OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26.07.2013 - 15 U 105/13
Fundstelle
openJur 2014, 14191
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Oktober 2012verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Marburg wird als unzulässig verworfen.

Der Klägerin wird die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsrechtszug zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 106.839,83 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Das am 29. Oktober 2012 verkündete Urteil ist am 27. März 2013zur Geschäftsstelle gelangt und dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 2. April 2013 zugestellt worden. Dieser vermerkte auf dem Urteil einen Fristablauf für die Einlegung der Berufung am 2. Mai 2013. In der Folgezeit mandatierte die Klägerin ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, der am 30.April 2013 per Telefax Berufung einlegte. Der Originalschriftsatz ging am 3. Mai 2013 beim Berufungsgericht ein. Weitere Schriftsätze, mit denen Berufung eingelegt wurde, gingen am 2. Mai und 7. Mai 2013 ein.

Mit am 10. Mai 2013 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat hierzu ausgeführt:

Ihre Mutter habe am 19. April 2013 bei dem jetzigen Prozessbevollmächtigten angerufen, mit der Bitte, den Prozess für sie weiterzuführen. Auf die Frage, wann das Urteil zugegangen sei,habe sie den 2. April 2012 angegeben. Ihre Mutter habe zunächst Kontakt mit der Rechtsschutzversicherung aufgenommen. Ihr jetziger Prozessbevollmächtigter habe vorsorglich eine Berufungsfrist im Kalender zum 30. April 2013 notieren lassen. Nachdem die Entscheidung gefallen sei, zunächst fristwahrend Berufung einzulegen, sei das vollständige Urteil mit den Notierungen des bisherigen Prozessbevollmächtigten am 29. April 2013 übersandt worden. Ihr jetziger Prozessbevollmächtigter habe festgestellt,dass das Urteil am 29. Oktober 2012 verkündet worden war, und dass der Fristablauf deshalb nicht der 2. Mai 2013, sondern der 29.April 2013 sei. Er habe daraufhin den Schriftsatz gefertigt, von der Mitarbeiterin Frau A schreiben lassen und unterschrieben. Da zu diesem Zeitpunkt schon die Mittagspause angefangen gehabt habe,habe er sich in den Sozialraum zu der Mitarbeiterin Frau B begeben,die dort mit 2 Auszubildenden ihre Mittagspause genommen habe. Er habe Frau B angewiesen, die in der Unterschriftenmappe sich befindliche Berufungsschrift „heute am 29. April 2013“an das im Schriftsatz bezeichnete Gericht per Telefax zu übersenden. Er habe explizit darauf hingewiesen, dass mit diesem Datum die Frist ablaufe. Da bereits auf dem gefertigten Schriftsatz der Hinweis zu finden gewesen sei, ob das Original des Urteils beigefügt werden müsse, habe ihr Prozessbevollmächtigter mittels eines Klebezettels eine Kurznotiz gefertigt mit dem Inhalt „FA heute, bitte mit Kopie des Urteils, das in der Akte ist,faxen,“. Bei Frau B habe es sich um eine langjährige erfahrene Mitarbeiterin gehandelt, die in all den Jahren noch nicht einen Fehler begangen gehabt habe, der zu einer Fristversäumnis geführt habe. Am nächsten Morgen habe festgestellt werden müssen,dass sich der Schriftsatz noch in der Unterschriftenmappe befunden habe. Im Zuge der Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass ein dazugehöriges Schreiben an die Mandantin mit einer Abschrift der Berufungsschrift an diese am 29. April 2013 in die Post gegangen sei. Es lasse sich nicht klären, aus welchem Grund der Schriftsatz,der sich in derselben Aktenmappe befunden habe wie das Schreiben an die Mandantin, nicht gefaxt worden sei.

II.

Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht mit Ablauf des 29. April 2013 eingelegt worden ist.Die Klägerin geht zutreffend davon aus, dass an diesem Tag die Frist zur Einlegung der Berufung ablief, nachdem das Urteil am 29.Oktober 2012 verkündet worden war (§ 517 ZPO).

Der Klägerin konnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht gewährt werden, weil die Berufungsfrist infolge eines Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten, das einem Verschulden der Klägerin gleichsteht (§ 85 Abs. 2 ZPO), versäumt worden ist (vgl. § 233ZPO). Denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen getroffen, eine Fristversäumung zu vermeiden.

Allerdings trifft den Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle einer Fristversäumung grundsätzlich kein Verschulden, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte; er ist dann regelmäßig auch nicht gehalten, die Ausführung der erteilten Anweisung zu kontrollieren (vgl. BGH-NJW-RR 2013, 699 mit weiteren Nachweisen). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos.Betrifft die Anweisung einen wichtigen Vorgang wie etwa die Einreichung eines fristgebundenen Schriftsatzes und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird (BGH, a.a.O.; NJW-RR 2012, 1737; NJW 2012, 428; NJW-RR 2007,1430). Solche organisatorischen Vorkehrungen waren hier nach Auffassung des Senats geboten, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seiner Mitarbeiterin B die Anweisung, den Schriftsatz noch am 29. April 2013 an das Berufungsgericht zu faxen, nur mündlich in der Mittagspause erteilt hatte. Der Klebezettel, der sich auf dem Schriftsatz in der Unterschriftenmappe befunden haben soll, ändert daran nichts, weil darin keine schriftliche Anweisung an die Mitarbeiterin B gesehen werden kann. Allenfalls konnte der Mitarbeiterin B die schriftliche Anweisung auf dem Klebezettel dann zu Händen kommen, wenn sie mit der Erledigung der Post in der Unterschriftenmappe, die zugleich Postausgangsmappe sein soll,betraut war. Das ist indes nicht vorgetragen.

Unabhängig davon, ob die Anweisung mündlich oder schriftlich erteilt war, war der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im vorliegenden Fall deshalb zu weiteren organisatorischen Vorkehrungen verpflichtet, weil er seiner Mitarbeiterin nicht zugleich die unmissverständliche Weisung erteilt hatte, den von ihr zu erledigenden Vorgang, d. h. das Faxen der Berufungsschrift,sofort auszuführen, und zwar vor allen anderen Aufgaben (vgl.hierzu BGH NJW-RR, 2013, 699; NJW-RR 2013, 179; NJW-RR 2007, 1430;Beschluss vom 2. April 2008, XII ZB 190/07). Das war hier nicht der Fall, weil der Prozessbevollmächtigte seiner Mitarbeiterin B einen zeitlichen Spielraum von mehreren Stunden zur Erledigung ließ, so dass die Gefahr bestand, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen wird (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1430). Vorliegend kommt nach Auffassung des Senats hinzu, dass die mündliche Anweisung nicht während der Erledigung von Büroarbeiten erteilt wurde, sondern in der Mittagspause. Es gibt zwar keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ansonsten zuverlässige Angestellte sich durch private Unterhaltungen von der Erledigung durch Einzelanweisung erteilter Aufträge abhalten lassen (BGH NJW-RR 2012, 1268). Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Anders als in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, bei der die Angestellte bei Erledigung der aufgetragenen Tätigkeit von einer anderen Person begleitet wurde, wurde hier die Einzelanweisung während einer Pause erteilt, die noch andauerte. Hier war die Gefahr besonders groß,dass die Mitarbeiterin B die Anweisung bis zum Ende der Mittagspause vergessen könnte, zumal sie mit der Sache vorher nicht befasst war, nachdem der Schriftsatz nicht von ihr, sondern einer anderen Mitarbeiterin angefertigt worden war.

Schließlich sieht der Senat ein weiteres Versäumnis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin darin, dass er, obwohl er am 29. April 2013 den Ablauf der Berufungsfrist erkannte und ihm bewusst sein musste, dass im Fristenkalender eine andere Frist eingetragen war, diese nicht korrigieren ließ. Das führte dazu,dass am 29. April 2013, als die Frist ablief, bei der gebotenen Ausgangskontrolle das Versäumnis nicht entdeckt werden konnte, weil an diesem Tag ein Fristablauf für den vorliegenden Rechtsstreit nicht vermerkt war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes setzt sich zusammen aus den Zahlungsanträgen über 3.593,83 Euro und 18.246 Euro, 80.000 Euro für den Schmerzensgeldantrag (§ 3 ZPO) und 5.000 Euro für den Feststellungsantrag (§ 3 ZPO).