FG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2014 - 7 K 3143/13 E
Fundstelle
openJur 2014, 14131
  • Rkr:
Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 29.04.2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2013 wird dahingehend geändert, dass weitere außergewöhnliche Belastungen von 5.314 Euro berücksichtigt werden. Die Steuerberechnung wird dem Beklagten übertragen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 15 % und der Beklagte zu 85 % zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 u.a. außergewöhnliche Belastungen i. H. von 5.313,75 € für die Kosten eines Zivilprozesses geltend, mit dem er Schadensersatz und Schmerzensgeld begehrt, sowie weitere 940 € für eine Rückentherapie.

Die Aufwendungen beruhen auf einem Verkehrsunfall, den der Kläger im Jahr 2009 mit einem von der Firma A hergestellten Fahrrad, erworben am 08.07.2008 bei der Firma B in C, erlitten hatte.

Der Kläger nahm den Hersteller und den Verkäufer im Wege der Klage in Anspruch. Vor Klageerhebung beantragte er im Jahr 2010 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens. Am 24.08.2010 ordnete das Landgericht D im selbständigen Beweisverfahren an, Beweis über die Beschaffenheit des Fahrrades im Hinblick auf den Unfall zu erheben, und beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens.

Der Kläger hatte am 18.07.2008 bei der Firma B eine erste Inspektion des Rades durchführen lassen. Am 14.04.2009 wies der Kläger den Verkäufer per

E-Mail auf Schleifspuren am hinteren Schutzblech bzw. am dort befestigten Kabelkanal und einen zu geringen Abstand zum Hinterrad hin. Daraufhin setzte die Firma B auch die Halterungen des Schutzbleches hoch. Trotz der durchgeführten Reparaturen stürzte der Kläger am 06.06.2009 mit dem Fahrrad und wurde stationär im Krankenhaus behandelt. Es folgten weitere Operationen im Bereich des Oberarms und der Schulter. Der Unfall führte zu einer Schwerbehinderung des Klägers mit einem Grad von 50 Prozent. Noch im Jahr 2009 beauftragte der Kläger einen Gutachter, dessen Erkenntnisse mit denen des gerichtlichen Gutachters im Wesentlichen übereinstimmten. Beide Gutachten kamen jeweils zu der Erkenntnis, dass ein erheblicher Konstruktionsfehler bzw. Produktfehler bei dem vom Kläger erworbenen Fahrrad vorlag. Der Abstand zwischen dem hinteren Schutzblech zum hinteren Rahmen sowie Reifen war zu gering, das Schutzblech war ferner mangelhaft befestigt, wodurch die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wurde.

Für das Streitjahr machte der Kläger den Abzug der in 2011 angefallenen Zivilprozesskosten für das selbständige Beweisverfahren und das Klageverfahren sowie Therapiekosten in seiner Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend:

GK vom 17. 10. 2011 1.040,93 €

RA´e 11. 10. 2011 1.035,26 €

RA´e 19. 12. 2011 2.237,56 €

GK 23. 3. 2011 1.000 €

Summe 5.313,75 €.

Therapiekosten 14. 12. 2011 940,00 €.

Summe 6.253,75 €.

In dem Einkommensteuerbescheid 2011 vom 29.04.2013 berücksichtigte der Beklagte die Aufwendungen nicht. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, den der Beklagte am 31.07.2013 zurückwies.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Der Kläger trägt vor:

Er sei auf die Führung des Prozesses angewiesen. Aus dem Unfall folge ein Grad der Behinderung von 50 %. Der Kläger sei durch den Unfall stark in seiner Lebensführung eingeschränkt. Er sei nicht mehr in der Lage, seinem gewohnten Lebensstil nachzugehen. Steuerlich anzuerkennen seien außerdem die außergewöhnlichen Aufwendungen für eine Wirbelsäulentherapie. Er nehme bei der E GmbH eine analysegestützte Wirbelsäulentherapie nach dem so genannten FPZ-Konzept wahr. Die Krankenkasse übernehme die Kosten nicht. Die Wirbelsäulentherapie sei aufgrund des Unfalls vom 06.06.2009 indiziert. Gemäß des sozialmedizinischen Gutachtens des Herrn Dr. F werde neben den Unfallfolgen im Bereich der rechten Schulter explizit auf die Ausstrahlung bzw. das Zusammenwirken mit der Wirbelsäule eingegangen. Eine verstärkte Therapie der Wirbelsäule sei aus medizinischen bzw. gesundheitlichen Gründen daher angezeigt. Aus den aus dem Unfall resultierenden, teilweise schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen resultiere eine Verkümmerung der Muskulatur und eine damit einhergehende Verschlechterung der Gesamtsituation, der durch die Wirbelsäulentherapie entgegengewirkt werde. Dem Gutachten des Sachverständigen F sei zu entnehmen, dass die Therapie aus ärztlicher Sicht erforderlich sei. Dies folge auch aus dem Gutachten des Sachverständigen G. Dessen Gutachten sei aufgrund einer bei der Deutschen Rentenversicherung beantragten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erstellt worden. Der Kläger benötige von Berufs wegen ein behindertengerechtes Fahrzeug. Auch der Orthopäde H stelle in seinem aktuellen Attest fest, dass angesichts des Krankheitsbildes des Klägers ein regelmäßiger muskulärer Aufbau des Bewegungsapparates notwendig sei, dieses Ziel könne durch die medizinische Trainingstherapie nach dem FPZ-Konzept erreicht werden. Er habe am 14. 12. 2011 mit dem Training begonnen. Der erste Therapieblock umfasse 24 Trainingseinheiten und koste 940 €.

Nach der Stellungnahme der E GmbH - ... - vom 13. 8. 2013 absolviert der Kläger seit 2011 einmal wöchentlich eine medizinische Trainingstherapie nach dem FPZ Konzept. Hauptziel der Therapie sei aufgrund der Indikationen eine Stabilisierung und Mobilisierung der Schultergelenke und die Kräftigung der Hals- und Lendenwirbelsäule. Insgesamt finde ein spürbarer Muskelaufbau statt, eine regelmäßige Weiterführung der Therapie werde dringend empfohlen.

Zwischenzeitlich sei ein Vergleich in dem gegen den Hersteller und den Verkäufer des Fahrrades geführten zivilgerichtlichen Verfahren geschlossen worden. Gemäß dem Beschluss des LG D vom 30. hat der Vergleich folgenden Inhalt:

"Zur Abgeltung aller Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2) - den Insolvenzverwalter der A GmbH - sowie dessen Haftpflichtversicherung zahlt der Beklagte zu 2) einen Betrag von 75.000 Euro. ...

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens trägt die Beklagte zu 1)."

Der Kostenfestsetzungsbeschluss sei bisher nicht ergangen. Der Umfang des Ersatzes der Rechtsanwaltskosten werde aller Voraussicht nach nur teilweise erfolgen. Der Kläger habe nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens einen weiteren Rechtanwalt beauftragt. Die Kosten für mehrere Anwälte seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 29. 4. 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 31. 7. 2013 unter Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen von 6.253,75 € zu ändern.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung.

Der Beklagte trägt vor:

Das Urteil des BFH vom 12.05.2011 VI R 42/10 sei nach dem BMF-Schreiben vom 20.12.2011 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. § 33 Abs. 2 EStG neuer Fassung finde erst ab 2013 Anwendung. Für Zeiträume vor 2013 bleibe es bei der bisherigen Rechtslage. Die beantragten Zivilprozesskosten könnten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall sei durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu erbringen. Der zu erbringende Nachweis müsse vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein, § 33 Abs. 4 EStG, § 64 Abs. 1 EStDV. Dies sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe erst im Klageverfahren eine ärztliche Bescheinigung vom 27.08.2013 vorgelegt, aus der hervorgehe, dass ein regelmäßiger muskulärer Aufbau des Bewegungsapparates notwendig sei und dieser durch eine medizinische Trainingstherapie nach FPZ-Konzept erreicht werden könne.

Gründe

Die Klage ist hinsichtlich der Prozesskosten begründet und im Übrigen unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, soweit der Beklagte die Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt hat, § 100 Abs. 1 FGO.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmten Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Die Kosten eines Zivilprozesses können nach der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten ist nicht auf die Unausweichlichkeit des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Vielmehr liegt für den Steuerpflichtigen die Unausweichlichkeit bereits darin, dass er, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten muss. Voraussetzung für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen ist jedoch, dass sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Daher sind Zivilprozesskosten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das zur Entscheidung berufene Gericht im Wege einer summarischen Prüfung zu untersuchen (BFH vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015; Nieders. FG vom 15. 5. 2013 9 K 238/12, juris).

Die Rechtsverfolgung durch den Kläger erscheint nicht von vornherein aussichtslos und ist nicht mutwillig. Nach den von dem Kläger eingereichten Unterlagen war der Erfolg jedenfalls i.S. der oben zitierten Rechtsprechung mindestens ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg. Eine mutwillige Prozessführung liegt unzweifelhaft nicht vor. Dass der Kläger sich nunmehr mit der Gegenseite im Wege des Vergleichs auf einen geringeren als den ursprünglich eingeklagten Betrag geeinigt hat, steht dem nicht entgegen.

Die außergewöhnliche Belastung ist im Veranlagungszeitraum der Verausgabung steuermindernd zu berücksichtigen. Der Kläger hat die geltend gemachten Kosten im Streitjahr getragen. Dass sie ihm aufgrund des Vergleichs zumindest teilweise erstattet werden, spielt für die Frage des Abzugs im Streitjahr keine Rolle. Eine Erstattung, die dem Kläger in einem anderen Veranlagungszeitraum zufließt, ist erst dann durch Änderung des Bescheides 2011 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu berücksichtigen (Schmidt/Loschelder § 33 EStG Rz. 13).

Der Höhe nach sind Zivilprozesskosten nur insoweit abziehbar, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Hiergegen bestehen im Streitfall keine Bedenken.

Die Therapiekosten sind dagegen nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig.

Nach der Rechtsprechung des BFH erwachsen Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH vom 17.7.1981 VI R 77/78, BStBl II 1981, 711; vom 13.2.1987 III R 208/81, BStBl II 1987, 427, und vom 20.3.1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596).

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH vom 1.2 2001 III R 22/00, BStBl II 2001, 543, und vom 3.12.1998 III R 5/98, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH vom 18.6.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind. Die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall ist formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (vgl. dazu FG Schleswig-Holstein vom 17. 4. 2013 5 K 71/11 EFG 2013,1128).

Im Streitfall hat der Kläger keine ärztliche Verordnung der Rückentherapie vorgelegt. Soweit er sich auf die Stellungnahmen in den Gutachten sowie des H beruft, handelt es sich dabei um keine ärztliche Verordnung i.S. des § 64 Abs. 1 EStDV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.