LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.07.2014 - 17 Ta 8/14
Fundstelle
openJur 2014, 15798
  • Rkr:

1. Zu den Anforderungen an einen gewichtigen Grund für die Aufrechterhaltung einer Aussetzung wegen Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung im Sinne von § 149 Absatz 2 Satz 2 ZPO.

2. Ein gewichtiger Grund für die Aufrechterhaltung einer Aussetzung wegen des Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung liegt nicht allein in dem Einfluss eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 11. Juni 2014 - 12 Ca 1997/13 - wie folgt abgeändert: Das Verfahren wird fortgeführt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags, den ausgesetzten Rechtsstreit fortzuführen.

Die Parteien streiten sich im vorliegenden Rechtstreit darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 23. Januar 2012 und vom 21. Februar 2012 geendet hat. Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihrer Kündigungen auf den Verdacht einer Tatbeteiligung des Klägers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl zu ihrem Nachteil.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Kläger wegen einer Tatbeteiligung des Klägers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl und erhob schließlich Anklage. Vor diesem Hintergrund hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 5. April 2012 den vorliegenden Rechtsstreit bis zum Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens und des sich daran anschließenden Strafverfahrens gegen den Kläger ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Falle einer Tatbeteiligung des Klägers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl zu Lasten der Beklagten ein wichtiger Grund für die streitgegenständlichen Kündigungen vorläge und Beweisergebnisse aus dem Strafverfahren im vorliegenden Rechtsstreit verwertet werden könnten. Nachdem der Kläger erstinstanzlich strafrechtlich verurteilt worden war, hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Beklagten vom 22. Oktober 2013 den Rechtsstreit fortgesetzt. Auf Antrag des Klägers, wegen seiner gegen die strafgerichtliche Verurteilung eingelegte Berufung das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 27.11.2013 erneut den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Die weitere Aussetzung sei prozessökonomisch. Denn die von der Beklagten behauptete Tatbeteiligung des Klägers an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl lasse sich schneller und gründlicher im Strafverfahren klären. Eine Beweiserhebung im Arbeitsgerichtsprozess werde daher durch die Aussetzung vermieden. Außerdem vermeide die Aussetzung widerbesprechende Entscheidungen im Strafverfahren einerseits und im arbeitsgerichtlichen Verfahren andererseits. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 14. Januar 2014 zurückgewiesen.

Zwischenzeitlich wurde die Berufung des Klägers gegen seine strafgerichtliche Verurteilung zurückgewiesen. Der Kläger wird seine dagegen eingelegte Revision voraussichtlich Ende Juli 2014 begründen. Vor diesem Hintergrund beantragte die Beklagte unter dem Datum vom 27. Mai 2014 erneut, das Verfahren fortzusetzen. Das Arbeitsgericht wies mit dem am 17. Juni 2014 zugestellten Beschluss vom 11. Juni 2014 den Antrag zurück. Zur Begründung hat es auf seinen Aussetzungsbeschluss vom 27. November 2013 verwiesen und ergänzend eine Entlastung des vorliegenden Rechtsstreits und eine Vermeidung widersprechender Entscheidungen durch die Aussetzung hervorgehoben. Dagegen legte die Beklagte sofortige Beschwerde ein. Die sofortige Beschwerde ging am 17. Juni 2014 per Fax und am 18. Juni 2014 im Original ein. Die Beklagte ist der Meinung, das Verfahren sei fortzuführen, nachdem es über zwei Jahre lang ausgesetzt gewesen sei. Die durch die strafgerichtlichen Tatsacheninstanzen gewonnenen Beweisergebnisse könnten bei der Beurteilung der Frage, ob die streitgegenständlichen Kündigungen wegen des Verdachts einer Tatbeteiligung des Klägers an einem gemeinschaftlichen Diebstahl zu ihren Lasten gerechtfertigt seien, herangezogen werden. Indessen steige ihr Prozessrisiko bei einer fortdauernden Aussetzung beträchtlich. Der Kläger tritt der sofortigen Beschwerde entgegen unter Verweis darauf, dass die strafgerichtlichen Verurteilungen falsch seien. Das Arbeitsgericht half mit seinem Beschluss vom 18. Juni 2014 der sofortigen Beschwerde nicht ab unter Bezugnahme auf seine Beschlüsse vom 27. November 2013 und vom 11. Juni 2014. Es lägen gewichtige Gründe für eine weitere Aussetzung des Verfahrens vor. Im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen einer Tatbeteiligung an einem gemeinschaftlichen Bandendiebstahl zu Lasten der Beklagten sei ein Grund für die streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigungen gegeben. Deswegen entlaste die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Strafverfahrens gegen den Kläger den vorliegenden Rechtsstreit. Vor einem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens sei eine Entlastung nur eingeschränkt gegeben: Zwar seien die in dem strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Beweisergebnisse im Wege eines Urkundsbeweises verwertbar; dennoch müsste eine Auseinandersetzung mit den Gründen der strafgerichtlichen Verurteilung erfolgen. Der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer ein Zuwarten bis zum Abschluss der Revisionsinstanz zumutbar.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten hat Erfolg.

1. Die Beklagte hat ihre entsprechend § 252 ZPO in Verbindung mit § 78 Satz 1 ArbGG statthafte sofortige Beschwerde (vgl. Sächsisches LAG, 8. März 2012 - 4 Ta 17/12 -, juris, Rn. 12; Wagner, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage, § 149 Rn. 12; Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 149 Rn. 4; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 35. Auflage, § 149 Rn. 5) gemäß §§ 569 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 in Verbindung mit § 78 Satz 1ArbGG form- und fristgerecht eingelegt.

2. Die damit zulässige sofortige Beschwerde ist zudem begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht den Antrag der Beklagten vom 27. Mai 2014 auf Fortsetzung des Verfahrens zurückgewiesen.

a) Nach § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG ist das Verfahren fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung wegen des Verdachts einer Straftat nach § 149 Satz 1 ZPO ein Jahr vergangen ist. Dies gilt nach § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht, wenn gewichtige Gründe für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen. An das Vorliegen gewichtiger Gründe sind mit Blick auf das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und mit Blick auf die gerichtliche Verpflichtung zum Verhandeln zivilrechtlicher Ansprüche in angemessener Frist aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, 5. August 2013 - 1 BvR 2965/10 - , juris, Rn. 22; Sächsisches LAG, 8. März 2012 - 4 Ta 17/12 -, juris, Rn. 19; OLG Koblenz, 21. Februar 2011 - 10 W 79/11 -, juris, Rn. 7). Deswegen reichen als gewichtige Gründe nur besonders schwerwiegende Umstände aus (vgl. Wendtland, in: Vorwerk/Wolf, Beck?scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 15. März 2014, § 149 Rn.11). Wie sich aus der Systematik des § 149 ZPO ergibt, reicht es als gewichtiger Grund nicht aus, dass ein strafgerichtliches Verfahren Einfluss auf die Entscheidung des ausgesetzten Rechtsstreits hat. Denn wenn ein Rechtsstreit nach § 149 Abs. 1 ZPO wegen des Einflusses eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung ausgesetzt ist, ist er gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO nach einem Jahr auf Antrag fortzuführen, unabhängig davon, ob das strafgerichtliche Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist oder nicht. Von dieser Regel gibt § 149 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine Ausnahme, wenn gewichtige Gründe für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen. Also können gewichtige Gründe nicht allein in dem Einfluss eines strafgerichtlichen Verfahrens auf die Entscheidung liegen, sondern müssen außerhalb dessen liegen (vgl. Sächsisches LAG, 8. März 2012 - 4 Ta 17/12 -, juris, Rn. 19; OLG Koblenz, 21. Februar 2011 - 10 W 79/11 -, juris, Rn. 7: das Sächsische LAG und das OLG Koblenz lassen als Begründung für eine Zurückweisung eines Antrags auf Fortsetzung eines Verfahrens nach einjähriger Aussetzung nicht den Hinweis auf die Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens genügen).

Unabhängig davon besteht regelmäßig keine Rechtfertigung für die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines strafgerichtlichen Verfahrens (vgl. BAG, 25. Oktober 2010 - 2 AZR 801/09 -, juris, Rn. 17; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 -, juris, Rn. 15) und damit erst Recht keine Rechtfertigung für eine Aufrechterhaltung einer Aussetzung gemäß § 149 Abs. 2 Satz1 ZPO als Ausnahme von der auf Antrag regelmäßigen Fortführung des Verfahrens nach einjähriger Aussetzung gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Denn eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen rechtfertigt weder eine Tatkündigung noch eine Verdachtskündigung; vielmehr haben die Gerichte für Arbeitssachen in einem Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil den Sachverhalt selbst aufzuklären und zu bewerten (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 -, juris, Rn. 23; 25. Oktober 2010 - 2 AZR 801/09 -, juris Rn. 17; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - , juris, Rn. 15).

Die Entscheidung darüber, ob gewichtige Gründe vorliegen, ist eine gebundene Entscheidung, also keine Ermessensentscheidung (vgl. BVerfG, 5. August 2013 - 1 BvR 2965/10 -, juris, Rn. 22).

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist vorliegend kein gewichtiger Grund für eine Fortdauer der zweijährigen Aussetzung erkennbar. Der Umstand, dass das strafgerichtliche Verfahren Einfluss auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung über die streitgegenständlichen Kündigungen hat, rechtfertigt nach dem oben Gesagten nicht die Aufrechterhaltung der Aussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens. Andere Umstände für eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sind nicht ersichtlich. Anders als das Arbeitsgericht meint, reichen dafür prozessökonomische Erwägungen und die Vermeidung widersprechender Entscheidungen nicht aus. Denn diese Überlegungen sind keine selbständig tragenden Gründe, sondern haben ihren Grund darin, dass das strafgerichtliche Verfahren Einfluss auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung hat.

Aus diesen Gründen ist auf Antrag der Beklagten das Verfahren nach § 149 Abs. 1 Satz 2 ZPO fortzusetzen.

3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens Teil der Kosten des Rechtsstreits sind; denn die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens beziehungsweise die Fortführung des Verfahrens ist Teil des Hauptsacheverfahrens (vgl. BGH, 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 -, juris, Rn. 12; OLG Koblenz, 21. Februar 2011 - 10 W 79/11 -, juris, Rn. 8).

4. Gründe, die Rechtsbeschwerde nach §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, sind nicht gegeben.

5. Die Entscheidung hat nach § 78 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO, § 78 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein ergehen können.