BFH, Beschluss vom 11.12.2013 - XI B 33/13
Fundstelle
openJur 2014, 16260
  • Rkr:
Tatbestand

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Vater der im Jahr 1991 geborenen Tochter ... (T). T befand sich von August 2007 bis Juni 2010 in Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Zum 1. August 2010 nahm sie eine Vollzeiterwerbstätigkeit auf.

Am 21. Oktober 2010 bewarb sich T um einen Ausbildungsplatz als medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin. Dieser Ausbildungsplatz wurde ihr am 25. Januar 2011 zugesagt. Die Ausbildung begann nach den Sommerferien 2011.

Die frühere Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 29. September 2011 die Kindergeldfestsetzung für Januar bis Juni 2010 auf, weil die Einkünfte und Bezüge der T von Januar bis Juni 2010 den anteiligen Grenzbetrag von 4.002 EUR überschritten hätten, und forderte gleichzeitig gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) für den Zeitraum Januar bis Juni 2010 Kindergeld in Höhe von 1.104 EUR zurück. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos; die Familienkasse vertrat in der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2011 die Auffassung, der anteilige Grenzbetrag betrage 6.003 EUR, weil T in den Monaten Oktober bis Dezember 2010 als ausbildungsplatzsuchendes Kind berücksichtigungsfähig sei. Allerdings werde dieser Grenzbetrag aufgrund der Einbeziehung des Arbeitslohns der T in diesen Monaten überschritten.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit der T (Oktober bis Dezember 2010) sei diese nicht als Kind zu berücksichtigen; deshalb betrage der Grenzbetrag nur 4.002 EUR; dieser sei unterschritten.

In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. März 2013, zu der für die Familienkasse niemand erschienen ist, ist Folgendes protokolliert:

"Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt gegen einen möglichen Rückforderungsanspruch der Beklagten die Aufrechnung in Höhe der Rückzahlungsforderung aufgrund beantragten und nicht gezahlten Kindergeldes für das Jahr 2011 durch die Beklagte. ... Dies aufgrund der heutigen Hinweise."

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) schließe eine Vollzeiterwerbstätigkeit die Berücksichtigung der T als ausbildungsplatzsuchendes Kind nicht aus. Der Grenzbetrag von 6.003 EUR sei nach Einbeziehung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Monate Oktober bis Dezember 2010 überschritten. Ausführungen zu der erklärten Aufrechnung enthält das Urteil des FG nicht.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

Gründe

II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden; Beklagte und Beschwerdegegnerin ist nunmehr die Familienkasse ... (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, BFH/NV 2013, 1774, Rz 14). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern.III.

Die Beschwerde ist in Bezug auf den Streitgegenstand "Rückforderung von Kindergeld für T" begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO). Hinsichtlich des Streitgegenstands "Aufhebung von Kindergeld für T" ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

1. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.

a) Wird die Beschwerde --wie hier-- mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, muss der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen eine hinreichend bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklungen sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 II B 74/08, BFH/NV 2009, 125; vom 6. Juli 2011 III S 4/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1717, jeweils m.w.N.). Soweit die Rechtsfrage ausgelaufenes Recht betrifft, müssen in der Beschwerdebegründung zusätzlich besondere Gründe geltend gemacht werden, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, wonach Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. März 2009 X B 34/08, BFH/NV 2009, 1141; vom 11. März 2011 III B 76/10, BFH/NV 2011, 981).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung schon deshalb nicht, weil die vom Kläger für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage ausgelaufenes Recht betrifft und der Kläger einen dennoch bestehenden Bedarf, die im Streitfall zu beurteilende Frage höchstrichterlich zu klären, nicht dargelegt hat. Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) wurde § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geändert. Nach neuer Rechtslage sind für die steuerliche Berücksichtigung eines volljährigen Kindes dessen eigene Einkünfte und Bezüge grundsätzlich unbeachtlich.

c) Zudem hat sich der Kläger mit der --vom FG auf Seite 4 des Urteils unter 1.b ausführlich zitierten-- Rechtsprechung des BFH zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern während einer Vollzeiterwerbstätigkeit, die der BFH mehrfach bestätigt hat, (vgl. über die vom FG zitierten Urteile hinaus aus neuerer Zeit z.B. Urteile vom 15. März 2012 III R 20/11, BFH/NV 2012, 1590; vom 24. Januar 2013 V R 42/11, BFH/NV 2013, 918; vom 28. Februar 2013 III R 9/12, BFH/NV 2013, 1079; in BFH/NV 2013, 1774) nicht auseinandergesetzt.

d) Soweit sich die Ausführungen des Klägers in seiner Beschwerdebegründung gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung (und der Rechtsprechung des BFH) richten, wird damit keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dargetan (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2011 XI B 75/10, BFH/NV 2011, 1372; vom 12. Dezember 2012 XI B 70/11, BFH/NV 2013, 705, jeweils m.w.N.).

2. Soweit hingegen der Kläger vorträgt, das FG habe in seinem Urteil nicht zu der von ihm erklärten Aufrechnung gegen den Rückforderungsanspruch der Familienkasse Stellung genommen, rügt er sinngemäß und zutreffend ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO und damit eine Verletzung der in § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO niedergelegten Pflicht des Gerichts, sein Urteil mit Gründen zu versehen. Ob dies mit der von dem Kläger gerügten Verletzung rechtlichen Gehörs einhergeht, kann insoweit dahinstehen. Dieser Verfahrensfehler führt jedoch nur in Bezug auf den Rückforderungsbescheid zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG. Die Entscheidung zum Aufhebungsbescheid wird von diesem Verfahrensfehler des FG nicht berührt.

a) Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Es reicht hierfür aus, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen und das Gericht ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das für sich allein den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet, übergangen hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2003 X B 105/02, BFH/NV 2003, 1193, unter II.2., m.w.N.; vom 23. September 2009 IX B 52/09, BFH/NV 2010, 220, unter 1.a; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 119 FGO Rz 359 ff.). Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Urteilsbegründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht, lückenhaft, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Juli 2012 X B 41/11, BFH/NV 2012, 1634, m.w.N.). Die Abgrenzung zwischen erheblichen und nicht wesentlichen Begründungsmängeln hat sich am Zweck der Urteilsbegründung zu orientieren, der darin besteht, für den Ausspruch der Urteilsformel den Nachweis der Rechtmäßigkeit zu liefern (BFH-Urteil vom 17. April 2002 X R 8/00, BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527, und BFH-Beschluss vom 10. November 2011 X B 211/10, BFH/NV 2012, 426). Vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist danach dann auszugehen, wenn den Beteiligten --zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte-- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 426, m.w.N.).

b) Der Kläger macht insoweit unter Bezugnahme auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. März 2013 zu Recht als Verfahrensfehler geltend, er habe --was zutrifft-- in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2013 gegen einen möglichen Rückzahlungsanspruch der Familienkasse die Aufrechnung erklärt und die --zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene-- Familienkasse habe der Aufrechnung nicht widersprochen. Das FG hat sich zu diesem Einwand (§ 226 AO; s. dazu z.B. BFH-Urteil vom 31. August 1995 VII R 58/94, BFHE 178, 308, BStBl II 1996, 55, unter 3.b) in seinem Urteil mit keinem Wort geäußert und damit ein selbständiges Verteidigungsmittel übergangen, das der Kläger nach dem Wortlaut seiner Erklärung (nur) gegen den Rückforderungsanspruch der Familienkasse geltend gemacht hat.

c) Allerdings kann dieser Verfahrensfehler des FG allenfalls Auswirkungen auf den Rückforderungsbescheid haben, weil auch im Kindergeldrecht zwischen Festsetzungsverfahren und Erhebungsverfahren zu unterscheiden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Oktober 2000 VI B 144/99, BFH/NV 2001, 423; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 64 EStG Rz 9): Die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids als Teil des Steuerfestsetzungsverfahrens (§ 31 Satz 3 i.V.m. § 70 Abs. 1 EStG) kann von einer Aufrechnung nicht berührt werden (vgl. zur Abgrenzung Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 1983  8 C 43/81, Kommunale Steuerzeitschrift 1983, 169; s.a. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 12. Mai 1923 VI A 42/23, RFHE 12, 182).

3. Da der Streitgegenstand teilbar ist, hält der Senat es für angezeigt, nur insoweit nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und den Rechtsstreit teilweise zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, als die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat (vgl. zu dieser Möglichkeit BFH-Beschlüsse vom 28. November 2006 X B 160/05, BFH/NV 2007, 480; vom 20. Juli 2011 XI B 108/10, BFH/NV 2011, 2134; Lange in HHSp, § 116 FGO Rz 288).

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Das FG hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch diesen Beschluss rechtskräftig abgeschlossenen Teils des Verfahrens zu entscheiden (vgl. BFH-Urteile vom 17. November 2011 IV R 2/09, BFH/NV 2012, 1309; vom 13. Juni 2013 III R 10/11, BFHE 241, 562, BFH/NV 2013, 1868). Dabei ist unerheblich, ob die Sache durch Urteil oder durch Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO zurückverwiesen wird (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 220).