VG Ansbach, Urteil vom 12.06.2014 - AN 1 K 13.31001
Fundstelle
openJur 2014, 13259
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der 1996 geborene Kläger ist Staatsangehöriger des Kosovo serbischer Volkszugehörigkeit und orthodoxer Christ.

Der Kläger reiste gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Schwestern mit Hilfe eines Schleusers am... 2013 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am ... 2013 Asyl.

Die Klage der Eltern und Schwestern des Klägers ist unter dem Aktenzeichen AN 1 K 13.31055 beim Verwaltungsgericht ... anhängig.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am ... trug der Kläger im Wesentlichen vor, ein Albaner habe seinen Vater und ihn im Auto angehalten und den Vater tätlich angegriffen. Dieser habe gesagt, sie hätten als Serben im Kosovo nichts verloren. Er und seine Schwestern seien auf dem Weg in die Schule öfter mit Steinen beworfen worden, es sei auch in den Garten geschossen und ihre Kuh gestohlen worden. Von einer Anzeige bei der Polizei habe man abgesehen, da sonst noch Schlimmeres zu befürchten gewesen sei. Nach Serbien hätten sie nicht ausreisen wollen, da sie dort kein Land und kein Haus besäßen.

Mit Bescheid vom 5. November 2013, dem Kläger zugestellt am 11. November 2013, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihm wurde die Abschiebung in den Kosovo, nach Serbien oder in jeden anderen Staat, der zur Aufnahme bereit oder verpflichtet sei, angedroht.

Der Kläger ließ mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. November 2013, eingegangen am 18. November 2013, Klage erheben und sinngemäß beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. November 2013 aufzuheben,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zu zuerkennen,

hilfsweise,

dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen

und festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht.

Zugleich wurde beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes anzuordnen.

Zur Begründung der Klage wurde vorgetragen, es sei bekannt, dass Serben im Kosovo als Menschen zweiter Klasse behandelt würden. Der Kläger sei im Kosovo wegen seiner Volkszugehörigkeit verfolgt worden.

Die Stadt ..., aus der der Kläger stamme, befinde sich im Westen des Kosovo. Es handle sich um eine sogenannte serbische Enklave, die von Albanern umkreist sei. Dort sei die Situation für die Serben sehr schwierig. So sei berichtet worden, dass unbekannte Personen das Haus des Serben ..., Rückkehrer im Dorf ... in der Gemeinde ... mit Steinen beworfen hätten. Unbekannte Personen seien im gleichen Dorf auch in die Objekte der serbischen Familien ... und ... eingebrochen.

Obwohl seit 1999 im Kosovo offiziell Frieden herrsche, komme es dennoch zu vereinzelten Übergriffen auf nicht albanische Minderheiten im Kosovo (wird nachfolgend näher ausgeführt).

Die Androhung einer Abschiebung sei ungeachtet des Asylverfahrens auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 und 2 GG sowie Art. 3 EMRK unzulässig, da dies zumindest zu Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der Kläger führen würde.

Nach den neuen Entwicklungen im Kosovo gerieten Serben bei einer Rückkehr in den Kosovo in eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Die Situation könne derzeit so gefährlich sein, dass eine extreme Gefahrenlage vorliege, die dazu zwinge, im Einzelfall den Abschiebungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 20. November 2013,

den Antrag abzulehnen und die Klage abzuweisen.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss vom 20. November 2013 – AN 10 S 13.31000 abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 5. November 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, 5 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG oder des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs.1 AsylVfG. Auch steht ihm kein nationaler Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu.

Es kann offenbleiben, ob das Bundesamt zu recht davon ausging, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorlagen (§ 30 Abs. 1 AsylVfG), da der Bescheid nicht auf § 30 Abs. 3 AsylVfG mit der ausländerrechtlichen Folge des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gestützt wurde, so dass eine isolierte Aufhebung der Offensichtlichkeitsentscheidung nicht in Betracht kommt (vgl. VG Augsburg, U. v. 11.4.2011 – Au 6 K 10.30146 – juris).

Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes und des Aufenthaltsgesetzes mit den am 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. Seite 3474) anzuwenden.

Der Kläger hat seinen Asylantrag in der mündlichen Verhandlung wegen der Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf dem Landweg zulässig auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, §§ 26 a, 13 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).

1. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylVfG besteht nicht.

Der Kläger hält sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Nationalität (§ 3 b Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG) außerhalb des Kosovo auf, da der kosovarische Staat und internationale Organisationen grundsätzlich in der Lage und willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Generell ist ein solcher Schutz nach § 3 d Abs. 2 AsylVfG gewährleistet, wenn der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

Es ist nach dem Vorbringen des Klägers nicht auszuschließen, dass er und seine Familie in ihrem Herkunftsort ... im Gemeindegebiet ..., einer serbischen Enklave im Kosovo, Opfer von Übergriffen albanischer Volkszugehöriger wurden. Das Vorbringen des Klägers entspricht der aktuellen Auskunftslage, wonach es zwar keine staatliche Repressionen oder Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit gibt, jedoch ethnisch motivierte Verfolgungshandlungen durch nicht-staatliche Akteure weiterhin nicht ausgeschlossen werden können. Die Akzeptanz der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander hat seit der Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008 weiter zugenommen. Nur selten lässt sich bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen überprüfen, ob es sich um ethnisch motivierte Streitigkeiten handelt.

Für gezielte Repressionen gegen die serbische Minderheit gibt es keine Hinweise. Bei vereinzelten Vorfällen, die vor allem vom Office of Community Support und Faciliation (OCSF/UNMIK) registriert werden, kann nicht durchgehend von einem ethnisch motivierten Hintergrund ausgegangen werden; es kann sich in Einzelfällen auch um Geschäftsstreitigkeiten mit Bezug zur organisierten Kriminalität handeln (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 29. Januar 2014 (Lagebericht des Auswärtigen Amtes), Abschnitt II 2 und 2.1).

Das Verhältnis zwischen Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern ist immer noch angespannt. Diese Auskunftslage wird von den vom Vater des Klägers im Verfahren AN 1 K 13.31055 vorgelegten Presseberichten der serbischen Presse bestätigt, wonach es immer wieder zu Übergriffen auf serbische Volkszugehörige komme. Allerdings verfügt mittlerweile jede regionale Dienststelle der Kosovo Police (KP) über Polizeibeamte, die ausschließlich für die Belange aller Minderheitengemeinschaften zuständig sind. Solche Beamte sind zumeist selbst Angehörige verschiedener Minderheiten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Abschnitt II 2). Diese Beamten unterhalten ständige Kontakte zu den in ihrem Zuständigkeitsbereich lebenden Minderheitengemeinschaften und ihren Führungspersönlichkeiten, um die Bereitschaft zu erhöhen, gegen sie gerichtete Straftaten anzuzeigen und verfolgen zu lassen. Hierbei übt die EULEX-Polizei Monitoring-Funktionen über die Kosovo-Polizei aus.

Auch wenn die Situation wegen der ethnisch bedingten Spannungen oftmals noch als schwierig empfunden wird, ergeben sich nach der Auskunftslage keine Hinweise, dass die Republik Kosovo nicht willens oder in der Lage wäre, ihre Staatsangehörigen vor diesen Übergriffen zu schützen bzw. Übergriffe entsprechend zu ahnden, so dass es sich nicht um im Sinne der Flüchtlingsanerkennung relevante Verfolgungsmaßnahmen handelt (siehe zur Situation der Minderheiten im Kosovo allgemein auch: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo, 9. November 2009, HCR/EG/KOS/09/01).

Ergänzend kann auf die zutreffenden Ausführungen und Begründungen im Bescheid des Bundesamtes verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Der Kläger kann mit seiner Familie außerdem in mehrheitlich serbisch bewohnte Gebiete des Kosovo reisen und sich dort niederlassen. Eine Übersiedelung in andere Landesteile unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen. Dabei sind Ziele der Binnenmigration für Kosovo-Serben mehrheitlich serbisch bewohnte Ortschaften (Lagebericht Abschnitt II 3).

Freiwillige Rückkehrer aus Deutschland, die nicht aus den das Projekt URA II finanzierenden Bundesländern stammen, können Eingliederungshilfen einschließlich Beratungen und psychologische Betreuung durch das Rückkehrerprojekt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Nürnberg erhalten, die in Pristina eine Anlaufstelle unterhält (Lagebericht Abschnitt IV 2).

Die überwiegende Zahl der kosovarischen Gemeindebezirke hat inzwischen eine lokale Rückkehrer- und Integrationsstrategie, die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet; staatliche Sozialhilfeleistungen werden bewilligt. Wohnraum steht – wenngleich mitunter auf niedrigem Standard – ausreichend zur Verfügung. Rückkehrer können die Unterstützung der in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) in Anspruch nehmen. Auch wird die Freizügigkeit für Sozialhilfebezieher nicht eingeschränkt, sofern der Wohnortwechsel bei der zuständigen Gemeindeverwaltung angezeigt wird (Lagebericht Abschnitt III 1 und 1.1).

Der Kläger hat angegeben, in den Jahren 1999 bis 2009 vor seiner Rückkehr in das Kosovo mit seiner Familie in .../Serbien gelebt zu haben. Zwei Tanten sowie ein Onkel des Klägers väterlicherseits sowie ein Onkel mütterlicherseits leben in Serbien. Der Kläger konnte auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären, weshalb eine Ausreise aus dem Kosovo nach Serbien statt nach Deutschland nicht in Frage kam und auch jetzt eine Rückkehr nicht in Frage kommt, obwohl er gemeinsam mit seiner Familie in Serbien 10 Jahre lang seinen Lebensmittelpunkt hatte. Eine Einreise nach Serbien ist rechtlich und tatsächlich für kosovarische Staatsangehörige möglich; der Kläger hätte dort als Binnenvertriebener eingetragen werden können, um soziale und wirtschaftliche Rechte ausüben zu können. Diese Möglichkeit hat er zwar mit der Ausreise nach Deutschland vergeben, weil sie nur bei einer unmittelbaren Einreise aus dem Kosovo besteht. Allerdings kommt auch eine Neuansiedelung in Serbien in Frage, wenn Familienangehörige in Serbien leben, die die Rückkehrer unterstützen und die ihnen helfen können bzw. wenn sie über Fertigkeiten verfügen, die sie in die Lage versetzen, auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden (UNHCR, a.a.O., Abschnitt III B 2, Seite 22).

2. Aus den dargelegten Gründen hat der Kläger auch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG und auf die Feststellung des Bestehens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG keinen Anspruch. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

3. Die dem Kläger im Bescheid gesetzte Ausreisefrist von einer Woche (§§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylVfG) hat weiterhin Bestand. Das Asylverfahrensgesetz sieht eine Verlängerung der Ausreisefrist für den Fall, dass das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vom Verwaltungsgericht nicht bestätigt wird, nicht vor. § 37 Abs. 2 AsylVfG, der für den Fall, dass das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht, das Ende der Ausreisefrist auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens festsetzt, ist nicht entsprechend anwendbar. Auch aus der Regelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG ergibt sich nichts anderes, da diese nur für den Fall der vom Bundesamt als „einfach“ unbegründet abgelehnten Asylanträge Geltung hat (BVerwG, U. v. 3.4.2001 – 9 C 22/00 -, BVerwGE 114, 122-132 = DVBl. 2001, 1522-1526; Hailbronner, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, Rn. 13 zu § 36).

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt die Abschiebung in die Republik Kosovo oder nach Serbien angedroht hat (vgl. VGH BW, U. v. 4.3.1999 – 13 S 742/98 – NVwZ Beilage 1999,84; B. v. 24.9.2007 – 11 S 561/07 – und 22.7.2008 – 11 S 1771/08-).

Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge der §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.