OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2014 - 6 B 600/14
Fundstelle
openJur 2014, 19488
  • Rkr:

Erfolgreiche Beschwerde eines Fachlehrers in einem Konkurrentenstreitverfahren.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die am 30. Januar 2013 ausgeschriebenen zehn Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A 10 LBesO/Vergütungsgruppe EG 9 TV-L (Werkstattlehrer) mit den Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf die Wertstufe bis 13.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe rechtfertigen es, seinem mit der Beschwerde weiter verfolgten erstinstanzlichen Antrag zu entsprechen und den angefochtenen Beschluss zu ändern.

Der Antragsteller hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines seinen Antrag stützenden Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen ist rechtswidrig und verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers. Sie beruht auf einem rechtsfehlerhaften Qualifikationsvergleich, weil u.a. die Anlassbeurteilung des Antragstellers vom 25. Juni 2013, auf welche die Entscheidung gestützt ist, zu beanstanden ist.

Dienstliche Beurteilungen sind von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt überprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398.

Einer Überprüfung nach diesen Maßgaben hält die Anlassbeurteilung des Antragstellers vom 25. Juni 2013 und die ebenfalls aus Anlass der Bewerbung um die in Rede stehenden Beförderungsplanstellen erstellten Beurteilungen der Beigeladenen zu 1. bis 9. nicht stand, weil sie nicht im Einklang mit Nr. 4.2 Satz 1 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren, RdErl. des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2. Januar 2003, ABl. NRW. S. 7, BASS 21 - 02 Nr. 2 (im Folgenden: BRL) stehen. Danach muss der Zeitraum, auf den sich die Beurteilung bezieht, aus der Beurteilung erkennbar sein. Dafür genügt es, dass aus der Beurteilung der Zeitraum, auf den sich diese bezieht, im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 -, juris, und Urteil vom 16. Mai 2012 - 1 A 499/09 -, mit weiteren Nachweisen.

Dabei ist ausgehend vom Empfängerhorizont an objektive Anhaltspunkte anzuknüpfen. Nicht entscheidend ist demgegenüber ein gegebenenfalls abweichender, objektiv aber nicht zum Ausdruck gekommener innerer Wille des Beurteilers. Wenn es im Einzelfall an hinreichenden objektiven Anhaltspunkten dazu fehlt, wie der der Beurteilung zugrunde liegende Zeitraum eingegrenzt ist, kann die Auslegungsregel greifen, dass zur Vermeidung einer Beurteilungslücke "im Zweifel" beabsichtigt sein dürfte, unmittelbar an den Zeitraum der letzten Vorbeurteilung anzuknüpfen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2013 - 6 B 285/13 -, vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 - und vom 7. Juni 2011 - 6 B 544/11 -, jeweils juris.

Im Streitfall lässt sich den genannten Anlassbeurteilungen der Zeitraum, auf den sich die jeweilige Beurteilung bezieht, nicht hinreichend verlässlich entnehmen. Sie weisen im Gegensatz zur Anlassbeurteilung des Beigeladenen zu 10. vom 12. Juli 2013 ("Berichtszeitraum: 01.12.2010 bis heute") den jeweiligen Beurteilungszeitraum nicht ausdrücklich aus. In ihnen wird jeweils lediglich das Datum der letzten Beurteilung angegeben bzw. im Fall der Beigeladenen zu 4. nicht einmal das Datum, sondern nur der Hinweis auf ihre letztmalige Beurteilung im Schuldienst des Landes O. . Gegen die Schlussfolgerung, dass die aktuellen Anlassbeurteilungen an den jeweiligen Zeitraum der letzten Beurteilung anknüpfen sollen, spricht jedoch, dass die Bezirksregierung N. die für die Erstellung der Beurteilungen zuständigen Schulleiter mit Schreiben vom 30. April 2013 gebeten hat, bei der Beurteilung "einen Beurteilungszeitraum von den letzten drei Jahren zugrunde zu legen". Die gerade vor diesem Hintergrund gebotene Klarstellung in der jeweiligen Beurteilung, auf welchen Zeitraum sie sich bezieht, ist indes ausgeblieben.

Allein mit dem genannten Schreiben vom 30. April 2013 ist dem Erfordernis der Nr. 4.2 Satz 1 BRL nicht genügt. Der etwaige Wille des jeweiligen Beurteilers, der Beurteilung den in dem Schreiben genannten Zeitraum zugrunde zu legen, kommt in den aktuellen Anlassbeurteilungen nicht zum Ausdruck. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, es fehlten durchgreifende Hinweise darauf, dass die Beurteiler von einem abweichenden Beurteilungszeitraum ausgegangen seien, steht entgegen, dass der Beurteiler des Beigeladenen zu 10. dessen Anlassbeurteilung vom 12. Juli 2013 ausdrücklich nicht auf den vorhergehenden Dreijahreszeitraum bezogen hat, sondern nur auf den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2010.

Ob die aktuelle Anlassbeurteilung des Antragstellers und/oder die aktuellen Anlassbeurteilungen der Beigeladenen zu 1. bis 10. noch an weiteren Mängeln leiden, ist vor diesem Hintergrund nicht mehr entscheidungserheblich. Angemerkt sei, dass es den rechtlichen Anforderungen wohl noch entspräche, wenn die Beurteilungen zwecks Vermeidung von Beurteilungslücken den mit dem Datum der jeweiligen Vorbeurteilung beginnenden Zeitraum erfassten, obwohl dadurch, weil das Beurteilungssystem nach der Bewährungsfeststellung keine Regel- oder Zwischenbeurteilungen vorsieht, teilweise extrem ausgedehnte Beurteilungszeiträume entstünden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2014 - 6 B 1336/13 -, juris.

Der Antragsteller hat schließlich auch Umstände glaubhaft gemacht, die einen Anordnungsgrund begründen. Würden die in Rede stehenden Stellen mit den Beigeladenen besetzt, wäre dies nicht ohne Weiteres wieder rückgängig zu machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung/-änderung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 5 - in der bis zum 15. Juli 2014 geltenden Fassung (vgl. § 71 Abs. 1 GKG) - Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der sich in Anwendung von § 52 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG in der bis zum 15. Juli 2014 geltenden Fassung ergebende Betrag ist im Hinblick auf den im Eilrechtsschutz lediglich angestrebten Sicherungszweck um die Hälfte zu reduzieren. Dieser Wert ist, obwohl die Besetzung von zehn Stellen verhindert werden sollte, nur einfach anzusetzen, weil im Hinblick auf die Stellenbesetzung ein im Wesentlichen einheitliches Verfahren durchgeführt worden ist und die Vergabe der Stellen durch eine einheitliche Auswahlentscheidung erfolgen sollte.

Vgl. OVG NRW, Senatsbeschluss vom 19. März 2012 - 6 E 162/12 -, NVwZ-RR 2012, 663.

Ausgangspunkt der vorzunehmenden (fiktiven) Berechnung der Bezüge ist das vom Antragsteller angestrebte Amt der Besoldungsgruppe A 10 LBesO sowie die von ihm erreichte Erfahrungsstufe 11. Der sich danach ergebende Betrag (Grundgehalt i.H.v. 3.385,07 Euro x 6 zuzüglich Sonderzahlung) ist zu halbieren und der Streitwert dementsprechend auf die Wertstufe bis 13.000,00 Euro festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).