AG Wiesbaden, Urteil vom 19.07.2012 - 91 C 4853/11
Fundstelle
openJur 2014, 18205
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird verurteilet, die von ihm innegehaltenen Räume (…) bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Flur, 1 Bad/Dusche und 1 Kellerraum zu räumen und nebst sämtlicher Schlüssel an die gesetzliche Betreuerin der Klägerin (…) herauszugeben.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.100€ abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hauses im (…) W.. Zwischen der Klägerin und ihrem Sohn besteht ein Mietverhältnis nach Maßgabe des Mietvertrages vom 01.01.2001. Hinsichtlich des Inhalts des Mietvertrages wird auf die Anlage K1, Bl. 10. d. Akte Bezug genommen.

Die Klägerin lebt seit 2009 in einem Seniorenzentrum in Taunusstein und steht unter Betreuung. Zur Betreuerin ist die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bestellt.

Die Betreuerin der Klägerin kündigte das Mietverhältnis mehrfach fristlos sowie ordentlich mit Schreiben vom 02.09.2011. Bezüglich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird die Anlage K1, Bl.189ff der Akte Bezug genommen.

Mit notariellem Vertrag vom 20.09.2011 veräußerte die Klägerin - nunmehr zum zweiten Mal - das Grundstück. Die Vertragsparteien haben in § 7.2 ein vertragliches Rücktrittsrecht der Käufer vereinbart, sofern die Mietfreiheit und Räumung, zu der die Klägerin verpflichtet ist, nicht spätestens bis zum 31.05.2012 erfolgt ist. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 20.09.2011, Anlage K11, Bl. 193ff der Akte Bezug genommen. Das Amtsgericht Bad Schwalbach hat die Veräußerung mit Beschluss vom 24.10.20111 bezüglichen dessen Inhalt auf Bl. 215f der Akte Bezug genommen wird, genehmigt. Auf die Beschwerde – auch des Beklagten – hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts der Nichtabhilfeentscheidung wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Bad Schwalbach vom 08.12.2011, Bl. 219ff der Akte, hinsichtlich der Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden auf den Beschluss vom 02.02.2012, Anlage K 15, Bl. 226ff der Akte Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, sie verfüge über keine finanziellen Reserven mehr, die laufenden Kosten des Monats überstiegen ihre Einkünfte bei weitem, so dass ihr im Falle der Nichtverwertung die Privatinsolvenz drohe. Die Heimkosten müssten nach Abzug der Versicherungsleistungen mit ca. 2.200€ monatlich bezuschusst werden, wobei die Renteneinkünfte sich auf 1.482,27€ beliefen. Trotz der Zahlungen des Beklagten verbliebe eine Unterdeckung, da die Klägerin noch Nebenkosten für den Beklagte zahle. Eine Zwangsversteigerung würde zu erheblichen Mindereinnahmen führen. Hinsichtlich des weiteren Vortrags wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 09.04.2012, Bl. 179ff der Akte Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die von ihm innegehaltenen Räum im Dachgeschoss im Haus L. 10, 6... W., bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Flur, 1 Bad/Dusche und 1 Kellerraum zu räumen und nebst sämtlicher Schlüssel zum 1.11.2011 an die gesetzliche Betreuerin der Klägerin, Frau (..), herauszugeben.sowie hilfsweise,den Beklagten zu verurteilen, die von ihm innegehaltenen Räum im Dachgeschoss im Haus L. 10, 6... W., bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Flur, 1 Bad/Dusche und 1 Kellerraum zu räumen und nebst sämtlicher Schlüssel zum 1.06.2012 an die gesetzliche Betreuerin der Klägerin, Frau (..) , herauszugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Hinweis auf mangelnde Kenntnisse der Vermögensverhältnisse ist der Beklagte der Ansicht, diese einfach bestreiten zu können. Der Beklagte sei nicht in der Lage, umzuziehen. Insoweit wird auf den Vortrag des Beklagten vom 28.06.2012, dort Seite 6, Bl., 262 der Akte Bezug genommen.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen wie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2012 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2012 hat das Gericht mit der im Zeitpunkt der Verhandlung wirksam bestellten Betreuerin einen Widerrufsvergleich abgeschlossen, der nicht widerrufen wurde. Vor einer gerichtlichen Genehmigung des Vergleichs wurde die Betreuung aufgehoben.

Gründe

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der vermieteten Wohnung.

Dieser Anspruch ergibt sich zwar nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2012 geschlossenen Räumungsvergleichs. Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses stand der Beklagte unter Betreuung, eine Genehmigung des Vergleiches erfolgte vor der Aufhebung der Betreuung nicht, § 1907 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Beklagte selbst hat den Vergleich auch nicht gegenüber dem Gericht genehmigt. Vielmehr hat er – nach Beendigung der Betreuung – gegen den Vergleichsschluss protestiert.

Der Anspruch ergibt sich jedoch aus § 546 Abs. 1 BGB.

Das Mietverhältnis ist aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 02.09.2011 gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nach mittlerweile eingetretenem Fristablauf durch Ablauf der 9 Monate (§ 573c Abs. 1 BGB) beendet, so dass es auf die weiteren im Verfahren vorgebrachten (fristlosen) Kündigungsgründe nicht ankommt.

Der Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB liegt vor.

Aufgrund des abgeschlossenen Kaufvertrages ist die Absicht der Klägerin zur anderweitigen Verwertung der Mietsache gegeben.

Auch ist die Verwertung zur Vermeidung einer Privatinsolvenz bzw. zur weiteren Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Klägerin angemessen. Die Klägerin hat durch Vorlage der Entscheidungen des Amtsgerichts Bad Schwalbach bzw. derjenigen des Landgerichts Wiesbaden bewiesen, dass die Einnahmen der Klägerin die Ausgaben bei weitem übersteigen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts Wiesbaden (AZ: 4 T 565/11) reichen im Hinblick auf den in diesen Verfahren bestehenden Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 286 ZPO zur Feststellung aus, dies insbesondere im Hinblick auf das bloß einfache Bestreiten des Beklagten.

Auch hindert der Bestand des Mietverhältnisses die im Zeitpunkt der Kündigung noch lediglich geplante Verwertung. Bei einem geplanten Hausverkauf liegt dieses Tatbestandsmerkmal vor, wenn der Vermieter das Haus in vermietetem Zustand entweder überhaupt nicht oder nur zu wirtschaftlich unzumutbaren Bedingungen verkaufen könnte. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert handelt es sich bereits um den zweiten Veräußerungsversuch. Aufgrund der Verpflichtung zur Übergabe einer geräumten Wohnung und des vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts darf sich die Klägerin auf diese Unzumutbarkeit auch noch nach Verkauf berufen (Schmidt-Futterer/Blank, 10. Auflage 2011, Mietrecht § 573 Rz. 167 m.w.Nw.)

Im Falle der Nichtveräußerung ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (siehe oben). Hierin liegt ein erheblicher Nachteil.

Der Beklagte kann auch nicht gemäß § 574 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Unstreitig wurde die Betreuung aufgrund des eigenen Betreibens des Beklagten aufgehoben. Aus der Zeit vor der Betreuung stammende ärztliche Unterlagen haben demnach keine Beweiskraft. Überdies gibt es für die gemäß § 574 Abs. 1 BGB vorzunehmende Gesamtabwägung nichts, was zu Gunsten des Beklagten in die Interessensabwägung einzubeziehen wäre. Selbst wenn er nach wie vor gesundheitlich angeschlagen sein sollte, so rechtfertigt dies im Hinblick auf die besondere Situation seiner Mutter keinesfalls eine Fortsetzung des Mietverhältnisses. Angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen ist gerichtsbekannt vorhanden, wobei – mit Ausnahme des Mietpreises - insbesondere nicht die Anforderungen an den Ersatzwohnraum gestellt werden können, die Gegenstand des Vergleiches waren.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, sie ergeht aufgrund der als Beschwerde des Beklagten auszulegenden Stellungnahmen gegenüber dem Amtsgericht vom 01.03.2012 (Bl. 149ff) und dem ebenfalls als Beschwerde auszulegenden Schriftsatz der Klägerin vom 09.04.2012 gegen den lediglich einfach übermittelten und nicht zugestellten Kostenbeschluss vom 24.02.2012 als Abhilfeentscheidung.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.

Streitwert: 12 x behauptete Kaltmiete: 310,50€ = 3.726€

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