LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 18.12.2013 - L 27 P 8/11
Fundstelle
openJur 2014, 10067
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der zwischen den Beteiligten am 16. Januar 2002 geschlossene Vertrag über die private Pflegeversicherung zum 1. Februar 2002 mit der Tarifstufe PVB fortbesteht und weder durch die Rücknahme noch durch Anfechtung des Beklagten mit Schreiben vom 24. November 2003 beendet worden ist.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der zwischen den Beteiligten geschlossene private Pflegepflichtversicherungsvertrag unverändert fortbesteht und nicht durch Rücktritt bzw. Anfechtung durch den Beklagten beendet worden ist.

Der 1979 geborene Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Berliner Landesdienst und nach landesrechtlichen Regelungen in der Krankenversicherung beihilfeberechtigt.

Am 12. Januar 2002 beantragte der Kläger bei dem Außendienstmitarbeiter des Beklagten MK den Abschluss einer privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherung, da sein bisheriger Versicherungsschutz zum 31. Januar 2002 endete. Die in dem gemeinsamen Antragsformular unter „Angaben und Erklärungen für die Kranken- und Sterbegeldversicherung unter der Ziffer VII. „Angaben über die Gesundheitsverhältnisse der zu versichernden Person gestellten Fragen zu Ziffer 2 : „Bestehen Krank-heiten,…geistige Schäden… (wie z. B. psychische Störungen…)?“ und zu Ziffer 3: „Erfolgten in den letzten drei Jahren, 3.1 ambulante Behandlungen, Untersuchungen und Beratungen? verneinte der Kläger durch entsprechende Ankreuzung. Der Versicherungsvertrag über die private Kranken- und Pflegepflichtversicherung kam darauf hin am 16. Januar 2002 mit den Tarifstufen „P30+P20, Z30+Z20, BE, WK50, PVB“ zustande.

Mit Schreiben vom 24. November 2003, das beim Kläger am 25. November 2003 einging, erklärte der Beklagte den Rücktritt und die Anfechtung des Vertrages. In der Begründung heißt es:

„Nach Auskunft des Psychiaters Herrn Dr. S werden Sie dort seit Mai 2000 regelmäßig wegen eines Angstsyndroms behandelt. Neben einer Psychopharmakatherapie finden Gespräche statt. Bei Vertragsabschluss war uns der dargestellte Sachverhalt nicht bekannt. Anderenfalls hätten wir den Vertrag nicht geschlossen.“

Nachdem der Versuch eine gütlichen Einigung vor dem Ombudsmann des Beklagten gescheitert war, hat der Kläger am 31. Dezember 2004 Klage vor dem Landgericht Berlin (Az: 7 O 657/04) auf Feststellung des Fortbestandes des Vertrages über die Kranken- und Pflegepflichtversicherung erhoben, die er bezogen auf die Feststellung des Fortbestandes des Vertrages über die Pflegepflichtversicherung aufgrund des Hinweises des Landgerichts zur Unzulässigkeit des beschrittenen Zivilrechtsweges zurückgenommen hat. Mit Urteil vom 24. November 2005 hat das Landgericht das in der Sache ergangene Versäumnisurteil vom 30. Juni 2005 aufrechterhalten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung des unveränderten Fortbestandes des zwischen den Beteiligten geschlossenen Krankenversicherungsvertrages. Der Beklagte sei wirksam vom Vertrag gemäß § 16 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung zurückgetreten. Denn der Kläger habe die Gesundheitsfrage der Ziffer 3.1. falsch beantwortet und dadurch seine vorvertragliche Anzeigenobliegenheit verletzt. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Kammergericht Berlin mit Beschluss vom 16. Mai 2006 (Az: 6 U 12/06) zurückgewiesen. Die vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (Az: VerfGH 110/06) und vor dem Bundesverfassungsgericht (Az: 1 BvR 2863/09) erhobenen Verfassungsbeschwerden blieben erfolglos.

Der Kläger hat am 22. Juli 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin auf Feststellung des Fortbestandes des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages erhoben.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Der zwischen den Beteiligten geschlossene Vertrag über eine private Pflegepflichtversicherung sei durch den wirksamen Rücktritt des Beklagten beendet worden. Der Kläger habe dem Beklagten bei Schließung des Versicherungsvertrages ihm bekannte Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich waren, schuldhaft nicht bzw. unrichtig angezeigt; der Beklagte sei daher gemäß §§ 16, 17 VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung zum Rücktritt berechtigt gewesen. Der Rücktritt sei nicht nach § 14 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung in der im Zeitpunkt seiner Ausübung im Jahre 2003 gültigen Fassung (MB / PPV 1996) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sei eine Beendigung der privaten Pflegepflichtversicherung durch Kündigung oder Rücktritt seitens des Versicherers zwar nicht möglich, solange der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 3 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches XI. Buch (SGB XI) bestehe. Ein Kontrahierungszwang zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages habe jedoch nicht bestanden, da der private Krankenversicherungsvertrag wirksam durch Rücktritt rückwirkend aufgelöst worden sei. Die Wirksamkeit dieses Rücktrittes habe das Zivilgericht rechtskräftig festgestellt.

Gegen das ihm am 21. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Februar 2011 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Zur Begründung trägt er vor, dass er zwar seit dem 1. Februar 2004 wieder anderweitig kranken- und pflegeversichert sei. Er wolle jedoch an dem Vertragsverhältnis mit dem Beklagten festhalten. Aufgrund des gesetzlich bezweckten Schutzes vor plötzlicher Pflegebedürftigkeit sei ein Rücktritt bzw. eine Anfechtung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages nicht möglich. Im Übrigen sei gegenüber dem Versicherungsmakler mündlich die erfolgte Behandlung vor Vertragsschluss angezeigt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der zwischen den Beteiligten am 16. Januar 2002 geschlossene Vertrag über die private Pflegepflichtversicherung zum 1. Februar 2002 mit der Tarifstufe PVB unverändert fortbesteht und weder durch die Rücknahme noch durch Anfechtung des Beklagten mit Schreiben vom 24. November 2003 beendet worden ist,

hilfsweise,

dass der Vertrag jedenfalls für die Zeit vom 25. November 2003 bis zum 31. Januar 2004 unverändert fortbesteht und weder durch Rücknahme noch durch Anfechtung des Beklagten mit Schreiben vom 24. November 2003 beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Dem Kläger fehle das Rechtschutzbedürfnis an einem feststellenden Ausspruch des Gerichts. Die Kündigung sei zu Recht erfolgt, da der Kläger falsche Angaben über Vorerkrankungen gemacht habe. Überdies läge eine arglistige Täuschung vor, die unabhängig vom Kontrahierungszwang das Vertragsverhältnis beende.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Landgerichts Berlin (Az: 7 O 657/04) Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgericht, das zutreffend von der Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten ausgegangen ist (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG), ist fehlerhaft und daher aufzuheben. Der Kläger hat im Sinne des im Berufungsverfahrens gestellten Hauptklageantrages einen Anspruch auf Feststellung, dass das mit dem Beklagten bestehende private Pflegepflichtversicherungsverhältnis unverändert fortbesteht und weder durch Rücktritt noch durch Anfechtung des Beklagten beendet worden ist.

Die von dem Kläger erhobene Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an einer entsprechenden Feststellung im Sinne seines Hauptklageantrages. Das berechtigte Interesse an einer Klärung bestehender Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis zum Beklagten entfällt nicht deshalb, weil der Kläger zwischenzeitlich anderweitig kranken- und pflegepflichtversichert ist. Der Kläger hat zum Ausdruck gebracht, dass er an dem Vertragsverhältnis zum Beklagten festhalten möchte. Dieses Recht kann ihm angesichts der bestehenden Wahlfreiheit, mit welchem Versicherungsunternehmen er einen privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag abschließen und das Versicherungsverhältnis fortsetzen möchte, nicht abgesprochen werden.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung des unveränderten Fortbestandes des mit dem Beklagten bestehenden Pflegepflichtversicherungsvertrages. Der Vertrag ist weder durch wirksamen Rücktritt noch durch wirksame Anfechtung seitens des Beklagten mit Schreiben vom 24. November 2003 beendet worden.

Der Wirksamkeit des nach §§ 16, 17 VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden und hier maßgeblichen Fassung seitens des Versicherungsnehmers ausgesprochenen Rücktritts vom Vertrag aufgrund unrichtiger Angaben bzw. fehlerhafter Anzeige vertragserheblicher Umstände steht § 14 MB/PPV 1996 entgegen. Danach ist die Beendigung der privaten Pflegepflichtversicherung durch Kündigung oder Rücktritt seitens des Versicherers ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Absatz 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGB XI besteht. Das ist im Zeitpunkt der hier allein maßgeblichen Erklärung des Rücktritts unverändert der Fall. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Kontrahierungszwang zum Abschluss eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGB XI nicht dadurch aufgehoben worden, weil der Krankenversicherungsschutz des Klägers rückwirkend – wie zivilgerichtlich festgestellt - entfallen ist. Der Kläger unterliegt gemäß § 23 Abs. 3 SGB XI als eine Person, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Pflegebedürftigkeit Ansprüche auf Beihilfe hat, der Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages. Die Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages ist dabei gerade nicht davon abhängig, dass der Kläger zugleich (privat) krankenversichert ist (vgl. hierzu Udsching, SGB XI, Kommentar, 3. Auflage, 2010, § 23 Rn. 8 sowie Gallon in: Klie/Kramer, Lehr- und Praxiskommentar SGB XI, 3. Auflage, 2009, § 110 Rn. 26 und § 23 Rn. 30 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 - B 12 P 3/02 R -). Denn die Krankenversicherung als Pflichtversicherung ist erst zum 1. Januar 2009 eingeführt worden (vgl. § 193 Abs. 3 VVG neue Fassung). Als Neuversicherer, d. h. ein solcher, der noch nicht bei Inkrafttreten des SGB XI zum 1. Januar 1995 privat krankenversichert war, unterliegt der Kläger der Regelung des § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI, die den Kontrahierungszwang der Anbieter privater Pflegepflichtversicherungen auslöst, auch dann, wenn der Kläger nicht privat krankenversichert gewesen wäre (vgl. hierzu Udsching, a. a. O., § 110 Rn. 5 SGB XI). Demzufolge hätte ein Kontrahierungszwang zum Abschluss eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages für den Beklagten, der sich insoweit als Anbieter an der privaten Pflegepflichtversicherung beteiligt, auch dann bestanden, wenn der Kläger nicht über eine Krankenversicherung verfügt hätte, eine solche mit dem Beklagten nicht zeitgleich abgeschlossen hätte oder ein bestehendes Krankenversicherungsverhältnis - wie vorliegend - rückwirkend aufgehoben worden ist. Dann aber können dem Kläger Umstände, die für den Abschluss eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages unmaßgeblich waren (wie Vorerkrankungen nach § 110 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI), nicht zum Zwecke der Beendigung des Vertragsverhältnisses entgegengehalten werden (vgl. zum Ausschluss der Kündigungsrechts im Bereich der privaten Pflegepflichtversicherung auch: BGH, Urteil vom 7. Dezember 2011 - IV ZR 105/11 -).

Der private Pflegepflichtversicherungsvertrag ist auch nicht wirksam durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 22 VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung. i. V. m. § 123 BGB beendet worden. Da der Kläger mit Blick auf § 110 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI nicht verpflichtet war, Vorerkrankungen und damit im Zusammenhang stehende Umstände vor Vertragsschluss mitzuteilen, hat er auch durch die vermeintliche Nichtanzeige der hier strittigen Behandlungsmaßnahmen keine arglistige Täuschung begangen, auf die der Beklagte erfolgreich eine Beendigung des Vertrages stützen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.