SG Osnabrück, Urteil vom 26.03.2014 - S 1 R 708/12
Fundstelle
openJur 2014, 14608
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 19.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2012 wird aufgehoben, soweit der Bescheid vom 04.04.1996 damit mit Wirkung ab dem 01.04.2001 aufgehoben und die Beklagte deshalb für die Zeit vom 01.04.2001 bis 30.06.2010 eine Überzahlung von 10.378,53 Euro gegenüber dem Kläger geltend macht.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung überzahlter Witwerrente.

Der im Jahre 1956 in Italien geborene, seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland lebende Kläger ist Witwer der am 04.04.1995 verstorbenen D. E.. Die Verstorbene hinterließ zudem drei Töchter, darunter die im Jahre 1994 geborene F. E..

Die Beklagte gewährte dem Kläger auf seinen Antrag hin mit Bescheid vom 04.04.1996 große Witwerrente beginnend mit dem Todestag der Versicherten in Höhe von zunächst 357,56 DM. Der Rentenbescheid enthält u.a. den Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung, der Beklagten eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen, da die Rente mit Ablauf des Monats der Wiederheirat wegfalle (S. 7 des Bescheides). Zudem gewährte die Beklagte der Tochter F. E. eine Halbwaisenrente.

Die monatliche Rentenhöhe der großen Witwerrente variierte in den Folgejahren wegen anzurechnenden Einkommens des Klägers. Zwischenzeitlich wurde mehrfach die Bankverbindung geändert, auf die die Witwerrente überwiesen werden sollte. Ab dem 01.07.2010 wurde die Rente nicht mehr gezahlt, da der Kläger ein zu hohes Einkommen erzielte (bestandskräftiger Bescheid vom 18.05.2010: monatliche Rente in Höhe von 475,54 Euro; anzurechnendes Einkommen: 487,88 Euro). Auch der nachfolgende Bescheid vom 06.01.2012 weist für den Zeitraum ab 01.07.2011 eine sog. Nullrente aus, d.h. die Witwerrente wurde wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens des Klägers weiterhin nicht gezahlt.

Anfang März 2012 stellte die Beklagte aufgrund einer Anfrage des Amtsgerichts Osnabrück zur Durchführung eines Versorgungsausgleichs fest, dass dort ein Scheidungsverfahren betreffend den Kläger anhängig war. Ausweislich der nun von der Beklagten angeforderten Heiratsurkunde war der Kläger bereits seit dem 03.03.2001 wieder verheiratet mit seiner zweiten Ehefrau G. E..

Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 20.03.2012, auf die der Kläger nicht reagierte, hob die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 19.04.2012 den Rentenbescheid vom 04.04.1996 „sowie den Nachfolgebescheid vom 18.05.2010“ mit Wirkung ab dem 01.04.2001 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf, berechnete die Rente wegen Todes ab dem 01.04.2001 neu und forderte die für die Zeit vom 01.04.2001 bis 30.06.2010 zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von 10.378,53 Euro vom Kläger zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erteilung des Bescheides vorgelegen hätten, sei insofern eine wesentliche Änderung eingetreten, als der Kläger „am 31.03.1995 wieder geheiratet“ habe. Der Bescheid sei mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, weil ein Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 - 4 SGB X vorliege und die Fristen des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 und 4 SGB X noch nicht abgelaufen seien. Die Voraussetzungen hierfür seien nach Lage der Akten erfüllt, „weil Sie

- Ihrer gesetzlichen Mitteilungspflicht, auf die wir Sie im Rentenbescheid hingewiesen haben, nicht bzw. nicht rechtzeitig nachgekommen sind (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X)

- auf Grund der Ihnen von uns gegebenen Informationen wussten oder Ihnen zumindest bekannt gewesen sein musste, dass die Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen zu einer Minderung oder sogar zur vollständigen Einstellung der Zahlung führen kann (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).“

Anhaltspunkte, die gegen eine rückwirkende Aufhebung des Bescheides sprächen, insbesondere sie als unbillig hart erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei die rückwirkende Aufhebung des Rentenbescheides nicht grob unbillig bzw. atypisch. Die nachträgliche Berücksichtigung der vorgenannten Änderung müsse vielmehr als typischer Sachverhalt angesehen werden, der der Aufhebung eines Rentenbescheides vorausgehe. Die zu Unrecht gezahlten Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten.

Nachdem der Kläger unter dem 06.06.2012 eine Mahnung erhalten hatte, erhob er mit Fax vom 15.06.2012 Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2012, den er „erst vor kurzem im Briefkasten hatte“. Er trug vor, er habe seines Wissens seit 2001 keine Rente mehr bezogen, und es würde ihn interessieren, auf welches Konto die Beklagte die Rente überwiesen habe. Nachdem die Beklagte ihm die entsprechenden Kontodaten übermittelt hatte, äußerte sich der Kläger nicht mehr. Nach zwei weiteren Mahnungen bat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 08.10.2012 noch um Mitteilung, wann er den Bescheid vom 19.04.2012 erhalten habe; auch hierauf reagierte der Kläger nicht. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2012 als unzulässig zurück mit der Begründung, der Bescheid vom 19.04.2012 gelte gem. § 37 Abs. 2 SGB X am 22.04.2012 als bekannt gegeben. Die Widerspruchsfrist habe damit am 22.05.2012 geendet. Der erst am 15.06.2012 erhobene Widerspruch sei daher unzulässig.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 20.12.2012 erhobenen Klage. Er macht zur Begründung geltend, er habe der Beklagten durchaus im Jahre 2001 seine Wiederheirat telefonisch und schriftlich mitgeteilt und auch eine Kopie der Heiratsurkunde übersandt. Daraufhin sei der Witwerrentenbescheid aufgehoben worden. Weitere Leistungen habe er seitdem nicht erhalten; nur seine Tochter F. habe noch regelmäßig ihre Waisenrente erhalten. Von ihm könne daher auch kein Geld zurückgefordert werden. Auf den Rückforderungsbescheid habe er so spät reagiert, weil er das Schreiben der Beklagten anfangs nicht richtig gelesen und weggeworfen habe; er habe damals sehr viel Stress wegen der Scheidung gehabt und den Überblick verloren. Auf Vorhalt der Beklagten, wonach entsprechend einem Schreiben des Klägers vom 17.08.2004 die Witwerrente seitdem auf ein anderes Konto gezahlt werden sollte, hat dieser erklärt, dieses Schreiben trage nicht seine Unterschrift und sei von seiner Exfrau aufgesetzt worden. Es sei auch nicht das erste Mal, dass seine Exfrau seine Unterschrift gefälscht habe. Auch die Kontoverbindung sei ihm nicht bekannt; er habe keine Ahnung, wer der Kontoinhaber sein könnte. Er wisse auch nicht, ob seine Exfrau dieses Geld erhalten habe; ggf. könne das Gericht bei ihr noch einmal nachhaken.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 19.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2012 aufzuheben, soweit der Bescheid vom 04.04.1996 damit mit Wirkung ab dem 01.04.2001 aufgehoben und die Beklagte deshalb für die Zeit vom 01.04.2001 bis 30.06.2010 eine Überzahlung von 10.378,53 Euro gegenüber dem Kläger geltend macht.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angegriffenen Bescheide für zutreffend. In einem Erörterungstermin vom 22.01.2014 hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass eine Rücknahme des Rentenbescheides vom 04.04.1996 auch jenseits der Zehnjahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB X möglich sei, da jedenfalls das Rentenstammrecht der Witwerrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung weiter bestanden habe. Sie beruft sich hierzu insbesondere auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 03.06.2009 (Az.: L 8 R 210/08, juris Rn. 35 ff.).

Im Erörterungstermin vom 22.01.2014 haben sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Begründetheit der Klage steht nicht gem. § 77 SGG die Bestandskraft des Bescheides vom 19.04.2012 entgegen, denn der Kläger hat gegen den Bescheid vom 19.04.2012 rechtzeitig Widerspruch erhoben. Gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Vorliegend greift die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht, weil der Tag, an dem der Bescheid vom 19.04.2012 zur Post gegeben wurde, von der Beklagten nicht dokumentiert wurde und damit nicht festzustellen ist. Somit ist zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass bei Eingang seines Faxschreibens vom 15.06.2012 die Frist zur Einlegung des Widerspruchs noch nicht abgelaufen war.

Der Bescheid vom 19.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2012 ist auch materiell rechtswidrig, soweit die Beklagte den Rentenbescheid vom 04.04.1996 nicht nur mit Wirkung für die Zukunft, sondern mit Wirkung ab dem 01.04.2001 aufgehoben und damit für den Zeitraum vom 01.04.2001 bis 30.06.2010 zugleich eine Überzahlung in Höhe von 10.378,53 Euro gegen den Kläger geltend macht.

Zwar ist mit der Wiederheirat des Klägers am 03.03.2001 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten, denn Witwerrente wird nur an Witwer gezahlt, die nicht wieder geheiratet haben (vgl. § 46 Abs. 2 SGB X).

Es kann dahin stehen, ob der Kläger im vorliegenden Falle im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seiner Verpflichtung zur Mitteilung dieser wesentlichen Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Eine Überprüfung des diesbezüglichen Vorbringens des Klägers, er habe die Wiederheirat mitgeteilt, ab 2001 keine weiteren Rentenzahlungen erhalten und mit der Änderung der Kontoverbindung im Jahre 2004 nichts zu tun, ist entbehrlich. Denn selbst wenn der Kläger seine Wiederheirat vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht mitgeteilt hätte, verstößt die von der Beklagten vorgenommene Aufhebung des Rentenbescheides vom 04.04.1996 mit Wirkung zum 01.04.2001 zur Überzeugung des Gerichts gegen die Regelung des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X.

Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X, der aufgrund der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X hier entsprechend anzuwenden ist, kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung in den Fällen des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X (nur dann) auch nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Selbst wenn man mit der Beklagten aber unterstellt, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X vorliegen, der Kläger also vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, indem er ihr seine am 03.03.2001 erfolgte Wiederheirat nicht mitgeteilt hat, war zur Überzeugung des Gerichts eine rückwirkende Aufhebung des Rentenbescheides vom 04.04.1996 im vorliegenden Falle im Jahre 2012 nicht mehr zulässig, da die Geldleistung – hier: die Witwerrente – nicht im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung, d.h. mindestens bis März 2012, gezahlt worden ist. Die Witwerrente des Klägers ist vielmehr aufgrund der bestandskräftigen Bescheide vom 18.05.2010 und 06.01.2012 bereits seit dem 01.07.2010 nicht mehr gezahlt worden, da der Kläger zu hohes Einkommen erzielt hat. Aufgrund der Regelung des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X scheidet damit eine Aufhebung des Rentenbescheides vom 04.04.1996 wegen der zu Beginn des Aufhebungsverwaltungsverfahrens im März 2012 bereits abgelaufenen Frist von zehn Jahren seit Änderung der Verhältnisse aus.

Zwar spricht die Entstehungsgeschichte der Regelung dafür, dass eine weiter reichende Möglichkeit der Aufhebung für die Vergangenheit geschaffen werden sollte. Die Sätze 4 und 5 sind in § 45 Abs. 3 SGB X durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 06.04.1998 (BGBl. I S. 688) mit Wirkung vom 15.04.1998 eingefügt worden; gleichzeitig wurde in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X ihre entsprechende Anwendung bestimmt. Nach der zuvor geltenden Rechtslage war zehn Jahre nach der wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen, so dass selbst Rentenempfänger, die sich der Unrechtmäßigkeit von Rentenzahlungen bewusst waren, diese allein wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückzahlen mussten; dies hat der Bundesrechnungshof kritisiert (vgl. BT-Drs. 13/5700 S. 72 unter 26.4). Mit der Gesetzesänderung wollte der Gesetzgeber die vom Bundesrechnungshof angemahnten offensichtlich unbilligen Ergebnisse bei der Anwendung der strikten Zehnjahresfrist vermeiden und Bedenken ausräumen, die der bis dahin geltenden Fristenregelung des § 45 Abs. 3 SGB X einen „Betrügerschutz“ entnommen hatten (so im Ganzen: BSG, Urteil vom 01.07.2010 - Az.: B 13 R 77/09 R -, zitiert nach juris, Rn. 39 ff., m.w.N.). Jedoch sollten „abgeschlossene Fälle“ ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 13/10033, S. 20 zu Art. 5 Nr. 2) von der Regelung nicht erfasst werden.

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 01.07.2010 (a.a.O., Rn. 52 f.) gleichwohl ausdrücklich offen gelassen, ob die Verwendung der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung „gezahlt“ darauf hindeutet, dass damit (alle) Fälle von der Aufhebung/Rücknahme nach Ablauf von zehn Jahren seit Bescheiderteilung bzw. Änderung der Verhältnisse nicht erfasst werden sollen, in denen die rechtswidrig gewährte Geldleistung zu Beginn des Rücknahme-/ Aufhebungsverfahrens nicht mehr gezahlt wird, die Geldleistung also nicht mehr „läuft“. Hiermit würden unredliche Leistungsbezieher begünstigt, die jahrelang eine rechtswidrig gewährte wiederkehrende Sozialleistung erhalten haben, wenn diese Geldleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen Anrechnung von Einkommen nicht mehr zu zahlen war und erst danach bekannt wird, dass Rücknahmegründe wegen unredlichen Verhaltens des rechtswidrig Begünstigen gegeben sind. Dies widerspräche dem Anliegen des Gesetzgebers (so ausdrücklich BSG, a.a.O., unter Hinweis auf BT-Drs. 13/10033 S. 20 zu Art. 5 Nr. 2); auf diese Folgen ist bereits nach Einführung der Regelung in der Literatur hingewiesen worden (vgl. S. Ungewitter, VersorgVerw 2001, 48, 51: „Diese Regelung kann zu grotesken Ergebnissen führen“).

Trotz dieser Entstehungsgeschichte und des hiernach beabsichtigten Zwecks der Norm sieht sich das Gericht jedoch angesichts des Wortlauts der Neuregelung des § 45 Abs. 3 S. 4 SGB X gehindert, die Vorschrift auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung; die Ausnahme (Rücknahme/Aufhebung auch nach mehr als 10 Jahren) muss daher auf die im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Gründe beschränkt bleiben. Im vorliegenden Falle wurde die Witwerrente bereits seit dem 01.07.2010 wegen zu hohen Einkommens nicht mehr gezahlt. Zwar hat das Bundessozialgericht in der o. g. Entscheidung unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung ausgeführt, dass eine laufende Geldleistung jedenfalls noch als „gezahlt“ im Sinne des § 45 Abs. 3 S.4 SGB X „gilt“, solange der das Ende der Zahlung verfügende Verwaltungsakt im Zeitpunkt des Beginns des Verwaltungsverfahrens über ihre Rücknahme/Aufhebung noch nicht bindend ist; der Leistungsfall könne dann noch nicht als abgeschlossen gelten. Damit stößt das Bundessozialgericht aus gerichtlicher Sicht an die Grenze der Wortbedeutung (ebenso: Schaer, jurisPR-SozR 5/2011 Anm. 5). Auch dies kann jedoch im vorliegenden Falle nicht festgestellt werden; die entsprechenden Bescheide über die Nichtzahlung der Witwerrente ab dem 01.07.2010 bzw. 01.07.2011 sind bestandskräftig geworden. Damit scheidet eine Aufhebung aus Sicht der Kammer aus.

Der gegenteiligen Auffassung der Beklagten, die sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 03.06.2009 (Az.: L 8 R 210/08, a.a.O.) beruft, wonach der Begriff der „Zahlung“ in § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X so auszulegen ist, dass (lediglich) das sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende Rentenstammrecht zum Zeitpunkt der Aufhebung noch bestehen muss und dieser Bescheid sich noch nicht im Sinne eines vollständigen Abschlusses des Leistungsfalles erledigt haben darf, kann nicht gefolgt werden. Diese Auslegung findet aus gerichtlicher Sicht im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 03.06.2009 und des Bundessozialgerichts vom 01.07.2010 betreffen im Übrigen denselben Fall. Auch das Bundessozialgericht hat sich in seinem Urteil dieser extensiven Auslegung des Begriffs der „Zahlung“ durch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen nicht angeschlossen.

Eine Aufhebung des Rentenbescheides vom 04.04.1996 mit Wirkung für die Vergangenheit kommt damit wegen Fristablaufs nicht in Betracht. Die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft hat der Kläger nicht angegriffen. Da die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nicht vorliegen, war der Bescheid vom 19.04.2012 insoweit aufzuheben. Hiermit entfällt zugleich der Rechtsgrund für die geltend gemachte Erstattungsforderung in Höhe von 10.378,53 Euro gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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