BGH, Beschluss vom 10.11.2009 - XI ZB 15/09
Fundstelle
openJur 2011, 927
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. März 2009 wird als unzulässig verworfen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 20.135,96 €.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die von den Klägern begehrte Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Fondsbeteiligung gewährten Darlehens.

Gegen das Urteil des Landgerichts, mit dem die Klage abgewiesen worden ist, haben die Kläger, denen dieses Urteil am 29. August 2007 zugestellt worden ist, am 26. September 2007 Berufung eingelegt. Auf Antrag der Kläger und mit Zustimmung der Beklagten hat das Berufungsgericht am 10. Oktober 2007 nach § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In dem Beschluss ist ausdrücklich auf "§ 251 Satz 2 ZPO" hingewiesen worden.

Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2008 haben die Kläger die Berufung begründet. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15. Januar 2009 Teilanerkenntnis erklärt und im Übrigen die Zurückweisung der Berufung beantragt. In Höhe des nicht anerkannten Teils haben die Kläger unter dem 27. Januar 2009 die Klage zurückgenommen. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19. Februar 2009 das Teilanerkenntnis widerrufen, die Ansicht vertreten, das Anerkenntnis sei wirkungslos, und die Verwerfung der Berufung beantragt.

Nach entsprechendem Hinweis hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 12. März 2009 die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei von den Klägern nicht innerhalb der bis zum 29. Oktober 2007 laufenden Frist begründet worden. Nach § 251 Satz 2, § 233 ZPO habe die Anordnung des Ruhens des Verfahrens den Lauf der Begründungsfrist nicht beeinflusst. Entgegen der Auffassung der Kläger enthalte deren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens vom 9. Oktober 2007 keinen stillschweigenden Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dafür liefere der Wortlaut des Antrags keinen Anhalt. Zudem sei nicht erkennbar, dass der wirkliche Wille der Kläger damals dahin gegangen sei, auch eine Verlängerung der Begründungsfrist zu beantragen. Die Unzulässigkeit der Berufung schließe den Erlass eines Anerkenntnisurteils aus. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass einer Entscheidung im Rechtsmittelverfahren zwingend die Prüfung der Rechtsmittelvoraussetzungen vorauszugehen habe.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) noch zur Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) erforderlich.

1. Der Beschluss des Berufungsgerichts geht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten und deswegen die Berufung der Beklagten unzulässig ist. Das Berufungsgericht hat dabei entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht weder die für die Auslegung von Prozesserklärungen geltenden Regeln missachtet, noch das Recht der Kläger auf effektiven Rechtsschutz oder auf rechtliches Gehör (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281) verletzt.

a) Die Berufung der Kläger ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der in § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Frist begründet worden ist. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat den Lauf dieser Frist nach § 251 Satz 2, § 233 ZPO nicht beeinflusst.

b) Der Verwerfung der Berufung steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht nicht über eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entschieden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581 und vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931). Das Berufungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger keinen solchen Antrag gestellt haben. Insbesondere ist deren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung auszulegen.

aa) Bei Auslegung einer Prozesserklärung darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urteile vom 24. November 1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446, vom 17. Mai 2000 - VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512, 1514 und vom 16. September 2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751, Tz. 11; Beschlüsse vom 30. April 2003 - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388, vom 2. Juli 2004 - V ZR 290/03, NJW-RR 2005, 371, 372 und vom 24. März 2009 - VI ZB 89/08, MDR 2009, 760). Dabei bestimmen allerdings, was die Rechtsbeschwerde übersieht, nicht allein die tatsächlichen Interessen der erklärenden Partei das Verständnis der abgegebenen Erklärung. Vielmehr müssen sich diese aus den im Zeitpunkt der Erklärung äußerlich in Erscheinung tretenden Umständen ersehen lassen. Maßgebend ist unter Beachtung der durch die gewählte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen der objektiv zum Ausdruck kommende Wille des Erklärenden (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2006 - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862, Tz. 13, vom 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640, Tz. 26 und vom 24. März 2009 - VI ZB 89/08, MDR 2009, 760).

bb) Nach diesen Grundsätzen eröffnet, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bereits der Wortlaut des Antrags der Kläger keinen Raum für eine Auslegung als doppelte Prozesserklärung, die sowohl auf die Anordnung des Ruhens des Verfahrens als auch auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gerichtet ist. Weder der Antrag noch die Mitteilung der Zustimmung der Klägerseite weisen irgendeinen Bezug auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf.

Zudem war auch aus den sonstigen Umständen weder für das Berufungsgericht noch für die Beklagte erkennbar, dass die Kläger mit ihrem Schriftsatz vom 9. Oktober 2007 nicht nur das Ruhen des Verfahrens, sondern zudem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrten. Zu diesem Zeitpunkt konnte nämlich die am 29. Oktober 2007 ablaufende Frist für die Berufungsbegründung, worauf die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist, ohne Schwierigkeiten noch eingehalten werden. Es mag zwar damals ein Interesse der Kläger bestanden haben, aus Kostengründen zunächst von einer Begründung der Berufung abzusehen. Dies hat jedoch weder in dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 9. Oktober 2007 noch in sonstigen Äußerungen einen Niederschlag gefunden.

cc) Das Berufungsgericht befindet sich damit - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung ebenfalls zutreffend hinweist - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so dass auch aus diesem Grund die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens für sich genommen nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für eine Berufung aufgefasst (vgl. Beschluss vom 28. September 2000 - V ZB 35/00, NJW-RR 2001, 572; zustimmend MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 251 Rn. 16; Musielak/ Stadler, ZPO, 6. Aufl., § 251 Rn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 251 Rn. 9). Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht, das bei seiner Würdigung auch die Umstände des vorliegenden Falles bedacht hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts, trotz eines Teilanerkenntnisses durch die Beklagte die Berufung der Kläger insgesamt als unzulässig zu verwerfen, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft.

Das Berufungsgericht ist vielmehr der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefolgt, nach der im Rechtsmittelverfahren ein Anerkenntnisurteil nicht ergehen darf, wenn das Rechtsmittel unzulässig ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1993 - IX ZR 51/93, WM 1994, 608, 609). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage ist jedenfalls für den hier entscheidungserheblichen Fall eines Anerkenntnisses nach Eintritt der Unzulässigkeit des Rechtsmittels geklärt.

Mit einem Anerkenntnis kann der Beklagte zwar über den sachlichrechtlichen Anspruch disponieren, so dass es dem Gericht verwehrt ist, den ihm ursprünglich vorgelegten Streitstoff zu überprüfen (vgl. BGHZ 10, 333, 335; BGH, Urteil vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414). Die Parteien können jedoch grundsätzlich nicht über Prozess- und Rechtsmittelvoraussetzungen verfügen, so dass diese auch im Falle eines Anerkenntnisses vom Gericht zu prüfen sind (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 1993 - IX ZR 51/93, WM 1994, 608, 609 und vom 30. März 2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414). Die Literatur teilt ganz überwiegend diesen Standpunkt der Rechtsprechung (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 307 Rn. 48; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 307 Rn. 4; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 307 Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 307 Rn. 19; aA Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 131 Rn. 55).

Das Reichsgericht äußert sich - anders als die Rechtsbeschwerde meint - in einer älteren Entscheidung (RGZ 165, 85 ff.), die ein Verzichtsurteil betrifft, nicht zu dessen Erlass trotz Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Vielmehr war in dem vom Reichsgericht zu beurteilenden Sachverhalt die Berufung bei Erklärung eines teilweisen Verzichts zulässig, so dass sich das Reichsgericht (RGZ 165, 85, 86 ff.) mit der - für die vorliegende Rechtsbeschwerde bedeutungslosen - Frage zu befassen hatte, ob die Berufung nachträglich unzulässig wird, wenn der nach Erklärung eines Teilverzichts verbleibende Streitwert die Berufungssumme nicht mehr erreicht.

Das Teilanerkenntnis der Beklagten enthob damit das Berufungsgericht nicht der Notwendigkeit, alle prozessualen Urteilsvoraussetzungen zu prüfen. Die im Zeitpunkt der Erklärung des Anerkenntnisses bereits beistehende Unzulässigkeit der Berufung stand dem Erlass eines Anerkenntnisurteils entgegen.

3. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist zum einen im Berufungsverfahren nicht beantragt worden und kommt - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nach § 233 ZPO zudem sachlich nicht in Betracht, da die Versäumung der Begründungsfrist auf einem schuldhaften Versehen der Prozessbevollmächtigten der Kläger beruht (§ 85 Abs. 2 ZPO). Diese haben ersichtlich die Regelung des § 251 Satz 2 ZPO übersehen, obwohl das Berufungsgericht darauf in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2007 ausdrücklich hingewiesen hat.

Wiechers Joeres Ellenberger Maihold Matthias Vorinstanzen:

LG Mannheim, Entscheidung vom 21.08.2007 - 9 O 429/06 -

OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 12.03.2009 - 17 U 169/07 (08) -