Bayerischer VGH, Urteil vom 01.07.2014 - 15 N 12.333
Fundstelle
openJur 2014, 16832
  • Rkr:

Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan, prozessuale Präklusion, fehlender Hinweis auf Präklusionswirkung in der Auslegungsbekanntmachung, Ausfertigungsfertigungsmangel, Bekanntmachung vor Ausfertigung

Tenor

I. Der am 22. März 2008 bekannt gemachte Bebauungsplan „Gewerbegebiet O.“ ist unwirksam.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan „Gewerbegebiet O.“ der Antragsgegnerin.

Das ca. 8,6 ha große Plangebiet liegt zwischen dem östlichen Rand des Hauptorts der Antragsgegnerin und der Kreisstraße DON …. Im Süden wird das Plangebiet durch den ...bach begrenzt. Anlass der Planung war es, wegen der beengten Lage heimischen Gewerbe- und Handwerksbetrieben eine Um- und Aussiedlung sowie anderen Gewerbebetrieben die Neuansiedlung zu ermöglichen. Die Haupterschließung des Gebiets erfolgt von der Kreisstraße DON ...über einen neu geplanten Kreisverkehr im Norden und eine neue Aus- und Zufahrt im Süden. Durch den Kreisverkehr und eine von dort nach Nordosten führende Abzweigung werden Teilflächen des im Plangebiet gelegenen, landwirtschaftlich genutzten Grundstücks FlNr. ... Gemarkung E... der Antragstellerin in Anspruch genommen.

Der Gemeinderat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 20. Mai 1992 die Aufstellung des Bebauungsplans und machte den Beschluss am 13. und 18. März 1993 im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Ries öffentlich bekannt. Nachdem das Verfahren zunächst nicht weiter betrieben worden war, stimmte der Gemeinderat am 29. Mai 2007 einem neuen Entwurf in der Fassung vom 11. Mai 2007 zu und beschloss die Weiterführung des Verfahrens. Der Entwurf wurde nach der Auslegungsbekanntmachung vom 13. Juni 2007 in der Zeit vom 25. Juni bis 27. Juli 2007 öffentlich ausgelegt. Nachdem der Planentwurf aufgrund von Bedenken und Anregungen Träger öffentlicher Belange überarbeitet worden war, wurde er in seiner geänderten Fassung vom 2. Dezember 2007 in der Sitzung des Gemeinderats am 10. Dezember 2007 gebilligt und in der Zeit vom 2. Januar bis 18. Januar 2008 erneut öffentlich ausgelegt. Die öffentliche Bekanntmachung dieser Auslegung erfolgte am 22. Dezember 2007. Die Antragstellerin hat im Verfahren keinerlei Einwendungen erhoben.

In der Sitzung vom 6. Februar 2008 beschloss der Gemeinderat den Bebauungsplan mit geringfügigen Änderungen als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Ries am 22. März 2008 öffentlich bekannt gemacht. Die Ausfertigung der Bebauungsplanurkunde durch den ersten Bürgermeister erfolgte am 26. März 2008.

In der Sitzung am 31. August 2009 beschloss der Gemeinderat wegen der hohen Kosten und der mangelnden Nachfrage, die Durchführung der Erschließung des Baugebiets bis auf Weiteres zurückzustellen sowie nach fünf Jahren zu prüfen, ob sich an dieser Situation etwas geändert hat, und erneut über die Durchführung der Erschließung zu entscheiden.

Bereits am 18. März 2009 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgerichtshof Normenkontrollantrag gestellt. Nachdem das Verfahren zunächst nicht weiter betrieben und statistisch erledigt worden war, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13. Februar 2013 seine Fortsetzung beantragt. Sie rügt sowohl formelle als auch materielle Fehler des Bebauungsplans.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass der am 22. März 2008 bekannt gemachte Bebauungsplan „Gewerbegebiet O.“ unwirksam ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Sie macht geltend, der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Antragstellerin im Normenkontrollverfahren nur Einwendungen geltend mache, die sie bereits im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung hätte vorbringen können, aber nicht vorgebracht habe. Im Übrigen seien die gerügten formellen und materiellen Fehler nicht gegeben.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Normaufstellungsakten Bezug genommen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg. Er ist zulässig (A.) und begründet (B.).

A. Der Antrag ist zulässig.

1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift, die Gegenstand des Normenkontrollantrags ist, oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substanziiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks (auch) gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundeigentum betreffen und damit dessen Inhalt und Schranken (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) bestimmen (BVerwG, B.v. 13.11.2012 - 4 BN 23.12 - BRS 79 Nr. 63 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im Plangebiet gelegenen Grundstücks FlNr. ... und wendet sich unter anderem gegen die Festsetzung von öffentlichen Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) auf diesem Grundstück.

2. Die Antragstellerin ist mit ihrem Antrag nicht nach § 47 Abs. 2a VwGO präkludiert.

Nach dieser Bestimmung ist der Antrag, der einen Bebauungsplan zum Gegenstand hat, unzulässig, wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, und wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist. Diese durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. Dezember 2006 (BGBl I S. 3316) eingeführte prozessuale Präklusionsvorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2007 - 4 CN 3/06 - BVerwGE 128, 382 Rn. 22) hat zum Ziel, die jeweiligen Interessen der Betroffenen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial hinzuzufügen und im Hinblick auf die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und den Verwaltungsgerichten zu verhindern, dass sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2014 - 4 CN 1/13 - NVwZ 2014, 786 Rn. 15; BT-Drs. 16/2496 S. 18). Voraussetzung für den Eintritt der Präklusion ist allerdings, wie sich bereits dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen lässt, dass in der Bekanntmachung der Auslegung oder sonst im Rahmen der Beteiligung auf die Präklusionswirkung hingewiesen worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2010 – 4 CN 4/09 - BVerwGE 138, 84 Rn. 9). Unterbleibt ein entsprechender Hinweis, tritt die Rechtsfolge des § 47 Abs. 2a VwGO nicht ein (vgl. BT-Drs. 16/2496 S. 18).

So liegen die Dinge hier. Die Antragsgegnerin hat weder in der Auslegungsbekanntmachung vom 13. Juni 2007 noch in der vom 22. Dezember 2007 auf die Rechtsfolge des § 47 Abs. 2a VwGO hingewiesen. Auch in sonstigen von der Antragsgegnerin vorgelegten Normaufstellungsunterlagen findet sich ein solcher Hinweis nicht.

Auf die unter den Beteiligten strittige Frage, ob die Präklusionswirkung des § 47 Abs. 2a VwGO (auch) deswegen nicht eingetreten ist, weil die Aufstellungs- und Auslegungsbekanntmachungen infolge einer unzutreffenden Umschreibung des Geltungsbereichs und einer unvollständigen Auflistung der von der Planung betroffenen Flurnummern nicht die erforderliche „Anstoßwirkung“ entfaltet haben (vgl. BVerwG, B.v. 17.12.2004 - 4 BN 48.04 - Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 11 = juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 23.4.2013 - 15 N 11.1364 - Rn. 14 ff.), kommt es nicht mehr an.

B. Der Antrag ist begründet.

Der am 22. März 2008 bekannt gemachte Bebauungsplan „Gewerbegebiet O.“ ist für unwirksam zu erklären, weil er nach Überzeugung des Senats ungültig ist (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO).

Der Bebauungsplan leidet an einem zu seiner Unwirksamkeit führenden formellen Mangel, da er nicht ordnungsgemäß ausgefertigt worden ist.

Bebauungspläne sind Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) und als solche nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen, bevor sie gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Kraft gesetzt werden. Dies gebietet das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich verankerte Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerwG, B.v. 9.5.1996 - 4 B 60/96 - NVwZ-RR 1996, 630; B.v. 27.10.1998 - 4 BN 46/98 - NVwZ-RR 1999, 161; U.v. 19.9.2002 - 4 CN 1/02 - BVerwGE 117, 58 Rn. 30). Durch die Ausfertigung wird bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (sog. Identitätsfunktion, vgl. BVerwG, U.v. 1.7.2010 - 4 C 4/08 - BVerwGE 137, 247 Rn. 13; B.v. 21.12.2011 - 8 B 72/11 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 33 = juris Rn. 6). Weitere Anforderungen stellt das Bundesrecht nicht. Regelungen über Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung richten sich allein nach Landesrecht (vgl. BVerwG, B.v. 16.5.1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - BVerwGE 88, 204; B.v. 27.1.1998 - 4 NB 3/97 - NVwZ 1998, 1067 = juris Rn. 16). In Bayern gibt Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO vor, dass Satzungen auszufertigen und im Amtsblatt der Gemeinde bzw. der Verwaltungsgemeinschaft, der sie angehört, amtlich bekannt zu machen sind. Der Identitätsfunktion der Ausfertigung wird dabei im Allgemeinen durch die eigenhändige Unterschrift des ersten Bürgermeisters oder seines Stellvertreters auf der durch die Ausfertigung hergestellten Originalurkunde, die der Bekanntmachung der Norm zugrunde zu legen ist, Rechnung getragen (vgl. BayVGH, U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 u.a. - juris Rn. 35).

Nach diesen Maßstäben ist der Bebauungsplan hier nicht ordnungsgemäß ausgefertigt, weil die Ausfertigung durch den ersten Bürgermeister auf der Originalurkunde (26. März 2008) erst nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans (22. März 2008) erfolgt ist. Dass der erste Bürgermeister vor der Bekanntmachung am 8. Februar 2008 einen Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung, in der der Satzungsbeschluss gefasst wurde, unterzeichnet hat (vgl. Blatt 262 der Normaufstellungsakte), reicht für die Ausfertigung nicht aus, weil darin nur die Übereinstimmung mit dem Original-Protokoll und die Tatsache, dass „der Bebauungsplan,O.‘ mit Satzung, Begründung und Ausgleichsberechnung“ beschlossen wurde, bestätigt wird, nicht aber die Übereinstimmung der Originalurkunde mit dem Inhalt des Satzungsbeschlusses (vgl. BayVGH, U.v. 20.10.2009 - 1 N 06.1545 - juris Rn 30).

Da der Bebauungsplan bereits wegen dieses Mangels unwirksam ist, muss nicht entschieden werden, ob er an weiteren formellen oder materiellen Mängeln leidet.

C. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 ff. ZPO. Gründe, derentwegen die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 4 Halbsatz 2 in Verbindung mit Satz 2 muss die Antragsgegnerin die Ziffer. I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).

Beschluss

Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 7 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).