KG, Beschluss vom 05.05.2014 - 2 Ws 163/14 - 141 AR 209/14
Fundstelle
openJur 2014, 12996
  • Rkr:

"Bestimmte Orte" im Sinne von § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB dürfen auch größere Gebiete umfassen. Erforderlich ist dann, dass deren Grenzen so klar umrissen sind, dass der Verurteilte der Weisung mit genügender Sicherheit entnehmen kann, welche Örtlichkeiten er zu meiden hat.

Tenor

1. Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 28. März 2014 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 22. Februar 2007 wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Ausweislich der Urteilsfeststellungen hatte der Beschwerdeführer, der unter den sich häufig im Bereich der Südkolonnaden in Berlin-M., einem Schwerpunkt von Aggressions- und Gewaltdelikten, aufhaltenden Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen eine herausragende Stellung einnahm, bei vier Gelegenheiten im Juni und Juli 2006 gemeinsam mit weiteren Beteiligten drei Geschädigte (unter anderem) aus nichtigem Anlass durch Schläge und Tritte derart massiv misshandelt, dass eines der Opfer drei Tage und ein anderes eine Woche lang stationär in einem Krankenhaus behandelt werden mussten.

Im Rahmen des Vollzuges der Freiheitsstrafe wurde der Beschwerdeführer in der sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt T. behandelt. Am 3. August 2013 widerrief die Anstalt seine am 13. Juni 2013 erfolgte Zulassung zum Freigang, weil er an jenem Tag nach dem Besuch einer Geburtstagsfeier und trotz Alkoholverbots von der Polizei mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,16 Promille angetroffen worden war und der Verdacht bestand, dass er die Scheibe einer Straßenbahnhaltestelle in M. eingetreten hatte. Ein unter dem 8. August 2013 erstelltes kriminalprognostisches Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass bei ihm noch immer ein hohes Risiko für die Begehung von Gewalttaten in der Form von Körperverletzungsdelikten besteht.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Führungsaufsicht entfallen zu lassen oder ihre Dauer abzukürzen. Zugleich hat sie den Beschwerdeführer, der seine Vorführung zum Anhörungstermin verweigert hatte, verschiedene Weisungen erteilt; unter anderem hat sie ihn angewiesen, „den Bezirk Berlin-M.“ nur nach vorheriger Genehmigung durch die Führungsaufsichtsstelle aufzusuchen. Der Beschwerdeführer habe die der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten mit Unterstützung seines gewaltbereiten M.er Bekanntenkreises und nicht zuletzt zur Wahrung seines Status als besonders gefürchtetes Mitglied der gewaltbereiten Szene der Südkolonnaden in Berlin-M. begangen. Der im Rahmen der Therapie in der sozialtherapeutischen Anstalt erarbeitete Rückfallpräventionsplan sehe den Ort M. als Risikoort.

Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte „sofortige Beschwerde“ eingelegt, soweit er das Betreten bestimmter Orte von der vorherigen Genehmigung abhängig macht, und zur Begründung angeführt, dass die Entscheidung ohne einen nachvollziehbaren Grund tiefgreifend in Art. 6 Abs. 1 GG eingreife; seine Verlobte wohne in Berlin-M., er wolle langfristig zu ihr oder in eine preisgünstige Wohnung in der Nähe ziehen; zudem lebe sein Sohn R., für den ein gemeinsames Sorge- sowie Umgangsrecht bestehe, in M. Ferner befinde sich eine der beiden Filialen des elterlichen Betriebes, in welchem er aufgrund der inzwischen eingetretenen Pflegebedürftigkeit seiner Mutter mitarbeiten wolle und gegebenenfalls auch müsse, in M.

Die Strafvollstreckungskammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dabei darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt T. vom 4. Februar 2014 beabsichtige, zu seiner Mutter nach S. zu ziehen. Die Mitarbeit im elterlichen Betrieb habe ursprünglich bereits im Rahmen des Freigangs erfolgen sollen, sei jedoch an fehlender Arbeit für den Beschwerdeführer gescheitert. Dass dieser nun in M. arbeiten müsse, sei nicht glaubhaft dargelegt, zumal er gerade nach S. – dem Sitz der Zweigstelle des elterlichen Unternehmens – ziehen wolle. Davon abgesehen, könne ihm ein Aufenthalt in M. durch die Führungsaufsichtsstelle genehmigt werden. Angesichts der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers und der Schwere seiner Straftaten, die, wie auch der Vorfall am 3. August 2013 nochmals belege, stark an sein M.er Umfeld gebunden sei, sei die Weisung auch nicht unverhältnismäßig.

II.

Die „sofortige Beschwerde“, die sich ausweislich ihrer Begründung allein gegen die Weisung richtet, Berlin-M. nur nach vorheriger Genehmigung durch die Führungsaufsichtsstelle aufzusuchen, ist als (einfache) Beschwerde statthaft (§§ 300, 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) und auch sonst zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Beschwerde vorliegend nur darauf gestützt werden, dass die getroffene Anordnung gesetzwidrig ist. Gesetzwidrig sind Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des der Strafvollstreckungskammer eingeräumten Ermessens überschreiten (vgl. OLG Bamberg StV 2012, 737; OLG Karlsruhe StV 2010, 643; OLG Dresden NJW 2009, 3315; OLG Jena StV 2008, 88; Senat, Beschlüsse vom 23. Januar 2014 – 2 Ws 11/14 – [juris] und 22. Januar 2014 – 2 Ws 14/14 – jew. mit weit. Nachweisen). Dabei ist allein zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung in der angewendeten Vorschrift eine Rechtsgrundlage hat, ob Ermessensmissbrauch vorliegt und ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. März 2013 – 1 Ws 307/12 – [juris]; Senat StraFo 2014, 130 [juris]). Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Anordnung findet im Beschwerdeverfahren hingegen nicht statt (vgl. Senat a.a.O.). Im Übrigen finden die Vorschriften und Rechtsgrundsätze des einfachen Beschwerdeverfahrens uneingeschränkt Anwendung (OLG Karlsruhe a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die angegriffene Weisung nicht zu beanstanden.

1. Die Anordnung findet ihre rechtliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Danach kann das Gericht die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können. „Bestimmte Orte“ brauchen dabei nicht immer spezifisch örtlich konkretisiert zu sein, sondern dürfen auch größere Gebiete umfassen (vgl. Schneider in LK, StGB 12. Aufl., § 68b Rn. 21). Die getroffene Weisung, Berlin-M. nur nach vorheriger Genehmigung durch die Führungsaufsichtsstelle aufzusuchen, hält sich damit im Rahmen der vom Gesetz eröffneten Ausgestaltungsmöglichkeiten (vgl. dazu auch KG Beschluss vom 23. Januar 2014 – 2 Ws 592/13 – zur Bestimmung einer „Gebotszone“).

2. Die Anordnung ist auch hinreichend bestimmt, denn der Beschwerdeführer kann ihr mit genügender Sicherheit entnehmen, welche Örtlichkeiten er ohne Einwilligung der Führungsaufsichtsstelle zu meiden hat (vgl. BGHSt 58, 136, bei juris Rdn. 6). Zwar handelt es sich bei M. nicht (mehr) um einen eigenständigen Stadtbezirk, sondern lediglich um einen Ortsteil des Berliner Bezirks M.-H. Dessen Grenzen sind jedoch ebenfalls klar umrissen und lassen sich erforderlichenfalls ohne weiteres anhand von Kartenmaterial, etwa aus dem Internet, ermitteln (vgl. KG a.a.O.).

3. Die Weisung ist auch verhältnismäßig. Sie stellt insbesondere keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Beschwerdeführers (§ 68b Abs. 3 StGB).

Weisungen sind auch bei der Führungsaufsicht ein spezifisches Mittel, um durch gezielte richterliche Gebote und Verbote spezialpräventiv auf den Betroffenen einzuwirken, wobei auch der Gesichtspunkt der Überwachung des Verurteilten eine legitime Rolle spielt (vgl. Schneider in LK, a.a.O. Rdn. 1).

a) Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass seine „Verlobte“ in Berlin-M. wohne, er „langfristig“ zu ihr oder in eine preisgünstige Wohnung in der Nähe ziehen wolle, dürfte es bereits unbeschadet des Umstands, dass er noch verheiratet ist und deshalb (noch) nicht erneut verlobt sein kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl., § 52 Rdn. 4), an der erforderlichen (vgl. Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 453 Rdn. 19) schlüssigen Behauptung einer Gesetzwidrigkeit fehlen. Denn ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt T. beabsichtigt er, nach der Entlassung zu seiner Mutter nach S. zu ziehen. Jedenfalls vermöchte aber eine offenbar noch wenig konkrete anderweitige Planung keine aktuelle Unzumutbarkeit der in Rede stehenden Weisung zu begründen.

b) Entsprechendes gilt für die angeblich beabsichtigte Mitarbeit des Beschwerdeführers in der M.er Niederlassung des elterlichen Betriebes. Wie die Strafvollstreckungskammer in ihrer Nichtabhilfeentscheidung zutreffend ausgeführt hat, erscheint eine künftige Beschäftigung des Beschwerdeführers in dem Unternehmen bereits angesichts der – jedenfalls in der Vergangenheit – schlechten Auftragslage zweifelhaft. Im Übrigen könnte der eventuellen Erforderlichkeit des Einsatzes des Beschwerdeführers gerade in der Berliner Filiale auch in zumutbarer Weise durch eine entsprechende vorherige Zustimmung der Führungsaufsichtsstelle Rechnung getragen werden.

c) Schließlich rechtfertigt auch der Umstand, dass der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers in M. bei der Kindsmutter lebt, keine andere Beurteilung. Die Weisung erschwert zwar die Ausübung des bestehenden gemeinsamen Sorge- und Umgangsrechts in tatsächlicher Hinsicht; sie tut dies jedoch nicht in unzumutbarer Weise (vgl. OLG Bamberg, NJW 2011, 2151 – bei juris Rdn. 13). Gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB hat ohnehin der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Lediglich bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ist nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ein gegenseitiges Einvernehmen der Eltern erforderlich. Ein solches kann vorliegend jedoch auch telefonisch herbeigeführt werden. Falls dazu doch ausnahmsweise ein Besuch bei der Kindsmutter notwendig werden sollte, kann dieser durch die Führungsaufsichtsstelle gestattet werden. Auch sein Umgangsrecht kann der Beschwerdeführer grundsätzlich ohne weiteres außerhalb Ms wahrnehmen. Bei Bedarf kann die Führungsaufsichtsstelle darüber hinaus auch insoweit Besuchen (vorher) zustimmen.

Dass die Strafvollstreckungskammer sich im Rahmen der in der Nichtabhilfeentscheidung angestellten Ermessenserwägungen nicht ausdrücklich mit der erst in der Beschwerdebegründung vorgetragenen familienrechtlichen Situation des Verurteilten auseinandergesetzt hat, zwingt vorliegend nicht zu einer anderen Entscheidung. Denn es ist (noch) erkennbar, dass sie das Beschwerdevorbringen insgesamt im Blick hatte und in ihre Abwägung hat einfließen lassen. Die Erteilung der Weisung ist damit ausreichend begründet, zumal die Strafvollstreckungskammer insoweit auch in zulässiger Weise auf die fortbestehende Gefährlichkeit des Beschwerdeführers und die Bindung der von ihm verübten schweren Straftaten an sein M.er Umfeld abstellt hat (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1998, 126, 127).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.