen inzwischen verdrängt und könne sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Es sei eine sehr schwierige Zeit für sie gewesen. Die Zeugin berichtete auch glaubhaft, während ihrer Haftzeit in Israel unzählige Male vernommen worden zu sein. Dies ist für den Senat noch nachvollziehbar.

Im Übrigen wurden die Beschreibungen des Zeugen B. über die Örtlichkeiten des Trainingslagers, insbesondere das Vorhandensein, die Lage und die Ausgestaltung der Gebäude, durch die Zeugin Monika H. in der Hauptverhandlung bestätigt. Monika H. lebte für einige Jahre gemeinsam mit dem zeitweiligen Campleiter Zeki el Haloui bei Aden.

2. Die Rückkehr nach und anschließende Aktivitäten in Deutschland

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Mitglieder der „RAF“ ab September 1976 nacheinander - aus Gründen der Tarnung paarweise - in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrten, um jetzt die angestrebten terroristischen Aktionen, insbesondere die Planungen zum Anschlag auf Generalbundesanwalt B. voranzutreiben und umzusetzen.

a. Zu den Umständen der Rückreise der Gruppenmitglieder von Aden nach Deutschland und zu der Situation der Gruppe in Deutschland machte Peter-Jürgen B. in den folgenden Vernehmungen über Jahre hinweg konstante, sich teilweise ergänzende Angaben. Widersprüche oder Unklarheiten, die Anlass zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage hierzu geben könnten, traten nicht zutage.

Zum Zeitpunkt der Rückreise gab Peter-Jürgen B. in seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 an, nach September 1976 mit als Letzter aus dem Jemen zurückgekehrt zu sein. Unmittelbar zuvor seien die einzelnen Aktionen, „big raushole“, „margarine“, „HM“ und „big money“, die auf einer bei Siegfried H. aufgefundenen Liste zusammengetragen gewesen seien, vertieft worden.

In der Zeugenvernehmung vom 12. November 2009 in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte führte B. hierzu näher aus, nach dem Aufenthalt im Jemen habe es die einzelnen Gruppierungen nicht mehr gegeben, sondern sie seien zur Gesamtgruppe „RAF" geworden.

Bei der Rückkehr der Gruppe aus Aden in die Bundesrepublik Deutschland seien sie möglichst paarweise zeitlich versetzt zurückgereist. Sieglinde H. sei eine der Ersten gewesen, die nach Deutschland zurückgegangen sei, um konspirative Wohnungen anzumieten. Er selbst sei als einer der Letzten aus der Gruppe zurückgekehrt. Als er in Deutschland angekommen sei, hätten andere Gruppenmitglieder bereits konspirative Wohnungen angemietet gehabt.

b. Zur weiteren Befassung der Illegalen mit geplanten Anschlägen führte Peter-Jürgen B. bereits in seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. April 1992 aus, es sei vereinbart gewesen, dass sich bestimmte Gruppenmitglieder in Archiven über die potentiellen Entführungsopfer hätten informieren sollen; andere hätten in Erfahrung bringen sollen, wie man an diese Personen herankommen könne. Zum Beispiel hätten sie damals noch nichts von der Möglichkeit gewusst, sich über Susanne A. unmittelbaren Zugang zu Jürgen P. zu verschaffen. Die „Bestrafungsaktion“ gegen Generalbundesanwalt B. sei damals schon grundsätzlich beschlossen gewesen. Zur Vorbereitung der geplanten Aktionen hätten auch Strukturen im Ausland aufgebaut werden müssen. Zu diesem Zweck sei Kontakt mit ausländischen Gruppen aufgenommen worden.

c. Die Feststellung, dass die Stammheimer Gefangenen die Illegalen bedrängten, sie baldmöglichst aus der Haft zu befreien und eine „Bestrafungsaktion“ gegen den Generalbundesanwalt durchzuführen, beruht auf den Aussagen des Peter-Jürgen B., in denen er wiederholt angab, die Gefangenen hätten über Kassiber immer wieder Druck auf die Gruppe ausgeübt, um sie zu entsprechenden Aktionen zu bewegen. So gab B. in der Zeugenvernehmung vom 12. November 2009 in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte hierzu, wie bereits erwähnt, an, mit dem von H. übermittelten Befehl der Stammheimer „Der General muss weg“ sei eine Art Erpressung der Inhaftierten verbunden gewesen: Nur wenn die Gruppe einen solchen Anschlag verüben werde, dürfe sie sich als „RAF“ bezeichnen.

Die fordernde Haltung der Gefangenen gegenüber der im Untergrund lebenden Gruppe ergibt sich auch aus den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. und Roland M., wonach Roland M. - vor seiner Festnahme - notiert hatte: „Gef. fragen nach Brief - wollen was hören“. Die Beweisaufnahme hat keine Umstände erbracht, die dem Senat Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Urteilsfeststellungen hätten geben können. Diese stehen vielmehr im Einklang mit den oben wiedergegebenen Angaben des Peter-Jürgen B..

d. In seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. April 1992 führte B. zu logistischen Anstrengungen der Gruppe aus, nach der Rückkehr der Illegalen aus Aden habe deren Hauptaufgabe darin bestanden, im gesamten Bundesgebiet, aber auch im benachbarten Ausland, Wohnungsstrukturen aufzubauen. Sie hätten die Bundesrepublik für diesen Zweck in Regionen eingeteilt, z.B. die Region Karlsruhe für die Aktion „Margarine“.

In seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 hat B. angegeben, als sie zurück gekommen seien, habe es zunächst Probleme gegeben, da einige ihrer früheren Wohnungen nicht mehr benutzbar gewesen seien. Das habe zum Teil daran gelegen, dass Sicherheitsbedenken bestanden hätten oder dass Zeitmietverträge, etwa für Studentenwohnungen, abgelaufen gewesen seien. Sie hätten sich dann zunächst Wohnungen besorgen müssen, da es aus Sicherheitsgründen für die Gruppe schlecht gewesen sei, auf zwei Wohnungen verteilt leben zu müssen. Die Gruppe habe sich dann aufgeteilt, um zu überprüfen, ob die Aktionen, die auf der oben näher bezeichneten Liste standen, noch wie ursprünglich angedacht durchgeführt hätten werden können, oder ob Schwierigkeiten aufgetreten seien.

In der Hauptverhandlung bestätigte Peter-Jürgen B. diese früheren Angaben im Wesentlichen. Seine Aussagen werden durch die Feststellungen der Urteile gegen Siegfried H. und Roland M. sowie gegen Christian K. und Brigitte M. gestützt.

e. Die Feststellungen zu den Waffenkäufen in Aosta nach der Rückkehr der Gruppe aus dem Trainingslager beruhen auf dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. und Roland M.. Danach erwarben beide am 27. Oktober 1976 im Waffengeschäft des Michele Salval in Aosta/Italien zwei Revolver Smith & Wesson, Kal. 38 special. Roland M. wies sich mit dem auf seinen Namen ausgestellten Reisepass aus. Am selben Tag kaufte dort Christian K. - ebenfalls unter seinem richtigen Namen und unter Vorlage seines Bundespersonalausweises - im Beisein der Sabine Sch. eine Pistole Heckler & Koch mit 3 Läufen und einen Revolver Smith & Wesson, Kal. 38 special. Die Käufer M. und K. ließen sich anschließend in der Polizeipräfektur die für den Kauf erforderlichen waffenrechtlichen Bescheinigungen ausstellen. Sabine Sch. war nach den Urteilsfeststellungen mit Adelheid Sch., die für diese Fahrt den Pkw BMW, KN-CL 729, des Uwe F. benützte, nach Italien eingereist und hatte mit ihr vom 24. auf den 25. Oktober 1976 in Luino übernachtet. Am 26. Oktober 1976 war Adelheid Sch. im Beisein der Sabine Sch. in Olginate in einen Unfall verwickelt, der polizeilich aufgenommen wurde. Den in Aosta gekauften Revolver Smith & Wesson, Kal. 38 special, benutzte das Gruppenmitglied Waltraud B., wie in den Urteilsgründen ebenfalls mitgeteilt wird, bei dem Überfall auf den Creditanstalt-Bankverein Wien am 13. Dezember 1976. Die Beweisaufnahme erbrachte keine Hinweise, die dem Senat Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Urteilsfeststellungen hätten geben können.

3. Das erste Gesamttreffen im Harz im Herbst 1976

Der Senat ist davon überzeugt, dass B. im Herbst 1976 an dem Gesamttreffen der „RAF“ im Harz teilnahm und dass sie dort an den weiteren Entscheidungsinhalten mitwirkte, die „RAF“ solle den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. und mögliche Begleiter ausführen.

a. Die Angeklagte räumte ihre Teilnahme an einem Treffen im Harz und die dortige Diskussion über den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. ein. Sie gab an, im Grundsatz sei eine Aktion gegen Generalbundesanwalt B. von allen für richtig befunden worden, auch sie selbst habe solche Schritte gebilligt. Die Angeklagte räumte ein, dass sie selbst mit dem in dem bei Siegfried H. sichergestellten Arbeitsplan aufgeführten Tarnnamen „Paula“ gemeint sei.

b. Soweit sie in Abrede stellt, dass eine „abschließende“ Entscheidung über die Aktion gegen Generalbundesanwalt B. getroffen worden sei, wird sie durch die Aussage des Zeugen B., die durch die sog. „H.-M.-Papiere“ gestützt wird, widerlegt.

Danach stand der Anschlag unter der Deckbezeichnung „Margarine“ zum Zeitpunkt der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. kurz vor seiner Ausführung. Die Vorbereitungen waren zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamttreffen im Harz so weit fortgeschritten, dass der Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt B. ursprünglich spätestens Ende Dezember 1976 hätte durchgeführt werden können und sollen. Diese Überzeugung stützt der Senat auf folgende Würdigung der Beweisergebnisse:

Der Durchführung einer derartigen Aktion musste nach der Ideologie der „RAF“ stets eine Kollektiventscheidung aller „Illegalen“ vorausgegangen sein. Der Zeuge B. bestätigte in der Hauptverhandlung seine Aussage vor der Bundesanwaltschaft vom 12. November 2009 im Ermittlungsverfahren gegen V. B., wonach die Entscheidung, Generalbundesanwalt B. zu töten, eine gemeinsame und von allen getragene Entscheidung der Kerngruppe der „RAF“ gewesen sei. Zu dieser Kerngruppe habe auch V.B. gezählt. Generell seien Aktionen nur durchgeführt worden, wenn darüber eine von allen getragene Entscheidung herbeigeführt worden sei.

Aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Treffen und dem ursprünglich geplanten Tatzeitraum zieht der Senat den Schluss, dass während des Gesamttreffens im Harz die erforderliche Willensentschließung stattgefunden hat und dass die Angeklagte, die einräumte, an den Diskussionen bei diesem Treffen beteiligt gewesen zu sein, auch an dieser zentralen Entscheidung aufgrund ihrer Position in der Gruppe bestimmend mitgewirkt hat. Die Herbeiführung abschließender Entscheidungen, die die gleichzeitige Anwesenheit der gesamten Gruppe erforderten, war gerade der Zweck des Gesamttreffens im Harz. Die Annahme, alle übrigen „RAF“-Mitglieder hätten die erforderliche kollektive Willensentscheidung ohne Beteiligung der Angeklagten getroffen, schließt der Senat vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der „RAF“ und ihrer Gruppenmitglieder, zumal derjenigen mit Führungsrolle, aus.

c. Bei den sog. „H.-M.-Papieren“ handelt es sich um Aufschriebe, die anlässlich der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. am 30. November 1976 sichergestellt werden konnten. Nach den Feststellungen des gegen Siegfried H. und Roland M. ergangenen Urteils vom 11. Juli 1979 hatten beide bei ihrer Festnahme am 30. November 1976 zahlreiche Aufzeichnungen bei sich. In einer schwarzen Herrentragetasche auf dem Rücksitz des von ihnen gefahrenen Opel-Admiral führte Siegfried H. neben mehreren echten Ausweispapieren auf den Namen F., die teilweise mit ausgewechselten Lichtbildern des Siegfried H. versehen waren, u.a. elf Einzelblätter DIN A 5, davon zehn Blätter mit von Siegfried H. stammenden schriftlichen Aufzeichnungen und einen mit elf Namen versehenen tabellarischen Plan für die Zeit vom 20. November bis 11. Dezember 1976, der nahezu vollständig von Siegfried H. geschrieben war, mit. Roland M. hatte nach den Urteilsfeststellungen in einer Herrenumhängetasche neben falschen, teilweise mit seinem Lichtbild versehenen, Ausweispapieren u.a. einen Spiralblock mit umfangreichen eigenen Notizen, einen Notizblock „Gohrsmühle“, in dem er u.a. Pläne für verschiedene Aktionen niedergelegt hatte und ein Briefkuvert mit der Aufschrift „Margarine“ dabei, in dem sich verschiedene Notizzettel mit Aufschrieben und einer Skizze befanden, die ebenfalls von Roland M. stammten. Die Beweisaufnahme hat keine Umstände erbracht, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen begründen könnten.

Nach Überzeugung des Senats geben die Notizen im Wesentlichen das Ergebnis der Diskussionen auf dem Treffen im Harz wieder. Aus ihnen ergeben sich Hinweise auf diejenigen „RAF“-Mitglieder, die an der Aktion nach dem damaligen Planungsstand beteiligt sein sollten, auf die Tatmodalitäten und den Anschlagsort.

Die handschriftlichen Aufschriebe von Siegfried H. und Roland M. über die Anschlagsplanungen, die Peter-Jürgen B. u.a. im Rahmen seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung auszugsweise erläuterte, haben - in Maschinenschrift übertragen - wörtlich folgenden Inhalt:

(1) Der Arbeitsplan des Siegfried H.:

d. Der Senat ist davon überzeugt, dass die vorstehenden Notizen von Siegfried H. und Roland M. stammen. Diese Feststellung beruht auf dem Schriftgutachten des Bundeskriminalamts vom 17. Mai 1977 in Verbindung mit den im Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. und Roland M. festgestellten Umständen, unter denen die Aufzeichnungen sichergestellt wurden und den Angaben des Zeugen B. in der Hauptverhandlung.

Das Schriftgutachten kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass die Notizen Seite 2, beginnend mit „Aufgaben: Für alle:“, Seite 3, beginnend mit „Pläne Depots:“, Seite 4, beginnend mit „Machen: Boppard - Depot“, Seite 5, beginnend mit „Anton, Für den Fall (…)“, Seite 6, beginnend mit „I die Adresse (…)“, Seite 7, beginnend mit „II den Typ, den wir (…)“, Seite 8, beginnend mit „Meidereich, Heimrath - Einzel“, Seite 9, beginnend mit „Topf Admiral Schilder“ und Seite 10, beginnend mit „Was zu tun ist:“ mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit und der Arbeitsplan mit hoher Wahrscheinlichkeit Siegfried H. sowie die Aufzeichnungen in dem sichergestellten Spiralblock, kariertes Papier, Format 15 x 11 cm, mit umfangreichen Notizen mit hoher, auf dem Block mit Briefpapier, Deckblatt mit Aufdruck „Gohrsmühle“ mit umfangreichen Notizen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit und die Notizen in dem Briefkuvert mit der Aufschrift: „Margarine“ wahrscheinlich Roland M. zuzuordnen sind.

Peter-Jürgen B. schilderte hierzu in der Hauptverhandlung, er habe bemerkt, wie Siegfried H. sich während des Treffens im Harz Notizen gemacht habe.

e. Auch wenn der genaue Zeitpunkt, zu dem die am 30. November 1976 sichergestellten Aufzeichnungen gefertigt wurden, nicht sicher feststeht, ergibt sich zur Überzeugung des Senats doch aus ihrem Inhalt und den Angaben des Zeugen B. dazu, dass diese Aufzeichnungen das Ergebnis der Besprechungen im Harz und das vereinbarte sowie das fortgeschriebene weitere Vorgehen festhalten. So lässt etwa die Notiz „16. Ablauf-Geschichten seit Meeting“ in den von M. stammenden Aufzeichnungen eine Bezugnahme auf das vorangegangene Treffen im Harz erkennen. Dass der vorliegende Arbeitsplan fortgeschrieben und aktualisiert worden war, entnimmt der Senat dem Umstand, dass darin unter dem Datum „Di 30“ der Eintrag „alter Bus“ und unter dem Datum „Mi 1“ der Eintrag „Opel“ enthalten ist. Diese Eintragungen konnte Siegfried H. frühestens vornehmen, nachdem - nach den Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Siegfried H. und Roland M. vom 11. Juli 1979 (hierzu unten mehr) - Roland M. am 24. November 1976 in Mannheim einen Opel Commodore beschafft hatte und in der Nacht zum 25. November 1976 in Celle ein älterer Vereinsbus gestohlen worden war.

f. Bei der von Siegfried H. stammenden Aufstellung handelt es sich bereits dem äußeren Anschein nach um einen „Arbeitsplan“, in dem den dort bezeichneten Personen an bestimmten Tagen bestimmte Tätigkeiten zugewiesen werden. Die zeitliche Einordnung der mit den fortlaufenden Wochentagen und Zahlen gekennzeichneten Zeilen passt auf den Zeitraum von Samstag, dem 20. November bis Samstag, dem 11. Dezember 1976. Bestätigt wird dieser zeitliche Rahmen auch durch die korrespondierenden Eintragungen jeweils in der Zeile „Di. 30.“ in den Spalten „Michael“: „Egon/C-W.“, und „Egon“: „Michael/C-Wohnung“. Tatsächlich konnten Siegfried H. und Roland M., die nach der Aussage des Peter-Jürgen B. die Decknamen „Egon“ und „Michael“ trugen, am 30. November 1976 gemeinsam festgenommen werden.

g. Die Angeklagte räumte ein, dass mit dem in der Aufstellung aufgeführten Tarnnamen „Paula“ sie selbst gemeint sei. Damit bestätigt sie erneut die Angaben des Zeugen B., der zu den auf dem Arbeitsplan aufgeführten Vornamen angab, dass es sich hierbei um die Tarnnamen der damaligen „RAF“-Mitglieder gehandelt habe. Er selbst habe den Tarnnamen „Tim“ geführt, S. sei „Bodo“ gewesen, H. sei „Egon“ und W. „Anton“ genannt worden, B.s damalige Ehefrau Waltraud L. sei „Inge“ und Sieglinde H. „Olga“ gewesen. In der Hauptverhandlung bekundete B., mit „Paula“ sei, wie er glaube, die Angeklagte gemeint.

Die Zuordnung der Tarnnamen „Egon“, „Michael“ und „Inge“ seitens des Zeugen B. wird durch die Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. und Roland M. bestätigt. Für seine Zuordnung des Namens „Inge“ sprechen darüber hinaus die Einträge im Schreibblock „Gohrsmühle“ auf Seite 6: „F2 ? besetzt, Inge ? Bank vorbereiten + Crisenzeit, 3 Leute machen Bank“ und im Arbeitsplan in der Zeile „Sa. 4“ in der Spalte „Inge“: „ab nach F2“. In seiner Beschuldigtenvernehmung am 13. Mai 1992 erläuterte Peter-Jürgen B., mit „F 2“ sei eine Wohnung in Wien gemeint. „F“ bezeichne immer eine Wohnung im Ausland. Anhand der arabischen Ziffern sei die örtliche Lage festzustellen. Von dieser Wiener Wohnung aus sei der Banküberfall in Wien und ein Einbruch im Passamt von Landeck durchgeführt worden. Dass diese Planung auch vollständig umgesetzt wurde, ergibt sich aus dem Umstand, dass Waltraud L., nachdem sie mit zwei weiteren Tätern einen Überfall auf den Creditanstalt-Bankverein verübt hatte, am 13. Dezember 1976 in Wien festgenommen und deswegen auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Aus den „H.-M.-Papieren“ ergeben sich Hinweise auf diejenigen „RAF“-Mitglieder, die an dem Treffen im November 1976 und damit an der Entscheidung über die geplante Aktion beteiligt waren. Dem Arbeitsplan ist z.B. auch eine der damals ins Auge gefasste Tatmodalität zu entnehmen, nämlich die zunächst geplante Durchführung des Anschlags mittels einer Haftmine, genannt „Topf“ - so der Zeuge B. -, die auf das Dach des Dienstwagens des Generalbundesanwalts gesetzt werden sollte.

h. Die Erkenntnisse aus den H.-M.-Papieren wurden durch die Angaben des Peter-Jürgen B. in folgenden Vernehmungen untermauert und weiter erläutert.

(1) In seiner Beschuldigtenvernehmung vom 3. April 1992 sagte Peter-Jürgen B. aus, vor dem Gesamttreffen in den Niederlanden habe es noch ein weiteres Gesamttreffen der Gruppe gegeben. Dieses Treffen habe nach der Rückkehr aus Aden aber noch vor der Festnahme von Siegfried H. in der Nähe von Goslar im Harz in einer Großferienanlage stattgefunden. Tatsächlich führten H. und M. nach den Feststellungen des am 11. Juli 1979 gegen sie ergangenen Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart bei ihrer Festnahme einen Stadtplan von Goslar mit sich. B. gab weiter an, an diesem Treffen hätten alle Mitglieder ihrer Gruppe teilgenommen. Die Mitglieder hätten sich aus den Personen der „Heidelberger Gruppe“, der „Frankfurter Gruppe“ und der „Förstergruppe“ zusammengesetzt. Zweck dieses Treffens sei zum einen gewesen, dass sich die Gruppe nach der getrennten Rückreise aus Aden in Deutschland habe sammeln sollen, zum anderen hätten die konkret anstehenden Arbeiten auf die Gruppenmitglieder verteilt werden sollen. Bei der Tabelle, die sich unter den „H.-M.-Papieren“ befand, handle es sich um einen Arbeitsplan der Gruppe, der bei diesem Treffen aufgestellt worden sei. Den darin aufgeführten elf Personen, wie „Ede“, „Hans“, „Tim“ usw. seien bestimmte Aufgaben zugewiesen worden. Sein eigener Deckname habe „Tim“ gelautet. Aus dem Arbeitsplan sei ersichtlich, dass er unter dem Stichwort „Basteln“ mit der Herstellung der ursprünglich für den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. vorgesehenen Haftmine beschäftigt gewesen sei. Aus dem Arbeitsplan sei überhaupt zu ersehen, dass der Anschlag auf Generalbundesanwalt B. schon in seine konkrete Ausführungsphase getreten sei. Wäre Siegfried H. nicht kurze Zeit nach diesem Treffen im Harz festgenommen worden, wäre der Anschlag auf Generalbundesanwalt B., so B. in der Vernehmung vom 3. April 1992, Ende 1976 durchgeführt worden.

(2) Dem steht nicht entgegen, dass der Zeuge B. in der Hauptverhandlung auf Vorhalt der Notiz des Roland M. auf Seite 4 unter „II. Margarine“: „c) spontane Operation möglich? beim checken“ erklärte, dass der genaue Tatablauf zu diesem Zeitpunkt nicht im Einzelnen festgestanden habe. In seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 hatte B. angegeben, er selbst sei nicht in die unmittelbaren Vorbereitungen des Anschlages auf Generalbundesanwalt B. eingebunden gewesen, da er in Karlsruhe nicht ortskundig gewesen sei. Es habe am Anfang noch keine feste Planung zum konkreten Ablauf des Anschlags gegeben. Es habe unter anderem die Idee gegeben, eine Sprengfalle einzurichten oder eine Hohlladung auf dem Autodach anzubringen. Er habe nach dem Aufenthalt in Aden in Deutschland eine derartige Vorrichtung, die mit Magneten auf dem Autodach hätte angebracht werden können, gebaut. Sie hätten jedoch von diesem Plan Abstand genommen, weil er sich als nicht durchführbar erwiesen habe.

(3) Etliche Eintragungen im Arbeitsplan und in den Aufzeichnungen des Roland M. wurden vom Zeugen B. nachvollziehbar erläutert oder passen zu seinen sonstigen Angaben. Sie stehen teilweise auch im Einklang mit objektiv nachprüfbaren Ereignissen, wie etwa die Eintragungen zu „Egon“ und „Michael“ am 30. November 1976 und der an diesem Tag erfolgten gemeinsamen Festnahme von Siegfried H. und Roland M.

In der Zeugenvernehmung vom 12. November 2009 in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte führte Peter-Jürgen B. näher aus, nachdem die Infrastruktur der Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Rückkehr aus Aden gefestigt gewesen sei, habe Siegfried H. ein Gesamttreffen der Gruppe gefordert. Dies habe im Harz stattgefunden. Bei diesem Treffen sei die weitere Vorgehensweise geplant worden. Dabei habe es sich um allgemeine logistische Planungen, aber auch um die Planung des Anschlages auf Generalbundesanwalt B. gehandelt. Die in dem bei Siegfried H. sichergestellten Arbeitsplan aufgeführten Tarnnamen ordnete er wie folgt zu: „Bodo“ sei Günter S., „Hans“ Stefan W., bei „Olga“ handele es sich um Sieglinde H., bei „Paula“ um V. B., „Anton“ sei Rolf C. W., „Egon“ Siegfried H. und „Tim“ sei er selbst.

In der Hauptverhandlung bestätigte der Zeuge B. seine früheren Angaben zu dem ersten Gesamttreffen nach der Rückkehr aus dem Jemen. Das Treffen habe einige Wochen vor der Festnahme des Siegfried H. im Harz - er glaube in Bad Harzburg - stattgefunden. Teilgenommen hätten alle Illegalen aus der „Heidelberger Gruppe“, der „Frankfurter Gruppe“ und der „Förster Gruppe“. Der Zweck dieses Treffens sei u.a. die Verteilung der anstehenden Arbeiten auf die Gruppenmitglieder gewesen. Der Zeuge erläuterte etliche Eintragungen in dem sichergestellten Arbeitsplan. Bis auf „Ede“, „Karl“ und „Michael“ ordnete B. alle im Arbeitsplan aufgeführten Tarnnamen „RAF“-Mitgliedern zu, die bei dem Gesamttreffen im Harz teilgenommen hätten. Bei den Namen „Ede“ für K., „Michael“ für Roland M. und „Karl“ für Rolf H. war B. sich zunächst nicht sicher. Später ergab sich für ihn aus dem Inhalt der Notizen des Roland M. insbesondere auf Seite 4 unter „g) Ede: auseinanderreißende Funktion Ideologiker. Verbindlichkeit von Entscheidungen.“, dass tatsächlich Christian K. mit „Ede“ gemeint war, weil dessen Position in der Gruppe damals noch umstritten gewesen sei.

Peter-Jürgen B. erläuterte schlüssig und für den Senat nachvollziehbar Eintragungen im Arbeitsplan:

- Die Abkürzung „HG“ stehe für Handgranaten.

- Bei dem Eintrag „So. 21“: „Klotz Metall“ in der Spalte „Bodo“ gehe es um die Arbeiten in Hannover.

- Der Eintrag „Mo. 22.“ „Karl Inge Auto kl.“ beziehe sich auf das „Klauen“ von Autos, „Di 23“ „Basteln“ auf die Arbeiten im „Klotz“, der konspirativen Wohnung im Ihme-Zentrum in Hannover.

- Zu dem Eintrag „Mi 1“: „ML-Treff“ fiel ihm ein Versuch der Gruppe ein, mit den „Marxisten-Leninisten“ zusammenzuarbeiten.

- Zu der Eintragung in der Spalte „Ede“: „Mi 1“: „Hagen L II schießen“ gab B. an, mit „Schießen“ sei das Schießen mit Faustfeuerwaffen gemeint. „Lager“ sei der Tarnname für ein bestimmtes Depot. Es habe zwei im Raum Hagen gegeben, „Lager I“ und „Lager II“.

- Zum Eintrag „Retusche im Klotz Karl Autokl“ in der Spalte „Karl“ meinte B., Retusche sei das Erlernen einer bestimmten Technik, die für das Fälschen notwendig gewesen sei.

Zur erforderlichen Pflege der von der „RAF“ angelegten Depots gab B. bei der Erörterung des Arbeitsplans an, teilweise seien Dinge wie Geld und Papiere neu auf mehrere Depots verteilt worden. Darauf weise etwa die Eintragung „Hagen Geld rein Pappen raus“ in der Spalte „Olga“ hin. Da solche Depots über längere Zeiträume bestanden hätten, seien gelegentliche sog. „Depotchecks“ erforderlich gewesen, um zu gewährleisten, dass die Kennzeichnung noch richtig sei und um den Bestand und die Sicherheit des Depots zu überprüfen. Man habe etwa überprüft, ob Wildtiere im Bereich eines Depots gegraben hätten, oder ob dort Forstarbeiten durchgeführt würden.

- Der Eintrag „Fh Dreher“ in der Spalte „Paula“ beziehe sich auf eine Methode, Autos aufzubrechen, die V.B. aus Berlin mitgebracht und dann den anderen beigebracht habe.

- Bei „Pappen“ in der Spalte „Anton“ gehe es um Fälschungsarbeiten, die fast rund um die Uhr - aber nicht nur von B. alleine,sondern etwa auch von Rolf C. W. - durchgeführt worden seien.

- „Abfahrt FIL III“ in der Spalte „Egon“ sei die Abkürzung für eine Filiale, einer konspirativen Wohnung im Ausland. B. ging davon aus, dass sich H. dort für längere Zeit aufgehalten habe. Tatsächlich wurden nach den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried H. u.a. in Gepäckstücken des H. mehrere Plastiktüten einer Pariser Wäscherei und ein Reiseführer von Paris gefunden.

- Zu den Eintragungen auf der zweiten Seite des Arbeitsplans gab B. an, die Zahlen „17/18“ seien eine Zeitangabe. Diese seien aber immer verschlüsselt gewesen. Die „Limmerstr.“ weise auf den „Klotz“, die konspirative Wohnung in Hannover, hin.

- Zu der Notiz „IV. Perspektive nach Margarine Big Money (Vorbereitung schon jetzt) Big Raushol - Rache! „ gab B. an, „Margarine“ sei klar, „Big Money“ habe eine Aktion gemeint, die die Gruppe von der Notwendigkeit befreien sollte, einzelne Banküberfälle zu begehen, um an Geld zu kommen. „Raushole“ beziehe sich auf die Stammheimer Gefangenen.

- Zu dem Eintrag „V. Verhältnis u. Zusammenarbeit mit Bündnispartnern P’s, ML, 2.6.“ erläuterte der Zeuge B., mit „P’s“ seien die Palästinenser, mit „ML“ die Marxisten/Leninisten und mit „2.6.“ sei die „Bewegung 2. Juni“ gemeint gewesen.

- Aus der Notiz g) „Ede: auseinanderreißende Funktion Ideologiker. verbindlichkeit von Entscheidungen.“ gehe hervor, dass Christian K. noch gar nicht in der Gruppe gewesen sei, als die Aktion gegen den Generalbundesanwalt geplant worden sei. Er sei nicht im Trainingslager in Aden gewesen. Auf dem Arbeitsplan sei K. zwar als „Ede“ aufgeführt. Er sei aber noch kein vollwertiges Mitglied gewesen, sondern habe noch „unter Beobachtung“ gestanden. K. habe seinen Beitritt zur Gruppe im Herbst 1976 an Bedingungen geknüpft. Die Gruppe habe eine Entscheidung von ihm verlangt, keiner habe weitere Diskussionen mit K. gewollt.

- Zu der Notiz „III. Commandowohnung Appartement - Bungalow - 30 km Radius Dobel - Gebiet - keine Luxusgegend“ gab B. an, generell hätten sie Kommandowohnungen innerhalb eines bestimmten Radius gesucht. Eine Autobahnauffahrt habe in der Nähe sein und öffentliche Verkehrsmittel in alle Richtungen erreichbar sein sollen. Es habe hier z.B. auch kein Bungalow in der besten Gegend von Karlsruhe sein sollen.

- Zu „16.d) Fahrerflucht“ falle ihm eine Situation ein, als er mit Stefan W. einen \/W-Bus stehlen wollte. Dabei seien sie auf frischer Tat erwischt worden und sich nicht einig gewesen, wie sie sich nun hätten verhalten sollen. Er, B., habe die Aktion abbrechen, W. den Diebstahl unbedingt weiter durchführen wollen. Diese Situation hätten sie „Fahrerflucht“ genannt.

- Bei „F 3“ gehe es um eine Wohnung. Mit „Hat 3000 für nen Loch. Will das auch machen. Hat aber Angst da zu vieles reinzustecken“ sei ein Betrag in Höhe von 3.000 DM gemeint, der für die Anmietung einer Wohnung nötig gewesen sei. Sie hätten nicht zu viel in diese Wohnung stecken wollen.

- Unter „20 a)“ sei er als „Tim“ aufgeführt. Da gehe es unter d) nochmals um die erwähnte „Fahrerflucht“. „Tim will weg“ unter „23.“ beziehe sich darauf, dass er mal aus der Dunkelkammer habe raus wollen.

- Die Formulierung unter „27.“ „Was hält Ede weiter in der Gruppe“, sei ein Hinweis auf die „nicht ganz klare Position“ des Christian K. aus der Sicht einiger Gruppenmitglieder.

Zu einer ihm vorgelegten Skizze, die ebenfalls bei der Festnahme von Siegfried H. und Roland M. sichergestellt worden war, gab Peter-Jürgen B. an, hierbei handle es sich offensichtlich um eine Straßenskizze. Sie enthalte Angaben zu Fahrzeiten und zur Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das beziehe sich auf die Aktion und die Rückzugsmöglichkeiten für die Täter. Autos seien in der Regel nicht allgemein zur Fortbewegung, sondern für die Begehung von Anschlägen beschafft worden. Die Notizen in den „H.-M.-Papieren“ bestätigen die Angaben des Peter-Jürgen B., dass sich am 30. November 1976 der mit „Margarine“ bezeichnete Anschlag bereits in seiner konkreten Vorbereitung befand. Überlegungen zum Fluchtweg waren auch auf einer Skizze festgehalten, die in einem Umschlag mit der Beschriftung „Margarine“ in einer Umhängetasche des Roland M. sichergestellt werden konnte. Die Polizeibeamten Dieter M. und Ulrich P. hatten die schriftlichen Aufzeichnungen aus den „H.-M.-Papieren“ bei Fahrversuchen überprüft. Nach ihren Angaben in der Hauptverhandlung hatten sie die darin enthaltenen Abkürzungen anhand der örtlichen Gegebenheiten in Karlsruhe nachvollzogen, z.B. „AP“ als Ausgangspunkt, „Abf. Wilf - B. Feld“ als Abfahrt Wilferdingen - Birkenfeld. Dabei hätten die benötigten Fahrzeiten im Wesentlichen mit den in den Aufzeichnungen enthaltenen Zeitangaben übereingestimmt.

In den Aufzeichnungen des Roland M. finden sich auch Festlegungen auf die ursprünglich auf dem Treffen im Harz geplanten Tatmodalitäten und die vorgesehene Bewaffnung der unmittelbaren Täter. So bestätigte Peter-Jürgen B. auf Vorhalt der Notiz „Muni-Diskussion“ des Roland M., dass in der Gruppe diskutiert worden sei, ob bei dem Anschlag Hohlspitz-Munition Verwendung finden sollte. Dies sei wegen der durch diese Munition bewirkten stärkeren Verletzungsfolgen umstritten gewesen. B. bestätigte auch auf Vorhalt der Aufschriebe zur Autobeschaffung („Auto kl.“, „Autos / 2 kaufen - 3 holen“, Notizen M., Seite 5), dass Autos nicht für die normale Fortbewegung, sondern für Anschläge beschafft worden seien. Nach den Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Siegfried H. und Roland M. vom 11. Juli 1979 entwendeten Mitglieder der „RAF“ im November 1976 in Bochum bzw. in Celle je einen VW-Bus und ebenfalls in Bochum einen Opel Admiral; außerdem kaufte Roland M. in Stuttgart einen Alfa Romeo und in Mannheim einen Opel Commodore. Die Beweisaufnahme hat keine Umstände ergeben, die Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Feststellungen geben könnten.

Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass die Gruppe gemeinsam über die Zusammensetzung des Anschlagskommandos entschied und dass hiernach die Angeklagte als führendes Mitglied der „RAF“ auch Kenntnis von den Teilnehmern des Kommandos hatte. Aus den Notizen des Roland M. geht hervor, dass die im Untergrund lebenden „RAF“-Angehörigen eine „Personaldebatte“ über die Zusammensetzung des Kommandos für die Aktion „Margarine“ führten. Dies bestätigte Peter-Jürgen B. in der Hauptverhandlung allgemein jedenfalls insoweit, als er angab, entscheidend für die Teilnahme an einem Tatkommando seien die Fähigkeiten, z.B. im Umgang mit Waffen oder Motorrädern und/oder Ortskenntnisse gewesen.

Der Senat folgt Peter-Jürgen B. (der auch in seinen neuerlichen Aussagen erkennbar eventuelle Täter für frühere Taten nicht belasten wollte) nicht, soweit er weiter bekundete, nicht zu wissen, wer dem „Kommando Ulrike Meinhof“ angehört habe. Hier ist zunächst die Notiz über eine „Personaldebatte“ im Zusammenhang mit dem geplanten Anschlag auf den Generalbundesanwalt zu sehen. Zudem war die Gruppe zahlenmäßig klein, im Arbeitsplan des Siegfried H. waren lediglich elf Personen bezeichnet. Innerhalb der Gruppe hatte jedes Mitglied eine klar definierte Stellung, wie auch Silke M.-W. in der Hauptverhandlung bekundete. Einigen wurde von vornherein nicht zugetraut, unmittelbar an einer „Aktion“ mitzuwirken, andere, wie die „Karlsruher“, so die Aussage von Werner L. insoweit als Zeuge vom Hörensagen, wurden als Macher angesehen. Zahlreiche Diskussionen drehten sich um die persönliche Kritik an den Gruppenmitgliedern, „jeder kannte jeden“ in dem überschaubaren Kreis der Illegalen. Das ergibt sich aus der Aussage der Zeugin Silke M.-W. und wird durch mehrere Notizen in den H.-M.-Papieren wie „Kritik - Selbstkritik“, „Hans (-Olga-) - Kritik“, „Kritik an einzelnen Geno.“, „Kritik Anton (vögeln mit leg. Braut)“, „Entwicklung Anton ? F3 Kritik Egon“, „Kritik an Egon, Paula, Hans ? Handschuhgeschichte/Kritik an Karl ? offene Kritik“, „Bodo-Kritik“, „ineffektive Hetze + Chaos + Ärger“ u.a. untermauert. Danach hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Mitglieder des Anschlagskommandos von Personen außerhalb der Gruppe, etwa von den „Stammheimern“, und zudem unbemerkt von den (führenden) Gruppenmitgliedern, wie etwa Peter-Jürgen B. oder der Angeklagten, bestimmt wurden.

Wie weit die Anschlagsvorbereitungen fortgeschritten waren, ist weiter daraus zu ersehen, dass ausweislich der Notizen des Roland M. bereits Planungen für den Rückzug der unmittelbaren Täter vorlagen und - unter dem dort aufgeführten Stichwort „Perspektive nach Margarine“ - Folgeaktionen in den Blick genommen worden waren. Auch die im Arbeitsplan festgesetzten Daten für den Ablauf der Vorbereitungen in der Zeit vom 20. November bis 11. Dezember 1976 sprechen zur Überzeugung des Senats für eine zeitnah geplante Durchführung des Anschlags.

4. Die Festnahme des Siegfried H. und des Roland M. am 30. November 1976

Die Feststellungen zu den Umständen der Festnahme und die damit ausgelöste Anschlagsverzögerung stützt der Senat auf die Feststellungen in dem gegen Sieg- fried H. und Roland M. ergangenen Urteil. Dass die Festnahme die übrigen „RAF“-Mitglieder stark verunsichert hatte und deshalb zunächst mit der Fort- und Durchführung der Aktion „Margarine“ zugewartet wurde, ergibt sich ebenfalls aus den Angaben des Zeugen B. Ein Teil der Gruppe habe befürchtet, die von den beiden Festgenommenen mitgeführten schriftlichen Unterlagen könnten entschlüsselt und die Anschlagsvorbereitungen aufgedeckt werden. Darüber sei diskutiert worden. Zudem seien bei Siegfried H. alle Fäden zusammengelaufen, so dass nach dessen Festnahme die Organisation und Koordinierung der Gruppenaktivitäten habe neu geregelt werden müssen.

Bereits in seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. April 1992 hatte B. geäußert, durch die Verhaftung insbesondere von Siegfried H. sei die Gruppe quasi „geköpft“ worden. B. offenbarte in dieser Vernehmung, der von der Gruppe in Aden gekürte „Leader“, der auch die Legitimation der Stammheimer Gefangenen besessen habe, sei Rechtsanwalt H. gewesen.

5. Das zweite Gesamttreffen in den Niederlanden Anfang 1977

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angeklagte, die sich ihrer Führungsrolle bewusst war, auf dem zweiten Gesamttreffen der „RAF“ Anfang 1977 in den Niederlanden die Anschlagsdurchführung dadurch - wie von ihr erkannt - fördern wollte, dass sie die unmittelbaren Täter des Anschlags vom 7. April 1977 in deren bereits gefassten Tatentschluss bewusst und gewollt bestärkte, indem sie sich in besonders intensiver Weise für die baldige Durchführung des von den in Stammheim inhaftierten Führungsmitgliedern der „RAF“ geforderten Anschlags auf Generalbundesanwalt B. und mögliche Begleiter einsetzte.

a. Die Angeklagte hat die Durchführung eines zweiten Gruppentreffens Anfang 1977 in den Niederlanden bestätigt und eingeräumt, zu Beginn daran beteiligt gewesen zu sein. Sie bestreitet jedoch, während der Zusammenkunft in den Niederlanden an Diskussionen über den geplanten Anschlag mitgewirkt zu haben. Während ihrer Anwesenheit sei nur über die Verbindung der Gruppe in den Nahen Osten diskutiert worden. Sie habe das Treffen wegen unaufschiebbarer Verabredungen vorzeitig verlassen müssen.

b. Diese Einlassung ist durch die Angaben des Zeugen B. widerlegt, wonach in Anwesenheit und unter Beteiligung der Angeklagten über die Fortführung der Anschlagspläne diskutiert worden sei. Die Angeklagte habe „mit Zähigkeit und Vehemenz“ mit einem Teil der Gruppe, dem hauptsächlich Frauen angehörten, die Linie der „Stammheimer“ vertreten und eine alsbaldige Durchführung des Anschlags gefordert.

Bereits in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 2. April 1992 berichtete Peter-Jürgen B. von einem Gesamttreffen um die Jahreswende 1976/1977 in einem kleinen Küstenort in „Holland“. Ohne die Angeklagte zu erwähnen gab B. schon in dieser frühen Vernehmung an, bei der Diskussion auf dem Treffen habe sich eine klare Mehrheit für die hauptsächlich von Frauen vertretene Gruppe ergeben, die gesagt habe, mit ihrer Einstellung stimme etwas nicht; die Gefangenen hätten Recht; die „Illegalen“ müssten ihre Einstellung ändern, dann werde sich die Schnelligkeit der einzelnen Aktionen von alleine einstellen.

In seiner Beschuldigtenvernehmung vom 3. April 1992 führte Peter-Jürgen B. weiter aus, bis auf ein oder zwei Personen hätten alle Mitglieder der Gruppe an diesem Treffen teilgenommen. Als Entscheidung des Treffens sei herausgekommen, dass nunmehr die bereits für 1977 feststehenden und beschlossenen Aktionen beschleunigt durchzuführen seien.

Namen der Teilnehmer und erstmals auch die Anwesenheit der Angeklagten bei dem zweiten Gruppentreffen in den Niederlanden hat der Zeuge B. in seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 genannt: Im Frühjahr 1977 habe ein Gesamttreffen der Gruppe in Holland stattgefunden. Er finde das deswegen erwähnenswert, da es eines von insgesamt nur zwei Gesamtgruppentreffen gewesen sei. Seiner Erinnerung nach hätten daran alle Mitglieder der Gruppe teilgenommen. Er könne sich konkret erinnern an: V. B., Sieglinde H., Rolf C. W., Knut F., Günter S., Rolf H., Adelheid Sch. sowie Angelika S. Peter-Jürgen B. hatte zwar auch Waltraud L. als Teilnehmerin genannt, dies aber in der Hauptverhandlung korrigiert, da sich diese zum Zeitpunkt des Treffens in Haft befunden habe. Christian K. sei dort ein Ultimatum gestellt worden, wonach er entweder in die Gruppe kommen oder draußen bleiben solle. Er habe sich daraufhin für die Gruppe entschieden. An eine durchgängige Anwesenheit von Stefan W. könne er sich nicht erinnern. Silke M.-W. und Sigrid St., die sog. „Hamburger Tanten“, seien erst später dazu gekommen. Susanne A. sei nicht dort gewesen. An die Anwesenheit von Monika H., Friederike K. oder Christine K. könne er sich ebenfalls nicht erinnern. Brigitte M. sei bei diesem Treffen nicht dabei gewesen.

In der Hauptverhandlung wiederholte und ergänzte der Zeuge B. diese Angaben. Das zweite Treffen habe in Holland in einem Küstendörfchen stattgefunden. Die Gruppe habe dort in einer Ferienanlage zwei bis drei Häuschen angemietet. Das Treffen sei vor allem deshalb erforderlich gewesen, weil der Umfang der weiteren Planungen über das hinausgegangen sei, was man bei den üblichen Telefontreffs hätte regeln können. Außerdem habe nach den Verhaftungen auch operativ einiges geklärt und geändert werden müssen. Am Ende hätten die Teilnehmer ein einvernehmliches Ergebnis erzielt, aber erst nach einem spannenden Hin und Her. Die Angeklagte habe - wie B. selbst - vehement den Willen der „Stammheimer“ vertreten. Auch Angelika S., Sieglinde H. und Adelheid Sch. hätten die Haltung der „Stammheimer“ geteilt.

c. Peter-Jürgen B.s Angaben, dass an diesem Treffen alle „Illegalen“ teilgenommen hätten, sind vor dem Hintergrund der „RAF“-Ideologie, über Ziele und Aktionen im Kollektiv zu entscheiden, glaubhaft. Außerdem ist nachvollziehbar, dass die sonst üblichen Kommunikationsmöglichkeiten der „RAF“, die sogenannten Telefontreffs, für derart umfangreiche strategische Planungen nicht genügten und deshalb ein solches Treffen notwendig war.

Aus den früheren Angaben des Zeugen B. zu der seiner Erinnerung nach (teils zeitweisen) Abwesenheit von Stefan W., Monika H., Friederike K., Christine K., Silke M.-W. und Sigrid St., Susanne A. und Brigitte M. in den Niederlanden schließt der Senat nicht auf die Unzuverlässigkeit seiner Schilderung vom Auftreten der Angeklagten bei dem Treffen. Monika H., Silke M.-W., Sigrid St. und Susanne A. stießen erst nach dem Anschlag vom 7. April 1977 als „Illegale“ zur „RAF“. Brigitte M. war bis Ende Februar 1977, also noch zu der Zeit, in der das Treffen in Holland stattfand, zunächst noch in Haft und anschließend noch mit der Organisation des Rechtsanwaltsbüros beschäftigt. Dies spricht gegen die Teilnahme der Genannten an dem Gesamttreffen in den Niederlanden und damit für die Richtigkeit der Angaben des Peter-Jürgen B.. Als Zeuge in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. wäre B. in seiner Aussage am 26. April 2007 allenfalls zu Gunsten des W. hinter der Wahrheit zurückgeblieben. Hinweise auf eine wissentliche Falschbelastung der Angeklagten ergeben sich aus diesen Angaben jedenfalls nicht.

d. Die Einlassung der Angeklagten zu ihrer vorzeitigen Abreise von dem Treffen in den Niederlanden - ohne nähere Konkretisierung - hält der Senat demgegenüber bereits für sich genommen für wenig plausibel. Die gesamte Gruppe der Illegalen war in hohem Maße auf die Gefangenen ausgerichtet. Der Gedanke an die Befreiung der Gefangenen nahm einen zentralen Raum in den Bestrebungen der Gruppe ein und überlagerte weitgehend deren ursprüngliche politische Ziele. Die Gefangenen um Andreas B. übten Peter-Jürgen B. zufolge großen Druck auf die „Illegalen“ aus, zeitnah „Aktionen“ durchzuführen. Dabei besaß die Bestrafungsaktion gegen Generalbundesanwalt B. bei den „Stammheimern“ erste Priorität. Das Treffen in den Niederlanden wurde gerade zu dem Zweck einberufen, über die von den Gefangenen geforderte beschleunigte Durchführung insbesondere des wegen der Verhaftung des Siegfried H. zunächst aufgeschobenen Karlsruher Anschlags zu entscheiden.

So hat Peter-Jürgen B. in seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. am 26. April 2007 angegeben, der wichtigste Bezugspunkt für alle Gruppenmitglieder seien die „Stammheimer“ gewesen. Das habe eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ohne die Zustimmung der „Stammheimer“ sei - abgesehen von den Banküberfällen - „nichts gegangen“. Während eines Hungerstreikes der „Stammheimer“ hätten diese einen „enormen Druck“ auf die „Illegalen“ draußen ausgeübt. Den Gefangenen sei alles zu langsam gegangen. Vor diesem Hintergrund sei der Anschlag auf Generalbundesanwalt B. zu sehen. Die „Stammheimer“ hätten deutlich gemacht, dass sie in Siegfried B. den „direkten Feind, den direkten Gegner“ gesehen hätten. Sie hätten erwartet, dass die Gruppe eine Aktion gegen ihn durchführe. Der Senat hält dies auch wegen des zeitlichen Drucks, der wegen des laufenden Prozesses vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Andreas B., Gudrun E. und Jan-Carl R. auf den Gefangenen lastete, für nachvollziehbar.

e. Die Angeklagte unterlag nach der Überzeugung des Senats in besonderem Maße dem Einfluss der „Stammheimer“.

Sie war dem hierzu in der Hauptverhandlung gehörten Michael B. nach dessen anschaulichen und insoweit glaubhaften Angaben bereits in Berlin als Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ als hart und kompromisslos aufgefallen, als sie selbst einer in den Medien kolportierten angeblichen Planung der „RAF“, Bombenanschläge in Stuttgart durchzuführen, zu seinem Befremden gleichgültig bis positiv gegenüber gestanden habe. V. B. habe zu diesen angeblichen Plänen sinngemäß geäußert: „Dann sollen sie es doch tun“.

Die „RAF“, die Anfang 1975 fast ausschließlich durch die Stammheimer Gefangenen repräsentiert wurde, während sich die in Freiheit befindlichen Gruppen erst neu zu formieren begannen, übte auf die Angeklagte eine derart große Anziehungskraft aus, dass sie, obwohl gerade durch die konkurrierende „Bewegung 2. Juni“ freigepresst, kurz darauf zur „RAF“ wechselte. Dazu passt die Aussage des Zeugen B. vom 12. November 2009, die er in der Hauptverhandlung nochmals bestätigte, die Angeklagte habe sich immer mit Vehemenz für die Durchsetzung des Willens der „Stammheimer“ eingesetzt. Sie habe da nicht mit sich reden lassen. So äußerte er auch in seiner Zeugenvernehmung vom 18. November 2009, den „Illegalen“ seien Kassiber der Gefangenen zugegangen, in denen die „Stammheimer“ immer mehr Druck auf die Gruppe draußen ausgeübt hätten, Aktionen durchzuführen. Dies sei von einigen Gruppenmitgliedern draußen kritisch gesehen worden. V. B. sei aber immer auf Seite der „Stammheimer“ gewesen. Sie habe die Meinung vertreten, dass die Forderungen der „Stammheimer“ nicht zur Diskussion stünden, sondern widerspruchslos umgesetzt werden müssten. Dies bestätigte der Zeuge B. in der Hauptverhandlung.

f. Ein weiteres, diese Aussage des Zeugen B. zur Haltung der Angeklagten bestätigendes Indiz sieht der Senat in den Umständen der Festnahme der Angeklagten am 3. Mai 1977 in Singen. Die Feststellungen hierzu entnimmt der Senat insbesondere dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen V. B. vom 28. Dezember 1977. Die Angeklagte und S. verhielten sich dabei ganz und gar linientreu im Sinne der Gefangenen, indem sie noch in aussichtsloser Situation versuchten, sich ihrer Festnahme durch den gezielten Einsatz von Schusswaffen gegen die sie verfolgenden Polizeibeamten zu entziehen, bis beide von Schüssen getroffen am Boden lagen. In ähnlicher Weise war auch der Festnahme von Andreas B., Holger M. und Jan-Carl R. im Sommer 1972 ein mehrstündiges Feuergefecht mit der Polizei vorausgegangen. Dies zeigt, mit welcher Entschlossenheit und Konsequenz die Angeklagte sich den von den Gefangenen vorgegebenen Verhaltensmaßregeln der „RAF“ unterworfen hatte. Andere, ebenfalls bedeutende Gruppenmitglieder wie Siegfried H., Roland M. und später Christian K., Brigitte M. und Sieglinde H. ließen sich demgegenüber widerstandslos festnehmen. Folgerichtig stand die Angeklagte auf der Liste derjenigen Gefangenen, deren Freilassung durch die Entführung von Dr. Sch. und der Lufthansa-Maschine nach Mogadischu erpresst werden sollte, an vierter Stelle direkt hinter den „Stammheimern“. Dies ist schon deshalb ein gewichtiges Indiz für die damalige Stellung der Angeklagten innerhalb der „RAF“, weil die Stammheimer Gefangenen - so der Zeuge B. - maßgeblichen Einfluss darauf genommen hatten, wer an welcher Stelle in diese Liste aufgenommen wurde.

g. Zusätzliche Indizien für die positive Haltung der Angeklagten zum Anschlag und ihren Willen, dessen Durchführung zu fördern, sieht der Senat in den von ihr geleisteten Unterstützungshandlungen bei Tätigkeiten, die nach dem Anschlag erforderlich waren, wie ihre Mitwirkung an der Versendung der Kommandoerklärungen und dabei, die Tatwaffe außer Landes zu schaffen. Beides hat die Angeklagte eingeräumt.

Dass sich V. B. - über ihre grundsätzliche Bereitschaft, Aufgaben im Zusammenhang mit „Aktionen“ zu übernehmen hinaus - bereits vor dem Anschlag zu diesen konkreten Mitwirkungshandlungen bereit erklärt hatte, ist aber nicht belegt.

6. Die Bestärkung der Haupttäter

Der Senat ist davon überzeugt, dass sich die späteren unmittelbaren Täter durch das vehemente Eintreten der Angeklagten im Rahmen der Diskussion auf dem Gesamttreffen in den Niederlanden von der Notwendigkeit einer nunmehrigen Durchführung des Anschlags überzeugen ließen und, auch vom vehementen Einsatz der Angeklagten für die Forderung der Gefangenen beeinflusst und bestimmt, gemeinschaftlich mit allen in den Niederlanden anwesenden Gruppenmitgliedern die Entscheidung trafen, dass der bereits vor der Festnahme von H. und M. gemeinsam gefasste Tatentschluss zur Ermordung Siegfried B.s zeitnah umgesetzt werden sollte.

Hierzu war die Angeklagte aufgrund ihrer eingenommenen Führungsposition innerhalb der Gruppierung auch in der Lage.

a. Auf die Bekundung des Peter-Jürgen B., an diesem Treffen in den Niederlanden hätten sämtliche „Illegale“ teilgenommen und weil dort über die von den Gefangenen geforderte beschleunigte Durchführung der geplanten Anschläge entschieden werden sollte, stützt der Senat seine Überzeugung, dass dort auch die späteren Täter des Karlsruher Anschlags anwesend waren.

b. Weiter stützt der Senat auf die Schilderungen des Peter-Jürgen B. vom Ablauf der Diskussionen auf dem Treffen in den Niederlanden seine Überzeugung davon, dass die späteren Täter - insbesondere auch von der Angeklagten - nicht nur in ihrem Tatentschluss bestärkt wurden, sondern sich im Rahmen einer kontrovers geführten Diskussion weiter dahingehend beeinflussen ließen, den Karlsruher Anschlag beschleunigt durchzuführen. Danach stand bei den Diskussionen eine hauptsächlich aus Frauen bestehende Gruppe dem Rest der Gruppe gegenüber. Die „Gruppe der Frauen“ verschaffte unter maßgeblicher Mitwirkung der Angeklagten der Forderung der Gefangenen nach beschleunigter Durchführung u.a. des Anschlags auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried B. Geltung.

c. Dabei tat sich die Angeklagte zur Überzeugung des Senats in besonderer Weise hervor. In seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen V. B. am 12. und 18. November 2009 gab Peter-Jürgen B. an, V. B. sei es sehr darauf angekommen, den Willen der Stammheimer in der Gruppe draußen widerspruchslos durchzusetzen. Dazu habe auch der Befehl der Stammheimer „Der General muss weg" gehört. V. B. sei generell immer auf der Seite der Stammheimer gewesen. Sie sei der Meinung gewesen, was die Stammheimer wollten, sei nicht diskussionsfähig, sondern müsse umgesetzt werden. Mit V. B. habe man nicht richtig diskutieren können. Wenn sie etwas zu Aktionen gesagt habe, dann in der Weise, dass sie gesagt habe, das sei das, was die Stammheimer wollten und das müssten sie so umsetzen. Über Kassiber hätten die in Stammheim eingesessenen Gefangenen immer mehr Druck auf die Gruppe draußen aufgebaut, Aktionen durchzuführen. Dies sei von einigen Gruppenmitgliedern draußen kritisch gesehen worden. V. B. habe jedoch immer die Seite der „Stammheimer“ vertreten. Diese damalige Haltung der V. B. bestätigte B. in der Hauptverhandlung.

Darüber hinaus beschrieb der Zeuge B. nunmehr auch die Art und Weise der Beteiligung der Angeklagten an der Diskussion in den Niederlanden. V. B. habe auch dort - wie B. selbst - vehement den Willen der Stammheimer vertreten. Peter-Jürgen B. erläuterte das Auftreten der Angeklagten während der Diskussionen anschaulich: Es gebe einen „atmosphärischen Unterschied“, ob jemand so dahin sage: „Das machen wir mal“ oder ob er entschieden fordere, „Das wird jetzt gemacht!“. V. B. habe sich nicht lediglich im ersten Sinne geäußert, sondern mit Entschiedenheit bestimmt: „So gehen wir jetzt vor!“

Der andere Teil der Gruppe vertrat während der Diskussion in den Niederlanden, wie von B. beschrieben, die Auffassung, sie selbst müssten über den genauen Zeitablauf bei der Tatausführung entscheiden. Die Einzelheiten der Tatausführung waren nach den glaubhaften Angaben des Zeugen B. den Mitgliedern des Tatkommandos vorbehalten. Dies erscheint schlüssig, da nur das Tatkommando durch die intensive Vorbereitung der Anschlagsdetails vor Ort die besonderen Schwierigkeiten der Tatausführung im Einzelnen kannte und bei der konkreten Anschlagsbegehung berücksichtigen konnte.

Der Senat ist danach davon überzeugt, dass gerade die späteren Täter diesen anderen Teil der Gruppe, der sich nicht „von außen“, von den Stammheimern, in die Tatvorbereitung und -durchführung „hineinreden“ lassen wollte, bildeten. Nachvollziehbar führte B. in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 2. April 1992 aus, die Gefangenen hätten Vorstellungen geäußert, die von den Illegalen überhaupt nicht hätten erfüllt werden können. Nach dem Gesamttreffen in den Niederlanden sei zwar der geschilderte Widerspruch nach außen hin ausgeräumt gewesen, gleichwohl hätten einzelne Mitglieder der Gruppe mit der Situation Schwierigkeiten gehabt, vor allem auch mit dem damals bestehenden „objektiven und subjektiven Stress“, der mit der Durchführung der Aktionen verbunden gewesen sei. Für nicht unmittelbar mit der konkreten Tatbegehung befasste „RAF“-Mitglieder lag der Gesichtspunkt, die genauen Abläufe selbst bestimmen zu wollen, weniger nah; für sie überwog das Anliegen, die Forderungen der Gefangenen zu erfüllen. Dies traf auf die Angeklagte, wie B. bekundete, in besonderem Maße zu. Die Gegenposition zu den Forderungen der Gefangenen nahmen danach zur Überzeugung des Senats auf dem Treffen in den Niederlanden die Mitglieder der Gruppe ein, die am 7. April 1977 mit der unmittelbaren Anschlagsdurchführung befasst waren. Dieser gehörten die Kommandomitglieder an, die ihre Gegenmeinung mit praktischen Erwägungen begründeten, die aus ihrer Sicht als die späteren unmittelbaren Täter von großem Interesse waren. V. B. als lautstarke Vertreterin der „Gruppe der Frauen“, so B., setzte sich jedoch gegenüber den späteren Tätern durch. Die unmittelbaren Täter ließen sich durch das vehemente Eintreten der Angeklagten im Rahmen der Diskussion von der Notwendigkeit einer beschleunigten Durchführung des Anschlags überzeugen.

7. Das Hinzutreten von Brigitte M. in den Kreis der Illegalen

Die Feststellungen zur Tätigkeit von Brigitte M. nach ihrer Haftentlassung am 8. Februar 1977 und zum Zeitpunkt ihres Anschlusses an die Gruppe der „Illegalen“ Ende Februar 1977 beruhen auf dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 2. April 1985 gegen Christian K. und Brigitte M. Peter-Jürgen B. sagte aus, Brigitte M. sei bei dem Treffen in den Niederlanden nicht dabei gewesen. Er schloss nicht aus, dass sich M. zum Zeitpunkt des Treffens bereits auf freiem Fuß befunden habe, ihre erste Aufgabe sei jedoch die Organisation des Stuttgarter Anwaltsbüros gewesen.

Dass die Pläne für den Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt von den „Illegalen“ draußen stammten und bereits fertig vorlagen, als Brigitte M. sich der Gruppe im Untergrund anschloss, wird darüber hinaus bestätigt durch die Angaben des Bundesanwalts b. BGH -AL- G. Dieser berichtete über die Aussagen der damaligen „RAF“-Mitglieder Adelheid Sch., Irmgard M., Knut F. und Günter S. in dem Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Christian K. und Brigitte M., wo sie sich zu den Hintergründen des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. als Racheaktion und zu dem nach den damaligen Angaben der Zeugen für die „RAF“ ganz wesentlichen Grundsatz der Kollektivität geäußert hatten. Auch diese Angaben standen im Einklang mit den entsprechenden Feststellungen in den genannten Urteilen.

Das ehemalige „RAF“-Mitglied Knut F. habe - wie der Zeuge Bundesanwalt b. BGH -AL- G. angab - als Zeuge im Verfahren gegen Brigitte M. und Christian K. ausgesagt, die „Offensive 77“ sei genau das gewesen, was jeder aus der Gruppe der Illegalen gewollt habe. Die Guerilla habe selbst gewusst, dass B. habe „vernichtet“ werden müssen, als M. rausgekommen sei. Der Zeuge Bundesanwalt b. BGH -AL- G. berichtete zudem von den Aussagen der Adelheid Sch., des Knut F. und des Günter S. in dem Strafverfahren gegen Christian K. und Brigitte M. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, wonach die Vorbereitungen für den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. zum Zeitpunkt der Entlassung von Brigitte M. schon weitgehend abgeschlossen gewesen seien. Knut F.s Angaben zufolge habe sich lediglich herausgestellt, dass die „Illegalen“ draußen dieselben Ziele gehabt hätten wie die Gefangenen. Sie hätten einen gemeinsamen Kampf geführt. Sie hätten den B.-Anschlag nur deshalb nicht früher durchgeführt, weil sie keine Einzelaktion gewollt hätten.

In dieser Weise hätten auch Sch. und M. ausgesagt. Ein zentrales Element für die Gruppe in der Illegalität sei nach den Angaben von Knut F., Adelheid Sch. und Irmgard M. die Kollektivität gewesen. Auf die Frage eines der Verteidiger, ob es vor Brigitte M. keine Gruppe gegeben habe, habe Günter S. geantwortet, die habe es natürlich gegeben, die Gruppe habe die Pläne vorbereitet. Die Ziele der Gefangenen und der Illegalen draußen seien die gleichen gewesen, als Brigitte M. dazugekommen sei. Der grundsätzliche Tatplan für den Karlsruher Anschlag war danach - unter Mitwirkung der Angeklagten - bereits gefasst, als Brigitte M. zur Gruppe stieß.

8. Die Würdigung der Aussage des Peter-Jürgen B.

a. Die Angaben des Zeugen B. zu den von ihm geschilderten Geschehnissen in Aden sowie zu den beiden Gesamttreffen im Harz und in den Niederlanden hält der Senat für glaubhaft. Der Zeuge B. hatte sich zusammen mit anderen „RAF“-Mitgliedern im Sommer 1976 im Trainingscamp der PFLP aufgehalten. Er hatte auch an den Gesamttreffen im Harz und in den Niederlanden teilgenommen. B.s Aussagen zu diesen Treffen liegt also selbst erlebtes Geschehen zugrunde. Seine Bekundungen waren in der hiesigen Hauptverhandlung sachlich und besonnen. Sie waren ersichtlich von dem Bemühen getragen, sich nach so langer Zeit noch möglichst genau an die Ereignisse der Jahre 1976/1977 zu erinnern. Dabei hat der Zeuge sorgfältig zwischen sicheren und unsicheren Erinnerungen sowie zwischen eigenen Wahrnehmungen, Informationen vom Hörensagen und lediglich von ihm gezogenen Schlussfolgerungen unterschieden.

b. Der Senat verkennt nicht, dass der Zeuge B. bis März 1992 - etwa nach den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen ihn vom 7. Mai 1984, wie der Zeuge auch selbst einräumte, auch vor Gericht - die Unwahrheit gesagt hatte. Laut der früheren Ehefrau Waltraud L. - so der Zeuge Generalstaatsanwalt P. - soll Peter-Jürgen B. seinerzeit ein „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“ gehabt haben. Auch in der Hauptverhandlung traten Widersprüche zu früheren Angaben zutage. So schwächte er etwa seine Zuordnung des im Arbeitsplan aufgeführten Tarnnamens „Paula“ in der Hauptverhandlung ab, wo er angab, lediglich zu „glauben, V. B. sei Paula“ gewesen gegenüber seinen Angaben in der Zeugenvernehmung vom 12. November 2009, wo er noch sicher bekundete, „Paula ist V. B.“. Darin erkennt der Senat jedoch keinen Hinweis auf eine mögliche Falschbelastung der Angeklagten durch den Zeugen. Seine generell zurückhaltenden Angaben sprechen vielmehr gerade für das Fehlen jeglichen Belastungseifers. In gleicher Weise würdigt der Senat, dass Peter-Jürgen B. in der Hauptverhandlung frühere Darstellungen bestätigte, zwei Tage nach dem Anschlag vom 7. April 1977 „einen Täter“ des Anschlags in Köln getroffen zu haben, allerdings nicht mehr zu wissen, wen. Im Übrigen habe er lediglich auf dessen Tätereigenschaft geschlossen, weil dieser in Karlsruhe gewesen sei; den Namen wisse er nicht.

Auch widersprüchliche Angaben des Peter-Jürgen B. etwa zum genauen Zeitpunkt seiner Ankunft in Aden 1976 sprechen nicht gegen den Wahrheitsgehalt etwa seiner Schilderung vom Verhalten der Angeklagten. Peter-Jürgen B. hatte in der Hauptverhandlung angegeben, er sei nach dem Vorfall in Sprendlingen im Juni 1976 nach Aden geflogen. Auf Vorhalt seiner abweichenden Zeugenvernehmung vom 12. November 2009, wonach er im September in Aden angekommen sei, bestätigte er zunächst diese abweichende Zeitangabe, korrigierte sich dann aber nach einem Hinweis auf die Anwesenheit einer holländischen Gruppe im Lager: Er sei wohl doch Anfang/Mitte Juni angekommen und Ende September zurück gekehrt. Ungenauigkeiten in der zeitlichen Einordnung viele Jahre zurückliegender Ereignisse sind ohne weiteres mit Erinnerungsschwierigkeiten erklärbar. Sie weisen jedenfalls vorliegend zur Überzeugung des Senats nicht auf eine Falschbelastung der Angeklagten durch den Zeugen hin.

c. Aus der Unwahrheit früherer Angaben ergibt sich nicht zwangsläufig, dass auch seine nunmehrigen Angaben zu den hier interessierenden Vorgängen, insbesondere zu den Treffen im Harz und in den Niederlanden unrichtig sind. Der Senat hat allerdings eine besonders kritische Überprüfung seiner Aussage auch unter diesem Gesichtspunkt vorgenommen. Peter-Jürgen B. hat vor dem Senat eingeräumt, in Vernehmungen bis Anfang der 90er Jahre gelogen zu haben. Die Angaben, die er seit seinem Schreiben an den Bundespräsidenten im März 1992 - im Zusammenhang mit einem vorangegangenen Gnadengesuch - gemacht habe, entsprächen jedoch der Wahrheit. Peter-Jürgen B. hatte in seinen Vernehmungen bis März 1992 unrichtige Angaben zu seiner Beteiligung an „Aktionen“ der „RAF“ und zu seiner Position innerhalb der Gruppe gemacht. So hatte er u.a. stets bestritten, an der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns Martin Sch. beteiligt gewesen zu sein. In einem Schreiben an den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 29. März 1992 entschuldigte er sich für sein „unredliches Verhalten“. Er wolle diesen „unwürdigen Zustand“ beenden und über seine Beteiligung an Anschlägen umfassend aussagen, andere allerdings weiterhin nicht belasten; die „sogenannte Kronzeugenregelung“ wolle er nicht in Anspruch nehmen. In seiner Vernehmung durch den damaligen Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof P. übergab er dieses Schreiben und erklärte seine Bereitschaft, nunmehr umfassend auszusagen. Als Begründung für sein geändertes Aussageverhalten führte er u.a. an, die Geradlinigkeit einiger der sogenannten „DDR-Aussteiger“ der „RAF“ habe ihn beeindruckt.

Diese Angaben des Zeugen hat Generalstaatsanwalt P. in der Hauptverhandlung bestätigt. Der Zeuge P., der B. als Sitzungsvertreter und staatsanwaltschaftlicher Vernehmungsbeamter seit 1983 kennt, gab an, dass Peter-Jürgen B. bis zur Ablegung seiner „Lebensbeichte“ im April/Mai 1992 häufig gelogen habe. B.s „Lebensbeichte“ sei der Wendepunkt gewesen. Die Angaben, die Peter-Jürgen B. seither gemacht habe, seien durch weitere Ermittlungen bestätigt worden. Im Jahr 2007 habe B. ihm gegenüber auch belastende Angaben zum Nachteil anderer gemacht, da er davon ausgegangen sei, er könne mit seinen Angaben niemandem mehr schaden, weil alle ehemaligen „RAF“-Mitglieder bereits verurteilt seien.

In den zahlreichen Vernehmungen des Peter-Jürgen B. über Jahre hinweg aufgetretene Widersprüche und Unstimmigkeiten bezogen auf Vorgänge, die mit den vorliegenden Tatvorwürfen nicht in Zusammenhang stehen, können angesichts der beschriebenen Umstände durchgreifende Zweifel an den Angaben des Zeugen B. zum Verhalten der Angeklagten nicht begründen.

d. Besonderes Gewicht für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit kommt dem Umstand zu, dass sich die Angaben des Zeugen B. zur Entwicklung des Tatplans für den Karlsruher Anschlag widerspruchslos in das übrige Beweisergebnis einfügen. Zunächst hat die Angeklagte die von B. geschilderten Planungsstufen des Anschlags in Aden, im Harz und in den Niederlanden weitgehend bestätigt. In ihrer Erklärung stellt sie nicht die Schilderungen des Zeugen als solche in Frage, sondern weicht - wie bereits dargestellt wenig überzeugend - lediglich in wenigen Details ab. So bestätigt sie nicht nur die Durchführung des Gesamttreffens in den Niederlanden, sie räumt auch ihre Anwesenheit dort ein, behauptet aber, das Treffen vorzeitig verlassen zu haben.

Die Niederländerin Lidwina J., die sich, wie bereits dargestellt, im Sommer 1976 ebenfalls in dem Ausbildungslager im Südjemen aufgehalten hatte, bestätigte die von B. bekundete Anwesenheit einer niederländischen Gruppe in dem Lager. Darüber hinaus hatte sie in früheren Vernehmungen unter den von Peter-Jürgen B. bestätigten arabischen Decknamen teilweise dieselben „RAF“-Mitglieder erkannt, die Peter-Jürgen B. als Teilnehmer der militärischen Ausbildung bezeichnete.

Auch Werner L. bezeichnete in der Hauptverhandlung - wie der Zeuge B. - „Rafik“ als H.s arabischen Decknamen. Rolf H. sei bereits vor dem Aufenthalt L.s ab Ende 1978 in dem Ausbildungslager gewesen und habe die Palästinenser gekannt. Werner L. bestätigte auch die Angaben des Zeugen B. zur Sprengstoffausbildung in Aden. Peter-Jürgen B. berichtete in der Hauptverhandlung von „Vertrauenssprengungen“, die durchgeführt worden seien, um ein Gefühl für Sprengstoff zu erhalten. Dazu sei ein kleines Loch in der Erde mit Sprengstoff gefüllt worden. Man sich darüber gehockt und die Explosion ausgelöst. Werner L. gab dazu an, in dem Lager in Aden sei gelegentlich eine Art Mutprobe durchgeführt worden. Es sei eine Sprengkapsel zwischen die Füße gelegt worden und man habe abgewartet, bis sie explodierte. Von Sprengübungen berichtete auch Gabriele R., die sich im Sommer 1976 in dem Ausbildungslager im Südjemen aufgehalten hatte.

Peter-Jürgen B.s Beschreibung der Diskussion in den Niederlanden passt im Übrigen zu den Angaben der Zeugin Silke M.-W., wonach in der „RAF“ alle Mitglieder kollektiv und gleichberechtigt über Ziele, insbesondere auch die Durchführung von Aktionen, entschieden.

e. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen B. und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben in diesem Zusammenhang sprechen ferner Beständigkeit und Übereinstimmung seiner Aussagen zur Rolle der Angeklagten im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried B., die er lediglich in der Hauptverhandlung zu Gunsten der Angeklagten etwas abmilderte. Eine Gesamtschau der Aussagen des Peter-Jürgen B. ergibt ein stimmiges Bild vom Verhalten der V. B. im Vorfeld des Karlsruher Anschlags.

Bereits in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 2. April 1992 berichtete Peter-Jürgen B. von einer Diskussion über die beschleunigte Durchführung geplanter Aktionen. Dabei hatte B. bereits allgemein die „Gruppe der Frauen“ erwähnt, die den Willen der „Stammheimer“ zu schnellen „Aktionen“ unterstützt und letztlich durchgesetzt habe.

Als Zeuge in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. führte Peter-Jürgen B. in seiner Vernehmung am 26. April 2007 als eine der Teilnehmerinnen des Gesamttreffens in den Niederlanden auch die Angeklagte auf. In seiner Zeugenvernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen V. B. am 12. November 2009 gab er an, V. B. sei es sehr darauf angekommen, den Willen der Stammheimer in der Gruppe draußen widerspruchslos durchzusetzen. Diese damalige Haltung der V. B. bestätigte Peter-Jürgen B. in der Hauptverhandlung. Darüber hinaus beschrieb er nunmehr auch die Art und Weise der Beteiligung der Angeklagten an der Diskussion in den Niederlanden. V. B. habe bei der Diskussion - wie Peter-Jürgen B. selbst - vehement den Willen der Stammheimer vertreten.

Hinweise für die Richtigkeit dieser Aussage sieht der Senat, wie oben bereits angeführt, in der Mitwirkung der Angeklagten bei der Versendung der Bekennerschreiben und beim Transport der Tatwaffe, in ihrer zeitweiligen Nähe zu dem am Anschlag maßgeblich beteiligten Günter S., und ihrer eigenen intensiven Beschäftigung im Zusammenhang mit dem Anschlag, die sich beispielsweise aus von ihr gefertigten Notizen ergibt, die im Rahmen der Durchsuchung ihrer Wohnung gefunden wurden (hierzu unten Weiteres).

f. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen B. spricht auch, dass er bei seinen Schilderungen keinerlei Belastungseifer zeigte. Fragen nach einer unmittelbaren Beteiligung der Angeklagten am Anschlag verneinte er wiederholt ausdrücklich. Auch in der Vernehmung in dem Ermittlungsverfahren gegen V. B. am 12. November 2009 begründete er seine Vermutung, Günter S. und Stefan W. hätten auf dem Tatmotorrad gesessen; die Angeklagte schloss er als unmittelbare Tatbeteiligte aus. In der Hauptverhandlung äußerte sich Peter-Jürgen B. - und auch das nur auf Nachfrage - wiederum zurückhaltend zum Verhalten der Angeklagten bei dem Treffen in Holland, das er zudem relativierte, indem er ihr Auftreten mit seinem eigenen und demjenigen anderer damaliger „RAF“-Mitglieder gleichsetzte. Hätte es der Zeuge darauf angelegt, der Angeklagten zu schaden, hätte - bereits in früheren Vernehmungen - die Schilderung schwerwiegenderer Mitwirkungshandlungen nahegelegen. Demgegenüber verneinte Peter-Jürgen B. auch während seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung ausdrücklich eine unmittelbare Beteiligung der Angeklagten an dem Anschlag, sie habe seines Erachtens nie zu dem Kreis der für die unmittelbare Durchführung des Karlsruher Attentats in Betracht kommenden „RAF“-Mitglieder gehört.

Gegen eine Falschbelastung der Angeklagten durch Peter-Jürgen B. spricht weiter, dass die strafrechtliche Bedeutung des vom Zeugen beschriebenen Verhaltens der Angeklagten bei dem Treffen in den Niederlanden in seiner ganzen Tragweite für eine mögliche Verurteilung der Angeklagten für den Zeugen B. während seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung und erst recht in früheren Vernehmungen kaum absehbar gewesen sein konnte. Selbst in der Anklageschrift gegen V. B. vom 6. April 2010 wird das Gesamttreffen der Gruppe in den Niederlanden ohne Erwähnung des von Peter-Jürgen B. berichteten Verhaltens der Angeklagten während der dort geführten Diskussion beschrieben. Die Schilderung ihres Auftretens bei dem Treffen in den Niederlanden musste B. daher als für das Strafverfahren gegen die Angeklagte nebensächlich und für die gegen sie erhobenen Vorwürfe nahezu ohne Bedeutung erscheinen.

g. Peter-Jürgen B. bezeichnete die Angeklagte erstmals in der Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft am 26. April 2007 als eine der Teilnehmerinnen des Treffens in den Niederlanden. Diese Vernehmung wurde aber nicht im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die Angeklagte V. B., sondern in dem Ermittlungsverfahren gegen Stefan W. durchgeführt. Als Motiv für die Erwähnung der Angeklagten scheidet es danach aus, dass der Zeuge lediglich einer vermeintlichen Erwartungshaltung der Ermittlungsbeamten Rechnung tragen wollte. Dies wäre allenfalls bei einer Vernehmung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen V. B. denkbar. Vielmehr liegt es danach nahe, dass Peter-Jürgen B. diese Angaben ohne berechnende Hintergedanken wahrheitsgemäß gemacht hat.

Es ist auch kein Motiv erkennbar geworden, aus dem heraus der Zeuge B. als ehemaliges „RAF“-Mitglied die Angeklagte zu Unrecht belastet haben könnte. Feindschaft oder Abneigung ihr gegenüber bestand und besteht nicht.

h. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die von der Verteidigung angeführten Unstimmigkeiten auf bewussten Falschaussagen des Zeugen beruhen. Wissentlich falsche Belastungen Anderer scheiden bereits deshalb aus, weil die beanstandeten Widersprüche nebensächliche Umstände betreffen und für andere kaum belastend waren. Es handelt sich zur Überzeugung des Senats vielmehr um Erinnerungs- und Wahrnehmungsfehler, die die Glaubhaftigkeit der Bekundungen zu den hier entscheidenden Punkten nicht wesentlich erschüttern können. Es ist nur natürlich, dass das Erinnerungsvermögen eines Zeugen nach so langer Zeit bei Vernehmungen, die sich ihrerseits über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckten, in Bezug auf verschiedene Einzelheiten unterschiedlich genau ist.

Zwar hatte der Zeuge B. im Verfahren gegen Monika H. angegeben, bei seiner ersten Ankunft in Aden am Flughafen von Siegfried H. und Monika H. abgeholt worden zu sein. Im hiesigen Verfahren gegen die Angeklagte hatte er bei seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angegeben, von Siegfried H. und der Angeklagten am Flughafen erwartet worden zu sein. Auf Vorhalt dieser Aussage in der Hauptverhandlung hielt er es für möglich, dass Siegfried H. sie in Begleitung der Angeklagten und nicht der Monika H. erwartete. Peter-Jürgen B. hatte in seiner Zeugenvernehmung vom 12. November 2009 in dem Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagte angegeben, er sei damals gemeinsam mit Günter S. über Wien Richtung Südjemen gereist. In Beirut sei ihre Maschine beschossen worden. Sie hätten dadurch den Anschlussflug in Kuwait verpasst. Als sie schließlich mit erheblicher Verspätung in Aden eingetroffen seien, seien sie von Siegfried H. und V. B. empfangen worden. Er „habe noch das Bild vor Augen“, wie die beiden auf dem Vordach des Flughafengebäudes gestanden seien. Siegfried H. und V. B. hätten sie dann in das Stadtbüro der PFLP gebracht und dort dem „Stationsleiter“ Zaki Helou vorgestellt. Es sei vereinbart worden, am frühen Morgen in das Ausbildungslager aufzubrechen. Monika H. hatte die Behauptung des Peter-Jürgen B., auf dem Flughafen in Aden durch Siegfried H. und Monika H. begrüßt worden zu sein, sowohl in dem gegen sie gerichteten Verfahren als auch in der Hauptverhandlung vor dem Senat entschieden in Abrede gestellt.

In der Hauptverhandlung führte Peter-Jürgen B. hierzu aus, Siegfried H. habe sie in Aden in Empfang genommen, der sei vorher schon eingetroffen. Das sei die Bezugsperson gewesen, die sie gekannt hätten. Siegfried H. und ein anderer Herr von der PFLP sowie eine weitere Person hätten sie vom Flughafen abgeholt. Peter-Jürgen B. habe Siegfried H. zuvor wohl bei einer Hungerstreikaktion vor dem Bundesgerichtshof kennengelernt. Näheren Kontakt hätten sie bis zur Ankunft des Zeugen in Aden aber nicht gehabt. Er sei für sie durch sein enges Verhältnis zu den Stammheimern legitimiert gewesen. Wer sich damals in Begleitung des Siegfried H. aufgehalten habe, wisse er nicht mehr. Es könne sein, dass Sieglinde H. schon dabei gewesen sei. Auf die Frage, ob Peter-Jürgen B. in Aden auch V. B. getroffen habe, antwortete B., er glaube ja. Er wisse nicht, ob schon im „Office“ in Aden oder erst im Ausbildungscamp. Auf Vorhalt der Aussage vom 12. November 2009 wonach V. B. sie gemeinsam mit H. abgeholt habe, meinte er: „Auch möglich“. Der Zeuge B. ergänzte später: sie seien zunächst gar nicht sicher gewesen, ob sie überhaupt in Aden ankommen. Schließlich seien sie dort mit sehr großer Verspätung gelandet. Dann sei da dieser „bizarre“ Flughafen gewesen und auf dem Dach habe Siegfried H. gestanden und ihnen zugerufen. Das habe er mit dem „Bild“ gemeint. Es sei wohl richtig, dass V. B. in der Begleitung des Siegfried H. gewesen sei. Aber Siegfried H. sei der erste gewesen, den Peter-Jürgen B. erkannt habe. Er wisse nicht, ob Sieglinde H. auch dort gewesen sei. Für sie sei Siegfried H. maßgebend gewesen. V. B. habe er dort auch getroffen, er wisse nicht mehr, ob erst im Camp oder schon im Office.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Peter-Jürgen B. von den am Flughafen anwesenden Personen zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Aden lediglich Siegfried H. kannte. Diesen habe er - wie der Zeuge in der Hauptverhandlung bekundete - bei einer Aktion vor dem Bundesgerichtshof, vermutlich einer Demonstration aus Anlass eines Hungerstreiks der Gefangenen kennengelernt.

Somit lässt sich plausibel begründen, weshalb Peter-Jürgen B. nur den ihm bereits bekannten Siegfried H. zuverlässig im Gedächtnis behalten hatte. Wenn er sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedliche Begleitpersonen H.s erinnert haben will, liegt insoweit ein Irrtum nahe. Dies ist angesichts des mittlerweile über dreißig Jahre zurückliegenden und aus Peter-Jürgen B.s Sicht unbedeutenden Ereignisses erklärlich. Ebenso wenig schließt der Senat aus, dass die gezielte Befragung des Peter-Jürgen B. in anderen Verfahren nach konkreten Namen in Verbindung mit dessen Unsicherheit über die Begleitpersonen des Siegfried H. auf dem Flughafen zu abweichenden Angaben in diesem Punkt geführt haben.

Eine wissentliche Falschbelastung der Angeklagten durch Peter-Jürgen B. liegt demgegenüber schon wegen der geringen Bedeutung der geschilderten Begebenheit fern. Dass sich V. B. zur fraglichen Zeit in Aden aufhielt, war zum Zeitpunkt dieser Aussage bereits bekannt. Aus der geschilderten Begrüßungsszene am Flughafen konnten ihr auch aus Sicht des Zeugen B. kaum weitergehende Nachteile entstehen.

i. Noch weniger sprechen vermeintliche Widersprüche zwischen den Aussagen des Peter-Jürgen B. und Volker S. zu Waffentransporten in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim gegen die Zuverlässigkeit der Angaben des Zeugen B. im oben aufgezeigten Umfang. In dem Verfahren gegen Sigrid F., geb. S., u.a. hatte Peter-Jürgen B. im Rahmen seiner Zeugenvernehmung - nach den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. Juni 1992 gegen Sigrid F., geb. S., u.a. - bekundet, Anfang 1977 von einer Person beauftragt worden zu sein, Waffen, Munition und Sprengstoff zu besorgen, damit diese Gegenstände in präparierten Stehordnern in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart eingeschmuggelt werden könnten. Peter-Jürgen B. hat dem Senat gegenüber in der Hauptverhandlung bestätigt, er habe Waffen für den Transport in die Justizvollzugsanstalt präpariert und verpackt.

Ausweislich der Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. Dezember 1978 gegen Volker S. u.a. hatte dieser jedoch eingeräumt, seinerseits Ende 1976/Anfang 1977 den Transport von Waffen, Sprengstoff u.a. zu den Gefangenen in die Justizvollzugsanstalt vorbereitet zu haben. Volker S. stand dem Senat für eine Vernehmung nicht zur Verfügung. Die Angaben des Volker S. wurden auszugsweise verlesen, außerdem wurden auch die Mitglieder des Senats, der Volker S. in der Hauptverhandlung vernommen hatte, Richter am BGH a. D. Dr. Eberhard F., VRLG a.D. M., und Präsident d.LG a.D. Dr. Kurt B., sowie der damalige Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft, Bundesanwalt b. BGH a.D. Wilhelm I., gehört. Danach hatte Volker S. die Handaktencontainer hauptsächlich in der Wohnung des Arndt M. angefertigt, mit denen die Waffen an den Kontrollen vorbei von Rechtsanwalt M. in die Justizvollzugsanstalt gebracht worden seien. Allerdings seien gleichartige Container für andere Gegenstände auch von anderen Personen gebaut worden. Die Waffen habe Volker S. anlässlich seiner Kurierfahrten von den Illegalen erhalten, wobei er sich in seinem eigenen Verfahren nicht mehr habe erinnern können, von welchem Mitglied. Volker S. habe vor dem Verbringen der Waffen nach Stammheim teilweise die Waffennummern durch Überschlagen verändert. Bei Vorlage der Waffen in den Hauptverhandlungen habe S. die Veränderungen - soweit sie von ihm veranlasst waren - wiedererkannt. Bei einem Teil der vorgenommenen Veränderungen sei er sich jedoch sicher gewesen, dass diese nicht von ihm stammen könnten. Dies lässt ohne weiteres den Schluss zu, dass die Waffen vor ihrer Übergabe an Volker S. schon von einem oder mehreren „RAF“-Mitgliedern bearbeitet worden waren. Zu Interna der „Illegalen“ wie zum Beispiel, wer derartige Änderungen an den Waffen hätte vornehmen können, hatte Volker S. keine Kenntnis.

Peter-Jürgen B. hatte zu keiner Zeit behauptet, sich im Zusammenhang mit dem Waffenschmuggel in den Räumlichkeiten des Büros C. oder in der Privatwohnung eines der Anwälte aufgehalten zu haben oder er selbst habe die besagten Gegenstände an Volker S. oder eine dritte Person übergeben. Er gab lediglich an, die „Stammheimer“ hätten mitgeteilt, „die Geschenke“ seien angekommen. In seiner Beschuldigtenvernehmung vom 02. April 1992 hatte Peter-Jürgen B. zudem von sich aus angegeben, möglicherweise habe es sich bei dem von ihm geschilderten Verpacken von Waffenteilen in Ordner lediglich um einen Probelauf des von den Gefangenen gewünschten Waffentransports in die Vollzugsanstalt gehandelt und Mitarbeiter des Büros C. hätten den eigentlichen Transport durchgeführt.

Peter-Jürgen B.s und Volker S.s Aussagen stehen letztlich nicht in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander. Es besteht die Möglichkeit, dass Peter-Jürgen B. die Waffen, bevor sie an Volker S. übergeben wurden, bereits zum Teil „bearbeitet“ hatte. Wie die Waffen, wann, von welchem „RAF“-Mitglied an Volker S. übergeben worden waren, konnte nicht geklärt werden. Deshalb ist es einerseits möglich, dass die Waffen nicht in tatsächlich von Peter-Jürgen B. präparierten Leitzordnern an Volker S. übergeben wurden. Ebenso gut ist möglich, dass Volker S. die in von Peter-Jürgen B. präparierten Leitzordnern erhaltenen Waffen umgepackt hat. Volker S. wusste bei seinen Vernehmungen zu den Umständen und Einzelheiten der Entgegennahme der Waffen nur noch wenig. Das erkennende Gericht im Verfahren gegen Arndt M. und Armin N. unter Vorsitz des Zeugen Richter am BGH a. D. Dr. Eberhard F. hatte dazu festgestellt, dass die widersprüchlichen Angaben Volker S.s im Verlauf der wiederholten Vernehmungen und Befragungen erkennen ließen, dass Volker S. zu keiner Zeit ab Anfang 1978 eine sichere Erinnerung an die Einzelheiten der Lieferung von Waffen und Sprengstoff seitens der „RAF“-Mitglieder hatte.

j. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen im vorliegenden Verfahren spricht auch nicht, dass das Oberlandesgericht Stuttgart im Verfahren gegen Sigrid F., geb. S., u.a. den Ausführungen des Zeugen B. zu einem späteren Sprengstofftransport im Jahr 1978 nicht gefolgt war. Der Senat hatte nämlich den übrigen Angaben des Zeugen B., die - wie im o.g. Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. Juni 1992 dargelegt - in weiten Teilen durch andere Beweismittel bestätigt wurden, geglaubt.

k. Gesteigerter Geltungstrieb oder um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen als Ursache für wahrheitswidrige Angaben des Zeugen zu den jedenfalls hier interessierenden Vorgängen liegt fern. Für Peter-Jürgen B. hätte es andere und wirkungsvollere Möglichkeiten gegeben als die bloße - zudem naheliegende und jedenfalls teilweise von der Angeklagten bestätigte - Bekundung, dass an dem Gesamttreffen aller Gruppenmitglieder in den Niederlanden auch die Angeklagte teilgenommen und wie sie sich bei der dort geführten Diskussion verhalten habe. Dies gilt erst recht zu seinen Angaben zu den Aufenthalten der Gruppe im Jemen und im Harz, die von den Gegebenheiten her weitgehend mit der Einlassung der Angeklagten übereinstimmen.

l. Die Glaubhaftigkeit der Angaben Peter-Jürgen B.s zur Angeklagten zieht der Senat auch nicht deshalb in Zweifel, weil V. B. eine abweichende Einlassung zu einer angeblich gemeinsamen Nahostreise im Frühjahr 1977 abgegeben hat. Die Angeklagte hat behauptet, ihre Aufgabe in der Gruppe habe damals hauptsächlich darin bestanden, die Verbindung der „RAF“ in den Nahen Osten zu organisieren; im März 1977 sei sie erneut in den Nahen Osten gereist. Anfangs seien sie dort zu dritt aus der Gruppe gewesen. Ihre beiden Begleiter, die „legitimierte Person“ und Peter-Jürgen B., seien nach circa zwei Wochen, jedenfalls vor der Angeklagten, wieder abgereist. Sie selbst habe ihre Rückreise nach Europa am 8. April 1977 angetreten. Sie habe neben einem anderen Pass den sichergestellten zypriotischen Pass, ausgestellt auf „Stella Ratson“, benutzt. Sie sei am 8. April 1977 über Jugoslawien nach Rom geflogen. Dass ein Anschlag auf Generalbundesanwalt B. am 7. April 1977 habe stattfinden sollen und stattgefunden hatte, habe sie zum Zeitpunkt ihrer Reise nicht gewusst.

Diese Einlassung der Angeklagten ist durch die Angaben des Peter-Jürgen B. vom 2. April 1992 zu seiner Reise mit Brigitte M. nach Bagdad - damals noch ohne Namensnennung -, die er in der Hauptverhandlung wiederholte, widerlegt. Das Nächste, an das er sich nach dem Treffen in den Niederlanden erinnere, sei die Reise mit Brigitte M. nach Bagdad, um Wadi Haddad, genannt Abu Hani, über den zwischenzeitlichen Wechsel des Ansprechpartners zu informieren und ihm mitzuteilen, dass nunmehr Brigitte M. den Willen der „Stammheimer“ verkörpere. Das sei Anfang des Jahres 1977 gewesen. Da Peter-Jürgen B. Wadi Haddad von seinem früheren Aufenthalt im Lager gekannt habe, sei es seine Aufgabe gewesen, die neue „legitimierte Person“ als Nachfolger des Siegfried H. dort einzuführen. Auf Seiten der „RAF“ seien er und die „legitimierte Person“, auf Seiten der „PFLP“ Abu Hani und dessen Nichte Sousou als Übersetzerin beteiligt gewesen. Peter-Jürgen B. verneinte in der Hauptverhandlung wiederholt, dass er und M. von einer dritten Person aus der Gruppe, etwa V. B., begleitet worden sei.

Die Stempel auf Seite 9 des zypriotischen Reisepasses, ausgestellt für „Stella Ratson“ und mit einem Lichtbild der Angeklagten versehen, mit dem Aufdruck „Entry 22. MAR 1977 MEHRABAD AIR PORT“ und „DEPARTURE 8. APR 1977 MEHRABAD AIR PORT“ sind nicht geeignet, die von der Angeklagten behauptete Reise zu belegen. Peter-Jürgen B. gab glaubhaft an, „RAF“-Mitglieder seien aus Sicherheitsgründen grundsätzlich nicht über Teheran (und damit Mehrabad) gereist. Bei den Stempeln handle es sich um Fälschungen zur Erstellung einer Reiselegende. Diese Aussage fügt sich widerspruchsfrei in weitere Feststellungen des Senats in der Hauptverhandlung ein, wonach Pässe im Besitz von „RAF“-Mitgliedern teilweise mit gefälschten Stempeln z.B. von nicht existenten Flughäfen versehen waren. Die Erklärung der Angeklagten wird auch durch die Erwähnung eines anderen Passes, den sie verwendet haben will, zu dem sie jedoch keine weiteren Einzelheiten nennt, nicht weiter gestützt.

Zwar hatte Peter-Jürgen B. in seiner Vernehmung im Jahre 1992 einerseits angegeben, die ihn „begleitende Person der Gruppe“ habe ihm gegenüber erklärt, der Gang des Gesprächs mit Abu Hani laufe immer gleich ab, andererseits in der Hauptverhandlung die Vermutung geäußert, es habe sich wohl um die erste Reise der Brigitte M. in den Nahen Osten gehandelt. Gleichwohl blieb der Zeuge auch auf Vorhalt dieses (scheinbaren) Widerspruchs dabei, er und Brigitte M. seien nicht von einer dritten Person begleitet worden, von der die Äußerung über den immer gleichen Gesprächsablauf stammen könne. Hier misst der Senat der wiederholten und eindeutigen Aussage Peter-Jürgen B.s über die Anzahl der bei dem Treffen mit Wadi Haddad anwesenden Personen den entscheidenden Beweiswert bei. Die Aussage des Zeugen zu dieser Reise ist konstant und weist einige Details auf. Peter-Jürgen B. konnte die Reise zeitlich einordnen. Er erinnerte sich an den Zweck der Reise, an die Mitreisende Brigitte M. und an die Anwesenheit der Nichte des Abu Hani, Sousou. Die Zeugin H. bestätigte in der Hauptverhandlung etliche von Peter-Jürgen B. berichtete Einzelheiten zu Sousou. Die Erinnerung an die Anzahl der Mitreisenden, bei der es sich um einen auffälligen Umstand handelt, erscheint glaubhaft. Der Senat hält die Angaben des Zeugen zu Brigitte M. auch deshalb für zuverlässig, da er zu diesem Zeitpunkt - wie er in der Hauptverhandlung bekundete - mit ihr liiert war. Der Schluss auf eine weitere Begleitperson - zumal gerade auf V. B. - aus der angeblichen Äußerung über den gewöhnlichen Gesprächsablauf und der Vermutung des Zeugen B., es habe sich um die erste Reise der Brigitte M. nach Bagdad gehandelt, ist demgegenüber unsicher.

Dass Peter-Jürgen B. die Angeklagte durch diese Angaben im März 1992 oder in der Hauptverhandlung am 3. März 2011 zu Unrecht belasten wollte, erscheint ausgeschlossen, da er die erst am 14. Mai 2012 abgegebene Erklärung der Angeklagten und damit den Hintergrund seiner Befragung zu den Teilnehmern der Reise nach Bagdad nicht kennen konnte. Dies gilt auch für seine Aussage, für die Beziehungen zu den Palästinensern seien zunächst Siegfried H., nach dessen Festnahme Brigitte M. und er, B., zuständig gewesen. Peter-Jürgen B. verneinte, dass weitere Gruppenmitglieder, etwa V. B., nach der Verhaftung H.s für diese Aufgabe zuständig gewesen seien.

m. Der Senat hat bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen B. weiter nicht unberücksichtigt gelassen, dass dieser nach seinen eigenen Angaben und den weiteren Beweisergebnissen ab Sommer 1977 in erheblichem Maß medikamenten- und drogenabhängig war. Der Zeuge gab an, sein Drogenkonsum habe sich von zwei bis drei Ampullen des Morphin-Ersatzpräparats Dolantin täglich im Frühjahr auf vier bis fünf Ampullen im Sommer 1977 gesteigert. Eine Beeinträchtigung der Wahrnehmungs-, Kritik- und Urteilsfähigkeit in dem davor liegenden Zeitraum 1976 bis Frühjahr 1977 bestand jedoch zur Überzeugung des Senats nicht. Dies ergibt sich insbesondere aus den Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. November 1986 gegen Peter-Jürgen B., das eine ausführliche Auseinandersetzung mit dessen damaliger Suchterkrankung enthält. Danach hatte die Gruppe Peter-Jürgen B. zur Bekämpfung von Schmerzen im Magen-/Darmbereich erstmals im Winter 1976/77 das verhältnismäßig schwache Opiat Dolantin verschafft. Bis Frühjahr 1977 habe B. seinen Dolantinkonsum allmählich auf zwei bis drei Ampullen pro Tag gesteigert. Daneben habe er begonnen, leistungssteigernde Substanzen wie Amphetamine und Kokain bzw. abends dämpfende Mittel wie Valium und Barbiturate zu nehmen. Im Sommer 1977 habe er sich bereits etwa drei bis vier Ampullen Dolantin täglich gespritzt. Ab Ende September 1977 in Bagdad habe sich sein Zustand weiter verschlechtert. Nach den Feststellungen des Urteils war eine körperliche Abhängigkeit des Peter-Jürgen B. von dem Opiat Dolantin ab Frühjahr 1977 nicht auszuschließen. Diese Abhängigkeit führte jedoch im Zeitraum Anfang Mai bis Ende August 1977 noch nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit.

Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Urteilsfeststellungen hat die durchgeführte Beweisaufnahme nicht ergeben; im Gegenteil: Durch seine Angaben in der Hauptverhandlung bestätigte der Zeuge B. den Zeitraum seines gesteigerten Drogenkonsums bis zum Sommer 1977. Auch die Zeugin M.-W. gab in Übereinstimmung hiermit in der Hauptverhandlung an, im April 1977 bei Peter-Jürgen B. keine Ausfallerscheinungen wahrgenommen zu haben. Peter-Jürgen B. habe am 07. April 1977, als er ihr in Amsterdam die Waffe erklärt habe, zwar Haschisch konsumiert, aber den Eindruck eines Drogenabhängigen habe er damals nicht auf sie gemacht. Erst nach der Sch.-Entführung habe sie ihn nur noch krank und abgemagert in seinem Zimmer in Paris gesehen. Vorher sei ihr nichts aufgefallen. Zur Überzeugung des Senats war Peter-Jürgen B. danach im genannten Zeitraum nicht wesentlich in seiner Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt. Die Beweiswürdigung hat auch keine Anhaltspunkte für eine drogenbedingte Trübung und Verfälschung der Erinnerungsfähigkeit des Peter-Jürgen B. an frühere Vorgänge erbracht. Dies ergibt sich bereits aus den bisherigen Ausführungen zur Glaubhaftigkeit seiner Angaben, wonach die meist über zahlreiche Vernehmungen hinweg konstant gezeigte Erinnerungsleistung des Zeugen überwiegend durch die Ergebnisse der übrigen Beweisaufnahme - teilweise durch die Angeklagte selbst - bestätigt werden.

Die vorgenannten Schwächen in der Aussage des Peter-Jürgen B. sind demgegenüber nicht nur einzeln, sondern auch in ihrer Gesamtschau nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern und die Zuverlässigkeit seiner Angaben, insbesondere zu den Zusammentreffen der Gruppe, in Frage zu stellen, zumal Peter-Jürgen B. sich in der Hauptverhandlung im Zusammenhang mit seiner Befragung zum Transport der Tatwaffe „HK 43“ durch Günter S. und V. B. in die Schweiz in nicht unerheblicher Weise selbst belastete, indem er offenbarte, er habe nicht nur die Tatwaffe, sondern sämtliche von der „RAF“ beschafften Heckler und Koch-Gewehre gekürzt, etwa den Mündungsfeuerdämpfer und den Schaft entfernt, um sie möglichst handlich herzurichten. Das habe er generell so gemacht, nicht gezielt für einen Anschlag.

9. Aufschriebe und Mitteilungen der Angeklagten ab dem Jahr 2007

Bei der Angeklagten aufgefundenes Schriftwerk und Äußerungen belegen zwar, dass sie sich mit dem Tatvorwurf vom 7. April 1977 im Rahmen der neu aufgenommenen Ermittlungen ab dem Jahr 2007 beschäftigt und auseinandersetzt, weitere Erkenntnisse i.S. einer Einbindung in die damalige Tat sind daraus nicht zu erlangen. Exemplarisch ist anzuführen:

Unter dem Datum vom 07. April 2008 notierte sie auf einem Zettel, der am 20. August 2008 auf einem Schreibtisch in ihrer Wohnung sichergestellt wurde:

„Nein, ich weiß noch nicht, wie ich für Herrn B. beten soll, ich habe kein wirkliches Gefühl für Schuld und Reue. Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen - aber ist das nicht armselig so zu denken und zu fühlen?! das ist nicht Heilung, das scheint noch ein weiter Weg zu sein.“

Bei der Eröffnung des gegen sie ergangenen Haftbefehls vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 28. September 2009 gab sie dazu an, die Formulierung: „natürlich würde ich es heute nicht mehr machen“ beziehe sich auf den bewaffneten Kampf allgemein. Gemeint sei damit ihr früherer Weg des bewaffneten Kampfes. Die Notiz drehe sich um „die Frage, wie Heilung entstehen“ könne. Mit „B.“ meine sie den Sohn des Opfers, Michael B. Weil Michael B. sie öffentlich beschuldigt habe, bestehe zwischen ihm und V. B. ein „Konflikt auf spiritueller Ebene“, den es zu heilen gelte.

In einem am 26. März 2009 geführten Telefonat mit ihrer Bekannten Heidi H. berichtet V. B. über ihr Vorhaben, ihre Vergangenheit schriftlich aufzuarbeiten und spricht in diesem Zusammenhang von „eine(r) sehr intensive(n) Therapie“:

V. B.: „... Also ick weiß jetz noch nich genau. Jetz hab ick's erstma so, dass der AB da läuft. Wie sich dit jetz och bei mir entwickelt, weil einerseits geht's ja so um diese Befragung und andererseits hab ick jetz … angefangen zu schreiben an bestimmten Dingen und dit erfordert doch ne ganz hohe Konzentration irgendwie. Und deshalb geh ick jetz sozusagen immer halbtags erstma in Klausur, nenn ick dit und... äh... guck ma wie sich dit entwickelt und wie ick damit zurechtkomme. …“

Heidi H.: „Mh.“

V. B.: „... Ja. Weiß ick nich, wat denn angesagt is und wie gut ick überhaupt ins Schreiben komm... Naja... Und ahm... Ja. Und wozu ick schreibe, dat werden sicherlich unterschiedliche Sachen sein. Einerseits diese Geschichte da und andererseits aber och so diese I-Ging-Geschichte... hmm... oder diese Befragung da und... äh... wat och immer sich da draus ergibt. Also is jetz nich nur diese... weeßte?... äh... diese...“

Heidi H.: „Mh.“

V. B.: „... Äh... B.-Geschichte da.“Heidi H.: „Ja.“

V. B: „Hmmm... Aber is sicherlich ein Aspekt und ma gucken... ja, wat sich aus dem einen da...“

Heidi H.: „Mh. Na is doch gut.“

V. B.: „... Ja, ne, ick hab och... äh... dit Gefühl... ja... das dit... is halt ne sehr intensive Geschichte, aber... Hmmm... Ja. Äh. Hat och irgendwie interessante Ergebnisse, die man nich so im Einzelnen so kurz sagen kann.“

Heidi H.: „Mh.“

V. B.: „Ja, aber für mich och wie ne sehr intensive Therapie sozusagen.“

In einer handschriftlichen Notiz vom 27. April 2007 in einem Spiralblock, der in einem Regal im Wohnzimmer der V. B. gefunden wurde, ist vermerkt:

„Was will ich erreichen? S. (u. andere) reinwaschen. Sagen wie es wirklich war“.

Diese schriftlichen und mündlichen Erklärungen ergeben keine klaren Aussagen und lassen verschiedene Deutungen zu. Sie können daher als weitere Indizien nicht herangezogen werden. Sie stehen dem gewonnenen Beweisergebnis aber auch nicht entgegen.

IV. Feststellungen zu den unmittelbaren Tatvorbereitungen

Eine Beteiligung der Angeklagten an den unmittelbaren Vorbereitungshandlungen des ersten Anschlags der „Offensive 77“ konnte nicht festgestellt werden. Nach Überzeugung des Senats haben an diesen nachfolgend im einzelnen dargestellten Vorbereitungen mehrere „RAF“-Mitglieder, darunter jedenfalls Günter S., Christian K. und Knut F., arbeitsteilig mitgewirkt.

1. Anmietung einer Kommandowohnung

Die Feststellungen zu der vor dem Anschlag erfolgten Anmietung einer Kommandowohnung in Mannheim beruhen auf den Angaben der Zeugen Peter-Jürgen B. und Silke M.-W.. Der Zeuge B. hat in der Hauptverhandlung angegeben, etwa 2-3 Wochen vor dem Anschlag eine Waffensammlung in der Schweiz aufgekauft zu haben. Auf der anschließenden Durchreise sei er in einer Wohnung in Mannheim gewesen; dieselbe Wohnung sei später nochmals bei der Vorbereitung des Raketenwerferanschlags auf die Bundesanwaltschaft genutzt worden. Da in Mannheim keine Aktion geplant gewesen sei, sei damals für ihn klar gewesen, dass diese Wohnung auch mit dem geplanten Anschlag in Karlsruhe im Zusammenhang gestanden habe. Die Angaben des Zeugen B. hält der Senat insoweit für glaubhaft. Der Zeuge B. war im Herbst 1976 mit der Entwicklung einer Haftmine und an dem Anschlag vom 7. April 1977 durch die Verkürzung der späteren Tatwaffe sowie an dem versuchten Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft durch den Bau des Tatmittels maßgeblich eingebunden. Die diesbezüglichen Angaben sind mit Erinnerungen an eigene Tätigkeiten verbunden. Bestätigt werden die Angaben auch von der Zeugin M.-W., die ebenfalls eine konspirative Wohnung in Mannheim beschrieben hat. In dieser Wohnung habe sie sich - wenn auch zeitlich etwas später - während der „Sch.-Entführung“ aufgehalten und von dort die Schreiben mit den Forderungen für die Freilassung von Dr. Sch. verschickt.

Für die Lage der Kommandowohnung in Mannheim spricht auch der Umstand, dass in Mannheim bei der Fa. K. AG die Kunstledertasche und in unmittelbarer Nähe, nämlich in dem nur 5 km von Mannheim entfernten Ludwigshafen für das Tatmotorrad bei der Fa. R. Zubehörteile und bei der Fa. Sp. eine Kennzeichendoublette erworben wurden (vgl. unten C.IV.3.d.; 4.).

Die genaue Lage der Wohnung, der Zeitpunkt von deren Anmietung und die Person, die diese Wohnung angemietet hatte, konnte - auch mangels detaillierterer Angaben der vorgenannten Zeugen - nicht festgestellt werden. Der Senat geht jedoch davon aus, dass dies kurz nach dem 5. März 1977 erfolgt sein muss, nachdem die „RAF“-Mitglieder am 5. März 1977 erfolglos versucht hatten, in Freudental, das ebenfalls etwa 65 km von dem späteren Tatort in Karlsruhe entfernt liegt, das Bauernhaus der Zeugin Z. anzumieten.

Aufgrund der verlesenen Angaben der Zeugin Erna Z. und den Angaben der Zeugin Doris B. steht fest, dass sich vier „RAF“-Mitglieder Anfang März 1977 nach Freudental begeben hatten, um das Haus der Zeugin Z. in Freudental, Pforzheimer Straße (…) anzumieten. Die Zeugin B. hat in der Hauptverhandlung angegeben, sie könne sich noch daran erinnern, dass sie auf dem Hof in der Pforzheimer Straße in Freudental mit zwei jungen Männern gesprochen habe, die eine Wohnung gesucht hätten und dass sie diese Männer an ihre Nachbarin verwiesen habe. Einen dieser Männer, der später in Holland gefasst worden sei, habe sie im Rahmen einer Gegenüberstellung sofort erkannt. Nach den Bekundungen des Polizeibeamten B. hatte die Zeugin in der Vernehmung am 12. April 1977 ihm gegenüber angegeben, ihr seien vor etwa sechs Wochen auf dem Hof in der Pforzheimer Straße zwei junge Männer gegenübergestanden, die sie gefragt hätten, ob das auf dem Nachbargrundstück liegende Bauernhaus zu vermieten sei. Die zwei Männer seien mit einem Pkw R4 gekommen, in dem noch zwei weitere männliche Personen gesessen und gewartet hätten. Aufgrund von vorgelegten Lichtbildern der Lichtbildmappe „gesuchte Anarchisten“ habe sie geglaubt, bei den jungen Männern Günter S. und Knut F. erkannt zu haben. Bei einer Wahlgegenüberstellung am 22. Februar 1978 in Maastricht mit dem dort in Haft befindlichen Knut F., die mittels eines sog. Konfrontationsspiegels in mehreren Durchgängen durchgeführt wurde, hat die Zeugin entgegen ihren Bekundungen in der Hauptverhandlung (hier sprach sie ihrer Erinnerung nach von einer eindeutigen Wiedererkennung) angegeben, F. mit einer Sicherheit von 75 % erkannt zu haben. Sie habe u.a. F. auf Fahndungsblättern der Polizei gesehen, die kurz nach dem Anschlag in Karlsruhe verteilt wurden.

Nach den verlesenen Angaben der Zeugin Z. vom 12. April 1977 gegenüber dem Zeugen B. seien vier Personen am 5. März 1977 zwischen 16:00 Uhr und 16:30 Uhr mit einem roten R4 in ihre Hofeinfahrt eingefahren, wobei zwei männliche Personen - Fahrer und Beifahrer - ausgestiegen seien und der Fahrer sie gefragt hätte, ob ihr Haus in der Pforzheimer Straße (…) zu mieten sei, was sie, da ihr „die Typen nicht gefielen“, schroff verneint habe. Während die Zeugin nach Vorlage der o.g. Lichtbilder meinte, bei dem Fahrer Knut F. erkannt zu haben, hat die Zeugin diesen im Rahmen der bereits oben genannten Gegenüberstellung nicht wieder erkannt.

Sichere Feststellungen zur Identität der an der (versuchten) Anmietung der Kommandowohnung beteiligten Personen konnten mithin nicht getroffen werden; an der festgestellten fehlgeschlagenen Anmietung waren jedenfalls nur männliche „RAF“-Mitglieder beteiligt.

2. Die Beschaffung des Tat - bzw. Fluchtfahrzeugs

a. Die Feststellungen zur (versuchten) Beschaffung des Tatmotorrads beruhen auf den Angaben der Zeugen W., L. und G.

aa. Zunächst haben sich drei „RAF“-Mitglieder nach Mönchengladbach begeben, um in dem dortigen Motorradgeschäft des Zeugen W. ein Motorrad anzumieten. Nach den Angaben dieses Zeugen in der Hauptverhandlung seien in seinem Motorradgeschäft am 1. April 1977 zwei junge Männer erschienen, die aus einem dunkelroten R4 ausgestiegen seien, in dem sich noch eine dritte Person befunden habe, über deren Geschlecht er - weil er sie nur von hinten im Wagen habe sitzen sehen - keine Angaben machen könne. Der Zeuge, der sich noch außerordentlich gut an die damaligen Vorgänge erinnern konnte, berichtete, die beiden jungen Männer seien dem äußeren Anschein nach ungepflegt und keine typischen Motorradfahrer oder Motorradkäufer gewesen. Da sie keinen vertrauenswürdigen Eindruck auf ihn gemacht hätten, habe er es abgelehnt, ihnen eine Suzuki GS 750 zu vermieten; er habe ihnen empfohlen, zur Fa. Hein G. nach Düsseldorf zu fahren. Nach dem Anschlag auf Generalbundesanwalt B. seien in der Zeitung Bilder der Tatverdächtigen erschienen; er habe die beiden Mietinteressenten erkannt und sich daraufhin bei der Polizei gemeldet. Der Zeuge hat im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung am 12. April 1977 nach Vorlage von mehreren Lichtbildern Knut F. als denjenigen sicher bezeichnet, der in seinem Geschäft die Verhandlungen geführt habe und Günter S. als die Person, die sich an dem Gespräch nicht beteiligt habe, jedoch bei Verlassen des Geschäfts gesagt habe: "Dann lass uns nach Düsseldorf fahren“. Im Rahmen einer am 26. Oktober 1977 in Utrecht durchgeführten Wahlgegenüberstellung mittels eines Konfrontationsspiegels hat der Zeuge mit „hundertprozentiger Sicherheit“ Knut F. wiedererkannt. Am 26. Januar 1978 hat der Zeuge im Rahmen einer Einzelgegenüberstellung in der JVA Hohenasperg den von ihm als Begleiter des Knut F. bezeichneten Günter S. wieder erkannt. Der Zeuge hat insoweit insbesondere auf die ihm in Erinnerung gebliebene typische, nach vorne geneigte Körperhaltung des Günter S. hingewiesen, die auch der Zeugin D. bei der Beobachtung der drei aus dem Fluchtwagen in Sachsenheim aussteigenden männlichen Personen aufgefallen war (vgl. unten V.2.b.aa.). Nach den insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen W. war diesem vor den durchgeführten Gegenüberstellungen nicht bekannt, welcher Person er gegenübergestellt wurde. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in seiner Entscheidung in der Strafsache gegen Brigitte M. und Christian K. zum Anschlag vom 7. April 1977 insoweit Folgendes festgestellt:

„W. hat als Mietinteressenten S. und F., den er anschaulich und lebendig als Verhandlungsführer geschildert hat, auf Lichtbildern eindeutig erkannt und war sich dessen auch bei Gegenüberstellungen sicher. Dieses Wiedererkennen hat daher besonderes Gewicht, zumal sich gerade dieser Zeuge des von ihm sogar selbst angesprochenen Problems der Wiedererkennung von Personen nach zwischenzeitlich veröffentlichten Fahndungsfotos stets bewusst war. Nicht nur bei diesem, sondern bei allen Zeugen, die Aussagen über das Wiedererkennen von Personen machten, hat der Senat in Betracht gezogen, welcher Täuschungsgefahr sie ausgesetzt waren und sind. Ihnen waren nämlich, wie sie überwiegend von sich aus berichteten, die gesuchten Personen durch Lichtbilder teils vom Fernsehen und aus Zeitungsberichten, teils auch von Fahndungsplakaten oder entsprechenden Handzetteln vor Gegenüberstellungen oder vor Personenbeschreibungen bei polizeilichen Vernehmungen bekannt geworden. Einzelne Zeugen, allerdings nicht alle, wussten bei Gegenüberstellungen in Haftanstalten auch darüber Bescheid, wer von den Verdächtigen dort einsaß und wer ihnen demzufolge konfrontiert werden sollte. Auch den erheblichen Zeitablauf zwischen den Beobachtungen, den Gegenüberstellungen und den Aussagen vor Gericht hat der Senat bei der Beurteilung nicht außer Betracht gelassen. Deswegen hat er bei den Feststellungen nur diejenigen Aussagen verwertet, bei denen sich aufgrund besonderer Anhaltspunkte die Gewissheit verschaffen ließ, dass die Zeugen noch von der ursprünglichen Beobachtung eine klare Vorstellung hatten und sich unmittelbar an hervorstechenden Einzelheiten namentlich im äußeren Erscheinungsbild erinnern konnten“.

Der Senat hat die vorgenannten Feststellungen aufgrund eigener Bewertung nachvollzogen; der Zeuge hat in der vorliegenden Hauptverhandlung anschaulich dargelegt, dass der von den beiden männlichen Personen vermittelte Eindruck bei ihm den Ausschlag dafür gegeben habe, eine Anmietung des Motorrads abzulehnen. Ausgangspunkt für die Beurteilung des Zeugen war die eingehende Beobachtung der beiden Mietinteressenten. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass am 1. April 1977 in Mönchengladbach im Geschäft des Zeugen W. Günter S. und Knut F. erschienen waren.

bb. Die Feststellung, dass nach der Ablehnung der zunächst beabsichtigten Anmietung durch den Zeugen W. am darauf folgenden Tag Günter S. tatsächlich im Verkaufsgeschäft der Firma Hein G. in Düsseldorf erschienen ist und das Tatmotorrad angemietet hat, basiert auf folgenden Umständen:

Nach den verlesenen Angaben des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen L. hatte dieser am 2. April 1977 in dem vorgenannten Geschäft gegen 11:00 Uhr die männliche Person bedient, die später beim Zeugen G. den Mietvertrag für das Motorrad Suzuki abgeschlossen hatte. Der Kunde habe sich mit einer Motorradjacke der Modellbezeichnung HG (wie Hein G.), eine der teuersten Jacken, die damals auf dem Markt gewesen sei, etwa 20 Minuten beschäftigt, diese dann anbehalten und sich zum Zwecke der Bezahlung zur Kasse gegeben. Da dem Zeugen das Kaufverhalten des Kunden außergewöhnlich erschien, sei ihm das Erscheinungsbild des Kunden in Erinnerung geblieben. Der Zeuge hat im Rahmen einer am 26. August 1977 durchgeführten Vorlage einer Lichtbildmappe, in der sich 77 Bilder von männlichen Personen befanden, Günter S. mit Sicherheit als den Käufer der schwarzen Lederjacke und Mieter des Motorrads Suzuki identifiziert. Nachdem der Zeuge anschließend nach Australien ausgewandert ist, konnte eine Gegenüberstellung nicht durchgeführt werden. Den Umstand, dass sich die Angaben des Zeugen ausschließlich auf Lichtbildvorlagen stützen, hat der Senat berücksichtigt.

Dass es sich tatsächlich um Günter S. handelte, der sich anschließend an den Zeugen G., Geschäftsführer der Firma Hein G., gewandt hat, um das bei der Tat verwendete Motorrad Suzuki GS 750 anzumieten, folgert der Senat aus den Angaben des Zeugen G. und aus dem Schriftgutachten des Sachverständigen H. hinsichtlich der auf dem Mietvertrag von dem „Mieter“ geleisteten Unterschrift. Der Zeuge G. hat bekundet, der Kunde habe angegeben, mit der Maschine nur eine Probefahrt machen zu wollen und sie noch am selben Nachmittag zurückzubringen. Dies sei entgegen der Absprache jedoch dann nicht erfolgt, weshalb er am 6. April 1977 Anzeige erstattet habe. Bei der Anmietung des Motorrads, so der Zeuge G., habe der Kunde als Identitätsnachweis einen auf den Namen „Hans Georg Sch.“ lautenden Führerschein vorgelegt.

Mit diesem Namen habe er auch den schriftlichen Vertrag über die Vermietung eines Motorrads Suzuki 750 GS mit dem amtlichen Kennzeichen D-AT 792 unterzeichnet. Nach den verlesenen Ermittlungserkenntnissen des Polizeibeamten O. war die im Mietvertrag näher bezeichnete Person „Hans Georg Sch.“ nicht existent.

Der Zeuge G. hat in der Folgezeit Günter S. nicht zweifelsfrei wiedererkannt. Während der Zeuge zunächst im August 1977 im Rahmen einer Lichtbildvorlage überhaupt keine Person erkannt hatte, bekundete er bei einer im April 1978 durchgeführten Vorlage eines von Günter S. im Dezember 1977 gefertigten Bildes, die auf dem Bild ersichtliche Person habe mit der Person des Mieters eine verblüffende Ähnlichkeit. Im Rahmen einer in der JVA Bruchsal im April 1980 durchgeführten Wahlgegenüberstellung, bei der ihm in zwei Durchgängen sechs männliche Personen vorgeführt wurden, war er sich hingegen ziemlich sicher, dass es sich bei Günter S. um die Person des Motorradmieters handele. Während er alle übrigen Personen habe ausschließen können, habe diese eine Person eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von ihm erkannten Mann gehabt.

Die Überzeugung des Senats über die Personenidentität S.s mit dem damaligen Mieter des Motorrads Suzuki 750 GS beruht auf dem Gutachten des damaligen leitenden wissenschaftlichen Direktors H. beim Bundeskriminalamt, einem auch forensisch erfahrenen Schriftsachverständigen, der zunächst in seinem schriftlichen Gutachten vom 13. April 1977 hinsichtlich der Urheberschaft der Unterschrift Hans Georg Sch. unter den oben genannten Mietvertrag zu dem Ergebnis kam, die Unterschrift auf dem Mietvertrag stamme mit hoher Wahrscheinlichkeit von Günter S.. In dem Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Christian K. und Brigitte M. hat der Schriftsachverständige den zunächst festgestellten Wahrscheinlichkeitsgrad mit Hilfe von weiteren Schriftproben des Günter S. erhöht. Über den Inhalt des vom Sachverständigen H. in der vorgenannten Hauptverhandlung erstatteten Gutachten hat der Senat den Zeugen Bundesanwalt b. BGH -AL- G. vernommen. Der Zeuge G. hat erläutert, dass der Sachverständige H. bei der mündlichen Erstattung seines Gutachtens im Rahmen der Hauptverhandlung des vorgenannten Strafverfahrens zu einer größeren Gewissheit gelangt sei als in seinem schriftlich vorbereiteten Gutachten. Bei Erstattung des schriftlichen Gutachtens habe Schriftmaterial des Günter S. nicht in ausreichendem Umfang - insbesondere nicht zum Buchstaben „g“ - vorgelegen. Dies habe sich dadurch geändert, dass dem Gutachter die Unterschrift des Günter S., mit der dieser seine Bereitschaft, im Rahmen der Sch.-Entführung ausgeflogen zu werden, schriftlich bestätigt habe, als weiteres Vergleichsmaterial zur Verfügung gestellt worden sei. Der aufgrund des Vergleichsmaterials künstlich synthetisierte Schriftzug „Hans Georg Sch.“ habe mit der Unterschrift auf dem Mietvertrag in geradezu frappierender Weise übereingestimmt. Der Sachverständige sei deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unterschrift auf dem Mietvertrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Günter S. stamme. Der Senat schließt sich nach eigenem Nachvollziehen der Gesamtumstände dieser Bewertung an.

Welche Person das von Günter S. angemietete spätere Tatmotorrad nach Süddeutschland gebracht hat, konnte der Senat nicht feststellen (vgl. hierzu auch VII.2.).

b. Die Feststellungen zu der ebenfalls am 2. April 1977 erfolgten Beschaffung des Fluchtfahrzeugs Alfa Romeo beruhen auf den Angaben des Zeugen Arno M. und dem Inhalt des verlesenen Kaufvertrages. Nach den Angaben des Zeugen M. sei am frühen Nachmittag des „Samstags vor Ostern“ aufgrund eines zuvor in der „Rheinpfalz“- Zeitung geschalteten Inserats und anschließender telefonischer Voranmeldung eine männliche Person bei ihm Zuhause erschienen, die das Fahrzeug nach einer kurzen Besichtigung und einer Probefahrt zu einem Kaufpreis i.H.v. 4.650 DM erworben habe. In dem von dem Zeugen aufgesetzten Kaufvertrag seien die vom Käufer angegebenen Personalien eingetragen worden. Nach Bezahlung des Kaufpreises habe der Käufer den Wagen sofort mitgenommen.

Die Person des Käufers konnte durch die weiteren Ermittlungen nicht identifiziert werden. Der Zeuge M. hat zwar bei einer Vorlage von Fahndungskarten mit Bildern von Günter S., Knut F. und Christian K., gemeint, Christian K. mit hoher Wahrscheinlichkeit an dessen hochgezogenen Nasenflügeln als Käufer wiedererkannt zu haben, eine spätere Wahlgegenüberstellung mit Christian K. im Jahr 1983 ist jedoch, wie der Zeuge KHK K. berichtete, negativ verlaufen.

Nach den von dem Zeugen EKHK D. geschilderten Ermittlungen konnten die von der Person des Käufers angegebenen Personalien „Hans-Dieter G., Frankfurt, (…)“ nicht verifiziert werden. Der Zeuge D. konnte lediglich einen Zusammenhang mit der „RAF“ dahingehend herausfinden, dass ein im Jahr 1977 bereits verstorbener Dieter Heinz G. in Jugendtagen mit Knut F. gut bekannt gewesen sei.

Bei der Beschaffung des Tatmotorrades und des Fluchtfahrzeugs waren mithin ebenfalls nur männliche „RAF“-Mitglieder beteiligt.

3. Die Beschaffung von weiteren, zur Tatvorbereitung bzw. zur Tatausführung verwendeten Gegenständen

a. Der Kauf von Damenfahrrädern

Nach den getroffenen Feststellungen haben Ende März 1977 ein weibliches und ein männliches „RAF“-Mitglied in Karlsruhe jeweils ein Damenfahrrad erworben, um die Fahrräder anschließend zum „Auschecken“ des Fluchtweges in Karlsruhe zu verwenden.

Aufgrund der verlesenen Angaben des Zeugen Akram H. steht fest, dass am 28. März 1977 im Kaufhaus H. in Karlsruhe ein männliches „RAF“-Mitglied ein Damenfahrrad „Globus 77“ nebst einem Zahlenschloss erworben hat. Der Zeuge erkannte das am 12. April 1977 in Karlsruhe sichergestellte Fahrrad (s.nachf. IV.5.c.) als von der Firma H. verkauft wieder. Als eindeutiges Wiedererkennungsmerkmal hat der Zeuge nach Vorlage der Lichtbilder der sichergestellten Fahrräder nachvollziehbar den Umstand erwähnt, dass durch den dortigen Monteur das Beleuchtungskabel in einer besonderen Art vom Dynamo zur Vorderlampe gedreht worden sei. Im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage hat der Zeuge als möglichen Käufer Günter S. benannt, diesen jedoch bei einer Gegenüberstellung am 26. Januar 1978 nicht wieder erkannt.

Am Folgetag, dem 29. März 1977, hat ein weibliches „RAF“-Mitglied bei der Firma Q. in Karlsruhe das Damenfahrrad „Mars Luxus“ erworben. Dies beruht auf den Angaben der vernommenen Zeugen K. und R. Die Zeugin K. hat zwar in der Hauptverhandlung angegeben, keinerlei Erinnerung an das damalige Geschehen mehr zu haben. Aus der insoweit verlesenen polizeilichen Vernehmungsniederschrift ergibt sich, dass das ursprünglich von der weiblichen Kundin ausgesuchte Rad einen Defekt aufgewiesen hatte und gegen ein anderes Modell umgetauscht wurde. Dies korrespondiert mit den Angaben auf dem verlesenen Kassenzettel. Die Kundin musste den Umtausch auf diesem Kassenzettel quittieren; die Kundin hat hierauf eine Unterschrift und eine Anschrift vermerkt. Ausweislich des verlesenen Gutachtens der Schriftsachverständigen W. vom 26. Februar 1979 stammen die Schriftzüge wahrscheinlich von Angelika S.. Bei Lichtbildvorlagen und einer späteren Gegenüberstellung mit Angelika S. konnten die Angestellten der Firma Q. Angelika S. jedoch nicht bzw. nicht mehr eindeutig als Käuferin identifizieren.

Dass die Angeklagte als Käuferin des vorgenannten Fahrrads aufgetreten ist, schließt der Senat aus. Die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen R. und K. hatten keine Erinnerung mehr an die damalige Kundin. Nach dem verlesenen Vermerk des Zeugen KHK B. vom 15. Juli 1977 haben sämtliche Angestellten der Firma Q., die mit der Käuferin in irgendeiner Weise am 29. März 1977 in Kontakt gekommen sind, im Rahmen einer Lichtbildvorlage die Angeklagte als Kundin ausgeschlossen.

b. Die Beschaffung der Helme

Zur Tatausführung wurden von den beiden Tätern Integralhelme der Fa. Römer, und zwar ein Helm vom Typ R 2000 LX Joker der Grundfarbe weiß und ein weiterer Helm ohne nähere Markenbezeichnung der Grundfarbe rot benutzt. Dies ergibt sich aus dem verlesenen Sicherstellungsverzeichnis von KHK B. und den Angaben der Zeugen KHK St. und KHK K., die über die am 7. April 1977 vor Ort in der Brückenkammer der Autobahnbrücke in Wolfartsweier neben dem Tatmotorrad aufgefundenen und sichergestellten beiden Integralhelme berichtet haben. Die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Integralhelme waren vor der Tatausführung mit einer grünen Farbe überlackiert worden.

Es konnte nicht festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt die Helme angeschafft und umlackiert worden sind und welches „RAF“-Mitglied hieran beteiligt war.

c. Die Beschaffung der Tatwaffe

Die zur Tatausführung vorgesehene und dann auch verwendete Waffe wurde am 3. Mai 1977 bei der Festnahme von Günter S. und der Angeklagten sichergestellt. Dies ergibt sich aus dem verlesenen Gutachten des Schusswaffen-Sachverständigen H. vom BKA. Dieser hat aufgrund vergleichender Untersuchungen in seinem Gutachten ausgeführt, dass die am Tatort gefundenen und bei der Obduktion bei den Getöteten aufgefundenen Patronenhülsen des Kalibers 5,56 mm in dem bei der vorgenannten Festnahme sichergestellten Selbstladegewehr HK 43 gezündet worden sind. Über die Sicherstellung und Asservierung dieser Waffe in Singen haben die Zeugen KHK E. und KHK L. berichtet. Zu den Vorgängen um die Festnahme hat der Senat die Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Dezember 1977 gegen die Angeklagte und vom 26. April 1978 gegen Günter S. verlesen. Dass die untersuchten Patronenhülsen am Tatort gefunden wurden, hat der Senat den Angaben von KHK St. und KHK K. entnommen.

Nach den Bekundungen von KHK H. wurde die Tatwaffe seinen Verkaufswegermittlungen zufolge neben einer weiteren Waffe HK 43 am 16. Dezember 1975 von der Firma G. und E. in Malters/Luzern/Schweiz an einen angeblichen H. Zeidler aus Düsseldorf zum Preis von je 960 sFr. verkauft. Um welches männliche „RAF“-Mitglied es sich hierbei gehandelt hat, konnte nicht festgestellt werden.

Nach den Angaben des Zeugen Peter-Jürgen B. in der Hauptverhandlung habe dieser die Waffe zu einem nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt an ihrem Lauf und Schaft verkürzt, damit das nach der Bearbeitung nur noch 57 cm lange Selbstladegewehr im Falle seiner Verwendung leicht verborgen und unauffällig mitgeführt werden konnte. Aus dem verlesenen Gutachten des Sachverständigen H. vom BKA vom 17. Mai 1977 entnimmt der Senat die konkreten Umstände der Bearbeitung (Verkürzung des Laufs um 10 cm und des Schafts um 24 cm), durch die die Funktionsfähigkeit des Gewehrs nicht beeinträchtigt worden ist. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen B. hatte dieser nicht nur die spätere Tatwaffe, sondern auch andere Waffen nach deren Beschaffung durch die „RAF“ bearbeitet.

Nach der Überzeugung des Senats wurde die Tatwaffe nach deren Bearbeitung in einem der Depots der „RAF“ gelagert. In solchen (Erd-)Depots hatte die „RAF“ nach den Schilderungen der Zeugen Peter-Jürgen B. sowie Silke M.-W. und nach den verlesenen Angaben des Volker S. Waffen, Sprengstoff, (gefälschte) Ausweise, Wegbeschreibungen über „Grüne Grenzen“ sowie Bargeld versteckt und diese Gegenstände bei Bedarf von dort geholt. Dies wird auch durch die Aufzeichnungen aus den sog. H.-M.-Papieren (s.o. C.III.3) bestätigt. So ist dort in dem Arbeitsplan Siegfried H. z.B. bei Olga unter „Sa. 20“ und „So. 21“ vermerkt: „Hagen Geld rein; Pappen raus“ bzw. „andere Pappen raus; Depotcheck“.

d. Der Kauf der Kunstledertasche

Für den Transport der Tatwaffe am Tattag wurde im Laufe des 4. April 1977 in Mannheim bei der dortigen Filiale der K. AG die Kunstledertasche erworben, die nach dem verlesenen Sicherstellungsverzeichnis des KHK B. in dem am 10. April 1977 sichergestellten Fluchtfahrzeug Alfa Romeo aufgefunden worden ist. Folgende Feststellungen führen zu diesem Ergebnis:

Die im Fluchtfahrzeug Alfa Romeo aufgefundene Kunstledertasche (s.u. V.2.b.bb.) ist nach dem verlesenen Ermittlungsbericht von KHK K. ausschließlich für die Firma K. AG hergestellt worden. Sie habe sich seit dem 1. März 1977 im Verkauf befunden und sei zum Preis von 50 DM verkauft worden. Nach seinen Feststellungen waren in der K. Filiale in Mannheim im Bereich der Lederwaren im April 1977 nur zwei Artikel mit 50 DM ausgezeichnet, u.a. diese Kunstledertasche. Am 4. April 1977 wurden - so seine Ermittlungen - in der Filiale in Mannheim der Betrag von 50 DM einmal gegen 11:00 Uhr und zu zwei verschiedenen Zeiten zwischen 15:00 und 17:00 Uhr kassiert.

Nach den verlesenen Ermittlungsergebnissen von KK K. haben am 4. April 1977 gegen 9:00 Uhr zwei Zeugen zwei männliche Personen beobachtet, die in Mannheim in einer nur wenige Minuten von der K.-Filiale entfernt gelegenen Tiefgarage ein Motorrad Suzuki geparkt hätten. Die nähere Beschreibung des Motorrads (blauer Tank; Düsseldorfer Kennzeichen; fehlender Kickstarter) habe zu einer Übereinstimmung mit dem aufgefundenen Tatmotorrad geführt. Der Senat geht aufgrund dieser Umstände davon aus, dass die beobachteten männlichen Personen am 4. April 1977 in Mannheim die Kunstledertasche gekauft haben.

Zu den Umständen, aus denen der Senat den Schluss zieht, dass es sich bei der in einer K. Filiale beschafften Kunstledertasche um diejenige handelt, die bei der Tatausführung verwendet und später im Fluchtfahrzeug sichergestellt wurde, wird auf die Ausführungen unten unter V.2.b.bb. verwiesen.

4. Vorgenommene Veränderungen am Motorrad Suzuki

An dem Motorrad Suzuki wurden nach der erfolgten Anmietung eine Reihe von Veränderungen vorgenommen; dies entnimmt der Senat aus folgenden Umständen:

Das noch am Tattag aufgefundene Motorrad wurde anschließend den bei der Firma Hein G. in Düsseldorf beschäftigten Zeugen G. und L. gezeigt. Nach den übereinstimmenden und sich ergänzenden Angaben dieser Zeugen seien an dem Motorrad nach der erfolgten Übergabe ein Blinker ersetzt, zwei neue Blinker angebracht und ein Original-Rückspiegel auf der rechten Seite montiert sowie die an beiden Seiten des Tanks angebrachten Schriftzüge „Suzuki“ durch schwarz-rot-goldene Klebestreifen ersetzt worden. Zusätzlich seien an beiden Seiten des Tanks je ein schwarzer Panther und ein Bundesadler, auf der Oberseite des Tanks ein vierblättriges Kleeblatt angeklebt worden. Das zum Zeitpunkt der Übergabe an dem Motorrad angebracht gewesene amtliche Kennzeichen D-AT 792 sei ersetzt worden.

Nach den Angaben der Zeugin Elsbeth R., einer Verkäuferin bei der Firma R. OHG in Ludwigshafen, seien dort am 4. April 1977 von einer männlichen Person eine Gebrauchsanweisung und ein rechter Original-Rückspiegel für eine Suzuki 750 GS sowie zwei Dosen Öl gekauft worden. Der entsprechende Kaufbeleg und die Eintragung ins Kassenbuch wurde verlesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich auch ein weiterer Kunde - Rüdiger P. - mit seinem lavendelfarbenen Motorrad, einer Suzuki GT 750 ebenfalls auf dem Firmengelände aufgehalten. Dies wird bestätigt durch die vom Zeugen EKHK K. geschilderten Ermittlungen, der die Aufenthaltsorte des Rüdiger P. und die Gegebenheiten über dessen Motorrad abgeklärt und insbesondere festgestellt hat, dass für dieses Motorrad das Kennzeichen LU-NL 8 amtlich ausgegeben war.

Der Senat ist überzeugt, dass das Motorrad des Rüdiger P. mit dem angebrachten Kennzeichen dem unbekannten „RAF“-Mitglied bei seinem o.a. Kauf aufgefallen sind. Denn nach den verlesenen Angaben der Zeugen Gabriele und Manfred Sp. hat eine männliche Person am darauf folgenden Tag, nämlich am 5. April 1977, in ihrem Geschäft in Ludwigshafen kurz nach 12:00 Uhr ein Kennzeichenschild mit den - für das Motorrad des P. ausgegebenen - Kennzeichen LU-NL 8 erworben. Dass das später am Tatmotorrad sichergestellte Kennzeichen tatsächlich durch die Firma Sp. verkauft worden war, erkannte der Zeuge Manfred S. an gewissen Besonderheiten bei der Prägung und insbesondere daran, dass die am Kennzeichen eingeprägte DIN-Zahl von seiner Werkstatt stamme. Dies wird auch bestätigt durch das verlesene Gutachten des Sachverständigen St. vom BKA, der bei einem Vergleich des am Tatmotorrad sichergestellten Kennzeichenschildes mit einem weiteren von der Firma Sp. geprägten Kennzeichen eine absolute Übereinstimmung der Prägebilder und der Materialbeschaffenheit feststellte.

Aus dem Umstand, dass das Tatmotorrad am 4. April 1977 von dem Zeugen D. (s.nachf. C.IV.5.b.) mit dem Düsseldorfer Kennzeichen und am 5. April 1977 in den Abendstunden von den Zeugen Sch. und F. (s.nachf. C.IV. 5.b.) mit dem Ludwigshafener Kennzeichen gesehen wurde, folgert der Senat, dass das bei der Firma Sp. als Doublette vorgesehene Kennzeichen noch am 5. April 1977 unmittelbar nach dem erfolgten Kauf angebracht worden sein muss.

5. Erkundungen der Tatörtlichkeiten und des Fluchtweges

Die Ende März 1977 gekauften Fahrräder und die beiden am 2. April 1977 besorgten Fahrzeuge wurden in der Folgezeit bis zum 7. April 1977 von mehreren Zeugen in Karlsruhe bzw. in der näheren Umgebung gesehen. Soweit die Beobachtungen in der Nähe der Fahrtstrecke des Generalbundesanwalts Siegfried B. von seinem Wohnort zu seinem Dienstort in Karlsruhe oder in der Nähe der späteren Fluchtweges des Motorrades von der Karlsruher Innenstadt über die Wasserwerkbrücke zum Brückenpfeiler der Autobahn und des Pkws von dort bis nach Sachsenheim gemacht wurden, ist der Senat überzeugt, dass die „RAF“-Mitglieder die Örtlichkeiten zum Zwecke deren näherer Erkundung unmittelbar vor der Tat nochmals abgefahren haben.

Eine Reihe von Zeugen haben im Rahmen ihrer damaligen polizeilichen Vernehmungen, anlässlich späterer Gegenüberstellungen und in den Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Knut F. bzw. gegen Brigitte M. und Christian K. die „RAF“-Mitglieder Günter S., Christian K. sowie Knut F. oder einen von ihnen wiedererkannt oder haben über die erfolgte Wiedererkennung im damaligen gerichtlichen Verfahren berichtet. Der Senat hat hierzu diese Zeugen, deren Vernehmungsbeamte auch zu den Umständen der Gegenüberstellungen gehört bzw. die von den in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen gemachten Angaben und die Feststellungen in den vorgenannten Verurteilungen verlesen.

Da die Zeugen in der vorliegenden Hauptverhandlung kaum konkrete Einzelheiten mehr über die näheren Umstände der damals erfolgten Wiedererkennung(en) schildern konnten, sondern sich nur pauschal daran erinnern konnten, ob und ggf. welche Personen sie wann wiedererkannt hatten, war der Senat veranlasst, die damalige Einschätzung der Zeugen auch anhand der in den beiden vorgenannten Strafverfahren getroffenen Feststellungen nachzuvollziehen und deren Beweiswert im Rahmen einer Gesamtschau auch im Hinblick auf den Umstand, ob sich Angaben von Zeugen über die erfolgte Wiedererkennung gegenseitig gestützt haben, zu bewerten. In den nachfolgend bezeichneten Fällen ist der Senat davon überzeugt, dass zumindest Christian K. und Knut F. verlässlich beobachtet worden sind. Soweit nicht mehr sicher nachvollziehbar war, welche Personen konkret wahrgenommen werden konnten, ist nach Überzeugung des Senats jedenfalls davon auszugehen, dass die bezeichneten Fahrzeuge an den beschriebenen Örtlichkeiten zugegen waren und aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs nach der Beschaffung der Fahrzeuge und des durchgeführten Attentats nur „RAF“-Mitglieder mit diesen unterwegs waren.

a. Fahrten mit dem Alfa Romeo

In den frühen Morgenstunden des 3. April 1977 fiel der Zeugin Margot H. das Fahrzeug in dem von Karlsruhe etwa 31 km entfernten, in nördlicher Richtung gelegenen Karlsdorf in der Brühlstraße auf, als dessen Fahrer zur Nachtzeit den Motor des Wagens in einer Wohngegend längere Zeit laufen ließ. Nach den verlesenen Angaben der in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugin sei sie von dem Fahrer, den sie nach Vorlage von Lichtbildern für Knut F. gehalten habe, beleidigt worden, als sie ihn auf die Ruhestörung habe hinweisen wollen. Sie habe sich deshalb das Kennzeichen des Fahrzeugs GER-AM 25 genau eingeprägt. Die Angaben der Zeugin reichen - zumal eine spätere Gegenüberstellung nicht erfolgt ist - zu einer Identifizierung des wahrgenommenen Fahrers nicht aus.

Am 4. April 1977 musste der PKW, in dem drei männliche Personen fuhren, gegen 10:30 Uhr an der geschlossenen Schranke des vom Zeugen Andreas T. als Bahnwärter bedienten Bahnübergangs Blankenloch/Friedrichstal (vom Wohnort des Generalbundesanwalts Siegfried B. etwa 11 km entfernt) warten. Nach den verlesenen Angaben des in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen hat dieser in den polizeilichen Vernehmungen im April 1977 angegeben, er habe die drei männlichen Fahrzeuginsassen in dem direkt vor der Bahnschranke stehenden Fahrzeug beim Bedienen der Schranke aus einer Entfernung von etwa 1 m beobachten können. Nach Vorlage von Lichtbildern habe er Günter S. als Fahrer, Christian K. als Beifahrer und Knut F. im Fond des Fahrzeugs sitzend erkannt. Im Rahmen einer Gegenüberstellung habe der Zeuge nach Angaben von KHK K. im März 1979 Knut F. in der Vollzugsanstalt Straubing und im April 1980 Günter S. in der JVA Bruchsal wieder erkannt. Bei einer Gegenüberstellung im Januar 1983 mit Christian K. in der JVA Frankenthal habe er lediglich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Beifahrer festgestellt, wohingegen der Zeuge in dem Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Christian K. und Brigitte M. im Jahr 1984 den Angeklagten K. im Gerichtssaal als einen der damaligen Beifahrer identifiziert habe.

Da aufgrund des Todes des Zeugen nicht mehr geklärt werden konnte, anhand welcher Merkmale der Zeuge die vorgenannten Personen wiederzuerkennen glaubte, kann der Senat dieser Wiedererkennung nur einen geringen Beweiswert beimessen.

Ebenfalls am 4. April 1977 wurde der Zeuge Jürgen G. gegen 16:00 Uhr auf das Fahrzeug aufmerksam, als dieses in Karlsruhe an der Einmündung Schlossstraße/Herrenstraße fuhr und später in die Linkenheimer Landstraße abbog. Der Zeuge, damals mit einem Moped unterwegs, konnte sich in der hiesigen Hauptverhandlung noch recht gut an den Sachverhalt erinnern. Seine Schilderungen zum Kerngeschehen wiesen keine Abweichungen von seinen Angaben im Jahr 1977 und seiner Vernehmung als Zeuge im Verfahren gegen Christian K. und Brigitte M. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im Jahr 1984 auf. Das Geschehen war ihm nach seinen Angaben deshalb so nachhaltig in Erinnerung geblieben, weil er sich darüber geärgert habe, dass der Fahrer des Alfa Romeo in rücksichtsloser Weise zwei bevorrechtigten Fahrzeugen die Vorfahrt genommen habe. Das Kennzeichen des Autos habe er sich gemerkt, weil es ihn in seinem Vorurteil bestätigt habe, wonach „Pfälzer nicht Auto fahren könnten“. Der Zeuge hat im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen nach Vorlage von mehreren Lichtbildern im April 1977 gemeint, Knut F. als Fahrer des Fahrzeugs erkannt zu haben. Im Rahmen einer späteren Einzelgegenüberstellung mit Knut F. im Oktober 1977 in Holland hatte der Zeuge keinen Zweifel, den PKW-Fahrer wieder erkannt zu haben. Der Senat ist sich des geringen Beweiswerts dieser Wiedererkennung bewusst, da in den Akten weder vermerkt worden war, welche Fotos dem Zeugen vorgelegt worden waren noch aus welchen Gründen er tatsächlich Knut F. erkannt hatte.

Am 5. April 1977 sah der Zeuge Dieter K. anlässlich seiner Auslieferungsfahrt von Backwaren den gegen 9:30 Uhr unter der Autobahnbrücke beim Schwimmbad Wolfartsweier abgestellten PKW. Der Zeuge konnte sich zwar in der Hauptverhandlung an keine Einzelheiten seiner damaligen Beobachtungen erinnern. Seine Angaben in seiner polizeilichen Vernehmung vom 19. April 1977 wurden verlesen; der Vernehmungsbeamte KHK M. wurde außerdem zu dieser Vernehmung befragt. Im Rahmen seiner damaligen Vernehmung hat der Zeuge bekundet, dass er als Auslieferungsfahrer sechsmal täglich an der Stelle vorbeikomme, an der ihm nach seiner Überzeugung der Alfa unmittelbar vor der Autobahnbrücke jeweils parkend aufgefallen sei. Nach Vorlage von mehreren Lichtbildern des in Sachsenheim sichergestellten Fluchtfahrzeugs hat der Zeuge dieses Fahrzeug zweifelsfrei wieder erkannt und angegeben, dass er das Fahrzeug am 5. April 1977 etwa um 9:30 Uhr, am 6. April 1977 zwischen 9:30 Uhr und 9:45 Uhr und auch am 7. April 1977 gegen 9:20 Uhr an der oben genannten Örtlichkeit habe stehen sehen. Er könne sich daran erinnern, dass er an den Terminen vor dem 7. April 1977 keine Person im Fahrzeug habe sitzen gesehen und anlässlich seiner Rückfahrten etwa gegen 10:30 Uhr den PKW nicht mehr habe dort stehen sehen.

Ebenfalls am 5. April 1977 sah der Zeuge Andreas K. den Pkw im Laufe des Vormittags vor der Metzgerei E. in Marbach stehen. Nach den verlesenen Angaben des verstorbenen Zeugen sei ihm der Wagen, in dem er an diesem Tag keine zu dem Fahrzeug gehörende Person wahrgenommen habe, deshalb aufgefallen, weil sein Sohn dasselbe Modell gefahren habe. Als er den Wagen am nächsten Tag vor dem Rathaus in Marbach stehend nochmals gesehen habe, habe er sich auch das vollständige Kennzeichen gemerkt, weil der Wagen neben seinem eigenen Fahrzeug geparkt gewesen sei und er sich stets die Kennzeichen der neben ihm parkenden Fahrzeuge merke, da er in der Vergangenheit einen Schaden an seinem PKW nicht ersetzt bekommen habe, weil der Schadensverursacher nicht habe ermittelt werden können.

Gegen 10:30 Uhr dieses Tages bemerkten die Zeugen Josef und Maria G., wie in dem von Marbach etwa 13 km entfernten Bietigheim-Bissingen auf der Stuttgarter Straße zwischen Commerzbank und Dresdner Bank drei männliche Personen in den dort parkenden Alfa Romeo einstiegen. Nach den verlesenen Niederschriften über die polizeilichen Vernehmungen der beiden verstorbenen Zeugen waren ihnen die drei Personen aufgefallen, weil sie sich gewundert hätten, dass „solche Kerle einen solchen Wagen fahren“. Als am Karfreitag Lichtbilder von Knut F., Christian K. und Günter S. im Fernsehen gezeigt worden seien, sei ihnen der Vorfall drei Tage zuvor wieder eingefallen. Während der Zeuge G. im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung vom 18. April 1977 bei einer Wahllichtbildvorlage Christian K. mit ziemlicher Sicherheit und Ähnlichkeiten mit Knut F. festzustellen vermochte, erkannte die Zeugin G. sowohl Christian K. als auch Knut F. bei einer Wahllichtbildvorlage wieder. Im Rahmen einer Wahlgegenüberstellung mit Knut F. im Mai 1979 in der JVA Straubing erkannten beide Zeugen diesen als einen der drei beobachteten Männer wieder. Nach Angaben des Zeugen Bundesanwalt b. BGH -AL- G., einem der Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft im Strafverfahren gegen Christian K. und Brigitte M. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, erkannte die Zeugin G. bei ihrer Vernehmung in dieser Hauptverhandlung den damaligen Angeklagten K. mit Sicherheit wieder. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in dem Urteil gegen Brigitte M. und Christian K. vom 2. April 1985 insoweit Folgendes festgestellt:

„Am 5. April beobachteten die Zeugen Josef und Maria G. den Alfa Romeo in der Innenstadt von Bietigheim. Ihnen fiel nicht nur das Fahrzeug, sondern, wie beide einleuchtend begründeten, vor allem das in dieser Gegend nicht eben häufig anzutreffende Kennzeichen GER auf. Am Fahrzeug standen F., Günter S. sowie eine dritte Person, die von beiden Zeugen später übereinstimmend und unabhängig voneinander anhand von Lichtbildern als Christian K. erkannt wurde. Die Zeugen schenkten diesem Vorgang deshalb besondere Beachtung, weil Maria G. ihren Mann nach dem Typ des ihr sehr teuer erscheinenden Fahrzeugs fragte, man daraufhin auch auf die Benutzer des Wagens besonderes Augenmerk lenkte und sich fragte, wie diese wohl zu so einem Fahrzeug kämen. Beide Zeugen waren sich im Übrigen der Schwierigkeit der Personenidentifizierung erkennbar bewusst: Josef G., ein ehemaliger Polizeibeamter, erkannte bei einer Gegenüberstellung F. sicher wieder, nicht jedoch Günter S. und nicht den Angeklagten K., letzteren auch nicht in der Hauptverhandlung. Maria G., die gleichfalls einen sehr gewissenhaften Eindruck machte, erkannte später F. sofort richtig wieder und außerdem im Gerichtssaal auf Anhieb den Angeklagten K.; mit ihm hatte bislang eine Gegenüberstellung nicht stattgefunden.“

Da beide Zeugen unabhängig voneinander jedenfalls Knut F. wiedererkannt haben, kommt dieser Wiedererkennung nach Beurteilung des Senats ein großer Beweiswert zu.

Die Angaben der beiden Zeugen G. bezüglich des erkannten Fahrzeugs werden durch die Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen Hans-Georg U. bestätigt. Der Zeuge konnte sich zwar bei seiner Vernehmung an seine damalige Beobachtungen nicht mehr konkret erinnern. Der damals bei der Commerzbank in Bietigheim-Bissingen beschäftigt gewesene Zeuge hatte nach seiner polizeilichen Aussage den Wagen jedoch in der Osterwoche zu zwei verschiedenen Zeitpunkten jeweils um die Mittagszeit in der Nähe der Bank parkend gesehen; dabei sei ihm das Germersheimer Kennzeichen aufgefallen.

Gegen 13:15 Uhr des 5. April 1977 fiel der mit drei Personen besetzte Pkw den Zeugen Gerhard und Erika M. in Kleinglattbach bei Vaihingen/Enz auf. Die beiden Zeugen warteten in ihrem Wagen hinter dem Alfa Romeo vor dem durch eine geschlossenen Schranke befindlichen Bahnübergang, der etwa 8 km vom späteren Fundort des Fluchtwagens entfernt liegt. Nach der verlesenen Aussage des mittlerweile verstorbenen Zeugen Gerhard M. vom April 1979 und den Angaben der Zeugin Erika C. (vormals M.) in der hiesigen Hauptverhandlung hätten sie dem Wagen besondere Beachtung geschenkt, weil er der Zeugin gefallen habe. Da ihnen das Kennzeichen GER unbekannt gewesen sei, hätten sie zuhause im Autoatlas nachgeschlagen, woher der Wagen gekommen sei. Nach Angaben der Zeugin in der hiesigen Hauptverhandlung seien ihnen auch die Insassen des Fahrzeugs, die sie eine längere Zeit beobachtet hätten, wegen ihres nervös scheinenden Verhaltens aufgefallen. Sie könne sich auch daran erinnern, dass sie zwei der Personen damals im Rahmen von Gegenüberstellungen erkannt habe. Die Zeugin hatte im Rahmen einer Gegenüberstellung im Mai 1979 in der JVA Straubing Knut F. in beiden Durchgängen als Fahrer erkannt und im Januar 1983 im Rahmen einer Gegenüberstellung in der JVA Frankenthal Christian K. wiedererkannt, der auf dem Beifahrersitz gesessen habe. Nach den verlesenen Angaben des Zeugen Gerhard M. hat dieser im Rahmen einer Gegenüberstellung in der JVA Straubing im Mai 1979 Knut F. wiedererkannt. Im Rahmen einer Gegenüberstellung mit Christian K. in der JVA Frankenthal im Januar 1983 hat er diesen als die Person erkannt, die am 5. April 1977 auf dem Rücksitz des vor ihm wartenden Fahrzeugs gesessen habe.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in dem Urteil gegen Brigitte M. und Christian K. vom 2. April 1985 insoweit Folgendes festgestellt:

„Das Ehepaar Erika und Gerhard M. erkannte den Angeklagten K. als einen von drei Insassen des Alfa Romeo am 5. April, als es ebenfalls mit dem Auto in gleicher Richtung am Bahnübergang in Kleinglattbach unterwegs war. Da dieser Übergang nahezu 10 min geschlossen war und der Alfa Romeo vor dem Wagen der M. zum Stehen kam, interessierte sich namentlich die Zeugin Erika M. für den in ihren Augen ´schönen Wagen`. Den drei von ihnen beiden später zweifelsfrei identifizierten Insassen, nämlich dem Fahrer Knut F., S. als Beifahrer vorne rechts sowie K., der hinten links im Fahrzeug saß, schenkten beide M. nach ihren glaubhaften Bekundungen deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil diese aufgeregt gestikulierten und der Fahrer sich dabei zu der Person auf dem Rücksitz umdrehte. Den Zeugen war es somit möglich, die Fahrzeuginsassen teils von vorne, teils von der Seite zu beobachten und sich vom Angeklagten K. namentlich Mundpartie und Zähne näher einzuprägen.

Gerhard M. konnte seine Beobachtungen am folgenden Tag (6. April 1977) noch vertiefen: Etwa um dieselbe Zeit wie am Vortag, nämlich gegen 13:15 Uhr, hielt er wiederum an dieser Bahnschranke, wobei der Alfa Romeo dieses Mal im Gegenverkehr stand, so dass M. die Fahrzeuginsassen jetzt von vorne sehen konnte. Nach seinen glaubhaften, zuverlässigen Angaben waren bei dieser Begegnung nur zwei Personen im Alfa Romeo. Fahrer war wiederum F., Beifahrer vorne rechts S., der Angeklagte K. fuhr nicht mit. Er wurde wie ausgeführt, etwa um diese Zeit von der Zeugin Z. auf der Suzuki in Karlsruhe gesehen“.

Dadurch, dass Erika und Gerhard M., Letzterer sogar zweimal, ausgiebig Gelegenheit hatten, das Fahrzeug und dessen Insassen zu beobachten, war es ihnen, wovon sie den Senat überzeugen konnten, unschwer möglich, F., S. und K. später auf Lichtbildern sowie bei Gegenüberstellungen sofort und einwandfrei wieder zu erkennen. Darüber hinaus waren sich beide Zeugen nach erkennbar gründlicher Selbstprüfung sicher, K. im Sitzungssaal als eine der Personen wieder zu erkennen, die am 5. April am Bahnübergang Kleinglattbach im Alfa Romeo mitgefahren war.“

Soweit die beiden Zeugen unabhängig voneinander auch im Rahmen von Gegenüberstellungen Christian K. und Knut F. erkannt haben, kommt diesem Umstand ein großer Beweiswert zu.

Gegen 16:00 Uhr des 5. April 1977 beobachtete der Zeuge G. dieses Fahrzeug erneut, als es sich in Karlsruhe auf der Hans-Thoma-Straße zum Linksabbiegen in die Moltkestraße eingeordnet hatte. Der Zeuge hat hierzu angegeben, er sei mit seinem Moped an einer Reihe von Fahrzeugen entlanggefahren, die vor einer Ampel gewartet hätten; hierunter habe er auch den PKW entdeckt, den er auch am Vortage schon gesehen habe. Der Fahrer des Pkws sei die gleiche Person gewesen, die er auch am Vortage schon erkannt habe; dieses Mal habe die Person nur eine Sonnenbrille auf gehabt. Er habe den Fahrer insbesondere an seinen langen Haaren erkannt. Auch insoweit hat die erfolgte Wiedererkennung nach den Angaben des Zeugen - wie bereits oben ausgeführt - nur einen geringen Beweiswert.

Gegen 17:00 Uhr des gleichen Tages fiel das Fahrzeug dem Zeugen Helmut H. auf, der es in Kleinglattbach vor dem Gebäude 105 der Bahnhofstraße abgestellt sah. Nach den verlesenen Angaben des verstorbenen Zeugen, der früher als Autoverkäufer beschäftigt war, vom April 1977 sei dieser auf das Fahrzeug deshalb aufmerksam geworden, weil es auf der falschen Straßenseite abgestellt gewesen sei.

Gegen 9:00 Uhr des 6. April 1977 beobachtete die Zeugin Christine J. den Pkw in der Nähe der Autobahnbrücke in Wolfartsweier. Nach den verlesenen Angaben der verstorbenen Zeugin vom April 1977 sei diese unter der Autobahnbrücke hindurch auf dem Weg zu ihrem Garten zu Fuß unterwegs gewesen, als ihr aus Richtung des im Wald liegenden Brückenpfeilers ein junger Mann entgegengekommen sei, der zum Fahrzeug zurückgegangen sei. Auf Lichtbildern habe sie den Fluchtwagen mit Sicherheit wieder erkannt. Die Zeugin, die angegeben hat, in der Zeitung Fotos von S. gesehen zu haben, habe fast mit Sicherheit geglaubt, an diesem Morgen Günter S. begegnet zu sein. Eine anschließende Wahllichtbildvorlage verlief ergebnislos. Bei einer Einzelgegenüberstellung mit Günter S. im Januar 1978 erkannte sie diesen nicht wieder. Sie erinnerte sich allerdings noch daran, dass der Mann eine sog. Prinz-Heinrich-Mütze wie der damalige Bundeskanzler Schmidt getragen habe. Auch die Zeugin D. hat angegeben, einer der drei jungen Männer, die aus dem Fluchtwagen ausgestiegen seien, habe eine solche Mütze getragen (s.u.C.V.2.b.aa.).

Kurze Zeit später, zwischen 9:30 Uhr und 9:45 Uhr (s.o.) nahm der auch an diesem Tag auf seiner Auslieferungsfahrt befindliche Zeuge K. nach dessen Angaben den unter der Autobahnbrücke beim Freibad Wolfartsweier abgestellten Pkw wahr, in dem sich - wie auch schon am Vortag - keine Person befunden habe.

Gegen 11:00 Uhr des gleichen Tages beobachtete der Zeuge Andreas K. in Marbach a.N. den vor dem Rathaus abgestellten Pkw erneut. Nach den verlesenen Angaben des verstorbenen Zeugen vom April 1977 sei an diesem Tag eine männliche Person in das Fahrzeug eingestiegen, den der Zeuge aufgrund von Fahndungsfotos als Knut F. erkannt habe. Während der Zeuge im Rahmen einer ergänzenden Vernehmung im April 1979 aufgrund einer Wahllichtbildvorlage bekundet hat, die auf den Lichtbildern abgebildete Person Knut F. habe eine Ähnlichkeit mit der von ihm in Marbach a.N. beobachteten, ins Fahrzeug einsteigenden Person, hat er im Rahmen einer im Mai 1979 durchgeführten Gegenüberstellung mit Knut F. in der JVA Straubing diesen eindeutig erkannt. In der Hauptverhandlung des Strafverfahrens gegen Christian K. und Brigitte M. hatte der Zeuge angegeben, ihm sei damals zuvor bekannt gegeben worden, welcher Person er gegenübergestellt werden sollte. Nach Vorlage von Lichtbildern über die vorgenannte Gegenüberstellung hat der Zeuge in der damaligen Hauptverhandlung Knut F. nicht wieder erkannt, vielmehr auf zwei neutrale Personen gezeigt.

Zwischen 13:00 und 14:00 Uhr des 6. April 1977 bemerkte der Zeuge Gerhard M. dieses Fahrzeug - wie schon am Vortag - am Bahnübergang in Kleinglattbach. Nach den verlesenen Angaben des verstorbenen Zeugen hätten sich in dem an diesem Tag aus Richtung Horrheim kommenden Fahrzeug zwei Personen befunden, jedoch nicht der von ihm am Vortag erkannte Christian K. Im Rahmen einer Gegenüberstellung in der JVA Straubing im Mai 1979 hat dieser - wie bereits erwähnt - Knut F. wiedererkannt. Soweit der Zeuge angegeben hatte, auch Günter S. erkannt zu haben, hat eine Gegenüberstellung mit diesem nicht stattgefunden. Der Senat misst der Wiedererkennung im Hinblick auf die vorgenannten Feststellungen des 5. Strafsenats im Urteil gegen Christian K. und Brigitte M. einen hohen Beweiswert bei.

Gegen 15:00 Uhr waren drei männliche Personen mit diesem Pkw in Mundelsheim unterwegs, als sie bei den Zeugen R. und Sch. in der dortigen Winzergenossenschaft zwölf Flaschen Wein einkauften. Dies beruht auf den verlesenen Angaben der verstorbenen Zeugen R. und Sch. vom April 1977. Danach hatte die Zeugin R., Geschäftsführerin der Winzergenossenschaft, die drei Personen im Verkaufsraum beobachtet, als diese Wein probiert hätten. Sie habe später Fahndungsfotos in den Medien gesehen und die drei Männer hierauf wiedererkannt. Bei späteren Wahlgegenüberstellungen erkannte die Zeugin nach ihren verlesenen Angaben und den Angaben des Zeugen KHK K. über die erfolgten Gegenüberstellungen im Mai 1979 in der JVA Straubing Knut F. an der Augenpartie, den Haaren und dem Bart und im Januar 1983 in der JVA Frankenthal Christian K. an der Nase, den hervorstehenden Wangenknochen und den eingefallenen Wangen wieder. Im Rahmen der im April 1980 durchgeführten Wahlgegenüberstellung mit Günter S. erkannte sie diesen nicht wieder.

Der Zeuge Sch., Mitarbeiter der Winzergenossenschaft, hat bekundet, den gekauften Wein an zwei der drei Männer übergeben zu haben. Bei einer in seiner polizeilichen Vernehmung am 25. April 1977 durchgeführten Lichtbildvorlage erkannte er Günter S. und Knut F. als diese beiden Männer wieder. Im Rahmen der vorgenannten Wahlgegenüberstellungen erkannte dieser nach Angaben des Zeugen K. Günter S. an der Gesichtsform und dem gesamten Erscheinungsbild wieder, während er Knut F. nicht wieder erkannte.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in dem Urteil gegen Brigitte M. und Christian K. vom 2. April 1985 insoweit Folgendes festgestellt:

„Die Zeugin R., Geschäftsführerin der Genossenschaft, kam hinzu, als drei junge Männer im Kundenraum gerade Wein probierten. Sie konnte diese dabei in Ruhe betrachten und sprach sie auch an, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten, worüber sie - verständlicherweise - nicht wenig erstaunt war. Nach ihren glaubhaften Bekundungen erkannte diese Zeugin, die sich eine Woche nach der Begegnung vom 6. April auf Presseveröffentlichungen des Alfa Romeo und von Personenbildern aus eigenem Antrieb an die Polizei wandte, auf Fahndungsfotos zunächst den Angeklagten K., ferner S. und F. Bei Gegenüberstellungen war sie sich sodann hinsichtlich K. und F. völlig sicher, bei S. „nicht hundertprozentig“. Diese Vorsicht zeigt, dass sich die Zeugin der Probleme einer Wiedererkennung und der Bedeutung ihrer Aussage uneingeschränkt bewusst war. Der Senat konnte sich auf ihre Angaben stützen, zumal sie auf dahingehende Frage auch keinen Zweifel daran ließ, den Angeklagten K. im Sitzungssaal sofort und eindeutig wieder erkannt zu haben.

Der Zeuge Sch., der als Lagerarbeiter den Kunden den verkauften Wein auszuhändigen hat, will sich gleichfalls an den Angeklagten K. sowie an S. und F. erinnern. Dem konnte der Senat jedoch schon deshalb nicht uneingeschränkt folgen, weil er, wie er auf Vorhalt in der Hauptverhandlung bestätigt hat, bei früheren Vernehmungen stets nur von der Anwesenheit zweier Männer berichtet hatte. Ferner konnte bei diesem Zeugen nicht davon ausgegangen werden, er könne - wie die übrigen Wiedererkennungszeugen - heute noch einwandfrei unterscheiden, ob sich seine Erinnerung an Personen aus früheren Beobachtungen oder von Fahndungsbildern ableitet. Dass Letzteres sogar nahe liegt, kann Sch. eigener Aussage entnommen werden. Er wies nämlich darauf hin, dass nach dem Anschlag in Karlsruhe Flugblätter herausgekommen seien, deshalb sei er erst auf drei Männer gekommen. Schließlich räumte er auf Vorhalt ein, er könne sich heute doch nicht mehr so genau an eine dritte Person erinnern.

Brauchbar war Sch.s Aussage jedoch insoweit, als er nach seiner glaubhaften Bekundung den Wagen mit Gernsheimer Kennzeichen zur fraglichen Zeit bei der Weingärtnergenossenschaft gesehen hat. Als ein anderer Kunde beiläufig fragte, woher wohl dieses Fahrzeug käme, war er, wie er anschaulich schilderte, erst auf den Alfa Romeo aufmerksam geworden und hatte sich die Kennzeichenteile GER-AM zum späteren Nachschauen notiert, da er das Ortskennzeichen nicht sofort zu deuten vermochte“.

Der Senat folgt nach eigener Überprüfung dieser Bewertung, soweit die Zeugin R., Christian K. und Knut F. erkannt hatte.

In der Nacht vom 6. April 1977 auf den 7. April 1977 bemerkte der Polizeibeamte W. auf seiner Streifenfahrt den unter der Autobahnbrücke beim Schwimmbad Wolfartsweier abgestellten nicht besetzten Pkw. Nach den Angaben des Zeugen in der hiesigen Hauptverhandlung sei er damals als junger Bereitschaftspolizist auf Streifenfahrt gewesen. Ihm sei der Wagen entweder kurz vor oder kurz nach Mitternacht wegen des nicht aus Karlsruhe stammenden Kennzeichens ins Auge gefallen. Er habe dann noch eine Fahndungsabfrage veranlasst, die jedoch negativ verlaufen sei. Als nach Ostern Bilder des Fluchtwagens in der Zeitung veröffentlicht wurden, habe er seine Beobachtungen sofort der zuständigen Dienststelle gemeldet.

b. Fahrten mit dem Motorrad Suzuki

Nach den in der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen wurde das Motorrad Suzuki vor dem Anschlag ab dem 4. April 1977 von Zeugen in Karlsruhe bzw. in der näheren Umgebung wahrgenommen. Bei der Wiedergabe ihrer Beobachtungen haben einige Zeugen bekundet, sie hätten auf dem Sozius des Motorrades eine Frau bzw. ein Mädchen sitzen gesehen bzw. hielten dies für möglich oder haben es nicht ausschließen können. Unabhängig davon, dass in der Hauptverhandlung von keinem der Zeugen eine konkrete weibliche Person beschrieben bzw. wieder erkannt worden ist (damit auch nicht die Angeklagte), kann nach Überzeugung des Senats auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass es sich bei der Person auf dem Sozius des Motorrads zum Zeitpunkt der von den Zeugen gemachten und in der Hauptverhandlung wiedergegebenen Beobachtungen tatsächlich um eine Frau gehandelt hat. Die Beobachtungen der entsprechenden Zeugen sind geprägt von subjektiven Einschätzungen anhand verschiedener Faktoren wie Schätzungen bezüglich Größe und Körperstatur der aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommenen Person, deren Sitzposition und eventuellen Bewegungen auf dem Motorrad (hierzu später mehr). Nach dem vom Senat anzunehmenden Beweisergebnis hatten die auf dem Motorrad wahrgenommenen Personen Integral- bzw. Vollvisierhelme auf. Der Senat hat diese Beobachtungssituation in der Hauptverhandlung, auch bezüglich Entfernungen, nachgestellt und Personen betrachtet, die die nach der Tat sichergestellten beiden Motorradhelme aufgesetzt hatten. Der Senat hat sich davon überzeugt, dass es aufgrund des kleinen Bereichs, der bei den konkreten Helmen das Gesichtsfeld freigibt, nicht möglich war, die Gesichter der Personen geschlechtsspezifisch eindeutig zu erkennen. Hiervon auszunehmen ist eine Beobachtung aus der Nahdistanz.

Unter dieser Vorgabe konnte der Senat hinsichtlich des Bewegungsbildes des späteren Tatmotorrads in den Tagen vor dem 7. April 1977 folgende Feststellungen treffen:

Am 4. April 1977 wurde das zwei Tage zuvor angemietete und noch mit dem amtlichen Kennzeichen D-AT 792 versehene Motorrad vom Zeugen Franz D. kurz nach 16:30 Uhr, mithin nur wenige Minuten, nachdem der Zeuge G. auf der Linkenheimer Landstraße den Alfa Romeo gesehen hatte (s.o.), ebenfalls in Karlsruhe wahrgenommen. Nach den verlesenen Angaben dieses bereits verstorbenen Zeugen D. vom 11., 12. und 16. April 1977 habe dieser beobachtet, wie zwei männliche Personen - nachdem sie zwei Fahrräder mit Schlössern an das Verkehrszeichen „Durchfahrt verboten“ an der Ecke Wasserwerkstraße/Mittelbruchstraße angekettet hätten, anschließend zu einem unter der Wasserwerksbrücke abgestellten Motorrad (entlang des späteren Fluchtweges) gegangen seien. Er habe die beiden Männer mit seinem Fahrrad verfolgt. Als sie mit dem Motorrad an ihm vorbei weggefahren seien, habe er das Kennzeichen abgelesen. Da er nichts zum Schreiben dabei gehabt habe, sei er zu seinem Garten zurückgefahren und habe das Kennzeichen dort seinem Nachbarn mitgeteilt, der auf einem Zettel D-AY 892 notiert habe. Da sich der Zeuge lediglich um eine Ziffer und eine Zahl geirrt hat, geht der Senat davon aus, dass es sich bei dem von dem Zeugen D. wahrgenommenen Motorrad um das spätere Tatmotorrad gehandelt hat. Im Rahmen seiner ersten Vernehmung hat der Zeuge angegeben, einer der beiden Männer habe Ähnlichkeit mit Günter S. gehabt, so wie er auf dem in der Bild am Sonntag vom 10. April 1977 abgedruckten Foto ausgesehen habe. Bei einer anschließenden Wahllichtbildvorlage habe der Zeuge nach dem verlesenen Vermerk von KHK W. über seine Vernehmung wiederum eine große Ähnlichkeit des Soziusfahrers mit Günter S. festgestellt. Im Rahmen einer Einzelgegenüberstellung (Beobachtung des Günter S. beim Hofgang) im Januar 1978 hat der Zeuge angegeben, bei Günter S. eine Ähnlichkeit mit der Person festzustellen, die das Fahrrad an das Verkehrszeichen angeschlossen habe. Da er die beiden Personen damals lediglich von hinten gesehen habe, habe er sich deren Gesichtszüge nicht einprägen können.

Die Identität der vom Zeugen beobachteten männlichen Personen steht daher nicht genügend fest.

Entweder am 4. April 1977 oder am 5. April 1977 nahm der Zeuge Rolf S. in den Vormittagsstunden ein mit zwei Personen besetztes Motorrad wahr, wie es in der Nähe des Gartengrundstücks seines Vaters bei Wolfartsweier auf einem Feldweg in den Wald fuhr. Sein Vater, Ludwig S., hatte dann das Tatmotorrad am 7. April 1977 nach der Tat beobachtet, sich bei der Polizei gemeldet und das Motorrad zusammen mit dem Polizeibeamten F. in dem Brückenpfeiler der Autobahnbrücke bei Wolfartsweier gefunden. Der Zeuge Rolf S., der erstmals auf Hinweis des Nebenklägers Prof. Dr. B. im Januar 2010 vernommen wurde, hat in der Hauptverhandlung angegeben, er habe 2-3 Tage vor dem Anschlag vom Gartengrundstück seines Vaters in einer Entfernung von ca. 15-25 m auf dem Feldweg ein Motorrad vorbei in Richtung Wald fahren gesehen. Beide Personen auf dem Motorrad hätten Vollhelme aufgehabt. Auf dem Motorrad habe ein Pärchen gesessen, ein Mann als Fahrer und eine Sozia, eine zierliche Person. Der Zeuge konnte weder eine nähere Beschreibung der Person noch des Motorrads abgeben, weshalb nicht sicher feststeht, ob der Zeuge tatsächlich das spätere Tatmotorrad gesehen hat. Die Strecke, die das Motorrad nach Angaben des Zeugen befahren haben soll, führt nach der in Augenschein genommenen Skizze der betreffenden Örtlichkeit sowohl zum späteren Auffindeort des Tatmotorrads aber auch weiter zur damaligen Landesstraße in Richtung Hohenwettersbach. Für einen ortskundigen Fahrer war dies eine zwar nicht zulässige, aber schnellere Möglichkeit, die Ortsdurchfahrt durch Wolfartsweier zu umfahren.

Am 5. April 1977 bemerkte der Zeuge Gottfried R. gegen 16:00 Uhr in Karlsruhe, wie das mit zwei Personen besetzte Motorrad auf der Reinhold-Frank-Straße in Richtung Moltkestraße fuhr. Etwa zur gleichen Zeit war dem Zeugen G. in diesem örtlichen Bereich auch der Alfa Romeo aufgefallen (s.o.). Der Zeuge R., der in der Hauptverhandlung bekundet hat, aktuell über keine Erinnerung mehr an seine damaligen Beobachtungen zu verfügen, hat nach seinen verlesenen Angaben bei seiner polizeilichen Vernehmung am Tattage angegeben, wahrgenommen zu haben, wie etwa 6 m vor seinem Fahrzeug eine japanische Maschine, vermutlich eine Suzuki an einer roten Ampel zunächst gehalten und anschließend in die Moltkestraße eingefahren sei. Es sei ihm aufgefallen, dass das Motorrad einen blauen Tank gehabt habe; am hinteren Schutzblech sei ein großes quadratisches, neues Kennzeichen angebracht gewesen, von dem ihm mit Sicherheit die Buchstaben LU und die 8 in Erinnerung geblieben seien. Die beiden auf dem Motorrad sitzenden Personen seien dunkel gekleidet gewesen; eine weitere Beschreibung könne er nicht abgeben. Der Senat ist danach überzeugt, dass dieser Zeuge das spätere Tatmotorrad gesehen hatte. Erst wenige Stunden zuvor war von einem der „RAF“-Mitglieder das in den Mittagsstunden des 5. April 1977 erworbene Kennzeichenschild an das Motorrad angebracht worden, das der Zeuge anschließend erkannt hatte.

Gegen 19:30 Uhr des 5. April 1977 haben die Zeugen Wolfgang Sch. und Harald F. das Motorrad an der AGIP-Tankstelle in Sachsenheim gesehen. Die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen haben beide angegeben, dass zwei männliche Personen mit einer Suzuki GS 750 auf das Tankstellengelände gefahren seien, als sie gerade ihre Fahrzeuge (F. sein Motorrad Honda; Sch. seinen Dienstwagen) betankt hätten. Während der Zeuge F. als Datum seiner Beobachtungen den 5. April oder den 6. April 1977 genannt hat, war sich der Zeuge Sch. sicher, die Beobachtungen am Dienstag, 5. April 1977 gemacht zu haben, da er regelmäßig dienstags seinen Dienstwagen getankt hätte. Nach den weiteren Angaben dieses Zeugen habe ihn der Motorradfahrer wegen seiner weißen Arbeitskleidung wohl für einen Mitarbeiter der Tankstelle gehalten und habe ihn um Hilfe bei der Prüfung des Luftdrucks an seinem Hinterradreifen gebeten. Der Zeuge habe dem Motorradfahrer daraufhin an den Tankstelleninhaber E. verwiesen, der jedoch keine Zeit gehabt habe und deshalb einen Mitarbeiter hiermit beauftragt habe. Dies war der Zeuge F., der damals an der Tankstelle gelegentlich ausgeholfen hatte. Der daraufhin von dem Motorradfahrer angesprochene Zeuge F. hat dann festgestellt, dass mit dem an der Tankstelle befindlichen Luftschlauch die Luft am Hinterreifen des Motorrads nicht habe überprüft werden können. Beide Zeugen haben den Typ des Motorrads erkannt. Der Zeuge F., der mit einem Motorrad vor Ort gewesen war und sich das Motorrad Suzuki als Motorradinteressierter besonders angeschaut habe, war sich nach einer Lichtbildvorlage sicher, dass es sich hierbei um das spätere Tatmotorrad gehandelt habe. Im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage vom April 1977 war sich der Zeuge Sch. sicher, dass es sich bei dem Motorradfahrer, der ihn angesprochen habe und auch seinen Helm abgesetzt gehabt habe, um Christian K. gehandelt habe. Bei dem Beifahrer, der den Helm nicht abgenommen habe, könne er dies nicht sicher sagen, es könne sich um Knut F. gehandelt haben. Bei einer Wahlgegenüberstellung im Mai 1979 mit Knut F. in der JVA Straubing erkannte der Zeuge Sch. diesen allerdings sicher als denjenigen wieder, den er mit Helm an der Tankstelle gesehen habe. Er habe ihn an der Augenpartie, der gebogenen Nase sowie den Mund und den Bart wieder erkannt. Bei einer Wahlgegenüberstellung im Januar 1979 mit Christian K. in der JVA Frankenthal hatte der Zeuge diesen „ziemlich sicher“ als die Person wiedererkannt, die ihn damals an Tankstelle angesprochen habe. In der Erinnerung seien ihm dessen schmales Gesicht und die hervorstehenden Wangenknochen geblieben. Demgegenüber hat der Zeuge F. nach einer Lichtbildvorlage gemeint, bei dem Mann, mit dem er gesprochen habe, handle es sich um Günter S.. Auch im Rahmen einer Wahlgegenüberstellung mit Günter S. im April 1980 in der JVA Bruchsal hat der Zeuge bei Günter S. Ähnlichkeiten mit der Person festgestellt, der er an der Tankstelle behilflich gewesen war.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in dem Urteil gegen Brigitte M. und Christian K. vom 2. April 1985 insoweit Folgendes festgestellt:

„Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Sch. fuhr K. am 5. April 1977 gegen 19:30 Uhr als Lenker der Maschine an einer Tankstelle in Sachsenheim mit Knut F. als Soziusfahrer vor. An den Fahrer konnte sich Sch. namentlich deshalb genau erinnern, weil dieser ihn irrtümlich für einen Tankstellenbediensteten hielt und ihn ansprach, er wolle die Luft am Fahrzeug prüfen lassen. Hierbei hatte der Motorradlenker seinen Helm abgesetzt, weswegen dem Zeugen Sch. nach seinen glaubhaften Bekunden ausreichend Gelegenheit geboten war, sich auch dessen Gesicht einzuprägen. Bei späteren Gegenüberstellungen hat dieser zuverlässige, äußerst bedachtsam vorgehende Zeuge nicht nur F. - diesen sogar mit Helm -, sondern auch den Angeklagten K. mit großer Sicherheit wiedererkannt. Er blieb hierbei auch in seiner Vernehmung vor dem Senat und konnte ausschließen, von Fahndungs- oder sonstigen Bildern beeinflusst zu sein. Davon ist der Senat überzeugt.“

Der Senat, der sich von der Gewissenhaftigkeit des Zeugen Sch. ein eigenes Bild machen konnte, schließt sich dieser Bewertung auch in Bezug auf die Wiedererkennung des Knut F., den er mit nicht abgesetztem Helm aus kurzer Entfernung eine längere Zeit beobachten konnte, nach eigener Überprüfung an.

Am 6. April 1977 befand sich das mit zwei Personen besetzte Motorrad gegen 9:00 Uhr in Karlsruhe im Bereich der Waldstraße/Kreuzung Hans-Thoma-Straße. Diese Feststellung entnimmt der Senat aus den Angaben des Zeugen Georg F. und den Bekundungen des damaligen Vernehmungsbeamten KHK K., der über die Befragung der Eheleute Georg und Brigitte und deren Sohn Volker F. am 12. Mai 1977 einen entsprechenden Aktenvermerk gefertigt hatte.

Nach den Angaben des Zeugen KHK K. hatte dieser den Auftrag erhalten, den Zeugen Georg F. ergänzend zu dessen telefonisch am 8. April 1977 gemachten Angaben über einen Vorfall vom 6. April 1977 in Karlsruhe mit einem Motorrad zu befragen, worauf er sich am 12. Mai 1977 zur Wohnung der Eheleute F. begeben habe. Georg F. habe bei der Befragung seine telefonisch gemachten Angaben bestätigt, ergänzt und korrigiert. Der Zeuge K. habe nur einen Befragungsvermerk gefertigt, da Georg F. keine nähere Beschreibung der Motorradfahrer habe abgeben können. In der Befragung habe er mit dem Zeugen die von diesem telefonisch gemachten Angaben besprochen, er habe sich gegen 9:00 Uhr an der Ampel der Kreuzung Waldstraße/Zirkel/Hans-Thoma-Straße befunden und seine Ehefrau zum Zwecke eines Einkaufs aussteigen lassen; er sei beim Einbiegen von der Ampel nach rechts in die Hans-Thoma-Straße von einem Motorrad, auf dem sich zwei Personen befunden hätten, rasant überholt und anschließend geschnitten worden. Georg F. habe den letzten Satz des ersten Absatzes des telefonischen Aktenvermerks („im Übrigen trifft die im Fernsehen abgegebene Personenbeschreibung recht genau auf die Motorradfahrer zu“) dahingehend korrigiert, dass er aufgrund der außergewöhnlich kurzen Beobachtungszeit nicht in der Lage gewesen sei, die Motorradbenutzer genau zu beobachten. Diesem sei lediglich noch in Erinnerung, dass der Fahrer des Krades eine schwarze Jacke getragen habe. Genau wisse er, dass Fahrer und Beifahrer gleichartige grün-gelbliche Sturzhelme auf dem Kopf gehabt haben. Der Soziusfahrer habe seitlich an den Körper gepresst eine dunkel-braune Tasche getragen, die durch einen Überwurf verschlossen gewesen sei. Nach Vorlage von Lichtbildern des Tatmotorrads habe Georg F. außerdem erklärt, dass das von ihm beobachtete Fahrzeug dem auf den Lichtbildern dargestellten verblüffend ähnlich sei, er sich insbesondere an die Aufkleber am Tank erinnern könne. Im Anschluss an die Befragung des Georg F. habe der Zeuge KHK K. nach seinen glaubhaften Bekundungen getrennt voneinander hierzu dessen Ehefrau Brigitte und seinen Sohn Volker F. befragt. Sie hätten sich an den Vorfall mit dem Motorrad nicht erinnern können. Beide Befragten hätten angegeben, sie hätten ihr Augenmerk auf die auf dem Vorplatz zum Bundesverfassungsgericht wahrgenommenen Generalbundesanwalt B. und dessen Ehefrau gerichtet.

Der Zeuge Georg F. hat in der Hauptverhandlung angegeben, in den ihm vorgehaltenen Vermerken, die er nicht unterschrieben habe, stehe „verworrenes und irreführendes Zeug“; es seien Dinge notiert, die so nicht hätten passiert sein können. Es sei „absoluter nonsens“, dass er sich entsprechend dem Vermerk an dem damaligen Tag an der Ampel der Kreuzung Waldstraße befunden habe. Er habe vielmehr mit seinem Fahrzeug aus der Unterführung Schlossplatz kommend auf Höhe des Bundesverfassungsgerichts in einer Einbuchtung 30 m vor der Kurve angehalten, um seine damalige Frau und die Kinder, darunter Volker F. aussteigen zu lassen. Während des Anhaltens sei das von ihm erkannte Motorrad schräg vor sein Fahrzeug rübergefahren; es sei in Richtung des Gebäudes Bundesverfassungsgericht etwa 2 m vor sein Fahrzeug zum Stehen gekommen. Vor dem Wachhäuschen des Gerichts habe Generalbundesanwalt B., den er als früheren Nachbar kenne, mit mehreren Personen gestanden. Vorne auf dem Motorrad habe ein Mann mit kräftiger Statur mit Schnauz- und Kinnbart gesessen; die Person auf dem Sozius sei sehr zierlich gewesen mit einer femininen Statur. Zwischen beiden Personen sei ein gravierender Größenunterschied gewesen. Als das Motorrad, von dem er kurze Zeit vor seiner Aussage veröffentlichte Bilder gesehen und eine Übereinstimmung mit seinen Beobachtungen festgestellt habe, nach kurzer Zeit in Richtung Ampel weggefahren sei, habe er die weitere Fahrtrichtung nicht mehr sehen können.

Der Zeuge Volker F., im Jahr 1977 14 Jahre alt gewesen, hat in der Hauptverhandlung angegeben, er könne sich noch gut an den 6. April 1977 erinnern; er sei überzeugt, an diesem Tag das spätere Tatmotorrad gesehen zu haben. Dieser Zeuge schildert allerdings den Grund des Anhaltens des Motorrades, den Ort des Anhaltens seines Vaters sowie die Beobachtung auf die weitere Fahrtstrecke des Motorrads abweichend. Er meint, sein Vater habe kurz nach der Kurve vor der Kunsthalle gehalten. Nach dem Anhalten habe er - im Auto hinten links sitzend - die Tür zur Fahrbahn geöffnet, weshalb das herannahende Motorrad ins Schleudern geraten und bremsend kurz vor dem Fahrzeug seines Vaters zum Stillstand gekommen sei. Entgegen den Angaben seines Vaters habe dieser auch direkt von diesem Beinaheunfall Kenntnis erhalten. Auf dem Motorrad habe er hinten eine ganz kleine Person gesehen, ein „Hüpferle“. Er sei überzeugt davon, dass es eine Frau gewesen sei. Sie habe einen zierlichen Oberkörper und kurze Beine gehabt, wohingegen der Fahrer wesentlich größer und hager gewesen sei. Das Motorrad sei nur kurz gestanden und anschließend in Richtung Ampel zu Kreuzung weitergefahren. Er habe bis zur Kreuzung vorsehen können und meine, das Motorrad sei Richtung Linkenheimer Landstraße abgebogen.

Der Senat lässt die Frage, an welchem Ort das Motorrad an dem Fahrzeug des Zeugen Georg F. vorbeigefahren war, dahinstehen. Da sich aus der Vernehmung des Zeugen Volker F. auch keine weitergehenden Anhaltspunkte als der Eindruck, auf dem Sozius des Motorrads eine zierliche Person bzw. eine Frau gesehen zu haben, ergeben, kann auch offen bleiben, ob und welche Beobachtungen der Zeuge noch konkret in Erinnerung haben konnte. Auch die Vernehmungen der Ehefrau und der Mutter des Zeugen Georg F. brachten hierzu keine weitergehenden Erkenntnisse.

Zu Überzeugung des Senats steht trotz der abweichenden Angaben der Zeugen F. über die Einzelheiten des beobachteten Geschehensablaufes fest, dass an diesem Morgen des 6. April 1977 das spätere Tatmotorrad in Karlsruhe unterwegs war; sichere Feststellungen zur Person des Fahrers bzw. des Sozius können aufgrund der Angaben beider Zeugen nicht getroffen werden. Etwa zur gleichen Zeit hatte die Zeugin J. den Alfa Romeo unter der Autobahnbrücke in Wolfartsweier gesehen (s.o.).

Gegen 13:00 Uhr des gleichen Tages fiel der Zeugin Ursula Z. das Motorrad in der Linkenheimer Landstraße in der Nähe des späteren Tatorts auf. Etwa zur gleichen Zeit befand sich der Alfa Romeo nach den Beobachtungen des Zeugen Gerhard M. beim Bahnübergang in Kleinglattbach (s.o.). Die Zeugin Z., die sich in der Hauptverhandlung noch detailliert an den Vorfall erinnern konnte, hat bekundet, sie habe mit ihrem Pkw am 6. April 1977 gegen 13:00 Uhr an der Kreuzung Linkenheimer Landstraße/Moltkestraße auf der linken Geradeausspur an einer roten Ampel gewartet; neben ihr auf der rechten Geradeausspur sei das von ihr beobachtete Motorrad gestanden. Bei Grün sei das Motorrad in Richtung Innenstadt weggefahren und habe sich an der Stephanienstraße zum Rechtsabbiegen eingeordnet. Auf dem Motorrad habe eine männliche Person gesessen. Als sie neben dem Motorrad gestanden habe, habe dessen Fahrer zu ihr herüber geschaut, so dass sie sein Gesicht habe sehen können. Das Motorrad sei ihr wegen der Aufkleber am Tank aufgefallen. Nach den verlesenen Angaben der Zeugin habe diese vom Kennzeichen LU ablesen können. Sie hätte nach ihren Beobachtungen einem Bekannten gegenüber das Motorrad beschrieben. Sie sei erschrocken gewesen, als sie im Fernsehen das Tatmotorrad gesehen habe. Hierbei habe sie feststellen können, dass ihre Beobachtungen mit den Veröffentlichungen übereingestimmt hätten. Nach Vorlage von Lichtbildern des aufgefundenen Tatmotorrads war sie sich sicher, dieses Motorrad gesehen zu haben. Im Rahmen der polizeilichen Befragung vom 9. April 1977 hat die Zeugin die Ausgabe der Badischen Neuesten Nachrichten vom gleichen Tage vorgelegt und unter Hinweis auf das veröffentlichte Lichtbild von Christian K. angegeben, dies könne der Fahrer des Motorrades gewesen sein. Nach einer Vorlage der Lichtbilder von Christian K., Günter S. und Knut F. bezeichnete die Zeugin Christian K. als die von ihr beobachtete Person. Im Rahmen einer Wahlgegenüberstellung mit Christian K. im Januar 1983 in der JVA Frankenthal erkannte sie diesen nach den Angaben des Zeugen KHK K. in allen drei Durchgängen wieder.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in dem Urteil gegen Brigitte M. und Christian K. vom 2. April 1985 insoweit Folgendes festgestellt:

„Die präzisen, widerspruchsfreien Aussagen der Zeugin Z. beweisen mit der notwendigen Sicherheit, dass K. um die Mittagszeit des 6. April als Motorradfahrer ohne Beifahrer mit der Suzuki durch die Linkenheimer Landstraße in Karlsruhe Richtung Stadtmitte fuhr. Die Zeugin konnte nicht nur die Maschine detailgenau beschreiben, ihr hatten sich auch Aufkleber sowie Teile des Kennzeichens eingeprägt. In ausreichend langer Beobachtungszeit konnte sie sich vor allem auch das Gesicht des an einer ´rot` zeigenden Ampel anhaltenden Motorradfahrers ansehen. Nach ihren glaubhaften Bekundungen hat sie sich wenige Tage nach dem Anschlag vom 7. April nach Aufrufen im Radio gemeldet. Danach verschafften ihr schon Lichtbilder K. den Eindruck, dieser sei an jenem Tag um die Mittagszeit mit der Suzuki im Stadtgebiet Karlsruhe unterwegs gewesen. Ihren glaubhaften Angaben nach schieden F. und S., von denen ihr seinerzeit gleichfalls Lichtbilder vorgelegt wurden, von vornherein als Fahrer aus. Bei einer Gegenüberstellung im Januar 1983 erkannte sie K. in allen drei Durchgängen sofort eindeutig wieder und zeigte auch im Sitzungssaal unmissverständlich auf K. als den damals von ihr beobachteten Motorradfahrer. Erhebliche Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass dieser Zeugin eine besonders gute Beobachtungsgabe eignet: Als frühere Krankenschwester hatte sie laufend mit vielen Personen zu tun, die sich verlässlich zu merken ihr niemals besondere Schwierigkeiten bereitet hat. Dies habe, so die Zeugin, bei ihren Patienten immer wieder Erstaunen bewirkt. Gleichwohl sei ihr klar, dass behutsames Vorgehen bei der Festlegung darauf, ob eine Person zuverlässig wieder erkannt werde, am Platze sei. Hieran habe sie sich stets gehalten, was bei der Vernehmung dieser Zeugin jederzeit auch deutlich zu erkennen war.“

Der Senat schließt sich dieser Beurteilung aufgrund eigener Bewertung an. Die Zeugin hat den Motorradfahrer (mit aufgesetztem Motorradhelm) nach ihren Schilderungen in der Hauptverhandlung eine längere Zeit aus kurzer Distanz beobachtet. Ihre Angaben waren nachvollziehbar und sorgfältig abgewogen; sie hat einen sehr gewissenhaften Eindruck gemacht.

Die vom Senat getroffenen Feststellungen über die Beobachtungen der von den „RAF“-Mitgliedern angeschafften Fahrzeuge vor der Tat setzen voraus, dass täglich weite Fahrstrecken zurückgelegt worden sind. Die Feststellungen lassen sich in Einklang bringen mit den von beiden Fahrzeugen seit deren Beschaffung bis zu der jeweils erfolgten Sicherstellung gefahrenen Kilometern. So wurden mit dem Motorrad nach Angaben des Zeugen EKHK K. von der Anmietung bis zur Sicherstellung rund 800 km zurückgelegt, während nach Angaben des Zeugen Arno M. mit dem von ihm verkauften Alfa Romeo bis zur Sicherstellung des Fahrzeugs in Sachsenheim etwa 1.600 km zurückgelegt wurden.

Die getroffenen Feststellungen belegen außerdem, dass zu den oben bezeichneten Zeitpunkten zwischen dem 4. und 6. April 1977 mindestens drei „RAF“-Mitglieder gleichzeitig unterwegs waren.

c. Erkundungen mit den beiden Damenfahrrädern

In den Nachmittagsstunden des 4. April 1977 hielten sich zwei männliche „RAF“- Mitglieder zu Erkundungszwecken mit den beiden zuvor angeschafften Damenfahrrädern auf den Feldwegen des Bereichs Wasserwerk/ Oberwald/ Autobahndreieck auf. Dies beruht auf den bereits genannten Angaben des Zeugen Franz D. Nach den verlesenen Angaben dieses Zeugen habe er gegen 16:30 Uhr beobachtet, wie zwei Männer die beiden Fahrräder mit Schlössern an das Verkehrszeichen „Durchfahrt verboten“ an der Ecke Wasserwerkstraße/Mittelbruchstraße in Karlsruhe angekettet und einer der beiden Männer mit seinen Handschuhen die Lenkräder und Luftpumpen der Fahrräder - nach dem Eindruck des Zeugen - zum Zwecke der Verwischung von Fingerspuren abgewischt habe. Beide Männer seien anschließend zu dem unter der Wasserwerksbrücke abgestellten Motorrad Suzuki gegangen und weggefahren (s.o.).

Ob sich diese beiden männlichen „RAF“- Mitglieder oder andere Mitglieder der Gruppe bereits am Morgen des 4. April 1977 zu Erkundungen in dieser Gegend aufgehalten hatten oder sie diese am 5. April 1977 bzw. 6. April 1977 fortsetzten, steht nicht fest. Nach den verlesenen Angaben des verstorbenen Zeugen Ludwig R. habe dieser an einem der genannten Tage gegen 8:30 Uhr ebenfalls zwei männliche Personen beobachtet, die ihre Fahrräder mit Zahlenschlösser an dem bereits genannten Verkehrszeichen befestigt hätten und dann in Richtung Wasserwerkbrücke weggegangen seien.

Beide Damenfahrräder wurden nach den Bekundungen des Zeugen KHK Sch. am 12. April 1977 an dem genannten Verkehrsschild angekettet sichergestellt.

Soweit die Fahrräder zum Ausspähen der Fluchtwege benutzt wurden, liegen nach den getroffenen Feststellungen nur Hinweise auf die Beteiligung von männlichen Personen vor.

d. Sonstige Erkundungen

Zu dem Umstand, dass die „RAF“-Mitglieder unmittelbar vor der Tatbegehung über die vorgenannten Vorbereitungen hinaus bestimmte Örtlichkeiten auch zu Fuß auskundschaftet hätten, so u.a. am Tatort waren (nachf. VII.2.c.), konnten in der Beweisaufnahme keine weitergehenden Feststellungen getroffen werden.

6. Schießübungen

Die Feststellungen des Senats zu den durchgeführten Schießübungen in einem Waldstück auf der Gemarkung Schützingen beruhen zunächst auf den Angaben der Zeugen F. (Polizeibeamter beim nächsten Polizeirevier) und B. (Leiter des Forstreviers Schützingen), die beide schilderten, am 4. und 5. April 1977 jeweils gegen 22:00 Uhr zuhause Schüsse aus Richtung des Burgbergs gehört zu haben. Wegen der Vielzahl der Schüsse und ihrer schnellen Folge sei der Zeuge B. von einem Manöver der französischen Streitkräfte ausgegangen. Bei einem ersten Durchstreifen des infrage kommenden Waldstücks am 6. April 1977 konnte der Zeuge B. nach dessen anschaulichen Schilderungen außer Reifenspuren eines Motorrads nichts finden. Eine weitere Nachschau dieser beiden Zeugen und die anschließende Spurensicherung durch KHK Z. jeweils am 8. April 1977 führte zur Sicherstellung dieser Reifenspur, einer Vielzahl von Hülsen und Geschossen und zur Feststellung von zahlreichen Einschüssen in zwei Bäumen, wovon sich der Senat durch Inaugenscheinnahme der von der Örtlichkeit gefertigten Lichtbilder überzeugen konnte.

Nach dem verlesenen Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom BKA stimmt das Profilmuster der sichergestellten, in Gips gegossenen Spur in Form, Lage und Größe mit dem Profilmuster des Tatmotorrades völlig überein. Hiervon konnte sich der Senat auch durch die Inaugenscheinnahme der vom Sachverständigen angefertigten Lichtbilder der sichergestellten Fahrspur einerseits und der Lichtbilder einer von dem Tatmotorrad herrührenden reproduzierten Vergleichsspur andererseits überzeugen. Der Senat entnimmt hieraus in Verbindung mit den weiteren - nachfolgend geschilderten - Umständen seine Überzeugung, dass die sichergestellte Fahrspur durch das spätere Tatmotorrad verursacht wurde.

Von den nach den Angaben des Zeugen Z. und den verlesenen Asservatenverzeichnissen vom 13. April 1977 und vom 16. Mai 1977 an der Schießstelle insgesamt sichergestellten 37 Hülsen, 15 Geschossen und 2 Patronen wurde die weitaus überwiegende Anzahl in der HK 43, der späteren Tatwaffe vom 7. April 1977, gezündet. Dies beruht auf dem verlesenen Gutachten des Schusswaffensachverständigen H. vom BKA, der aufgrund der an den Geschossen bzw. Hülsen vorgefundenen individuellen Merkmalen eine eindeutige Zuordnung treffen konnte.

Nach Überzeugung des Senats war jedenfalls Günter S. an den Schießübungen beteiligt. Dies beruht auf folgenden Umständen:

Zum einen wurde zu den Schießübungen das von S. angemietete und später bei der Tat verwendete Motorrad mitgenommen. Andererseits wurden in Schützingen nach den Feststellungen des Sachverständigen H. vom BKA hinsichtlich der an der Schießstelle sichergestellten Hülsen, Geschossen und Patronen mindestens 2 Geschosse aus einer Pistole Smith & Wesson, Mod. 39, Nr. A215895 Kal. 9 mm Parabellum verfeuert. Diese Waffe hatte Günter S., wie der Zeuge EKHK Sch. berichtete, bei seiner Festnahme am 3. Mai 1977 in Singen in einem Holster bei sich getragen und auch eingesetzt, denn mit dieser Waffe hatte S. - nach den Feststellungen des gegen ihn ergangenen Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart - zuvor den Polizeibeamten S. niedergeschossen. Der Senat geht davon aus, dass es sich bei der im Holster getragenen Waffe um S. persönliche Waffe gehandelt hat. Der Senat nimmt seine Überzeugung aus den Angaben der Zeugen B. und M.-W. Hiernach hatte jedes „RAF“-Mitglied eine persönliche Waffe, die ständig bei sich geführt wurde; so erhielt beispielsweise die Zeugin Silke M.-W. nach ihren Angaben am Abend des 7. April 1977 von Peter-Jürgen B. ihre persönliche Waffe ausgehändigt, was dieser bestätigte. Von diesen persönlichen Waffen sind andere Waffen, insbesondere Langwaffen, zu unterscheiden, die regelmäßig in Depots verwahrt wurden und erst im Rahmen von Aktionen herausgeholt worden sind.

Nachdem bei der vorgenannten Nachschau am 9. April 1977 zwar eine große Menge von Patronen bzw. Hülsen gefunden bzw. aus den beiden Eichenstämmen herausgeschält worden sind, jedoch nach den Angaben des Zeugen Z. auch in der Folgezeit mittels eines Metallsuchgeräts noch weitere Geschosse bzw. Geschossteile aufgefunden werden konnten, geht der Senat insbesondere nach den Angaben der Zeugen B. und F. über die Zahl der wahrgenommenen Schussabgaben in den Abendstunden davon aus, dass nur eine Teilmenge der am 4. und 5. April 1977 verfeuerten Patronen aufgefunden werden konnten. Der Umstand, dass zum Übungsort in Schützingen auch das spätere Tatmotorrad mitgenommen worden war, lässt für den Senat zweifelsfrei den Schluss zu, dass mit den Schießübungen bezweckt wurde, den Umgang mit diesen Waffen zu trainieren.

V. Feststellungen zur Anschlagsdurchführung und zur Flucht

1. Feststellungen zum Ablauf des Geschehens am 7. April 1977

a. Fahrtstrecke des Dienstwagens von Generalbundesanwalt B.

Die Feststellungen zur Fahrtstrecke des Dienstwagens beruhen auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern und Ausschnitten des Stadtplans hinsichtlich der von der Kriminalpolizei rekonstruierten Wegstrecke vom Wohnort des Generalbundesanwalts in der Kirchfeldsiedlung von Karlsruhe-Neureut im Fichtenweg 11 über die Linkenheimer Landstraße bis zur Einmündung der Moltkestraße, dem Tatort. Danach musste der Dienstwagen auf der Fahrt zum Dienstort des Generalbundesanwalts in Karlsruhe in der Herrenstraße nach etwa 500 m Fahrt nach links in die Linkenheimer Landstraße einbiegen, um nach weiterer Fahrt von etwa 4,5 km auf dieser Straße bis zur Einmündung mit der Moltkestraße zu gelangen. Nach dem Einbiegen in die Linkenheimer Landstraße lag im weiteren Verlauf in stadteinwärtiger südlicher Richtung auf der rechten Seite die vom Zeugen Heinrich W. betriebene Esso-Tankstelle Hardtwald. Kurz vor der Einmündung der Moltkestraße befand sich - ebenfalls auf der rechten Seite in Fahrtrichtung Innenstadt gelegen - eine Aral-Tankstelle; direkt dahinter schloß sich ein entlang des parallel zur Straße liegenden Gebäudes der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) befindlicher Parkplatz an. Nach dem Parkplatz kam - nach weiteren etwa 100 m - die ampelgeregelte Einmündung zu der nach rechts abgehenden Moltkestraße, wobei zwei Fahrspuren für die stadteinwärtige Richtung und ein getrennter Fahrstreifen, abgetrennt durch eine kleine Verkehrsinsel, für die Rechtsabbiegerspur zur Moltkestraße angelegt waren.

b. Das Auflauern

Kurz vor dem Anschlag haben sich zur Überzeugung des Senats die zwei Tatgenossen mit dem Motorrad Suzuki GS 750 zur Linkenheimer Landstraße nach Karlsruhe begeben, um dort das Eintreffen des Generalbundesanwalts B. auf seiner Fahrt zu seiner Dienststelle abzuwarten.

aa. Zu diesem Zweck fuhren sie zunächst auf das Gelände der an der Linkenheimer Landstraße befindlichen ESSO-Tankstelle Hardtwald. Dies beruht auf den Angaben des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen Heinrich W. und den verlesenen Angaben des Steven J.. Der Zeuge W. konnte sich in der Hauptverhandlung noch an seine wesentlichen Beobachtungen an diesem Morgen erinnern. Als ein mit zwei Personen besetztes Motorrad neben einer Zapfsäule seiner Tankstelle gehalten habe, sei er hingegangen. Ihm sei dort von den beiden Männern - einer ein dunkler Typ, der auf dem Soziussitz sitzende ein blonder - durch Handzeichen bedeutet worden, dass sie nicht tanken wollten. Er sei deshalb in den Verkaufsraum zurückgegangen und habe von dort aus die beiden Männer weiter beobachtet. Sie hätten Motorradkleidung und Helme getragen. Der Beifahrer, der abgestiegen sei, habe eine Aktentasche mit sich geführt. Bei dem Motorrad habe es sich um eine Suzuki mit hellblauem Tank mit einem Ludwigshafener Kennzeichen gehandelt. Er - der Zeuge W. - sei am Mittag dieses Tages von der Polizei abgeholt und zum Polizeipräsidium gebracht worden. Von dort aus habe man ihn nach Wolfartsweier gefahren. Er habe das Motorrad, das sich noch in dem Brückenpfeiler befunden habe, sicher als die Maschine erkannt, die er nur wenige Stunden zuvor auf seinem Tankstellengelände gesehen habe. Im Rahmen der verlesenen polizeilichen Vernehmung vom 7. April 1977 hatte der Zeuge die von ihm als Männer erkannten Personen, die beide einen grünen Helm aufgehabt hätten, näher beschrieben. Den Soziusfahrer, von dem er beim Ansprechen aus der Nähe einen Handrücken mit rotblonden Haaren gesehen habe, habe er größer eingeschätzt als den Fahrer. Der Soziusfahrer habe aus einer braunen Aktentasche einen Schraubenzieher entnommen und mit diesem am Motorrad herumgeschraubt. Die Aktentasche sei sehr gespannt gewesen, so als ob sich ein Kfz-Kennzeichen darin befunden hätte. Außerdem habe der Soziusfahrer die Rückstrahler des Motorrads abgewischt, obwohl das Motorrad einen sauberen Eindruck gemacht habe. Während ihres Aufenthalts hätten beide Personen auf die Linkenheimer Landstraße geschaut, als ob sie nach jemand Ausschau gehalten hätten. Nach einiger Zeit sei das Motorrad extrem langsam stadteinwärts gefahren.

Die Beobachtungen des Zeugen W. hinsichtlich der von ihm wahrgenommenen zwei männlichen Personen auf dem Motorrad werden bestätigt durch die Angaben des Zeugen Steven J. in dessen polizeilicher Vernehmung vom 11. April 1977. Der Zeuge hatte zur gleichen Zeit sein Fahrzeug an der ESSO-Tankstelle betankt.

Weder der Zeuge W. noch der Zeuge J. konnten die von ihnen wahrgenommenen männlichen Personen mit der erforderlichen Sicherheit identifizieren. In seiner polizeilichen Vernehmung am 8. November 1977 hat der Zeuge W. erklärt, dass die in seiner Vernehmung im April 1977 hinsichtlich des Soziusfahrers angegebenen Merkmale mit denen des ihm am 13. Oktober 1977 in Utrecht/NL gegenübergestellten Knut F. identisch seien und die Größe, Statur und Haltung weitgehend übereinstimme. Lediglich die Haarlänge sei abweichend; der Soziusfahrer habe nicht so kurzes Haar wie in der Gegenüberstellung, sondern so langes Haar gehabt, dass es deutlich unter dem Sturzhelm herausgeragt hätte. Der Zeuge J. hatte in einer am 22. Februar 1978 durchgeführten Wahlgegenüberstellung mit Knut F. in Utrecht diesen lediglich im zweiten Durchgang mit 80-90-prozentiger Sicherheit als Soziusfahrer wieder erkannt.

Da der Dienstwagen während des mehrminütigen Aufenthalts der Täter an der ESSO-Tankstelle entgegen ihren Erwartungen nicht eintraf, fuhren sie - nach den Angaben des Zeugen W. - langsam in stadteinwärtiger Richtung weiter.

bb. Dass die beiden Täter mit dem Motorrad anschließend langsam auf der Linkenheimer Landstraße weiter fuhren, stimmt überein mit den Beobachtungen des Zeugen Rudolf B. Nach den verlesenen Angaben des in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen vom 7. April 1977 sei er an diesem Tage in seinem PKW gegen 9:00 Uhr von Eggenstein kommend auf der Linkenheimer Landstraße Richtung Karlsruhe unterwegs gewesen, als ihm in Höhe der Gaststätte „weißes Haus“ ein schweres Motorrad mit Ludwigshafener Kennzeichen aufgefallen sei, da dieses mit 10-15 km/h Geschwindigkeit am Straßenrand gefahren sei. Beide Personen auf der Maschine hätten grüne Vollschutzhelme getragen. Neben dem Umstand, dass dem Eindruck des Zeugen nach der Sozius untersetzt und von kräftiger Gestalt gewesen sei, konnte dieser zu weiteren Einzelheiten keine Angaben machen.

Auch der Zeuge Gunter B. hatte das Tatmotorrad überholt. Nach den Angaben des in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen vom 7. April 1977 habe dieser auf seiner Fahrt gegen 9:00 Uhr in Richtung Karlsruhe auf der Linkenheimer Landstraße ein mit zwei Personen besetztes schweres Motorrad mit Ludwigshafener Kennzeichen, welches nur mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h gefahren sei, in Höhe der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) überholt. Beide Personen hätten dunkle Sturzhelme aufgehabt. Bei der Person auf dem Sozius habe es sich um eine schlanke, zierliche Person gehandelt, die er seinem Eindruck nach als Mädchen angesehen habe.

cc. Nach den Feststellungen des Senats haben die beiden Täter anschließend auf dem an der Linkenheimer Landstraße nach der ARAL-Tankstelle gelegenen Parkplatz entlang des Gebäudes der VBL auf die Vorbeifahrt des Dienstwagens gewartet. Dies beruht auf den Angaben der Zeugen Karla H., Günter B., Rolf F., Ulf K. und Lioba L. und den in Augenschein genommenen Lichtbildern über die örtlichen Verhältnisse und die Lage des Parkplatzes zur Straße. Die o.g. Zeugen haben sich gegen 9:00 Uhr gemeinsam in einem Dienstzimmer in dem an den Parkplatz nach hinten versetzt liegenden Gebäude der VBL aufgehalten und Frühstückspause gemacht. Hierbei sei ihnen nach ihren gleichlautenden Angaben aus einer Entfernung von etwa 50 m eine mit zwei Personen besetzte schwere „Maschine“ mit blauem bzw. metallic-blauem Tank aufgefallen, welche auf dem Parkplatz an der Straßeneinmündung zur Linkenheimer Landstraße gestanden habe, wobei sie jeweils den Eindruck gehabt hätten, die beiden auf dem Motorrad sitzenden Personen warten auf etwas oder hätten nach etwas Ausschau gehalten. Die beiden Personen seien nach ihrer Einfahrt auf den Parkplatz bis zur Straßeneinmündung vorgefahren und hätten das Motorrad mit den Füßen wieder zurückgeschoben. Die Zeugen haben allerdings unterschiedliche Beobachtungen dahingehend gemacht, ob die beiden Personen (die Zeugen F. und H. haben in ihren polizeilichen Vernehmungen angegeben, ihrem Eindruck nach hätte es sich bei beiden Personen um Männer gehandelt; die anderen Zeugen konnten sich nicht festlegen) mit dem Motorrad nur einmal oder mehrmals zur Straßeneinmündung vorgefahren seien und das Motorrad dann zurückgeschoben hätten und ob sich nach dem Zurückschieben des Motorrads nicht nur der Sozius, sondern auch beide auf dem Motorrad sitzend Personen nach unten gebeugt und dort „rumgefuchtelt" hätten; dies kann jedoch dahinstehen, da jedenfalls aus den geschilderten Umständen und den ebenfalls gleichlautenden Angaben der Zeugen dahingehend, dass die Zeugen nach der beobachteten Wegfahrt des Motorrads vom Parkplatz in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang aus Richtung der Einmündung Moltkestraße in die Linkenheimer Landstraße mehrere Schüsse gehört hätten, für den Senat feststeht, dass die beiden Täter auf diesem Parkplatz auf die Vorbeifahrt des Dienstwagens gewartet hatten und nach Eintreffen des Dienstwagens diesem auch hinterher gefahren waren. Hieran vermag auch der Umstand, dass die Zeugen das Kennzeichen des Motorrads nicht ablesen konnten und teilweise unterschiedliche Angaben über den Typ und die Merkmale des Motorrades und der auf diesem sitzenden beiden Personen gemacht haben, nichts zu ändern.

Dass die Täter auf dem vorgenannten Parkplatz gewartet hatten, wird auch von der Zeugin Margarete W. bestätigt. Die Zeugin, nach ihren Angaben eine begeisterte Motorradbeifahrerin, hatte in ihren bisherigen polizeilichen Vernehmungen nur ausführliche Angaben zu dem aus ihrem Dienstzimmer der VBL beobachteten Tatgeschehen gemacht. In der Hauptverhandlung hat sie nach Verlesung ihrer Angaben in den polizeilichen Vernehmungen ergänzend bekundet, ihr sei dieses Motorrad bereits vor dem Vorfall aufgefallen, weil es direkt vor ihrem Gebäude auf dem Parkplatz hin und her gefahren sei; hierüber habe sie sich gewundert. Dann habe sie gesehen, wie das Motorrad vom Parkplatz runter und hinter dem Mercedes in Richtung Ampel gefahren sei. Soweit die Zeugin allerdings der Meinung war, das Motorrad auf dem Parkplatz bereits etwa 10-15 min vor dem Vorfall gesehen zu haben, geht der Senat im Hinblick auf die zuvor getroffenen Feststellungen davon aus, dass sich die Zeugin hierüber getäuscht hat.

Auch der Zeuge Siegfried W. will von seinem Bürozimmer des VBL aus auf dem Parkplatz entlang des Gebäudes ein mit zwei Personen besetztes Motorrad gesehen haben. Der Zeuge hat in der Hauptverhandlung angegeben, er hätte in seinem Zimmer im Erdgeschoss des Hauses 3 der VBL zusammen mit seinem Kollegen, dem Zeugen V. und seinem Vorgesetzten, Herrn G. gefrühstückt. Während sein ihm gegenüber sitzender Kollege V. Blick auf die Kreuzung gehabt habe, habe er von seinem Sitzplatz aus auf den Parkplatz vor dem Gebäude sehen können und dort ein mit zwei Personen besetztes Motorrad wahrgenommen, das rückwärts in den Parkplatz hereingerollt sei und an der Einfahrt zum Parkplatz gestanden habe. Die Personen auf dem Motorrad hätten Helme aufgehabt; er könne nicht mehr sagen, ob es sich um Männer oder Frauen gehandelt hätte. Das Motorrad könne er nicht weiter beschreiben. In seiner polizeilichen Vernehmung vom 7. April 1977 hatte der Zeuge demgegenüber angegeben, er habe auf dem Parkplatz vom Fenster seines Büros aus gegen 8:40 Uhr ein mit zwei Personen besetztes Motorrad wahrgenommen. An dem Motorrad seien hinten Packtaschen angebracht gewesen. Beide Personen auf dem Motorrad hätten weiße Sturzhelme getragen. Seiner Meinung nach hätte hinten wegen der ziemlich zierlich erscheinenden Gestalt eine Frau gesessen, weil unter dem Motorradhelm schulterlange dunkelblonde Haare herausgeragt seien. Da seine Kollegen und auch sein Chef nach dem Vorfall von einem Motorradfahrer gesprochen hätten, habe er angenommen, dass dieser Motorradfahrer die ganze Zeit über vor dem Gebäude gestanden hätte. Der Senat geht wegen der abweichenden Beschreibung des Motorrads, der getragenen Helme und des Beobachtungszeitraums davon aus, dass der Zeuge bei seinen Beobachtungen nicht die späteren Täter wahrgenommen hat.

dd. Soweit weitere Zeugen in der Hauptverhandlung angegeben haben, an diesem Tag unmittelbar vor dem Attentat das Tatmotorrad in Karlsruhe gesehen zu haben, kann der Senat den Angaben der Zeugen aus folgenden Gründen nicht folgen:

(1) So hatte sich am 7. April 1977 der Zeuge Manfred A. bei der Kriminalpolizei in Karlsruhe gemeldet und angegeben, er habe von Arbeitskollegen erfahren, dass der Generalbundesanwalt erschossen und in diesem Zusammenhang von einem Motorrad gesprochen worden sei. Er habe an diesem Morgen des 7. April 1977 gegen 7:50 Uhr auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle die Unterführung am Schlossgarten in Karlsruhe befahren, als ihm ein Motorrad aufgefallen sei, das durch die Unterführung gefahren und dabei vor ihm fahrende Fahrzeuge ziemlich schnell und im Slalom überholt hätte. Er sei deshalb bei der Dienststelle erschienen, da die Möglichkeit bestanden habe, dass das von ihm beobachtete Motorrad mit der Sache etwas zu tun haben könnte. Beide Personen auf dem schweren schwarzen Motorrad eines ihm nicht bekannten Typs hätten schwarze Lederbekleidung getragen und Sturzhelme aufgehabt, wobei die Farbe des Sturzhelms des Fahrers gelblich gewesen sei. Auf dem Soziussitz sei vermutlich eine weibliche Person gesessen, was er aus der Figur der betreffenden Person geschlossen habe. Diese Person, die einen gelben Helm getragen habe, habe sich nur mit einer Hand beim Fahrer festgehalten und die andere Hand zwischen sich und den Fahrer gehalten. Das Kennzeichen des Motorrads habe er nicht ablesen können. Das Motorrad sei dann nach rechts in die Linkenheimer Landstraße abgebogen, während er an der dortigen vor der Abbiegung befindlichen Ampelanlage habe anhalten müssen. Da mangels näherer Angaben zu Maschine und Kennzeichen und aufgrund abweichender Angaben zu den Farben des bei der Tat verwendeten Motorrads und der beiden später sichergestellten Helme eine Übereinstimmung auszuschließen war, verblieb dieser Hinweis ursprünglich in den Spurenakten und wurde nicht die Sachakten aufgenommen.

Im April 2010 meldete sich der Zeuge erneut beim Polizeipräsidium Karlsruhe im Hinblick auf einen zuvor über das Attentat angeschauten Filmbericht in 3sat und teilte mit, dass er das in der Fernsehsendung gezeigte Tätermotorrad am Tag des Attentats in Karlsruhe gesehen und doch bereits in seiner damaligen Vernehmung gegenüber der Polizei auch gesagt habe, bei der Person auf dem Sozius zweifelsfrei auch eine Frau erkannt zu haben, wobei die Frau in einer Hand eine Tasche gehalten hätte. Im Rahmen einer daraufhin durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung und auch in der Hauptverhandlung hat der Zeuge demgegenüber gleichlautend angegeben, er sei auf seiner Fahrt zur Arbeitsstelle - von der Autobahn kommend - über die Durlacher Allee und Kaiserstraße in Richtung Unterführung Schlossplatz an einer Ampelanlage in Höhe der Kunsthalle links neben dem Motorrad zum Stehen gekommen. Er habe hierbei sehen können, dass an dem Motorrad „aggressive“ Symbole, wie z.B. ein Tiger angebracht gewesen seien. Aus der Bewegung und der Figur, insbesondere der ab der Taille abwärts sichtbaren Körperform habe er geschlossen bzw. sei er sich sicher, dass es sich bei der Person auf dem Soziussitz um eine zierliche Frau gehandelt habe, da der Fahrer im Vergleich zu ihr viel größer gewesen sei. Die Frau habe sich mit der rechten Hand am Körper des Motorradfahrers gehalten und hätte in der linken Hand zwischen sich und dem Motorradfahrer eine braune längliche Tasche gehalten. Beide Personen hätten um die Mundpartie ihres Gesichts einen Schal gewunden gehabt; er habe keine Vollvisierhelme gesehen. Der Helm, den die Frau getragen habe, sei grünlichfarben gewesen. Seiner Erinnerung nach habe er den Eindruck gehabt, dass dieser Helm umgespritzt und die ursprüngliche Grundfarbe des Helms weiß gewesen sei; bezüglich des Letzteren sei er sich jedoch nicht hundertprozentig sicher.

Den in der Hauptverhandlung gemachten Angaben des Zeugen kann der Senat nicht folgen. Der Zeuge hat 33 Jahre nach seinen ursprünglichen Beobachtungen nunmehr hinsichtlich wesentlicher Umstände abweichende bzw. detailliertere Angaben gemacht. Während er im Jahr 1977 noch in der protokollierten und von ihm unterschriebenen Vernehmung angegeben hatte, das Motorrad sei schwarz gewesen und er könne sich an keine wesentlichen Details mehr erinnern, da sich die Überholvorgänge so schnell abgespielt hätten, dass er das Kennzeichen nicht habe ablesen können, weil er an der Ampel vor der Abbiegung zur Linkenheimer Landstraße habe anhalten müssen, während das Motorrad habe weiterfahren können, begründet er seine detaillierteren Angaben zum Motorrad, insbesondere zu den darauf befindlichen Aufklebern mit dem Umstand, dass er an der Ampelanlage neben dem Motorrad zum Stehen gekommen sei. Diesen Widerspruch zu seinen ursprünglichen Angaben vermag er aber nicht zu erklären. Nach Vorlage der beiden sichergestellten Motorradhelme hat der Zeuge auch in der Hauptverhandlung angegeben, dass diese nicht die Farbe hätten, die er in Erinnerung hätte. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass der Zeuge am 7. April 1977 nicht das Tatmotorrad gesehen hat.

(2) Dies gilt auch für den Zeugen Roland B. Der Zeuge, der sich in der Hauptverhandlung an keinerlei Details seiner damaligen Beobachtungen mehr erinnern konnte, sondern lediglich bekundete, er sei immer die gleiche Strecke von seiner Wohnung in Leopoldshafen zur Universität nach Karlsruhe gefahren und hierbei auf ein mit zwei Personen besetztes Motorrad aufmerksam geworden, das er 4-5 Mal, einmal im Bereich der BNN, gesehen habe. Der Zeuge hatte sich am 7. April 1977 gegen 22:00 Uhr bei der Kriminalpolizei in Karlsruhe gemeldet und telefonisch angegeben, er sei an diesem Morgen gegen 8:40 Uhr auf seinem Weg von Leopoldshafen zur Universität nach Karlsruhe ab dem Bereich einer Baustelle zwischen Leopoldshafen und Eggenstein hinter einem Motorrad hergefahren, das er auf der Linkenheimer Landstraße in Höhe der BNN habe überholen können. Nach seinen Angaben habe er dieses Motorrad am vergangenen Donnerstag und Freitag, letzten Dienstag, Mittwoch und am Tage seiner telefonischen Meldung gesehen. Es sei immer ziemlich langsam gefahren. Es habe sich um ein ziemlich verschmutztes (mit Lehm oder Erde) und dunkles Motorrad mit dem Kennzeichen LU gehandelt, auf dem jedes Mal zwei Personen saßen; er habe geglaubt, dass der Fahrer ein Mann und der Soziusfahrer eine Frau gewesen sei. Die beiden Personen hätten schwarzes Lederzeug getragen und dunkle Helme aufgehabt. Am Tage der Anzeigeerstattung habe er noch die zusätzliche Beobachtung gemacht, dass die Soziusfahrerin im Verhältnis zu ihrer Figur einen sehr ausgeprägten Bauch gehabt hätte, sodass er angenommen habe, dass sie etwas unter ihrer Jacke verborgen hatte.

Nach Überzeugung des Senats hat auch dieser Zeuge nicht das spätere Tatmotorrad gesehen. Dies beruht bereits auf dem Umstand, dass das Tatmotorrad aufgrund des bereits zuvor erwähnten Ergebnisses der Beweisaufnahme erst am 2. April 1977 (dem Samstag vor der Karwoche) in Düsseldorf angemietet worden war, während nach den Beobachtungen des Zeugen dieser das Motorrad (er erwähnt nur ein Motorrad), schon in der Vorwoche gesehen haben will. Nach den weiteren Feststellungen hatte das bei der Tat verwendete Motorrad erst am Dienstag, den 5. April 1977 ab den Mittagsstunden das später bei ihm festgestellte Falschkennzeichen LU-NL 8 erhalten. Hinzu kommt, dass der Zeuge ein ziemlich verschmutztes und dunkles Motorrad beschrieben hat, während der Tank des bei der Tat verwendeten Motorrads tatsächlich von einem kräftigen Blau war und bei seiner Sicherstellung keine starken Verschmutzungen aufwies (s. nachf V.2.a.bb.). Auch auf den Zeugen W., der das Motorrad kurz vor der Tat noch auf seiner Tankstelle gesehen hatte, hatte es nach dessen Angaben einen ziemlich sauberen Eindruck gemacht (s.o.V.1.b.). Bereits aus diesen Erwägungen vermögen daher auch die ergänzenden Beobachtungen des Zeugen in seiner telefonischen Meldung hinsichtlich dessen Annahme, die auf dem Sozius sitzende Person habe etwas unter ihrer Jacke verborgen, zu keiner anderen Bewertung führen. Die vom Senat in Augenschein genommene Tatwaffe weist trotz der erfolgten Kürzung noch eine solche Länge auf, dass sie allein schon deswegen von einer auf dem Motorrad sitzenden kleineren weiblichen Person nicht unter einer Jacke verbogen werden konnte. Nach den weiteren Feststellungen (siehe nachf. V.1.c.bb.) geht der Senat auch davon aus, dass die Tatwaffe zur Tatausführung in einer braunen Reisetasche zwischen den beiden auf dem Motorrad sitzenden Personen mitgeführt worden war.

(3) Die Zeugin Martha B., Ehefrau des früheren Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof Karl-Heinz B., hat - erstmals im Herbst 2009 - auch Angaben zu einem von ihr am Morgen des 7. April 1977 beobachteten, mit zwei Personen besetzten Motorrad gemacht.

Nach ihren Angaben in einer polizeilichen Vernehmung im September 2009 habe sie einen Aufruf in der Zeitung hinsichtlich Hinweisen aus der Bevölkerung zu dem damaligen Anschlag gelesen und Prof. Dr. B., als dieser im Staatstheater in Karlsruhe einen Vortrag gehalten habe, angesprochen und ihm kurz von ihren Beobachtungen am Gründonnerstag 1977 erzählt. Sie hätte dann im August von Prof. Dr. B. einen Anruf bekommen. Im Rahmen dieses Telefonats habe Prof. Dr. B. sie gefragt, ob sie sich sicher sei, dass auf dem hinteren Motorradsitz eine zierliche Person gesessen sei, die eine braune Umhängetasche getragen hätte, die länglich gewesen sei und ob sie sich auch noch an die Autonummer (er habe von LU gesprochen) habe erinnern können, wobei sie beide Fragen bejaht habe. Zu ihren eigentlichen Beobachtungen hat die Zeugin gegenüber der Polizei angegeben, sie sei am 7. April 1977 zwischen 8:00 und 9:00 Uhr in Karlsruhe auf der Durlacher Allee auf Höhe der (St.) Bernhard-Kirche an einer Ampel hinter einem Motorrad gestanden, auf dem zwei schwarz bekleidete Personen mit schwarzen Helmen und schwarzen Visieren gesessen hätten. Auf der Rückbank des Motorrads hätte eine zarte Person, für ihre Begriffe eine Frau, gesessen, die über die linke Schulter eine längliche Umhängetasche umhängen gehabt hätte. Das Motorrad sei bei Grün in Richtung Kaiserstraße weitergefahren.

Prof. Dr. B., der in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung die Kontakte mit der Zeugin bestätigt hat, hat seine Informationen diesbezüglich der Bundesanwaltschaft mitgeteilt. In einem Schreiben vom 26. August 2009 an Bundesanwalt H. hat der Nebenkläger angeführt, dass er gestern mit der Frau des inzwischen verstorbenen Ermittlungsrichters beim BGH Prof. B. gesprochen habe. Diese habe am 7. April 1977 in Karlsruhe beim Durlacher Tor aus Richtung Durlach kommend im Zeitraum von 8:00 bis 8:40 Uhr ein mit zwei vermummten Personen besetztes Motorrad gesehen. Die Person auf dem Sozius habe eine Umhängetasche, in der sich nach Meinung der Zeugin ein Gewehr befunden habe, dabei gehabt. Die Zeugin sei sich sicher, dass die Person auf dem Sozius eine zierliche Frau, deutlich kleiner als der Motorradfahrer, gewesen sei. Auch habe sie es für möglich gehalten, dass das Motorrad ein Ludwigshafener Kennzeichen getragen hätte, insoweit sei sie sich aber nicht sicher.

Im Rahmen der im Oktober 2009 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Befragung hat die Zeugin nach Bestätigung der ihr vorgelesenen polizeilichen Angaben ergänzend angegeben, das Motorrad habe an der Ampel auf der Durlacher Allee vor der Georg-Friedrich-Straße im Abstand von ca. 60 cm vor ihr gestanden. Hinsichtlich der Uhrzeit könne es auch zwischen 9:00 Uhr und 9:15 Uhr gewesen sein. Die beiden Personen auf dem Motorrad seien beide vollkommen schwarz gekleidet gewesen, hätten schwarze Helme mit schwarzen Visieren getragen. Die schwarzen Visiere habe sie noch heute vor Augen. Die Person auf dem Sozius, bei der sie sich sicher sei, dass es sich wegen deren schlanken Taille und deren weiblichen Gesäßform um eine Frau gehandelt habe, hätte die Tasche über die linke Schulter umhängen gehabt. Die Motorradfahrer seien ihr aufgefallen, da sie eine Grünphase nicht wahrgenommen hätten. An das Kennzeichen des Motorrads und an etwas Blaues am Motorrad könne sie sich nicht erinnern. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat die Zeugin bekundet, sie habe das Motorrad vor ihr an der Ampel stehen gesehen, als sie gegen 9:15 bis 9:20 Uhr auf der Durlacher Allee an der Ecke Friedrich-Straße habe anhalten müssen. Bei Grün sei das Motorrad nicht losgefahren; das sei ihr verdächtig vorgekommen. Für ihre Begriffe sei auf dem Soziussitz eine Frau gesessen; von der geschwungenen Hüfte her sei es „zu 90 % eine Frau“ gewesen. Sie habe immer gedacht, die Kleidung und die Helme seien schwarz gewesen; nun habe sie gelesen, dass dies nicht der Fall sei. Sie könne es jetzt nicht mehr sagen bzw. sie wolle sich dazu nicht mehr äußern. Heute könne sie jedoch sagen, dass das Kennzeichen mit LU begonnen habe.

Zwar ist es zeitlich durchaus möglich, dass die Täter auf ihrem Weg von der in Mannheim gelegenen Kommandowohnung nach Karlsruhe nach 8:00 Uhr auf der Durlacher Allee in Richtung Kaiserstraße bzw. Georg-Friedrich Straße gefahren sein könnten, jedoch geht der Senat aufgrund der Beschreibung der Zeugin der von ihr beobachteten Motorradfahrer bezüglich der Kleidung und der Helme und aufgrund des Umstandes, dass die Zeugin durchgehend von einer Umhängetasche berichtet hat und im Rahmen der vor der Hauptverhandlung durchgeführten Vernehmungen das Motorrad nicht weiter beschreiben konnte und sich auch zunächst hinsichtlich des Kennzeichens nicht sicher war, davon aus, dass die Zeugin am Gründonnerstag des Jahres 1977 in den Morgenstunden jedenfalls nicht die späteren Täter beobachtet hat.

(4) Im Oktober 2010 hatte sich der seit September 2007 wegen verschiedener Betrugsdelikte in der JVA Freiburg einsitzende Wolfgang B. bei der Bundesanwaltschaft gemeldet und im Rahmen einer daraufhin veranlassten Zeugenvernehmung gegenüber dem Bundeskriminalamt angegeben, er sei am 7. April 1977 zwischen 8:30 und 9:30 Uhr als Auslieferungsfahrer in Karlsruhe an der auf der Linkenheimer Landstraße kurz vor der Einmündung zur Moltkestraße befindlichen Aral-Tankstelle gewesen, um dort zu tanken. Ihm sei hierbei ein mit zwei Personen besetztes Motorrad auf dem Gelände der Tankstelle aufgefallen, weil dieses unmittelbar an der Ausfahrt der Tankstelle gestanden habe. Er selbst habe nach dem Tanken im Ausfahrtsbereich angehalten, um die Tankung in sein Fahrtenbuch einzutragen. Hierbei habe ihn der Motorradfahrer mit einem Handzeichen darauf aufmerksam gemacht, den Ausfahrtsbereich freizumachen. Er sei daraufhin über die Linkenheimer Landstraße und die Moltkestraße bis in die Erzberger Straße weitergefahren, um eine Lieferung in der dortigen Moltke-Apotheke abzugeben. Nach erfolgter Lieferung habe er auf dem Weg zu seinem Wagen schussähnliche Geräusche gehört. Er könne keine Angaben zum Typ und zur Farbe des Motorrades machen. Auch nach einer verfolgten Fernsehberichterstattung über den Anschlag könne er nicht angeben, ob es sich bei dem darin gezeigten Motorrad um das Motorrad gehandelt habe, welches er auf der Tankstelle gesehen habe. Beide Personen auf dem Motorrad seien dunkel gekleidet gewesen und hätten Helme getragen, die er nicht näher beschreiben könne. Der Motorradfahrer habe auf ihn groß und schlank gewirkt, während die Person auf dem Sozius eine zierliche, auf ihn kindhaft erscheinende, Figur gehabt habe. Die Person auf dem Sozius habe eine Aktentasche in den Händen gehalten, die im Verhältnis zu der Person sehr groß gewirkt habe. Der Zeuge hat diese Angaben in der Hauptverhandlung bestätigt, meint jedoch, er sei etwa gegen 8:15 Uhr in Karlsruhe angekommen. Die Personen auf dem Motorrad hätten helle Helme aufgehabt. Die von ihm nach Belieferung der Moltke-Apotheke wahrgenommenen Schüsse habe er etwa 12 Min., nachdem er von der Tankstelle losgefahren gewesen sei, gehört. Er habe am selben Tag noch von dem Anschlag gehört, habe damals aber keinen Zusammenhang mit seinen Beobachtung gesehen. Er könne nur vermuten, dass er seine Beobachtungen auch am 7. April 1977 gemacht habe.

Da der Zeuge in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung keine näheren Angaben zu Motorrad bzw. dessen Kennzeichen machen konnte und sich schlussendlich auch nicht sicher war, ob er seine Beobachtungen am Tattage gemacht hat, kann nicht festgestellt werden, dass er tatsächlich die späteren Täter wahrgenommen hat.

ee. Die Täter mussten am 7. April 1977 eine längere Zeit als - aufgrund der Ausspähungen - eigentlich erwartet auf das Eintreffen bzw. auf die Vorbeifahrt von Generalbundesanwalt B. mit seinen Dienstwagen warten. Dies deshalb, weil sich die Abfahrt von Generalbundesanwalt B. an diesem Morgen an seiner Wohnung verzögert hatte, weil der Dienstwagen zunächst nicht angesprungen war. Dies beruht auf den glaubhaften Angaben des Nebenklägers Prof. Dr. B., der unter anderem auch die Umstände der Fahrt seines Vaters von der Wohnung zu seiner Arbeitsstelle an diesem 7. April 1977 hinterfragt hatte. Da der eigentliche (Chef-) Fahrer seines Vaters, Herr J., im Urlaub gewesen sei, sei Wolfgang G. eingesprungen. Sein Vater hätte auf diesen Fahrten keinen Sicherheitsbeamten in Begleitung dabei gehabt. Er gehe davon aus, dass Georg W. bei den Schwierigkeiten mit dem Pkw geholfen habe und deshalb mitgefahren sei.

c. Das Attentat

Die Feststellungen zum eigentlichen Ablauf des Attentats beruhen:

- auf Angaben der Zeugen, die an der o.g. Einmündung von ihren Fahrzeugen heraus, von den Fenstern ihrer Büros in den angrenzenden Gebäuden der VBL bzw. von ihrer Wohnung oder als Passanten das Geschehen oder jedenfalls Ausschnitte davon beobachtet hatten,

- auf den Erkenntnissen, die die Polizeibeamten im Rahmen der Beweissicherung vor Ort getroffen haben,

- auf den Angaben der Sachverständigen, die die Obduktion der drei durch den Anschlag getöteten Personen durchgeführt haben, die Kleidung dieser Personen, den Dienstwagen und das Tatmotorrad untersucht und den Ablauf sowohl aus rechtsmedizinischer wie auch aus unfallanalytischer Sicht rekonstruiert haben,

- auf den in Augenschein genommenen Bildern und Skizzen von der Tatörtlichkeit und von den Sichtverhältnissen auf die Kreuzung, die von den Zeugen, die selbst an Ort und Stelle waren, erläutert wurden.

aa. Die Feststellungen zum äußeren Ablauf des Tatgeschehens ab dem Heranfahren der Täter an den auf der rechten Geradeausspur der Linkenheimer Landstraße vor der Rotlicht anzeigenden Ampel stehenden Dienstwagen des Generalbundesanwalts B. bis zur Flucht der Täter von der Tatörtlichkeit hat der Senat einerseits aus den Angaben von Hamdijer H., Dieter W., Eva Sch. (vormals E.), Albrecht F., Margarete W., Erika K. (vormals W.), Elisabeth O. und Berta R. entnommen, die bereits vor Abgabe der Schüsse Beobachtungen gemacht und den weiteren Geschehensablauf an der bezeichneten Einmündung in den wesentlichen Details gleichlautend von unterschiedlichen Standpunkten aus berichtet haben.

Während der Zeuge H. seine Beobachtungen aus seinem gelben Ascona, der an dieser Einmündung auf der linken Geradeausspur direkt neben dem Dienstwagen angehalten hatte, gemacht hat, konnte der Zeuge W. die Vorgänge aus seinem direkt hinter dem Dienstwagen auf der rechten Geradeausspur befindlichen Fahrzeug heraus beobachten. Die Zeugin Sch. befand sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Fahrzeug rechts neben dem Dienstwagen auf der in die Moltkestraße führenden Rechtsabbiegerspur.

Die Zeugin Berta R. konnte die Vorgänge vom Parkplatz vor dem Gebäude der VBL aus beobachten; die weiteren o.g. Zeugen haben ihre Wahrnehmungen aus verschiedenen Dienstzimmern der VBL gemacht und hierüber - mit Ausnahme der bereits verstorbenen Zeugin Elisabeth O. - in der Hauptverhandlung berichtet.

Die Angaben dieser Zeugen werden in Teilen ergänzt bzw. bestätigt durch die Zeugen Alf B., Jürgen V., Lothar F., Manfred L., Wolfgang R., Hans B., Christian W., die allesamt durch die mit der Schussabgabe verbundenen Geräusche auf das Geschehen aufmerksam geworden sind und ihre anschließenden Beobachtungen nach Beginn der Schussabgabe aus verschiedenen Dienstzimmern der VBL gemacht haben.

bb. Zu den Einzelheiten des Geschehensablaufs ergab die Beweisaufnahme Folgendes:

In dem vom Kraftfahrer Wolfgang G. gesteuerten Dienstwagen saß Generalbundesanwalt B. auf dem Beifahrersitz und Justizhauptwachtmeister Georg W. auf dem Rücksitz hinter Generalbundesanwalt B.. Dies ergibt sich aus den Angaben des bereits um 9:12 Uhr am Tatort eingetroffen Zeugen PHK H., des mit dem Rettungshubschrauber zum Tatort gekommenen Unfallarztes Dr. R. und aus einem am Tatort gefertigten Lichtbild.

Dass die Täter von hinten an die rechte Seite des Dienstwagens herangefahren waren, als dieser vor der roten Ampel warten musste, beruht auf den gleichlautenden Angaben der Zeugen W., Sch., F. und W. und den verlesenen Angaben der bereits verstorbenen Zeugin R. Soweit sich der Zeuge F. in der Hauptverhandlung an dieses Detail nicht mehr erinnern konnte, beruht die Feststellung auf der Vernehmung des Zeugen EKHK P., der nachvollziehbar und detailliert schilderte, den Zeugen F. sowie weitere damalige Mitarbeiter der VBL unmittelbar nach dem Tatgeschehen befragt und hierüber anschließend eine ausführliche Befragungsnotiz gefertigt zu haben. Entsprechend der Notiz über die Befragung habe der Zeuge F. einen Mercedes an die Ampel heranfahren sehen, der angehalten habe. Kurz darauf sei ein Motorrad, mit zwei Personen besetzt, gekommen, welches unmittelbar rechts neben dem Mercedes in gleicher Höhe desselben auch angehalten habe. Neben diesem Mercedes sei auf der linken Fahrspur ein gelber Wagen gestanden.

Der Zeuge H. hat bestätigt, mit seinem gelben Ascona in stadteinwärtiger Richtung direkt links neben dem Dienstwagen an die rote Ampel herangefahren zu sein und dann gestanden zu haben, als die Schüsse abgegeben worden seien. Der Zeuge konnte sich allerdings in der Hauptverhandlung nicht mehr an viele Details erinnern, da für ihn alles sehr schnell abgelaufen sei, er geschockt gewesen sei und nur habe schnell wegfahren wollen, um kein Zeuge zu sein. Er meinte auch, sich nur an zwei Personen in dem Mercedes erinnern zu können und an den Umstand, dass sich zwischen seinem Fahrzeug und dem Motorrad der Mercedes befunden habe. Die auf dem Motorrad sitzenden zwei Personen hätten Helme getragen, weshalb er auch nicht habe sagen können, ob es sich um Männer oder Frauen gehandelt habe, da er keine Gesichter habe sehen können. Beim Wegfahren habe er gemerkt, dass sein Fahrzeug nach rechts gezogen habe, da sein rechter Vorderreifen von einem Schuss getroffen worden sei; er sei daher nach rechts an den Bordstein gefahren. In seiner polizeilichen Vernehmung direkt am Tattage, die nach Angaben des Vernehmungsbeamten KHK W. gegen 10:00 Uhr durchgeführt worden sei, hat der Zeuge H. zusätzlich noch angegeben, er habe beim Heranfahren an die rote Lichtzeichenanlage in dem seiner Erinnerung nach dunkelblauen Mercedes drei Männer gesehen. Nachdem er eine Schussfolge gehört habe, habe er nach rechts geschaut und das mit zwei Personen besetzte Motorrad gesehen, wobei der Soziusfahrer eine Maschinenpistole in der kürzeren Ausführung mit einer geschätzten Länge zwischen 40 und 50 cm gehabt hätte, die er gerade in eine Tasche gesteckt habe. Der Fahrer sei sehr schnell und risikoreich in Richtung Hertie gefahren.

Die Feststellungen zum eigentlichen Geschehensablauf ab der Herausnahme der mitgeführten Tatwaffe aus einer Tasche und den Beginn der Schussabgabe, als der Dienstwagen im Anfahren begriffen war, entnimmt der Senat u.a. den Angaben der Zeugin Margarete W., die - als begeisterte Motorradbeifahrerin - von dem Fenster ihres zur beschriebenen Einmündung liegenden Büroraumes im Erdgeschoss des Gebäudes der VBL das Geschehen um das Motorrad mit Interesse verfolgt hat. Sie konnte sich in der Hauptverhandlung nicht mehr an alle Einzelheiten des beobachteten Geschehens erinnern, die sie in mehreren polizeilichen Vernehmungen und im Strafverfahren gegen Christian K. und Brigitte M. bekundet hatte. Nach ihren zum Kerntatgeschehen gemachten Angaben hätten die beiden auf dem Motorrad sitzenden Personen nach der Heranfahrt an den an der Ampel stehenden Dienstwagen in das Innere des Mercedes geblickt; unmittelbar danach habe die Person auf dem Sozius ein Behältnis geöffnet, das auch eine Aktentasche gewesen sein könnte, dann in dieses Behältnis gegriffen, einen längeren Gegenstand herausgeholt und diesen Gegenstand, der einem Rohr nicht unähnlich gewesen sei, mit dessen Vorderteil auf den linken Unterarm gelegt und in das Fahrzeug - beginnend hinten links am Rückfenster bis zum Fenster der vorderen rechten Wagenhälfte - geschossen. Während der Mercedes seine Fahrt fortgesetzt habe und langsam über die Kreuzung gefahren sei, sei das Motorrad ebenfalls langsam angefahren, sei dann von der rechten Wagenseite hinten um den Mercedes herum zur linken Wagenseite gewechselt, beide Personen auf dem Motorrad hätten in das Innere des Mercedes geschaut, woraufhin das Motorrad mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Zirkel weggefahren sei. Die Beobachtungen der Zeugin W. zu Beginn und Richtung der von der Person auf dem Sozius des Motorrads abgegebenen Schüsse und der unmittelbaren Weiterfahrt des Motorrads werden durch die verlesenen Angaben der bereits verstorbenen Zeugin Elisabeth O. bestätigt. Die Beobachtungen der Zeugin W., dass die beiden Motorradfahrer nach Abgabe des letzten Schusses hinten um den Mercedes herum an dessen linker Seite vorbei- und dann weggefahren und ihre Fahrt in Richtung Zirkel fortgesetzt hatten, haben die auf der Straße befindlichen Zeugen W. und R. und die im Gebäude der VBL aufhältlich gewesenen Zeugen B., V., L., K. und R. bestätigt, wobei die Zeugen B. und V. auch beobachtet haben, dass die Täter unmittelbar vor der Wegfahrt noch von der linken Seite aus in den Dienstwagen hereingeschaut hätten.

Die bei der Tatortaufnahme getroffenen Feststellungen haben die Angaben der vorgenannten Zeugen insbesondere zum Ort der Schussabgabe bestätigt. Nach den Angaben der mit der Spurensicherung befasst gewesenen Polizeibeamten KHK F., KHK St. sowie KHK K. und der in Augenschein genommenen Tatortskizzen wurden Glassplitter auf einer Fläche von 5 × 1,5 m kurz vor der Haltelinie der Ampelanlage bis zum Bereich der Fußgängerfurt am westlichen Rand der rechten Geradeausspur festgestellt. Rechts neben der rechten Geradeausspur war in Richtung der vor der Haltelinie in stadteinwärtiger Richtung befindlichen Verkehrsinsel noch 1,5 m Platz, so dass beim Anfahren des Mercedes die Täter mit dem Motorrad diesen Bereich befahren konnten, um von der rechten Seite aus neben dem anfahrenden Dienstwagen in das Fahrzeuginnere zu schießen. KHK St. hat im Bereich der vor der Haltelinie befindlichen Fußgängerfurt auf der Straße 13 Patronenhülsen bzw. 2 Projektilteile sichergestellt, wobei die in stadteinwärtiger Richtung am entferntesten gelegene Hülse etwa 10 m von der Haltelinie aufgefunden werden konnte. Aus diesen Feststellungen hat der Senat entnommen, dass die Schüsse zu einem Zeitpunkt abgegeben wurden, als der Dienstwagen vor der Ampelanlage stand bzw. wenige Meter angefahren war.

Nach den weiteren Angaben der Zeugen St. und F. stand der Dienstwagen Mercedes hinter der Einmündung am westlichen Fahrbahnrand der Hans-Thoma-Straße, wobei dessen linker hinterer Kotflügel 21 m von einem in Fahrbahnmitte am Bereich der Fußgängerfurt befindlichen Bezugspunkt entfernt war. Vom gleichen Bezugspunkt aus befand sich in 30 m Entfernung der linke hintere Kotflügel des vor dem Dienstwagen am rechten Fahrbahnrand der Hans-Thoma-Straße zum Stehen gekommenen Opel Ascona des Zeugen H., dessen rechter Vorderreifen durch einen der Schüsse beschädigt worden war.

Dass die auf dem Sozius des Motorrads sitzende Person bei der schnellen Wegfahrt vom Tatort die verwendete Waffe wieder in eine braune Aktentasche bzw. Tasche verstaut hatte, entnimmt der Senat einerseits aus den Angaben der Zeugen H., B., L., R., B. Der Zeuge H. konnte sich zwar in der Hauptverhandlung an dieses Detail nicht mehr erinnern. Er hatte jedoch nach den Angaben des Zeugen KHK W. in dessen Vernehmung noch am Vormittag des 7. April 1977 u.a. auch über diesen Umstand berichtet. Andererseits haben auch die Zeugen N. und B., die sich nicht unmittelbar am Tatort befanden bzw. aus den vorgenannten Büroräumen das Geschehen beobachtet hatten, hierüber Beobachtungen gemacht. So hat die Zeugin Edith N. insoweit angegeben, dass sie - nachdem sie von der Straße her laute Geräusche gehört habe - an das Fenster ihrer in der Bismarckstraße (…) gelegenen Wohnung gelaufen sei und von dort aus ein mit zwei Personen besetztes Motorrad wahrgenommen habe, das in Richtung Karlsruher Innenstadt gefahren sei. Hierbei habe sie gesehen, dass der Soziusfahrer gerade einen Gegenstand in eine braune Tasche gesteckt habe, die er auf den Knien gehalten habe. Der Zeuge Hubertus B., der in etwa 150 m Entfernung von der vorgenannten Einmündung als Fußgänger auf der Hans-Thoma-Straße in Richtung Moltkestraße unterwegs war, hat angegeben, knallende Geräusche gehört und anschließend einen PKW an den Straßenrand und ein mit zwei Personen besetztes Motorrad in seine Richtung fahrend gesehen zu haben. Die Person auf dem Sozius habe eine braune Tasche auf den Oberschenkeln gehabt. Zu dem Zeitpunkt seiner Beobachtungen habe diese Person die braune Tasche, die er in der polizeilichen Vernehmung mit etwa 30 cm hoch und ca. 50 cm breit geschätzt habe, in der linken Hand festgehalten, während sie mit der rechten Hand einen in der Tasche befindlichen Gegenstand festzuhalten schien. Da der Zeuge aufgrund der Geräusche von einem Unfall ausgegangen sei, habe er bewusst auf das Kennzeichen des Motorrades geschaut und dieses mit LU-NL 8 wiedergegeben. Auch der Zeuge F. merkte sich das Kennzeichen vollständig, während dem Zeugen H. bei seiner Erinnerung hieran durch die Angabe LU-LN 8 lediglich einen Buchstabendreher unterlief. Der Zeuge W. erkannte von dem Kennzeichen die Bestandteile LU-N, während die Zeugin Sch. (vom Kennzeichen) noch lediglich LU in Erinnerung hatte. Der Umstand, dass die Zeuginnen W. sowie O. - fälschlicherweise - meinten, das Motorrad habe das Kennzeichen KA bzw. KA-M, vermag die Glaubhaftigkeit ihrer sonstigen Angaben nicht zu berühren.

cc. Drei Zeugen haben in der Hauptverhandlung bekundet, die Täter hätten mit dem Motorrad bei der Tatausführung den Dienstwagen einmal bzw. mehrere Male (so die Zeugin W.; s.u.) umrundet, der Dienstwagen habe in etwa der Kreuzungsmitte, wo der Fahrer G. nach Verlassen des Mercedes auf der Kreuzung liegen geblieben war, zunächst angehalten, bevor das Fahrzeug führerlos über die Kreuzung bis zum Endstand an einen Metallpfosten gerollt sei. Der Senat schließt einen solchen Geschehensablauf aus. So im Einzelnen:

(1) Der Zeuge Hans-Joachim B., der damals direkt am Tattag vernommen wurde, hat in der Hauptverhandlung angegeben, er habe nach dem „Knallen“ aus dem Fenster seines im obersten Geschoss der VBL im Haus 1 liegenden Büros geschaut; von dort sei es eine Entfernung von 50-80 m Luftlinie zur Tatörtlichkeit. Er habe die Kreuzung einsehen können, nicht aber bis dahin, wo die Fahrzeuge schließlich zum Stehen gekommen seien. Er habe den Mercedes zunächst an der Ampel stehen sehen und daneben das Motorrad. Den weiteren Ablauf hat der Zeuge dahingehend bekundet, dass das mit zwei Personen besetzte Motorrad das Auto einmal voll umrundet habe und dann in Richtung Innenstadt weggefahren sei; er habe dies noch vor seinem „geistigen“ Auge. Zu dem Zeitpunkt, als das Motorrad das Auto ziemlich nah umrundet habe, sei der Mercedes - so der Zeuge - vermutlich auf der Mitte der Kreuzung gestanden. Eine derartige Umrundung hatte der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung vom 7. April 1977 nicht geschildert.

(2) Auch die Zeugin W. hatte am 7. April 1977 zum Zeitpunkt des Attentates - nachdem sie Knallgeräusche gehört hatte - aus dem Fenster ihres Dienstzimmers im Gebäude der VBL geschaut und das weitere Geschehen - soweit einsehbar - an der Einmündung Moltkestraße/Hans-Thoma-Straße beobachtet. Sie wurde über ihre Beobachtungen - wie mehrere andere Bedienstete der VBL auch - noch am Tag des Anschlages vom Zeugen P., damals Kriminalhauptmeister bei der Polizei in Karlsruhe, befragt, der die Schilderungen in einem umfangreichen Vermerk niedergelegt hatte. Hiernach hatte die Zeugin angegeben, sie habe gegen 9:00 Uhr in ihrem Zimmer im Altbau der VBL gerade Kaffee gekocht, als sie und ihre Kollegen F. und K., die sich ebenfalls im gleichen Raum aufgehalten hätten, ein Knallen gehört hätten. Als sie aus dem Fenster gesehen habe, sei an der Ampel ein gelber Opel mit dunklem Dach und ihrer Meinung nach dahinter ein blauer Mercedes gestanden. Etwas rechts hinter dem Mercedes sei ein mit zwei Personen besetztes Motorrad gestanden. Während ihrer Beobachtung aus dem Fenster sei vom Motorrad aus weiter geschossen worden; sie habe aber nicht gesehen, welche der beiden Personen auf dem Motorrad geschossen habe. Noch während der Mercedes in dem Bereich der Kreuzung gerollt sei, sei auch das Motorrad langsam weiter vorgefahren, rechts neben dem Mercedes, etwas nach hinten versetzt und zwar nicht ganz bis zu Kreuzungsmitte. Bei der Fahrt des Mercedes bis zur Kreuzungsmitte habe sie die Schüsse gehört. Dann habe das Motorrad angehalten, weil der Mercedes nach rechts zum Bordsteinrand herüber gerollt und schließlich am Bordstein zum Stehen gekommen sei. Danach sei das Motorrad mit nicht allzu hoher Geschwindigkeit links am Mercedes vorbei geradeaus weiter Richtung Stadtmitte gefahren.

Im Dezember 2008 wandte sich die Zeugin mit einem Brief an Prof. Dr. B. und teilte ihm in einem anschließenden Telefonat ihre - von ihren Angaben aus dem Jahr 1977 abweichenden - Erinnerungen an das beobachtete Geschehen vom 7. April 1977 mit. Diese Angaben hat Prof. Dr. B. schriftlich niedergelegt; sie wurden von der Zeugin am 13. Dezember 2008 handschriftlich ergänzt und unterschrieben. Hiernach sei sie, nachdem sie einen Schuss gehört habe, sofort ans Fenster ihres Dienstzimmers getreten, woraufhin sie gesehen habe, dass sich ein Mercedes langsam von der Ampel auf die Mitte der Kreuzung zubewegt und dort stehen geblieben sei. Das Motorrad sei mehrfach um den Wagen herumgefahren, wobei die Person auf dem Soziussitz weiter geschossen habe. Diese Person sei zierlich, kleiner als 1,75 m und kleiner als der Fahrer des Motorrads gewesen, von der Körperform her eine Frau. Nach Wegfahrt der Täter habe sich der Fahrer des Mercedes aus dem Wagen heraus bewegt und mehrfach laut „Mama, Mama“ gerufen; anschließend sei er zusammengebrochen. Der Dienstwagen sei in dieser Phase weiter gerollt, bevor er am Straßenrand zum Halten gekommen sei. Sie habe das Geschehen noch heute deutlich vor Augen, auch die Rufe von Wolfgang G.. Kurz nach der Tat sei ihr Vorgesetzter Albrecht F. in ihr Dienstzimmer gekommen. Auf Wunsch ihres Vorgesetzten habe sie einen Bericht über ihre Beobachtungen zum Tatablauf angefertigt. Bei der Vernehmung zwischen 12:00 und 13:00 Uhr habe der Beamte einen Stift und einen Block gehabt und „unlustig“ gefragt; er habe auch keine relevanten Fragen gestellt. Sie habe nur auf Fragen antworten sollen. Dem „BKA-Beamten“ habe sie auch ihren Bericht zum Tatgeschehen übergeben. Sie habe den Eindruck gehabt, man wolle ihre Aussage gar nicht. Sie sei nach dieser Befragung am Tattag nie wieder vernommen worden und sei auch zu keiner Gegenüberstellung bzw. als Zeugin zu einem Prozess geladen worden. Sie sei verwundert gewesen, dass ihr Chef als Zeuge geladen wurde, obwohl dieser kaum etwas von der Tat gesehen habe.

Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung im Januar 2009 hat die Zeugin W. angegeben, in ihrem Dienstzimmer, in dem sich nur noch der Kollege K. befunden habe, hätten sie am Tattag gegen 9:10 Uhr einen Knall gehört. Sie habe sich zur Seite gedreht und sei unmittelbar am Fenster gestanden. Mittlerweile seien weitere 3-4 Schüsse gefallen. Sie habe dann ein dunkles Fahrzeug, den Mercedes, von der Ampelanlage wegrollen, d.h. langsam fahren, gesehen. Rechts von dem Fahrzeug habe sie ein Motorrad wahrgenommen; dieses habe den Mercedes rechts überholt und sei ein Stück weitergefahren bis zum Ende eines Grünstreifens, der sich damals in der Mitte der Kreuzung befunden habe; dort habe das Motorrad gewendet und sei zurückgefahren; dies habe sie gerade noch sehen können. Das Motorrad sei dann mehrfach um den Mercedes herumgefahren und dabei sei vom Motorrad aus geschossen worden. Sie habe auch in Erinnerung, dass zwischen der vorderen und hinteren Person auf dem Motorrad eine braune Tasche gewesen sei. Die hintere Person sei kleiner als die vordere Person gewesen. Sie habe sich gewundert, wie langsam das Motorrad immer wieder um das Auto herumgefahren sei und dabei geschossen worden sei. Nachdem das Motorrad in Richtung Stadt weggefahren sei, habe sich die Fahrertür geöffnet; der Fahrer habe sich an der Tür festgehalten und dann dreimal „Mama“ gerufen. Dann sei er wohl zusammengebrochen. Dann müsse er wohl der Fahrertür einen Schubs gegeben haben; das Auto sei dann gerollt bis zu dem Punkt am Straßenrand, an dem es dann zum Stillstand gekommen sei. Während das Auto dorthin gerollt sei, habe sich die Beifahrertür geöffnet und von Herrn B. habe sie ein Stück des Oberkörpers und einen Arm heraushängen gesehen. Die Befragung durch den Beamten habe etwa 10 min gedauert; der Beamte habe höchstens zwei Zeilen auf ein weißes Blatt geschrieben, das sie nicht unterschrieben hätte. Sie habe später keine Ladung zu den geführten Strafverfahren erhalten. Die beiden Personen auf dem Motorrad hätten jeweils einen Helm getragen; die Person auf dem Beifahrersitz sei wesentlich kleiner als die Person auf dem Fahrersitz gewesen. An die Farbe des Helms und die Kleidung der Personen könne sie sich nicht mehr erinnern.

In der Hauptverhandlung hat die Zeugin diese Angaben wiederholt. Sie habe ihre Beobachtungen aus dem 7. Fenster des Gebäudes (von der Hans-Thoma-Straße aus betrachtet) gemacht. Auf Vorhalt des an der von der Zeugin beschriebenen Stelle fehlenden Grünstreifens behauptete die Zeugin, dies sei jedoch 1977 der Fall gewesen. Nach entsprechendem Hinweis und Inaugenscheinnahme von Lichtbildern über die Tatörtlichkeit, aus der sich ergab, dass auch im Jahr 1977 kein Grünstreifen vorhanden war, hat die Zeugin behauptet, das Motorrad wäre bis zu einem Grünstreifen gefahren, den sie nicht habe einsehen können. Sie habe auch das Wenden des Motorrads nicht sehen können. Schon bei Durchsicht des Buches von Prof. Dr. B., welches Lichtbilder vom Tatort enthalte, sei ihr aufgefallen, dass sich an der von ihr benannten Stelle kein Grünstreifen befinde. Ihre Angaben bei der Bundesanwaltschaft, das Motorrad habe am Ende eines Grünstreifens gewendet, seien falsch gewesen. Sie wisse nicht, warum sie dies gesagt habe. Es habe sich aber dreimal wiederholt, dass das Motorrad rechts am Mercedes vorbei in stadteinwärtiger Richtung auf der Hans-Thoma-Straße gefahren und verschwunden sei und dann wieder gekommen sei; das Motorrad müsse gewendet haben. Sie habe die Person auf dem Sozius für eine Frau gehalten, da es eine zierliche Person gewesen sei, die sich auch wie eine Frau bewegt habe. Sie habe vermutet, sie komme vom Zirkus. Sie habe auch dem Beamten gleich gesagt, dass möglicherweise eine Frau hinten auf dem Motorrad gesessen habe. Dies habe sie aus der Länge des Oberschenkels der Person geschlossen. Der Kollege F. sei zunächst nicht in ihrem Zimmer gewesen, er sei erst nach dem Vorfall in ihr Zimmer gekommen. Der Kollege K. sei die ganze Zeit über auf einem Stuhl gesessen; wegen eines Rollschranks hätte er auch nichts sehen können, wenn er aufgestanden wäre. K. sei auch nicht hinter ihr gestanden, als sie ans Fenster getreten sei. Sie habe zwar immer Kaffee gekocht, aber nicht um 9:00 Uhr. Die Angaben in dem schriftlichen Vermerk des Zeugen P. seien in den meisten Teilen nicht zutreffend; diese Aussage stamme nicht von ihr. Dass sie später nicht zu Gerichtsverhandlungen geladen worden sei, habe sie sehr irritiert.

(3) Der Zeuge Michael W., der sich damals nicht bei der Polizei gemeldet hatte, hat in der Hauptverhandlung angegeben, er sei mit seinem VW-Bus zur Tatzeit aus Richtung der Karlsruher Innenstadt kommend in Richtung Eggenstein gefahren. Er sei auf der rechten Geradeausspur in stadtauswärtiger Richtung als drittes Fahrzeug an der roten Ampel gestanden. Er habe dabei beobachtet, wie ein Motorrad aus Richtung Neureut kommend stadteinwärts auf der Gegenfahrbahn der Linkenheimer Landstraße an den wartenden Autos vorbeigefahren sei und etwa fünf Autos vor der Ampel auf die rechte Spur gewechselt habe, um an die Seite des auf der rechten Fahrspur in stadteinwärtiger Richtung stehenden Mercedes zu fahren. Das Motorrad sei dabei nicht aus einem Parkplatz herausgefahren. Bei Abgabe der Schüsse seien sowohl das Auto als auch das Motorrad zunächst noch gestanden. Das Auto habe dann einen „Satz“ Richtung Kreuzungsmitte gemacht und sei dort stehen geblieben. Das Motorrad habe das Auto auf der rechten Seite begleitet und sei dann langsam um das Auto herumgefahren. Das Motorrad sei von rechts in einer Linkskurve mit geringer Schräglage in einem Abstand von 2-3 m um das Auto herumgefahren und hinten wieder vorbei. Dann sei es wieder rechts am Auto vorbeigefahren und „schnell ab“ in den Zirkel. Beim Umrunden des Mercedes habe die auf dem Sozius sitzende Frau die Waffe mit beiden Händen hochgehoben. Die beiden Motorradfahrer hätten Jethelme aufgehabt. Der Fahrer des Motorrads sei ein großer, schlanker Mann mit breiten Schultern gewesen, auf dem Sozius habe eine kleine Frau gesessen. Auf der Kreuzung, als das Motorrad weg war, habe sich der Fahrer aus dem Auto gestemmt, sei kurz auf den Beinen gewesen und dann zusammengebrochen. Die „Dame“ habe beim Umrunden mit der Maschinenpistole herumgefuchtelt, in die Luft geschossen und eine Fratze geschnitten. Der Zeuge habe sich im Jahr 1977 nicht bei der Polizei gemeldet, weil sein VW-Bus nahe an der Überladungsgrenze gewesen sei und er keine weiteren Fragen der Polizei habe provozieren wollen. Schließlich habe er auch Angst vor der „RAF“ gehabt. Er habe sich aufgrund eines Fernsehberichts im April bzw. Mai 2010 telefonisch bei dem Nebenkläger Prof. Dr. B. gemeldet, weil er es unerträglich gefunden habe, dass der Mord immer noch nicht aufgeklärt worden sei.

dd. Der von den drei Zeugen geschilderte Geschehensablauf dahingehend, die Täter hätten auf ihrem Motorrad im Rahmen der Tatausführung den Dienstwagen vollständig umrundet, ist auszuschließen. In den unmittelbar nach dem Attentat durchgeführten polizeilichen Vernehmungen haben keine der Zeugen, so auch nicht die Zeugen B. und W., auf eine Umrundung des Mercedes durch das Tatmotorrad hingewiesen. Eine solche wäre - hätte sie tatsächlich stattgefunden - nach Überzeugung des Senats auch von den Zeugen, die die Bewegung des Motorrades während der abgegebenen Schüsse und unmittelbar danach beobachtet haben, geschildert worden. Dies war jedoch gerade nicht der Fall. Die Angaben der vorgenannten drei Zeugen zu einer wahrgenommenen Umrundung stehen zudem im Widerspruch zu zahlreichen anderen Zeugenaussagen, aus denen auf eine durchgängige Bewegung des Mercedes von der Ampelanlage bis zu seinem Stillstand am rechten Fahrbahnrand und ein unmittelbares Wegfahren des Tatmotorrades nach den Schüssen geschlossen werden kann. Dass die Täter auf dem Motorrad unmittelbar nach den Schüssen auf den Dienstwagen sich hinter den Dienstwagen zurückfallen gelassen und sich an dessen linke Seite gesetzt haben, um sich anschließend umgehend vom Tatort zu entfernen, haben die Zeugen R., W., W., Sch., B., V., L., K., R., R. und B. insoweit gleichlautend geschildert. Anhaltspunkte dafür, dass diese Zeugen Fehleinschätzungen unterlagen, hat der Senat anhand der durchgeführten Vernehmungen nicht gewonnen. Den von den vorgenannten Zeugen geschilderten Geschehensablauf hat auch der zwischenzeitlich verstorbene Zeuge V. entsprechend bekundet, von dem aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung im Jahr 1982 bekannt wurde, dass auch er Beobachtungen zum Tatgeschehen gemacht hatte. Nach den verlesenen Angaben des damals 62-jährigen Zeugen vom Januar 1983 sei dieser am Tattag gegen 9:00 Uhr auf der Linkenheimer Landstraße in stadteinwärtiger Richtung gefahren. Bei der Zufahrt auf die „Kreuzung Linkenheimer Landstraße/Moltkestraße“ habe er etwa in Höhe der „Esso-Tankstelle“ auf der Linkenheimer Landstraße eine Anzahl von Schüssen gehört. Er sei mit seinem Fahrzeug auf der linken Fahrspur in Richtung Stadtmitte hinter einem Opel oder einem Audi zum Stehen gekommen, es sei jedenfalls das Fahrzeug eines Jugoslawen gewesen, der geflucht habe, weil dessen rechter Vorderreifen zerschossen gewesen sei. Als er mit seinem Fahrzeug gerade hinter dem Fahrzeug des Jugoslawen zum Stehen gekommen sei, habe er etwa 70-80 m vor ihm im Kreuzungsbereich ein mit zwei Personen besetztes Motorrad gesehen. Die Person auf dem Sozius habe sich nach hinten in seine Richtung umgedreht; sie habe keinen Motorradhelm, sondern eher eine dunkelfarbige Lederkappe getragen, die das Gesicht freigelassen habe. Zu der Person auf dem Sozius habe er fast mit Sicherheit behaupten können, dass es sich um ein Mädchen gehandelt habe, da das Gesicht ein typisches Frauengesicht gewesen sei. Die Person auf dem Sozius habe eine Langwaffe mit der linken Hand am Lauf gehalten. Nachdem sich der Soziusfahrer umgedreht habe, sei das Motorrad stark beschleunigt worden und habe sich in Richtung Stadt entfernt.

Der Zeuge hat zwar Angaben gemacht, die mit den getroffenen Feststellungen nicht in Einklang zu bringen sind. Dies betrifft zum einen den Ort, an dem er die Schüsse wahrgenommen haben will. Die von ihm beschriebene Esso-Tankstelle liegt auf der Linkenheimer Landstraße mehrere Kilometer vom Tatort entfernt. Unmittelbar vor der Kreuzung befindet sich in stadteinwärtiger Richtung auf der rechten Seite jedoch eine Aral Tankstelle. Da der Zeuge bei der vorerwähnten Angabe protokollieren ließ, er sei in Richtung auf die „Kreuzung Linkenheimer Landstraße/Moltkestraße“ zugefahren, geht der Senat davon aus, dass der Zeuge die Geräusche in Höhe der in der Nähe zur Einmündung Moltkestraße liegenden ARAL-Tankstelle wahrgenommen hat. Unabhängig von der Frage, ob der Zeuge aus der von ihm beschriebenen Entfernung zuverlässige Angaben zu dem Geschlecht der auf dem Sozius des Motorrads sitzenden Person machen könnte, steht aufgrund der am Auffindeort des Motorrades in Wolfartsweier ebenfalls aufgefundenen Helme und korrespondierender Angaben der o.g. Zeugen fest, dass beide auf dem Motorrad sitzende Personen Integralhelme getragen haben, die Person auf dem Sozius demzufolge keine Lederkappe getragen haben kann. Soweit hiernach davon ausgegangen werden muss, dass der Zeuge insoweit einem Erinnerungsfehler unterlag, kann jedenfalls auch aus seinen Angaben zu der Bewegung des Motorrads entnommen werden, dass dieses nach den abgegebenen Schüssen ohne eine Umkreisung in Richtung Stadtmitte schnell davon gefahren ist.

Die von den Zeugen B. und W. insoweit in ihren polizeilichen Befragungen unmittelbar am 7. April 1977 abgegebenen Schilderungen des Tatgeschehens sind zudem nach den gefertigten Vermerken nachvollziehbar und im übrigen auch mit den Angaben der übrigen Tatzeugen in Einklang zu bringen. Soweit von der Zeugin W. behauptet wurde, der sie vernehmende Beamte habe ihre Angaben falsch notiert, wesentliche Teile weggelassen bzw. von ihr mitgebrachte Notizen unterschlagen, haben sich diese Vorwürfe nach der Beweisaufnahme als haltlos erwiesen. Der Senat hat hierzu die Vernehmungsbeamten, die in den Gebäuden der VBL die damaligen Tatzeugen vernommen hatten, den damaligen Kriminalobermeister P. (dieser hatte unter anderen den Zeugen B. befragt) und den damaligen Kriminalhauptmeister P. (zur Befragung der Zeugin W.) vernommen und sich von der Gewissenhaftigkeit der damaligen Vorgehensweise überzeugt. Beide Beamten haben angegeben, sie hätten sich schriftliche Notizen gemacht, die sie unmittelbar danach auf der Dienststelle in Form von Vermerken einer Schreibkraft diktiert hätten. Sie hätten das aufgenommen, was sie von den Zeugen gehört hätten, nichts weggelassen und auch nichts hinzugefügt, was die Zeugen nicht gesagt hätte. Dies ist nachvollziehbar und wird auch dadurch belegt, dass die übrigen Zeugen, die die Kriminalbeamten P. und P. an dem 7. April 1977 befragt hatten, im Wesentlichen - soweit sie noch eine Erinnerung hatten - in der Hauptverhandlung das bestätigt haben, was auch damals in den Befragungsprotokollen vermerkt wurde. So hatte der Zeuge F. bereits am 7. April 1977 gegenüber KOM P. mitgeteilt, er habe zufälligerweise im Zimmer 226 im ersten OG von Bau I, dem Dienstzimmer der Zeugin W., aus dem Fenster geschaut. Diese Aussage hat der Zeuge F. in der Hauptverhandlung wiederholt und bekräftigt. Auch die Zeugin W. hat bei ihrer Befragung im April 1977 gegenüber KHM P. zum einen bekundet, dass der Zeuge F. bei ihr im Zimmer gewesen sei und zum anderen einen Geschehensablauf geschildert, der im Wesentlichen mit dem Aussageinhalt des Zeugen F. übereingestimmt hat. Da KHM P. zusätzlich einen Vermerk gefertigt hat, dass der von der Zeugin W. genannte Zeuge F. von KOM P. gehört wurde, schließt der Senat aus dieser zusätzlichen Angabe in Verbindung mit den gleich lautenden Befragungsinhalten in den jeweiligen Befragungen vom 7. April 1977, dass der von der Zeugin W. in der Befragung mitgeteilte Sachverhalt zutreffend schriftlich niedergelegt wurde und der von ihr genannte Mitarbeiter F. sich auch tatsächlich in ihrem Zimmer aufgehalten hat. Den diesem Ergebnis entgegenstehenden Angaben der Zeugin W. in der Hauptverhandlung folgt der Senat nicht. Die Zeugin hat hinsichtlich der von ihr behaupteten Umrundung des Motorrads im Bereich der Einmündung seit ihrer schriftlichen Darstellung im Dezember 2008 bis zur Vernehmung in der Hauptverhandlung im November 2010 widersprüchliche Angaben gemacht. Dies bezieht sich einerseits darauf, dass sie zunächst behauptet hatte, sie hätte auch das Wenden des Motorrads noch gesehen; andererseits hat sie noch in der Hauptverhandlung im Bereich des vorgebrachten Wendens von einem Grünstreifen gesprochen, der - wie sie später selbst einräumte - damals im Einmündungsbereich nicht vorhanden war, wobei sie bekundete, von diesem Umstand zuvor gewusst zu haben. Zudem hat sie mehrfach behauptet, ein dreimaliges Umrunden des Dienstwagens durch das Motorrad in langsamer Geschwindigkeit gesehen zu haben, wobei sich das Motorrad nach ihren Schilderungen nach dem Umrunden zunächst vom Mercedes entfernt und gewendet haben soll. Diese Angaben stehen jedoch bereits im Widerspruch zu den Angaben der Zeugen W. und B., die lediglich ein einmaliges Umrunden beobachtet haben wollen.

Eine von den Zeugen beschriebene Umrundung des Mercedes im Tatortbereich setzt voraus, dass der Mercedes im Bereich der Einmündung nach seinem Anfahren an der Ampel zu irgendeinem Zeitpunkt bis zum Erreichen seines Endstandes angehalten bzw. zum Stehen gekommen ist und sich anschließend wieder in Bewegung gesetzt hat. Während die Zeugen W. und W. meinen, dies mit Sicherheit wahrgenommen zu haben, war sich der Zeuge B. hierüber nicht sicher, zumal dieser über den eigentlichen Vorgang der Umrundung hinaus keine weiteren Angaben hierzu machen konnte. Auch der Zeuge K. war in der Hauptverhandlung der Meinung, den Mercedes auf der „Kreuzung" stehend gesehen zu haben. Der Zeuge K., der zum damaligen Zeitpunkt am Tattag nicht vernommen wurde und erstmals in der Hauptverhandlung Angaben zum damaligen Geschehen gemacht hat, konnte sich nicht mehr im Einzelnen an die damals wahrgenommenen Geschehnisse erinnern. So war er sich bereits nicht sicher, wo - in seinem oder in einem anderen Dienstzimmer - und mit wem er - mindestens jedenfalls mit einer weiteren Person - zum Tatzeitpunkt zusammen war. Seiner Erinnerung nach sei das Geschehen auch gegen 13:00 Uhr gewesen. Nach seiner Erinnerung habe er Schüsse gehört, wobei auch er neben der anderen in dem Zimmer befindlichen Person an das Fenster getreten sei. Bei ihm habe sich das Bild eines stehenden Fahrzeugs mit geöffneter Fahrertür eingeprägt, wobei eine Person auf der Straße gelegen und gezuckt habe. Das Fahrzeug sei ausgerollt gewesen; es sei auf der Kreuzung schräg gestanden. Aus seiner Sicht sei das Fahrzeug links von der Person gewesen. Das Fahrzeug habe im Kreuzungsbereich gestanden und nicht wie auf den ihm gezeigten Lichtbildern in der sog. Endstellung. Das Fahrzeug sei dort auch noch während seiner weiteren Beobachtungen, wie z.B. Eintreffen der Polizei und Rettungskräfte immer am selben Standort auf der Kreuzung gestanden.

Hinsichtlich des vom Zeugen beschriebenen Standorts des Pkws ergibt sich für den Senat zweifelsfrei, dass sich beim Zeugen ein fehlerhaftes Bild in seiner Erinnerung festgesetzt hat. Er will aus seiner Sicht das Fahrzeug links neben der im Einmündungsbereich auf dem Boden liegenden Personen gesehen haben. Nach seiner Schilderung ist die Lage des auf dem Boden liegenden angeschossenen Wolfgang G. jedoch nicht zu erklären, da der Dienstwagen dann nicht einmal die Wegstrecke bis zum Liegeort des Wolfgang G. zurückgelegt hätte. Außerdem hat der Zeuge R., der nach seinen Angaben als erster Polizeibeamter am Tatort gewesen sei, geschildert, dass zu diesem Zeitpunkt der Mercedes nicht auf der Kreuzung, sondern in seiner Endposition am Straßenrand gestanden habe. Der Senat geht daher davon aus, dass der Zeuge K. das Fahrzeug von Anbeginn seiner Beobachtungen in der späteren Endposition gesehen hat, zumal der Zeuge nach seinen Angaben von Anbeginn seiner Beobachtungen kein Motorrad gesehen haben will.

ee. Dass der Mercedes nach der Weiterfahrt von der Ampel nicht angehalten, vielmehr bis zu seinem Endstand am rechten Straßenrand an dem Metallpfosten durchgängig in Bewegung war, entnimmt der Senat neben den vorgenannten Zeugenangaben auch aus den Ausführungen des Sachverständigen R. Der Sachverständige ist seit 1981 überwiegend für Gerichte im Bereich der Unfallanalyse tätig. Er ist dem Senat als besonders qualifizierter und erfahrener Sachverständiger bekannt.

Nach seinen überzeugenden Ausführungen sei die Frage einer - führerlosen - Weiterfahrt des Dienstwagens nach einem in Betracht kommenden Stopp auf der „Kreuzung“ abhängig von der technischen Ausstattung des Fahrzeugs. Während bei einem Fahrzeug mit Automatikgetriebe der Wagen durch Betätigung der Fahrbremse zum Halten und nach Lösen der Bremsen (z.B. durch ein Aussteigen bzw. Herausfallen des Fahrers) eine führerlose Weiterfahrt ohne Weiteres möglich sei, sei dies bei einem Schaltgetriebe nur dann möglich, wenn der Fahrer beim Stopp mit eingelegtem Gang die Kupplung betätigt hatte. Nach den eigenständigen Erkundungen des Sachverständigen über die Fahrgestellnummer des Dienstwagens sei das vorliegende Fahrzeug mit einem Schaltgetriebe ausgestattet gewesen; dies habe dem Sachverständigen auf dessen Nachfrage auch das Classic Center der Fa. Mercedes Benz in Fellbach zusätzlich noch bestätigt. Auch der Nebenkläger hat in seiner Vernehmung angegeben, dass ihm der Cheffahrer seines Vaters, Herr J., von diesem Umstand berichtet habe.

Da der Dienstwagen mit einem Schaltgetriebe ausgerüstet war, erscheine es ausgeschlossen, dass dessen Fahrer Wolfgang G. nach dem Anfahren und während der Schüsse, die auch ihn getroffen hatten, den Wagen gebremst und durch Auskuppeln im Leerlauf zum Halten gebracht habe. Ein führerloses Losrollen des Dienstwagens aus dem Leerlauf wäre nach den Feststellungen des Sachverständigen angesichts der Fahrbahnbeschaffenheit im Tatortbereich nämlich nicht möglich gewesen. Dies ergebe sich daraus, dass zur Tatzeit kein nennenswertes Gefälle in Fahrbahnlängsrichtung vorhanden gewesen sei. Die Fahrbahn habe nach seinen Annahmen damals nur ein Quergefälle im Bereich von etwa 0,5 bis 1 Prozent (nicht ausschließbar bis 2%) zum rechten Fahrbahnrand hin aufgewiesen. Eine eigene Bewertung des Gefälles sei erforderlich geworden, da die im Rahmen der kriminaltechnischen Feststellungen am Tatort gefertigten Skizzen kein Längsgefälle aufgewiesen und die damals gefertigten Stereoaufnahmen und die im Rahmen der Tatortdokumentation erstellten Bildplatten für eine Auswertung nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Die aus den damals vom Tatort gefertigten Lichtbildaufnahmen anhand der abgebildeten Gebäude horizontal verlaufenden Bezugslinien habe er mit dem damaligen Fahrbahnverlauf in Relation gebracht und diese Situation vor Ort mit den noch vorhandenen Gebäuden und dem tatsächlichen Fahrbahnverlauf verglichen; hierbei habe er festgestellt, dass sich gegenüber der damaligen Tatortsituation keine Abweichungen im Verlauf der aktuell vorhandenen Fahrbahnoberfläche, die kein Längsgefälle aufweise, habe erkennen lassen. Auch die Auswertung der in Augenschein genommenen Lichtbilder vom Verlauf der Blutspur am Liegeort von Wolfgang G. und der sich aus den Luftbildaufnahmen ergebende Flüssigkeits- und Abtrocknungsverlauf bestätige die Annahme, dass ausgehend von der Fahrbahnmitte zum jeweiligen Fahrbahnrand jeweils nur ein Quergefälle vorhanden gewesen sei.

Bei Annahme der Fahrposition des Dienstwagens ab der Endlage von Wolfgang G. mit einem Winkel von 10 Grad zur Fahrbahnrichtung, 0% Längsgefälle und 2 % Quergefälle errechne sich in Fahrtrichtung des Dienstwagens ein Quergefälle von 0,6%; bei einem solchen Gefälle sei ein selbständiges Losrollen eines Fahrzeugs unwahrscheinlich. Er habe dies vor Ort nachvollziehen können; ein Kraftfahrzeug, welcher mit seiner Längsachse in Richtung der späteren Endposition des Dienstwagens positioniert ist, habe sich nicht selbstständig aus dem Stillstand in Bewegung setzen können. Auch die Annahme, dass der Fahrer beim Aussteigen dem Fahrzeug noch einen insoweit erforderlichen Impuls gegeben haben könnte, sei unter den gegebenen Umständen völlig ausgeschlossen.

Für ein führerloses Rollen des Fahrzeugs aus dem Stand sei angesichts des Umstandes, dass das Fahrzeug vor Erreichen der Endstellung noch einen Bordstein habe überqueren müssen und in Anbetracht der vorhandenen Aufprallbeschädigungen ein deutliches Gefälle von mehreren Prozent erforderlich gewesen; dieses habe jedenfalls in dem erforderlichen Maße nicht vorgelegen.

Da aus den vorgenannten Gründen ein Auskuppeln des Ganges vor Verlassen des Fahrzeugs durch Wolfgang G. nicht in Betracht komme, müsse der Fahrer zum Anhalten des Fahrzeugs die Kupplung und auch die Bremse getreten haben, weshalb beim Verlassen des Fahrzeugs beide Pedale gelöst worden sein müssen. Dies würde aber erfahrungsgemäß zur Folge haben, dass mit einem sog. Abwürgen des Motors zu rechnen ist. Soweit entgegen der Erwartung der Motor nicht abgestorben wäre, würde dies wiederum bedeuten, dass sich der Dienstwagen sofort nach Loslösen der Kupplung in Bewegung gesetzt hätte. Die Beobachtung der Zeugin W., der Fahrer sei zuerst ausgestiegen und danach - veranlasst durch einen Stoß oder etwas ähnlichem - sei der Wagen losgerollt, ließe sich aus sachverständiger Sicht dann keinesfalls erklären.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen komme daher nur eine durchgehende Bewegung des Dienstwagens nach dessen Anfahrt bis zu seinem Endstand am Metallpfosten in Betracht. Die Fahrlinie des Fahrzeugs ab der Losfahrt führe rechts an dem Liegeort von Wolfgang G. vorbei; dessen Lage und der Endstand des Fahrzeugs passe zur angenommenen Fahrlinie, wobei die Gesamtfahrstrecke etwa 29 m betrage. Für die Weiterfahrt nach dem Ausstieg des Fahrers mit Leerlaufdrehzahl über die weitere Wegstrecke von etwa 12 m bis zum Endstand an dem Metallpfosten komme der erste oder der zweite Gang in Betracht. Bei einer angenommenen normalen Leerlaufdrehzahl von 800-900 Umdrehung/Min. ergäben sich unter Berücksichtigung des Abrollumfangs der Reifen, den Übersetzungsverhältnissen im Schaltgetriebe sowie am Hinterachsgetriebe und der Leerlaufdrehzahl des Motors die Rollgeschwindigkeiten im ersten Gang mit 6,2-7,4 km/h und im zweiten Gang mit 10,5-12,6 km/h. Bei einer geringeren Leerlaufdrehzahl würde der Motor „absterben“. Bei Annahme einer - durch Inbezugsetzung der aus den Tatortlichtbildern ersichtlichen Reifenhöhe zwischen Radaufstandsfläche und Felgenhorn im Abgleich mit einem baugleichen Fahrzeug im o.g. Classic Center - geschätzten Bordsteinhöhe von etwa 11 cm gehe er davon aus, dass eine Geschwindigkeitsreduzierung infolge des Bordsteinanpralls von etwa 1,5 bis zu 3 km/h erfolgt sei. Angesichts einer im ersten Gang erreichbaren Geschwindigkeit wäre der Motor bei Überwindung des Bordsteins mit großer Wahrscheinlichkeit unter die erforderliche Leerlaufdrehzahl gesunken und daher ausgegangen und hätte aufgrund der dann eingetretenen Verzögerung an den Hinterrädern den Begrenzungspfahl überhaupt nicht mehr erreicht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist daher mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein - führerloses - Rollen des Fahrzeugs im zweiten Gang anzunehmen, da unter Berücksichtigung des Geschwindigkeitsabbaus durch das Überqueren des Bordsteins durch das rechte Vorderrad des Wagens und des Motorbremsmoments die dann noch vorhandene Restgeschwindigkeit ausgereicht habe, den am Fahrzeug und am Pfosten eingetretenen Deformationsumfang zu erklären. Dabei sei es nach Kontakt mit dem Metallpfosten nicht zu einem an sich möglichen Rückprall des Fahrzeugs gekommen, der aufgrund der Reifenelastizität und des Anstoßes des Reifens gegen den Pfosten zu erwarten gewesen wäre, da der Dienstwagen nicht frei gerollt sei, sondern bei eingelegtem Vorwärtsgang in Bewegung war, so dass bei stehendem Motor und eingelegtem Vorwärtsgang die Hinterräder des Dienstwagens blockiert haben und das Fahrzeug in der Anstoßposition ohne Rückprall stehen geblieben ist.

Bei Berechnung der Zeitdauer für eine mögliche Umrundung des Dienstwagens durch das Motorrad könne angesichts einer insgesamt zurückgelegten Wegstrecke des Dienstwagens von 29 m bei Annahme einer zögerlichen Beschleunigung auf 10-12 km/h (langsame Beschleunigung bis zu dieser Geschwindigkeit und anschließendes Schalten in den zweiten Gang ohne weiteren Einfluss auf den Beschleunigungsvorgang) eine Gesamtzeit von 10,4-11,8 sec angesetzt werden, während bei Annahme einer stärkeren Beschleunigung (schnellstmögliche Bewegung im ersten Gang und anschließendem Schalten in den zweiten Gang) und einem anschließenden Ausrollen mit einer verminderten Geschwindigkeit am Bordstein von zuletzt 10-13 km/h ein Zeitablauf von 8,2-8,4 sec benötigt werde. Die gesamte Bewegung des Fahrzeugs vom Anfahren bis zum Aufprall auf den Metallpfosten habe demnach zwischen 8 und 12 sec betragen. Soweit davon ausgegangen werde, dass sich die Täter mit dem Motorrad bei Anfahrt des Dienstwagens neben diesem befunden haben und für eine ganz kurze Phase (je nach Beschleunigung zwischen 2,3 und 4,8 sec) parallel dazu bis zum Ende der Fußgängerfurt gefahren sind, sei für das Motorrad zur Umrundung des Dienstwagens eine Zeitspanne von max. 10 sec zur Verfügung gestanden. Diese Zeitspanne reiche für eine Umrundung des Dienstfahrzeugs (unter Berücksichtigung einer ohne Sturzgefahr für das mit zwei Personen besetzte Motorrad realisierbaren Schräglage von 35 Grad) keinesfalls aus. Mit dem Motorrad könne innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne zwar rechts am fahrenden Dienstwagen vorbei nach vorn gefahren, anschließend vor der Front des Dienstwagens gewendet und letztlich an der linken Längsseite des Dienstwagens entlang nach hinten gefahren worden sein. Für eine danach erneute Bewegung des Motorrads rechts am Dienstwagen vorbei nach vorn und somit den Abschluss einer vollständigen Umrundung sei das Zeitintervall jedoch nicht ausreichend. Dabei würden Variationen beim Reifendruck und auch der Reifengröße des Dienstwagens rechnerisch das Ergebnis lediglich so geringfügig verändern, dass auch bei günstigsten Annahmen eine Umrundung des Dienstfahrzeugs durch das Motorrad in keinem Fall möglich erscheine.

Soweit der Motor bei Überfahren des Bordsteins mit dem rechten Vorderreifen des Dienstwagens allerdings nicht ausgegangen sein sollte, sei es unter Berücksichtigung eines geringstmöglichen Geschwindigkeitsabbaus theoretisch nicht ausgeschlossen, dass die aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern ersichtlichen Aufprallbeschädigungen des Dienstwagens auch in Anbetracht der im ersten Gang erreichbaren Geschwindigkeit in Einklang zu bringen wären. Bei dieser Annahme würde sich die für eine mögliche Umrundung denkbare Zeitspanne um etwa 6 sec verlängern, wodurch bei äußerst zügiger Fahrtweise und mit deutlicher Schräglage eine Umrundung des Dienstwagens durch das Motorrad gerade noch denkbar sei, was allerdings erfordere, dass in Anbetracht der erforderlichen Kurvengeschwindigkeit und der maximalen Schräglage eine volle Konzentration der auf dem Motorrad sitzenden Personen für diese Fahrweise erfordere.

Angesichts des Umstandes, dass die auf dem Sozius sitzende Person das Gewehr, mit der sie kurz zuvor geschossen hatte noch nicht wieder in die mitgeführte braune Aktentasche verpackt hatte, erscheint es für den Senat ausgeschlossen, dass diese vom Sachverständigen erfüllten Anforderungen gegeben waren. Eine mehrmalige Umrundung - wie von der Zeugin W. geschildert - bzw. eine Umrundung dahingehend, dass die auf dem Sozius sitzende Person die Waffe nach oben hochgehalten habe (so der Zeuge W.) ist daher ebenfalls auszuschließen.

Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass die diesbezüglichen Bekundungen der vorgenannten Zeugen auf Erinnerungsfehler bzw. nachträgliche Schlüsse zurückzuführen sind.

d. Die Tatopfer

Während der damals 57-jährige Siegfried B. und der damals 30-jährige Wolfgang G. ihren Schussverletzungen direkt noch am Tatort erlagen, wurde der schwer verletzte, damals 43 Jahre alte Georg W. von dem mit dem Rettungshubschrauber am Tatort gelangten Zeugen Dr. R. ins Städtische Krankenhaus Karlsruhe begleitet; er verstarb am 13. April 1977. Der Senat hat hierzu Dr. R. vernommen und die jeweils ausgestellten Todesbescheinigungen verlesen.

Die Feststellungen zu den Schussverletzungen und ihren Folgen beruhen auf den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. M. und Dr. S., die damals als jeweils zweiter Obduzent bei der Obduktion von Generalbundesanwalt B. und Georg W. (Prof. Dr. M.) bzw. von Wolfgang G. (Dr. S.) teilgenommen hatten.

Danach ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. der Tod bei Siegfried B. infolge inneren Verblutens von Herz und Lunge eingetreten. Die Geschosse, die den Generalbundesanwalt trafen, hätten seine mittlere Brustwirbelsäule, das rechte Schlüsselbein und den rechten Oberarm zertrümmert, das rechte Schulterblatt gebrochen und mehrere Rippenbrüche verursacht, beide Lungenflügel, den rechten Herzvorhof und die Pulmonalarterie zerrissen. Außerdem hätten sie die große Körperschlagader, das Zwerchfell, den Magen und den Darm durchschlagen. Der Körper von Siegfried B. habe - verursacht durch die Schüsse - 16 Hautöffnungen aufgewiesen. Die Präparation der Schusskanäle habe ergeben, dass eine Schussrichtung von rechts nach links bei deutlicher Neigung von rechts oben nach links unten festzustellen sei.

Auch die Obduktion von Wolfgang G. habe nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. ergeben, dass die Schüsse dessen rechten Oberkörper getroffen haben und die Richtung der Schusskanäle von rechts oben abfallend nach links unten gewesen sei. Wolfgang G., den mindestens fünf Schüsse und weitere drei Streifschüsse getroffen hätten, habe neben Splitterverletzungen und Streifenschusswunden u.a. einen Lungendurchschuss rechts, einen Bruch der fünften Rippe sowie einen Trümmer- und Stückbruch des rechten Oberarmes erlitten. Der Tod sei infolge der durch den Lungendurchschuss ausgelösten Blutung in die rechte Brusthöhle sowie durch den massiven Blutverlust aus den vielfachen Wunden des rechten Oberarmes nach außen eingetreten.

Nach den Ausführungen von Prof. Dr. M. wurde Georg W. von zwei Geschossen getroffen, die das Zwerchfell durchtrennten und in die Milz, den Bauchspeicheldrüsenschwanz, die linke Niere sowie die Bögen des ersten und zweiten Lendenwirbels eindrangen. Georg W. wurde am Tattag sofort im städtischen Krankenhaus Karlsruhe operiert, wobei dessen linke Niere und die Milz entfernt und die Einschussstellen am Rücken exzidiert wurden. Er sei an einem Lungenödem verstorben. Der bei ihm festgestellte Schusskanal spreche dafür, dass sich Georg W. seitlich nach links weggeduckt habe.

Die Feststellungen zur Schussrichtung und zur Anzahl der auf die getöteten Personen abgegebenen Schüsse werden bestätigt bzw. ergänzt durch den Sachverständigen Dr. H., der die Kleidungsstücke der drei getöteten Personen auf Schussspuren untersucht und die Schussentfernung der jeweiligen Treffer bestimmt hat. Nach den Ausführungen von Dr. H., der seit 1972 bis 1991 mit Schussspurenuntersuchungen beim BKA befasst war, konnte dieser die im Rahmen der Obduktion getroffenen Annahmen durch seine Untersuchungen bestätigen. An dem von Siegfried B. zur Tatzeit getragenen Sakko seien 16 Einschussspuren festzustellen; diese Feststellung entspricht in vollem Umfang der Angabe von Prof. Dr. M. über die Anzahl der durch die Schussverletzungen verursachten Hautöffnungen. Die weitere Untersuchung hinsichtlich Schmauchspuren bzw. Schmauchhöfe an den einzelnen Einschusslöchern im Sakko habe ergeben, dass die Schüsse aus einer Entfernung zwischen aufgesetzt, 5, 10, 20 bis zu 60 cm erfolgt sind. Bei Wolfgang G. habe die Untersuchung von dessen Anzugsjacke ergeben, dass dieser von mindestens sieben Schüssen, davon von zwei Streifschüssen, und daneben von mehreren Splittern getroffen worden sei, wobei die Schussrichtung bei allen Schüssen von rechts nach links verlaufen sei und die Schussentfernung bei allen Schüssen über 60 cm betragen habe. Die entsprechende Untersuchung des von Georg W. zur Tatzeit getragenen Mantels habe ergeben, dass dieser von zwei Schüssen in den Rücken getroffen worden sei, wobei auf der Vorderseite in Bauchhöhe und am rechten Ärmel dessen Mantel Streifschussspuren aufgewiesen habe, die durch einen oder zwei Schüsse entstanden sein können. Die Schusslinie sei leicht von oben nach unten abgefallen. Die Schussentfernung habe über 60 cm betragen. Der Senat sieht hierin die Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. M. bestätigt, wonach sich Georg W., der im Fond hinter Siegfried B. direkt an der rechten hinteren Türe gesessen habe, nach links ins Wageninnere habe fallen lassen. Aufgrund der vom Sachverständigen am Sakko von Siegfried B. festgestellten geringen Schussentfernungen geht der Senat davon aus, dass sich die Tatwaffe bei Abgabe sämtlicher Schüsse in unmittelbarer Nähe der rechten Seitenscheibe des Dienstwagens befunden hat.

Eine Gesamtschau der erwähnten Feststellungen zu den Einschusslöchern an den untersuchten Kleidungsstücken der drei getöteten Personen ergibt zudem, dass die Täter - auch wenn am Tatort und im Dienstwagen weniger Patronenhülsen aufgefunden worden waren - mindestens 26 Einzelschüsse von der rechten Seite auf das Innere des Dienstwagens abgegeben haben.

e. Die Tatwaffe

Dass das Selbstladegewehr HK 43 Nr. 1001529E, das bei der Festnahme der Angeklagten und Günter S. am 3. Mai 1977 in Singen sichergestellt werden konnte, zur Tatausführung verwendet wurde, beruht auf dem verlesenen überzeugenden Gutachten des Sachverständigen H. vom Bundeskriminalamt, der aufgrund vergleichender Untersuchungen festgestellt hat, dass die am Tatort von KHK F. gefundenen und von KHK K. sichergestellten Patronenhülsen des Kalibers 5,56 mm in dem vorgenannten Selbstladegewehr gezündet worden sind.

Zur Verwendung des vorgenannten Gewehrs und zur Wirkung der abgefeuerten Munition hat der Sachverständige Dr. H. vom Bundeskriminalamt ausgeführt, dass es sich bei dem halbautomatischen Gewehr um eine hochwertige Präzisionswaffe gehandelt habe, mit der nur Einzelschüsse verfeuert werden konnten. Nachdem einige Zeugen bei der Schilderung ihrer akustischen Wahrnehmung vom Tatgeschehen von der Benutzung einer Maschinenpistole ausgegangen sind, geht der Senat davon aus, dass die Tatwaffe bei der Tatausführung durch mehrfaches, äußerst schnell sich wiederholendes Betätigen des Abzuges eine so dichte Schussfolge erreicht hat, was zu einer entsprechenden Wahrnehmung geführt hat.

Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. habe es sich bei der Tatmunition um eine damals neue Militärmunition, eine sog. Vietnam- Munition gehandelt, die zwar als Vollmantelmunition ausgestaltet ist, sich jedoch aufgrund des Austritts von Kernmaterial aufgrund der hohen Geschossgeschwindigkeit und des offenen Geschossbodens wie eine Teilmantelmunition verhalten habe, da bei Auftreffen auf den menschlichen Körper durch Zerlegung des Geschossmantels große Schusshöhlen entstehen.

f. Feststellungen am Dienstwagen

Zu den Beschädigungen am Dienstwagen Daimler Benz (Fahrgestellnummer 11401510240986; polizeiliches Kennzeichen LB-MV 949) hat der Senat den Zeugen KHK F. vernommen und die von dem Dienstwagen speziell gefertigten Lichtbilder sowie die Lichtbilder vom Tatort, auf denen der Dienstwagen abgebildet ist, in Augenschein genommen. An dem Dienstwagen waren auf der rechten Fahrzeugseite sämtliche Scheiben zertrümmert, aber keine Einschüsse an den Türen feststellbar, während auf der linken Fahrzeugseite die Scheiben intakt waren, sich an den Türen die oben festgestellten Ausschüsse sowie zwei Ausbeulungen ohne Durchschüsse befanden. Der Zeuge hat ergänzend ausgeführt, er habe das Fahrzeug auf weitere Tatmunitionsteile untersucht, hierbei neben der Sicherung eines Geschossmantels in der Fahrertür und mehrerer kleinerer Geschosssplitter in der Türe hinten links die Schussbeschädigungen fotografiert und in die festgestellten Durchschüsse (ein Durchschuss in der Fahrertür, zwei Durchschüsse in der Türe hinten links sowie ein Durchschuss im Fahrersitz) Metallstäbe durchgeführt, um die wahrscheinliche Schussrichtung kenntlich zu machen. Diese Stäbe hätten von rechts oben nach links unten geführt.

Diese Feststellungen stimmen mit den gutachterlichen Einschätzungen bei den durchgeführten Obduktionen und bei der Untersuchung der Kleidung der getöteten Personen überein und werden zudem auch durch die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. med. Dipl. Phys. W. und Dipl. Physikerin W. bestätigt, die eine Rekonstruktion des Tatablaufs unter Berücksichtigung aller noch vorhandener objektiver Anknüpfungspunkte durchgeführt haben. Die Sachverständigen, beides diplomierte Physiker, Prof. Dr. W. zudem erfahrener Gerichtssachverständiger und von 1989-2008 Inhaber des Lehrstuhls für gerichtliche Medizin der Universität Tübingen, haben die Schussbahnen bezüglich der drei auf der Fahrerseite festgestellten Durchschüsse anhand sämtlicher noch vorhandener Lichtbildaufnahmen von dem Dienstwagen unter Berücksichtigung der perspektivischen Verzerrungen rekonstruiert. Nach dem Ergebnis ihrer Untersuchungen sind die an dem Dienstwagen ersichtlichen Schussbeschädigungen nur bei einer Schussrichtung auf die rechte Fahrzeugseite des Dienstwagens technisch zu erklären. Bei Annahme einer maximalen Herabsenkung der Sitzhöhe des Sozius von 4 cm unter Belastung des mit 2 Personen besetztem Tatmotorrad hätten nach den getroffenen Feststellungen der Sachverständigen je nach Ausgestaltung der Entfernung des Motorradlenkers zum Spiegel des Dienstwagens zwischen 1 cm bis 20 cm Abstand sowohl kleinere Personen mit einer Größe von beispielsweise 1,64 cm (wie die Angeklagte) als auch deutlich über 1,70 cm große Personen vom Soziussitz aus die Schüsse in das Wageninnere aus einer sog. „bequemen Körperhaltung“ abfeuern können. Die Person des Schützen ist damit von der Höhe der außerhalb des Dienstwagen gehaltenen Waffe nicht weiter eingrenzbar.

g. Der Tatvorsatz

Aus dem konkreten Ablauf der Tatausführung, insbesondere aus der Art und der Zahl der von der hinteren rechten bis zur vorderen rechten Fahrzeugseite ins Fahrzeuginnere abgefeuerten Schüsse entnimmt der Senat die Überzeugung, dass es den Tätern darauf ankam, alle im Fahrzeug sitzenden Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs versahen, zu töten. Hierdurch erreichten sie - wie zuvor geplant - , dass sie von diesen Personen unerkannt und ungehindert unmittelbar nach dem letzten Schuss die Flucht antreten konnten.

h. Das Entfernen vom Tatort in Richtung Karlsruher Innenstadt

Auf ihrem Weg in Richtung Zirkel wurden die Täter - nachdem sie an dem ihnen zu Fuß entgegenkommenden Zeugen B. vorbeigefahren waren - noch von den Zeugen Willi R. und Jochen K. wahrgenommen. Nach den verlesenen Angaben des in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen R. sei dieser im Begriff gewesen, aus der Bismarckstraße kommend, in Richtung Hans Thoma Straße zu fahren und nach rechts in Richtung Zirkel einzubiegen, als er von links mehrere Schüsse gehört habe und in seinem linken Außenspiegel Mündungsblitze, die von einem Motorrad ausgegangen seien, habe erkennen können. Das Motorrad sei mit zwei Personen besetzt neben einem schwarzen Mercedes her- und dann vorbeigefahren. Als der Zeuge in diesem Moment in die Kreuzung eingefahren sei, sei das Motorrad an dem Fahrzeug des Zeugen rechts „vorbeigeschossen“ und in Richtung Zirkel davongefahren. Von dem Kennzeichen habe er LU und die Ziffer 8 ablesen können. Diese Angaben zum schnellen Entfernen vom Tatort werden bestätigt durch den Zeugen K., der mit seinem Fahrzeug den Zirkel befuhr. Im Bereich der Kunstgalerie sei ein mit zwei Personen besetztes Motorrad „angeschossen“ gekommen, wobei er gedacht habe, dieses wolle ihn rammen. Von dem Kennzeichen habe der Zeuge LU-N ablesen können.

Dass auch der Zeuge D. die beiden Täter auf ihrer Flucht wahrgenommen hat, konnte nicht festgestellt werden. Während sich der Zeuge in der Hauptverhandlung lediglich daran erinnern konnte, er sei in Karlsruhe von einem mit zwei Personen besetzten Motorrad am Klosterweg überholt worden, wobei das Motorrad sehr schnell in den Zirkel gefahren sei, hat der Zeuge in einer polizeilichen Vernehmung am 13. April 1977 angegeben, ein mit zwei Männern besetztes Kraftrad habe ihn gegen 9:30 Uhr auf dem Zirkel in Richtung Waldhornstraße fahrend überholt und sei nach rechts in die Waldhornstraße eingebogen. 3-4 Fahrzeuge hinter dem Krad, welches das Kennzeichen LU gehabt habe, sei ein Alfa Romeo mit grau-metallic-farbener Lackierung und dem Kennzeichen GER ebenfalls in die Waldhornstraße eingebogen. Während das Tatmotorrad um 9:20 Uhr bereits auf den Waldwegen im Oberwald gesehen wurde (s.u.), ist das Fluchtfahrzeug Alfa Romeo ab 9:20 Uhr auf dem Parkplatz unter der Autobahnbrücke in Wolfartsweier beobachtet worden (s.u.).

2. Feststellungen zur Flucht

a. Die Fahrt des Tatmotorrads bis nach Wolfartsweier

aa. Die Fahrtstrecke

Die Feststellungen, dass die beiden Täter mit ihrem Motorrad über den Zirkel der Karlsruher Innenstadt Richtung Wasserwerk, über die dortige Brücke am Wasserwerk durch den Oberwald nach Wolfartsweier zu der Unterführung der dortigen Autobahnbrücke geflüchtet waren, stützt der Senat auf die Angaben der Zeugen Kurt B., Hubert H., Daniel R. und Ludwig S. Nach den Angaben des Zeugen H., der damals beim Wasserwerk Karlsruhe beschäftigt war, habe dieser gegen 9:15 Uhr vom Frühstücksraum des Wasserwerks aus ein mit zwei Personen besetztes Motorrad beobachtet, das aus Richtung Innenstadt kommend über die Wasserwerkbrücke in Richtung Oberwald gefahren sei. Die beiden Personen auf dem Motorrad seien mit olivgrünen Sturzhelmen und Parkas in derselben Farbe gekleidet gewesen. Nach den verlesenen polizeilichen Angaben des mittlerweile verstorbenen Zeugen B. sei dieser mit seinem Fahrrad in Richtung Oberwald in südlicher Richtung unterwegs gewesen und unmittelbar nach dem Wasserwerk bei der Abzweigung zum Tierpark von einem mit zwei Personen besetzten schweren Motorrad überholt worden. Der als Tierpfleger im Tierpark beschäftigt gewesene, in der Zwischenzeit ebenfalls verstorbene Zeuge R. hat nach seinen verlesenen polizeilichen Angaben gegen 9:20 Uhr in einer Entfernung von etwa 150-200 m ein aus Richtung Wasserwerk kommendes schweres Motorrad in Richtung Autobahn vorbeifahren gesehen. Kurz darauf seien dem in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen S. nach dessen verlesenen polizeilichen Angaben und dem verlesenen Vermerk des KHM F. über dessen Mitteilung, zwei olivgrün gekleidete Männer auf einem Motorrad mit Ludwigshafener Kennzeichen aufgefallen, die in den Waldweg eingebogen seien, der nach wenigen 100 m zur Unterführung der Autobahnbrücke Wolfartsweier geführt habe. Nach telefonischer Benachrichtigung der Polizei durch Ludwig S. wurde das Motorrad nebst zwei Integralhelmen bei einer Absuche des näheren Geländes mit dem Zeugen in der Kammer eines Brückenpfeilers der Autobahn in Wolfartsweier aufgefunden. Soweit der zwischenzeitlich verstorbene Zeuge S. hinsichtlich der weiteren Beschreibung der wahrgenommenen Personen auf dem Motorrad einerseits angegeben hatte, die beiden Männer auf dem Motorrad, die wie Brüder ausgesehen hätten, hätten Pudelmützen getragen, andererseits aber im Rahmen einer späteren Befragung auch erklärt habe, bei einem der Kradbenutzer könne es sich auch um eine Frau gehandelt haben, führen diese widersprüchlichen Angaben zu keiner anderen Beurteilung.

Dass die flüchtigen Täter mit ihrem Motorrad die jeweiligen Orte zu den von den o.g. Zeugen entlang des Fluchtweges erinnerten Uhrzeiten erreicht haben konnten, belegen polizeiliche Vergleichsmessungen durch den Polizeibeamten P. Nach den Angaben des Zeugen sei die Brücke am Wasserwerk vom Anschlagsort aus in etwa 4 ½ min zu erreichen gewesen; der Weg von der Brücke bis zum späteren Fundort des Tatmotorrades sei in etwa 6 ½ min zurückzulegen gewesen.

bb. Der Fund des Tatmotorrads

Die Feststellungen zum Fund des Motorrads in der Kammer der Autobahnbrücke Wolfartsweier beruhen auf den Angaben des Zeugen KHK St., der berichtete, dass zwischen Wand und Motorrad auch die beiden olivgrünen Schutzhelme eingeklemmt gewesen seien, wobei an einem der beiden Sturzhelme das Visier gefehlt habe. Der Zeuge KHK K., der die aufgefundenen Gegenstände asserviert hatte, hat dem Senat die Auffindesituation in der Kammer anhand der in Augenschein genommenen Lichtbilder erläutert.

b. Die weitere Flucht mit dem Alfa Romeo bis nach Sachsenheim

aa. Die Fahrtstrecke

Die Feststellungen, dass die beiden Täter, nachdem sie das Motorrad in der Brückenkammer versteckt hatten, zu dem nur wenige Schritte entfernt liegenden Parkplatz unter der Autobahnbrücke liefen und in den dort geparkten Alfa Romeo mit dem amtlichen Kennzeichen GER-AM 25 einstiegen und gemeinsam wegfuhren, stützt der Senat zunächst auf die Angaben des Zeugen K., der geschildert hatte, er sei - wie an den Vortagen - auch an dem Morgen des 7. April 1977 auf seiner Auslieferungsfahrt an der Autobahnbrücke vorbeigekommen und habe den Wagen auf dem Parkplatz stehen gesehen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter C.IV.5.a Bezug genommen. Im Gegensatz zu den Beobachtungen an den Vortagen sei der Wagen an diesem Tag nicht unbesetzt gewesen, sondern es sei eine Person auf dem Fahrersitz gesessen. Der Senat zieht daraus den Schluss, dass dort unter der Autobahnbrücke in dem Alfa Romeo das dritte „RAF“-Mitglied auf die beiden Tatgenossen wartete, die zuvor den Anschlag auf Generalbundesanwalt B. und seine beiden Begleiter verübt hatten.

Dass die weitere Flucht mit dem Alfa Romeo fortgesetzt wurde, entnimmt der Senat den Angaben des Zeugen POK N., der im Zuge einer unmittelbar nach dem Anschlag ausgelösten Ringalarmfahndung eingesetzt war. Nach den Angaben des Zeugen habe dieser zusammen mit seinem Kollegen St. auftragsgemäß an einer Kontrollstelle, gelegen zwischen Stein und Bauschlott, den Fahrzeugverkehr auf der Kreuzung der Landesstraße 611 mit der Kreisstraße 4531 bei Nussbaum beobachtet. Im Rahmen der Tätigkeit seien in einer Liste, die sein Kollege geführt habe, Fahrzeuge nach amtlichen Kennzeichen, Modell, Farbe und Anzahl der Insassen schriftlich festgehalten worden, die die Kontrollstelle überfahren hätten. Nach den Angaben des Zeugen, die den Eintragungen der verlesenen Liste entsprachen, habe der Alfa Romeo mit dem vermerkten Kennzeichen am 7. April 1977 um 9:51 Uhr die Kontrollstelle aus westlicher in östlicher Richtung passiert. In dem Fahrzeug seien drei Personen gesessen. Angaben über das Geschlecht der Personen konnte der Zeuge nicht machen.

Nach den Eintragungen in der verlesenen Liste hatte die Kontrollstelle ebenfalls um 9:51 Uhr ein Pkw Ford mit Kennzeichen „PF“ passiert. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass dieses Fahrzeug - wie von der Nebenklage vermutet - ebenfalls von den „RAF“-Mitgliedern benutzt und den beobachteten Alfa Romeo begleitet hat, konnte der Senat im Rahmen der Beweisaufnahme nicht finden.

Die weitere Fahrtstrecke ab der vorgenannten Kontrollstelle konnte mangels vorhandener Beobachtungen von Zeugen nicht ermittelt werden; jedenfalls bemerkte die Zeugin Charlotte D., wie der Alfa Romeo zwischen 10:00 und 10:30 Uhr gegenüber ihrer Wohnung in Sachsenheim in der Wiesenstraße geparkt wurde. Nach den verlesenen polizeilichen Angaben der Zeugin, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Hauptverhandlung erscheinen konnte, habe die Zeugin, die gerade mit Fensterputzen beschäftigt gewesen sei, beobachtet, wie der Alfa Romeo schnell angefahren gekommen sei und dann in der als Sackgasse ausgestalteten Wiesenstraße auf der in Fahrtrichtung linken Seite geparkt habe. Aus dem Auto, das sie aus einer Entfernung von etwa 30 m beobachtet habe, seien drei Männer ausgestiegen und ohne aufeinander zu warten zu Fuß in Richtung Bahnhof davon gelaufen. In einer im Januar 1978 durchgeführten Einzelgegenüberstellung hat die Zeugin das „RAF“-Mitglied S. nach ihrer Ansicht zweifelsfrei als die Person wieder erkannt, die sie als ersten der drei Männer gesehen habe, als sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen seien. An diesen Mann habe sie noch eine sehr genaue Erinnerung, weil ihr an ihm nicht nur seine leicht nach vorn gebeugte Haltung aufgefallen sei, sondern sie sich auch an eine schwarze Tasche habe erinnern können, die er bei sich getragen habe. Ihr seien bis zu diesem Zeitpunkt keine Lichtbilder vorgelegt worden; sie habe nur die in der Zeitung veröffentlichten Fahndungsfotos gesehen. Im Rahmen dieser Vernehmung habe die Zeugin bei der dritten von ihr beobachteten Person nach einer Wahllichtbildvorlage eine gewisse Ähnlichkeit mit Christian K. feststellen wollen. Anlässlich einer Wahlgegenüberstellung mit Christian K. im Jahr 1983 in der JVA Frankenthal erkannte die Zeugin nach den Erläuterungen des Zeugen KHK K. diesen zwar wieder, konnte jedoch nicht ausschließen, dass sie ihn aufgrund der vielen zwischenzeitlichen Veröffentlichungen „wiedererkannt“ hatte; mit dem damaligen Vorfall habe sie ihn jedenfalls nicht mehr in Verbindung bringen können. Im Rahmen einer Einzelgegenüberstellung mit Knut F. im Januar 1979 in der JVA München-Stadelheim habe es die Zeugin nach Angaben des Zeugen KHK K. für möglich gehalten, dass es sich bei ihm um eine der an dem 7. April 1977 beobachteten drei Personen gehandelt habe, sie habe sich allerdings nicht festlegen wollen. Da sich der Senat kein eigenes Bild über die Einzelheiten der Wahrnehmungen, insbesondere zur Frage der Wiedererkennung machen konnte, steht nicht mit der erforderlichen Gewissheit fest, welche drei männlichen Personen den Fluchtwagen verlassen haben.

Dass die von den Zeugen N. und D. genannten Zeitangaben plausibel sind, belegen die Abklärungen der Zeugen KHK M. und POK Sch., die die Fahrtstrecke zwischen dem Parkplatz unter der Autobahnbrücke Wolfartsweier bis zum Auffindeort des Fluchtwagens in Sachsenheim abgefahren sind. Nach ihren Angaben hätte der Fluchtwagen je nachdem, ob die Insassen auf eine unauffällige Fahrweise unter Einhaltung der Verkehrsvorschriften oder auf ein möglichst schnelles Vorankommen bedacht gewesen waren, zwischen 49 min und 65 min benötigt. Bei vorschriftgemäßer Fahrweise und Abfahrt vom Parkplatz unter der Autobahnbrücke bei Wolfartsweier um 9:16 Uhr sei der Testwagen um 9:52 Uhr zum Bereich der vorgenannten Kontrollstelle gelangt, während bei schneller Fahrweise in einer weiteren 2 Std. später durchgeführten Testfahrt dieser Punkt schon 15 min. früher erreicht worden sei. Die weitere Strecke habe über Zaisersweiher und Schützingen nach Horrheim geführt, dann habe man jedoch nicht über Sersheim nach Sachsenheim weiter fahren können, da damals die direkte Straßenverbindung von Sersheim nach Sachsenheim gesperrt gewesen sei. Der Testwagen sei daher die letzte Strecke über Hohenhaslach nach Sachsenheim gefahren und in der dortigen Wiesenstraße um 10:21 Uhr angekommen.

Nach diesen Feststellungen hält es der Senat bereits aus zeitlichen Gründen für ausgeschlossen, dass der um 9.51 Uhr an der vorbezeichneten Stelle beobachtete Fluchtwagen Alfa Romeo bereits kurz nach 10:00 Uhr in dem von Sachsenheim in etwa 7 km in östlicher Richtung liegenden Bietigheim-Bissingen gewesen sein kann. Hiervon hatte der Zeuge Martin E. allerdings berichtet. Nach den verlesenen polizeilichen Angaben des in der Zwischenzeit verstorbenen Zeugen habe dieser - als er in Bietigheim-Bissingen von der Buchstraße in die B 27 eingebogen sei - ein graues Fahrzeug mit GER-Kennzeichen gesehen, in dem er neben zwei weiteren männlichen Personen Knut F. als Fahrer erkannt haben will. Nachdem der Zeuge allerdings weiter angegeben hat, er habe das Fahrzeug, welches aus Richtung Ludwigsburg gekommen sei, nicht als Alfa Romeo wahrgenommen; geht der Senat wegen der unzureichenden Identifikation des vom Zeugen beobachteten Fahrzeugs und dessen Fahrtrichtung davon aus, dass der Zeuge nicht das Fluchtfahrzeug gesehen haben kann.

bb. Der Fund des Fluchtfahrzeugs

Der bereits am 7. April 1977 in Sachsenheim in der Wiesenstraße beobachtete Alfa Romeo wurde nach den Angaben des Zeugen KHK H. am 10. April 1977 am gleichen Ort sichergestellt. Dass die Täter in diesem Fahrzeug ihre Flucht fortgesetzt haben, entnimmt der Senat - neben den bereits geschilderten Beobachtungen des Zeugen K. - auch aus folgenden Umständen:

In dem sichergestellten Fahrzeug wurde nach dem verlesenen Sicherstellungsverzeichnis des KHK B. vom BKA die bei der Tat mitgeführte braune Kunstledertasche aufgefunden. An der Tasche wurden Beschädigungen festgestellt, die durch Hitzeeinwirkungen entstanden waren. Eine entsprechende Abschmelzung von Kunststoff war nach den Schilderungen des Zeugen KHK K. am rechten Schalldämpfer des Tatmotorrades gesichert worden, was auf mehreren in Augenschein genommenen Lichtbildern anschaulich zum Ausdruck kommt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Sch. vom BKA sind die Anhaftungen am Auspuff des Tatmotorrads und der im Alfa Romeo aufgefundenen Reisetasche materialgleich; auch nach Form und Größe stimme die Anhaftung unter Berücksichtigung wärmetypischer Veränderungen mit der Beschädigung an der Reisetasche überein. Diese Feststellung belegt, dass die Tasche mit dem heißen Auspuff des Tatmotorrads in Berührung gekommen war. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass es sich bei der im Alfa Romeo aufgefundenen Tasche um die von mehreren Zeugen beschriebene braune Tasche, die die Person auf dem Sozius des Tatmotorrads gehalten hatte, gehandelt hat.

Hinzu kommt, dass sich in der sichergestellten Kunstledertasche außer einer Motorradjacke, einem Motorradhandschuh, einem Nierenschutzgürtel und zwei Trainingshosen ein Visier für einen Motorradhelm befunden hat. Dieses Visier habe - wie der Zeuge KHK K. bekundet hatte - an einem der von den Tätern in der Brückenkammer bei Wolfartsweier zurückgelassenen Helme gefehlt. Dass das Visier hierzu passt, hat der Senat gleichfalls durch Augenschein festgestellt. Das Visier weist darüber hinaus leicht erkennbar im Bereich der Befestigungsaussparung Antragungen der grünen Farbe auf, mit welcher beide Helme überspitzt worden waren.

In der im Alfa Romeo aufgefundenen Kunstlederreisetasche befand sich nach dem von KHK B. verlesenen Sicherstellungsverzeichnis außerdem ein Schraubendreher mit Logo der K. AG. Der Senat geht davon aus, dass es sich bei diesem Schraubendreher um den vom Zeugen W. beschriebenen Schraubendreher handelt, den die Person auf dem Sozius an dessen Tankstelle nach dessen Schilderungen aus der Reisetasche geholt und anschließend wieder dorthin zurückgesteckt haben soll.

c. Die weitere Flucht

Wie sich die 3 Tatbeteiligten nach Verlassen des Fluchtfahrzeugs Alfa Romeo in Sachsenheim von diesem Ort weiter entfernt haben, konnte vom Senat im Rahmen der Beweisaufnahme nicht hinreichend sicher festgestellt werden. Nach Angaben der Zeugin D. hätten sich die von ihr beobachteten Personen in Richtung Bahnhof laufend entfernt. Ob sie in Sachsenheim tatsächlich in einen Zug eingestiegen sind, um möglicherweise nach Umsteigen in Bietigheim auf schnellem Wege außer Landes zu kommen, steht nicht fest. Die Angaben des Zeugen Rolf M., der erstmals jetzt in der Hauptverhandlung bekundet hat, er habe am 7. April 1977 eine französische Austauschschülerin zum Bietigheimer Bahnhof gebracht und dort - auf den Orientexpress Richtung Paris wartend - gegen 10.30 Uhr eine Gruppe, bestehend aus 3 männlichen Personen und einer kleineren, zierlich wirkenden weiblichen Person mit Bubikopf gesehen, die nervös „rumgebubelt“ bzw. „herumgekaspert“ hätten, vermag zu keiner weiteren Aufklärung zu führen. Unabhängig von der Frage, ob es den Tätern aufgrund der von der o.g. Beobachtungsstelle bei Nussbaum, die sie um 9.51 Uhr erreicht hatten, in zeitlicher Hinsicht überhaupt möglich gewesen war, so rechtzeitig nach Sachsenheim zu kommen, um einen dort nach Bietigheim-Bissingen abfahrenden Zug mit dortiger Ankunft um 10:30 Uhr zu erreichen, war der Zeuge nicht in der Lage, die von ihm beobachteten Personen näher zu beschreiben, da er nur deren Statur, nicht aber deren Antlitz gesehen und sowohl im Jahr 1977 als auch in der hiesigen Hauptverhandlung keine Personen wiedererkannt hat.

3. Feststellungen zu den unmittelbaren Tätern des Anschlags

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme kann der Angeklagten zur Überzeugung des Senats eine unmittelbare Beteiligung an dem Anschlag selbst nicht nachgewiesen werden.

Von keinem der Zeugen, die das Geschehen ab dem sog. Auflauern der Täter unmittelbar vor der Tatausführung bis zur anschließenden Flucht beobachtet haben und hierüber Angaben machen konnten, hat der Senat sichere Hinweise auf die Beteiligung einer konkreten Person erlangt. Keine der am Anschlag beteiligten und im Rahmen der anschließenden Flucht wahrgenommenen Personen konnte aufgrund Angaben der Zeugen sicher identifiziert werden. Zur Bewertung der aus anderen Beweismitteln oder aus Schlussfolgerungen gezogenen etwaigen weiteren Hinweisen auf die Angeklagte als Täterin siehe nachf. VII..

Soweit von einer Reihe von Zeugen in der Hauptverhandlung geschildert wurde, auf dem Sozius des Motorrades sei ihrem Eindruck nach eine weibliche Person gesessen bzw. dies haben sie nicht ausschließen können, konnte - unabhängig von der weiteren Frage der nicht erfolgten Identifizierung einer konkreten Person - der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass es sich bei der Person auf dem Sozius des Tatmotorrades auch tatsächlich um eine Frau gehandelt hat. Für diese Feststellung waren folgende Gesichtspunkte maßgebend:

Die beiden auf dem Tatmotorrad sitzenden Personen hatten nach den überwiegenden Angaben der Zeugen Integralhelme auf; insoweit war es - auch nach den Entfernungen - nicht möglich, deren Gesichtszüge genügend zu erkennen; auf die Ausführungen zu IV.5.b. wird insoweit Bezug genommen. Die Beobachtungen haben sich zudem auf eine rasche Abfolge von einzelnen in Bewegung befindlichen Objekten, begleitend von erheblichen Geräuschen durch die abgegebenen Einzel-Schüsse, die bei einzelnen Beobachtern auch kurzzeitig zu einem Erschrecken bzw. zu einer Ablenkung geführt haben, bezogen. Die Schilderungen waren außerdem geprägt von subjektiven Bewertungen anhand verschiedener Faktoren wie Schätzungen bezüglich Größe und Körperstatur der aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommenen Personen auf dem Motorrad. Hinzu kommt, dass die beschriebene Bekleidung der auf dem Motorrad sitzenden Personen die Umrisse und Statur der Personen kaum erkennen ließ.

Während aus den vorgenannten Erwägungen gewichtige Anhaltspunkte für die Beteiligung einer Frau an der Anschlagsdurchführung nicht gewonnen werden konnten, besteht jedoch aufgrund von Beobachtungen von Zeugen zu einem Zeitpunkt, als die jeweiligen Fahrzeuge nicht in Bewegung waren und daher mehr als nur einen flüchtigen Eindruck von den beteiligten Personen aus teilweise kürzerer Entfernung zuließen, die große Wahrscheinlichkeit, dass an der Anschlagsdurchführung und der anschließenden Flucht drei männliche „RAF“-Mitglieder beteiligt waren.

So haben unmittelbar vor dem Anschlag die Zeugen Heinrich W. und Steven J. auf dem Gelände der Esso-Tankstelle an der Linkenheimer Landstraße das Tatmotorrad gesehen und konnten aus der Nähe erkennen, dass es sich bei der Motorradbesatzung um zwei Männer gehandelt hat. Kurze Zeit nach dem Anschlag konnte die Zeugin D. von ihrer Wohnung in Sachsenheim aus beobachten, wie in unmittelbarer Nähe das Fluchtfahrzeug Pkw Alfa Romeo abgestellt wurde und aus diesem Fahrzeug drei männliche Personen ausstiegen und sich entfernten (s.oben V.2.b.aa.).

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehen für den Senat die Beteiligten auf dem Motorrad bzw. der im Fluchtwagen auf das Eintreffen der beiden Motorradfahrer wartende Beteiligte, nicht fest. Zwar waren nach den Feststellungen der verlesenen Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart in den gegen Knut F., Christian K. sowie Brigitte M. geführten Strafverfahren Knut F. und Christian K. an dem Anschlag vom 7. April 1977 unmittelbar beteiligt; allerdings konnten sich die beiden Senate auch nicht festlegen, welche Personen „dem Erschießungskommando angehörten“ und welche Person im Fluchtwagen absprachegemäß wartete. Diese Überzeugung wurde aus den Umständen gebildet, dass F. und K. mit S. „alle in Karlsruhe schon lange zu Haus und miteinander befreundet, (…) in engem zeitlichen und räumlichen Vor- und Umfeld der Tat von zahlreichen, jeweils unabhängig voneinander beobachtenden Zeugen erkannt (wurden), als sie die wenig später zu Tatausführung und Flucht dienenden Fahrzeuge benutzten“ und daraus geschlussfolgert, dass „jene drei auch am Tattag mit diesen Fahrzeugen zugange waren“, wobei die Möglichkeit, am Tattage könnten kurzfristig andere Bandenmitglieder für die drei Genannten eingesprungen sein, ausgeschlossen wurde.

Diesen Schluss, dass die bei den unmittelbaren Tatvorbereitungen erkannten Personen auch zweifelsfrei die an der Durchführung des Attentats Beteiligten darstellen, kann der Senat nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht ziehen. Zum einen bleiben die Feststellungen des Senats zur Frage der Wiedererkennung der an den unmittelbaren Tatvorbereitungshandlungen beteiligten Personen aufgrund der dargestellten Erwägungen hinter den Feststellungen der beiden anderen Strafsenate zurück; zum anderen hat der Senat bei einzelnen Zeugenangaben Anhaltspunkte dafür gewonnen, dass nicht nur die drei Genannten bei den Vorbereitungen ausschließlich einbezogen waren. Die Beteiligung von Günter S., Knut F. und Christian K. als Täter des Anschlagskommandos - wie in den angeführten Urteilen des OLG Stuttgarts festgestellt - ist andererseits nicht ausgeschlossen.

An dieser Bewertung vermag auch der Umstand, dass nach der bereits erwähnten unbestätigten Einzelinformation gegenüber dem BfV zufolge Christian K., Günter S. und Stefan W. die unmittelbaren Täter des Anschlags vom 7. April 1977 gewesen sein sollen, nichts zu ändern. Günter S. soll das Tatmotorrad gelenkt, Stefan W. der Schütze auf dem Sozius gewesen sein und Christian K. soll das Fluchtfahrzeug Alfa Romeo gesteuert haben. Derartige Einzelinformationen, die - wie bereits erwähnt - unbestätigt geblieben ist, werden auch vom BfV nicht als genügend beweiskräftig angesehen. Die Einzelinformation kann nicht durch andere Beweismittel bestätigt werden; weitere Zeugen aus dem Kreis der „RAF“ haben Angaben hierzu verweigert. Der Zeuge B. hat angegeben, keine unmittelbaren Kenntnisse über die unmittelbaren Tatbeteiligten des Attentats zu besitzen, sondern aus verschiedenen Umständen nur Schlussfolgerungen ziehen zu können. Das ehemalige „RAF“-Mitglied L. hat nur mittelbare Kenntnisse hierüber erlangt. Er hat angegeben, er habe das Motorrad für den Anschlag auf General H. besorgt und habe es bei dem Anschlag auch fahren sollen. Es sei damals überlegt worden, ob ein weiteres „RAF“-Mitglied Motorradfahren könne. In diesem Zusammenhang habe er - L. - von Christian K. oder Adelheid Sch. erfahren, dass das Motorrad beim Anschlag auf Generalbundesanwalt B. entweder von F. oder von S. gelenkt worden sei. L. gab weiter an, dass er Gesprächen in der Gruppe entnommen habe, dass es ein kleiner Kreis gewesen sei, der die Aktionen 1977 durchgeführt habe. Außer M. und H. seien dies K. und W., aber vor ihrer Festnahme auch die weiteren Mitglieder der „Förster-Gruppe“ S. und F. gewesen. Diese seien immer als der aktive Kern der Gruppe dargestellt worden.

Angesichts dieser widersprüchlichen Hinweise, die im Rahmen der Beweisaufnahme nicht mehr hinreichend sicher verifiziert werden konnten, sah sich der Senat nicht in der Lage, sichere Feststellungen zu den unmittelbaren Tätern des Anschlags vom 7. April 1977 zu treffen.

4. Feststellungen zu der Tatbeteiligung der Angeklagten

a. Die Bestärkung der Haupttäter

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angeklagte nicht nur auf dem Treffen in den Niederlanden die verbindliche, abschließende Entscheidung, Generalbundesanwalt B. und seine Begleiter zu töten, im Beisein der späteren Täter mitbestimmt und diese hierdurch in ihrem Tatentschluss wissentlich und willentlich bestärkt hat, sondern auch nach dem Treffen in den Niederlanden ihre dort eingenommene Haltung zu einer grundsätzlichen und zügigen Durchsetzung des beschlossenen Attentats auf Generalbundesanwalt B. bei weiteren Kontakten mit Gruppenmitgliedern, u.a. auch mit denjenigen aus der Gruppe, die mit der weiteren Vorbereitung des Anschlags und dessen Durchführung befasst waren, bekräftigt hat. Der Senat stützt seine Überzeugung auf folgende Gesichtspunkte:

Die Gruppe bestand im Frühjahr 1977 aus einer kleinen, in der Illegalität und konspirativ lebenden, zum Teil mit Haftbefehlen gesuchten, geringe Anzahl von etwa 15 Mitgliedern, die alle zusammen entsprechend der gemeinsam getroffenen Entscheidung zur Durchführung von Aktionen grundsätzlich auch für die Wahrnehmung von Aufgaben für die geplanten Aktionen bereit waren. Der geplante Anschlag auf Generalbundesanwalt B. als Auftakt der Anschlagsserie und die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hierzu vorgesehenen weiteren Aktionen bedurften einer Fülle von weiteren Vorbereitungen, die auch koordiniert werden mussten. Hierfür war ein Kontakt untereinander - wenn auch nicht laufend in der gesamten Gruppe - zwingend erforderlich, wobei die Mitglieder untereinander auf die Hilfe bzw. die Unterstützung der anderen angewiesen waren.

Die Angeklagte, als „alte Kämpferin“ in der Gruppe angesehen, stand seit ihrer Rückkehr aus Aden nicht nur im Harz und in den Niederlanden, sondern sowohl vor als auch nach dem Anschlag in weiterem Kontakt zu Mitgliedern der Gruppe, die zum Teil mit speziellen Aufgaben betraut waren, und war mit diesen tätig.

So ließ sich zunächst ein gemeinsames Auftreten der Angeklagten mit Günter S. belegen. Gemeinsam mit ihm nahm die Angeklagte Ende 1976/Anfang 1977 im Auftrag der „RAF“ Kontakt zur „Bewegung 2. Juni“ auf. Von mindestens zwei Treffen der Angeklagten und Günter S. mit Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ hat das ehemalige Mitglied dieser Gruppierung, Gabriele R., berichtet und damit in der Hauptverhandlung ihre Ausführungen hierzu in dem Buch „Keine Angst vor niemand“ von Gabriele R. und Daniel D. bestätigt. Günter S. war nach Überzeugung des Senats zumindest an den unmittelbaren Tatvorbereitungen des Anschlags vom 7. April 1977 dadurch beteiligt, dass er das beim Anschlag verwendete Motorrad Suzuki in Düsseldorf angemietet und an den Schießübungen in der Nähe von Schützingen kurz vor dem Anschlag teilgenommen hatte (siehe oben IV.2.a. und IV.6.).

Auch nach dem Anschlag war die Angeklagte - nachdem die Tatbekennung hierfür in dem Zeitraum bis 13. April 1977 maßgeblich von Sieglinde H. und Brigitte M. entworfen worden war - beim Einlegen der Bekennerschreiben in die Briefumschläge und an der weiteren Verteilung mit nicht im einzelnen bekannten weiteren Mitgliedern beteiligt. Sie hatte anschließend wiederum mehrfach Kontakt zu Günter S.. So hielt sie sich mit ihm im Zeitraum vom 21. bis 28. April 1977 in Zürich und Umgebung auf und bekam in dieser Zeit von Rolf C. W. 4000 DM nach Zürich postlagernd überwiesen. In diesem Zeitraum befand sich auch Knut F. in der Nähe von Zürich. Ab 2. Mai 1977 war sie von Essen aus mit Günter S. in Richtung Zürich unterwegs, wobei der Senat - nachdem in der aufgegebenen Tasche auch Bekleidungsgegenstände von Günter S. aufgefunden werden konnten - davon ausgeht, dass auch ein weiterer gemeinsamer Aufenthalt in der Schweiz vorgesehen war. Beide wurden am 3. Mai 1977 in Singen festgenommen. In ihrem Reisegepäck führten sie neben Landkarten der Schweiz die Tatwaffe mit sich. Dass die Angeklagte seit dem Treffen in den Niederlanden ihre dort gezeigte oben beschriebene Haltung nicht geändert hatte, belegt insbesondere die Art und Weise, wie sie sich gegen ihre Festnahme gewehrt hatte.

Für den Senat steht daher fest, dass die Angeklagte auch nach dem Treffen in den Niederlanden bis zu ihrer Festnahme - wie von Peter-Jürgen B. beschrieben - als Führungsperson in der Gruppe durchgehend bestimmend mitgewirkt hat. Soweit sie sich dahingehend eingelassen hat, sie hätte sich im März 1977 für eine erneute Reise in den Nahen Osten begeben, von der sie erst am 8. April 1977 zurückgekehrt sei, hält der Senat dies für unglaubhaft. Insoweit wird auf die Ausführungen unter III.8.l. verwiesen.

b. Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Angeklagten

Die Angeklagte wollte - wie bereits ausgeführt - die Tötung von Generalbundes-anwalt B. durch das Tatkommando und dies fördern.

Der Senat hat auch die Überzeugung gewonnen, dass sich die gemeinsam gefasste Entscheidung auch auf die Erschießung aller Begleitpersonen erstreckt hatte. Tatsächlich wurden während des Anschlags alle Fahrzeuginsassen erschossen, was zunächst für eine entsprechende vorherige gemeinsame Entscheidung der Gruppe spricht. Es liegt zudem auf der Hand, dass ein Gelingen des Anschlags und ein sicheres Entkommen des Anschlagskommandos die Tötung aller Fahrzeuginsassen erforderte. Hätte einer der Insassen überlebt, hätte die Gefahr nahe gelegen, dass er die Täter und das Tatfahrzeug identifiziert oder auf die Täter schießt. Dafür, dass die Erschießung auch der Mitfahrer des Generalbundesanwalts in Abweichung der gemeinsam gefassten Entschließung geschah, fehlt jeder Anhaltspunkt.

VI. Feststellungen zum Geschehen nach dem Anschlag

1. Telefonat über die erfolgte Anschlagsdurchführung

Die Feststellung, dass Brigitte M. in Amsterdam noch am 7. April 1977 einen Anruf über die erfolgreiche Anschlagsdurchführung auf Generalbundesanwalt B. erhalten hatte, entnimmt der Senat den Angaben des Zeugen Peter-Jürgen B. Der Zeuge B. hat in der Hauptverhandlung insoweit angegeben, am Anschlagstag in der Wohnung im Baden-Powell-Weg in Amsterdam dabei gewesen zu sein, als Brigitte M. den Anruf entgegengenommen und anschließend mitgeteilt habe, der Anschlag sei erfolgreich ausgeführt worden. In der Wohnung hätten sich zum damaligen Zeitpunkt seiner Erinnerung nach zumindest noch Silke M.-W., Sieglinde H., möglicherweise auch Ralf F. sowie Elisabeth D. und noch weitere Personen, an die er keine konkrete Erinnerung mehr habe, aufgehalten. Zwischen Brigitte M. und dem Anrufer seien 3 oder 4 Sätze gewechselt worden. Nach dem kurzen Telefonat seien M. und H. sehr erleichtert gewesen.

Soweit der Zeuge insbesondere aus dem Verhalten von Sieglinde H., bei der er nach dem kurzen Telefonat eine große Erleichterung habe feststellen können, sowie aus der vage wahrgenommenen Stimme eines männlichen Anrufers den Schluss gezogen haben will, Stefan W., der damals in einer engeren Beziehung zu Sieglinde H. gestanden habe, sei Anrufer und Mitglied des Anschlagskommandos gewesen, handelt es sich um dessen Schlussfolgerungen, die der Zeuge - deutlich als solche gekennzeichnet - getrennt von seinen sicher wahrgenommenen Umständen mitgeteilt hat. Hierauf können keine weiteren Feststellungen begründet werden; insbesondere kann die Erleichterung H. wie auch die von Brigitte M. über das Gelingen des Anschlags allein schon auf das aus Sicht der „RAF“ geglückte Attentat zurückzuführen gewesen sein.

Dass sich am 7. April 1977 verschiedene Mitglieder der „RAF“ in Amsterdam im Baden-Powell-Weg aufgehalten haben, wird von der Zeugin Silke M.-W. bestätigt. Die Zeugin hatte in ihren Vernehmungen im Jahr 1990 - wie sie auch in der hiesigen Hauptverhandlung angegeben hatte - geschildert, sich am 7. April 1977 um die Mittagszeit in Amsterdam mit Brigitte M., Sieglinde H. und möglicherweise Rolf C. W. in einer Wienerwald-Gaststätte getroffen zu haben. Sie sei an diesem Tag der „RAF“ beigetreten. In der Wohnung im Baden-Powell-Weg habe ihr Peter-Jürgen B. ihre persönliche Waffe gegeben; sie habe diese Waffe zerlegen und wieder zusammenbauen müssen. Über die weiteren Personen, welche an diesem Tag noch in der Amsterdamer Wohnung gewesen seien, könne sie jedoch keine sicheren Angaben mehr machen. Soweit sie allerdings in ihrer früheren Vernehmung angegeben habe, sie sei noch am selben Tag nach Hamburg gefahren und ebenfalls noch am 7. April 1977 wieder nach Holland zurückgekehrt, wo Sie Rolf H. und Knut F. hinter der Grenze mit einem Pkw abgeholt hätten, um dann gemeinsam nach Amsterdam in die Wohnung zu fahren, habe sie bereits damals gezweifelt, ob sie nicht erst einige Tage später nach Holland zurückgekehrt und zu diesem - späteren - Zeitpunkt von Rolf H. und Knut F. abgeholt worden war. In ihrer Vernehmung in der hiesigen Hauptverhandlung war sich die Zeugin sicher, dass sie erst am nächsten Morgen mit dem sog. Hausfrauenbus nach Deutschland zurückgekehrt sei und bei ihrer Rückkehr wenige Tage später an der Grenze von Knut F. mit dem Auto abgeholt worden sei. Insoweit ist daraus kein Schluss auf die Mitglieder des Anschlagskommandos möglich.

Zu den vorgenannten Angaben der Zeugin ist in dem gegen sie ergangenen Urteil des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. Oktober 1991 (2-2 StE 1/91) insoweit Folgendes ausgeführt:

„(…) Am 7. April 1977 wurden Generalbundesanwalt B. und seine beiden Begleiter Georg W. und Wolfgang G. auf offener Straße von der ´RAF` ermordet.

Am selben Tag traf sich die Angeklagte in der Gaststätte Wienerwald in Amsterdam mit Brigitte M. und Sieglinde H. Beide machten ihr klar, dass nunmehr auch ihre Verhaftung drohe und forderten sie auf, abzutauchen und sich den ´Illegalen` anzuschließen. Nach einigen Stunden Bedenkzeit entschloss sie sich dazu. Noch am Abend des 7. April 1977 wurde sie in die konspirative Wohnung der ´RAF` in Amsterdam im Baden-Powell-Weg eingeführt. Dort traf sie neben Brigitte M. und Sieglinde H. auch Friederike K., Rolf H., Stefan W., Angelika S. und Peter-Jürgen B. Dieser überreichte ihr eine Waffe, einen Colt Springfield Kal. 45 mit zwei Magazinen, und ein Holster zum Zeichen ihrer Mitgliedschaft der im Untergrund kämpfenden ´RAF`. Die Waffe sollte ihr außerdem zum Schutz dienen, entsprechend dem ihr bekannten und von ihr gebilligten Gebot der ´RAF`, sich einer drohenden Festnahme unbedingt, notfalls auch durch rücksichtslosen Einsatz der Waffe, zu entziehen.(…).“

Hinsichtlich des Umstandes, welche Personen sich konkret in der konspirativen Wohnung in Amsterdam zum damaligen Zeitpunkt aufgehalten hatten, konnte der Senat keine weiteren Feststellungen treffen. Ein Täter des Anschlags vom 7. April 1977 könnte überdies durchaus noch an diesem Tag nach Amsterdam gefahren sein.

2. Feststellungen zu dem Banküberfall in Köln am 12. April 1977

Die Feststellungen zu dem als sog. Beschaffungstat eingestuften Überfall auf die Zweigstelle der Dresdner Bank in Köln am 12. April 1977 beruhen auf den Angaben des Zeugen EKHK a.D. Bernd G., der die Ermittlungsakten im Hinblick auf eine etwaige Beteiligung der Angeklagten ausgewertet hat. Der Zeuge EKHK a.D. Bernd G. berichtete, dass im Rahmen der Ermittlungen die Angeklagte und auch Günter S. als Tatbeteiligte in Verdacht standen, wobei Günter S. das nach dem Bankraub zur Flucht benötigte Kraftfahrzeug am 24. Februar 1977 unter den Personalien „Peter Sch., wohnhaft in der Bonnerstraße 7 in Düsseldorf“ angemietet und sich möglicherweise am Tag vor der Tat in der Nähe des Tatorts aufgehalten haben soll, während die Angeklagte unmittelbar bei der Tatausführung in der Bank mitgewirkt haben soll. Nach Bewertung sämtlicher Ermittlungserkenntnisse, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass keiner der damals vernommenen Zeugen die Angeklagte eindeutig als die Person des sog. Thekenspringers in der Bank wiedererkannt hat, kann der Angeklagten eine Tatbeteiligung nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden.

3. Feststellungen zu den Tatbekennungen

a. Nach der Überzeugung des Senats kann aus den Aufschriften und den Poststempeln der sichergestellten Umschläge im Zusammenhang mit dem vom Zeugen KHK K. gefertigten Asservatenverzeichnis entnommen werden, dass spätestens am 13. April 1977 (Datum des Poststempels) 10 Bekennerschreiben in Düsseldorf und Duisburg zur Post gegeben wurden, die an diesem oder am Folgetag bei den verschiedenen Nachrichtenagenturen eingingen; ein Bekennerschreiben wurde am 13. April 1977 in den Hausbriefkasten der dpa Düsseldorf geworfen.

b. Von dem Inhalt der gleich lautenden Schreiben wurde der dreiseitige Textteil nach Überzeugung des Senats zumindest federführend von Brigitte M. und Sieglinde H. verfasst. Dies beruht auf Angaben des Zeugen Peter-Jürgen B., die teilweise durch Angaben der Zeugen Silke M.-W. und Werner L. ihre Bestätigung finden. Nach den Schilderungen des Zeugen B. seien Kommandoerklärungen zu Anschlägen der „RAF“ grundsätzlich von diesen beiden Mitgliedern entworfen worden, wobei diese die Vorgabe der „Stammheimer“ über bestimmte Inhalte der Kommandoerklärungen beachtet hätten. Das Bekennerschreiben zu dem Anschlag auf Generalbundesanwalt B. sei am Tattag oder einem der Folgetage in der konspirativen Wohnung der „RAF“ in Amsterdam im Baden-Powell-Weg formuliert worden.

Dass sich Brigitte M. und Sieglinde H. zu dieser Zeit in Amsterdam aufgehalten haben und auch vom Zeugen B. dort wahrgenommen werden konnten, hat die Zeugin Silke M.-W. bestätigt. Wie bereits ausgeführt hat sie in der Hauptverhandlung bekundet, dass sich am Tag des Anschlages neben weiteren ihr nicht mehr erinnerlichen „RAF“-Mitgliedern in Amsterdam in der Wohnung im Baden-Powell-Weg zumindest Brigitte M., Sieglinde H. sowie Peter-Jürgen B. aufgehalten hätten. Als sie nach wenigen Tagen nach Amsterdam zurückgekehrt sei, habe sie jedenfalls diese beiden Personen wiederum dort angetroffen. Der Zeuge L. gab an, bei der einzigen Aktion, an der er beteiligt gewesen sei - dem Anschlag auf General H. - , sei das Bekennerschreiben unter seiner Mitwirkung ebenfalls von Brigitte M. und Sieglinde H., und dies somit auch selbst noch im Juni 1979, gefertigt worden.

c. An der Verteilung dieser Bekennerschreiben hatte sich die Angeklagte beteiligt. In ihrer Einlassung räumt die Angeklagte ihre diesbezügliche Mitwirkung ein. Die Angaben der Angeklagten hierzu werden bestätigt durch die Untersuchung von DNA- Spuren, die auf den Bekennerschreiben (s. nachf. unter aa.) selbst sowie im Laschen- und Markenbereich der dazugehörigen Briefumschläge (s. nachf. unter bb.) festgestellt worden sind.

aa. Feststellungen an den Bekennerschreiben

Nach den Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. Dr. h.c. B. B. vom Institut für Forensische Genetik Münster, der im Mai 2009 alle elf Bekennerbriefe auf verwertbares Spurenmaterial untersucht hatte, fanden sich zwischen zwei gesicherten Spuren, jeweils auf dem ersten Blatt, das einseitig mit dem „RAF“-Symbol („RAF“-Schriftzug über einem Sturmgewehr auf einem fünfzackigen Stern) bedruckt war, und den DNA-Merkmalen der Angeklagten starke Übereinstimmungen. Bei seinen Untersuchungen seien in drei Spuren zwei unterschiedliche partielle DNA-Profile nachgewiesen worden, die sich für direkte Vergleiche geeignet hätten. Während bei einer Probe sehr wenig DNA erhoben werden konnte, habe er bei der Probe von dem Bekennerschreiben an den NDR, Hamburg ein durchgängiges Muster festgestellt, während bei der Probe von dem Bekennerschreiben an die Frankfurter Rundschau ein fast durchgängiges Muster zu sehen gewesen sei. Er habe diese DNA-Profile mit Vergleichsmuster von Stefan W. und V. B. verglichen. Dabei sei das in der Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren angewandt worden, das dazu diene, aus der Probe sowie aus den Vergleichsproben jeweils eine bestimmte Anzahl in der Kern-DNA auftretender Systeme (sog. STR) eindeutig zu identifizieren und so einen Vergleich zu ermöglichen. Sämtliche Spuren seien auf 8 polymorphe Systeme, die besonders individuell ausgeprägt sind, nämlich die STR-Systeme ACTBP, VWA, FGA, D3S1358, D21S11, TH01, D8S1179 und D18S51 sowie auf den geschlechts-dimorphen Marker Amelogin typisiert worden. Während bei Stefan W. keines der Profile infrage gekommen sei, habe es bei V. B. Übereinstimmungen mit den beiden oben genannten Spuren gegeben. Dies gelte für die Spur auf dem Bekennerschreiben an die Frankfurter Rundschau mit Einschränkungen hinsichtlich der Systeme Amelogenin, TH01 und FGA, wohingegen bei der Spur aus dem Bekennerschreiben an den NDR, Hamburg eine vollständige Übereinstimmung vorgelegen habe.

Bei der Zuordnung im Wege der biostatistischen Berechnung werde die Häufigkeit der Kombination in der europäischen Bevölkerung als Vergleichspopulation in Ansatz gebracht. Die Häufigkeit der Merkmalskombination bei der vom Bekennerschreiben an die Frankfurter Rundschau (kurz FR) erhaltenen Spur betrage 1:1,8 Mrd., - d.h., eine Person unter ca. 1,8 Milliarden nicht-verwandten Personen der hiesigen Bevölkerung weise statistisch dieselbe Merkmalskombination auf -, die Häufigkeit der Merkmalskombination bei der vom Bekennerschreiben an den NDR, Hamburg erhaltenen Spur betrage 1:37 Mrd.

Der Senat hat sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und schließt sich dem überzeugenden und nachvollziehbar vorgetragenen Ergebnis des Gutachtens vollumfänglich an. Danach steht für den Senat auch im Hinblick auf die pauschale Einlassung der Angeklagten fest, dass die Angeklagte vor dem Einlegen der Bekennerschreiben in die Briefumschläge jedenfalls die erste Seite der an die Frankfurter Rundschau und an den NDR in Hamburg gerichteten Briefsendungen vor deren Absendung angefasst hatte.

bb. Feststellungen an den Umschlägen der Bekennerbriefe

Der Sachverständige Dr. Sch., der wie auch der Sachverständige Professor Dr. B. das PCR-Untersuchungsverfahren angewandt hatte, stellte bei insgesamt acht Briefumschlägen unterschiedlich starke Übereinstimmungen der gesicherten DNA-Spuren an den Verschlusslaschen und/oder an den Klebestellen der Postwertzeichen mit DNA-Proben der Angeklagten fest, während nur an den Briefen an Reuters, Bonn und an ADN, Bonn keinerlei Hinweise auf Speichelanhaftungen gefunden werden konnten. Nach den Ausführungen des Gutachters habe er bei der Untersuchung der STR-Systeme vWA, FGA, D3S1358, D21S11, TH01 und SE33 an den Speichelanhaftungen an den Verschlusslaschen der Umschläge an die Welt, dpa Hamburg und Der Spiegel, die in einem einwandfreien Erhaltungszustand gewesen sein, in allen einbezogenen Systemen eine Identität mit den Merkmalen der Vergleichsperson V. B. festgestellt (sog. Vollmuster). Der Wert des Wahrscheinlichkeitsverhältnisses für diese Merkmalskombination liege in der Größenordnung von 100 Billiarden, weshalb in dieser Größenordnung die Annahme, dass die festgestellten Spuren von der Vergleichsperson V. B. stammen, praktisch als erwiesen angesehen werden könne. Während an der Lasche des Briefes an den NDR sowie an den Markenbereichen der Briefe an AP und ZDF nicht ganz vollständige Muster vorhanden seien, seien allerdings alle Allele, die auch im DNA-Muster der Vergleichsperson V. B. vertreten sind, vorhanden. Trotz der Einschränkungen und der somit erweiterten Anzahl möglicher Merkmale in Systemen, in denen in den Spurenextrakten nur ein Allel nachgewiesen werden konnte, ergeben sich für die drei unterschiedlichen Teilmuster jeweils Wahrscheinlichkeitswerte in der Größenordnung von 1 Billion zu Gunsten der Annahme der Vergleichsperson V. B. als Spurenquelle. Auch in dieser Größenordnung könne die Annahme, dass die Merkmale übereinstimmen, weil die Spuren von der Vergleichsperson V. B. stammen, als praktisch erwiesen angesehen werden. Die in den Markenbereichen der Umschläge an AFP und FR vorhandenen Anhaftungen ergäben lückenhaftere Ergebnisse (1:100 Millionen bzw. 1:10 Millionen); auch diese unterstützten in äußerst hohem Maße die Annahme der Urheberschaft.

Der Senat schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an. An der Sachkunde des Sachverständigen Dr. Sch. hat der Senat keine Zweifel. Dr. Sch. hat Biologie (Botanik, Biochemie und Molekulargenetik) studiert. Er war zunächst für dreieinhalb Jahre beim LKA Hamburg beschäftigt. Anschließend wechselte er zum Bundeskriminalamt, wo er viele Jahre in der forensischen Biologie, dort im Bereich der Untersuchung von Blut- und Sekretspuren u.Ä., tätig war.

Der Senat geht daher davon aus, dass die Angeklagte im Rahmen ihrer eingestandenen Beteiligung an der Versendung der Bekennerschreiben zumindest dahingehend mitgewirkt hat, dass die Angeklagte die vier o.g. Bekennerbriefe verschlossen und an zwei weiteren Bekennerbriefen zumindest die Briefmarke aufgeklebt hatte.

d. Die Beteiligung der Angeklagten an der Verbreitung der Bekennerschreiben - wie von ihr auch eingeräumt - belegt, dass sich die Angeklagte auch direkt nach der Tat mit der von der Gruppe als Hinrichtung bezeichneten Tötung dreier Personen noch weiterhin identifiziert hatte und bei Erfordernis zur Erledigung von Aufgaben bereit war.

4. Der Aufenthalt in der Schweiz

Zur Überzeugung des Senats hatten sich Ende April 1977 die Angeklagte sowie zumindest Günter S. und Knut F. in der Schweiz aufgehalten.

Der Aufenthalt der Angeklagten in der Schweiz Ende April 1977 wird belegt durch Hotelmeldezettel aus Zürich vom 21. April 1977 (Hotel Zürcher Hof) und 25. April 1977 (Hotel Plattenhof), die unter Vorlage eines auf die Personalien „Telse P.“ lautenden gefälschten Personalausweises mit diesem Namen unterschrieben worden sind. Nach dem verlesenen Schriftvergleichsgutachten der Sachverständigen W. vom Bundeskriminalamt vom 18. Juli 1977 ist die Angeklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Urheberin der Eintragungen „Telse P.“ auf den Meldezetteln. Die Feststellungen zu der am 21. April 1977 ebenfalls in Zürich erfolgten Anmietung eines Pkw Ford Taunus bei der Fa. R. Car Rentals unter den Personalien „Telse P.“ und unter Vorlage des o.g. Personalausweises und eines auf diese Personalien lautenden Führerscheines, der Dauer der Anmietung und des Umstands der Schilderung eines Unfalles am 27. April 1977 beruhen auf dem verlesenen Mietvertrag vom 21. April 1977 und dem Unfallbericht vom 28. April 1977. Auf dem Mietvertrag war als gegenwärtiger Aufenthalt des Mieters das Hotel Zürcherhof eingetragen. Auch insoweit kommt die Schriftsachverständige W. in ihrem vorgenannten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Unterschriften unter den Mietvertrag und dem Unfallbericht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von der Angeklagten stammen. Dass es sich hierbei um die Angeklagte handelte, die bei den vorgenannten Zeitpunkten ihren Personalausweis bzw. Ihren Führerschein vorgelegt hatte, entnimmt der Senat aus dem Umstand, dass bei der Festnahme der Angeklagten in Singen am 3. Mai 1977 u.a. ein Bundespersonalausweis, ein Führerschein und ein Jugendherbergsausweis sichergestellt werden konnten, die sämtlich auf den Namen „Telse P.“ ausgestellt und bei denen die Lichtbilder durch jeweils ein Lichtbild, welches die Angeklagte zeigt, ausgewechselt worden waren.

Übernachtungen des Günter S. am 14. und am 23. April 1977 unter dem Namen „Mathias H.“ und am 20. sowie am 27. April 1977 unter dem Namen „Franz L.“ in Zürich (Hotel Leoneck) bzw. in Baden bei Zürich (Hotel Verenahof) ergeben sich ebenfalls aus Hotelmeldezetteln, die - wie der Zeuge KHK Sch. berichtete - die Kantonspolizei Zürich erhoben hatte.Nach dem bereits erwähnten Schriftvergleichsgutachten des Bundeskriminalamts ist Günter S. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Urheber der Eintragungen auf den Meldezetteln H. und L. Auf die Namen H. und L. ausgestellte Ausweispapiere, in denen sich jeweils ein Lichtbild des Günter S. befand, wurden am 3. Mai 1977 in Singen bei dessen Festnahme sichergestellt. Hierbei befanden sich bei dessen persönlichen Gegenständen auch die Zimmerausweise aus den o.g. Hotels Leoneck und Verenahof mit den sich aus den Hotelmeldezetteln ersichtlichen identischen Zimmernummern.

Dass sich Ende April 1977 auch Knut F. in der Schweiz aufgehalten hatte, entnimmt der Senat aus einem erhobenen Hotelmeldezettel vom 27. April 1977. An diesem Datum hatte er im Hotel Verenahof in Baden unter den Personalien „Michael K.“ übernachtet. Das bereits erwähnte Schriftvergleichsgutachten kommt insoweit zu dem Ergebnis, dass es sich bei dieser Unterschrift mit großer Wahrscheinlichkeit um die Schrift von Knut F. handelt.

Dass die Angeklagte während ihres Aufenthalts in der Schweiz von Rolf C. W. 4000 DM überwiesen bekommen hatte, entnimmt der Senat einer telegrafischen Auslandspostanweisung mit dem Stempel des Postamts Essen vom 23. April 1977 und dem dazugehörigen Prüfabschnitt, aus dem sich ergibt, dass eine Person namens „Gerhard R.“, Dortmund an „Telze P.“, Zürich, Hauptpostlagernd, 4224,80 sfr. überwiesen hat. Die auf der Auslandsüberweisung vermerkte Person R. konnte nach den Schilderungen von KHK Sch. nicht verifiziert werden. Die schriftvergleichenden Untersuchungen der Sachverständigen W. vom Bundeskriminalamt in ihrem verlesenen Gutachten vom 9. November 1977 ergaben, dass die oben genannten Eintragungen auf dem Formular telegrafische Auslandspostanweisung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Rolf C. W. herrühren.

Nach Überzeugung des Senats haben sich die vorgenannten Personen in der Schweiz u.a. zu dem Zweck aufgehalten, dort an einem Depot zu arbeiten. Diese Feststellung beruht darauf, dass nach den Ermittlungen der Kantonspolizei Zürich, über die der Zeuge KHK Sch. berichtete, der von der Angeklagten angemietete Pkw Ford Taunus 1600 in einem sehr verschmutzten Zustand dem Vermieter zurückgegeben worden sei. Die Karosserie sei mit Walddreck verschmutzt, der Innenraum und der Beifahrersitz sei voller Erde gewesen. Bei der Rückgabe des Fahrzeugs hatte dieses ausweislich des in Augenschein genommenen Mietvertrags eine Wegstrecke von 1481 km zurückgelegt.

5. Die Festnahme der Angeklagten am 3. Mai 1977

Die Feststellungen zu der Fahrt der Angeklagten mit Günter S. in Begleitung von weiteren vier Personen mit dem Zug vom Essener Hauptbahnhof am 2. Mai 1977 ab 22.20 Uhr nach Singen beruht auf den Angaben des Zeugen KOK F., der über seine umfangreichen Ermittlungserkenntnisse berichtete. Unabhängig davon, dass nach dessen Angaben die im Rahmen der Ermittlungen befragten Schalterbeamten in Essen oder die während der Zugfahrt ab dem Essener Hauptbahnhof tätig gewordenen Zugschaffner die Angeklagte oder Günter S. mehr oder weniger sicher nach Lichtbildvorlagen wiedererkannt haben, hat sich der Senat seine entsprechende Überzeugung daraus gebildet, dass bei der Festnahme der Angeklagten und des Günter S. in Singen Bahnfahrkarten von Essen nach Singen bzw. nach Zürich und der in Essen gelöste Gepäckschein Nr. 066 für ein aufgegebenes Gepäckstück nach Zürich aufgefunden werden konnten. Die in Essen aufgegebene Tasche wurde in Zürich von Beamten der Kantonspolizei Zürich abgeholt und an KHK Sch. - wie dieser berichtete - ausgehändigt. Nach dem Schriftgutachten der Sachverständigen W. vom BKA rührt die Schrift auf dem Aufkleber der am Bahnhof Zürich entgegengenommenen Lederreisetasche „Marion Sch., Essen, (…) nach Zürich/Schweiz“ mit großer Wahrscheinlichkeit von der Angeklagten her. Ob die Begleitpersonen der Angeklagten und Günter S., die nach den in der Hauptverhandlung vom Zeugen KOK F. erläuterten Erkenntnissen während der Zugfahrt, in Köln, in Bonn sowie in Karlsruhe aus dem Zug ausgestiegen sind, Mitglieder der „RAF“ waren, konnte der Senat nicht sicher feststellen.

Die Feststellungen zu den Vorgängen der Festnahme der Angeklagten und des Günter S. am 3. Mai 1977 in Singen, den bei beiden Personen sichergestellten Waffen und Ausweispapieren, entnimmt der Senat dem gegen die Angeklagte und gegen Günter S. ergangenen Verurteilungen. Der Senat hat überdies zu den bei beiden Personen sichergestellten Waffen, gefälschten Ausweispapieren sowie weiteren Gegenständen die mit der Asservierung der gefundenen Gegenstände befassten Zeugen EKHK R., KHK E., KHK L. sowie KHK Sch. vernommen. Hinsichtlich der Feststellung, dass es sich bei dem aufgefundenen Selbstladegewehr Heckler & Koch Mod. 43 Nr. 1001529E um die bei der Tat am 7. April 1977 verwendete Waffe gehandelt hat, wird auf die obigen Ausführungen zu IV.3.c verwiesen. Nach den Angaben der Zeugin E. und L. wurden noch zwei zugehörige Magazine für eine HK 43 mit 37 bzw. 38 Schuss und in der weinroten Umhängetasche der Angeklagten zwei Patronen des Kalibers für diese Waffe gefunden. Nach den in den oben genannten Verurteilungen getroffenen Feststellungen hatte Günter S. die Tatwaffe in einem von ihm getragenen Rucksack in Singen dabei, den er im Rahmen der Flucht auf den Rücksitz des sich beschafften Fluchtwagens Opel Ascona geworfen hatte. Diese Waffe habe die Angeklagte - nach den Schilderungen des Zeugen POK F., der die flüchtenden S. und B. verfolgt hatte, - aus dem Rucksack geholt und sie in Richtung der sie verfolgenden Beamten in Anschlag gebracht. Geschossen habe sie mit dieser Waffe jedoch nicht, sondern das Gewehr auf den Rücksitz des Fluchtwagens geworfen. Dieser Umstand belegt die Kenntnis der Angeklagten von der Existenz der Waffe in dem von Günter S. mitgeführten Rucksack.

Der Senat geht - auch nach der Einlassung der Angeklagten - davon aus, dass sie zusammen mit Günter S. beabsichtigte, die Tatwaffe und die weiteren im Rahmen von deren Festnahme aufgefundenen Waffen in die Schweiz zu bringen.

Hinsichtlich des im Rahmen dieser Festnahme ebenfalls aufgefundenen Notizbuchs der Angeklagten und eines aufgefundenen Schraubendreher Suzuki nimmt der Senat auf die nachfolgenden Ausführungen unter VII.1.d./e. Bezug.

VII. Weitere Beweiserhebungen zur Frage einer unmittelbaren Tatbeteiligung der Angeklagten

1. Bewertung sonstigen Spurenmaterials

Es liegen keine objektiven Beweise vor, die zum Nachweis einer Beteiligung der Angeklagten an der Tat selbst (s.o. V.) oder an den vorbezeichneten Tatvorbereitungen (s.o. IV) führen.

a. Der Senat stützt seine Überzeugung, dass sich an den nachfolgend näher aufgeführten, aus den früheren Täterermittlungen zum Anschlag vom 7. April 1977 noch vorhandenen Asservaten mit unmittelbarem Tatzusammenhang keine von der Angeklagten verursachten Spuren befinden, auf die nachvollziehbaren sachverständigen Angaben des Dr. Sch. Durch das von ihm erstellte umfangreiche Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des Bundeskriminalamts vom 25. Oktober 2007 über die umfassende, mit der nun möglichen molekulargenetischen Untersuchung aller zum Zeitpunkt der Untersuchung noch verfügbaren Sekret- und Haarspuren konnte eine Spurenverursachung durch die Angeklagte nicht nachgewiesen werden. In keiner der u.a. im Fluchtfahrzeug, an den von den Tätern verwendeten Helmen, am Tatmotorrad oder an der Tatwaffe erhobenen Proben wurden Zellen der Angeklagten gefunden. Der Sachverständige Dr. Sch. erläuterte in der Hauptverhandlung, alle bereits 1977 mit den damals üblichen Methoden untersuchten Asservate seien zur erneuten molekulargenetischen Untersuchung nochmals vorgelegt worden.

Bei sämtlichen Kleidungsstücken sei bereits damals nach sekretverdächtigen Anhaftungen gesucht worden und man habe Blutgruppenbestimmungen durchgeführt. Das untersuchte Spurenmaterial sei dabei verbraucht worden. Man habe damals allerdings Randbereiche stehen lassen, die teilweise eine erneute Analyse möglich gemacht hätten. Haare seien damals lediglich mikromorphologisch überprüft, allenfalls noch einer aufwändigen Blutgruppenbestimmung unterzogen worden. Alle Haarpräparate seien mikroskopisch durchmustert und Humanhaare für die molekulargenetische Analyse selektiert worden. Alle Haare seien bereits früher untersucht und präpariert worden. Die DNA sei teilweise zerstört gewesen.

Drei Asservate seien durch vorangegangene Analysen verbraucht und daher nicht mehr vorhanden gewesen. Dies betreffe das im rotgrundigen Sturzhelm gefundene Haar, das zur Bestimmung von Blutgruppenmerkmalen im Institut für Rechtsmedizin in Homburg/Saar untersucht worden sei. Die im Fluchtwagen aufgefundenen zwei Zigarettenreste („Marlboro" und „Players Filter") seien zur Bestimmung von Blutgruppensubstanzen in möglichen Speichelanhaftungen herangezogen worden.

Der Sachverständige erörterte für den Senat nachvollziehbar die angewandten Untersuchungsmethoden. Durch Verbringen der Haarzellen und der Zellen der aus den Anhaftungen entnommenen Proben in eine entsprechende Lösung sei die vorhandene DNA extrahiert und anschließend weiter aufbereitet worden. In den gewonnenen DNA-Präparaten seien die merkmalstragenden Abschnitte mehrerer informativer Genorte im Wege der Polymerasekettenreaktion (PCR) vervielfältigt worden. Das in der forensischen Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren zur Vervielfältigen von DNA-Abschnitten aus Spurenproben, um auch bei Vorliegen geringer Mengen von DNA genügend Material für weiterführende Untersuchungen zu erhalten, hatte, wie oben ausgeführt, bereits der Sachverständigen Dr. med. Dr. h.c. B. dem Senat ebenso nachvollziehbar erläutert wie den daran anschließenden Vergleich so gewonnener verschiedener STR-Genorte zur Prüfung von Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen aus verschiedenen Spurenproben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch. seien die Ergebnisse vorliegend wegen des Alters, schädigender Einflüsse auf die vorhandene DNA und der geringen Mengen der Spuren insgesamt „sehr mager“ ausgefallen.

Alle Haare mit auswertbaren Befunden hätten von unterschiedlichen Personen männlichen Geschlechts gestammt; auf den für die Geschlechterbestimmung geeigneten Amelogenin-Systemen habe man bei allen Präparaten sowohl x- als auch y-Chromosomen gefunden. Keines der Haare stamme von der Angeklagten. Die Sekretanhaftungen hätten jeweils Mischspuren enthalten, die von beiden Geschlechtern herrühren könnten. In der vergleichenden Untersuchung am 8. Juli 2008 seien in keiner der Proben Zellen der Angeklagten gefunden worden, sie sei damit nach der Untersuchung ihrer Blutprobe als Verursacherin der bzw. als Beteiligte an den in dem neuen umfassenden Gutachten vom 25.10.2007 beschriebenen Spuren ausgeschlossen.

Nach der Untersuchung des Quetschpräparats eines damals analysierten Haares, das an einem im Fluchtfahrzeug sichergestellten Schal aufgefunden wurde, mit dem Ergebnis, dass es sich um ein männliches Haar gehandelt habe, seien sie auf ein damaliges im Widerspruch zu den heutigen Erkenntnissen stehendes Untersuchungsergebnis aufmerksam gemacht worden, wonach insoweit ein weibliches Haar vorliegen solle. Hierbei bezog sich Dr. Sch. auf das Gutachten des Dr. W. vom 18. November 1977, wonach u.a. eine an dem im Fluchtfahrzeug sichergestellten Schal befindliche Haarspur von einer weiblichen Person stammen sollte. Dr. Sch. erläuterte dazu, man habe damals die sog. Quinacrin-Methode angewandt, bei der der Befund „weiblich“ nur aus einem negativen Befund abgeleitet worden sei. Ein positiver Nachweis weiblicher Zellen sei mit dieser Untersuchungsmethode nicht möglich, das Ergebnis daher unsicher. Das damalige Gutachten sei damit nicht geeignet, das jetzt bei der molekulargenetischen Untersuchung gewonnene Ergebnis zu erschüttern.

Der Sachverständige Dr. Sch. erläuterte darüber hinaus die Ergebnisse seiner Gutachten vom 4. und vom 19. November 2008 über die molekulargenetische Untersuchung von Abriebproben an der Tatwaffe „HK 43“. Bei der Untersuchung der Schusswaffe seien einige Mischspuren auf den rauhen Bereichen des Griffs und am Lauf gefunden worden. Die Befunde hätten die Prüfung erlaubt, ob eine als Spurenleger angenommene Person als Mitverursacher des Spurengemisches in Frage komme. V. B. sei jedoch bei der vergleichenden Untersuchung als Mitverursacherin der Anhaftungen an der Tatwaffe auszuschließen gewesen. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu dem Umstand, dass auch die Angeklagte während ihrer Flucht am 3. Mai 1977 kurz vor ihrer Festnahme auch diese Waffe in der Hand hatte, da nicht jede Berührung eine später noch erhebbare Spur verursachen muss.

Die Untersuchung der Schmutzproben aus dem Fluchtfahrzeug Alfa Romeo und die molekulargenetischen Analysen der an den Lenkstangen der sichergestellten Damenfahrräder erhobenen Spuren seien jeweils ohne Ergebnis geblieben.

Ergänzend berichteten EKHK a.D. G. und KOKin F. über die früheren Untersuchungen der 1977 asservierten Spurenträger, aus denen sich bereits damals keine objektiven Hinweise auf eine unmittelbare Tatbeteiligung der Angeklagten ergeben hatten. Unter anderem deshalb hatte die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen sie durch Verfügung vom 31. März 1980 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Der Zeuge G. war 2007, die Zeugin F. nochmals im Jahr 2009 mit der Prüfung der vorhandenen Asservate mit möglichen Täterhinweisen auf bereits durchgeführte Untersuchungen und neue Untersuchungsmöglichkeiten, insbesondere durch DNA-Analysen, befasst. Dazu wurden auch die früheren Gutachten zum Tatmotorrad Suzuki, zum Fluchtfahrzeug Alfa Romeo mit den darin gefundenen Gegenständen, zu den Gegenständen, die bei der Festnahme in Singen sichergestellt worden waren und zum Inhalt des nach der Festnahme in Zürich sichergestellten Koffers angefordert.

An dem rotgrundigen Helm habe man Sekretanhaftungen und ein Haar gefunden. Das serologische Spurenmaterial aus den Helmen sei bereits früher und nun nochmals molekulargenetisch untersucht worden. An den Helmen seien Anhaftungen eines Ausscheiders der Blutgruppe A gefunden worden; S. sei Ausscheider A. Die Angeklagte sei jedoch nach dem Ergebnis früherer Ermittlungen Ausscheiderin der Blutgruppe B. Sie sei somit bereits damals als Spurenlegerin auszuschließen gewesen. Im Fluchtfahrzeug seien eine Motorradjacke, zwei Handschuhe, ein Nierenschutzgürtel, ein Schal, zwei Pulswärmer und eine Trainingshose u.a. sichergestellt worden. Ein Haar aus dem rotgrundigen Helm habe morphologisch einem an der Trainingshose gesicherten Haar geglichen. Beide Haare hätten Übereinstimmungen gezeigt mit vier Haaren aus dem in Zürich sichergestellten Koffer. B. und S. seien jedoch nicht als Verursacher in Frage gekommen. KHK G. habe auch - letztlich ohne Ergebnis - die Untersuchung der Tatwaffe auf Fingerspuren veranlasst. Damals seien noch keine Untersuchungen an den Griffstücken der Fahrräder durchgeführt worden. Abriebe durch die Abteilung KT 31 des Bundeskriminalamts hätten aber kein Ergebnis erbracht.

An zwei Zigarettenresten aus dem Alfa seien Spuren von einem Ausscheider A - bei der „Marlboro“ - und von einem Ausscheider 0 - an der „Players“ - gefunden worden. Diese Reste seien bei den damaligen Untersuchungen verbraucht worden, weitere Untersuchungen daher nicht mehr möglich gewesen. Die Handschuhe aus dem Fluchtfahrzeug hätten wie die in Bensheim aufgefundenen Handschuhe Sekretspuren eines Verursachers mit der Blutgruppe A aufgewiesen.

b. Zwar finden sich auf zwei früheren Übersichten „Spuren- und Beweismittelzusammenhänge Fall B.“ bzw. „Fall B.“, die der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts, Dr. H., anfertigen ließ, der Vermerk „Haarspur von Haarbürste V. B. identisch mit Haarspur in Motorradhelm“. Die Beweisaufnahme hat jedoch keine Hinweise auf die tatsächlichen Grundlagen dieses Vermerks erbracht. Der Zeuge P., der als Mitarbeiter des Stabes für den Präsidenten des Bundeskriminalamts Dr. H. die Übersichten anfertigte, hat zwar angegeben, dass ihm für jede Eintragung in die Übersichten ein schriftlicher Vermerk vorgelegen habe; wenn es kein Gutachten gegeben habe, müsse ein anderer Hinweis vorhanden gewesen sein. Der Senat ist allerdings davon überzeugt, dass die Eintragungen irrtümlich erfolgt sind. Davon geht auch der Zeuge Dr. H. aus. Dr. H. hat insoweit angegeben, dass er aus den durchgeführten Ermittlungen Folgerungen habe ziehen wollen für künftige strategische Konzepte, wobei er nicht auf den aus seiner Sicht unzuverlässigeren Personalbeweis, sondern „voll auf den Sachbeweis gesetzt“ habe und sich insoweit von seinem Mitarbeiter P. entsprechende Übersichten habe anfertigen lassen, um die vorliegenden Sachbeweise hinsichtlich der verschiedenen Taten und deren Zusammenhänge zu dokumentieren. Dr. H. hat auf mehrere später erstellte Übersichten hingewiesen, in denen die entsprechende Eintragung nicht (mehr) vorhanden ist. Von diesem Umstand konnte sich auch der Senat überzeugen. So ist in einer Übersicht „Personenidentifizierung bzw. Erkenntnisse über Sachbeweis und Tatzusammenhänge nach Ereignissen/Fälle“, die die Fälle ab dem 7. April 1977 bis zum Vorfall in Utrecht am 22. September 1977 zum Gegenstand hat, unter V. B. und der Tat vom 7. April 1977 keinerlei Eintragung zu verzeichnen. In einer Übersicht „Personenidentifizierungen“, die wegen der Aufnahme einer am 14. Juli 1979 in der Kommandowohnung in Frankfurt am Main im Sachsenlager 11 an einer Straßenkarte sichergestellten daktyloskopischen Spur von der Angeklagten nicht vor diesem Zeitpunkt erstellt worden sein konnte, ist unter V. B. hinsichtlich des Anschlags vom 7. April 1977 keinerlei Eintragung und hinsichtlich der Tat vom 3. Mai 1977 in Singen u.a. die Eintragung „Haarspuren, Haare in Bürste m. Kopfhaar B. id.“ enthalten. In einer Übersicht „Personen und Sachenzusammenhänge“ mit Stand 31. März 1981 ist zum Anschlag vom 7. April 1977 keinerlei Eintragung zu V. B. vermerkt.

Dieser Schluss wird auch bestätigt durch die Ermittlungen von KOK´in F. hierzu, die berichtete, dass umfangreiche Erhebungen beim Bundeskriminalamt ergeben hätten, dass dort kein Gutachten vorliege, das den direkten Vergleich mit Haaren aus der erwähnten Bürste der Angeklagten und des Haares aus dem Tatmotorradhelm zum Inhalt hat.

Dr. Sch. hatte außerdem sämtliche noch vorliegenden Haarspuren in seinem umfassenden Gutachten vom 25. Oktober 2007 erneut untersucht, ohne dass sich Hinweise auf die Angeklagte als mögliche Spurenverursacherin ergaben.

Schließlich wäre eine morphologische Haarspurenuntersuchung, wie der Sachverständige Dr. Sch. erläuterte, zur hinreichend sicheren Identifizierung eines Spurenverursachers nicht geeignet, da die Haarspuren - im Gegensatz z.B. zu daktyloskopischen Spuren - kaum individualspezifische Merkmale aufweisen. Eine morphologische Untersuchung komme häufig lediglich zum Ausschluss der Übereinstimmung oder dazu, dass ein Ausschluss nicht möglich sei.

c. Eine hinreichend sichere Zuordnung der Fußspur, die in der Nähe der Brückenkammer, in der das Tatmotorrad aufgefunden wurde, gesichert werden konnte, war nicht mehr möglich. Die von der Angeklagten zum Zeitpunkt ihrer Festnahme getragenen Sportschuhe Adidas standen für einen Abgleich nicht mehr zur Verfügung. Das fragliche Schuhmodell ließ sich nicht mehr feststellen. Auch der von der Spur abgenommene Gipsabdruck war für eine vergleichende Untersuchung nicht mehr zu gebrauchen. Selbst wenn die Angeklagte und der Spurenverursacher dieselbe Schuhgröße „40“ gehabt haben sollten, erlaubt allein dieser Umstand ohne die Feststellung weiterer individueller Merkmale nicht mit der erforderlichen Sicherheit den Schluss, dass sich die Angeklagte am Auffindeort aufgehalten hat.

d. Das am 3. Mai 1977 am Ort der Festnahme der Angeklagten in dem Wiesengelände am Ufer der Aach in Singen u.a. sichergestellte Notizbuch mit grünem Umschlag konnte nach Anhörung der mit der Asservierung befasst gewesenen Beamten des BKA zwar dem Behältnis, in dem es sich möglicherweise zuvor befunden hatte, entweder in der rostroten Lederumhängetasche oder einer beigefarbenen Rindslederumhängetasche, nicht mehr eindeutig zugeordnet werden, der Senat geht jedoch davon aus, dass dieses Notizbuch von der Angeklagten stammt. Dies beruht darauf, dass nach dem Schriftvergleichsgutachten der Sachverständigen W. vom 25. Mai 1977 die Angeklagte mit großer Wahrscheinlichkeit Urheberin sämtlicher in dem Notizbuch enthaltenen Eintragungen ist. Das in Augenschein genommene, aus einem Taschenkalender im Wochenformat bestehende Notizbuch, war nicht mehr vollständig, es sind lediglich die Seiten für den 14. bis 23. Januar 1977, für den 14. bis 17. Februar 1977, für den 8. bis 14. April 1977 und für den 22. April bis 15. Mai 1977 vorhanden. Die zum Teil verschlüsselten Eintragungen auf diesen Seiten und auch der Umstand, dass insbesondere die Seiten vom 18. Februar bis 7. April 1977 vollständig fehlen, vermögen für sich und insbesondere auch nach der insgesamt durchgeführten Beweisaufnahme keinen weitergehenden Aufschluss über die Art der Beteiligung der Angeklagten an dem Anschlag vom 7. April 1977 zu begründen.

e. Soweit im Rahmen der Festnahme der Angeklagten und des Günter S. am 3. Mai 1977 in den Letzterem zuzuordnenden Gegenständen neben verschiedenen Werkzeugen und 4 weiteren Schraubendrehern auch ein „Schraubendreher Suzuki“, bestehend aus einem Griff mit auswechselbarem Aufsatz für Schlitz- und Kreuzschlitzschrauben, aufgefunden wurde, kann der Senat nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht sicher feststellen, dass es sich hierbei um den Schraubendreher gehandelt hat, der zu dem Bordwerkzeug des von Günter S. angemieteten Tatmotorrads gehört hatte.

Der Zeuge Herrmann G., dem am 4. Mai 1977 ein Telebild von dem in Singen aufgefundenen Schraubendreher gezeigt wurde, hatte damals bekundet, dass es sich hierbei um das gleiche Modell handeln würde, das in dem Bordwerkzeug des von ihm am 2. April 1977 vermieteten Motorrads gewesen sei; anhand des vorgelegten Bildes könne er aber eine Identität nicht bestimmen. Als ihm das aufgefundene Motorrad am 9. April 1977 in Wiesbaden zum Zwecke der Identifikation gezeigt wurde, habe er - so seine Angaben vom 4. Mai 1977 - bereits damals angegeben, dass aus dem Werkzeugbeutel, der sich in der Maschine befunden habe, ein Schraubendreher mit umwechselbarer Klinge für Kreuzschlitz- und Schlitzschrauben gefehlt habe. Im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung bekundete der Zeuge am 26. August 1977 nach Vorlage des in Singen sichergestellten Schraubendrehers, dieser gehöre mit großer Wahrscheinlichkeit zum Werkzeugsatz eines Suzuki-Motorrades. Da der Zeuge bei dem ihm vorgelegten Schraubendreher aber keinerlei Gebrauchsspuren habe erkennen können, hatte er - weil er den Schraubendreher der vermieteten Suzuki aber selbst öfters zu Reparaturen gebraucht habe - es für ausgeschlossen gehalten, dass es sich bei dem am 3. Mai 1977 in Singen sichergestellten Schraubendreher um den fehlenden Schraubendreher aus dem Bordwerkzeug der Tatmaschine gehandelt hat. Noch am 4. Mai 1977 hatte der Zeuge aber hierzu bemerkt, den Schraubendreher aus der vermieteten Maschine nicht benutzt zu haben. Da der Zeuge in der Hauptverhandlung diesen Widerspruch nicht aufklären konnte, es andererseits auch für möglich gehalten hat, dass ein Mechaniker von ihm damals den - benutzen - Schraubendreher aus dem Bordwerkzeugsatz der betreffenden Maschine gegen einen neuen ausgewechselt haben könnte, ist aufgrund der nicht mehr aufklärbaren Frage, welchen Gebrauchszustand der Schraubendreher des Bordwerkzeugsatzes im Zeitpunkt der Abgabe des Motorrads an Günter S. hatte, und aufgrund des Umstandes, dass dieser Schraubendreher bestimmte unverwechselbare Kennzeichen für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Werkzeugsatz jedenfalls nicht hatte, eine eindeutige Identifikation des Schraubendrehers, der als „Massenware“ im Bordwerkzeugsatz für damalige „Suzuki“-Motorräder mit ausgeliefert worden war, nicht möglich.

2. Zeugenangaben zur Tatbeteiligung der Angeklagten

Es liegen keine Aussagen von Zeugen vor, die die Angeklagte bei der unmittelbaren Tatausführung erkannt hätten.

Im Rahmen der Ermittlungen und auch in der durchgeführten Hauptverhandlung haben allerdings mehrere Zeugen behauptet, zur Tatzeit oder Tage vor dem Anschlag auf dem Sozius des Tatmotorrads eine Frau gesehen zu haben, eine Zeugin meint, am Vortage des Anschlags sei die Angeklagte am Tatort gewesen oder weitere Zeugen hätten von anderen Personen gehört, dass V. B. am 7. April 1977 die Schützin auf dem Motorrad gewesen sei. Der Senat hat diesen Angaben keinen Beweiswert beigemessen. Im Einzelnen:

a. Einzelne Zeugen haben - wie schon ausgeführt - behauptet, zur Tatzeit oder Tage vor dem Anschlag auf dem Sozius des Tatmotorrads eine Frau gesehen zu haben. Der Beweiswert dieser Aussagen ist gering. Die Täter wurden von etlichen Zeugen als regelrecht „vermummt“ bezeichnet, die unter ihren Vollvisierhelmen nicht zu erkennen gewesen seien. Aber selbst wenn hier Wahrnehmungs- oder Erinnerungsfehler bei den Angaben zur Person auf dem Soziussitz des Motorrades auszuschließen wären, genügten sichere Beobachtungen lediglich zum Geschlecht des Täters ohne die Feststellung weiterer individualisierender Merkmale nicht, um die Angeklagte mit der erforderlichen Sicherheit zu überführen. Keiner der Zeugen hat nähere Einzelheiten benennen können, die konkret auf die Angeklagte als Beifahrerin auf dem Tatmotorrad hinweisen. Der Beweiswert von Hinweisen auf das angebliche Geschlecht der Person auf dem Soziussitz des Motorrades ist zudem auch deshalb gemindert, weil die Angeklagte kurz vor ihrer Festnahme in Singen von etlichen Zeugen, u.a. vom Polizeibeamten F., zunächst für einen Mann gehalten wurde. Auch der Zeuge B. gab in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung an, V. B. sei ihm damals nicht zierlich erschienen, sondern eher „robust und körperlich durchsetzungsfähig“. Zudem war der Anteil weiblicher Mitglieder der „RAF“ beträchtlich. Allein die Beobachtung einer - eventuell auch zierlichen - Frau als mögliche Täterin lässt danach keine hinreichend sicheren Schlüsse gerade auf die Angeklagte zu.

b. Zwar hat Peter-Jürgen B. in einem Fernsehinterview mit Prof. Dr. V. für den Internet TV-Sender secret - tv im Jahr 2009 an einer Stelle geäußert, die Angeklagte habe das Tatmotorrad „zweifelsohne“ nach Süddeutschland gebracht. Auch auf diese Äußerung lassen sich jedoch keine Feststellungen zu Lasten der Angeklagten stützen. In der Hauptverhandlung hat Peter-Jürgen B. offengelegt, dass es sich hierbei lediglich um eine Schlussfolgerung gehandelt habe, bei der er zudem von ungesicherten tatsächlichen Grundlagen ausgegangen sei.

Peter-Jürgen B. war von Prof. Dr. V., der einige Monate zuvor den Nebenkläger Prof. Dr. B. interviewt hatte, auf dessen These angesprochen worden, wonach „die Informationen auf eine Frau auf dem Sozius hindeuten, eine schmächtige Person, sehr viel deute auf V. B. als Sozius hin“. In diesem Interview teilte der Zeuge B. u.a. mit, er habe gehört, dass die Angeklagte schwere Motorräder fahren könne und dass ein Haar von ihr in einem der beiden sichergestellten Motorradhelme gefunden worden sei. Davon ausgehend gab der Zeuge B. zu bedenken, dass auch der Fund des Haares in einem der Motorradhelme kein zwingendes Indiz dafür sei, dass die Angeklagte am Tattag auf dem Motorrad gesessen habe. Dieses könne auch bei einer Beteiligung an der Überführung des Motorrads in den Helm gelangt sein. Eine Beteiligung der Angeklagten an den Vorbereitungen des Anschlags in dieser Form hielt Peter-Jürgen B. für möglich. Aus dem Zusammenhang des Gesprächs ergibt sich, dass es sich bei dieser Aussage lediglich um einen hypothetischen Erklärungsversuch des Zeugen B. für seine irrige Annahme handelte, ein Haar der Angeklagten habe sich in einem der Tathelme befunden. Für Peter-Jürgen B. spricht hier, dass er sich selbst durch diese - falsche - Annahme, ein Haar der V. B. sei in einem der Helme gefunden worden, gerade nicht leichtfertig zu der Schlussfolgerung verleiten ließ, dann müsse V. B. während der Tatausführung auf dem Motorrad gesessen sein.

c. Auch die Aussage der Beate K., damals K., hat den Senat nicht von einer Beteiligung der Angeklagten an Vorbereitungshandlungen für den Anschlag (vgl. oben C.IV.) überzeugt. Die Zeugin hatte im Anschluss an eine Vernehmung ihres Schwagers, Seid O. K., am 27. Mai 1977 und in einer polizeilichen Vernehmung am 10. Juni 1977 angegeben, die Angeklagte am 6. April 1977 im Bereich der späteren Tatörtlichkeit in Karlsruhe als Fahrerin eines weißgrauen VW-Käfer gesehen zu haben.

Bereits im Januar 1977 war Seid O. K. in dem Ermittlungsverfahren gegen seine frühere Nachbarin Sabine Sch. wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung um Siegfried H. und Roland M. durch den Beamten des Bundeskriminalamts Wilfried W. vernommen worden. Die Angaben des Seid O. K. waren wenig ergiebig. Nach dem Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt erschien Beate K. am 17. Mai 1977 bei dem damaligen Vernehmungsbeamten und erklärte, Seid O. K. wolle nunmehr in dem Ermittlungsverfahren gegen Sabine Sch. „ergänzende Angaben“ machen; bisher habe er aus Angst vor den Terroristen nicht alles gesagt. Eigene Wahrnehmungen erwähnte Beate K. bei dieser Gelegenheit nicht.

Schließlich kam es am 25. und am 27. Mai 1977 erneut zu Vernehmungen des Seid O. K., diesmal durch KHK U., an denen Beate K. als Dolmetscherin mitwirkte. Seid O. K. wurde zu Beobachtungen über Besucher seiner damaligen Wohnungsnachbarin Sabine Sch. im Zeitraum von März bis Juli 1976 befragt. Dabei wurden ihm an beiden Vernehmungstagen eine Reihe von Lichtbildern damals bekannter terroristischer Gewalttäter vorgelegt. Darunter befand sich bereits am 25. Mai 1977 u.a. ein Lichtbild der V. B. Beate K. äußerte sich hierzu nicht. Erstmals am zweiten Vernehmungstag, als dem Zeugen K. erneut Lichtbilder vorgelegt wurden, bemerkte Beate K., sie „glaube“, die auf einem der Fotos abgebildete V. B. besitze „große Ähnlichkeit“ mit einer Frau, die sie am 6. April 1977 gegen 16:15 Uhr in Karlsruhe im Bereich der Kreuzung Linkenheimer Landstraße und Moltkestraße in einem weißgrauen VW-Käfer wahrgenommen habe. Die Frau am 6. April 1977 habe allerdings ihre Haare etwas kürzer getragen als auf dem Foto. Zwei Männer, von denen einer Knut F. ähnlich gesehen habe, seien auf dem Bushalteplatz an der Linkenheimer Landstraße zu der Frau in den VW-Käfer eingestiegen. Anschließend seien sie zu dritt weggefahren. Am 7. April 1977 oder an einem der darauf folgenden Tage habe K. diesen Hinweis einer weiblichen Person vom Polizeipräsidium Karlsruhe übermittelt.

Wegen ihrer Angaben am 27. Mai 1977 wurde Beate K. am 10. Juni 1977 durch KHK U. ausführlich vernommen. Nunmehr bekundete die Zeugin, sie könne nicht sagen, ob die von ihr beobachteten Männer in das Fahrzeug eingestiegen und mit der Frau weggefahren seien; sie habe das Fahrzeug und die Personen - da sie nach dem Umspringen der Fußgängerampel auf Grün ihren Weg fortgesetzt habe - nicht weiter beobachtet. Im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage gab sie an, sie sei sich „ziemlich sicher“, dass es sich bei einem der Männer um den auf einem neueren Foto abgebildeten Knut F. gehandelt habe. Bei einem Foto von Günter S. erkannte sie eine „gewisse Ähnlichkeit“ mit dem anderen Mann. Im Rahmen einer Einzellichtbildvorlage des nach der Festnahme der Angeklagten am 3. Mai 1977 in Singen veröffentlichten Fotos, war sich Beate K. schließlich „ganz sicher“, dass die Fahrerin des Pkws mit der auf dem Lichtbild der V. B. abgebildeten Person übereinstimme. Jetzt gab die Zeugin zudem erstmals an, sie habe V. B. bereits am Tag deren Festnahme am 3. Mai 1977, als dieses Foto im Fernsehen gezeigt worden sei, darauf als die besagte Frau im Pkw wiedererkannt.

Beate K. berichtete weiter, bereits am 9. April 1977 der Polizei in Karlsruhe anonym eine Beobachtung ihres Schwagers hinsichtlich zweier Fahrzeuge telefonisch gemeldet zu haben. Ihre eigenen Beobachtungen vom 6. April 1977 habe sie am 10. April 1977 einer weiblichen Person beim Polizeipräsidium in Karlsruhe telefonisch unter Nennung ihres Namens mitgeteilt und den Sachverhalt, weil sich von der Polizei niemand gemeldet habe, anlässlich der Vernehmung ihres Bekannten K. am 27. Mai 1977 erneut geschildert.

Auf diese Angaben lassen sich ausreichend sichere Feststellungen zum Nachteil der Angeklagten nicht stützen. Letztlich liegen mehrere Umstände vor, die zumindest in ihrer Gesamtheit erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Wiedererkennung der Angeklagten durch die Zeugin K. begründen. Die Bedeutung ihrer Beobachtung konnte der Zeugin zu dem Zeitpunkt, als sie am 6. April 1977 die Personen sah, nicht bewusst gewesen sein. Sie hat die ihr zunächst unbekannten Personen nicht sofort erkannt, vielmehr erfolgte eine Zuordnung des Fotos der V. B. zu dem Gesicht der Autofahrerin erst im Nachhinein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugin bei der wiederholten Wiedererkennung am 27. Mai 1977 und am 10. Juni 1977, beeinflusst von in den Medien am 3. Mai 1977 veröffentlichten Fotos, die dort abgebildete Angeklagte nicht als die von ihr lediglich flüchtig wahrgenommene Autofahrerin wiedererkannte, sondern weil sie sie auf Fotos im Fernsehen gesehen hatte. Der Beweiswert der angeblichen Wiedererkennung ist auch deshalb erheblich gemindert, weil nicht sicher feststeht, welche Lichtbilder von vergleichbaren Frauen in welcher Qualität die Zeugin am 27. Mai 1977 zu sehen bekam. Am 10. Juni 1977 wurde ihr lediglich ein Einzellichtbild vorgelegt, das sie ihren Angaben zufolge bereits in einem Fernsehbericht gesehen hatte. Es ist nicht mehr feststellbar, anhand welcher Merkmale die Zeugin V. B. als die Kraftfahrerin erkannt haben will. Die behauptete Wiedererkennung wurde auch weder im Rahmen einer Wahlgegenüberstellung überprüft noch durch die, Beate K. während deren Beobachtung am 6. April 1977 begleitende Schwester der Zeugin, Christa G., oder weitere Zeugenaussagen bestätigt.

Obwohl Beate K. ihren Angaben zufolge spätestens am 3. Mai 1977 davon ausgegangen war, am 6. April 1977 eine bedeutsame Beobachtung gemacht zu haben, ließ sie zudem mehrere Gelegenheiten verstreichen, bevor sie den Sachverhalt schließlich am 27. Mai 1977 bekundete. Es ist keine plausible Erklärung dafür ersichtlich, warum Beate K. diese angeblichen Beobachtungen bei ihrer persönlichen Vorsprache auf dem Polizeipräsidium Karlsruhe am 17. Mai 1977 und bei der Vernehmung des Seid O. K. am 25. Mai 1977 verschwieg. Eine von ihr behauptete telefonische Mitteilung des Sachverhalts unter Nennung ihres Namens am 7. oder am 10. April 1977 konnte im Rahmen der Beweisaufnahme nicht bestätigt werden. Warum sie ihrer Beobachtung bereits zu diesem Zeitpunkt besondere Bedeutung beigemessen haben sollte, erläuterte Beate K. nicht. Ihren Angaben zufolge hatte sie erstmals am 3. Mai 1977 V. B. als die Autofahrerin erkannt. Wann sie erstmals Lichtbilder des Knut F. gesehen hatte, erwähnte sie nicht. Schließlich fehlt es der Sachverhaltsdarstellung zur gemeinsamen Wegfahrt der beobachteten Personen, die die Zeugin einmal gesehen, dann wieder nicht wahrgenommen haben will, an Konstanz. Die Sicherheit ihrer Wiedererkennung nahm zudem von der ersten zur zweiten Anhörung deutlich zu.

In Telefonaten ab Dezember 2008 gab die Zeugin K. - wie sie in der Hauptverhandlung bestätigte - Bundesanwalt b. BGH H. gegenüber auf Nachfrage an, sie habe keine Erinnerung an ihre Beobachtungen am Tag vor dem Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt B..

In der Hauptverhandlung gab die Zeugin K. abweichend von ihren früheren Aussagen im Wesentlichen an, das Einzige, was sie noch wisse, sei, dass sie am 6. April 1977 gegen 17:00 Uhr mit den Kindern aus dem Schlossgarten herausgekommen sei. Sie hätten an der Ampel gewartet. Da seien „drei“ Männer mit grünen Parkas gestanden. Eine Frau sei in der Nähe gewesen. Sie habe damals wohl ausgesagt, es sei ein gelber VW dabei gewesen. Näheres wisse sie dazu nicht mehr. Auch auf Vorhalt konnte sich Beate K. an keine weiteren Einzelheiten erinnern. Sie schloss aus, sich damals wegen ihrer Beobachtung an die Polizei gewandt zu haben.

d. Die Angaben des Seid O. K. in seiner polizeilichen Vernehmung am 25. und am 27. Mai 1977 liefern keinen Nachweis von Aufenthalten der Angeklagten im Frühjahr 1976 in Karlsruhe. Der Zeuge gab am 25. Mai 1977 an, neben Uwe F., Christian K., Roland M., Adelheid Sch. und Inge V. u.a. V. B. auf Lichtbildern als eine der Besucherinnen der Sabine Sch. im Zeitraum von März bis Juli 1976, während dessen Sch. gegenüber der Wohnung des K. wohnte, erkannt zu haben. In seiner Vernehmung vom 27. Mai 1977 gab er ergänzend u.a. an, bei der auf verschiedenen Fotos dargestellten Inge V. glaube er eine gewisse Ähnlichkeit mit einer bei Sabine Sch. etwa fünfmal zu Besuch weilenden jungen Frau festzustellen. Eine junge Frau, die seiner Auffassung nach mit der auf dem vorgelegten Lichtbild der V. B. personengleich sei, habe er in den Monaten März bis Mai 1976 etwa drei- bis viermal bei Sabine Sch. gesehen, und zwar im Haus. Sie habe ihre dunkelbraunen Haare zu der Zeit etwa nackenlang getragen. Dabei seien die Haarenden nach außen gefallen. In der Hauptverhandlung erinnerte sich Seid O. K. wegen des langen Zeitablaufs naturgemäß nicht mehr an die damaligen Besucher. Er gab aber an, V. B. damals auf Bildern erkannt und das der Polizei gesagt zu haben.

Der Senat hat Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Wiedererkennung. Die Angeklagte bestreitet, bis zu ihrer Festnahme jemals in Karlsruhe gewesen zu sein. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hielt sie sich im Frühjahr 1976 im Süd Jemen auf. Die Aussage des Seid O. K. bestätigende Hinweise auf wiederholte Flüge der Angeklagten von Aden nach Deutschland hat die Beweisaufnahme nicht erbracht. Dagegen spricht das erhebliche Risiko, das die Angeklagte bei jedem Flug mit gefälschten Papieren auf sich nehmen musste. Flüge der Illegalen nach Europa waren mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Die Terroristen flogen, um sich zu tarnen, immer zu zweit und wählten aus Sicherheitsgründen keine Direktflüge. Im Übrigen hat sich der Zeuge K. bei der Wiedererkennung der Inge V. nachweislich geirrt. Inge V. war am 9. September 1975 in Berlin festgenommen worden und befand sich wegen Verdachts der Beteiligung an der Entführung des Peter L. am 27. Februar 1975 bis zu ihrem Entweichen aus der Haftanstalt in Berlin am 7. Juli 1976 in Untersuchungshaft. Sie konnte demnach entgegen den Angaben des Zeugen im angegebenen Zeitraum nicht in Karlsruhe gewesen sein.

e. Einige Zeugen gaben an, von Dritten erfahren zu haben, dass V. B. die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt B. und seine Begleiter abgegeben habe. Der Senat konnte sich weder durch die Aussagen dieser Zeugen vom Hörensagen alleine noch in Verbindung mit anderen Beweismitteln von der unmittelbaren Täterschaft der Angeklagten überzeugen.

aa. Im Einzelnen haben die Zeugen folgende Angaben gemacht:

(1) Der Journalist Nils H. berichtete in der Hauptverhandlung, am Gründonnerstag 1977 als Chefreporter der Bild-Zeitung auf telefonische Nachfrage vom damaligen stellvertretenden Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz Christian L. vertraulich erfahren zu haben, dass V. B. unmittelbare Täterin des Karlsruher Anschlags gewesen sei. H. habe L. 1972 kennen gelernt. Über die Jahre hätten sie sich angefreundet. L. habe H. am Telefon gesagt, „die Sola war´s“. H. wisse nicht, woher die Erkenntnisse des L. über die angebliche Tatbeteiligung B.s stammten. L. habe ihm, H., gegenüber später auch berichtet, V. B. habe seit Frühjahr 1976 für den Verfassungsschutz gearbeitet.

Auch der damalige Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg, der ebenfalls inzwischen verstorbene Hans-Josef H. habe dem Zeugen H. gegenüber einmal geäußert, es sei bekannt, dass B. geschossen habe. Nach dem Tod von Lochte habe er H. einmal auf der Straße getroffen. Der Zeuge habe erwähnt, dass L. V. B. als Schützin bezeichnet habe. Da habe H. geäußert: „Ja, selbstverständlich, was fragst Du.“ Er habe auch eine Anspielung des Zeugen auf eine Zusammenarbeit von V. B. mit dem Verfassungsschutz als selbstverständlich „weggewischt“.

H. habe diese Informationen damals nicht journalistisch verwertet. Bis zum Erscheinen des Buchs von Prof. Dr. B. habe er dazu keinen Anlass gesehen. Die Recherchen des Prof. Dr. B. hätten den Zeugen beeindruckt; im September 2010 habe er Kontakt mit diesem gehabt. Der Zeuge habe dessen Buch erworben und im Juli/August 2010 gelesen, nicht bereits vorher. In einem Telefonat im September 2010 habe B. ihn gefragt, ob er bereit sei, über den Hinweis auch vor Gericht auszusagen.

Am 14. Februar 2011 hatte der Zeuge auf einer öffentlichen Veranstaltung im Zusammenhang mit dem von Wolfgang K. vorgelegten Buch „V. B. und der Verfassungsschutz“ im Beisein des K. und des Michael B. im Hamburger Institut für Sozialforschung ein Erinnerungsprotokoll verlesen, das im Wesentlichen seiner Aussage in der Hauptverhandlung entsprach. Er gab an, dieses Erinnerungsprotokoll vom 14. Februar 2011 selbst verfasst und die Presseerklärung abgegeben zu haben, weil er zunächst trotz eines entsprechenden Antrags der Nebenkläger im hiesigen Verfahren nicht geladen worden sei.

(2) Der Strafgefangene Andreas K., der die Wiederaufnahme des wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a. gegen ihn geführten und rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens betrieb, hatte sich im September 2009 über Rechtsanwalt K. mit der Mitteilung an die Bundesanwaltschaft gewandt, von Christian K. erfahren zu haben, V. B. sei die Schützin bei dem Attentat auf den damaligen Generalbundesanwalt B. gewesen.

In der Hauptverhandlung sagte Andreas K. aus, er habe 2001 gemeinsam mit Christian K. in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal eingesessen. Als er im Frühjahr 2004 in der Wäscherei unweit des Arbeitsplatzes des Christian K. über mehrere Tage mit Maurerarbeiten beschäftigt gewesen sei, hätten sie sich näher unterhalten. Christian K. habe Interesse gezeigt, Näheres über den Fall des Andreas K. zu erfahren.

An einem Samstag im Mai 2004 - an dem Tag, als Werder Bremen vorzeitig Deutscher Meister geworden sei - hätten sie sich während der „Freizeit“ bei Kaffee und Kuchen im Haftraum des Christian K. getroffen. Beide hätten sich zunächst etwa eine Stunde lang über Andreas K.s Verurteilung unterhalten. Auf eine Äußerung des Andreas K., dass er unschuldig sei, habe Christian K. gemeint, auch er sei zu Unrecht wegen des B.-Anschlags verurteilt worden, an dem er nicht beteiligt gewesen sei. Er habe allerdings Dr. Hanns Martin Sch. erschossen. Die fehlerhafte Verurteilung wegen des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. empfinde er jedoch als „Ritterschlag“. Auf die Frage Andreas K.s, wer denn Generalbundesanwalt B. erschossen habe, habe Christian K. geantwortet: „Verena“, auf weitere Nachfrage: „V. B.“. Andreas K.s Schwester heiße auch Verena. Dann sei es Andreas K. so erschienen, als habe Christian K. seine Offenherzigkeit bereut. Christian K. habe das Gespräch unvermittelt abgebrochen. Später hätten sie sich nur noch sporadisch gegrüßt.

Andreas K. habe die Mitteilung des K. zunächst für sich behalten. Immerhin sei Christian K. ja für den Anschlag verurteilt worden. Zudem habe ihn die Angst vor einer möglichen Gefährdung von einer Aussage abgehalten. Erst 2009, als er mitbekommen habe, dass die Tatbeteiligung am „B.-Anschlag“ doch nicht so eindeutig geklärt sei, habe er sich an seinen Rechtsanwalt gewandt. Der öffentliche Auftritt des Prof. Dr. B., der endlich Klarheit darüber haben wolle, wer seinen Vater erschoss, habe ihn berührt. Er habe auch von der Festnahme der V. B. erfahren. Vorteile habe er sich durch die Aussage nicht erhofft.

Auf Vorhalt gab der Zeuge an, die in seiner polizeilichen Vernehmung erwähnten Gesprächsaufzeichnungen, etwa anderthalb Seiten, könne er in der Haupt-verhandlung nicht vorlegen. Er suche sie bereits seit einiger Zeit. Sie hätten sich bei seinen Effekten befunden. Er wisse gerade nicht, wo sich die Aufzeichnungen befänden. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er nur ein Notizbuch dabei gehabt, in dem der Besuchstermin bei Christian K. auf dessen Zelle eingetragen sei. Das Notizbuch könne er dem Senat zur Verfügung stellen; er habe es auf seiner Zelle. Er sei auch bereit, die Aufzeichnungen vorzulegen, wenn er sie wiederfinde.

Aufzeichnungen des Andreas K. über ein angebliches Gespräch mit Christian K. und die Eintragungen unter dem 8. Mai 2004 im Taschenkalender des K. wurden nach deren Sicherstellung am 19. Juli 2011 in die Hauptverhandlung eingeführt. Nach den Angaben der hierzu vernommenen KOKin F., BKA, sei der Kalender im Haftraum des K. beschlagnahmt worden. Zwei DIN-A4-Seiten mit Aufzeichnungen, rückseitig bedruckt mit einem Unterstützungsaufruf im „Fall Andreas K. aus Bruchsal“, habe die Polizeibeamtin in der Kanzlei K. in Empfang genommen.

(3.) Der als Zeuge vernommene Peter B. hatte sich 2009 als Strafgefangener aus der Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld, schriftlich an die Bundesanwaltschaft gewandt. Er berichtete, ab 1978 u.a. gemeinsam mit einem Dieter F. Mitglied des „Antiimperialistischen Kampfes Kaiserslautern“ gewesen zu sein. Er sei in dieser Zeit auch unter dem Decknamen „Volker Koch“ für den Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz tätig gewesen und habe als Hauptbelastungszeuge vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz gegen F. ausgesagt. Wegen schriftlicher Äußerungen zur Ermordung Siegfried B.s im Rahmen eines Briefkontakts mit Andreas B. und Klaus J. sei gegen ihn ein Strafverfahren wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener geführt worden. Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung habe er sich seinerzeit mit „unterschiedlichen Leuten“ getroffen. Bei den Gesprächen sei im Zusammenhang mit dem Karlsruher Anschlag mehrfach der Name V. B. gefallen. U.a. Dieter F. habe konkrete Angaben zu V. B. gemacht. Das habe er damals auch seinem Kontaktmann vom Verfassungsschutz mitgeteilt.

Über die daraufhin durchgeführte polizeiliche Vernehmung des Peter B. vom 20. Oktober 2009 berichtete der Vernehmungsbeamte des Bundeskriminalamts EKHK H.. Nach den Angaben des Zeugen habe Dieter F. auf die Frage von Peter B. zu einem Zeitpunkt vor dessen Verhandlung vor dem Landgericht Kaiserslautern im Juni 1979, wer denn auf B. geschossen habe, erklärt, das sei dessen weiblicher „Namensvetter“ gewesen. Er habe auch den Vornamen „Verena“ genannt. Weiter habe Peter B. nun von einem Treffen mit einem „Chris“ in einem Lokal am Badesee Gelterswoog nahe Kaiserslautern berichtet, das nach der Entlassung B.s aus einer viermonatigen Haft wegen der o.g. Verurteilung des Landgerichts Kaiserslautern erfolgt sein soll. Als das Gespräch auf den Anschlag gekommen sei, habe Peter B. „Chris“ gegenüber erwähnt, von F. erfahren zu haben, dass V. B. geschossen habe. Dies habe „Chris“ auf Nachfrage des Peter B. durch Kopfnicken bestätigt. Peter B. habe dem Verfassungsschutz berichtet und auch seine Einschätzung mitgeteilt, dass es sich bei „Chris“ wohl um Christian K. gehandelt habe. Eine zeitweilige Zusammenarbeit mit dem Zeugen hat das Landesamt für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz bestätigt. Nähere Erkenntnisse zu Art und Inhalt dieser Zusammenarbeit konnte der Senat nicht erlangen.

In der Hauptverhandlung wich Peter B. in wesentlichen Punkten von seiner Aussage vor den Beamten des Bundeskriminalamts ab und verwickelte sich in Widersprüche. Er sei mit Dieter F. nach Gelterswoog an einen Badesee gefahren, wo sie in einer Gaststätte am See einen „Chris“ getroffen hätten. Während des Gesprächs habe der Zeuge B. gefragt, wer denn bei dem Anschlag auf Siegfried B. geschossen habe. Nun gab er abweichend von seinen früheren Angaben, wonach „Chris“ lediglich mit dem Kopf genickt habe, an, „es habe geheißen, Deine Namensvetterin“. Im weiteren Verlauf der Vernehmung berichtete er dann wieder, „Chris“ habe auf seine Frage mit dem Kopf genickt und gab auf Vorhalt an, bei dem Gespräch mit Chris sei mehr „durch die Blume“ geredet worden. Er sei sich nach so langer Zeit nicht sicher, ob der Begriff „Namensvetter“ gefallen sei. Details könne er nicht mehr benennen. Er wisse auch nicht mehr, ob Dieter F. konkrete Namen genannt habe. Es sei auf jeden Fall der Name B. gefallen.

Im Vorfeld der Verhandlung wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener habe es Gespräche gegeben, nicht oft, aber da habe es geheißen: „Namensvetter“. Erneut gab der Zeuge im Widerspruch zu seinen früheren Angaben an, „Chris“ habe den Begriff „Namensvetter“ genannt. Dieter F. sei der erste gewesen, der von V. B. als der Schützin gesprochen habe, wenn er sich recht erinnere. F. habe bezogen auf seine Hauptverhandlung wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gesagt, „da machen wir ein öffentliches Verfahren draus`“. In diesem Zusammenhang habe er V. B. genannt. Wie F. das formuliert habe, wisse er nicht mehr.

F. habe nie erläutert, worauf diese Information beruhe. Interessanter sei für Peter B. gewesen, was der „Chris“ „gesagt“ habe. „Chris“ habe bei dem Treffen „verbal geäußert“: „Namensvetter“. Auf Vorhalt meinte er, nicht mehr genau zu wissen, ob „Chris“ mit dem Kopf genickt habe. Auf weiteren Vorhalt vermutete er, in seinem Brief an die Bundesanwaltschaft doch bestimmt die Begegnung mit „Chris“ erwähnt zu haben. Tatsächlich war das jedoch nicht der Fall.

(4.) Der Zeuge Dr. Knut N., Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin, berichtete in der Hauptverhandlung, ein ehemaliger Kollege, der schwer an Multipler Sklerose erkrankte und inzwischen verstorbene Dr. Achim L., emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Berlin, habe ihm gegenüber im Jahr 2010 wiederholt den Wunsch geäußert, dem Senat von einem möglichen Hinweis auf die Täterschaft der V. B. zu berichten. In der Zeit, als Dr. N. und Dr. L. am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin arbeiteten, habe der ebenfalls verstorbene damalige gemeinsame Mitarbeiter von N. und L., Uwe H., der Mitte der 70er Jahre Kontakte zu „RAF“-Mitgliedern hatte, zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zu Dr. Achim L. gesagt, V. B. habe ihm, H., gegenüber einmal geäußert, „jetzt haben wir das Schwein beseitigt“. Der Zeuge Dr. N. habe sich deshalb im November 2010 schriftlich an die Bundesanwaltschaft gewandt. Dr. L. habe jedoch - wie der Zeuge Dr. N. in der Hauptverhandlung berichtete, in seiner Vernehmung im Januar 2011 durch Bundesanwalt H., der der Zeuge Dr. N. beigewohnt habe, keinerlei nähere Angaben zu dem angeblichen Gespräch mit Uwe H. machen können, gegen den nach den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt a.M. in dem Urteil vom 12. Oktober 1977 - weil er seine Wohnung von Anfang Juni 1972 bis Anfang August 1972 der „Baader-Meinhof-Bande/Rote-Armee-Fraktion“ zur Verfügung gestellt hatte - wegen Unterstützung der vorgenannten Vereinigung eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten ausgesprochen worden war.

bb. Auf die Aussagen der Zeugen Andreas K., Peter B., Nils H. und Dr. N. in der Hauptverhandlung lassen sich auch in der Gesamtschau mit anderen Beweismitteln hinreichend sichere Feststellungen zur unmittelbaren Täterschaft der Angeklagten nicht stützen. Die Aussagen haben bereits deshalb keinen Beweiswert, weil sich die Herkunft der angeblichen Hinweise auf V. B. jeder Überprüfung entzieht. Die benannten unmittelbaren Hinweisgeber sind entweder bereits verstorben, wie Christian L., Hans-Josef H., Dieter F., Uwe H. und Prof. Dr. L., oder bestätigten, wie Christian K., die Angaben nicht.

Sämtliche Angaben sind auch für sich genommen inhaltlich wenig überzeugend. So machte Peter B. widersprüchliche Angaben, Prof. Dr. L. konnte, wie Dr. N. bekundete, weder Zeit noch Ort des angeblichen Hinweises durch H. oder andere begleitende Umstände des behaupteten Gesprächs benennen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erscheint es zudem fernliegend, dass Christian K. in den geschilderten Situationen ihm fremden Personen wie Andreas K. oder Peter B. gegenüber Angaben zu den Tätern von Anschlägen der „RAF“ gemacht hat. Dies wäre auch gegen den Grundsatz der „RAF“ gewesen, nach außen nichts preiszugeben.

Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass der spätere Präsident des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz L., - selbst gegenüber einem guten Bekannten - oder der damalige Präsident des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz H. brisante Dienstgeheimnisse „ausgeplaudert“ haben sollten. Nach den Angaben des derzeitigen Präsidenten des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Dr. M., lagen und liegen seiner Behörde zudem keine Erkenntnisse zu V. B. im Zusammenhang mit Anschlägen vor. Wenn es derartige Erkenntnisse gegeben hätte, wie sie L. oder H. angeblich weitergegeben hätten, wären dazu Hinweise in den Akten zu finden. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Nach alldem ergaben sich keine belastbaren Hinweise auf die unmittelbare Täterschaft der Angeklagten.

3. Abschnitt: Rechtliche Würdigung

Die Angeklagte hat sich der Beihilfe zum Mord in 3 tateinheitlichen Fällen gem. §§ 211, 27, 52 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

A. Die rechtliche Bewertung des Attentats vom 7. April 1977

Die Tötung von Generalbundesanwalt B. und seiner beiden Begleiter Georg W. und Wolfgang G. ist bezüglich der Haupttäter rechtlich als drei gemeinschaftlich und durch dieselbe Handlung begangene Verbrechen des Mordes nach §§ 211, 25 Abs. 2, 52 Abs. 1 StGB zu werten.

Die drei Insassen des Dienstwagens wurden mit direktem Vorsatz getötet. Wie bereits ausgeführt, war bei der Anschlagsdurchführung auch die Tötung der Begleitperson(en) des Generalbundesanwalts erforderlich, um jegliche Gegenwehr, eine etwaige Verfolgung oder eine eventuelle Wiedererkennung zu verhindern. Dem Schützen auf dem Sozius des Motorrades war, als sich das Motorrad rechts neben dem an der Lichtzeichenanlage der Einmündung zur Moltkestraße in Karlsruhe stehenden Dienstwagen setzte, sichtbar, dass sich an diesem Tag neben Generalbundesanwalt B. noch zwei Begleiter im Dienstwagen befanden. Der Schütze hat - wie vor allem die Verletzungen der Opfer zeigen - nicht nur vielfach und gezielt auf Generalbundesanwalt B. geschossen, sondern ebenso auf dessen Begleiter.

Bei dieser Tötung der drei Insassen des Dienstfahrzeuges wurde jeweils das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht. Keine der Insassen des Dienstwagens rechnete bei der Fahrt am Morgen des 7. April 1977 mit dem Anschlag. Die Schüsse wurden in rascher Folge auf die sich keines Angriffs versehenden Insassen des Dienstwagens abgegeben, ohne dass diesen irgendeine Möglichkeit zur Gegenwehr blieb. Die Arglosigkeit des Generalbundesanwalts entfällt nicht etwa dadurch, dass dieser wegen der damaligen Sicherheitslage im Rahmen der Vorgänge der „RAF“ allgemeinen Grund zur Vorsicht hatte; es genügt, dass auch er sich jedenfalls zu dieser Zeit und von diesen Tätern keines Angriffs versah.

Das Mordmerkmal der Heimtücke war auch vom Vorsatz der unmittelbaren Täter umfasst. Diese haben die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer zur Ausführung der Tat gezielt eingeplant und ausgenutzt.

Die unmittelbaren Täter handelten darüber hinaus auch aus niedrigen Beweggründen. Die Tötung des Generalbundesanwalts als Repräsentant des verhassten Systems aus Rache offenbarte eine eklatante Missachtung des Persönlichkeitswerts seiner Person. Gleiches gilt in besonderem Maße auch für die gewollte Tötung der beiden Begleiter des Generalbundesanwalts, damit das Tatkommando nach der Tat unerkannt und unbehelligt flüchten konnte, also nur, um diese Aktion sicherer und leichter durchführen zu können.

Bei diesem Vorgehen wurde in rechtlich einer Handlung der Tatbestand des § 211 StGB dreimal verwirklicht (§ 52 Abs. 1 StGB). Die Schüsse aus dem Selbstladegewehr führten zum Tod dreier Menschen. Auch wenn jeder Schuss ein gesondertes Abdrücken erforderte, liegt natürliche Handlungseinheit vor. Das Betätigen des Abzugs des Gewehrs geschah in so rascher Folge, dass die Unterscheidung in mehrere, jeweils von neuen Willensentschlüssen getragene Akte lebensfremd wäre. Bei dieser Tatausführung bestand für den Schützen der Vorsatz, mit den Schüssen, gleichgültig in welcher Reihenfolge, alle drei Insassen zu treffen und zu töten.

B. Die rechtliche Bewertung der Beteiligung der Angeklagten

Die Angeklagte war an dem Attentat auf Generalbundesanwalt B. und seine beiden Begleiter als Gehilfin gem. § 27 StGB beteiligt.

1. Eine mittäterschaftliche Beteiligung an der vorliegenden Straftat würde voraussetzen, dass nicht nur fremdes Tun gefördert, sondern ein eigener Beitrag arbeitsteilig als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Tatbeteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat oder an der Tat (lediglich) als Gehilfe mitwirkt, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft oder wenigstens der Willen zur Tatherrschaft, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen. Die Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen; eine Anwesenheit am Tatort ist insoweit nicht erforderlich. Für eine Tatbeteiligung als Mittäter kann vielmehr ein auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag ausreichen, der sich unter Umständen auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt.

Bei einer Gesamtbewertung der vorliegenden Umstände kommt eine Zurechnung der Tat gem. § 25 Abs. 2 StGB nicht in Betracht. Die Angeklagte hatte zwar großes Tatinteresse, weil sie selbst das Feindbild der „Stammheimer“ und deren bedingungslose Forderung, den demokratischen Rechtsstaat und seine Repräsentanten - „Der General muss weg“ - , teilte und die Tat auch so wollte; sie hatte aber keine Tatherrschaft. Sie war an der eigentlichen Tatausführung nicht beteiligt. Dass die Angeklagte einen eigenen Einfluss auf die konkrete Tatausführung i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB hatte oder wollte, ist ebenfalls nicht belegt.

Eine für eine Mittäterschaft - bei fehlender Anwesenheit am Tatort, aber vorhandenem eigenen Tatinteresse - auch noch genügende Mitwirkung an einer direkten Vorbereitungs- bzw. Tatunterstützungshandlung konnte ihr auch nicht nachgewiesen werden. Die unmittelbaren Vorbereitungen wurden vielmehr von den Mitgliedern des Tatkommandos und etwaigen weiteren „RAF“-Mitgliedern, die sich an den unmittelbaren Vorbereitungen beteiligt hatten, beherrscht. Die von der Angeklagten nach Vollendung der durchgeführten Tat entfalteten Tätigkeiten sind im Rahmen von § 25 Abs. 2 StGB nicht von Belang.

2. Soweit die Schwelle täterschaftlicher Mitwirkung nicht erreicht wird, greift nicht automatisch eine Verantwortlichkeit nach den Vorschriften der Teilnahme gem. §§ 26, 27 StGB ein. Über die mitgliedschaftliche Beteiligung an der terroristischen Vereinigung hinaus kommt eine Beteiligung an den konkreten Straftaten, auf die die Zwecke oder die Tätigkeit der Gruppierung ausgerichtet sind, nur dann in Betracht, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Begründung einer Teilnahme vorliegen. Wegen Beihilfe macht sich nur strafbar, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Als Hilfeleistung in diesem Sinne ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Nicht erforderlich ist, dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird. Es genügt, dass ein Gehilfe die Haupttat im Vorbereitungsstadium fördert, wenn die Teilnahmehandlung mit entsprechendem Förderungswillen und -bewusstsein vorgenommen wird. Eine solche Unterstützung kann auch in der Form der psychischen Beihilfe schon dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe den Haupttäter in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt, ihm ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermittelt und der Haupttäter dies auch so aufnimmt.

Nach diesen Maßstäben hat die Angeklagte bei einer Gesamtbewertung der vorliegenden Umstände Beihilfe zu dem Attentat auf Generalbundesanwalt B. und seine Begleiter geleistet.

Sie hat vor der Ausführung der Tat wissentlich und willentlich durch aktives Handeln einen objektiv den Anschlag fördernden Beitrag geleistet, indem sie sich stets in Diskussionen u.a. mit den späteren unmittelbaren Tätern diesen gegenüber vehement für die alsbaldige Durchführung des Anschlags auf Generalbundesanwalt B. eingesetzt und dadurch während der Gruppendiskussionen und fortdauernd bis zur Tat die unmittelbaren Täter in deren Tatentschluss bestärkt und deren Entscheidung zu einer beschleunigten Tatdurchführung beeinflusst hat. Dieses Verhalten weist einen konkreten inhaltlichen Bezug zu der geplanten Tat auf und geht über Tätigkeiten hinaus, die lediglich als mitgliedschaftliche Beteiligung an der damals bestehenden terroristischen Vereinigung zu werten sind.

Die späteren Haupttäter ließen sich dabei auch durch das besonders intensive Eintreten der Angeklagten für die Forderung der Stammheimer, zu denen der eindeutige Befehl „Der General muss weg“ gehörte, beeinflussen. Die Angeklagte war sich dessen bewusst, dass sie in der kleinen Gruppe der „Illegalen“, die sich gegenseitig durch die Bereitschaft, bei Bedarf Aufgaben zu übernehmen, stützten und dadurch aufeinander angewiesen waren, die späteren Täter durch ihr Verhalten in deren Bereitschaft, den Tatplan - beschleunigt - auszuführen, bestärkte und dadurch eine schnellstmögliche Tatdurchführung förderte und erleichterte. Dies wollte sie auch.

Der Einsatz der Angeklagten trug auch zu der Bereitschaft der anderen Mitglieder bei, sich an der Begehung des Anschlags zu beteiligen und bestärkte den Willen bereits tatgeneigter oder entschlossener Mitglieder.

Dabei war der Angeklagten zum Zeitpunkt ihrer Beihilfehandlung auch bewusst, dass die Täter heimtückisch handeln würden, indem sie die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer für die Ausführung der Tat gezielt einplanten und bei der Tatbegehung ausnutzen wollten.

Auch handelte die Angeklagte selbst aus niedrigen Beweggründen. Auch sie bezweckte in dem intensiven Eintreten für die Forderung der Stammheimer die Tötung des Generalbundesanwalts als Repräsentant des verhassten Systems aus Rache. Gleiches gilt auch für die von der Angeklagten gewollte Tötung der beiden Begleiter des Generalbundesanwalts, damit das Tatkommando nach der Tat unerkannt und unbehelligt flüchten könne, also nur, um diese „Aktion“ sicherer und leichter durchführen zu können.

4. Abschnitt: Strafzumessung

Bei der Strafzumessung ist der Senat von dem über §§ 27 Abs. 2 S. 2; 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB ausgegangen.

Eine weitere Milderung gem. § 28 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht, weil das täterbezogene Merkmal der niedrigen Beweggründe sowohl bei den Haupttätern als auch bei der Angeklagten selbst vorlag und sich ihr Gehilfenvorsatz auch hierauf bezog. Das bei den Haupttätern ebenfalls vorliegende - tatbezogene - Mordmerkmal der Heimtücke, auf das sich der Vorsatz der Angeklagten ebenfalls bezog, ist von der Regelung des § 28 Abs. 1 StGB nicht erfasst.

Innerhalb des Strafrahmens hat der Senat strafmildernd berücksichtigt, dass die Tat mittlerweile mehr als 35 Jahre und damit eine ganz erhebliche Zeit zurückliegt, wodurch das Strafbedürfnis gemindert ist. Die Hauptverhandlung, zu der die Angeklagte während der 21-monatigen Dauer aus Berlin angereist ist, war für diese angesichts ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen beschwerlich. Auch die nahezu 4-monatige Untersuchungshaft im Jahr 2009 wegen des damaligen Vorwurfs und der gesundheitlichen Beeinträchtigungen war für sie besonders belastend. Hinzu kommt, dass die Angeklagte heute aufgrund dieser Beeinträchtigungen auch besonders strafempfindlich ist. Strafmildernd hat der Senat auch den Umstand bewertet, dass sich die Angeklagte bereits Mitte der 80erJahre von der „RAF“, deren Zielsetzung und der damit verbundenen gewalttätigen Aktionen, distanziert bzw. gelöst hat. Sie hat - wovon der Senat zu ihren Gunsten im Rahmen der Strafzumessung ausgeht - im Dezember 1981 aufgrund einer damaligen besonderen Haftempfindlichkeit Kontakt zum Bundesamt für Verfassungsschutz aufgenommen und im Rahmen umfangreicher Gespräche Informationen zur „RAF“ geliefert. Folgerichtig hat die Angeklagte ab dem Jahr 1984 an den Hungerstreikaktionen der „RAF“ nicht mehr teilgenommen und zudem die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt zur Vermeidung der weiteren Kontaktmöglichkeit mit anderen „RAF“-Gefangenen angestrebt. Dabei ist der Senat davon überzeugt, dass der Angeklagten angesichts des starken Gruppenzusammenhalts und ihrer Stellung in der „RAF“ zumindest bis zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz trotz erlangter Geldleistungen und eventuellen Vorteilen in der Strafvollstreckung nicht leicht gefallen ist. Zugunsten der Angeklagten hat der Senat berücksichtigt, dass sie sich von den Zielen und Zwecken der „RAF“ losgelöst hat; im Rahmen ihres Gnadengesuchs hat sie zum Ausdruck gebracht, zu ihrer Verurteilung für die im Rahmen der Festnahme in Singen am 3. Mai 1977 verübten Straftaten zu stehen. Strafmildernd wurde ebenfalls berücksichtigt, dass V. B. im Gnadengesuch - auf das sie in der Hauptverhandlung in ihrer Einlassung Bezug genommen hat - den Gefühlen der Opfer Respekt erwiesen und persönliche Verantwortung für die von ihr verübten Straftaten übernommen hat.

Zu ihren Gunsten fällt unter Berücksichtigung der heutigen Rechtslage ebenfalls ins Gewicht, dass die Angeklagte eine besondere Härte dadurch erlitten hat, dass die Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin - der damaligen Rechtslage entsprechend - nicht nach Verbüßung der Hälfte der Strafe unterbrochen wurde, um später über eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zu entscheiden, die Angeklagte vielmehr diese Jugendstrafe voll verbüßt hat, bevor mit der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitstrafe begonnen wurde.

Der Senat hat auch strafmildernd berücksichtigt, dass die Angeklagte im Rahmen ihrer Einlassungen zumindest in Teilen Umstände, die Grundlage für ihre Verurteilung bilden, eingeräumt hat. So hat sie insbesondere ihre Mitgliedschaft in der „RAF“, ihre Anwesenheit in Aden und bei den Gruppentreffen im Harz und - zeitweise - in Holland eingestanden und auch eingeräumt, dass die in den verschiedenen Treffen ins Auge gefasste Ermordung des Generalbundesanwalts B. auch ihrem Willen entsprochen hatte. Sie hat zudem bestätigt, dass sie den in den „H.-M.-Papieren“ aufgeführten Tarnnamen „Paula“ geführt hat. Die Angeklagte hat außerdem ihre Mitwirkung an der Verteilung der Bekennerschreiben eingestanden und eingeräumt, dass auch sie neben Günter S. daran beteiligt war, die Tatwaffe außer Landes zu schaffen, indem sie sich dahin einließ, die anlässlich ihrer Festnahme sichergestellte Tatwaffe sei „bei uns“ gefunden worden.

Straferschwerend hat der Senat demgegenüber bewertet, dass sich die Angeklagte die vom Landgericht Berlin im Jahr 1974 gegen sie festgesetzte Freiheitsstrafe, in der sie im Rahmen der Teilnahme an einer Anschlagsaktion der Bewegung „2. Juni“ verurteilt wurde, und die von Juli 1972 bis zur Freipressung im März 1975 erfolgte Strafverbüßung nicht hat zur Warnung dienen lassen, als sie die hier zur Aburteilung stehende Tat beging. Zu ihren Lasten fiel ebenfalls ins Gewicht, dass sie sich wegen der Beihilfe zum Mord in drei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. Die Tat war unter ihrer Beteiligung lange und aufwändig geplant und vorbereitet worden. Bei den Haupttätern waren - vom Vorsatz der Angeklagten umfasst - gleich zwei Mordmerkmale verwirklicht.

Der Senat hat schließlich einen sog. Härteausgleich vorzunehmen, weil eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran scheitert, dass die lebenslange Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Dezember 1977 als bereits vollstreckt gilt. Die Angeklagte hat die vorliegende Tat vor dieser Verurteilung durch das Oberlandesgericht Stuttgart begangen. In dem Urteil war zweimal lebenslange Freiheitsstrafe sowie eine Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren, gebildet aus zwei Einzelstrafen von sieben und zehn Jahren, festgesetzt worden. Aus diesen Strafen hätte nach den gesetzlichen Vorgaben unter Einbeziehung der hier festzusetzenden Freiheitsstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe gebildet werden müssen. Dies ist jedoch nicht mehr möglich, da der Bundespräsident im Gnadenwege nach vorheriger Aussetzung zur Bewährung die Verbüßung des noch nicht vollstreckten Teils der lebenslangen Strafe der Angeklagten erlassen hat.

Auf welche Weise der Härteausgleich vorgenommen wird, steht - wie die Gesamtstrafenbildung überhaupt - im Ermessen des Tatgerichts. Der Härteausgleich muss nur angemessen sein, er muss die aus der getrennten Aburteilung folgenden Nachteile ausgleichen. Ein Ausgleich kann im Rahmen der Strafzumessung oder durch Anrechnung eines Teils der verhängten Strafe als verbüßt erfolgen. Letzteres erscheint in Anbetracht der aufgeführten Besonderheiten des vorliegenden Falles hier jedenfalls vorzugswürdig, weil so die schuldangemessene Strafe einerseits und der gewährte Härteausgleich andererseits deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

Hinsichtlich der in den bezeichneten Strafbefehlen festgesetzten Geldstrafen wurde von einem Härteausgleich abgesehen (§ 53 Abs. 2 S. 2 StGB).

Danach hält der Senat als Rechtsfolge für die von der Angeklagten begangenen Tat nach Abwägung aller für und gegen sie sprechenden Strafzumessungsaspekte eine

Freiheitsstrafe von 4 Jahren

für tat- und schuldangemessen.

Die sich aus der getrennten Aburteilung für die Angeklagte ergebende Härte gleicht der Senat in Ansehung der bisherigen Vollstreckungsdauer und unter Beachtung des zeitlichen Zusammenhangs und der Tatintensität sämtlicher insoweit zu berücksichtigender Taten der Angeklagten durch eine

Anrechnung von 2 Jahren 6 Monaten

als verbüßt aus.

5. Abschnitt: Kosten

Die Auslagen- und Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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