LG Gießen, Urteil vom 21.03.2012 - 2 O 434/11
Fundstelle
openJur 2014, 14333
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Prämien für eine fondsgebundene Lebensversicherung.

Der Kläger vereinbarte mit der Beklagten zum 01.09.1998 den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag mit der Vertragsnummer … und leistete im Zeitraum vom 01.09.1998 bis zum 30.03.2004Prämien in Höhe von insgesamt 17.128,55 EUR.

Am 04.03.2004 kündigte der Kläger den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag, woraufhin ihm die Beklagte nach Ermittlung des Rückkaufwertes einen Betrag von 12.481,57 EUR auszahlte.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.03.2011 (Anlage K 2 = Bl. 19ff. d. A.) erklärte der Kläger sodann den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und den Widerruf nach § 355 BGB und forderte die Beklagte auf, die Differenz zwischen dem erstatteten Rückkaufwert und der Summe der Beitragszahlungen zzgl. Zinsen und Kosten zu zahlen. Die Beklagte lehnte die Rückerstattung sämtlicher Prämien ab.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das Widerspruchsrecht insbesondere wegen fehlerhafter Beratung bis zu dessen Ausspruch im Jahre 2011 unbefristet fortbestanden habe. Die in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. vorgesehene Verfristung binnen eines Jahres entfalte keine Wirkung, da die Regelung den effet utile des maßgeblichen europäischen Rechts unterlaufe. Der Kläger bestreitet mit Nichtwissen, dass ihm die vollständigen Verbraucherinformationen im Sinne des § 10a VAG und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zusammen mit der Versicherungspolice ausgehändigt worden sind. Außerdem bestreitet der Kläger mit Nichtwissen, dass er ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufrecht aufgeklärt worden ist.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.965,80 EURnebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.03.2011 zu zahlen.II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.253,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte stellt folgenden Antrag:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, dass dem Kläger mit Schreiben vom 14.08.1998 der Original-Versicherungsschein übersandt worden sei,der neben der auf Seite 2 des Versicherungsscheines drucktechnisch hervorgehobenen Belehrung über das dem Kläger zustehende 14-tägige Widerspruchsrecht unter anderem auch die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die fondsgebundene Versicherung sowie die entsprechenden Produktbedingungen enthalten habe. Außerdem tritt die Beklagte der Rechtsauffassung des Klägers entgegen, indem sie insbesondere die Anwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.verteidigt und darüber hinaus die Einrede der Verjährung erhebt.Ferner bestreitet die Beklagte, dass sie eine 7%-ige Nutzung aus den Versicherungsbeiträgen gezogen hat.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze – nebst Anlagen – der Klägerseite vom 19.12.2011 (Bl. 1 ff. d. A.) und 01.03.2012 (Bl. 234 ff. d. A.)sowie der Beklagtenseite vom 08.02.2012 (Bl. 72 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Klägers (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) scheitert bereits daran, dass die Beklagte sowohl die Versicherungsprämien als auch etwaige Zinsen nicht ohne Rechtsgrund erlangt hat. Der mit Anwaltsschreiben vom 08.03.2011 erklärte Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. bzw. Widerruf nach § 355 BGB ist verfristet. Das Widerspruchsrecht des Klägers ist unter Anwendung der Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. bereits ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie, d. h. mit Ablauf des 01.09.1999, erloschen.

Darüber hinaus ist auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus culpa in contrahendo (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) wegen fehlerhafter Aufklärung über das Widerspruchsrecht zu verneinen. Eine solche subsidiäre Haftung würde nach Ansicht der Kammer die zeitliche Limitierung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. unterlaufen.

Was die zentrale Frage des Rechtsstreits, die Vereinbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. mit höherrangigem europäischen Recht, angeht, ist hierbei nach Ansicht der Kammer zunächst zu beachten, dass die für den vorliegenden Rechtsstreit zeitlich maßgebliche Richtlinie 92/96/EWG vom 10.11.1992 „zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/276/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung)“ schon keine eigenständigen Vorgaben enthält, die als Rahmenbedingungen für die Normierung und nähere Ausgestaltung einer Verfristungsregelung maßgeblich sein könnten. So schreibt insbesondere Artikel 31 der Richtlinie lediglich die Mitteilung bestimmter, in Anhang II Buchstabe A der Richtlinie genannter Angaben (unter anderem die „Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts“ = a.13) vor Vertragsschluss vor; während die zur Durchführung von Artikel 31 der Richtlinie insgesamt und von Anhang II erforderlichen Vorschriften in Artikel 31 IV der Richtlinie explizit den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. Werden die Mitgliedstaaten demnach jedenfalls auf der Grundlage der vorbenannten Bestimmungen nicht daran gehindert, eine Verfristungsregelung zu normieren, so lässt sich Entgegenstehendes auch nicht den einleitenden Erwägungsgründen der Richtlinie entnehmen. Dort wird unter (23) lediglich die Bedeutung entsprechender Informationen hervorgehoben; was freilich bereits Anlass für die Normierung einer Informationspflicht an sich ist, ohne deren nähere Ausgestaltung auch nur an dieser Stelle klarer zu präjudizieren.

Darüber hinaus ist nach Ansicht der Kammer auch keine Gefährdung des effet utile der Richtlinie gegeben. Es ist für die Kammer nicht recht nachvollziehbar, weshalb unter der Prämisse, dass die Sanktionen nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, der praktische Nutzen der Verbraucherinformation auch nur ins Leere gehen soll oder aber die Vorgabe der Richtlinie sanktionslos unterlaufen werden kann, wenn der Verbraucher innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten keinerlei Anstalten macht, die Wirksamkeit des Vertrags auch nur in Frage zu ziehen, sondern statt dessen seine Prämien zahlt. Schließlich tritt das – prinzipiell beiderseitige, regelmäßig freilich in der Person des Versicherers höhere – Interesse an Rechtssicherheit nicht von vornherein hinter die bereits erwähnte Bedeutsamkeit der Produkt- und Widerspruchsinformationen für den Verbraucher zurück, sondern wird durch das europäische Recht mit seiner Vorgabe der Verhältnismäßigkeit vielmehr seinerseits in den vorgenannten Grenzen geschützt. Hinzu kommt, dass die Richtlinie keine Maximalharmonisierung bezweckt, sondern den Mitgliedstaaten gerade auch im Kontext ihres Artikels 31 den Erlass strengerer Regelungen vorbehält, sofern eine tatsächliche Notwendigkeit hierfür besteht. Dies zeigt letztlich, dass dem Verbraucherinformationsschutz ein zwar zentraler, aber keineswegs absoluter Rang ohne Rücksicht auf die schützenswerten Interessen auch des Versicherers zukommen soll.

Unabhängig davon, dass für die Kammer bei dieser Sachlage schon keine Veranlassung zur Vorlage beim Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bestand, wäre die Kammer – so auch die Rechtsansicht der Kammer in der Parallelsache 2 O 366/11 – unbeschadet des Vorstehenden auch selbst dann an die Anwendung von § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. gebunden, wenn ihre Rechtsfolge mit den Vorgaben der Richtlinie nicht in Einklang zu bringen wäre. Denn die Nichtanwendung dieser Regelung würde anderenfalls auf ihre vollständige Sinnentleerung bzw. Derogation hinauslaufen, was mit der Bindung der Kammer an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar wäre, ohne dass das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV für diese Frage überhaupt – da ausschließlich eine methodische Frage der nationalen, nicht europäischen Rechtsanwendung betreffend – statthaft wäre.

Der EuGH fordert zwar im Kontext der richtlinienkonformen Auslegung seit längerem, die nationale Auslegung „so weit wie möglich“ am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten (so in der Sache Adeneler, EuGH 04.07.2006, C-212/04, Rz. 108). Damit ist aber allein die volle Ausschöpfung des nationalen Methodenkanons gemeint, ohne diesen zu erweitern. Dies gilt insbesondere auch für das in diesem Zusammenhang regelmäßig entscheidende Auslegungskriterium des historischen Gesetzgebungswillens. Denn auch wenn den Mitgliedstaaten regelmäßig ein vollständiger Umsetzungswille zu unterstellen ist (vgl. vor allem Wagner Miret, EuGH 16.12.1993, C-334/92, Rz. 20), endet diese Vermutung doch dort, wo der Gesetzgeber einen hiermit nicht mehr in Einklang zu bringenden Regelungswillen unmissverständlich zum Ausdruck bringt.

Ausschlaggebend ist zudem, dass der EuGH seit langem betont, dass es in Fällen nicht möglicher richtlinienkonformer Auslegung grundsätzlich bei der richtlinienwidrigen Auslegung mit einer sich eventuell anschließenden Staatshaftung zu verbleiben hat (grundlegend die Sache Francovich, EuGH 19.11.1991, C-6/90; vgl. ferner Faccini Dori, EuGH 14.07.1994, C-91/92, Rz. 27; Adeneler, EuGH 04.07.2006, C-212/04, Rz. 112). Soweit in der Literatur erwogen wird, danach zu differenzieren, ob die fragliche Norm positive oder negative Rechtsfolgen ausspricht (so insbesondere Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 2003, S. 152 ff.), und nur im ersten Fall auf die Staatshaftung zu verweisen, sie im zweiten hingegen schlicht nicht anzuwenden, überzeugt diese Auffassung schon deshalb nicht, weil die Frage einer positiven oder negativen Rechtsfolge in erster Linie eine Frage der Gesetzesgestaltung ist, die sich in der Regel allein an der sprachlichen Festlegung der Beweislastverteilung orientiert. Das Schrifttum übersieht aber vor allem, dass diejenigen Entscheidungen des EuGH, die für sie angeführt werden, Fallkonstellationen betreffen, in denen die maßgebliche Norm nicht einfach richtlinienwidrig war, sondern bereits gegen Grundfreiheiten selbst verstieß (so insbesondere auch Mangold, EuGH 22.11.2005, C-144/04). Ist dies jedoch der Fall, geht die Nichtanwendung gar nicht mehr (als „negative Rechtsfolge“) auf eine richtlinienkonforme Auslegung der fraglichen Norm zurück, sondern allein auf ihre Primärrechtswidrigkeit. Darf die Nichtanwendung richtlinienwidrigen Rechts demnach aber weiterhin nur das Ergebnis seiner Auslegung sein – nämlich einer richtlinienkonformen teleologischen Reduktion –, bleibt die contra legem-Grenze hier stets maßgeblich. Die gegenteiligen Erwägungen des Generalanwalts Saggio in den Schlussanträgen zu Océano, EuGH 16.12.1999, C-240/98, Rz. 16 ff., auf die sich die Gegenauffassung beruft, hat der EuGH denn auch bislang gerade nicht aufgegriffen.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorliegende Fallkonstellation mithin maßgeblich von denjenigen unterscheidet, die der Kläger im Nachgang zu dem Verfahren ----- (EuGH 13.12.2001, C-481/99) für seine Rechtsposition anführt. Während dort ein Anwendungsbereich für die Verweisungsnorm des § 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) auch noch bei richtlinienkonformer Reduktion verblieb – nämlich im Hinblick auf die Gerichtsstandsregelung in § 7 HWiG, die weder ein Pendant im Verbraucherkreditgesetz hatte, noch von der Haustürwiderrufs-Richtlinie vorgegeben war (vgl. BGH 09.04.2002, XI ZR 91/99, Rn. 29 ff.; direkt auf § 7 Haustürwiderrufsgesetz selbst zugeschnitten ferner BGH NJW 09.04.2002, XI ZR 32/99) –, ist dies bei § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. nicht der Fall. Anders als bei § 5 Abs. 2 HWiG handelt es sich bei § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. nicht um eine Verweisungs-, sondern eine Rechtsnorm, die eine einzelne, inhaltlich konkrete Rechtsfolge hat, nämlich das Erlöschen des Widerspruchsrechts spätestens nach einem Jahr. Außerdem ließe sich eine Nichtanwendung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auch nicht mehr in Einklang bringen mit dem historischen Willen des Gesetzgebers, der vielmehr unmissverständlich den Standpunkt einnahm, dass die Ausschlussfrist schlichtweg „im Interesse des Rechtsfriedens erforderlich“ sei (vgl. BT-Drs. 12/7595, S. 111) – nach Überzeugung der Kammer freilich zu Recht, da eine Gefährdung des effet utile hiermit aus den oben dargelegten Gründen gar nicht einhergeht.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.