LG Bielefeld, Urteil vom 30.04.2014 - 18 O 264/13
Fundstelle
openJur 2014, 14395
  • Rkr:
Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 30.06.2006 - Az.: 18 O 13/06 - wird für unzulässig erklärt.

Die Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 30.06.2006 - Az.: 18 O 13/06 - an den Kläger herauszugeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 80% und der Kläger zu 20%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000,00 € zzgl. 110% der zu vollstreckenden Kosten. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleisung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet).

Tatbestand

Der Kläger schloss am 27.05.2003 einen Kreditvertrag mit der B-Bank Privatkunden AG über einen Betrag Nettokreditbetrag von 32.643,58 €. Gleichzeitig wurde eine Restschuldversicherung mit der D. Versicherung abgeschlossen, für den ein mit kreditierter Einmalbetrag von 5.428,40 € zu zahlen war.

Die in dem Kreditvertrag enthaltene Widerrufsbelehrung enthält dabei keinen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Widerrufs verbundener Geschäfte. Wegen der Einzelheiten und des genauen Wortlautes wird auf den Kreditvertrag (Anlage K12) und den Versicherungsvertrag (Anlage K13) vom 27.05.20103 Bezug genommen.

Durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 30.06.2006 (Az.: 18 O 13/06) wurde der Kläger verurteilt, an die B-Bank aus dem Kreditvertrag einen Betrag in Höhe von 36.983,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.10.2004 zu zahlen.

Mit Schreiben vom 23.09.2011 (Anlage K4) hat der Kläger gegenüber der U.Bank (vormals B-Bank) den Widerruf des Kreditvertrages und des Versicherungsvertrages erklärt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er an die Zedentin einen Betrag in Höhe von 43.655,79 € gezahlt.

Am 26.11.2012 hat die U.Bank die Forderung an die Beklagte verkauft und abgetreten.

Der Kläger vertritt die Auffassung, zum Widerruf noch berechtigt gewesen zu sein, da die zugrunde liegende Widerrufsbelehrung wegen fehlenden Hinweises auf die Widerrufsfolgen bei Vorliegen eines verbundenen Geschäfts fehlerhaft gewesen sei.

Der Widerruf sei auch nicht präkludiert. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts und nicht auf den der Möglichkeit seiner Ausübung. Es bestehe danach auch ein Anspruch auf Neuberechnung und Rückzahlung der überzahlten Beträge. Im Übrigen sei die Vollstreckung als rechtsmissbräuchlich einzustufen.

Der Kläger beantragt,

1.

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des angerufenen Gerichts vom 30.06.2006, Az. 18 O 13/06, für unzulässig zu erklären,

2.

die Beklagte zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des erkennenden Gerichts vom 30.06.2006, Az. 18 O 13/06, an ihn herauszugeben,

3.

die Beklagte zu verurteilen, den Kreditvertrag unter Berücksichtigung des erklärten Widerrufs neu zu berechnen,

4.

die Beklagte zu verurteilen, ihm den Betrag, der sich aufgrund der Neuabrechnung ergibt, zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, der Widerruf sei gem. § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt, in dem das Gestaltungsrecht hätte ausgeübt werden können. Das Widerrufsrecht hätte bis zum Abschluss des Vorprozesses ausgeübt werden müssen. Die Rechtskraft des Urteils stehe der Ausübung des Widerrufsrechts entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist teilweise begründet.

I.

Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. zulässig und begründet.

1.

Die Klage ist als Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO statthaft, da der Kläger materiellrechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend macht. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus §§ 767 Abs. 1, 802 ZPO. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da ein nach Form und Inhalt zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt.

2.

Die Klage ist auch begründet.

Dem Kläger steht eine nicht präkludierte materiellrechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zu.

a)

Denn der Kläger hat den Kreditvertrag wirksam gem. § 355, 495 BGB widerrufen. Bei Abgabe der Widerrufserklärung am 23.09.2011 war die Widerrufsfrist noch nicht verstrichen. Sie war durch die in dem Darlehensvertrag vom 27.05.2003 enthaltene Widerrufsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden. Die Belehrung war nicht ordnungsgemäß, weil sie keinen Hinweis gemäß § 358 Abs. 5 BGB auf die Rechtsfolgen des Widerrufs verbundener Geschäfte nach § 358 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 BGB enthielt.

Ein Darlehensvertrag und ein Restschuldversicherungsvertrag bilden dabei verbundene Geschäfte, sofern die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 BGB vorliegen. (BGH, NJW 2010, 531; NJW 2011, 1063). Dies ist hier der Fall, da das Darlehen der Finanzierung des anderen Vertrages diente und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bildeten.

b)

Diese Einwendung gegen den titulierten vertraglichen Darlehensrückzahlungsanspruch ist auch nicht gem. § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert.

aa)

Dabei kann nicht darauf abgestellt werden, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nicht als Gestaltungsrecht, sondern als rechtshindernde Einwendung anzusehen sei, die lediglich bewirke, dass der Vertrag mit Ablauf der Widerrufsfrist wirksam werde (so BGH, NJW 1996, 57).

Durch die Neuausgestaltung des Widerrufsrechts in § 355 BGB ist für diese Auffassung kein Raum mehr. Das Widerrufsrecht ist nunmehr ein Gestaltungsrecht, es ist seinem Inhalt nach ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht, das den zunächst wirksam zustande gekommenen Vertrag durch Widerruf der Willenserklärung des Verbrauchers in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet (BGH, NJW-RR 2004, 1058).

b)

Wie die Präklusionsproblematik zu beurteilen wäre, wenn der Gesetzgeber - wie nunmehr in § 355 BGB geschehen - von einer schwebenden Wirksamkeit des Vertrages bis zur Ausübung des Rücktritts(Widerrufs)rechts ausgegangen wäre, ist vom Bundesgerichtshof in der oben genannten Entscheidung ausdrücklich offen gelassen worden.

Nach zutreffender Auffassung, der das Gericht folgt, ist - anders als z.B. im Falle der Aufrechnung (vgl. BGH, NJW 2009, 1671), der Anfechtung (BGHZ 42, 37) oder der Kündigung (BGH, NJW-RR 2006, 229) - bei den verbraucherschützenden Widerrufsrechten des § 355 BGB auf den Zeitpunkt ihrer Ausübung abzustellen (Zöller-Herget, ZPO, 30. Auflage, § 767 Rn. 14; Zöller-Vollkommer, 30. Auflage, Vor § 322 Rn. 66K.Schmidt/Brinkmann in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage, § 767 Rn. 82; Staudinger-Kaiser, BGB, Neubearbeitung 2012, § 355 BGB Rn. 38; Stein/Jonas-Münzberg, ZPO, 22. Auflage, § 767 Rn. 33; Fischer, VuR 2004, 172; Schwab, JZ 2006, 170; LG Darmstadt, NJOZ 2011, 644). Diese Auslegung berücksichtigt, dass sich die zeitlichen Grenzen des auf europäischen Richtlinienvorgaben beruhenden Widerrufsrechts gem. § 355 Abs. 3 BGB ausschließlich danach bemessen, ob und ggfs. wann der Verbraucher über den Bestand seines Widerrufsrechts belehrt wurde. Soweit danach nach materiellem Recht mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ein zeitlich unbefristetes Widerrufsrecht besteht, kann dieses nicht abweichend davon durch prozessuale Normen - gerade auch bei richtlinienkonformer Auslegung - eine Einschränkung erfahren.

c)

Angesichts dessen besteht der titulierte Anspruch infolge wirksamer Ausübung des Widerrufsrechts nicht mehr. Unabhängig davon, dass der danach bestehende Rückgewähranspruch (§§ 357, 346 BGB) nicht tituliert ist, bestünde nach der unbestrittenen Berechnung der Klägerin in der Klageschrift ohnehin kein verbleibender Zahlungsanspruch der Beklagten mehr.

II.

Die Klage ist auch mit dem Antrag zu 2. begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herausgabe des Titels analog § 371 BGB (vgl. BGH, NJW 1994, 3225), da diese aus dem Titel nicht mehr vollstrecken kann.

III.

Im Übrigen ist die Klage dagegen unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Neuberechnung des - widerrufenen - Kreditvertrages noch auf Erstattung eines sich aus der Neuabrechnung ergebenden Betrages.

Die Beklagte ist insoweit nicht passivlegtimiert. Sie ist lediglich Abtretungsempfängerin des - nicht bestehenden - Darlehensrückzahlungsanspruchs. Der Forderungsverkauf sowie die Abtretung führten lediglich zum Übergang der Gläubigerstellung hinsichtlich des titulierten Anspruchs. Der Kläger war danach berechtigt, der Beklagten gem. §§ 404 BGB die bestehenden Einwendungen gegen die abgetretene Forderung entgegenzuhalten. Die Abtretung führte nicht jedoch dazu, dass die Beklagte Schuldnerin von Rückabwicklungsansprüchen des Klägers geworden ist. Infolge des Widerrufs wandelte sich der Vertrag gem. § 357 BGB in ein Rückabwicklungsverhältnis um. Schuldner des Rückgewähranspruchs ist aber die U.Bank (vormals B-Bank) als Vertragspartnerin des Klägers und diejenige, an die sämtliche Zahlungen geleistet worden sind.

Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beklagte im Wege der Vertragsübernahme antelle der Zedentin insgesamt Vertragspartner des Klägers geworden wäre, ihr mithin das gesamte Schuldverhältnis übertragen worden wäre. Dafür ist her jedoch nichts ersichtlich. Der Wortlaut der entsprechenden Mitteilungen, in denen lediglich von Verkauf und Abtretung der Forderung die Rede ist, spricht dagegen. Zum Anderen hätte es für eine Vertragsübernahme der Zustimmung des Klägers bedurft (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 73. Auflage, § 398 Rn. 42 m.w.Nachw.). Auch dafür ist hier nichts ersichtlich.

Insofern war - unabhängig davon, ob die Parteien nur auf der ersten Stufe verhandelt haben - die gesamte Stufenklage als unbegründet abzuweisen (vgl.BGH, NJW 1982, 235; Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage, § 254 Rn. 9, 14).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Wird - wie vorliegend - eine Stufenklage wegen Fehlens einer materiellrechtlichen Grundlage für die verfolgten Ansprüche insgesamt abgewiesen, bemisst sich die Unterliegensquote nicht nur nach einem Bruchteil des Hauptanspruchs (vgl. BGH, NJW 2002, 71). Maßgeblich waren insoweit die Vorstellungen des Klägers zu Beginn in der Instanz (Zöller-Herget a.a.O., § 3 Rn. 16 "Stufenklage"). Der Kläger ist vorliegend in der Klageschrift von einer Überzahlung in Höhe von 5.168,00 € ausgegangen. Hiernach bemisst sich sein Unterliegensanteil.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 708 Rn. 11, 711 ZPO.

V.

Der Streitwert wird abweichend von der bisherigen Festsetzung (§ 63 Abs. 3 GKG) auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt (Streitige Restforderung: 21.756,00 €, wobei die in der Klageschrift erfolgte Bezifferung des Gegenstandswertes auf den Betrag der vollstreckten Restforderung eine konkludente Beschränkung des Gegenstandswertes der Vollstreckungsgegenklage darstellt (OLG Köln, OLGR 2004, 140); Auskunftsanspruch: 300,00 €; Leistungsanspruch: 5.168,00 €).