Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.08.2014 - 13a ZB 14.30219
Fundstelle
openJur 2014, 19923
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird hinsichtlich des Begehrens nach Feststellung eines national begründeten Abschiebungsverbots zugelassen.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Mai 2014 ist begründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO gegeben sind.

Dem Kläger war das rechtliche Gehör versagt. Das Verwaltungsgericht hat den hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in seinem klageabweisenden Urteil abgelehnt. Die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen gäben keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen der geltend gemachten psychischen Erkrankung in Form einer Angststörung (F43.2). Es werde nicht entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätzen dargelegt, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leide. Die Rechtsprechung zur Substantiierung eines Sachverständigenantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand habe, sei auch auf andere psychische Erkrankungen zu übertragen.

Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ein prozessuales Grundrecht und außerdem ein rechtsstaatliches konstitutives Verfahrensprinzip, das mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in funktionalem Zusammenhang steht. Es sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere das sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02BVerfGE 107, 395/409). Zwar kann über einen hilfsweise gestellten Beweisantrag in den Gründen des Urteils entschieden werden (BVerwG, U.v. 26.6.1968 – V C 111.67BVerwGE 30, 57). Die Ablehnung des Beweisangebots verstößt hier jedoch gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84BVerfGE 69, 141/144).

Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag zum krankheitsbedingten individuellen Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) primär unter dem Gesichtspunkt der Anforderungen an einen substantiierten Vortrag für das Krankheitsbild PTBS gewürdigt (UA S. 17 ff.). Ob die vorgelegten Stellungnahmen den vom Bundesverwaltungsgericht hierzu aufgestellten Anforderungen (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07BVerwGE 129, 251) entsprechen, kann offen bleiben, weil jedenfalls die Ablehnung des Beweisangebots hinsichtlich der eigentlich geltend gemachten Anpassungsstörung nicht vom Prozessrecht gedeckt ist. Die Diagnose des Bezirksklinikums lautet auf Anpassungsstörung, die beim Bundesamt vorgelegten nervenärztlichen Bescheinigungen auf depressives Syndrom bzw. depressiver Symptomenkomplex.

Die vorgelegten Stellungnahmen entsprechen den Anforderungen an einen substantiierten Sachvortag hinsichtlich der in die Sphäre des Asylbewerbers fallenden Umstände. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Anforderungen an ein PTBS-Attest seien auf andere psychische Erkrankungen zu übertragen, lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ableiten. Soweit dieses in dem Urteil vom 11. September 2007 (BVerwG 10 C 17.07 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 31 Rn. 16) darauf abgestellt hat, dass die Diagnose „depressive Symptomatik im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung“ ohne Nennung aufschlussreicher Anhaltspunkte für diesen Befund nicht nachvollziehbar begründet sei, ging es – im Unterschied zum vorliegenden Fall – primär um eine PTBS (F43.1). Hier diagnostiziert das Bezirksklinikum eine Anpassungsstörung (F43.2). Da sich der Kläger von Suizidalität distanziert habe, werde er auf eigenen Wunsch und gegen ärztlichen Rat in stabilem psychischem Zustand in die weitere ambulante Betreuung entlassen. Angesichts dieser Stellungnahme spricht für die vom Kläger behauptete Erkrankung an einer „Anpassungsstörung“ eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Abgeklungen ist nur die Suizidalität, im Übrigen besteht dem Entlassungsbericht zufolge aber weiter Behandlungsbedürftigkeit. Die vom Verwaltungsgericht angeführte weitere Begründung rechtfertigt die Ablehnung des Beweisantrags ebenfalls nicht. Wenn es den Beweisantrag nicht für erheblich hält, weil auch ohne psychiatrische und medikamentöse Behandlung keine Gesundheitsgefahr bestehe, nimmt es im Ergebnis eine eigene medizinische Bewertung von Schwere und Ausmaß der Erkrankung vor, ohne die hierfür erforderliche eigene Sachkunde zu besitzen und darzulegen (BVerwG, B.v.28.3.2006 – 1 B 91.05NVwZ 2007, 346). Schließlich hat der Kläger durch Vorlage des Entlassungsberichts des Bezirksklinikums vom 6. Dezember 2013 auch seinen Mitwirkungspflichten entsprechend der gerichtlichen Aufforderung vom 28. April 2014, aktuelle Atteste vorzulegen, genügt. Der Bericht attestiert hinreichend aktuell, dass eine Anpassungsstörung vorliege und eine weitere ambulante Betreuung angezeigt sei. Da eine psychotherapeutische Behandlung erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, kann das Attest nicht als überholt angesehen werden. Bei dieser Ausgangslage ist es gemäß § 86 Abs. 1 VwGO Aufgabe des Gerichts, dazu von Amts wegen die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben (BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 434.93 - InfAuslR 1994, 375).

Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.