VG Münster, Beschluss vom 10.06.2014 - 5 L 347/14
Fundstelle
openJur 2014, 11912
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 5 K 954/14 gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 1. April 2014 wiederherzustellen,

ist unbegründet. Das Gericht versteht diesen Antrag als allein darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung der gegen Nr. 1 der Untersagungsverfügung gerichteten Klage wiederherzustellen. Es besteht kein Anlass, diesen anwaltlich gestellten Antrag erweiternd dahingehend auszulegen, dass hinsichtlich der Nr. 2 der Untersagungsverfügung die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt worden wäre. Hierfür spricht - neben der ausdrücklichen Antragstellung - ausschlaggebend, dass die Antragstellerin in ihrem 26-seitigen Antragsschriftsatz die Zwangsgeldandrohung mit keinem Wort erwähnt, sondern sich ausschließlich mit der Untersagungsverfügung und der Anordnung der sofortigen Vollziehung befasst.

Die aufschiebende Wirkung der gegen Nr. 1 der Untersagungsverfügung gerichteten Klage 5 K 954/14 ist nicht wiederherzustellen.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die Behörde - wie hier mit Blick auf Nr. 1 der streitgegenständlichen Verfügung - die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist jedoch formell nicht zu beanstanden (1.). Die Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus (2.).

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zuständige Antragsgegnerin den formellen Anforderungen der Begründung der Vollziehungsanordnung im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in hinreichender Weise Rechnung getragen. Sie hat nach allgemeinen Darstellungen zu Sinn und Zweck von § 19 Nr. 3 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Apothekerkammer Westfalen-Lippe - BO - explizit auf den Einzelfall Bezug genommen, indem sie ausgeführt hat, dass die von der Antragstellerin praktizierte Gewährung von Vorteilen gekoppelt mit dem Erwerb verschreibungspflichtiger oder sonstiger preisgebundener Arzneimittel die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unmittelbar beeinträchtige. Das geschäftliche Interesse der Antragstellerin müsse dahinter zurücktreten (vgl. S. 8 der Untersagungsverfügung). Damit hat sie in hinreichender Weise deutlich gemacht, dass sie sich des rechtssystematischen Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst war. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht an. Aus diesem Grund führen auch die Einwände der Antragstellerin in dieser Hinsicht nicht weiter: Die materielle Abwägung mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG, der Umstand, dass die Gewährung von geringwertigen Vergünstigungen nach ihrer Ansicht in den letzten 50 Jahren erlaubt gewesen sei, oder die behauptete Unverhältnismäßigkeit der Untersagungsverfügung sind nicht geeignet, den Umstand, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller Hinsicht einzelfallbezogen begründet worden ist, in Frage zu stellen.

2. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weil das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung von Nr. 1 der Untersagungsverfügung ihr Interesse, vorläufig vom Vollzug des angefochtenen Bescheides verschont zu bleiben, nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Würdigung der Sach- und Rechtslage derzeit überwiegt.

Anträgen nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist stattzugeben, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Betroffenen an einem einstweiligen Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig erscheint. Dabei wird ein das öffentliche Interesse überwiegendes Individualinteresse des Betroffenen regelmäßig dann angenommen, wenn der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, wohingegen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung in der Regel zu bejahen ist, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist (a). Lässt sich bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung weder das eine noch das andere feststellen, hängt der Erfolg des Antrags ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren davon ab, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder das entgegenstehende private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache überwiegt (b).

a) Die auf § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG NRW i. V. m. §§ 1 Abs. 2 Satz 2, 19 Nr. 3 BO beruhende Untersagungsverfügung vom 1. April 2014 ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.

aa) Die Untersagungsverfügung ist formell rechtmäßig. Die Antragstellerin ist vor ihrem Erlass durch die gemäß §§ 1 Satz 1 Nr. 2, 2 Abs. 1 HeilBerG NRW, § 21 BO zuständige Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. und 26. Februar 2014 angehört worden (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW). Die schriftlich erlassene Untersagungsverfügung ist hinreichend begründet (vgl. § 39 Abs. 1 VwVfG NRW).

bb) Die Untersagungsverfügung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG NRW ist es Aufgabe der Antragsgegnerin, für die Erhaltung eines hoch stehenden Berufsstandes zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwachen sowie die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände zu treffen; hierzu kann sie auch belastende Verwaltungsakte erlassen. Nach § 19 Nr. 3 BO, der für die Antragstellerin als Mitglied der Antragsgegnerin bindend ist (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BO), ist den Kammermitgliedern unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze insbesondere das Abgehen von dem sich aus der Arzneimittelpreisverordnung ergebenden einheitlichen Apothekenabgabepreis, insbesondere durch das Gewähren von Rabatten oder sonstigen Preisnachlässen sowie von Zuwendungen und Werbegaben und die Werbung hierfür, nicht erlaubt.

Die Antragstellerin verstößt bei summarischer Prüfung mit der Ausgabe von Gutscheinen, die gegen Abgabe eines Rezeptes eingelöst werden können, gegen § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 AMG i. V. m. § 3 AMPreisV. Hiernach ist ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, zu gewährleisten. Ein Verstoß gegen die hiermit angeordnete arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur dann vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung werden vielmehr auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (hier z. B.: Zugabe eines Paares Kuschelsocken bei Abgabe eines Rezeptes).

Vgl. BGH, Urteil vom 9. September 2010 - I ZR 98/08 -, MDR 2010, 1477 = juris, Rn. 15 m. w. N.; Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Oktober 2012 - LBG-H A 10353/12 -, GewArch 2013, 118 = juris, Rn. 34.

Auf die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der mit der Ausgabe des Gutscheins verfolgten Werbemaßnahme kommt es nicht an. Die Preisbindungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes bzw. der Arzneimittelpreisverordnung sind neben den Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes anwendbar. Dies ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Zielsetzungen, die diese Gesetze aufweisen. Während der Zweck der in § 7 HWG enthaltenen Regelung vor allem darin besteht, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, nicht durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst werden sollen, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes nach ihrem Zweck dazu bestimmt, den (Preis)Wettbewerb unter den Apotheken zu regeln. Selbst wenn danach geringwertige Kleinigkeiten im Sinne des Wettbewerbsrechts nicht spürbar sind, bleibt es bei dem gegebenen Verstoß gegen das Arzneimittelrecht.

Vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Oktober 2012 - LBG-H A 10353/12 -, GewArch 2013, 118 = juris, Rn. 38 f.

Auf den konkreten Wert der Kuschelsocken und die von der Antragstellerin zu § 19 Nr. 7 BO sowie zu § 7 HWG und seiner Vereinbarkeit mit Unionsrecht aufgeworfenen Fragen kommt es hiernach nicht an.

Die Kammer schließt sich bei ihrer summarischen Würdigung der Sach- und Rechtslage ergänzend den Gründen im Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 2. Juni 2014 - 7 L 513/14 - an; auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Die Untersagungsverfügung ist hinreichend bestimmt (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW). Der Inhalt der Untersagungsverfügung ist im Zusammenhang mit den Gründen des Verwaltungsaktes und den sonstigen bekannten Umständen für die Antragstellerin als Adressatin des Verwaltungsakts so klar erkennbar, dass sie ihr Verhalten unschwer hiernach ausrichten kann.

Durchgreifende Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich. Ausweislich der Begründung in der Untersagungsverfügung war sich die Antragsgegnerin bewusst, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Sonstige Ermessensfehler bestehen auch in Anbetracht der grundrechtlichen geschützten Interessen der Antragstellerin (Art. 12 Abs. 1 GG) aller Voraussicht nach nicht.

b) Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage. Es spricht Vieles dafür, dass die streitgegenständliche Untersagungsverfügung rechtmäßig ist. Auch ein etwa erforderliches zusätzliches Vollzugsinteresse ist gegeben, weil die von der Antragstellerin praktizierte Gewährung von Vorteilen die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unmittelbar gefährdet und es zudem eine negative Vorbildwirkung hätte, wenn die Antragstellerin vorläufig weiterhin Werbegaben für preisgebundene Arzneimittel ausloben dürfte. Im Übrigen kann - worauf die Antragsgegnerin in zutreffender Weise hingewiesen hat - die Gewährung von Vorteilen auf den Erwerb von Arzneimitteln und anderen Waren, die nicht den Preisbindungsvorschriften unterliegen, unverändert erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist es der Antragstellerin zuzumuten, ihre wirtschaftlichen Interessen bis zu einer endgültigen Klärung der Rechtslage in einem Hauptsacheverfahren zurückzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.