Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.07.2014 - 10 ZB 12.2448
Fundstelle
openJur 2014, 18724
  • Rkr:

Aufenthaltserlaubnis nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft; ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils; Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft; „On-Off-Beziehung“; mehrere selbständig tragende Gründe; grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache; Darlegungsanforderungen

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, der mazedonischer Staatsangehöriger ist, verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage weiter, die auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist, seine Aufenthaltserlaubnis nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht zu verlängern.

Der zulässige Antrag ist unbegründet. Zulassungsgründe liegen nicht vor. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.), noch ist die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; II.).

I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Bescheid vom 2. November 2010, der die Anträge des Klägers vom 3. Dezember 2008 und 6. März 2009 auf Verlängerung seiner zuletzt bis zum 12. Dezember 2008 gültigen Aufenthaltserlaubnis abgelehnt habe, sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in der hier anzuwenden vor dem 1. Juli 2011 geltenden Fassung (a.F.) seien nicht erfüllt, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden habe. Die eheliche Lebensgemeinschaft müsse dabei ununterbrochen existiert haben. Trennungen der Ehepartner unterbrächen für sich allein genommen zwar nicht ohne weiteres die Lebensgemeinschaft. Seien sie lediglich vorübergehend, blieben sie vielmehr unberücksichtigt. Ob eine Trennung vorübergehend oder dauerhaft sei, sei durch Prüfung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Maßgeblich sei, ob mindestens einer der Ehegatten ernsthaft und nach außen eindeutig zu erkennen gegeben habe, dass er die Lebensgemeinschaft auf Dauer als beendet ansehe. Werde die Lebensgemeinschaft später aufgrund eines neuen oder geänderten Willensentschlusses wieder aufgenommen, werde die Frist des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. neu in Lauf gesetzt. In Anwendung dieser Grundsätze und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls habe das Gericht sich nicht davon überzeugen können, dass der Kläger und seine damalige Ehefrau mindestens zwei Jahre ununterbrochen in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt hätten. Dies folge aus einer Zusammenschau der Angaben des Klägers sowie der Zeugenaussage seiner früheren Ehefrau in der mündlichen Verhandlung und den in den Ausländer- und Strafakten enthaltenen Äußerungen.

Die frühere Ehefrau des Klägers sei in ihrer Zeugenaussage von einer fünf bis sechs Jahre dauernden Lebensgemeinschaft ausgegangen. Sie habe dabei ihre Ehe als „On-Off-Beziehung“ beschrieben, in deren Verlauf sie den Kläger mehrmals aus der Wohnung geworfen und wieder zurückgeholt habe. Diese Vorstellung der Ehefrau des Klägers von der Ausgestaltung ihrer ehelichen Beziehungen entspreche nicht dem von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. vorausgesetzten Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft. Es sei davon auszugehen, dass die Eheleute die eheliche Lebensgemeinschaft nach der Einreise des Klägers zunächst aufgenommen hätten. Allerdings sei die eheliche Lebensgemeinschaft im September und Oktober 2003 bereits wieder beendet gewesen. Eine Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft könne allenfalls ab dem 1. April 2004 angenommen werden. Auch danach habe die eheliche Lebensgemeinschaft nicht lange gedauert. Jedenfalls sei sie unbestritten in den ersten Monaten des Jahres 2006 endgültig beendet worden. Nach ihren übereinstimmenden Angaben hätten die Ehepartner seit März 2006 getrennt gelebt. Eine eheliche Lebensgemeinschaft habe daher nicht ununterbrochen zwei Jahre bestanden.

Der Kläger sieht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung darin begründet, dass das Verwaltungsgericht die „On-Off-Beziehung“ zwischen dem Kläger und seiner früheren Ehefrau unzutreffend berücksichtigt habe. Dass die Ehegatten in einer solchen Beziehung gelebt hätten, bedeute nicht, dass zwischen ihnen keine emotionale Verbundenheit bestanden habe. Die frühere Ehefrau des Klägers sei in ihrer Zeugenaussage davon ausgegangen, dass sie fünf bis sechs Jahre mit dem Kläger in einer ehelichen Lebensgemeinschaft gelebt habe. Indem das Verwaltungsgericht ausgeführt habe, die frühere Ehefrau des Klägers habe eine Vorstellung von der Ausgestaltung einer ehelichen Beziehung gehabt, die dem von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. vorausgesetzten Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht entspreche, habe es seinen moralischen Anspruch an die Voraussetzungen des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft als Maßstab für die Tatbestandsvoraussetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. herangezogen. Dass die Ehefrau selbst die Art und Weise ihres Zusammenlebens mit dem Kläger als eheliche Lebensgemeinschaft angesehen habe, habe das Verwaltungsgericht nicht als ausreichend für eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. gewertet. Therapeuten in der Paartherapie äußerten dagegen nicht die geringsten Bedenken, dass es sich bei der Beziehung von Paaren, die sich ständig trennten und wieder versöhnten, um eine von einem Partnerwillen getragene Beziehung handele. Auch eine „On-Off-Beziehung“ falle unter den Schutz des Art. 6 GG. Zwar sei für die Bemessung der Ehebestandszeit nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. die Zeit der tatsächlichen Verbundenheit der Ehegatten maßgeblich, die regelmäßig in der Pflege einer häuslichen Gemeinschaft zum Ausdruck komme. Bei einer „On-Off-Beziehung“ dürfe jedoch nicht allein auf die Pflege der häuslichen Gemeinschaft abgestellt werden. Es müssten darüber hinaus auch der Wille und die Motivation der Betroffenen genauestens geprüft werden. Ob eine Trennung auf Dauer erfolge oder nur vorübergehender Natur sei, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Die frühere Ehefrau des Klägers habe insoweit angegeben, dass die einzelnen Trennungsphasen nur einige Tage angedauert hätten, dass auch während dieser Phasen immer telefonisch Kontakt gehalten worden sei und dass zu keinem Zeitpunkt die Absicht einer endgültigen Trennung bestanden habe. Man habe sich nur zur Vermeidung von Handgreiflichkeiten für einige Tage getrennt. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht bei seiner Beweiswürdigung die objektiven Umstände höher gewichtet als den verlautbarten Willen der Eheleute. Angesichts des wechselnden Verhaltens der Ehepartner nach der Entlassung des Klägers aus der Untersuchungshaft im Jahr 2003 sei die Ausländerbehörde selbst nicht ernsthaft von einer dauerhaften Beendigung der Beziehung ausgegangen. Auch habe sie nicht angenommen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zunächst beendet und dann aufgrund eines neuen Willensentschlusses wieder aufgenommen worden sei.

Ob der Kläger mit diesen Ausführungen die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erhebliche Tatsachenfeststellung, dass die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner früheren Ehefrau weniger als zwei Jahre bestanden habe, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat, kann jedoch offenbleiben. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, ergäben sich daraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend zusätzlich darauf gestützt, dass es für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. auch an der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehle. Aufgrund der Verurteilung des Klägers vom 10. Mai 2004 wegen verbotenen Umgangs mit Waffen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen und seiner weiteren Verurteilung vom 13. Dezember 2004 wegen Steuerhinterziehung in sechs tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Beitragsvorenthaltung in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen der Urkundenfälschung zu einer Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen lägen Ausweisungsgründe vor. Diese seien auch nicht durch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 13. Dezember 2005 verbraucht. Denn bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG habe die Ausländerbehörde gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu prüfen, ob sie von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absehe. Die Beklagte habe insoweit den von Art. 6 GG geschützten Rechten des Klägers und seiner damaligen Ehefrau den Vorrang vor den Ausweisungsgründen eingeräumt. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. gelte § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG jedoch nicht. Es verbleibe vielmehr bei der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall lägen nicht vor.

Mit dieser Argumentation setzt sich die Zulassungsbegründung aber in keiner Weise auseinander und stellt sie daher auch nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Dies wäre aber zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils erforderlich gewesen. Denn ist das angefochtene Urteil wie hier auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so kommt eine Zulassung der Berufung nur dann in Betracht, wenn Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes dargelegt werden und vorliegen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 3.6.2014 – 10 ZB 12.2312 – juris Rn. 16; B.v. 9.10.2013 – 10 ZB 13.1725 – juris Rn. 8; B.v. 10.10.2013 – 10 ZB 11.607 – juris Rn. 22; B.v. 30.10.2013 – 10 ZB 11.1390 – juris Rn. 12; B.v. 6.3.2014 – 10 ZB 11.2854 – juris Rn. 27).

II. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der Kläger hat nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und darlegt, warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.5.2012 – 10 ZB 11.2512 – juris Rn. 12; B.v. 16.5.2013 – 10 ZB 10.3162 – juris Rn. 18; B.v. 30.10.2013 - 10 ZB 11.1390 – juris Rn. 17; B.v. 10.6.2014 – 10 ZB 12.2435 – juris Rn. 4). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Klägers in der Zulassungsbegründung jedoch nicht.

Der Kläger formuliert zwar eine konkrete Rechtsfrage, wenn er ausführt, das Bundesverwaltungsgericht habe bis dato offengelassen, ob von einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft dann auszugehen sei, wenn eine räumliche Trennung der Ehegatten vom beiderseitigen Willen getragen werde, die Trennung alsbald wieder aufzuheben. Er legt aber schon nicht dar, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist. Dies war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Entscheidungserheblichkeit offensichtlich wäre. Denn das Verwaltungsgericht hat, wie ausgeführt, die Klageabweisung selbständig tragend darauf gestützt, dass es für die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. nicht nur an einer mindestens zweijährigen ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern auch am Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gefehlt habe.

Schließlich enthält die Zulassungsbegründung auch keine Ausführungen dazu, warum der als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Rechtsfrage nach Ansicht des Klägers eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).