OLG Hamm, Beschluss vom 26.06.2014 - 4 UF 43/14
Fundstelle
openJur 2014, 19464
  • Rkr:
Tenor

Der Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten vom 19.03.2014 wird zurückgewiesen.

Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vom 29.04.2014 wird zurückgewiesen, soweit dieser ihre eigene Berufung betrifft. Im Übrigen wird ihr unter Beiordnung von Rechtsanwältin T aus T2 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Der Senat beabsichtigt nach Ablauf einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen die Berufungen der Parteien gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Die Parteien heirateten am ...1980. Sie hatten und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Klägerin hat die französische, der Beklagte die türkische Staatsangehörigkeit. Durch die Heirat erwarb der Beklagte zudem die französische Staatsangehörigkeit.

Der Scheidungsantrag der Klägerin vom 09.11.2005 wurde dem Beklagten am 23.12.2005 zugestellt. Die Trennung der Parteien erfolgte im Februar 1997. Im Jahr 1998 reichte der Beklagte einen Scheidungsantrag in der Türkei ein. Dieser Scheidungsantrag des Beklagten wurde im Jahr 2001 endgültig zurückgewiesen.

Die Klägerin hat sich einen Zugewinn i.H. von 173.388,26 € errechnet. Der Beklagte hat gemeint, insbesondere wegen von ihm behaupteter Zahlungen an die Klägerin i.H. von 130.000 DM im Jahr 1996 und wegen aufgenommener Kredite bestünde kein Zugewinn. Zudem sei der Praxiswert seitens der Klägerin deutlich übersetzt angesetzt worden.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Essen hat mit am 06.02.2014 verkündeten Verbundurteil die Ehe der Parteien geschieden und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin einen Zugewinnausgleich i.H. von 140.589,51 € nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtskraft der Scheidung zu zahlen.

Hierbei hat das Familiengericht den Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin wie folgt berechnet:

Zugewinn Klägerin

- €

Zugewinn Beklagter

Endvermögen

Zahnarztpraxis

40.458,50 €

Kapitalwert Versorgungswerk

350.676,00 €

Segelboot

3.500,00 €

PKW

1.800,00 €

besonderer persönlicher Hausrat

1.000,00 €

Summe

397.434,50 €

Verbindlichkeiten

Girokonto

- 8.186,55 €

Darlehen I ...#

- 34.431,85 €

Darlehen II ...#

- 60.000,00 €

Dental...#

- 6.464,78 €

...#

- 7.172,30 €

Summe

- 116.255,48 €

Endvermögen

281.179,02 €

Anfangsvermögen

- €

Zugewinn Beklagter

281.179,02 €

Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihren selbstständigen Berufungen. Der Beklagte beantragt nur Prozesskostenhilfe für die Durchführung seiner Berufung, die Klägerin für ihre Berufung und für die Verteidigung gegen die Berufung des Beklagten.

Der Beklagte meint, der Zugewinnausgleich sei wegen der langen Trennung der Parteien aus Billigkeitsgründen gem. § 1587 c BGB zu modifizieren. Ferner sei der Wert der Zahnarztpraxis vom Familiengericht nicht realistisch berechnet. Die vom Beklagten gewährten Darlehen seien vom Familiengericht zu Unrecht nicht mit in die Berechnung einbezogen worden. Eine Zahlung des Beklagten an die Klägerin i.H. von 130.000 € habe das Familiengericht zu Unrecht nicht berücksichtigt. Schließlich habe das Familiengericht auch nicht das Einkommen der Klägerin - ihre Rente - berücksichtigt, obwohl die Auskünfte der D dazu vorgelegen hätten.

Die Klägerin rügt, dass das Familiengericht beim Kapitalwert des Versorgungswerks nur einen Betrag von 350.676,00 € berücksichtigt habe. Aus dem Schreiben des Versorgungswerks der G vom 21.02.2014 ergebe sich aber, dass der Beklagte am 02.08.2006 eine Kapitalleistung von 371.741,00 € erhalten habe.

II.

Der Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten vom 19.03.2014 und der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vom 29.04.2014 werden zurückgewiesen, letzterer nur soweit dieser ihre eigene Berufung betrifft. Die Berufungen der Parteien haben keine Aussicht auf Erfolg. Der Klägerin wird zur Verteidigung gegen die Berufung des Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt.

Der Senat beabsichtigt die Berufungen gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da der Senat davon überzeugt ist, dass die Berufungen keine Aussicht auf Erfolg haben, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.

1.

Gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG ist auf das vorliegende Verfahren das bis zum 31.08.2009 geltende Verfahrensrecht, d.h. die ZPO anzuwenden, weil das Verfahren vor dem Stichtag eingeleitet worden ist. Das Familiengericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, das sich aus Art. 111 Abs. 5 FGG-RG nichts anderes ergibt. Der Versorgungsausgleich ist gem. Art. 17 Abs. 3 EGBGB nur auf Antrag der Parteien durchzuführen.

Das Familiengericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die deutschen Gerichte international zuständig sind (Art. 3 Abs. 1 lit. a Strich 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003).

Ebenso hat das Familiengericht zutreffend und von keiner Partei angegriffen gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Art. 15 EGBGB deutsches Güterrecht angewendet.

2.

Die Berufungsangriffe des Beklagten sind im Wesentlichen nicht konkret genug. Ohne Erfolg meint er, der Zugewinn sei aus Billigkeitserwägungen anders durchzuführen.

a.

Die Berufungsangriffe des Beklagten im Hinblick auf den Wert der Zahnarztpraxis, die privat gewährten Darlehen, die von dem Beklagten (angeblich) an die Klägerin im Jahr 1996 gezahlten 130.000 DM und die Rente der Klägerin genügen nicht den Vorgaben des § 520 ZPO.

Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2003, 2531, zuletzt mit Beschluss vom 11.03.2014 Az. VI ZB 22/13) gilt für i.S. von § 520 ZPO ausreichende Berufungsangriffe Folgendes:

§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO sind auf das Prüfungsprogramm des § 513 Abs. 1 i.V. mit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugeschnitten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 und 4 ZPO regeln diese Anforderungen näher. Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Beklagten nicht.

aa.

Nicht ausreichend ist allein die Angabe, dass der Wert seiner Zahnarztpraxis "in keiner Weise realistisch berechnet worden ist." Dem Beklagten hätte es obliegen, die Schätzung des Gerichts auf Grundlage des von der Ärztekammer ermittelten Wertes konkret anzugreifen. Der Senat verkennt nicht, dass nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2011, 1367) eine freiberufliche Praxis beim Zugewinn grundsätzlich nach der modifizierten Ertragswertmethode unter Berücksichtigung des individuellen kalkulatorischen Unternehmerlohns und von latenten Steuern zu bewerten ist. Regelmäßig führt diese Berechnung aber zu höheren Werten als die von der Zahnärztekammer angenommenen 25 % des Umsatzdurchschnitts der letzten drei Jahre. Dem Beklagten hätte zumindest oblegen, die Schätzung des Familiengerichts konkret anzugreifen.

bb.

Der Beklagte rügt auch nicht zulässig, dass die von ihm geltend gemachten privaten Darlehen über 165.000 DM und 10.000 € vom Familiengericht nicht angesetzt wurden. Das Familiengericht hat von dem Beklagten unangegriffen und in der Sache zutreffend darauf abgestellt, dass die tatsächliche Auszahlung dieser Beträge nicht hinreichend dargelegt wurde. Bankbelege oder Ähnliches fehlen nach wie vor. Im Hinblick auf den Betrag von 165.000 DM wird nur eine Zahlungsaufforderung und eine Rückzahlungsquittung vom 19.08.2006 vorgelegt. Da der Beklagte bei seinem Endvermögen Verbindlichkeiten berücksichtigt haben möchte, muss die Klägerin zwar grundsätzlich beweisen, dass diese nicht bestehen. Der Beklagte genügt der ihn treffenden sekundären Darlegungslast nach den Grundsätzen über den Beweis negativer Tatsachen (dazu etwa BGHZ 101, 55; OLG Köln FamRZ 1999, 657; Zöller/Greger ZPO, 30.Auflage Vor § 284 Rn 24 mwN) aber nicht. Bei dem ungenauen und nicht belegten Vortrag des Beklagten ist der Klägerin ein Gegenbeweis nicht möglich.

cc.

Nicht zulässig ist auch die Rüge im Hinblick auf die angeblich vom Beklagten an die Klägerin gezahlten 130.000 DM. Konkrete Angriffe gegen die Nichtberücksichtigung dieser Zahlung werden nicht erhoben. Dem Beklagten hätte oblegen, zumindest für die Anwendung der Zweifelsregel i.S. von § 1380 Abs. 1 S. 2 BGB vorzutragen. Vortrag hierzu fehlt.

Im Übrigen trägt der Beklagte diesbezüglich widersprüchlich vor. Im Schriftsatz vom 15.05.2006 trägt er vor, er habe durch Teilung des Guthabenbetrags der Klägerin in drei Tranchen insgesamt 130.000 DM gezahlt (70.000 DM am 01.10.1996, 8.000 DM am 07.10.1996 und am 24.10.1996 weitere 42.000 DM). Dann läge gerade kein Vorausempfang, sondern die teilweise Teilung des Vermögens vor. Demgegenüber reicht er mit Schriftsatz vom 15.04.2013 eine angeblich von der Klägerin stammende Quittung ein, mit der die Klägerin den Erhalt von 130.000 DM am 07.10.1996 bestätigt. Die Abweichung des aktuellen Vortrags vom früheren Vortrag wird nicht erläutert. Ferner ist der Betrag anhand des ebenfalls in Kopie überreichten Sparbuchs inhaltlich und rechnerisch nicht nachzuvollziehen.

Die Zweifel gehen zu Lasten des darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten.

dd.

Im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung des Einkommens der Klägerin macht der Beklagte ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S. von § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO geltend, ohne zum Novenverbot des § 531 ZPO Stellung zu nehmen. Hinzu kommt, dass der Vortrag des Beklagten insoweit unsubstantiiert ist. Entscheidend sind nicht die Einkünfte, sondern der Wert des Vermögens zum Stichtag. Belastbarer Vortrag hierzu fehlt vollständig.

b.

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist für die Annahme einer unbilligen Härte nicht auf § 1587 c BGB - diese Vorschrift betrifft den Versorgungsausgleich -, sondern auf § 1381 BGB abzustellen. Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2013, 1954) reicht allein eine ungewöhnlich lange Trennungszeit von Ehegatten aber nicht für die Annahme einer unbilligen Härte der Ausgleichspflicht im Rahmen des Zugewinnausgleichs. Vielmehr müssen weitere Gründe hinzutreten, aus denen sich ein Leistungsverweigerungsrecht ergibt. Der Beklagte hätte den vorzeitigen Zugewinnausgleich betreiben können. Wenn er hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, ist der Zugewinnausgleich ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht grob unbillig. Hinzu kommt, dass es nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich unerheblich ist, aus welchen Gründen der eine Ehegatte einen höheren Zugewinn erzielt hat (vgl. z.B. BGHZ 46, 343, 349 f.).

3.

Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Ohne Erfolg meint die Klägerin, aufgrund des Schreibens des Versorgungswerks vom 21.02.2014 sei ein höherer Betrag der Auszahlung des Versorgungswerks bei der Berechnung des Zugewinns einzustellen. Diesem Schreiben kann nur entnommen werden, dass die Auszahlung vom 02.08.2006 und damit deutlich nach dem Stichtag (Zustellung des Scheidungsantrags am 23.12.2005) erfolgt ist. Ferner kann dem Schreiben entnommen werden, dass die Zahlung auf Anrechten beruhte, die vor dem 01.01.2005 entrichtet wurden. Offen bleibt aber der genaue stichtagsbezogene Wert, der auch z.B. Zinsen etc. Rechnung trägt. Da die Klägerin für das beiderseitige Endvermögen darlegungs- und beweisbelastet ist, gehen Zweifel zu ihren Lasten.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Diese Entscheidung ist im Hinblick auf die Versagung der Prozesskostenhilfe unanfechtbar.