VG Würzburg, Beschluss vom 21.07.2014 - W 6 E 14.606
Fundstelle
openJur 2014, 15009
  • Rkr:

einstweilige Anordnung; Unzulässigkeit des Eilantrags; fehlendes Rechtsschutzbedürfnis; keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds;Vorwegnahme der Hauptsache; keine Hauptsacheklage; Hinweis auf Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis; einzelne Trunkenheitsfahrt mit 1,1 Promille BAK; Entziehung der Fahrerlaubnis durch Strafgericht; medizinisch-psychologische Gutachten nicht erforderlich; Systematik des § 13 FeV;

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1.

Der am ... 1960 geborene Antragsteller begehrt die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B im Wege der einstweiligen Anordnung.

Gegen den Antragsteller erging ein Strafbefehl des Amtsgerichts Schweinfurt vom 5. September 2013 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Der Antragsteller hatte am 20. Juli 2013 mit seinem Pkw am Straßenverkehr trotz vorherigen Alkoholgenusses teilgenommen. Eine entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille. Gegen den Antragsteller wurde eine Geldstrafe verhängt. Außerdem wurde ihm strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Dauer von acht Monaten ausgesprochen.

Am 14. Mai 2014 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B. Mit Schreiben vom 1. Juli 2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Beibringung eines Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alternative FeV i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) Fev i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV auf. Der Antragsteller sei durch Strafbefehl wegen der Trunkenheitsfahrt mit 1,1 Promille nach § 316 StGB verurteilt und ihm sei die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von acht Monaten entzogen worden. Im Strafbefehl sei ausgeführt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Fahrt alkoholbedingt nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen. Diese Tat belege einen Alkoholmissbrauch gemäß der Legaldefinition in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV. Der Sache nach habe die strafrichterliche Entziehung die Bedeutung einer Feststellung, dass im Sinne der von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Alternative 2 FeV erfassten Fallgruppe Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Die strafgerichtliche Erkenntnis ersetze bzw. erübrige insoweit eine bei isolierter Anwendung der Vorschrift erforderliche originäre Prüfung.

2.

Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2014, eingegangen bei Gericht am 2. Juli 2014, ließ der Antragsteller beantragen,

im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen.

Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, weil ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren schon in zeitlicher Hinsicht unzumutbar sei. Die Sperrfrist von acht Monaten sei längst abgelaufen. Bis vor einer Woche seien er sowie das zuständige Amts- und Landgericht Schweinfurt davon ausgegangen, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen sei. Der Antragsteller sei Ersttäter. Der Antragsteller sei Inhaber des seit 1958 auf dem Gebiet der Tragwerksplanung tätigen Ingenieurbüros. Als Mitglied der Bayerischen Ingenieurkammer, dem BDB und dem VDI sei der Antragsteller im gesamten Bereich der statisch konstruktiven Bearbeitung im Hoch- und Ingenieurbau nicht nur im gesamten Bundesgebiet unterwegs und somit äußerst auf seine individuelle Mobilität angewiesen. Die einmalige Verfehlung vom 20. Juli 2013 und die dabei festgestellte Blutalkoholkonzentration in Höhe von 1,1 Promille könnten nicht dazu führen, dass die Existenzgrundlage des Antragstellers und die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter in Gefahr gerieten. Andere Eignungszweifel seien vorliegend nicht ersichtlich.

Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2014,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es fehle an einem Anordnungsanspruch. Ein Ablauf der gerichtlich festgesetzten Sperrfrist führe nicht automatisch zur Annahme des erforderlichen Nachweises der Fahreignung. Vorliegend sei der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden Württemberg vom 15. Januar 2014 einschlägig, der sich wiederum auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2013 beziehe. Demnach löse die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss für ein Neuerteilungsverfahren ohne weiteres die Notwendigkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aus. Die Zweifel an der Fahreignung seien bislang nicht ausgeräumt worden. Es fehle auch an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller sei nicht gehindert, seine Kraftfahreignung nachzuweisen und die Fahrererlaubnis letztlich erteilt zu bekommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Standes wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist unzulässig und wäre mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds auch nicht begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen unter anderem zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund einer im Verfahren des Eilrechtsschutzes lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung ein Anordnungsgrund, also ein Grund für die erhöhte Eilbedürftigkeit der Entscheidung, besteht und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht wird (§ 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO).

Der Antrag ist bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Bislang liegt weder ein ablehnender Bescheid des Antragsgegners vor noch hat der Antragsteller unabhängig davon eine Untätigkeitsklage (vgl. § 75 VwGO) erhoben. Der Antragsteller hat nicht einmal seine Gründe gegen die Gutachtensaufforderung im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Antragsgegner schriftlich dargelegt.

Der Antrag ist zudem deshalb unzulässig, weil der Antragsteller das Gleiche begehrt, wie er in einem Hauptsacheverfahren begehren würde. Damit begehrt der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache, was grundsätzlich dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung widerspricht. Im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen.

Vorliegend beschränkt sich der Antrag des Antragstellers indes nicht auf eine vorläufige Regelung. Eine Klage in der Hauptsache hat er bislang nicht erhoben. Dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht den Antragsteller nicht schon im vollen Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Dies wäre bei endgültiger Erteilung der Fahrerlaubnis der Fall (vgl. VG München, B.v. 25.10.2013 – M 6a E 13.3347 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 24.7.2013 – 14 L 1198/13 – juris).

Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, zumal wenn es um die Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache geht. Der Verweis des Antragstellers auf seine berufliche Tätigkeit und auf das Angewiesensein auf seine individuelle Mobilität im ganzen Bundesgebiet sowie die Angabe, dass die Existenzgrundlage des Antragstellers und die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter in Gefahr gerieten, überzeugen nicht. Denn der Antragsteller musste sich schon aufgrund seiner strafgerichtlich verhängten Wiedererteilungssperre auf die veränderte Situation einstellen. Es ist für das Gericht nicht plausibel, dass sich die Situation nach Ablauf der Wiedererteilungssperre nun derart unzumutbar verändert haben sollte, dass eine Eilentscheidung nötig erscheint. Offensichtlich ist der Antragsteller in der Zeit der Wiedererteilungssperre ohne seine Fahrerlaubnis zurechtgekommen. Die bloße Behauptung des Verlusts seiner Existenzgrundlage sowie des Verlusts der Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter, sofern er nicht unverzüglich die beantragte Fahrerlaubnis erhalte, ist so für sich nicht plausibel und damit nicht glaubhaft. Der Antragsteller kann ebenso wie in den letzten Monaten seine Mobilität anderweitig sicherstellen. Denn auch während der Zeit der Wiedererteilungssperre konnte der Antragsteller seiner beruflichen Tätigkeit auch ohne eigene Fahrerlaubnis offenbar nachkommen, ohne seine Existenzgrundlage oder die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter zu gefährden (vgl. VG München, B.v. 25.10.2013 – M 6a E 13.3347 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 25.7.2013 – 14 L 1198/13 – juris; VG Saarland, B.v. 25.1.2012 – 10 L 1/12 – juris).

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen und ohne dass es im vorliegenden Eilverfahren darauf ankommt, sieht sich das Gericht gleichwohl zur nachfolgenden Anmerkung veranlasst: Nach Auffassung des Gerichts spricht Vieles dafür, dass die Gutachtensaufforderung des Antragsgegners vom 1. Juli 2014 rechtswidrig ist und der Antragsteller ohne Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einen Anspruch auf Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis hat. Die gegenteilige Auffassung des Antragsgegners widerspricht sowohl der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts (VG Würzburg, U.v. 16.12.2011 – W 6 K 11.134 – juris – DV 2012, 84) als auch der des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416 – juris; B.v. 12.4.2006 – 11 ZB 05.3395 – juris).

Das Gericht sieht – bei summarischer Prüfung – auch angesichts der gegenteiligen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 15.1.2014 – 10 S 1748/13NJW 2014, 1833), auf die sich der Antragsgegner beruft, keinen Anlass, nicht an seiner Rechtauffassung festzuhalten. Zwar ist dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 24.6.2013 – 3 B 71/12NJW 2013, 3670 m. Anm. Liebler, jurisPR-BVerwG 17/2013, Anm. 2) zuzugestehen, dass die Fahrerlaubnisentziehung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) FeV auch die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung erfasst. Jedoch überzeugt nicht, dass nunmehr ausnahmslos und ohne Rücksicht auf den Alkoholgehalt im Blut und ohne Hinzutreten weiterer Umstände in allen Fällen, in denen eine strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt vorliegt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen ist. Selbst wenn der Wortlaut des Nr. 8.1 der Anlage 4 der FeV erfüllt ist, wonach Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn vorliegt, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend getrennt werden können, kann gleichwohl eine Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) 2. Alternative FeV i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) Fev gestützt werden, weil dies zu einem Wertungswiderspruch zu den § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) und c) führen würde, wonach entweder wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss oder das Führen eines Fahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von über 1,6 Promille Voraussetzung für die Einholung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24. Juni 2013 (3 B 71/12NJW 2013, 3670) ausgeführt, dass aus der Anwendbarkeit des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) FeV folgt, dass eine Gutachtensanordnung in dem durch § 13 Satz 1 Buchst. a) bis c) FeV „gezogenen Rahmen“ zu fortbestehenden Eignungszweifeln führt. Dieser Rahmen ist zu beachten.

Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann ein früherer Alkoholmissbrauch ohne Hinzutreten weiterer Umstände für sich allein nicht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen. Anderenfalls stünde die Gutachtensaufforderungen im Widerspruch zu der Regelung in § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV, nach der eine medizinisch-psychologische Untersuchung bei einer einzeln gebliebenen Trunkenheitsfahrt nur bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr vorgesehen ist (BayVGH, B.v. 12.4.2006 – 11 ZB 05.3395 – juris, Rn. 12). Die gegenteilige Rechtsauffassung widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers und dem Sinn und Zweck sowie dem Regelungszusammenhang des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 6. August 2012 (11 B 12.416 – juris, Rn. 2 f., 20 und 29) bei einer vergleichbaren Fallkonstellation (Teilnahme am Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,4 Promille, Entziehung der Fahrerlaubnis durch einen Strafbefehl) ausdrücklich entschieden, dass das Verwaltungsgericht den dortigen Beklagten bei richtiger Rechtsanwendung – ohne vorherige medizinisch-psychologische Begutachtung – hätte dazu verpflichten müssen, der dortigen Klägerin die begehrte Fahrerlaubnis zu erteilen.

Vorstehendes kann jedoch im vorliegenden Verfahren letztlich dahinstehen, weil mangels Zulässigkeit des Eilverfahrens und mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes allein das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs für sich nicht zum Erfolg im Eilverfahren führen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V. mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach Nr. 46.3 ist bei einer Fahrerlaubnis der Klasse B ein Streitwert von 5.000,00 EUR zugrunde zu legen, der nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für das Sofortverfahren zu halbieren ist, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.