LAG Hamm, Beschluss vom 14.05.2014 - 7 TaBV 21/14
Fundstelle
openJur 2014, 13856
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss desArbeitsgerichts Minden vom 28.02.2014 - 2 BV 8/14 - wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Die Beteiligten des vorliegenden Beschlussverfahrens streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle.

Antragstellerinnen sind die am Standort N in der D Str. 1 einenGemeinschaftsbetrieb unterhaltenden Arbeitgeberinnen, die zur Schwedischen L Gruppe gehören. Am Standort N werden Bürostühle der Marken "E" und "T" entwickelt und hergestellt. Dort sind etwa 130 Arbeitnehmer in der Fertigung sowie in den Bereichen Vertriebsinnendienst, Marketing, IT und Personal beschäftigt.

Weiterer Beteiligter ist der für den Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat).

Am 25.09.2013 informierten die Arbeitgeberinnen den Betriebsrat über beabsichtigte Veränderungen am Standort N. In einer Besprechung vom 10.12.2013 legten die Arbeitgeberinnen dem Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs vor. In diesem heißt es wörtlich:

"Es ist daher beabsichtigt, die Produktion sowie produktionsnahe Bereiche, die derzeit am Standort N angesiedelt sind, in die schwedischen Standorte der L Gruppe in (...) und (...) zu verlagern. Entsprechend kommt es auch zu einem Wegfall verschiedener administrativer Funktionen, wie zum Beispiel Disposition, Vertriebsinnendienst und HR. Innendienstfunktionen der Unternehmen werden in X gebündelt. Aufgrund insbesondere des Wegfalls der Produktion ist beabsichtigt, die bisher am Standort N genutzten Grundstücke und Gebäude zu veräußern.

L beabsichtigt ferner jedoch, da die Marken "E" und "T" weiter im Rahmen der L Gruppe Bestand haben und entwickelt werden sollen, am Standort N ein Design-Center aufzubauen, an dem weiterhin Produktmanagement, Entwicklung, Kundendienst, Musterbau und Projektservice der Marken "E" und "T" angesiedelt sind.

Im Übrigen wird auf die Kopie Bl. 7 ff. d.A. Bezug genommen.

In der Folgezeit kam es unter dem 13.01.2014 zur Vorlage eines Sozialplanentwurfs durch die Arbeitgeberinnen sowie zu einem Gegenentwurf durch den Betriebsrat. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden.

Mit Schreiben vom 30.01.2014 erklärten die Arbeitgeberinnen die Verhandlungen für gescheitert und riefen die Einigungsstelle an, der auf jeder Seite drei Beisitzer angehören sollten (Kopie Bl. 30, 31 d.A.).

Nachdem eine Verständigung über die Einrichtung einer Einigungsstelle nicht stattfand, verfolgen die Arbeitgeberinnen ihr Anliegen mit dem vorliegenden Antrag auf Einleitung eines Beschlussverfahrens, beim Arbeitsgericht Minden vorab per Telefax am 04.02.2014 eingegangen, weiter.

Sie tragen vor:

Eine Einigungsstelle zur Durchführung von Verhandlungen über einen Interessenausgleich sowie Sozialplänen sei nicht offensichtlich unzuständig, da es sich bei der Aufgabe der Produktion und der produktionsnahen Bereiche um eine Betriebsänderung im Sinne der gesetzlichen Vorschriften handele.

Nachdem die Arbeitgeberinnen in der Antragsschrift unter anderem formuliert hatten, eine Einigungsstelle zu dem Thema "Abschluss eines Interessenausgleichs sowie von Sozialplänen zum einen jeweils geltend für die Antragstellerin zu 1) und zum anderen geltend für die Antragstellerin zu 2)" einzusetzen,

haben sie nach Erörterung im Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht am 18.02.2014 beantragt,

zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss eines Interessenausgleichs sowie von Sozialplänen im Hinblick auf die Schließung des Standorts D Straße 1, 12345 N" zum einen geltend für die Beteiligte zu 1) und zum anderen geltend für die Beteiligte zu 2) wird der Richter T1 bestellt.

Die Zahl der Beisitzer wird auf jeweils vier festgesetzt.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen:

Die Begründung der Arbeitgeberinnen sei nicht im Ansatz nachvollziehbar. Angaben zum Hintergrund der behaupteten Absicht, Produktion sowie produktionsnahe Bereiche zu schließen, seien wenig detailliert und nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der bisherigen Gespräche sei gegenüber dem Betriebsrat jedenfalls nicht dargestellt worden, die Produktion sowie produktionsnahe Bereiche am Standort N nach Schweden zu verlagern. Bislang sei nur die Rede davon gewesen, dass lediglich ein Teil der Stuhlproduktion nach Schweden verlagert werden solle. Der Vortrag derArbeitgeberin hierzu sei völlig neu. Es handele sich damit um eine neue Betriebsänderung, die nicht Gegenstand vorheriger betrieblicher Verhandlungen gewesen sei. Die Beauftragung eines wirtschaftlichen Sachverständigen durch den Betriebsrat, dem die Arbeitgeberinnen diverse Unterlagen und Informationen zur Verfügung gestellt hätten, habe ergeben, dass die geplanten Maßnahmen nicht ansatzweise wirtschaftlich notwendig seien. Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, durch Veräußerung der Betriebsstätte an einen Investor 120 Arbeitsplätze am Standort in N zu erhalten.

Durch Beschluss vom 28.02.2014, dem Vertreter des Betriebsrats am 07.03.2014 zugestellt, hat das Arbeitsgericht Minden dem zuletzt formulierten Antrag stattgegeben und die entsprechende Einigungsstelle eingesetzt. Zur Begründung hat dasArbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht vorliege und nicht erkennbar sei, dass die Arbeitgeberinnen gegen den betriebsverfassungsrechtlich geregelten Grundsatz verstoßen hätten,einen innerbetrieblichen Einigungsversuch durchzuführen.

Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf Bl. 58 ff. d.A. Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit der vorliegenden, vorab per Telefax beim Landesarbeitsgericht am 21.03.2014 eingegangenen und begründeten Beschwerde.

Der Betriebsrat hält den von den Arbeitgeberinnen gestellten Beschlussantrag für unzulässig und hilfsweise für unbegründet. Der Antrag, der im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht gestellt worden sei, weiche gänzlich von dem ursprünglich schriftsätzlich angekündigten Antrag ab. Hierzu hätte dem Betriebsrat ergänzend rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Der Betriebsrat verbleibe dabei, dass in den innerbetrieblichen Verhandlungen ein anderer Verhandlungsgegenstand, jedenfalls nicht die vollständige Schließung der Produktion am Standort in N, Inhalt der Gespräche gewesen sei.

Der Betriebsrat beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Minden vom 28.02.2014 unter dem Aktenzeichen 2 BV 8/14 die gestelltenBeschlussanträge zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberinnen beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung als zutreffend und meinen, dass inhaltlich eine Auseinandersetzung des Betriebsrates mit den rechtlichen Voraussetzungen der Einsetzung einer Einigungsstelle nicht stattgefunden habe. Der in der Antragsschrift beim Arbeitsgericht formulierte Antrag sei auslegungsfähig gewesen. Insbesondere in der Antragsbegründung sei immer davon die Rede gewesen, dass eine Schließung der gesamten Stuhlproduktion am Standort N sowie die Errichtung eines Design-Centers am Standort N vorgesehen seien. Dies ergebe sich auch aus den vorgelegten Entwürfen von Interessenausgleich und Sozialplan.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

B.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet, da das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, dass die Einigungsstelle zur Regelung eines Interessenausgleichs und von den Sozialplänen für die Arbeitgeberinnen nicht im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich unzuständig ist.

I.

1.

Die Einigungsstelle zum begehrten Regelungsgegenstand war einzurichten, weil keine offensichtliche Unzuständigkeit im Sinne des § 98 Abs. 1 Abs. 2 ArbGG gegeben ist. Offensichtlich unzuständig ist eine Einigungsstelle nur dann, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt, sich also die Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand subsumieren lässt (vgl. nur LAG Hamm, Beschluss vom 18.12.2009, 13 TaBV52/09 m.z.N. zur Rechtsprechung und Literatur; LAG Hamm, Beschluss vom 17.12.2013, 7 TaBV 91/13 bei juris).

2.

Bei den von den Arbeitgeberinnen vorgetragenen Veränderungen an dem Standort in N handelt es sich zweifelsohne um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Ziff. 1 ggf. auch Ziff. 2 und Ziffer 4 BetrVG. Soweit dargelegt ist, die Arbeitgeberinnen beabsichtigten die vollständige Einstellung der Produktion und der produktionsnahen Bereiche am Standort N und deren Verlagerung nach Schweden, handelt es sich jedenfalls um eine Einschränkung bzw. Stilllegung von wesentlichen Betriebsteilen im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift. Dass im Übrigen die sonstige Voraussetzung, nämlich die Betriebsgröße mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern vorliegt, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

II.

Entsprechend den Ausführungen zu I. hat der Betriebsrat auch im Beschwerdeverfahren nicht die Auffassung vertreten, eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit liege nicht vor; er hat sich vielmehr darauf berufen, dass während der innerbetrieblichen Verhandlungen nicht über den im Rahmen des Gerichtsverfahrens beabsichtigten Regelungsgegenstand verhandelt worden sei und demzufolge - so versteht die Beschwerdekammer den Vortrag - ein Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt für die Arbeitgeberinnen zur Einrichtung der Einigungsstelle in Abrede gestellt.

Dieser Auffassung vermochte die Beschwerdekammer nicht zu folgen.

1.

Zwar weist der Betriebsrat zutreffend darauf hin, dass bei beabsichtigten betrieblichen Regelungen innerbetriebliche Verhandlungen wegen der gesetzlichen Verpflichtung des § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu führen sind (LAG Hamm, Beschluss v. 04.10.2010, 13 TaBV 74/10). Allerdings bedurfte es durch das Gericht keiner weiteren Aufklärung, ob gegebenenfalls noch Verhandlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der vom Betriebsrat behaupteten Veränderung des Regelungsgegenstands bestanden haben. Denn das angerufene Arbeitsgericht wie auch die Beschwerdekammer ist nicht befugt, anhand objektiver Kriterien bis ins letzte Detail aufzuklären, ob noch ein betrieblicher Verhandlungsspielraum besteht, bevor eine Einigungsstelle eingerichtet wird. Vielmehr obliegt dem Arbeitsgericht im Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG lediglich eine sogenannte Missbrauchskontrolle, nämlich die Prüfung der Frage, ob der Antrag eines Betriebspartners auf Einrichtung einer Einigungsstelle willkürlich, rechtsmissbräuchlich ist. Dieser begrenzte Prüfungsumfang ergibt sich aus § 74 Abs. 1 Satz 2 und § 2 Abs. 1 BetrVG. Des Weiteren spielt in diesem Zusammenhang § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG eine Rolle, woraus sich ergibt, dass in solchen mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, der Antrag nur einer Seite genügt. Des Weiteren ist in § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu berücksichtigen, wonach eine Einigungsstelle "bei Bedarf" zu bilden ist.

Das Zusammenspiel der vorzitierten Normen macht deutlich, dass es in der subjektiven Entscheidungssphäre eines Betriebspartners liegt, ob er einen Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle stellt oder nicht. Dabei ist es auch nicht zu beanstanden, wenn einer der Betriebspartner aus subjektiver Sicht Verhandlungen für gescheitert hält. Müsste nämlich über diese Frage entweder eine Einigung oder in jedem Fall eine objektive Überprüfungsmöglichkeit bestehen, so würde es keinen Sinn machen, wenn allein der Antrag eines Betriebspartners zur Errichtung der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 BetrVG ausreichen soll. Dieses vom Gesetzgeber zunächst als völlig frei - weil ohne Einschränkungen - angesehene Antragsrecht wird nun dadurch beschränkt, dass der Betriebsrat gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG mit dem Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten soll, die Einigungsstelle nach § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur bei Bedarf einzurichten ist und die Betriebspartner nach § 74 Abs. 1 BetrVG immer mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln haben. Bei all diesen Normen handelt es sich um eine Art Programmsätze, ohne dass ein zwingender Charakter eingeräumt ist. Diese Vorschriften beziehen sich - wie der Gesamtcharakter des BetrVG - darauf, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der betrieblichen Mitbestimmung nicht von einer ständigen Konfrontation zwischen Betriebsrat undArbeitgeber ausgegangen ist, sondern vielmehr auf gegenseitiges Verständnis und Einigungsmöglichkeiten gesetzt hat (vgl. auch Fitting u.a., BetrVG, 27. Aufl., § 74 Rn. 9a m.w.N. zur Rechtsprechung).

Dafür, dass dieser Spielraum im zur Entscheidung stehenden Beschlussverfahren missbraucht worden ist, sieht das Gericht weder nach dem unstreitigen Vorbringen eines der Beteiligten noch nach der Darlegung des Betriebsrates irgendwelche Anhaltspunkte. Allein aus dem von der Arbeitgeberseite vorgelegten Entwurf eines Interessenausgleichs, der streitlos in einer Besprechung vom 10.12.2013 vorgelegt worden ist, ergibt sich nämlich in der Präambel, dass die Verlagerung der Produktion sowie produktionsnahen Bereiche nach Schweden und damit deren Aufgabe in N beabsichtigt sei.

2.

Nach den geschilderten Grundsätzen und den insoweit unstreitig gebliebenen Tatsachen geht die Beschwerdekammer davon aus, dass es - anders als nach dem Streitgegenstandbegriff im gerichtlichen Verfahren - eine Identität von vorprozessualen Verhandlungs- und prozessualem Streitgegenstand nicht geben muss. Dies würde auch mit dem Sinn und Zweck des Vorrangs der betrieblichen Einigung nach §§ 74 ff. BetrVG nicht zu vereinbaren sein. Denn aus der Vielzahl der gesetzlich vorgeschriebenen Fälle, in denen eine Einigungsstelle entscheiden soll, ergibt sich, dass die Arbeitsgerichte in Regelungsfragen zur betrieblichen Einigung nur subsidiär tätig werden sollen, nämlich in den Fällen der rechtlichen Überprüfung von Einigungsstellensprüchen. Auch diese Überprüfung ist bekanntermaßen nur im begrenzten Umfang durchzuführen. Ansonsten ist es den Betriebspartnern überlassen, in welchem Umfang sie mit oder ohne Einigungsstelle eine betriebliche Einigung versuchen wollen. Dies alles in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs, wie oben dargelegt.

Nach alledem handelt es sich bei dem im Termin zur Anhörung der Beteiligten vor dem Arbeitsgericht am 28.02.2014 formulierten Antrag nicht um eine im Sinne des Betriebsratsvortrages schädliche Abweichung vom vorprozessualen Vorbringen, sondern lediglich um eine Antragskonkretisierung, die zumindest vor dem Hintergrund der in den Besprechungen vorgelegten Entwürfe von Interessenausgleich und Sozialplänen verständlich ist.

III.

Da weder die Anzahl der Beisitzer, noch die Person des vom Arbeitsgericht eingesetzten Vorsitzenden Anlass zur Diskussionen im Beschwerdeverfahren waren, war wie beantragt zu entscheiden. Im Übrigen weist hierzu die Beschwerdekammer abschließend darauf hin, dass es keine antragsmäßige Bindung an die von einem Betriebspartner benannte Person des Vorsitzenden gibt (LAG Hamm, Beschluss vom 04.10.2010, 13 TaBV 74/10 bei juris Rn. 50 ff. m.w.N.).