BFH, Urteil vom 20.11.2013 - X K 2/12
Fundstelle
openJur 2014, 16156
  • Rkr:

Hat der Kläger im Ausgangsverfahren ausschließlich wegen der überlangen Dauer dieses Verfahrens obsiegt, weil zu einem Zeitpunkt, in dem das Ausgangsverfahren bereits als verzögert anzusehen war, eine zugunsten des Klägers wirkende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtsfrage eingetreten ist, hat der Kläger durch die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens keinen "Nachteil" erlitten, so dass er weder eine Geldentschädigung noch die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beanspruchen kann.

Tatbestand

I. Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen der nach seiner Ansicht überlangen finanzgerichtlichen Verfahrensdauer.

Der Kläger erzielte im Jahre 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er hatte in seiner Einkommensteuererklärung beantragt, außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.381,36 EUR gemäß § 33 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Es handelte sich dabei um Kosten für einen zivilgerichtlichen Rechtsstreit. Dieser hatte eine zu Lasten seines Eigentums im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit und eine Garage zum Gegenstand. Das Finanzamt (FA) lehnte die Berücksichtigung dieser Kosten, die zu einer Steuerminderung von 169 EUR geführt hätten, ab.

Dagegen richtete sich die am 29. November 2005 beim Hessischen Finanzgericht (FG) eingegangene und am 13. Dezember 2005 dem FA zugestellte Klage, die unter dem Az. 12 K 3545/05 geführt wurde. Das FA beantragte mit einem am 5. Januar 2006 beim FG eingegangenen Schriftsatz die Abweisung der Klage, worauf der Kläger am 10. Januar 2006 nochmals Stellung nahm. Auf eine Sachstandsanfrage des Klägers vom 4. September 2006 teilte der Berichterstatter des FG mit, die Sache stehe noch nicht zur Entscheidung an. Dem Senat lägen noch zahlreiche ältere Verfahren vor, die bei der Bearbeitung grundsätzlich Vorrang hätten.

Mit Beschluss vom 16. August 2010 wurde der Rechtsstreit gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf den Einzelrichter übertragen, der mit Verfügung vom 19. August 2010 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. September 2010 anberaumte. Der Kläger beantragte wegen persönlicher Verhinderung Aufhebung und Verlegung des Termins und erklärte, ein mündlicher Verhandlungstermin dürfte überflüssig sein, weil auf Grund der Verzögerung des Verfahrens der Klage ohnehin stattzugeben sei. Der Einzelrichter hob den Termin auf und wies die Klage durch Urteil vom 9. September 2010 gemäß § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung ab. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) spreche bei Zivilprozesskosten eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Der Rechtsstreit habe keinen für den Kläger existentiell wichtigen Bereich betroffen.

Auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hob der BFH mit Beschluss vom 18. Januar 2011 VI B 136/10 (BFH/NV 2011, 813) das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der Kläger habe nur für den Fall der Stattgabe der Klage wegen der langen Verfahrensdauer die mündliche Verhandlung für entbehrlich erachtet. Die Entscheidung gemäß § 94a FGO sei daher eine Verletzung rechtlichen Gehörs gewesen.

Im zweiten Rechtsgang wies ein anderer Senat des FG durch den Einzelrichter die jetzt unter dem Az. 2 K 370/11 geführte Klage in mündlicher Verhandlung vom 12. April 2011 erneut ab. Die der ersten Entscheidung ähnliche Begründung ergänzte es durch Ausführungen dazu, dass und warum das Anliegen, auf dem die zivilrechtlichen Streitigkeiten beruhten, nämlich eine Garage, nicht existentiell sei.

Auf die erneute Beschwerde des Klägers ließ der BFH die Revision zu (Az. des Revisionsverfahrens VI R 39/11) und legte nach Erledigung der Hauptsache durch Beschluss vom 6. Februar 2012 die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA auf. Das Urteil des FG war damit gegenstandslos.

Am 24. Mai 2012 erhob der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage wegen unangemessen langer Verfahrensdauer. Die Verfahrensdauer habe allein im ersten Rechtszug vor dem FG mehr als vier Jahre und neun Kalendermonate betragen. Dies sei unangemessen.

Er habe einen Nachteil erlitten, der nicht Vermögensnachteil sei. In den Jahren nach dem Veranlagungsjahr 2004 seien die gleichen Sachverhalte zu berücksichtigen gewesen. Er sei zu Abgaben herangezogen worden, die nicht berechtigt gewesen seien, habe sich mit Rechtsmitteln gegen diese Steuerbescheide wehren und dazu Korrespondenz schwierigster Art und Weise führen müssen. Über diese Verfahren sei noch nicht entschieden.

Da § 198 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) eine Entschädigung von 1.200 EUR für jedes Kalenderjahr der Verzögerung vorsehe und die übliche Verfahrensdauer bei einem FG wohl mit einem Jahr angenommen werden könne, liege eine Verzögerung von drei Kalenderjahren und neun Monaten vor. Der Kläger halte daher eine Entschädigung in Höhe von 4.500 EUR für angemessen und erforderlich. Er stelle diese in das Ermessen des Gerichts. Sie sollte jedoch den Betrag von 4.200 EUR nicht unterschreiten.

Der Kläger beantragt,es wird festgestellt, dass das bei dem Hessischen Finanzgericht unter dem Az. 12 K 3545/05 geführte Verfahren eine überlange Verfahrensdauer aufweist. Der Beklagte wird verurteilt, eine Entschädigung nach Maßgabe von § 198 Abs. 2 GVG zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber nicht unter 4.200 EUR betragen sollte.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Die Klage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Eine nach den §§ 198 ff. GVG entschädigungspflichtige Verfahrensverzögerung sei nicht feststellbar.

Das zu beurteilende Verfahren sei durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet. Bei der Beurteilung von Bedeutung und Schwierigkeit des Verfahrens sei zu beachten, dass die Frage der Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht unumstritten gewesen sei. Zwar habe eine ständige Rechtsprechung des BFH bestanden. Diese habe aber zum einen eine Würdigung der den geltend gemachten Kosten zu Grunde liegenden Prozesse erfordert. Sie sei zum anderen bereits mit rechtlich bedeutsamen Argumenten von namhaften Teilen der Literatur angegriffen worden. Insoweit habe sich für das FG die Frage gestellt, ob möglicherweise von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abgewichen werden sollte. Angesichts der tatsächlich mit Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) vorgenommenen Änderung der Rechtsprechung sei dies nicht abwegig.

Vor diesem Hintergrund habe es sich bei dem finanzgerichtlichen Klageverfahren trotz Überschaubarkeit des zu beurteilenden Sachverhalts um einen Fall mit rechtlich durchaus gehobener Schwierigkeit gehandelt. Dem stehe die Übertragung auf den Einzelrichter nicht entgegen.

Die durchschnittliche Dauer finanzgerichtlicher Klageverfahren, über die zwischen 2007 und 2010 in der Sache selbst durch Urteil oder Gerichtsbescheid entschieden worden sei, habe etwa 25 Monate betragen (so der Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578). Danach erscheine der im Streitfall zwischen der Klageerhebung und dem Ergehen des ersten Urteils am 9. September 2010 verstrichene Zeitraum von vier Jahren und neun Monaten als grenzwertig, aber noch angemessen.

Wenn überhaupt eine unangemessene Verfahrensdauer angenommen werden könne, komme eine Entschädigung wegen eines --ohnehin unstreitig nicht als Vermögensnachteil zu qualifizierenden-- Nachteils nicht in Betracht. Hinsichtlich der Folgejahre sei keine erhebliche Benachteiligung erkennbar. Da insoweit eine identische Streitfrage vorliege, habe sich der Kläger dabei im Wesentlichen auf einen Hinweis auf bisheriges Vorbringen oder bisherige Schriftsätze beschränken können. Ein nennenswerter zeitlicher Mehraufwand im Rechtsbehelfsverfahren sei nicht erkennbar, zumal er selbst vorgetragen habe, dass hinsichtlich der Folgejahre die Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das im Jahre 2005 begonnene Verfahren ausgesetzt worden seien.

Danach erscheine eine etwaige Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer zur Wiedergutmachung ausreichend und eine Entschädigung nicht geboten.

Zudem sei die begehrte Höhe der Entschädigung in Anbetracht der Umstände des Falles unbillig. Der Kläger habe mit der Klage lediglich eine Einkommensteuerminderung von 169 EUR begehrt. Erst durch die relativ späte Entscheidung des Gerichts sei ihm die Rechtsprechungsänderung des BFH zugutegekommen.

Gründe

II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer noch auf Entschädigung.

a) Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG kann Entschädigung hierfür nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs. 4 ausreichend ist.

Nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ist Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, nach Satz 2 auch ohne Antrag. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG kann sie in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind.

b) Es kann dahinstehen, ob das Verfahren des FG unangemessen lang war. Der Kläger hat hierdurch jedenfalls keinen Nachteil i.S. von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erlitten. Ein solcher kann auch nicht nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet werden. Die Vermutung ist widerleglich (aa) und im vorliegenden Falle widerlegt (bb). Die Wiedergutmachung, gleich, ob durch Feststellung unangemessener Verfahrensdauer oder durch Entschädigung, setzt zwingend einen Nachteil voraus (cc).

aa) Der Anspruch auf Entschädigung und/oder Feststellung unangemessener Verfahrensdauer setzt nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einen auf der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens beruhenden Nachteil voraus. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG im Falle unangemessener Dauer vermutet.

aaa) Diese Vermutung ist schon nach dem Wortlaut der genannten Vorschriften nicht unwiderleglich (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks 17/3802, S. 19). Von einem wiedergutmachungspflichtigen Nachteil ist demnach nicht auszugehen, wenn (sicher) festgestellt werden kann, dass die (ggf. unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat, sei es, dass kein Nachteil vorliegt, sei es, dass kein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil vorliegt.

bbb) Die Vermutung des auf der Verfahrensdauer beruhenden Nachteils ist insbesondere dann widerlegt, wenn (sicher) festgestellt werden kann, dass die Verfahrensdauer für den betreffenden Verfahrensbeteiligten --abgesehen von der Dauer selbst-- ausschließlich von erheblichem Vorteil war.

Die Prüfung, ob die Verfahrensdauer zu einem Nachteil geführt hat, setzt eine Gesamtbewertung der Folgen voraus, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat. Die der langen Verfahrensdauer immanente Ungewissheit über den Verfahrensausgang mit der ihr eigenen Belastung für den rechtsschutzsuchenden Bürger kann für sich allein nicht dazu führen, dass ungeachtet sonstiger Folgen der Verfahrensdauer stets von einem Nachteil von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG auszugehen wäre. Da der der überlangen Verfahrensdauer immanente Nachteil der langen Ungewissheit unter der Voraussetzung überlanger Verfahrensdauer naturgemäß ausnahmslos vorliegt, würde mit einer derartigen Schlussfolgerung die widerlegliche Nachteilsvermutung tatsächlich zu einer unwiderleglichen Vermutung, was der Konzeption des Gesetzes nicht entspricht.

bb) Die lange Verfahrensdauer hat dem Kläger --abgesehen von der langen Ungewissheit über den Verfahrensausgang-- ausschließlich gewichtige Vorteile verschafft. Bei dieser Sachlage ist die Nachteilsvermutung als widerlegt anzusehen.

aaa) Der im Ergebnis für den Kläger positive Ausgang des gesamten Rechtsstreits --die Anerkennung der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung-- ist nur durch die lange Verfahrensdauer bei dem FG ermöglicht worden.

Dieser Vorteil hebt zwar für sich genommen den Nachteil der langen Ungewissheit noch nicht auf. Die Ungewissheit ist eine grundsätzlich vom Ausgang des jeweiligen Prozesses unabhängige Belastung. Der Kläger aber hat den Vorteil, den Rechtsstreit gewonnen zu haben, ausschließlich deswegen erreicht und erreichen können, weil das Verfahren so lange gedauert hat. Hätte das FG auch nur geringfügig früher entschieden, hätte er den Rechtsstreit verloren. Im konkreten Fall wird der aus der überlangen Verfahrensdauer folgende Nachteil ausnahmsweise durch die dem Kläger zugutekommende --erst während der überlangen Verfahrensdauer eingetretene-- Rechtsprechungsänderung ausgeglichen und kompensiert.

(1) Bis zum Jahre 2011 --und damit auch noch zum Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung des FG am 9. September 2010-- war nach ständiger Rechtsprechung des BFH davon auszugehen, dass die Kosten eines Zivilprozesses grundsätzlich nicht zwangsläufig waren.

Derartige Kosten galten nur dann als zwangsläufig, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berühre, der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr laufe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (vgl. die Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung in dem BFH-Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015, unter II.1.b).

Die jüngste in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 für diese Rechtsgrundsätze zitierte Entscheidung des BFH datierte aus dem Jahre 2008 (Urteil vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Der VI. Senat hat noch in einem Beschluss über eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vom 11. Januar 2011 VI B 60/10 (BFH/NV 2011, 876) auf diese Rechtsprechung Bezug genommen, ohne sie in Frage zu stellen.

Nach diesen Grundsätzen hätte die Klage des Klägers im Ausgangsverfahren keinen Erfolg haben können, wenn über sie innerhalb desjenigen Zeitraums entschieden worden wäre, den der Kläger als noch angemessene Verfahrensdauer ansieht.

(2) Erst mit der Entscheidung in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 im Mai 2011 änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 EStG über die bisherigen Grundsätze hinaus auch dann an, wenn der Steuerpflichtige den Zivilprozess unter verständiger Würdigung des Für und Wider einschließlich des Kostenrisikos eingegangen war, mithin (nur) dann nicht, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.

Nach diesen geänderten Rechtsprechungsgrundsätzen war dem Begehren des Klägers zu folgen. Die geänderte Rechtsprechung war aber noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG im zweiten Rechtsgang am 12. April 2011 bekannt. Erst im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren konnte das Begehren des Klägers letztlich Erfolg haben.

(3) Zwar kann theoretisch nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer früheren Entscheidung des FG seinerseits die tatsächlich dann im Mai 2011 eingetretene Rechtsprechungsänderung erwirkt hätte. Dies ist allerdings eine nicht belegbare Hypothese. Eine positive Feststellung zu der Frage, wie sich das Ausgangsverfahren unter anderen Bedingungen entwickelt hätte, ist nicht möglich. Für die Frage, wie sich die lange Verfahrensdauer ausgewirkt hat, ist der tatsächliche und nicht ein auf einer Fiktion beruhender hypothetischer Kausalverlauf maßgebend (ebenso zur Haftung nach §§ 69 ff. der Abgabenordnung, Urteile des BFH vom 5. Juni 2007 VII R 65/05, BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273; vom 4. Dezember 2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521; vom 11. November 2008 VII R 19/08, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342).

(4) Ob der Streitfall anders zu beurteilen sein könnte, wenn die Verfahrensdauer in den Bereich der sog. absoluten Überlänge hineinragen würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden, da diese Grenze jedenfalls nicht erreicht ist (vgl. hierzu Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, unter II.2.c bb, www.bundesfinanzhof.de/entscheidungen, Datum der Veröffentlichung: 11. Dezember 2013).

bbb) Sonstige Nachteile hat der Kläger durch die lange Verfahrensdauer nicht erlitten.

Wenn er meint, die lange Verfahrensdauer habe ihn auch in den Folgejahren in Rechtsbehelfe getrieben, die ihn belastet hätten, ist dies unschlüssig. Soweit diese Veranlagungen mit Rücksicht auf den anhängigen Rechtsstreit des Jahres 2004 über Jahre hinweg nicht bestandskräftig wurden, war das ebenso wie die lange Verfahrensdauer hinsichtlich des Jahres 2004 für den Kläger nur von Vorteil. Nur so konnte er auch für die Folgejahre den Nutzen aus der Änderung der Rechtsprechung ziehen. Hätte das FG im Sinne der damaligen Rechtsprechung zügig entschieden, hätte ihm dies die Rechtsbehelfe in den Folgejahren gerade nicht erspart, sondern er hätte auch dort den Streit in der Sache endgültig verloren.

cc) Hat der Verfahrensbeteiligte infolge der Dauer eines Gerichtsverfahrens keinen Nachteil erlitten, findet eine Wiedergutmachung weder durch Feststellung unangemessener Verfahrensdauer noch durch Entschädigung statt. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist ein --ggf. nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermuteter-- Nachteil zwingende Voraussetzung der Entschädigung.