SG Berlin, Urteil vom 20.08.2014 - S 204 AS 14829/13
Fundstelle
openJur 2014, 19970
  • Rkr:

1. Der Anspruch auf Kostenfestsetzung gemäß § 63 Abs. 3 SGB 10 verjährt gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB in dreißig Jahren.

2. Kann ein Kläger die Einrede der Verjährung gegen die Rechnung des Bevollmächtigten erheben, handelt es sich bei den Gebühren und Auslagen des Bevollmächtigten nicht um notwendige Aufwendungen im Sinne von § 63 Abs. 1 SGB 10. Der Beklagte darf die Festsetzung dieser gleichwohl geltend gemachten Aufwendungen unter Hinweis auf die Kostenminderungspflicht ablehnen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern keine Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob für ein Widerspruchsverfahren geltend gemachte Kosten verjährt sind.

Die Kläger legten gegen den Bescheid des Beklagten vom 14. März 2008 Widerspruch ein, dem der Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2008 abhalf. Zugleich teilte er dem Bevollmächtigten mit, dass die ihm im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag erstattet würden, soweit sie notwendig gewesen seien und nachgewiesen würden. Die Zuziehung des Bevollmächtigten werde als notwendig anerkannt.

Mit Schreiben vom 31. Dezember 2012 beantragten die Kläger beim Beklagten, den Betrag der Aufwendungen, die ihnen als Widerspruchsführern zu erstatten seien, auf 395,08 Euro festzusetzen. Der Gesamtbetrag beruht auf der Berechnung der Gebühren ihres Bevollmächtigten. Der Beklagte lehnte die Erstattung der geltend gemachten Kosten mit Bescheid vom 23. Januar 2013 unter Berufung auf die Verjährungsfrist des § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab. Der Kostenerstattungsanspruch sei danach bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2011 verjährt. Hiergegen legten die Kläger am 25. Februar 2013 Widerspruch ein. Der Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verjähre nach § 45 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Verjährungsfrist ende vorliegend also erst am 31. Dezember 2012. Der Kostenfestsetzungsantrag sei vor Ablauf der Frist gestellt und hemme nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB I die Verjährung. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2013 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Von § 45 SGB I würden nur die Leistungen erfasst, die dem Einzelnen als Sozialleistungen zustehen, also solche, die dem Einzelnen nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung seiner sozialen Rechte zugute kommen sollten. Der Anspruch auf Erstattung von Kosten für das Vorverfahren diene nicht der Verwirklichung sozialer Rechte des Einzelnen in diesem Sinne. Er bezwecke, den Betroffenen dafür zu entschädigen, dass dieser, weil er die Verwirklichung seiner sozialen Rechte im Vorverfahren streitig habe durchsetzen müssen, besondere Aufwendungen gehabt hätte. Es handele sich also nicht um ein materielles Recht. Der Kostenerstattungsanspruch beruhe hingegen nur auf Verwaltungsverfahrensrecht.

Mit ihrer am 17. Juni 2013 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Erstattung ihrer Kosten für das Widerspruchsverfahren weiter. Nach allen einschlägigen Kommentierungen, die sich mit der Frage der Verjährung des Kostenerstattungsanspruchs befassten, gelte für die Verjährungsfrist § 45 Abs.1 SGB I. Hingegen hätten sie keine Kommentierung zu § 63 SGB X gefunden, die die vom Beklagten vertretene Auffassung stützen würde.

Die Kläger beantragten,

den Bescheid des Beklagten vom 23. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Betrag der Aufwendungen, die ihnen für das Widerspruchsverfahren zu erstatten sind, auf 395,08 Euro festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 23. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Festsetzung ihrer Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen den Beklagten aus dem Antrag vom 31. Dezember 2012.

Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Zwar hat der Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2008 eine solche Kostenentscheidung nach § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB X getroffen. Dass die Kläger einen Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach haben, ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten und ohnehin mit dem vorgenannten Bescheid inzwischen rechtskräftig festgestellt.

Der Festsetzung nach § 63 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz SGB X steht auch nicht die Einrede der Verjährung des Beklagten im Hinblick auf sein Kostengrundanerkenntnis im Bescheid vom 17. März 2008 entgegen. Der Kostenerstattungsanspruch ist nicht verjährt. Die Verjährung scheitert allerdings nicht schon daran, dass – wie von den Klägern angenommen – die Verjährungsfrist vier statt drei Jahre betragen würde. Der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verjährungsregelung des § 45 SGB I auf den Kostenerstattungsanspruch keine Anwendung findet. Denn gemäß § 45 Abs. 1 SGB I verjähren nur Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Bei dem Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X handelt es sich aber nicht um eine Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB I, also nicht um ein materielles Recht, sondern um einen Anspruch, der auf Verwaltungsverfahrensrecht beruht (zuletzt Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Oktober 2012, Az. L 9 AS 601/10, unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 24. Juli 1986, Az. 7 RAr 86/84, alle juris). Der Anspruch verjährt aber auch nicht gemäß § 195 BGB nach drei Jahren, sondern als rechtskräftig festgestellter Anspruch gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst nach 30 Jahren (so auch BGH, Beschluss vom 23. März 2006, Az. V ZB 189/05, juris, für den prozessualen Kostenerstattungsanspruch aufgrund einer rechtskräftigen Kostengrundentscheidung durch zivilrechtliches Urteil).

Allerdings steht der Festsetzung entgegen, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um notwendige Aufwendungen im Sinne von § 63 SGB X handelt. Unzweckmäßige und unnötige Aufwendungen sind vom Beteiligten, der sie verursacht hat, auch dann selbst zu tragen, wenn es grundsätzlich zu einer Kostenerstattung kommt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2012, Az. L 29 SF 552/11, juris). Das gilt bei einem offensichtlichen Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 193 Rn. 9). Diese Ansicht beruht auf dem Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (LSG a. a. O. unter Hinweis auf OVG Berlin, Beschluss vom 7. Februar 2001, Az. 3 K 14/00, DVBl. 01, 919). Ausfluss hiervon ist der den Prinzipien des Kostenrechts immanente Grundsatz der Verfahrensverbilligung, wie er in den §§ 91 ff., 788 ZPO, 46 RVG zum Ausdruck kommt. Diesen Grundsatz kann nach § 11 Abs. 5 RVG zunächst der Mandant seinem Anwalt entgegenhalten. In gleicher Weise kann aber auch die unterlegene Partei gegenüber der obsiegenden Partei im Kostenfestsetzungsverfahren den Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht einwenden (SG Berlin, Beschluss vom 27. Januar 2011, Az. S 127 SF 9411/10 E, juris). So liegt es hier. Die Kläger können ihrerseits gegen die Gebührenrechnung ihres Bevollmächtigten vom 31. Dezember 2012 die Einrede der Verjährung erheben. Denn der anwaltliche Vergütungsanspruch verjährt gemäß § 195 BGB nach drei Jahren. Erheben sie die Einrede nicht, bleibt der Kostenanspruch ihnen gegenüber durchsetzbar. Der Beklagte, der nicht Schuldner des anwaltlichen Vergütungsanspruchs ist und sich daher seinerseits nicht auf dessen Verjährung gegenüber dem Rechtsanwalt berufen kann, darf allerdings der Abwälzung solcher Kosten im Wege des § 63 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz SGB X durch den Einwand der Kostenminderungspflicht entgegen treten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Berufung ist nicht statthaft, weil der Beschwerdewert, der vorliegend 395,08 Euro beträgt, die Berufungssumme von 750,- Euro nicht erreicht und ein Zulassungsgrund nicht besteht, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Bundessozialgericht hat die Rechtsfrage zur Nichtanwendbarkeit des § 45 Abs. I SGB I auf den Kostenerstattungsanspruch bereits mit Urteil vom 24. Juli 1986, Az. 7 RAr 86/84, juris, entschieden. Die Nichtanwendbarkeit des § 195 BGB beruht auf dem gesetzlichen Anwendungsvorrang des spezielleren § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB, der Grundsatz der Kostenminderungspflicht ist dem Kostenrecht allgemein anerkannt immanent.