FG München, Urteil vom 20.05.2014 - 2 K 875/11
Fundstelle
openJur 2014, 15283
  • Rkr:
Tenor

1. Der Ablehnungsbescheid vom 2. Februar 2010 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 werden aufgehoben.

Das Finanzamt wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

I. Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) zu Recht den Vorsteuerabzug der Klägerin gekürzt und eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat.

Die Klägerin erzielt steuerpflichtige Umsätze aus der Lagerung, Kommissionierung und Verteilung von Gütern aller Art. Gesellschafter der Klägerin sind A und P K. Mit ihrer Umsatzsteuererklärung 2006 vom 15. Januar 2008 machte sie abziehbare Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Höhe von 83.093,99 € geltend.

Dem geltend gemachten Vorsteuerabzug liegen im Wesentlichen zwei Rechnungen der Fa. H Prag/Tschechien vom 5. Dezember 2005 und 11. Januar 2006 über die Lieferung von Nickel-Kathoden zum Preis von 249.674,99 € zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 39.948,- € und 258.022,57 € zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 41.283,61 € zu Grunde. Auf den Rechnungen ist die Steuernummer …/…/1487 angegeben. Die Rechnungen enthalten den Hinweis, dass die Verladung im Lager N bei der Fa. M nur in Absprache mit dem Mitarbeiter J erfolgen dürfe.

Mit Schreiben vom 3. März 2008 teilte das Finanzamt X dem beklagten Finanzamt mit, dass H keine Geschäftstätigkeit ausgeübt und niemals Verfügungsmacht über die angeblich an die Klägerin gelieferten Waren gehabt habe. Die streitgegenständlichen Rechnungen seien deshalb zu Unrecht ausgestellt worden, mit der Folge, dass die darin ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden könne.

Das Finanzamt X legte dazu Niederschriften über die Beschuldigtenvernehmung von Frau B, der Geschäftsführerin der Fa. H, am 17. November 2006 und über die Zeugenvernehmung von Herrn A K, dem Geschäftsführer der Klägerin, am 8. November 2007, vor.

Im Rahmen der daraufhin von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen wurde festgestellt, dass die Waren von einer niederländischen Spedition ab dem Lager der Fa. M in N direkt zum Abnehmer nach Italien transportiert wurden. Die Klägerin stellte die Lieferungen dem italienischen Abnehmer in Rechnung, der diese per Überweisung bezahlte. Die Klägerin überwies die Rechnungsbeträge auf das auf den Rechnungen angegebene Konto der Dresdner Bank Zürich. Feststellungen zu einem Herrn J konnten nicht getroffen werden. Ein Mitarbeiter der Fa. M sagte als Zeuge aus, dass er einen Herrn J nicht kenne. Des Weiteren wurde festgestellt, dass H zwar im Handelsregister des Stadtgerichts Prag eingetragen war und über eine tschechische USt-IdNr. verfügte, die auf den Rechnungen angegebene Steuernummer des Finanzamts X aber unzutreffend war (vgl. Steuerlicher Ermittlungsbericht vom 23. Oktober 2008).

Das Finanzamt setzte unter Bezugnahme auf die Feststellungen der Steuerfahndungsstelle mit Steueränderungsbescheid vom 4. Dezember 2008 die Umsatzsteuer für 2006 unter Kürzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge aus den streitgegenständlichen Rechnungen auf einen Negativbetrag von 1.862,38 € fest und forderte die Klägerin zur Zahlung von 81.231,69 € auf.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen, die mit Bescheid vom 2. Februar 2010 abgelehnt wurde. Den hiergegen eingelegten Einspruch und den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 4. Dezember 2008 wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen erhobenen Klage wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Die Klägerin habe alles Erforderliche getan, um den Lieferanten ausreichend zu identifizieren. Die bei der Klägerin beschäftigte Frau T habe mit Herrn J kommuniziert, die tschechische USt-IdNr. abgefragt und sich die deutsche Steuernummer der Fa. H schriftlich bestätigen lassen. Die ursprüngliche Abfrage der USt-IdNr. sei wohl verloren gegangen und deshalb am 23. Januar 2006 wiederholt worden. Die Anforderungen des Finanzamts seien überzogen. Die Klägerin habe die Ware tatsächlich in N in Empfang genommen bzw. nehmen lassen und nach Italien transportiert. Für sie sei zu keinem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass sie an einem Umsatzsteuerbetrug beteiligt gewesen sei. Insbesondere habe sie nicht erkennen können, dass die auf den Rechnungen angegebene Steuernummer falsch sei. Dies sei selbst dem Finanzamt bei einer Überprüfung der Rechnungen vor Auszahlung der Vorsteuern nicht aufgefallen, da hierbei nur das fehlende Lieferdatum moniert worden sei.

Die Klägerin beantragt, den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 4. Dezember 2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 aufzuheben,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Februar 2010 über die Ablehnung einer abweichenden Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 das Finanzamt zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen

und nimmt auf die Einspruchsentscheidung Bezug. Ein Vorsteuerabzug scheide aus, da feststehe, dass die abgerechneten Leistungen nicht von H erbracht worden seien. Ebenso wenig komme ein Vorsteuerabzug im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme in Betracht. Die Durchführung des qualifizierten Bestätigungsverfahrens für die USt-IdNr. habe keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil diese erst nach Abwicklung der streitgegenständlichen Geschäfte erfolgt sei. Für eine vorherige Abfrage seien keine Belege erbracht worden. Außerdem habe die Anfrage hinsichtlich der Postleitzahl der H keine Übereinstimmung erzielt. Ein Vertrauenstatbestand sei auch nicht dadurch gebildet worden, dass das später prüfende Finanzamt bei einer vorläufigen Prüfung nicht alle vorliegenden Mängel beanstandet habe. Wegen der Besonderheiten des von der Klägerin geschilderten Geschäftsmodells stelle sich die Frage, ob sie hätte wissen müssen, dass die streitgegenständlichen Umsätze in eine Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts und die im Verfahren eingereichten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung hingewiesen.

Gründe

II. Die Klage ist zum Teil begründet.

Der Steueränderungsbescheid vom 4. Dezember 2008 und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig. Der Bescheid vom 2. Februar 2010 über die Ablehnung einer abweichenden Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 sind jedoch wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufzuheben.

1. Das Finanzamt hat den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Fa. H grundsätzlich zu Recht versagt, weil die formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vorliegen.

a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen, wenn er eine hierüber nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug begehrt, trägt grundsätzlich die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Dieser hat die Klägerin im Streitfall nicht genügt.

b) Der Vorsteuerabzug aus den streitgegenständlichen Rechnungen kann nicht gewährt werden, weil sie nicht die der Fa. H vom Finanzamt erteilte Steuernummer enthalten und H auch nicht leistender Unternehmer gewesen ist (vgl. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStG).

Auf den beiden Rechnungen der Fa. H ist nicht die dieser vom Finanzamt erteilte Steuernummer angegeben. Die auf den beiden Rechnungen angegebene Steuernummer ist unzutreffend, da H beim Finanzamt X nicht unter der Nummer …/…/1487, sondern unter der Steuernummer …/…/17986 erfasst gewesen ist. Die Angabe der tschechischen USt-IdNr. CZ… auf den Rechnungen ist nicht ausreichend; sie ist der Klägerin nicht vom Bundeszentralamt für Steuern erteilt worden. Eine Rechnung mit fehlerhafter Steuernummer berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 2010 V R 55/09, DStRE 2009, 1069; BFH-Beschluss vom 11. Februar 2014 V B 103/13, BFH/NV 2014, 739).

Die Verwaltung geht zwar davon aus, dass der Vorsteuerabzug erhalten bleibt, wenn die Steuernummer falsch ist und der Unternehmer (die Klägerin) dies nicht erkennen konnte. Dies gilt aber nur, wenn die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sind (vgl. Abschn. 15.2. Abs. 3 Satz 4 UStAE). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

Nach den von der Klägerin nicht bestrittenen Feststellungen des Finanzamts, die im Wesentlichen auf der Aussage von Frau B beruhen, hat H keine Geschäftstätigkeit ausgeübt und zu keinem Zeitpunkt Waren erworben, die sie an die Klägerin hätte liefern können.

Deshalb kann aus dem Hinweis auf den streitgegenständlichen Rechnungen, wonach die Verladung im Lager N bei der Fa. M nur in Absprache mit dem Mitarbeiter J erfolgen dürfe, nicht geschlossen werden, dass dieser der Klägerin die Verfügungsmacht an den streitgegenständlichen Waren im Auftrag der H im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG verschafft hat. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Herr J eine Vollmacht von H bzw. B gehabt hat, über diese Gegenstände zu verfügen. Ebenso wenig liegen Kaufverträge oder Lieferscheine vor, aus denen sich ergibt, dass die Lieferungen im Namen oder im Auftrag der H erfolgt sind.

Demnach hat nicht der Rechnungsaussteller H, sondern ein (unbekannter) Dritter die Lieferungen der in den Rechnungen angeführten Nickel-Kathoden an die Klägerin ausgeführt. Bei der auf den Rechnungen angegebene Adresse hat es sich somit nicht um den Namen und Anschrift des leistenden Unternehmers im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG gehandelt.

Der Vorsteuerabzug ist deshalb gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG nicht möglich, weil die Identität des leistenden Unternehmers nicht mit den Rechnungsangaben übereinstimmt (vgl. Abschn. 15.2. Abs. 3 Satz 6 UStAE).

c) Soweit die Klägerin über die Identität des Leistenden getäuscht worden ist, kann sie sich nicht darauf berufen, gutgläubig gewesen zu sein, denn § 15 Abs. 1 UStG schützt nicht den guten Glauben an die Erfüllung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteile 8. Oktober 2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473; vom 30. April 2009 V R 15/07, BStBl II 2009, 744, und vom 8. Juli 2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256).

2. Liegen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug - wie vorliegend - wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vor, kommt nach der angeführten BFH-Rechtsprechung aber ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 Abgabenordnung - AO) in Betracht.

Dem steht das Unionsrecht nicht entgegen, denn mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung sind die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (vgl. BFH in BFH/NV 2009, 1473 und in BStBl II 2009, 744).

3. Im Streitfall ist die Entscheidung des Finanzamts im Ablehnungsbescheid vom 2. Februar 2010 über den Antrag der Klägerin auf eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben, weil das Finanzamt hierbei das ihm zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat.

a) Gemäß § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d. h. wirtschaftlichen Verhältnissen (persönliche Gründe) begründet sein.

Die vom Finanzamt dabei getroffene Ermessensentscheidung ist im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar (§ 102 Finanzgerichtsordnung - FGO). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheids darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensmissbrauch) oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch; vgl. BFH-Urteil vom 23. September 2004 V R 58/03, BFH/NV 2005, 825). Das Gericht darf dementsprechend in der Regel nur die Verpflichtung aussprechen, den Steuerpflichtigen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO; BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Abzustellen ist für die gerichtliche Prüfung der Ermessensentscheidung der Finanzbehörde auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Ermessensentscheidung (Gräber/von Groll, FGO, § 102 Rn. 13 m.w.N.).

b) Eine - im Streitfall allein in Betracht kommende - sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte oder wenn angenommen werden kann, dass die Festsetzung der Steuer den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht. Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegenden Zweck haben.

Im Zusammenhang mit der Gewährung eines Vorsteuerabzugs im Billigkeitsverfahren hat der BFH entschieden, dass Voraussetzung hierfür ist, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig gewesen ist und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist (vgl. BFH in BFH/NV 2009, 1473 und in BStBl II 2009, 744).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) kann dann, wenn nachgewiesen ist, dass die streitgegenständlichen Lieferungen von Gegenständen tatsächlich bewirkt und diese Gegenstände vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet worden sind, das Recht auf Vorsteuerabzug nur dann versagt werden, wenn die Steuerbehörden das Vorliegen objektiver Umstände nachgewiesen haben, die den Schluss zulassen, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Dezember 2012 C-285/11, Bonik, MwStR 2013, 37, Rn. 44).

Das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, ist ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts stellt deshalb eine Ausnahme vom Grundprinzip der Gewährung des Vorsteuerabzugs dar (vgl. Urteile vom 21. Juni 2012 C 80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, Rn. 49, DStRE 2012, 1336; und vom 6. Dezember 2012 C-285/11, Bonik, Rn. 25, 43, MwStR 2013, 37). Da die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Richtlinie 2006/112 (MwStSystRL) anerkannt und gefördert wird, und eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf die Bestimmungen des Unionsrechts nicht gestattet ist, haben die nationalen Behörden und Gerichte das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. EuGH-Urteile vom 6. Juli 2006 C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, HFR 2006, 939, Rn. 55; vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336, Rn. 42).

Dies ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. EuGH-Urteile in den Rs. Mahagében und Dávid, Rn. 45; und Bonik, Rn. 38 f.).

Es ist deshalb nicht zulässig, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung dieses Rechts mit einer Sanktion zu belegen (vgl. EuGH-Urteile in den Rs. Mahagében und Dávid, Rn. 47, und Bonik, Rn. 41; vom 31. Januar 2013 C-643/11, LVK, HFR 2013, 361, Rn. 60).

Die Steuerverwaltung kann von dem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, nicht generell verlangen, zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die dieses Recht geltend gemacht wird, Steuerpflichtiger ist, über die fraglichen Gegenstände verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und der Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorgelagerten Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen (EuGH-Urteil in der Rs. Mahagében und Dávid, Rn. 61 - 65).

Da die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme vom Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es folglich den zuständigen Steuerbehörden, die objektiven Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen (vgl. EuGH-Urteil in der Rs. Mahagében und Dávid, Rn. 49, DStRE 2012, 1336).

Dabei würde allein der Umstand, dass die streitgegenständlichen Leistungen nicht tatsächlich von dem in den Rechnungen angegebenen Leistenden oder seinem Subunternehmer bewirkt worden sein sollen, weil diese nicht über das erforderliche Personal sowie die erforderlichen Sachmittel und Vermögenswerte verfügt hätten, die Kosten ihrer Leistung in ihrer Buchführung nicht dokumentiert worden seien oder die Unterschrift der Personen, die bestimmte Dokumente als Leistende unterzeichnet hätten, sich als falsch erwiesen habe, für sich genommen nicht ausreichen, um das Abzugsrecht auszuschließen (EuGH-Urteil vom 13. Februar 2014 C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197, Rn. 31).

c) Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat das Finanzamt bei seiner Ermessensentscheidung über die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen das ihm zustehende Ermessen im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH fehlerhaft ausgeübt.

aa) Im Streitfall steht fest, dass die in den streitgegenständlichen Rechnungen genannten Gegenstände tatsächlich an die Klägerin geliefert und von ihr für die Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet worden sind.

Der Klägerin ist in N von einem (unbekannten) Unternehmer die Verfügungsmacht an den Nickel-Kathoden verschafft worden. Die Lieferung ist damit tatsächlich an die Klägerin bewirkt worden im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG. Ebenso hat die Klägerin, deren Geschäftszweck u. a. der Handel und die Kommissionierung von Gütern ist, die Nickel-Kathoden unstreitig für eine (steuerfreie) Lieferung an einen Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat verwendet.

Ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung. Denn die Mehrwertsteuer wird auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336, Rn. 40).

bb) Das Finanzamt hat jedoch keine hinreichenden objektiven Umstände ermittelt und bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt, die den Schluss zulassen, dass das Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.

Nur wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorliegen, kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sicherzustellen, dass dessen Umsätze nicht in einen von einem Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Betrug einbezogen sind (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336, Rn. 60).

Das Finanzamt hat aber weder im Ablehnungsbescheid vom 2. Februar 2010 noch in der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 objektive Umstände dargelegt, aufgrund derer die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, weitere Auskünfte als geschehen, über H einzuholen.

Bei den vom Finanzamt dargelegten Umständen handelt es sich aber um keinen ausreichenden Nachweis dafür, dass die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass sie sich mit dem Erwerb der Nickel-Kathoden an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen gewesen ist.

Allein der Umstand, dass die streitgegenständlichen Lieferungen tatsächlich nicht von H bewirkt worden sind, reicht für sich genommen nicht aus, um das Abzugsrecht auszuschließen (EuGH-Urteil vom 13. Februar 2014 C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197, Rn. 31).

Ebenso wenig sind die Zahlung auf ein Konto in der Schweiz und die Vermittlung des Geschäftes mit H durch einen, dem Geschäftsführer der Klägerin (K), bekannten Dritten außergewöhnliche Umstände, die auf eine Steuerhinterziehung schließen lassen. Dies gilt gleichermaßen für den Umstand, dass K die Ware nicht selbst gesehen und keinen persönlichen Kontakt zu B gehabt hat und das Geschäft über den (angeblich) beauftragten J abgewickelt worden ist.

Das Finanzamt geht in seiner Stellungnahme vom 7. April 2014 selbst von keiner entsprechenden Kenntnis der Klägerin aus, sondern bringt nur vor, dass sich aufgrund der dargelegten Indizien die Frage stelle, ob die Klägerin die entsprechende Kenntnis gehabt habe.

Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH aber nicht verpflichtet, einen echten „Negativbeweis“ dahingehend zu führen, dass er zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Lieferungen keine Anhaltspunkte für etwaige Ungereimtheiten in Bezug auf den Leistenden und/oder die Leistung gehabt hat (vgl. auch Beschluss des FG Münster vom 12. Dezember 2013 – 5 V 1934/13, EFG 2014, 395). Auf später gewonnene Erkenntnisse kommt es nicht an (vgl. BGH-Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13, DStR 2014, 365).

Der Klägerin kann nicht angelastet werden, dass sich die abgefragte und auf den Rechnungen angegebene deutsche Steuernummer als falsch herausgestellt hat. Es ist nämlich grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Steuerpflichtigen, der diese Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen. Die Steuerbehörde würde ihre eigenen Kontrollaufgaben auf die Steuerpflichtigen übertragen, wenn sie oben genannte Maßnahmen aufgrund der Gefahr der Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts den Steuerpflichtigen auferlegt (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336, Rn. 62 - 65).

Darauf, ob das qualifizierten Bestätigungsverfahrens nach § 18e Nr. 1 UStG vor den streitgegenständlichen Lieferungen durchgeführt worden ist und ob sich hierbei eine Abweichung hinsichtlich Straße und Haus-Nr. ergeben hat, kommt es – entgegen der Auffassung des Finanzamts – ebenfalls nicht an, da bei einer Lieferung im Inland grundsätzlich die Angabe der deutschen Steuernummer ausreichend gewesen wäre. Außerdem ist H zum Zeitpunkt der Lieferungen noch im tschechischen Handelsregister eingetragen gewesen.

Da das Finanzamt bei der Ermessensentscheidung über den Billigkeitsantrag der Klägerin davon ausgegangen ist, dass die Klägerin einen „Negativbeweis“ zu führen hat, hat es den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.