LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 10.04.2014 - L 27 R 409/11
Fundstelle
openJur 2014, 10818
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Februar 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1944 geborene Kläger begehrt die Zuerkennung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung seiner am 14. Oktober 1985 verstorbenen Ehefrau. Beide Eheleute waren selbstständig erwerbstätig. Der Kläger betrieb einen tischlereiartigen Handwerksbetrieb. Die Versicherte betrieb ohne eine Gewerbeanmeldung eine Gärtnerei. Daneben führte sie für die Tischlerei des Klägers als deren Angestellte die Buchhaltung.

Nachdem ein erster Antrag des Klägers auf Rentengewährung aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau vom Januar 1994 wegen mangelnder Mitwirkung mit Bescheid vom 22. Mai 1996 abgelehnt worden war, beantragte der Kläger im Januar 2007 erneut die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. In dem gleichzeitig ausgefüllten Antrag auf Kontenklärung gab er an, die Versicherte habe von März 1980 bis zu ihrem Tod in einer Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 von 43,75 Wochenstunden mit ihm gestanden. Dem Antrag fügte er eine Zeugenerklärung von Herrn A B bei, wonach dieser Leiter der Gärtnerei der Gewächshauswirtschaften W gewesen sei und bestätigen könne, dass die Versicherte regelmäßig über mehrere Jahre hinweg Gärtnereiprodukte der Saison an den Betrieb geliefert habe. Nach seiner Schätzung habe der Umfang von Januar 1983 bis September 1985 monatlich ca. 1.000,00 Mark betragen. Ferner gab der Kläger an, die Versicherte habe in seinem Holzverarbeitungsbetrieb an 5 Tagen wöchentlich jeweils 3-4 Tage gearbeitet und hierfür monatlich brutto 200,00 Mark erhalten. In dem Gärtnereibetrieb habe die Versicherte täglich 7-8 Stunden gearbeitet und daraus ca. 12.000,00 Mark jährlich erzielt. Daneben habe die Versicherte den Haushalt alleine geführt und sich um die Erziehung der 1971 geborenen Tochter gekümmert. Er selbst habe 8 bis 10 Stunden täglich in seinem Holzbearbeitungsbetrieb gearbeitet und daraus 1984/85 jährlich 4.160,00 Mark erzielt. Im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung (SV-Ausweis) des Klägers sind als beitragspflichtiger Gesamtverdienst für 1984 6.600,00 Mark und für 1985 4.160,00 Mark aufgeführt. Im SV-Ausweis der Versicherten ist für 1984 ein beitragspflichtiger Gesamtarbeitsverdienst von 2.400,00 Mark aufgeführt.

Mit Bescheid vom 7. März 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung der Hinterbliebenenrente ab und führte zur Begründung aus, es könne nicht festgestellt werden, dass die Versicherte den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten habe. Nach den in den SV-Ausweisen festgehaltenen Daten habe das Einkommen des Klägers jenes der Versicherten im Jahr vor dem Versterben überstiegen. Die Haushaltsführung habe beiden Eheleuten hälftig oblegen, ohne dass es darauf ankomme, ob dies auch praktiziert worden sei. Bezüglich der Angaben zu Einkünften der Versicherten aus der Gärtnerei handle es sich nur um Umsatzzahlen, nicht aber um den Gewinn. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, die Versicherte habe die Gärtnerei nicht förmlich als Gewerbebetrieb betrieben, so dass insofern offizielle Nachweise nicht vorhanden seien. Der Staat habe zur Versorgung der Bevölkerung die Erzeugung von Gartenprodukten gewollt und durch subventionierten Ankauf steuerfreie Anreize hierfür gesetzt. Zum Nachweis des behaupteten Umfangs der daraus erzielten Einnahmen von ca. 1.000,00 Mark monatlich füge er Kontoauszüge bei, aus denen sich ergebe, dass die Versicherte alleine im Juli 1985 ca. 1.600 Mark von der Gewächshauswirtschaft Werder erlöst habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, bei den vorgelegten Unterlagen handle es sich nicht um einen Nachweis der Einkünfte der Versicherten.

Mit der am 15. August 2007 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht Potsdam hat die Beklagte mit Urteil vom 3. Februar 2011 verurteilt, „dem Kläger Witwenrente nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren“. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, neben den allgemeinen Voraussetzungen des § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien auch jene aus der Übergangsvorschrift § 303 Satz 1 SGB VI erfüllt, weil die Versicherte den Unterhalt der Familie im Jahr vor ihrem Ableben überwiegend bestritten habe. Dem hat es zugrunde gelegt, dass der Kläger ein eigenes monatliches Nettoeinkommen von ca. 400 Mark gehabt habe, was sich aus seinem SV-Ausweis und seiner Steuererklärung für 1985 ergebe. Dem gegenüber habe die Versicherte monatlich 200 Mark aus der Tätigkeit für den Kläger bezogen und etwa 10000 Mark aus landwirtschaftlicher Tätigkeit. Zum Teil sei hier ein Nachweis geführt, im Übrigen Glaubhaftmachung gelungen.

Gegen das ihr am 18. März 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. April 2011 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ausführt, aus den Angaben im SV-Ausweis könne bei Selbstständigen nur bedingt auf die Höhe der Einnahmen geschlossen werden, da die Beitragspflicht bei einer Bemessungsgrundlage von 7.200 Mark jährlich gedeckelt gewesen sei. Für 1984 existiere für den Kläger ein Steuerbescheid, für 1985 eine Steuererklärung, aus denen sich deutlich höhere Einnahmen entnehmen ließen. In einem Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten habe der Kläger irrtümlich nicht Angaben zur Versicherten gemacht, sondern zu sich selbst und dabei ein durchschnittliches monatliches Arbeitseinkommen von 1.500 Mark genannt. Auch die Einnahmen der Versicherten seien nicht nachgewiesen. So seien die Kontoauszüge unvollständig, im Erstantrag vorgelegte Quittungen ließen aufgrund der Nummerierung und den zeitlichen Zwischenräumen Zweifel daran aufkommen, dass die Versicherte für Gewächshausprodukte monatlich 100 Mark eingenommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Februar 2011 zurückzuweisen.

Er bringt vor, Kontoauszüge für 1985 über die vorgelegten Auszüge hinaus könne er nicht mehr beibringen. Die Versicherte habe über das ganze Jahr hinweg Erzeugnisse an die Gewächshauswirtschaft W geliefert. Im Übrigen habe er keine Tischlerei betrieben, sondern eine Sondergenehmigung zur Reparatur von Stühlen, Tischen, Fenstern und Türen erhalten und 40 bis 45 Stunden wöchentlich in der Werkstatt gearbeitet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Das Landessozialgericht konnte über die Berufung der Beklagten nach Lage der Akten entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten gewesen ist, weil er mit der fristgerecht zugestellten Ladung auf die in §§ 153 Abs. 1; 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehene Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, denn das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Kern des Rechtsstreits ist die in § 303 Sozialgesetzbuch sechstes Buch (SGB VI) für Todesfälle vor dem 1. Januar 1986 statuierte Voraussetzung für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente, nach der der Rentenanspruch nur besteht, wenn der Verstorbene den Unterhalt der Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod überwiegend bestritten hat. Nach der gefestigten Rechtsprechung hierzu ist als Zeitraum für die Beurteilung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes das Jahr vor dem Todesfall heranzuziehen (LSG Bayern, Urteil vom 20. Juni 2013, L 14 R 805/12, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. März 2012, L 3 R 69/10, juris). Maßgeblich sind hier also die Verhältnisse vom 1. Oktober 1984 bis zum 30. September 1985.

Für die Auslegung des "überwiegenden Bestreitens des Familienunterhalts im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode" i.S. des § 303 Satz 1 SGB VI sind die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 43 Abs. 1 AVG (= § 1266 Abs. 1 RVO) entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Danach hat eine Versicherte den Unterhalt der Familie "überwiegend bestritten", wenn ihr Unterhaltsbeitrag während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands vor dem Tode mehr als die Hälfte des gesamten Familienunterhalts ausgemacht hat. Unter "Unterhalt der Familie" i.S. der §§ 1360, 1360a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist alles zu verstehen, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Hinsichtlich der Unterhaltsleistungen sind die tatsächlichen Verhältnisse während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands mit der Folge maßgebend, dass als Unterhaltsbeiträge nur solche Leistungen und Aufwendungen berücksichtigt werden können, die in diesem Zeitraum effektiv beigesteuert bzw. getätigt worden sind (BSG, Urteil vom 16. März 2006, B 4 RA 15/05 R, juris).

Hier liegen bereits keine Erkenntnisse darüber vor, in welcher Höhe ein Unterhaltsbedarf der Familie anzunehmen ist. Das kann indes dahinstehen, denn in einem zweiten Schritt ist zu vergleichen, in welcher Höhe die Eheleute zur Deckung dieses Bedarfes beigetragen haben, wobei der jeweilige Beitrag aus Einkommenserzielung und Haushaltsführung bestehen kann. Eine sichere Ermittlung der jeweiligen Einkommenserzielung ist jedoch nicht möglich. Zu Unrecht hat das Sozialgericht sich in seiner Entscheidung auf eine Glaubhaftmachung gestützt und damit einen mit § 128 Abs. 1 SGG nicht im Einklang stehenden Maßstab herangezogen. Während eine Tatsache bereits glaubhaft gemacht ist, wenn sie als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist, bedarf die richterliche Überzeugung bei Umständen, die dem sog. Vollbeweis unterliegen, gem. § 128 Abs. 1 SGG eines solchen Grades der Überzeugungskraft, dass ein vernünftiger Zweifel nicht gegeben ist (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris). Nachdem gesetzlich keine Beweiserleichterung vorgesehen ist, unterliegt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 303 Satz 1 SGB VI den Anforderungen an den Vollbeweis mit der Folge, dass ein Anspruchsteller für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen die materielle Beweislast trägt.

Weder das Einkommen des Klägers noch jenes der Versicherten lassen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. So liegt für den Kläger zum einen der SV-Ausweis vor, aus dem sich für 1984 nur beitragspflichtige Einnahmen von 6.600 Mark und für 1985 von 4.160 Mark ergeben. An der Richtigkeit dieser Beträge müssen jedoch erhebliche Zweifel bestehen, denn der Kläger gibt an, er habe täglich bis zu 10 Stunden in seinem Betrieb gearbeitet und dazu seine Ehefrau an fünf Wochentagen vier bis fünf Stunden zur Buchhaltung eingesetzt. Ein solcher Aufwand steht in keinem plausiblen Verhältnis zum behaupteten Ertrag. Hinzu kommt, dass gerichtsbekannt ist, wie nachgefragt Handwerkerleistungen der vom Kläger angebotenen Art in der ehemaligen DDR waren. Auch aus den Steuerbescheiden des Klägers für 1984 und 1985 lässt sich keine sichere Erkenntnis gewinnen, da steuerlich Abschreibungen und andere Faktoren zu berücksichtigen sind, die im Rahmen der Bedarfsdeckung des Haushalts außer Betracht zu bleiben haben. Auch beim Einkommen der Versicherten fehlt es an einer sicheren Möglichkeit der Feststellung. Der Kläger macht hierzu geltend, die Versicherte habe über das ganze Jahr hinweg mit dem Verkauf von Gärtnereierzeugnissen im Monatsdurchschnitt etwa 1000 Mark erlöst. Selbst wenn dies so wäre, könnte daraus kein Einkommen abgeleitet werden. Zu Recht rügt die Beklagte, dass es sich um Angaben zum Umsatz handelt, jedoch keine Angaben und Belege für Kosten vorhanden seien. An der Darstellung des Klägers, wonach Kosten quasi nicht angefallen seien, da etwa Materialien für die Gesteck- und Kranzherstellung im Wald gesammelt worden seien, überzeugt dies nicht. Nach seinen eigenen Angaben sei die Versicherte wöchentlich etwa 20 Stunden als Buchhalterin für seinen Betrieb tätig gewesen und habe sich alleine um den gesamten Haushalt und die Erziehung der gemeinsamen Tochter gekümmert. Wie der Versicherten bei dieser Belastung ohne Entstehung von Kosten eine Ernte der verschiedensten Obstsorten, die Pflege der Pflanzen, der Anbau von Setzlingen und Stecklingen und daneben das Sammeln von Gesteckmaterial und schließlich die Anfertigung der Gestecke in einer Menge möglich gewesen sein soll, die einen monatlichen Erlös von 1000 Mark ermöglicht hätten, erschließt sich dem Senat nicht. Zum naheliegenden Einsatz von Hilfskräften wie auch zu den allgemeinen Betriebskosten der Gärtnerei (Bewässerung, Heizung, Düngung) hat der Kläger auch auf Nachfrage weder vorgetragen noch stehen dem Senat insofern andere Erkenntnisquellen zur Verfügung. Lässt sich also bereits der jeweilige Beitrag der Eheleute zum Haushaltsbedarf durch Einkommenserzielung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so schließt dies den notwendigen Vergleich der jeweiligen Beiträge aus.

Die Unerweislichkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 303 Satz 1 SGB VI wirkt sich zu Lasten des materiell beweisbelasteten Klägers aus, so dass die Klage hat abgewiesen werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.

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