KG, Beschluss vom 07.03.2014 - 4 Ws 21/14 - 141 AR 86/14
Fundstelle
openJur 2014, 10850
  • Rkr:

1. Zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Beschwerdeverfahren nach erstinstanzlichem Urteil.

2. Für die im Rahmen der Fluchtgefahr zu beurteilende Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 StGB ist hierbei zu berücksichtigen, wenn sie im Einzelfall wahrscheinlich bzw. konkret zu erwarten ist.

3. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen beansprucht grundsätzlich auch in Fällen Geltung, in denen die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, weil sich der Angeklagte in anderer Sache in Strafhaft befindet und für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist. Der Umstand, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird, hebt das Beschleunigungsgebot nicht auf, schwächt es aber ab. Der Maßstab für die Beurteilung des Gewichts von Verzögerungen verschiebt sich und die Anforderungen an die beschleunigte Verfahrensführung sind weniger streng, weil eine völlige Gleichstellung angesichts der geringeren Eingriffswirkung, d.h. der Tatsache, dass ein in anderer Sache inhaftierter, rechtskräftig verurteilter Straftäter von der Untersuchungshaft nicht in derselben Weise betroffen ist wie der als unschuldig geltende Gefangene, bei dem allein diese vorläufige staatliche Zwangsmaßnahme vollzogen wird, nicht sachgerecht ist.

4. Für die Frage, ob der Grundsatz der Beschleunigung bei der Durchführung der Hauptverhandlung ausreichend beachtet wurde, ist nicht eine ausschließlich retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und gar eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten entscheidend. Auch hinsichtlich der Dauer der einzelnen Sitzungen kommt es vielmehr grundsätzlich auf die Planung der Hauptverhandlung durch das Gericht an. Dem Einflussbereich des Gerichts entzogene Umstände können den Verlauf umfangreicher Hauptverhandlungen mit zahlreichen Beteiligten maßgeblich bestimmen sowie erheblich verzögern, weshalb nachträgliche, rein rechnerische Überlegungen zur tatsächlichen (Netto-) Verhandlungszeit ohne die Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung im Regelfall nicht überzeugend sind. Haben einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen, dass die Verhandlungsdichte im Verlaufe einer länger dauernden Hauptverhandlung absinken musste, erscheint es widersprüchlich, wenn sie dem Gericht nachträglich vorhalten, sich unter Beschleunigungsaspekten falsch verhalten zu haben.

5. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren und gilt demgemäß auch nach dem Urteilserlass; Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil fallen aber geringer ins Gewicht.

Tenor

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Januar 2014 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 5. Juni 2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (annähernd 36 Kilogramm eines Kokaingemisches mit einem Wirkstoffgehalt von 26,7 Kilogramm Kokainhydrochlorid) in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr dieser Betäubungsmittel aus Brasilien sowie wegen mittelbarer Falschbeurkundung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen der Einzelheiten der festgestellten Taten nimmt der Senat auf die schriftlichen Urteilsgründe Bezug. Dem noch nicht rechtskräftigen, von der Staatsanwaltschaft Berlin und dem Beschwerdeführer mit der Revision angefochtenen Urteil ist im Wesentlichen das folgende Verfahren vorausgegangen:

Der Angeklagte wurde am 2. August 2011 vorläufig festgenommen und befand sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten seit dem 3. August 2011 zunächst bis zum 11. August 2011 in Untersuchungshaft, bevor sich vom 12. August 2011 bis zum 17. Dezember 2013 die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe anschloss. Dieser Strafvollstreckung lag zugrunde, dass der Angeklagte in dem Verfahren 69 Js 250/05 der Staatsanwaltschaft Berlin nach einer an 101 Sitzungstagen durchgeführten Hauptverhandlung am 16. September 2009 vom Landgericht Berlin wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden war, von der nach Anrechung von Auslieferungs- und Untersuchungshaft noch ein Rest von etwa zwei Jahren und vier Monaten offen war. In jenem Verfahren hatte der Senat im Zeitraum von Dezember 2007 bis Mai 2009 wiederholt Haftentscheidungen zu treffen (4 Ws 161/07, 31/08, 89/08 und 49/09), bevor er den Beschwerdeführer durch Beschluss vom 16. März 2010 (4 Ws 20/10) schließlich vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschonte. Die vorliegend abgeurteilten Tatvorwürfe fallen in die Zeit dieser Haftverschonung und nach Ladung des Beschwerdeführers zum Strafantritt. Seit dem 18. Dezember 2013 wird erneut die Untersuchungshaft vollzogen.

Mit ihrer am 9. Februar 2012 zum Landgericht Berlin erhobenen Anklage vom 7. Februar 2012 legte die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten die am 5. Juni 2013 abgeurteilten Geschehnisse zur Last. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 30. März 2012 fand die Hauptverhandlung seit dem 16. April 2012 zunächst gegen den Beschwerdeführer und sechs Mitangeklagte, denen neben der Beteiligung an der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat zum Teil noch weitere Taten vorgeworfen wurden, statt. Der Kammervorsitzende hatte für die Durchführung der Hauptverhandlung, an der bis zu 15 Verteidiger teilnahmen, zunächst acht Termine in der Zeit bis zum 18. Juni 2012 vorgesehen, die ganztägig konzipiert waren, diese Dauer jedoch überwiegend nicht erreichten. Durch Verfügungen vom 22. Mai, 13. Juni, 6. und 22. August, 24. September, 8. und 12. November 2012 sowie 17. April 2013, auf die der Senat wegen der Einzelheiten verweist, setzte der Vorsitzende der Strafkammer fortlaufend zusätzliche Termine fest, nachdem sich jeweils erwiesen hatte, dass die Hauptverhandlung nicht wie geplant abgeschlossen werden konnte.

Am 23. Juli 2012, dem elften Hauptverhandlungstag, wurde das Verfahren gegen die Mitangeklagten E und R abgetrennt und durch Urteil beendet. Nach 28 Hauptverhandlungstagen erfolgte am 17. Dezember 2012 die Abtrennung des Verfahrens und ein Urteilsspruch gegen den Mitangeklagten D, und am 18. Februar 2013, dem 33. Hauptverhandlungstag, wurden die Verfahren betreffend die Mitangeklagten Ü und T abgetrennt und durch Urteil abgeschlossen. Die Urteile gegen die Genannten sind jeweils rechtskräftig geworden. Die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeklagten Y, dessen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zwischenzeitlich ebenfalls rechtskräftig ist, dauerte insgesamt 41 Tage.

Das den Beschwerdeführer und Y betreffende Urteil mit den schriftlichen Gründen wurde am 18. September 2013 zu den Akten gebracht. Die Zustellungs- und Übersendungsverfügung vom 26. September 2013 wurde am 22. November 2013 ausgeführt und das 128 Seiten umfassende Urteil den Verteidigern des Beschwerdeführers am 26. November 2013 zugestellt. Die Revisionsbegründungsschrift des Beschwerdeführers gelangte am 23. Dezember 2013 zu den Akten, jene der Staatsanwaltschaft Berlin am 17. Dezember 2013. Die Akten sind mittlerweile zur Durchführung des Revisionsverfahrens an den Bundesgerichtshof abgesendet worden.

Mit seiner nach § 304 Abs. 1 StPO zulässigen Beschwerde vom 3. Februar 2014 wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss des Landgerichts vom 10. Januar 2014, mit dem sein Antrag vom 20. Dezember 2013 auf Aufhebung des der Untersuchungshaft zugrunde liegenden Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, abgelehnt worden ist. Er macht im Wesentlichen eine Verletzung des Beschleunigungsgebots mit Blick darauf geltend, dass die Anklage zu spät erhoben worden sei, an nur 0,68 Hauptverhandlungstagen pro Woche verhandelt und die schriftlichen Urteilsgründe erst 27 Wochen nach der Urteilsverkündung zugestellt worden seien.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Fehlen einer Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts steht der Entscheidung des Senats nicht entgegen, weil das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Nichtabhilfeentscheidung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts keine Verfahrensvoraussetzung ist. Ein Ausnahmefall, in dem die Sache an das Vordergericht zurückzugeben ist, weil mit der Beschwerde erhebliches neues Vorbringen verbunden worden ist, das einer Klärung bedarf und welches vom Vordergericht - jedenfalls für das Beschwerdegericht erkennbar (etwa mangels hinreichender Begründung) - nicht hinreichend berücksichtigt worden ist (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2014 - III-1 Ws 579/13 - [juris] mwN), liegt nicht vor.

1. Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) folgt aus der erstinstanzlichen Verurteilung des Angeklagten, die auch auf dessen am 26. Hauptverhandlungstag abgegebener geständiger Einlassung beruht. Zwar ist das Urteil des Landgerichts mit der Revision angefochten, und es ist dem Senat grundsätzlich nicht verwehrt, im Zuge der Prüfung des dringenden Tatverdachtes die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels vorausschauend zu beurteilen; dabei ist jedoch Zurückhaltung angebracht, weil ein Schuldspruch aufgrund einer Hauptverhandlung regelmäßig eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet als eine anhand der Akten angestellte Prognose (vgl. nur Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 4 Ws 93/10 - mwN). Die Verfahrensrüge des Angeklagten berührt die Frage des dringenden Tatverdachts nicht. Die mit den Revisionen im Übrigen gerügten Mängel des erstinstanzlichen Urteils - die Staatsanwaltschaft will auch bezüglich der Einfuhr die Verurteilung des Beschwerdeführers als Mittäter erreichen, während dieser auch hinsichtlich des Handeltreibens nur als Gehilfe angesehen werden will - bieten dem Senat keine zwingenden Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung in einer die Haftentscheidung berührenden Weise offensichtlich falsch sein könnte. Hiernach ergeben sich keine Zweifel am Fortbestehen des dringenden Tatverdachts. Solche hat der Angeklagte im Beschwerdeverfahren auch nicht geltend gemacht.

2. Gegen den Haftgrund hat er zunächst ebenfalls nichts eingewandt. Lediglich als Reaktion auf eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft hat er darauf hingewiesen, dass er entgegen deren Darstellung über soziale Bindungen in Berlin verfüge. Diese Tatsache ändert indessen nichts daran, dass nach wie vor Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) besteht. Die Untersuchungshaft soll nicht nur die Durchführung des Strafverfahrens gewährleisten, sondern auch die Vollstreckung eines auf Freiheitsentziehung lautenden Urteils sicherstellen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 24. August 2012 - 4 Ws 90/12 - und 31. März 2006 - 4 Ws 58/06 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 56. Aufl., vor § 112 Rn. 4). Der Angeklagte hat zwar gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt, muss aber damit rechnen, dass es rechtskräftig wird oder sich aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft für ihn gar verschlechtern kann. Unter Berücksichtigung der nach § 51 Abs. 1 StGB anzurechnenden Untersuchungshaft von knapp vier Monaten verbleibt unter Berücksichtigung der vom Landgericht ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe im Falle des Rechtskrafteintritts ein Strafrest, der so groß ist, dass er dem Angeklagten erheblichen Anreiz bietet, sich - und sei es auch nur durch Untertauchen in Berlin oder Deutschland - dem weiteren Verfahren und der sich ggf. anschließenden Strafvollstreckung zu entziehen. Bei der anzustellenden Prognose über den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug, der maßgeblich ist (vgl. Senat StV 2012, 350), kann der Senat nicht zugrunde legen, dass der Angeklagte nur einen Teil der Gesamtfreiheitsstrafe wird verbüßen müssen oder die begründete Aussicht hat, die Freiheitsstrafe im offenen Vollzug verbüßen zu können. Der Angeklagte wäre kein Erstverbüßer und angesichts seiner einschlägigen Vorstrafen sowie der Tatsache, dass er die Taten in der Zeit einer Haftverschonung nach einschlägiger Verurteilung begangen hat, und schließlich unter Berücksichtigung der hohe Anforderungen, die in Fällen des Betäubungsmittelhandels in vorliegender Größenordnung für eine Reststrafaussetzung gelten (vgl. etwa KG NStZ 2007, 472 mwN), erscheint derzeit eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 StGB wenig wahrscheinlich, ist jedenfalls nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGK 7, 140, 161 f.; StV 2008, 421, 422) konkret zu erwarten.

Unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensverhältnisse und bisherigen Verhaltensweisen des Angeklagten, die nach den maßgeblichen Rechtsgrundsätzen (vgl. im Einzelnen Senat StV 2012, 350 = StRR 2012, 155 mit zust. Anm. Burhoff; KG, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 - 2 Ws 550/11 -, 27. Dezember 2011 - 2 Ws 586/11 - und 10. August 2012 - 2 Ws 367/12 -) zu beachten und abzuwägen sind, ist es wahrscheinlicher, dass er dem wegen der hohen Straferwartung bestehenden ganz erheblichen Fluchtanreiz nachgeben, als dass er sich dem weiteren Verfahren zur Verfügung halten wird.

Der Angeklagte, der im Alter von etwa neun Jahren nach Deutschland kam und schon im Alter von 13 Jahren von zu Hause ausriss und sich ins Ausland begab, ist weder beruflich noch sozial integriert. Er hat keinen Schulabschluss und ist frühzeitig straffällig geworden. Schon 1995/96 kam er erstmals und auch in der Folgezeit für eine nicht unerhebliche Dauer - von Anfang 1998 bis zu einer Reststrafaussetzung im März 2002 - wegen eines einschlägigen Delikts, das die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten zur Folge hatte, in Haft. Nach dieser Haftentlassung hielt sich der Angeklagte in den Niederlanden und später in Brasilien auf. Bei dem Versuch einer Wiedereinreise nach Europa im April 2005 nutzte er ebenso falsche Personalien und gefälschte Papiere, wie schon im November 2003 bei einer Einreise aus den Niederlanden nach Deutschland. Zu einem im Jahr 1997 geborenen Kind hat der Angeklagte keinen Kontakt, ein weiteres Kind im Alter von sieben Jahren, das der Angeklagte zuletzt im Babyalter gesehen hat, lebt bei der Kindesmutter in Brasilien. Seit einer Inhaftierung in Portugal im April 2005 befand er sich bis zu der erwähnten Haftverschonung durch den Senat im März 2010 nicht in Freiheit. Auch nach seiner Entlassung gelang es ihm nicht, beruflich Fuß zu fassen, sondern fand er sich ausweislich der Feststellungen des Landgerichts bereits gut ein Jahr nach der Haftverschonung und ungeachtet der bevorstehenden Strafvollstreckung bereit, an dem hier abgeurteilten Betäubungsmittelgeschäft mitzuwirken. Eine Integration beabsichtigte er offenbar auch gar nicht; vielmehr unternahm er im Sommer 2011 konkrete Bemühungen, eine Aufenthaltserlaubnis für Paraguay oder Brasilien zu erlangen. Neben dem Fehlen tragfähiger Bindungen bestehen Kontakte in den Wirkungskreis des organisierten Drogenhandels, die ihm jederzeit eine Rückkehr in dieses Milieu ermöglichen. Über erforderliche Geldmittel für ein Untertauchen verfügt der Beschwerdeführer nach den Feststellungen, unter anderem hat er zahlreiche kostspielige Flugreisen unternommen. Hinzu tritt die Neigung des bestandskräftig aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen Angeklagten, seine wahre Identität in krimineller Weise zu verschleiern. Auch bei seiner Festnahme am 2. August 2011 führte er einen falschen Reisepass bei sich, den er bereits im Dezember 2010 erschlichen und in der Folgezeit für Reisen ins Ausland genutzt hatte. Die zahlreichen vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit genutzten Aliaspersonalien lassen sich den Senatsbeschlüssen aus den Jahren 2007 und 2008 entnehmen.

Weniger einschneidende Maßnahmen zur Sicherung der Zwecke der Untersuchungshaft als deren Vollzug erscheinen nach alldem nicht ausreichend. Eine Haftverschonung gemäß § 116 Abs. 1 StPO kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil sich die für eine Haftverschonung erforderliche (vgl. dazu etwa Senat, Beschluss vom 10. Juni 2011 - 4 Ws 51, 52/11 - mwN) Gewissheit des Senats, dass er sich auf den Beschwerdeführer, der nach den Urteilsfeststellungen auch im Übrigen - etwa bei der Darstellung seiner psychischen Beeinträchtigungen - zu Manipulationen neigt, verlassen kann, nicht gewinnen lässt.

3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht die Aufrechterhaltung des Haftbefehls zu der Bedeutung der Sache und den zu erwartenden Rechtsfolgen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 StPO) und ist auch im Übrigen die Beendigung der Untersuchungshaft nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten.

a) Das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot ist im bisherigen Verfahren hinreichend beachtet worden.

Dieses aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK folgende Gebot (vgl. BVerfG StV 1992, 121, 122; KG StV 2003, 627 mwN) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen (vgl. BVerfG NStZ 2004, 49, 50; NJW 1994, 2081, 2082; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10 - [juris]; OLG Düsseldorf StV 2001, 695, 696; Senat StraFo 2013, 507; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 120 Rn. 3 mwN). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (vgl. BVerfG aaO mit zahlr. Nachw.). Dabei ist nicht entscheidend, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß annimmt, sondern ob die Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit einen Umfang erreichen, der im Rahmen der Abwägung die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt (vgl. BVerfG StraFo 2009, 375; KG StraFo 2007, 26; Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2009 - 4 Ws 123/09 -, jeweils mwN). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt der Untersuchungshaft auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen (vgl. BVerfGE 20, 45, 49).

Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot beansprucht grundsätzlich auch in Fällen Geltung, in denen der Betroffene von dem Vollzug der Untersuchungshaft verschont ist (vgl. BVerfG NJW 2006, 668; KG StV 2003, 627) oder die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, weil sich der Angeklagte in anderer Sache in Strafhaft befindet und für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist (vgl. KG, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - 5 Ws 595/05 - mwN). Denn bei der Beurteilung des Gewichts und der Folgen von Verfahrensverzögerungen ist im Rahmen der stets gebotenen Gesamtbetrachtung in Rechnung zu stellen, dass auch derjenige, der seine Strafhaft unter den Bedingungen einer Überhaftnotierung wegen Untersuchungshaft verbüßt, zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen unterliegt, die bei dem Vollzug einer Freiheitsstrafe nicht zulässig wären (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Mai 2011 - 4 Ws 45/11 - mwN). So ist er grundsätzlich vom offenen Vollzug ausgeschlossen und auch sonst ist es für ihn praktisch nicht möglich, Tatsachen zu schaffen, die eine Reststrafenaussetzung hinsichtlich der verbüßten Freiheitsstrafe begründen könnten. Der Umstand, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird, schwächt das Beschleunigungsgebot zwar ab (vgl. BVerfG StV 2006, 251, 253; Senat aaO), hebt es hiernach aber nicht auf. Vielmehr sind auch Zeiten, in denen ein Haftbefehl nicht vollzogen wird, zu nutzen, um das Verfahren voran zu treiben und so schnell wie möglich abzuschließen (vgl. KG, Beschluss vom 20. Oktober 2006 - 5 Ws 569/06 - [juris] -; Senat aaO), sodass auch die Überhaft auf das sachlich vertretbare Mindestmaß zu beschränken ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. August 2008 - 2 BvR 671/08 - juris-Rn. 21; OLG Stuttgart StV 1990, 213); dabei verschiebt sich indessen der Maßstab für die Beurteilung des Gewichts von Verzögerungen und sind die Anforderungen an die beschleunigte Verfahrensführung weniger streng, weil eine völlige Gleichstellung angesichts der „geringeren Eingriffswirkung“ (vgl. BVerfG aaO), d.h. der Tatsache, dass ein in anderer Sache inhaftierter, rechtskräftig verurteilter Straftäter von der Untersuchungshaft nicht in derselben Weise betroffen ist wie der als unschuldig geltende Gefangene, bei dem allein diese vorläufige staatliche Zwangsmaßnahme vollzogen wird, nicht sachgerecht ist (vgl. zur Haftverschonung OLG Köln OLGSt § 112a StPO Nr. 2 und KG, Beschluss vom 14. Juli 2008 - 2 Ws 340/08 -; diese Frage offen lassend OLG Naumburg StV 2008, 589 und KG StV 2003, 627).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist bei einer Gesamtschau des Verfahrensablaufs dem Erfordernis der Verfahrensförderung hinreichend Genüge getan.

b) Zwischen der Festnahme des Beschwerdeführers und dem Beginn der Hauptverhandlung sind keine vermeidbaren Verfahrensverzögerungen eingetreten, die zur Beendigung der Untersuchungshaft zwingen würden.

aa) Die Anklageerhebung am 9. Februar 2012 ist nicht zu beanstanden. Der Verfahrensgegenstand ist in einen umfangreichen Gesamtkomplex eingebettet, dessen Aufklärung erheblichen Aufwand auch durch grenzübergreifende und über Rechtshilfeersuchen zu leistende Ermittlungen erforderte. Im Zuge der Ermittlung waren zahlreiche Vernehmungen und Durchsuchungen sowie die Auswertung äußerst umfangreicher Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen erforderlich. Die umfangreichen Angaben des Mitbeschuldigten Ebert mussten überprüft werden und hatten weitere Ermittlungsschritte zur Folge. Die Einordnung der Beschuldigten in das kriminelle Geflecht ließ sich nicht ohne Rücksicht auf die Ermittlungsergebnisse bezüglich anderer Beschuldigter sinnvoll leisten. In Verfahren, in denen Anhaltspunkte für eine Bandenbildung gegeben sind und das Zusammenwirken einer Vielzahl von Personen innerhalb krimineller Strukturen aufzuklären ist, ist die Verwicklung der Beschuldigten in das Gesamtgeschehen aufzuklären und wäre es verfehlt, darauf zu verzichten und ohne Rücksicht auf die Zusammenhänge das wirkliche Tatbild zugunsten einer schnellen, dann aber zu kurz greifenden Anklage unaufgeklärt zu lassen (vgl. KG NStZ 2006, 524 mwN). Die erforderlichen Ermittlungsaufträge sind jeweils ohne Verzug erteilt worden. Auch bei der Prüfung der entsprechenden Ermittlungs- und Auswertungstätigkeiten finden sich keine Zeitverzögerungen, die auf groben Fehlern und Versäumnissen in der Sachbearbeitung beruhten und deshalb Anlass zur Annahme eines rechtlich erheblichen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot böten (vgl. hierzu auch den in dieser Sache ergangenen Beschluss des 2. Strafsenats des Kammergerichts vom 10. Februar 2012 - [2] 141 HEs 6/12 [3-6/12] - betreffend die bereits rechtskräftig Abgeurteilten Y., Ü., T. und D.).

bb) Nach dem Eingang der Sache bei der Kammer am 9. Februar 2012 vergingen bis zum Beginn der Hauptverhandlung weniger als zehn Wochen. Die Prüfung und Zustellung der umfangreichen Anklageschrift erfolgte zügig, und auch die Eröffnungsentscheidung vom 30. März 2012 hat angesichts des Umfangs des Verfahrens dem Beschleunigungsgebot hinreichend Rechnung getragen. Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ist das Beschleunigungsgebot in der Regel nur dann ausreichend beachtet, wenn mit der Hauptverhandlung innerhalb von drei Monaten nach Eröffnung des Hauptverfahrens begonnen wird (vgl. BVerfG StV 2008, 421 mwN). Insoweit kann es bei sachgerechter Anwendung des Beschleunigungsgebots nur auf die Eröffnungsreife ankommen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2013 - (4) 161 HEs 1/13 (1/13) - und 5. August 2011 - [4] 1 HEs 39/11 [30-31/11] -, jeweils mwN), die hier frühestens mit Ablauf der - jedenfalls nicht unangemessen lang - bestimmten Stellungnahmefrist im Zwischenverfahren eintreten konnte. Auch den von den Strafsenaten des Kammergerichts regelmäßig noch für hinnehmbar erachteten Zeitraum von vier Monaten zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung (vgl. etwa Senat StraFo 2010, 26 mwN) hat das Landgericht nicht annähernd ausgeschöpft.

c) Bei der Planung und Gestaltung der Hauptverhandlung hat das Landgericht das Beschleunigungsgebot ebenfalls hinreichend beachtet. Der Kammervorsitzende hat die Hauptverhandlung gegen den in Haft befindlichen Beschwerdeführer und die - gleichfalls inhaftierten - Mitangeklagten zunächst für den Zeitraum vom 16. April bis zum 18. Juni 2012 vorausschauend und noch hinreichend straff geplant. Hierbei waren die Anforderungen an die Gestaltung der Verhandlung durchaus erhöht, weil eine Vielzahl von Verteidigern beteiligt war, auf deren anderweitig wahrzunehmende Termine das Gericht im gebotenen Maße Rücksicht zu nehmen hatte. Den Akten ist auch nicht zu entnehmen, dass die Verteidigung des Beschwerdeführers gegen die Terminierung mit Blick auf das Beschleunigungsgebot Einwendungen erhoben hätte.

Es ist erkennbar, dass das Landgericht im Verlauf der sich schließlich ausweitenden Verhandlung auf unvorhergesehene Veränderungen hinreichend zügig und zweckmäßig reagiert hat. Ein konkretes Fehlverhalten des Gerichts, das zu der Annahme führte, es hätte ihm gegebene Möglichkeiten zu einer besseren Verfahrensförderung nicht genutzt, ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht. Sein gänzlich unspezifisches Vorbringen zu der von ihm errechneten (durchschnittlichen) Verhandlungsdauer ist jedenfalls nicht geeignet, einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot zu belegen. Es fehlt allerdings nicht nur jedes verwertbare Vorbringen zu einem gerichtlichen Fehlverhalten in konkreten Verfahrenssituationen, sondern bereits der rechtliche Ansatzpunkt der Beschwerde kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen.

aa) Für die Frage, ob der Grundsatz der Beschleunigung ausreichend beachtet wurde, ist nicht eine ausschließlich retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und gar eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten entscheidend. Auch hinsichtlich der Dauer der einzelnen Sitzungen kommt es vielmehr grundsätzlich auf die Planung der Hauptverhandlung durch das Gericht an (vgl. Senat, Beschluss vom 17. September 2010 - 4 Ws 93/10 -; s. auch Senat StraFo 2010, 26 [zu einem Fall, in dem bereits die Verhandlungsplanung auf nur kürzere Hauptverhandlungszeiten angelegt war]), sodass nicht allein maßgeblich ist, wie lange letztendlich pro Tag verhandelt wurde (bzw. verhandelt werden konnte).

Denn das Gericht hat beispielsweise keinen Einfluss darauf, ob ordnungsgemäß geladene Zeugen erscheinen und vernommen werden können oder - entschuldigt oder unentschuldigt - ausbleiben und ob sie etwa von Rechten aus den §§ 52, 55 StPO Gebrauch machen. Auch die Dauer ihrer Vernehmungen kann das Gericht - gerade bei einer Vielzahl von Verfahrensbeteiligten, deren Verhalten bei der Befragung maßgeblichen Einfluss auf diese Dauer haben kann - ebenfalls nur prognostizieren. Die mit der Vernehmung von Zeugen auch im Hinblick auf das Fragerecht der Prozessbeteiligten einhergehenden zeitlichen Unwägbarkeiten hat das Gericht bereits bei der Planung der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen und ggf. zeitliche Freiräume vorzusehen; soweit es in diesem Sinne die tatsächliche Dauer der Vernehmungen nicht beeinflussen kann, fällt ihm nicht hinsichtlich jeder zeitlichen Abweichung von der Prognose, auch wenn sie zu Verhandlungspausen führt, der (rückschauende) Vorwurf zur Last, es habe das Verfahren nicht bestmöglich gefördert.

Auch das sonstige Prozessverhalten der Beteiligten kann das Gericht nicht oder allenfalls in nur eingeschränktem Umfang beeinflussen, obgleich dieses den tatsächlichen Gang einer Hauptverhandlung und deren Dauer in ganz entscheidender Weise bestimmen kann. Dies gilt bereits für die Frage, ob und ggf. wie sich Angeklagte zu dem Tatvorwurf einlassen. Dieser Aspekt kann in besonderer Weise für Hauptverhandlungen von prägender Bedeutung sein, die - wie hier - gegen mehrere Angeklagte mit einer Vielzahl von Verteidigern durchgeführt werden. Hier insbesondere kann das Verhalten der jeweiligen Angeklagten davon bestimmt sein, ob, wann und mit welchem Inhalt andere Angeklagte sich einlassen, wobei es durchaus auch zu (berechtigten) Anträgen auf Unterbrechungen zwecks Besprechung neuer Prozesssituationen kommen kann. Ebenfalls von maßgeblicher Bedeutung kann das Prozessverhalten der Beteiligten etwa bei der Auswertung von (insbesondere fremdsprachlichen) Telekommunikationsmaßnahmen sein. Hier - und auch im Übrigen - kann sich in mitunter erheblicher Weise auswirken, ob Prozessbeteiligte verfahrensrechtlich zulässige Beanstandungen gegen eine vorgesehene Beweisaufnahme vorbringen; solche Beanstandungen können das Gericht zu zeitaufwendigen zusätzlichen Beweiserhebungen - oftmals mittels schwer erreichbarer Beweismittel - zwingen. In gleicher Weise bestimmend für den tatsächlichen Gang und die Dauer einer Hauptverhandlung sind sonstige verfahrensrechtlich zulässige Anträge auf Unterbrechungen, etwa unter Ankündigung von (ggf. noch zu prüfenden) Anträgen, die sodann gestellt oder auch unterlassen werden. Ähnliches gilt für Einschränkungen der Verhandlungsfähigkeit einzelner Beteiligter oder auch nur gesundheitliche Beeinträchtigungen, auf die aus Gründen einer fairen Verfahrensgestaltung Rücksicht zu nehmen ist. Späte - auch mehrfache - Einlassungen unter gezieltem Aufgreifen der bisherigen Ergebnisse der Beweisaufnahme sowie die verspätete Offenbarung verfahrensrelevanter Informationen - beispielsweise betreffend die geltend gemachte Erforderlichkeit einer Begutachtung zur (eingeschränkten) Schuldfähigkeit eines Angeklagten - können den Gang der Hauptverhandlung ebenfalls entscheidend prägen und erhebliche Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Planung der Hauptverhandlung zur Folge haben. Hierbei kann das Warten auf erforderliche Explorationen und das Ergebnis des Gutachtens insbesondere dazu zwingen, einzelne Hauptverhandlungstage mit geringer Dauer und inhaltlicher Dichte abzuhalten; dies ist in solchen Fällen gerade dann unausweichlich, wenn das Gericht sein vorgesehenes Beweisprogramm bereits erledigt hat.

Es liegt auf der Hand, dass solche und zahlreiche andere, dem Einflussbereich des Gerichts entzogenen Umstände, die den Verlauf umfangreicher Hauptverhandlungen mit zahlreichen Beteiligten maßgeblich bestimmen sowie erheblich verzögern können - und auch hier weitgehend, nicht zuletzt durch eine Vielzahl von Anträgen des Beschwerdeführers, zum Tragen gekommen sind -, dem Gericht nicht im Nachhinein zur Last gelegt werden können. Haben einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen, dass die Verhandlungsdichte im Verlaufe einer länger dauernden Hauptverhandlung absinken musste, erscheint es widersprüchlich, wenn sie dem Gericht nachträglich vorhalten, sich unter Beschleunigungsaspekten falsch verhalten zu haben, bedeutet dies doch den Vorwurf, das Gericht hätte ihren prozessual zulässigen Ansinnen oder anderen Wünschen - etwa nach Rücksichtnahme auf terminliche Schwierigkeiten - jeweils nicht folgen dürfen.

Dass nachträgliche, rein rechnerische Überlegungen zur tatsächlichen (Netto-) Verhandlungszeit ohne die Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung im Regelfall nicht überzeugend sind, erhellen - beispielsweise - auch die folgenden Umstände. Nimmt das Gericht notwendige Beratungen über Anträge von Verfahrensbeteiligten zum Ende eines Hauptverhandlungstages vor, kann es oftmals sachgerecht sein, diese Beratungen nicht innerhalb der Hauptverhandlung vorzunehmen und den Beteiligten entsprechende Wartepflichten aufzuerlegen, um die Entscheidungen am Ende des Hauptverhandlungstages zu verkünden, die Sitzung erst sodann zu schließen und auf diese Weise die Dauer der Verhandlung zu verlängern. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass eine solche wenig sachgerechte, die Verhandlungszeit aber rechnerisch steigernde Sachbehandlung auch nicht im Interesse der Angeklagten und insbesondere der Verteidiger läge, sondern es sachgemäß und in gleicher Weise verfahrensfördernd ist, die Beteiligten vor der Beratung zu entlassen und die Entscheidungen erst am nächsten Verhandlungstag zu verkünden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. November 2012 - StB 13/12 - [juris] = NStZ-RR 2013, 87 [Ls]). Ein - auch vorliegend durchgeführtes - Selbstleseverfahren dient der Entlastung der Hauptverhandlungstermine und damit der Verfahrensbeschleunigung (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06 - [juris]; BGH aaO; Senat, Beschluss vom 17. September 2010 aaO), findet aber ebenfalls keinen Eingang in eine rechnerische Betrachtung von Hauptverhandlungszeiten, wie sie hier vom Beschwerdeführer vorgenommen wird.

bb) Es ist vor dem Hintergrund dieser Überlegungen nicht ersichtlich, dass das Landgericht im Verlauf der Hauptverhandlung ein beachtliches Fehlverhalten begangen habe, das zur sofortigen Beendigung der Untersuchungshaft zwänge. Der Beschwerdeführer hat hierzu ebenfalls nichts vorgebracht. Ein solches Fehlverhalten liegt auch deshalb nicht nahe, weil die Strafkammer die Hauptverhandlung gegen mehrere Mitangeklagte bereits (wesentlich) früher beenden konnte, indem es deren Verfahren abgetrennt und durch Urteile abgeschlossen hat. Die Staatsanwaltschaft hat im Beschwerdeverfahren beispielhaft dargestellt, aus welchen Gründen es zu Ausweitungen der Hauptverhandlung - auch in Bezug auf den Beschwerdeführer - gekommen ist. So hat sie etwa darauf hingewiesen, dass es zu zahlreichen (Beweis-)Anträgen der Verteidigung zum Verfahren und zur Sache kam, die den Gang des Verfahrens maßgeblich bestimmten. Der Senat kann dies angesichts des Inhalts der insgesamt mehr als 800 Blätter umfassenden vier Protokollbände nachvollziehen. Sogar der Abtrennung - und damit der frühzeitigen Erledigung - des Verfahrens gegen die Mitangeklagten R und E wurde widersprochen. Ferner erfolgten zu zahlreichen Beweiserhebungen Verwertungswidersprüche einschließlich Gegenvorstellungen gegen insoweit ergangene Kammerbeschlüsse. Die Staatsanwaltschaft hat weiterhin dargelegt, dass die Verteidigung erst am 14. Mai 2012, dem vierten Verhandlungstag, einen Antrag auf Begutachtung des Beschwerdeführers zu dessen Schuldfähigkeit durch einen psychiatrischen Sachverständigen stellte, obgleich die zugrunde liegenden Tatsachen ihr schon lange bekannt waren. Die Kammer sah sich angesichts zweifelhafter Plausibilität des Vorbringens veranlasst, zunächst einen Psychiater, der den Beschwerdeführer nach dessen Vorbringen in der Vergangenheit behandelt hatte, als sachverständigen Zeugen zu hören, bevor sie am 22. Juni 2012 einen Sachverständigen - unter enger Fristsetzung für die Gutachtenvorlage - bestellte. Dieser legte unter dem 10. August 2012 ein 50-seitiges vorläufiges schriftliches Gutachten vor und erstattete sein Gutachten schließlich in der Hauptverhandlung am 10. September 2012, also zu einem Zeitpunkt, als das Verfahren gegen die Mitangeklagten E und R bereits längere Zeit abgeschlossen war. Der Beschwerdeführer lehnte den Sachverständigen Dr. F, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht eingeschränkt gewesen sei, am 24. September 2012 mit der Begründung wegen Befangenheit ab, dass der Gutachter sich nicht mit dem gesamten Akteninhalt befasst, nicht an den Hauptverhandlungsterminen teilgenommen habe und sein Gutachten methodische und inhaltlich Mängel aufweise. Die schließlich von der Kammer nach Anhörung des abgelehnten Sachverständigen am 21. November 2012 beauftragte weitere Sachverständige Dr. W kam nach umfangreichem Aktenstudium, ausführlichen Explorationen und Teilnahme an der Hauptverhandlung in ihrem am 8. April 2013 erstatteten Gutachten ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB nicht vorlägen. Wegen der Einzelheiten der Darstellung der Staatsanwaltschaft nimmt der Senat Bezug auf deren Verfügungen vom 6. Januar und 5. Februar 2014.

Der Beschwerdeführer hat sich zu diesen Ausführungen der Staatsanwaltschaft zum Gang der Hauptverhandlung und den Gründen für einzelne Verzögerungen mit keinem Wort erklärt, obgleich dies unter Berücksichtigung seines gänzlich pauschalen eigenen Vorbringens sowie der Zielrichtung seiner Beanstandungen geboten und zu erwarten war. Auch bringt er nicht vor, dass er im Verfahren zeitnah eine verzögerte Sachbearbeitung (etwa bei der Begutachtung) konkret gerügt habe. Indem er stattdessen lediglich eine errechnete Zahl - ohne jeden Bezug zu dem konkreten Werdegang der Hauptverhandlung, deren Inhalten und dem Verhalten der Beteiligten und des Gerichts - anführt, dringt er mit seinem Rechtsmittel nicht durch.

d) Soweit es tatsächlich eingetretene vermeidbare Verzögerungen nach dem Urteil angeht, ist Folgendes zu beachten: Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfasst das gesamte Strafverfahren und gilt demgemäß auch nach dem Urteilserlass (vgl. BVerfG NStZ 2005, 456), womit es bei der Urteilsabsetzung und Urteilszustellung sowie Zuleitung der Akten an das Rechtsmittelgericht gleichfalls zu beachten ist (vgl. BVerfG NJW 2006, 677, 679 = NStZ 2006, 295, 296; Senat, Beschluss vom 13. Januar 2010 - 4 Ws 140/09 -; OLG Naumburg StV 2008, 201 mwN). Allerdings fallen Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil geringer ins Gewicht als vor diesem Zeitpunkt, namentlich vor dem Beginn der Hauptverhandlung (§§ 121, 122 StPO), bis zu dem die Unschuldsvermutung in stärkerem Maße für den Angeklagten streitet als nach einem Urteil (vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2001 - VerfGH 94/00 -; KG, Beschlüsse vom 14. Juli 2008 - 2 Ws 340/08 -, 31. Oktober 2002 - 5 Ws 551/02 - und 15. Mai 2007 - 1 Ws 78/07 -). Denn mit der Verurteilung des Angeklagten hat sich das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert, weil die Begehung der Straftat nach der Beweisaufnahme als erwiesen angesehen worden ist. Der Umstand, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die eingelegte Revision hindert lediglich die Vollstreckung der Strafe bis zur Überprüfung durch das nächst höhere Gericht, beseitigt aber nicht die Existenz des angegriffenen Urteils und damit den Umstand, dass auf der Grundlage eines gerichtlichen Verfahrens bereits ein Schuldnachweis gelungen ist (vgl. BVerfGK 5, 109, 122; 7, 140, 161; OLG Celle StraFo 2009, 515; OLG Frankfurt am Main StV 2006, 648). Das rechtfertigt es indessen grundsätzlich nicht, einen Angeklagten bis zum Zeitpunkt der Vollverbüßung der ausgesprochenen Strafe in Untersuchungshaft zu halten. Einer solchen Handlungsweise steht schon der Resozialisierungszweck der Strafhaft entgegen; denn wird die verhängte Freiheitsstrafe durch Anrechnung der Untersuchungshaft zum überwiegenden Teil oder gar vollständig verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (BVerfG aaO.).

Aus alldem folgt, dass bei der Beurteilung von Verfahrensverzögerungen nach dem Erlass eines erstinstanzlichen Urteils nicht derselbe strenge Prüfungsmaßstab wie vor dem Urteilsspruch - etwa bei der Prüfung eines „wichtigen Grundes“ im Sinn des § 121 StPO - anzulegen ist. Allerdings können insoweit auf groben Verfahrensfehlern staatlicher Organe beruhende erhebliche Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehen. Die Entscheidung, ob ein solcher erheblicher Verstoß vorliegt, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung aller für die Verhältnismäßigkeit maßgeblichen Gesichtspunkte zu treffen. Gegeneinander abzuwägen sind dabei auch das Gewicht der Straftaten und die Höhe der zu erwartenden Strafe gegenüber dem Ausmaß der Verfahrensverzögerung und dem Grad des die Justiz hieran treffenden Verschuldens, wobei zu beachten ist, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft verstärkt (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe verstößt die Fortdauer der Untersuchungshaft nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falls nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar sind die schriftlichen Urteilsgründe unter Ausschöpfen der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO von 15 Wochenfertig gestellt worden. Dieser Umstand führt bei der gebotenen Abwägung aber nicht zu der Annahme, dass insoweit eine solch gewichtige Verzögerung vorliegt, die bereits einen Verstoß gegen das Gebot zur beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen darstellte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass - was zu beanstanden wäre (vgl. BVerfG NJW 2006, 677, 679 [zum Fall einer bereits fünf Jahre und sechs Monate vollzogenen Untersuchungshaft und Ausschöpfung der Absetzungsfrist bei einem 66-seitigen, partiell mit der Anklageschrift übereinstimmenden, letztlich auf einer Verständigung beruhenden Urteil nach 156-tägiger Hauptverhandlung]) - die Urteilserstellung von vornherein auf das zeitlich fixierte Ende der Frist des § 275 Abs. 1 StPO ausgerichtet war. Dem Senat ist die erhebliche Belastung der Strafkammer bekannt, auf die sie nicht mit einer nur auf Schnelligkeit bedachten und die nötige Sorgfalt möglicherweise außer Acht lassenden Bearbeitung bei der Urteilsfassung reagieren musste. Das vom Beschwerdeführer mit der Revision insgesamt angefochtene Urteil enthält eine umfangreiche Beweiswürdigung, weshalb die für seine Absetzung in Anspruch genommene Zeit im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Die Verzögerung bei der Zustellung des abgesetzten Urteils und die verzögerte Sachbehandlung nach dem Vorliegen der Revisionsbegründungen hatten zusammen ein Ausmaß von nur wenigen Wochen und fielen zudem überwiegend in einen Zeitraum, in dem die Untersuchungshaft noch nicht vollzogen wurde. Die insoweit vorliegende Verzögerung hat bei der ausgesprochenen Freiheitsstrafe kein solches Gewicht, dass die sofortige Beendigung der Untersuchungshaft geboten wäre. Angesichts der vom Landgericht ausgesprochenen langjährigen Freiheitsstrafe und des geringen Umfangs des bisherigen Untersuchungshaftvollzugs ist insbesondere der Resozialisierungsanspruch des Beschwerdeführers, dessen Verteidiger im Schlussvortrag eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und sechseinhalb Jahren beantragt haben, nicht gefährdet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.