OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2014 - 26 U 178/12
Fundstelle
openJur 2014, 11875
  • Rkr:

Mehrere einfache Behandlungsfehler können in ihrer Gesamtheit als grob fehlerhaft erscheinen. Wird auf eine gebotene Mikoblutuntersuchung des Kindes verzichtet, ist die Entbindung des Kindes schnellstmöglichst zu veranlassen. Wird bei pathologischen CTG-Werten die Geburt verzögert, kann dies als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26. September 2012 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger diejenigen leistungsrechtlichen Aufwendungen zu ersetzen, die ihm dadurch entstanden sind oder noch entstehen werden, dass in der Klinik der Beklagten zu 1) das Kind M X am ... später als 18:20 Uhr geboren wurde. Die weitergehende Klage gegen die Beklagten zu 1) und 3) wird abgewiesen.

Die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage wird vollständig abgewiesen.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) in beiden Instanzen.

Im Übrigen werden die Kosten des Rechtsstreits wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten beider Instanzen werden dem Kläger zu 2/3 und den Beklagten zu 1) und 3) zu 1/3 auferlegt.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) trägt der Kläger zu 1/2; die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1/3. Im Übrigen tragen der Kläger und Beklagten zu 1) und 3) ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung seitens des Gegners durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger hat als überörtlicher Träger der Sozialhilfe und Kostenträger aus übergegangenem Recht wegen vermeintlicher geburtshilflicher Behandlungsfehler die umfassende Feststellung begehrt, dass die Beklagten ihm sämtliche leistungsrechtlichen Aufwendungen zu ersetzen haben, die ihm als Folge der Geburt des Kindes M X am ... entstanden sind oder entstehen werden.

Das Kind wurde im Krankenhaus der Beklagten zu 1) geboren. Der Beklagte zu 2) war Chefarzt der geburtshilflichen Abteilung. Im Rahmen des von der Beklagten zu 3) betreuten Geburtsvorganges kam es ab 17:40 Uhr zu kardiotokografischen Auffälligkeiten in Form eines Absinkens der vitalen Herzfrequenz mit regelmäßig auftretenden Dezellerationen. Die Durchführung einer Mikroblutuntersuchung wurde in Betracht gezogen, jedoch abgelehnt. Gegen 18:05 Uhr normalisierten sich die CTG-Werte zeitweilig. Zur Anregung des Geburtsvorgangs wurde die Mutter des Klägers auf einen Geburtshocker gesetzt, was jedoch den Geburtsvorgang nicht beschleunigte. Nachdem es ab 18:20 Uhr wiederum zu einem Absinken der Herzfrequenz kam, wurde versucht, die Geburt im Kreißbett unter Kristellerhilfe herbeizuführen. Letztlich wurde das Kind gegen 18:43 Uhr nach einer Episiotomie spontan geboren.

Bei dem Kind liegt eine hypoxischischämische Enzephalopathie mit gravierenden Beeinträchtigungen vor, die der Kläger auf geburtshilfliche Fehler, insbesondere unzureichende Überwachung und das Unterlassen einer früheren Geburtsbeendigung, zurückgeführt hat.

Das Landgericht hat nur auf eine eingeschränkte Feststellung dahingehend erkannt, dass diejenigen Aufwendungen zu ersetzen seien, die aus der fehlerhaft um 17:50 Uhr unterlassenen Entscheidung zu einer alsbaldigen Geburtsbeendigung und der daraus resultierenden um ca. 23 Minuten verspäteten Geburt herrührten. Insoweit sei eine Haftung gegeben, weil sich feststellen lasse, dass der Zustand des Klägers bei frühzeitiger Geburt deutlich besser gewesen wäre.

Dagegen richten sich die Rechtsmittel aller Parteien.

Die Beklagten begehren mit ihrer Berufung die vollständige Klageabweisung.

Behandlungsfehler seien ausweislich des erstinstanzlich vorgelegten Privatgutachten des Prof. Dr. L und des nunmehr vorgelegten Privatgutachtens der Dr. I2 nicht unterlaufen. Während der pathologischen Phase des CTG hätte eine Entscheidung zur Sektio nicht gefällt werden müssen; die tatsächlich durchgeführte Umlagerung

und Beendigung des aktiven Pressversuchs sei ausreichend gewesen. Tatsächlich habe sich das CTG dann auch soweit verbessert , dass eine Indikation zur Sektio aus der maßgeblichen exante-Sicht zu dem vom Landgericht angenommenen Zeitpunkt nicht gegeben gewesen sei. Die Verzögerung um ca. 23 Minuten sei zumindest vertretbar.

Die Beklagten bestreiten weiterhin die Kausalität. Es bleibe auch bei der Annahme eines allenfalls einfachen Behandlungsfehlers bei der Beweislast des Klägers; der Beweis der Ursächlichkeit der vermeintlichen Verzögerung für die eingetretenen Beeinträchtigungen sei aber nicht geführt. Das Landgericht habe sich fehlerhaft entscheidend auf die Angaben des gynäkologischen Sachverständigen verlassen, obwohl hierzu der kinderärztliche Sachverständige berufen gewesen wäre. Die Feststellungen des Letztgenannten zu einer schweren hypoxisch- ischämischen Enzephalopathie seien dagegen unpräzise und spekulativ. Es habe keine Asphyxie, sondern eine schicksalhafte perinatale Azidose vorgelegen. Maßgebliche Umstände zur Beurteilung des Krankheitsbildes einer Enzephalopathie seien nicht ermittelt worden, insbesondere, wann erstmals neurologische Auffälligkeiten bemerkt worden seien. Auch die Annahme einer zerebralen dystonen Bewegungsstörung sei nicht gesichert.

Mögliche Ansprüche seien jedenfalls verjährt. Ausweislich eines Schreibens vom 17.11.2008 habe sich der Kläger bereits seit Mai 2005 um die Aufklärung eines möglichen Behandlungsfehlers bemüht und somit Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt. Mangelnde aktenmäßige Erfassung und unzureichender Informationsaustausch zwischen den Abteilungen des Klägers sei als Fall grob fahrlässige ... Unkenntnis zu bewerten.

Die Beklagten beantragen,1.das Urteil des Landgerichts Bochum vom 26.09.2012 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen;

2.

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,1.abzuändern festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche leistungsrechtlichen Aufwendungen zu ersetzen, die ihm als Folge der in der Klinik der Beklagten zu 1) durchgeführten Geburt des am ... geborenen M X, I-Str. in ...# C entstanden sind oder entstehen werden;2.die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil, soweit es seinem Begehren entsprochen hat. Im Übrigen verfolgt er mit seiner Berufung sein weitergehendes erstinstanzliches Begehren auf umfassende Feststellung weiter.

Es sei davon auszugehen, dass das Kind bereits zwischen 17:50 Uhr und 18:00 Uhr durch Zangenoder Saugglockenentbindung hätte geboren werden können. Das ergebe sich bereits daraus, dass diese Möglichkeit nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X wahrscheinlich gewesen sei. Verbleibende Zweifel gingen sodann zulasten der Beklagten, weil diese es behandlungsfehlerhaft unterlassen hätten, die Entscheidung für eine sofortige Entwicklung des Kindes zu treffen und sie dadurch die Dokumentation unterlassen hätten, die nunmehr verbleibende Zweifel ausgeräumt hätte.

Selbst wenn man den Zeitraum bis zur Durchführung einer Notsektio zugrundelegen würde, wäre eine volle Haftung gegeben. Denn auch dann wäre den Beklagten als Primärschaden eine schwere zerebrale Schädigung mit postpartalen Anpassungsstörungen, dsystonen ataktischen zerebralen Bewegungsstörungen und eine schwere Spracheentwicklungsstörung anzulasten, die sämtliche Aufwendungen veranlassten. Im übrigen sei es Sache der Beklagten, nachzuweisen, welche Schäden nicht auf ihrem Behandlungsfehler beruhten.

Im Übrigen verteidigt er die landgerichtliche Entscheidung gegen die Berufungsangriffe der Beklagten. Tatsächlich habe eine behandlungsfehlerhaft verursachte Asphyxie bestanden, die jedenfalls zu einer Haftung im erkannten Umfang führe.

Die Ansprüche seien auch noch nicht verjährt. Vor 2006 hätte weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vorgelegen. Im übrigen sei eine Hemmung durch den Verzicht auf die Einrede der Verjährung gegeben.

Der Senat hat den Vater des Klägers und den Beklagten zu 2) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung mündlicher Gutachten des geburtshilflichen Sachverständigen Prof. Dr. X und des neonatologischen Sachverständigen PD Dr. I. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung im erkannten Umfang unbegründet.

1.

Die Berufung des Beklagten zu 2) hat Erfolg. Die Klage gegen ihn war abzuweisen, weil haftungsbegründende Tatbestände zu seinen Lasten nicht feststellbar sind.

Der Beklagte zu 2) war nach seinem nicht angegriffenen Vorbringen in die fraglichen geburtshilfliche Behandlung persönlich nicht eingebunden. Vertragliche Beziehungen zwischen dem Beklagten zu 2) und dem Kläger werden nicht behauptet und sind auch nicht ersichtlich. Für eine Haftung aus Organisationsmängeln sind ebenfalls Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich.

2.

Zu Recht hat das Landgericht dagegen der Klage gegen die Beklagten zu 1) und 3) im erkannten Umfang stattgegeben.

Gegen die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens bestehen aus den Gründen der landgerichtlichen Entscheidung keine Bedenken.

Der Feststellungsantrag ist auch im erkannten Umfang begründet. Die Beklagten zu 1) und 3) haften wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern gemäß den §§ 823, 611, 280, 249 ff. BGB für die daraus dem Kind M X entstandenen Schäden, soweit die Ansprüche gem. § 116 SGB X auf den Kläger übergegangen sind.

Der Senat stützt sich insoweit auf die erstinstanzliche Begutachtung durch die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. X - Geburtshelfer - und PD DR. I - Neonatologe - und ihre überzeugenden Ausführungen bei der Anhörung vor dem Senat.

Auf dieser Basis sind im Krankenhaus der Beklagten zu 1) seitens der Beklagten zu 3) zumindest einfache Behandlungsfehler unterlaufen (a) , die die Behandlung in ihrer Gesamtheit als grob fehlerhaft erscheinen lassen (b), so dass diese Beklagten mangels Entlastung haften (c). Diese Ansprüche sind auch nicht verjährt (d).

a.

Es erscheint fehlerhaft, dass es unterlassen worden ist, gegen 17:50 Uhr die Entscheidung zur sofortigen Beendigung der Geburt zu treffen.

aa.

Der Senat folgt dem geburtshilflichen Sachverständigen darin, dass das Kardiotokogramm ab 17:40 Uhr pathologische Auffälligkeiten auswies. Angesichts des vorangegangenen Geburtsverlaufs erscheint es auch überzeugend, dass gegen 17:50 Uhr die Entscheidung über das weitere Vorgehen hätte getroffen werden müssen.

Dass die von der Hebamme zutreffend in Betracht gezogene Mikroblutuntersuchung unterlassen worden ist, lässt sich auf der Basis der Erläuterungen des Sachverständigen bei der mündlichen Anhörung vor dem Senat allerdings nicht schon für sich allein gesehen als Behandlungsfehler bewerten, weil es insoweit an

dem notwendigen medizinischen Standard fehlt, der die Durchführung in der konkret gegebenen Situation forderte. Denn die Mutter des Klägers befand sich bereits in der Pressphase; außerdem lag ein pathologisches CTG vor. Die Mikroblutuntersuchung bietet sich dagegen auch wegen des Zeitaufwandes von 10-15 Minuten nur in früheren Phasen der Geburt an, primär in der Eröffnungsphase. Ungeachtet des Umstandes, dass eine solche Mikroblutuntersuchung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sichere Erkenntnisse zu dem für die Frage der Geburtsbeendigung wichtigen pH- Wert ergeben hätte, ist ihr Unterlassen deshalb nicht als fehlerhaft anzusehen.

Den Beklagten zu 1) und 2) ist es jedoch anzulasten, dass sie in dem Zeitraum von 17:50 Uhr bis 18:00 Uhr bei zulässigem Verzicht auf die Mikroblutuntersuchung nicht die dann notwendige Entscheidung zur sofortigen Geburtsbeendigung durch Schnittentbindung getroffen haben. Denn ohne Erkenntnis über den pH-Wert war ein weiteres Zuwarten wegen der Gefahr der Schädigung des Kindes nicht mehr gerechtfertigt.

Der vergebliche Versuch der Förderung der Geburt durch die Anwendung des Geburtshockers war dagegen über den hier gegebenen Zeitraum von 18:05 Uhr bis 18:30 Uhr fehlerhaft. Nach den Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen wäre allenfalls ein einziger kurzfristiger Versuch akzeptabel gewesen.

Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg unter Berufung auf das Privatgutachten Prof. Dr. L darauf berufen, dass die Herztöne ab 18:05 Uhr zeitweilig wieder im Normbereich gelegen haben und das CTG in der Schlussphase der Geburt zwischen 18:20 Uhr und 18:43 Uhr zwar auffällig, aber nicht hochpathologisch gewesen ist. Denn der geburtshilfliche Sachverständige hat plausibel darauf verwiesen, dass das Kind schon aufgrund der pathologischen Werte in der Zeit von

17:30 Uhr bis 18:00 Uhr geschädigt sein konnte. Deshalb hätte die von ihm geforderte Entscheidung zur Entbindung bereits gegen 17:50 Uhr getroffen werden müssen.

Auch das im Berufungsverfahren vorgelegte Privatgutachten Dr. I2 hat für den Sachverständigen auf Vorhalt entsprechend seiner Erläuterung bei der mündlichen Anhörung durch den Senat zu Recht keine Veranlassung gegeben, von seiner Meinung abzuweichen. Die Privatsachverständige kommt ohne weitergehende Begründung lediglich zu einem anderen Ergebnis als der gerichtliche Sachverständige. Der Senat hält deshalb die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen mangels Anhaltspunkten für eine mögliche Unrichtigkeit für überzeugend.

bb.

Entgegen der Ansicht des Klägers hätte die notwendige Geburtsbeendigung allerdings nicht schon bis gegen 18:05 Uhr durch eine Sauglocken- oder Zangengeburt herbeigeführt werden müssen.

Der Senat folgt auch insoweit dem geburtshilflichen Sachverständigen darin, dass sich die Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise nach den Zustand des Kindes richtet. Hinreichende Anhaltspunkte für diese Art der Geburtsbeendigung ergeben sich jedoch aus den Krankenunterlagen nicht. Der Kläger hat insoweit den ihm obliegenden Beweis der Fehlerhaftigkeit des Unterlassens einer Saugglocken -oder Zangengeburt nicht geführt.

Es verbleibt deshalb dabei, dass als Behandlungsfehler das Unterlassen der Entscheidung zur Geburtsbeendigung gegen 17:50 Uhr und die daraus resultierende Verzögerung der Beendigung der Geburt um ca. 23 Minuten zwischen 18:20 Uhr (Ende bei Schnittentbindung) und 18:43 Uhr (tatsächliche Geburt) zu bewerten ist.

b.

Die Vorgehensweise ist als grob fehlerhaft zu bewerten, also als eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse, wobei diese Vorgehensweise aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr

verständlich erscheint, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. dazu etwa BGH NJW 2001, S.2795 [2796]).

Es kann dahingestellt bleiben, ob hier schon einzelne der Behandlungsschritte als grobe Fehler zu werden sind. Jedenfalls aber ist bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller Umstände (dazu etwa BGH-Urteil vom 27.01.1998 - VI ZR 339/96 - Juris unter Rz.11) eine grobe Fehlerhaftigkeit anzunehmen.

Bei dem Kind hat eine durch das pathologische CTG vor 17:50 Uhr ausgewiesene Gefährdung vorgelegen. Ohne diese Gefährdung bei weiterem Unterlassen einer Schnittentbindung auszuschließen, ist noch nach 18:00 Uhr über ca. 25 Minuten erfolglos der Versuch des Vorantreibens der vaginalen Geburt auf einem Geburtshocker betrieben worden. Sodann ist ab 18:30 Uhr die Entwicklung des Kindes weiter unter Kristellerhilfe im Kreißbett unternommen worden, so dass erst um 18:43 Uhr entbunden worden ist. Auch wenn der Sachverständige die Dramatik der Entwicklung als ex ante nicht erkennbar, das Ergebnis als überraschend und das Abstellen auf die zeitweilig ab 18:05 Uhr verbesserten CTG-Werte jedenfalls für einen Anfänger als nur einfach fehlerhaft angesehen hat, verbleibt es doch andererseits dabei, dass der geburtshilfliche Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat das Unterlassen der Entbindung und die Durchführung völlig anderer Maßnahmen über einen Zeitraum von 18:00 Uhr bis 18:43 Uhr als nicht mehr nachvollziehbar bezeichnet hat.

Der Senat bewertet auf dieser Basis das Gesamtgeschehen als grob fehlerhaft. Nachdem ausweislich des Vorschlags der Hebamme zur Blutgasuntersuchung gerade auch für die Beklagte zu 3) ab 17:50 Uhr ohne die Durchführung einer solchen Untersuchung die Notwendigkeit der Entscheidung zu einer sofortigen Entbindung ersichtlich gewesen ist, hat sich die Dringlichkeit mit jeder weiteren Minute und jedem weiteren vergeblichen Versuch der Förderung der Entbindung gesteigert. Es erscheint dann aber überzeugend, dass das Nichtangehen der Schnittentbindung über einen so langen Zeitraum den Bereich fachgerechten Verhaltens soweit eindeutig verlassen hat, dass das Verhalten aus medizinischer Sicht nicht mehr verständlich ist.

c.

Es steht auch fest, dass die Verzögerung zu Schäden geführt hat. Zugunsten des Klägers greift hinsichtlich des Primärschadens eine Beweislastumkehr, die nicht allein die unmittelbar herbeigeführte Erstschädigung erfasst, sondern auch die dadurch herbeigeführte gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung (vgl. etwa BGH-Urteil vom v. 02.07.2013 - VI ZR 554/12 -, Juris unter Rz.16). Das führt mangels Beweises mangelnder Kausalität dazu, dass die Beklagten zu 1) und 3) für die Aufwendungen des Klägers haften.

Nach den Ausführungen des neonatologischen Sachverständigen hat sich bei dem Kind sicher eine intrauterine Asphyxie ereignet, die zu einer mäßigen hypoxischischämischen Enzephalopathie mit Ausprägungen in Form von Entwicklungsstörungen und dauerhaften dystonataktischen Bewegungsstörungen geführt hat.

Zwar lässt sich unter Zugrundelegung seiner Bewertung nicht feststellen, ob die Asphyxie durch eine schon 17:50 Uhr und damit erst recht vor 18:20 Uhr - Geburtsbeendigung bei Schnittentbindung - eingetretene und damit den Beklagten nicht zuzurechnende Noxe eingetreten ist, oder ob sich diese zu einem Zeitpunkt ereignet hat, in dem bei rechtzeitiger Schnittentbindung das Kind schon geboren gewesen wäre, das Unterlassen der Schnittentbindung also kausal gewesen ist.

Eine Beweislastumkehr ist jedoch nur dann ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. BGH-Urteil v. - VI ZR 328/03 -, Juris-Veröffentlichung unter Rz.12 ). Das ist hier nicht der Fall, weil der Zusammenhang nach den Ausführungen des neonatologischen Sachverständigen völlig offen ist.

d.

Die Ansprüche sind auch nicht verjährt.

Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ist unter anderem die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Abweichen vom medizinische Standard. Diese Voraussetzung war frühestens mit dem Zugang des

Privatgutachtens Professor Dr. K gegeben, der laut Eingangsstempel am 21.12.2006 erfolgt ist. Die dreijährige Verjährungsfrist lief dann bis zum 31.12.2009. Die Klageschrift ist am 08.10.2009 bei Gericht eingegangen und "demnächst" am 15.10.2009 vor dem Eintritt der Verjährung zugestellt worden.

Eine Haftung der Beklagten ist damit im erkannten Umfang gegeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711, 543 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

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