BGH, Beschluss vom 16.12.2009 - XII ZB 20/09
Fundstelle
openJur 2011, 1145
  • Rkr:
Tenor

1. Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 3.850,44 €

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Kläger mit Urteil vom 4. Juni 2008 auf die Widerklage der Beklagten verurteilt, an diese monatlichen Ehegattenunterhalt zu zahlen. Gegen dieses dem Kläger am 6. Juni 2008 zugestellte Urteil hat er am 24. Juni 2008 Berufung eingelegt und erklärt, dass Begründung und Anträge einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2008 hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz zu bewilligen und weiter ausgeführt:

"Der Unterzeichner stellt die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten und die fehlende Mutwilligkeit in die Prüfung des Familiensenates. Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe wäre dann Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6.5.08 Az. VI ZB 16/07 wird Bezug genommen."

Mit weiterem Schriftsatz vom 1. August 2008, der am gleichen Tag bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, hat er ausgeführt:

"In der Familiensache ... hat die Durchführung des Berufungsverfahrens hinreichend Aussicht auf Erfolg. Nach der aktuellen Entscheidung des BGH vom 30.7.2008, Az. XII ZR 177/06 haben die Unterhaltsansprüche der jetzigen Ehefrau des Herrn M. Vorrang vor den behaupteten Forderungen der Exfrau, Frau S. .

Ehebedingte Nachteile liegen bei Frau S. ebenfalls nicht vor. Die Unterhaltsreform hat die Eigenverantwortung Geschiedener gestärkt. Nach der langen Dauer nach Rechtskraft der Ehescheidung bestehen keine nachehelichen Unterhaltsansprüche."

Das Berufungsgericht hat dem Kläger für die Berufung ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. November 2008 zugestellt worden.

Mit Verfügung vom 2. Januar 2009 hat das Oberlandesgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, weil innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 234 ZPO keine Berufungsbegründung eingegangen sei.

Mit Beschluss vom 27. Januar 2009 hat das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 ZPO aus diesem Grund als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen.

Das Berufungsgericht hat bei seiner Annahme, der Kläger habe die Berufung nicht fristgemäß begründet, den innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz des Klägers vom 1. August 2008 unberücksichtigt gelassen. Dieser Schriftsatz ist zwar äußerst knapp gehalten, genügt aber den Anforderungen, die § 520 Abs. 3 ZPO an eine wirksame Berufungsbegründung stellt. Aus dem Einleitungssatz ergibt sich, dass die folgenden Zeilen zur Begründung der Berufung bestimmt sind. Daran ändert die noch am Tag zuvor mit Schriftsatz vom 31. Juli 2008 geäußerte Absicht, "nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe wäre dann Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen", nichts.

Dem Schriftsatz lassen sich auch ohne ausdrückliche Formulierung und textliche Absonderung eines Berufungsantrags Umfang und Ziel der Berufung durch Auslegung unter Heranziehung der Berufungsbegründung (Senatsurteil vom 20. Juli 2005 - XII ZR 155/04 - NJW-RR 2005, 1659) hinreichend bestimmt entnehmen (§ 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Aus dem Schlusssatz des Schriftsatzes, wonach der Beklagten nach Ansicht des Klägers keinerlei nacheheliche Unterhaltsansprüche zustehen, ergibt sich, dass der Kläger eine vollständige Abweisung der Widerklage begehrt.

Schließlich enthält der Schriftsatz vom 1. August 2008 auch eine hinreichende Begründung (§ 520 Abs. 3 Nrn. 2, 3 ZPO). Der Kläger trägt vor, nach seiner Ansicht hätten die Unterhaltsansprüche seiner jetzigen Ehefrau Vorrang vor der behaupteten Forderung der Beklagten. Ehebedingte Nachteile lägen bei der Beklagten ebenfalls nicht vor. Im Hinblick auf die lange Dauer nach Rechtskraft der Ehescheidung bestünden keine nachehelichen Unterhaltsansprüche mehr.

3. Da der Kläger seine Berufung somit rechtzeitig begründet hat, ist der Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

Hahne Weber-Monecke Vezina Dose Schilling Vorinstanzen:

AG Dillenburg, Entscheidung vom 04.06.2008 - 2 F 872/05 -

OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 27.01.2009 - 1 UF 138/08 -