OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.07.2011 - 1 A 10058/11
Fundstelle
openJur 2014, 27755
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der dieser selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung der beklagten Stadt, mit der dem Beigeladenen die Umnutzung von Räumlichkeiten in ein "Bistro" gestattet worden ist.

Sie sind als Mitglieder einer Erbengemeinschaft Eigentümer des Anwesens R...straße ... in W... Eigentümer des Nachbargrundstücks R...straße ... ist der Beigeladene. Die beiden Grundstücke liegen im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplanes O 106 "R...", der diesen Bereich, der zu eng bebauten Altstadt mit überwiegend geschlossener Bauweise gehört und sich in der Nähe zur innerstädtischen Fußgängerzone befindet, als allgemeines Wohngebiet ausweist. Dem Beigeladenen wurde auf seinen Bauantrag hin, in welchem er die Zweckbestimmung des Vorhabens im Erdgeschoss des Gebäudes R... straße ... mit "Nutzungsänderung, Einbau eines griechischen Bistros" angegeben hatte, durch Bauschein vom 9. April 2009 die entsprechende Baugenehmigung erteilt. Seitdem wird dort auf einer Fläche von ca. 35 m² (Ausschank- und Bistroraumflächen) eine Schankwirtschaft unter dem Namen "Café I....." betrieben.

Nach erfolglosem Vorverfahren haben die Kläger gegen die vorgenannte Baugenehmigung Klage erhoben, mit der sie insbesondere vorgetragen haben, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der im Bebauungsplan "R..." festgesetzten Gebietsart eines allgemeinen Wohngebietes widerspreche und gegen den Gebietserhaltungsanspruch und das Rücksichtnahmegebot verstoße, zumal vor Erteilung der Baugenehmigung bereits neun Schankwirtschaften/Bistros in der näheren Umgebung vorhanden gewesen seien.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und die angefochtene Baugenehmigung in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Klage sei zulässig. Vor allem habe die Klägerin zu 1), die zusammen mit dem Kläger zu 2) eine Erbengemeinschaft bilde, aufgrund der dadurch bestehenden notwendigen Streitgenossenschaft kein eigenes Vorverfahren durchführen müssen.

Darüber hinaus sei die Klage auch begründet, weil die Baugenehmigung die Rechte der Kläger als Nachbarn verletze. Zwar verstoße die Genehmigung nicht gegen den bauplanungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch. Die dem Beigeladenen genehmigte Nutzungsänderung zum Betrieb eines Bistros sei mit dem Charakter des im Bebauungsplan "R..." festgesetzten allgemeinen Wohngebiets vereinbar, da das Bistro als Schankwirtschaft der Versorgung des Gebiets diene und damit nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in diesem Gebiet zulässig sei.

Die Baugenehmigung verstoße jedoch nach der Anzahl der Schankbetriebe gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Denn in der unmittelbaren näheren Umgebung des Grundstücks der Kläger seien im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zugunsten des Beigeladenen bereits neun weitere Schankwirtschaften auf einer Straßenlänge von ca. 170 m genehmigt gewesen. Hierdurch erhalte dieser Teil des Plangebiets eine Prägung, die mit dessen Eigenart, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht mehr in Einklang zu bringen sei. Der Hinweis darauf, dass den von den einzelnen Wirtschaften ausgehenden Störungen mit gaststättenrechtlichem Vorgehen begegnet werden könne, führe zu keiner anderen Bewertung, da über das Gaststättenrecht keine städtebaulichen Missstände kompensiert werden könnten.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend:

In der erstinstanzlichen Entscheidung komme nicht nachvollziehbar zum Ausdruck, worin der deutliche Widerspruch zwischen dem konkreten Vorhaben und der Eigenart des Baugebiets liege. Das Urteil stelle im Wesentlichen darauf ab, dass eine bestimmte Anzahl von zugelassenen Schankwirtschaften in einem allgemeinen Wohngebiet zu einer mit dem Gebietscharakter nicht mehr zu vereinbarenden Prägung führe. Dabei werde jedoch nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse eingegangen, bei deren Bewertung die überwiegend geringe Größe der ansässigen Gastronomiebetriebe eine maßgebliche Rolle spiele.

Der vom Verwaltungsgericht angenommene städtebauliche Widerspruch bestehe nicht, zumal die jeweiligen Räumlichkeiten vor ihrer gegenwärtigen Nutzung als Schankwirtschaften bereits gastronomisch oder jedenfalls gewerblich genutzt gewesen seien und nicht jedes dieser Bistros innerhalb des überplanten Gebiets liege. Vor der Erteilung der streitgegenständlichen Genehmigung seien in dem fraglichen Bereich sieben Gaststätten/Bistros genehmigt gewesen. Die Gaststätte in der R...straße ... sei später im Jahre 2010 mit Erlaubnis der Bauaufsichtsbehörde in zwei kleine Schankwirtschaften aufgeteilt worden. Diese Gastronomiebetriebe hätten nicht zur Reduzierung von Wohnraum geführt, da deren Räumlichkeiten schon zuvor gewerblich genutzt gewesen seien. Nach der Erteilung der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung habe sie noch zwei weitere Baugenehmigungen erteilt, nämlich für die Anwesen R.....straße ... und R...straße ...-... Ganz überwiegend sei die Gastraumfläche in dem maßgeblichen Gebiet äußerst beschränkt, sodass grundsätzlich auch von einer entsprechend geringen Belastung der Wohnnachbarschaft durch diese gastronomische Nutzung auszugehen sei.

Hinzu komme, dass der überwiegende Teil der Schanklokale nicht dem Geltungsbereich des Bebauungsplans O 106 oder des O 111 und damit deren Ausweisung als allgemeines Wohngebiet unterfalle, sondern in einem unbeplanten Bereich liege, dem man angesichts der vorhandenen Gastronomie den Charakter eines Mischgebietes zuschreiben könne.

Allein der Umstand, dass sich im Bereich der R...straße eine Konzentration gastronomischer bzw. gewerblicher Einrichtungen zur Versorgung der Altstadt herangebildet habe, könne nicht zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes führen. Vielmehr spiegele die Einrichtung zahlreicher, aber kleiner Lokalitäten die von ihrer fremdländischen Herkunft geprägten Bedürfnisse und Vorlieben der überwiegenden Anzahl der Altstadtanwohner wider, deren Versorgung mit gastronomischen Angeboten dieses Aufkommen an Gastronomiebetrieben diene.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Der nicht anwaltlich vertretene Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor:

Hervorzuheben sei, dass das im Streit stehende Vorhaben zu einem Zeitpunkt genehmigt worden sei, zu dem in der R...straße bereits neun Schankwirtschaften/Bistros auf einer Straßenlänge von ca. 170 m existiert hätten. Mit diesen befänden sich nunmehr 10 Einrichtungen in der R...straße, die mit erheblichen Lärmbelästigungen - vor allem nachts - verbunden seien. Es fehlten insbesondere Auflagen hinsichtlich der Ruhezeiten und der Lärmgrenzwerte in der Baugenehmigung. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass Widerspruch gegen die Genehmigung gegen das Objekt R...straße ... eingelegt worden sei.

Ferner bleibe festzuhalten, dass weder nach der Betriebsbeschreibung noch nach der tatsächlichen Umsetzung des genehmigten griechischen Bistros eine Schank- und Speisegaststätte vorliege. Es würden lediglich Getränke ausgeschenkt. Daneben werde laute Musik geboten und es seien Geldspielautomaten aufgestellt, sodass das Lokal als eine im allgemeinen Wohngebiet unzulässige Vergnügungsstätte anzusehen sei.

Wegen der Unbestimmtheit des genehmigten Vorhabens habe die Beklagte auch nicht dessen Gebietsbezogenheit beurteilen können. An dieser fehle es, da die Einrichtung überwiegend von ortsfremden Gästen aufgesucht werde und es auch kaum vorstellbar sei, dass ein maßgeblicher Teil des Umsatzes durch die Bewirtung von im Plangebiet wohnender Kunden erzielt werde.

Die Beklagte habe zudem versäumt, nachbarschützende Auflagen zu erlassen. Sie hätte im baurechtlichen Verfahren über die Zumutbarkeit von Immissionen entscheiden und auch Betriebszeitregelungen treffen müssen. Dies könne nicht der gaststättenrechtlichen Genehmigung überlassen bleiben.

Im Übrigen widerspreche die durch das genehmigte Vorhaben erhöhte Anzahl von Bistros dem Charakter eines allgemeinen Wohngebiets und mache durch die Konzentration dieser Art von Einrichtungen das Wohngebiet für die dort vorherrschende Stellung der Hauptnutzungsart "Wohnen" unattraktiv.

Die hier vorgenommene Konzentration sei nur in Kerngebieten üblich. Auch wenn nicht alle Gaststätten/Bistros innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplanes lägen, so seien die übrigen gastronomischen Einrichtungen mit einzubeziehen, da sie von außen auf das ausgewiesene Baugebiet einwirkten.

Von dem genehmigten Vorhaben gingen darüber hinaus unzumutbare Lärmbelästigungen durch laute Musik, Betriebsgeräusche der Geldautomaten, Laufgeräusche, lautstarke Unterhaltung der Gäste und Zu- und Abfahrtslärm aus. Das genehmigte Vorhaben führe zu regelmäßigen nächtlichen Ruhestörungen, was zur Unvermietbarkeit der im Nachbarhaus vorhandenen Wohnungen geführt habe. Da die Lärmimmissionen für ein Bistro dieser Art nicht atypisch seien, habe das Vorhaben wegen Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot nicht genehmigt werden dürfen.

Schließlich verstoße das Vorhaben wegen des nicht vorhandenen erforderlichen Schallschutzes gegen Bauordnungsrecht.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten sowie aus den beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten (2 Bände). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, denn die angefochtene bauaufsichtliche Nutzungsänderungsgenehmigung der Beklagten verletzt die Kläger in nachbarschützenden Rechten.

Dabei scheitert die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der Klägerin zu 1) nicht daran, dass Letztere nicht ausdrücklich in eigener Person ein Widerspruchsverfahren gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung durchgeführt hat. Denn der Text des unter dem Namen des Klägers zu 2) eingelegten Widerspruchs im Schreiben vom 26. September 2009 lässt ohne Weiteres erkennen, dass dieser Widerspruch vom Kläger zu 2) auch im Namen seiner Mutter - der Klägerin zu 1) - eingelegt werden sollte. Dieses Schreiben weist nämlich u.a. folgenden Wortlaut auf: "Von diesem Verwaltungsakt, an dem wir - meine Mutter und der Unterzeichner - als direkte Nachbarn nicht beteiligt waren, haben wir definitiv erst .... erfahren. Wir sehen durch diese Nutzungsänderung eindeutig eine Verletzung unserer Nachbarschaftsrechte .... ."

Dies ist verständiger Weise dahin auszulegen, dass auch im Namen der Klägerin zu 1) Widerspruch eingelegt werden sollte, was auch letztlich durch das Schreiben an den Stadtrechtsausschuss vom 18. Oktober 2009 bestätigt wird, in welchem der Satz enthalten ist: "An der Sitzung ...., bei der unser Widerspruch verhandelt wird, nehme ich gerne teil."

Dies spricht dafür, dass der Kläger zu 2) auch in Vertretung für seine Mutter, die Klägerin zu 1), Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegen wollte. Falls der Stadtrechtsausschuss insoweit Zweifel gehabt haben sollte, hätte er den Kläger zu 2) zur Klarstellung und gegebenenfalls zur Vorlage einer Vollmacht auffordern müssen. Jedenfalls ist nunmehr eine Klarstellung durch die Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat erfolgt. Sie hat bestätigt, dass auch in ihrem Namen der Widerspruch eingelegt werden sollte und im Übrigen die für sie vom Kläger zu 2) vorgenommene Widerspruchseinlegung genehmigt. Ist somit aber über den Widerspruch der Klägerin zu 1) bisher noch nicht entschieden worden, so ist die spätere auch in ihrem Namen erhobene Klage zumindest als Untätigkeitsklage zulässig, ohne dass an dieser Stelle entschieden werden müsste, ob dem Erfordernis eines Vorverfahrens hier bereits im Rahmen einer notwendigen Streitgenossenschaft durch das vom Kläger zu 2) durchgeführte Vorverfahren genüge getan wurde.

Bestehen mithin hinsichtlich der Zulässigkeit der von der Klägerin zu 1) und von dem Kläger zu 2) erhobenen Klage keine Bedenken, so können diese - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - einen Aufhebungsanspruch nicht mit Erfolg auf einen allgemeinen "Gebietserhaltungsanspruch" stützen, der auf Bewahrung der vom Bebauungsplan festgesetzten Gebietsart gerichtet ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4C 28/91 - BVerwGE 94, 151). Dieser Anspruch räumt jedem Planbetroffenen die Möglichkeit ein, das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets zu verhindern. Entgegen der Ansicht der Kläger steht hier jedoch das von der Beklagten genehmigte Bistro von seiner Art her in Einklang mit dem durch Bebauungsplan O 106 ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiet und der von der Baunutzungsverordnung vorausgesetzte typischen Funktion eines solchen Baugebiets. Allgemeine Wohngebiete dienen gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen; zulässig sind aber auch die der Versorgung des Gebiets dienenden Schank- und Speisewirtschaften. Um einen solchen in einem WA-Gebiet zulässigen Betrieb handelt es sich bei dem hier genehmigten Bistro.

Eine andere Bewertung ergibt sich nicht - wie die Kläger meinen - daraus, dass in dem genehmigten Bistro keine Küche vorhanden ist und von daher auch keine Speisen ausgegeben werden können. Denn zum Begriff "Schank- und Speisewirtschaft" gehören auch Betriebe, in denen nur Getränke ausgegeben werden, da im städtebaulichen Planungsrecht die Unterscheidung zwischen Schankwirtschaften einerseits und Schank- und Speisewirtschaften andererseits keine rechtliche Bedeutung hat (s. Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Bd. 5, § 2 BauNVO Rn. 33).

Ebenso wenig steht der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bistros der Umstand entgegen, dass in dem Schankraum möglicherweise zu viele Spielgeräte aufgestellt worden sind. Denn dies ist allenfalls eine Frage der unzulässigen Nutzung der genehmigten Bistroräume, nicht aber eine Frage der baurechtlichen Genehmigung.

Auch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass - wie von den Klägern behauptet wird - das genehmigte Bistro nicht der Versorgung des Gebiets im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO dient. Dabei ist das Gebiet, dessen Versorgung eine Schank- und Speisewirtschaft zu dienen bestimmt sein muss, um gemäß dieser Vorschrift im allgemeinen Wohngebiet zulässig zu sein, nicht mit dem Geltungsbereich des für das betreffende Grundstück festgesetzten Bebauungsplans gleichzusetzen und muss deshalb nicht an dessen Grenzen enden. Vielmehr ist an der konkreten städtebaulichen Situation jeweils zu klären, wo die räumliche Grenze des Baugebiets liegt. Als räumlicher Maßstab für diese Beurteilung kann nur ein zusammenhängender, in seiner tatsächlichen oder planerisch angestrebten Struktur als allgemeines Wohngebiet gekennzeichneter Bereich herangezogen werden (s. Bielenberg, a.a.O., § 4 BauNVO, Rn. 14). Hier erscheint es nach der konkreten städtebaulichen Situation - so wie sie sich aus den in den Verwaltungsakten befindlichen Kartenauszügen und den zu den Gerichtsakten gereichten Lageplänen ergibt - angebracht, als maßgebliches Gebiet nicht nur das vom Bebauungsplan O 106 festgesetzte allgemeine Wohngebiet in die Betracht mit einzubeziehen, sondern auch die angrenzenden Wohnbereiche, die von den Bebauungsplänen O 105 und O 111 als WA-Gebiete ausgewiesen sind. Der Versorgung dieses maßgeblichen Wohngebiets dient das genehmigte Bistro dann, wenn es diesem Gebiet funktional zugeordnet ist. Für die Annahme einer solchen funktionalen Zuordnung muss eine Schankwirtschaft nach Standort, Größe, Raumeinteilung, Ausstattung und betrieblicher Konzeption objektiv geeignet sein, auch von den Bewohnern des Gebietes aufgesucht zu werden (vgl. Bielenberg, a.a.O.). Vorliegend ist insbesondere aufgrund der Größe (ca. 35 m² Schankraum einschließlich Thekenraum) und Ausstattung sowie der Betriebskonzeption nicht zu erkennen, dass es sich hier um eine Schankwirtschaft mit überörtlicher Bedeutung handeln und es somit an einer funktionalen Zuordnung zum Wohngebiet fehlen könnte. Allein der Umstand, dass nach Inbetriebnahme des Bistros Lärmstörungen für die Anwohner aufgetreten sind, macht dieses im allgemeinen Wohngebiet planungsrechtlich nicht unzulässig. Gegen solche Unzuträglichkeiten ist gegebenenfalls gaststättenrechtlich einzuschreiten.

Können sich die Kläger mithin nicht mit Erfolg auf einen allgemeinen Gebietserhaltungsanspruch berufen, so ist gleichwohl mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass das Vorhaben im Hinblick auf die bereits vorhandenen gastronomischen Betriebe gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verstößt und daher die angefochtene Nutzungsänderungsgenehmigung auf die Nachbarklage der Kläger hin aufzuheben ist.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der der Aufrechterhaltung der jeweiligen gebietstypischen Prägung dient (BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, 7 C 7/92) sind u.a. Schankwirtschaften im Einzelfalle unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Wo die räumliche Grenze des für diese Beurteilung heranzuziehenden Baugebiets liegt, ist hierbei eine Frage des jeweiligen Einzelfalles. Dabei muss das "Baugebiet" nicht an den Grenzen des Bebauungsplanes enden, in welchem sich das Vorhaben befindet. Vielmehr sind angrenzende Areale, für die eine gleichartige Nutzungsart nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO und der einschlägigen Baugebietsvorschrift festgesetzt oder nach § 34 Abs. 2 BauGB faktisch anzunehmen sind, in die Beurteilung mit einzubeziehen (so Brügelmann-Ziegler, Kommentar zum BauGB, § 15 BauNVO Rn. 28; Steffen in BayVBl. 1999, 161, 164). Ähnliches vertritt das Bundesverwaltungsgericht auch im Zusammenhang mit der sich zu § 12 Abs. 2 BauNVO stellenden Frage, welche Stellplätze und Garagen für den durch den im Baugebiet zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O.).

Im Hinblick darauf erscheint es hier angezeigt, nicht nur das WA-Gebiet des Bebauungsplanes O 106, in welchem sich das Vorhaben des Beigeladenen befindet, sondern auch die gleichartigen Baugebiete der Bebauungspläne O 105 und O 111 sowie den südlich der R...straße gelegenen unbeplanten Teil der Bebauung, der nach dem von der Beklagten zu den Gerichtsakten gereichten Lageplan mit eingetragenen gewerblichen Nutzungen (Bl. 230 der Gerichtsakte) zumindest im Bereich der R...straße (noch) als faktisches WA-Gebiet zu beurteilen ist, als hier maßgebliches Baugebiet im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO in den Blick zunehmen. Dabei wird man vorliegend insbesondere ein Teilgebiet beiderseits der R...straße wegen seiner abgrenzbaren spezifischen baulichen Nutzung (nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten war und ist dieser Abschnitt der R...straße von Ladenlokalen im Erdgeschoss und Wohnnutzung in den Obergeschossen geprägt) als maßgebliches Baugebiet ansehen müssen (s. Bielenberg, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 25 zur Frage des Teilgebiets als räumlicher Prüfungsgegenstand). In diesem (Teil-)Baugebiet waren im hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2009) entlang der R...straße in einem Abschnitt von ca. 170 m bereits neun genehmigte gastronomische Betriebe vorhanden. Dass hier bei einer derartigen Häufung solcher Betriebe durch das weitere Hinzutreten eines Bistros die Eigenart eines allgemeinen Wohngebiets im Hinblick auf die Anzahl gastronomischer Betriebe zusätzlich noch weiter beeinträchtigt wird und die dadurch herbeigeführte Situation dem Gebietscharakter widerspricht (s. Bl. 24 der Widerspruchsakten bezüglich der Anzahl, Lage und Bezeichnung der Betriebe), liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, zumal eine solche Massierung von Schank- und Speisewirtschaften mit dem damit für die Anwohner verbundenen Störungspotential in einem Straßenabschnitt von 170 m normalerweise nicht dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebietes entspricht, sondern sich eher als kerngebietstypisch darstellt.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Beklagten, dass hier etwas anderes gelten müsse, weil es sich bei den Schank- und Speisewirtschaften weitgehend um lediglich kleinräumige gastronomische Betriebe handele. Denn von solchen Betrieben gehen ebenso wie von größeren störende Lärmemissionen für die Wohnnutzung aus, die gerade in ihrer Massierung in einem allgemeinen Wohngebiet nicht mehr hinnehmbar sind und zu einem "Umkippen" des Gebietscharakters führen. Auch der Umstand, dass nach Ansicht der Beklagten die zahlreichen Kleinlokalitäten die von ihr fremdländischen Herkunft geprägten Bedürfnisse und Vorlieben der Altstadtanwohner widerspiegeln, vermag eine Häufung gastronomischer Betriebe gerade in der R...straße nicht zu rechtfertigen.

Ebenso wenig ist die Anzahl der vielen gastronomischen Betriebe entlang der R...straße deshalb anders zu beurteilen, weil nach den Begründungen der Beklagten diese Räumlichkeiten früher anders gewerbliche genutzt waren, vor allem als kleine Einkaufsläden. Abgesehen davon, dass von solchen Läden im Gegensatz zu Schankbetrieben regelmäßig weder Lärm durch alkoholisierte und sich laut unterhaltende Kundschaft noch eine Lärmverursachung durch Kunden zur Nachtzeit zu erwarten sind, geht es vorliegend eben nicht um eine Massierung von Läden in einem WA-Gebiet, sondern vielmehr um eine Häufung gastronomischer Betriebe.

Aber selbst wenn man der oben vorgenommenen Abgrenzung des Baugebietes nicht folgen wollte und das Baugebiet auf das Bebauungsplangebiet O 106 begrenzen würde, müsste es bei der Annahme eines Verstoßes der Nutzungsänderungsgenehmigung gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im Hinblick auf die Anzahl der gastronomischen Betriebe verbleiben. Denn dann müsste man als "Baugebiet" im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO den südlichen Teil des vom Bebauungsplan "R..." (O 106) ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiets zugrunde legen, der von Bärengasse, R...straße und R...platz umfasst sowie nach Norden hin durch eine von der "Großen Affengasse" gebildeten Linie begrenzt wird. In diesem kleinen Teilbereich sind nach den von den Klägern vorgelegten Lageplan mit Ergänzungen bezüglich weiterer gastronomischen Betriebe (s. Bl. 239 GA), dessen Eintragungen für diesen Bereich von der Beklagten im Wesentlichen in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurden, bereits vier Schank- und Speisewirtschaften vorhanden. Durch das Hinzutreten eines weiteren Betriebes (Bistro) erhielte dieser kleine Gebietsteil eine der Eigenart eines WA-Gebietes widersprechende Prägung, da dann etwa ein Drittel der in diesem Bereich befindlichen Wohnhäuser - wenn auch nur im Erdgeschoss - gastronomisch genutzt würden. Damit bekäme dieses (Teil-)Gebiet einen städtebaulichen Charakter, der mehr einem "Kerngebiet" als einem allgemeinen Wohngebiet entspräche bzw. der diese evtl. ansatzweise schon bestehende Prägung durch das Hinzutreten eines weiteren Betriebes verstärken würde. Dies würde jedoch zu vom Verordnungsgeber nicht gewünschten negativen Auswirkungen auf ein Wohnviertel führen, sodass das Vorhaben auch bei der hier in Rede stehenden Begrenzung des Baugebietes im konkreten Einzelfall als unzulässig anzusehen ist.

Verletzt die angefochtene Baugenehmigung mithin die nachbarschützende Bestimmung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, weil das Vorhaben im Hinblick auf die Anzahl der bereits vorhandenen Schank- und Speisewirtschaften unzulässig ist, so hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend entschieden, die von den Klägern angefochtene Baugenehmigung aufzuheben.

Schließlich bleibt anzumerken, dass die dem Beigeladenen erteilte Nutzungsänderungsgenehmigung möglicherweise auch im Hinblick auf den zu beachtenden Schallschutz gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 16 Abs. 2 LBauO verstößt. Dies bedarf jedoch vorliegend im Hinblick darauf, dass die Baugenehmigung bereits wegen Verletzung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO aufzuheben ist, keiner weiteren Aufklärung und abschließenden Entscheidung.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 2 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG).