VG Gelsenkirchen, Urteil vom 28.02.2014 - 6z K 3820/11
Fundstelle
openJur 2014, 10012
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der am 31. Oktober 1990 geborene Kläger erwarb am 2. Mai 2011 in Bayern die Hochschulzugangsberechtigung mit einer bescheinigten Durchschnittsnote von 3,7.

Mit Zulassungsantrag vom 15. Juni 2011 bewarb der Kläger sich bei der Beklagten, zunächst ohne Stellung von Sonderanträgen, um einen Studienplatz im Studiengang Humanmedizin zum Wintersemester 2011/2012. Als Ortwünsche gab er in absteigender Reihenfolge Magdeburg, Rostock, Halle, Düsseldorf, Bochum und Bonn an. Mit einem weiterem undatierten Antrag änderte der Kläger seinen bisherigen Zulassungsantrag und stellte dabei einen Sonderantrag auf sofortige Zulassung zum Studium in der Quote für Fälle außergewöhnlicher Härte wegen besonderer familiärer oder sozialer Umstände (Antrag D.2) und einen Sonderantrag auf bevorzugte Berücksichtigung des ersten Studienortwunsches. Als Ortswünsche in absteigender Reihenfolge gab er diesmal München, Rostock, Halle, Düsseldorf, Bochum und Bonn an. Zur Begründung machte er geltend, er lebe mit seiner berufstätigen Mutter und seiner 67jährigen Großmutter in einem Haushalt und müsse seine erkrankte Großmutter pflegen. Das Krankheitsbild der Großmutter erlaube nur eine Pflege durch engste Familienangehörige und da seine Mutter auf Grund ihrer Berufstätigkeit als selbstständige Ärztin über wenig Zeit verfüge, müsse er diese Aufgabe wahrnehmen. Da bei der Großmutter eine Tendenz zur Verschlechterung bestehe, sei es erforderlich, dass er das Studium sofort und in der Nähe aufnehme. Zum Unterhalt seiner Großmutter sei er im Übrigen auch zivilrechtlich verpflichtet. Er erbringe seine Unterhaltsleistung in Form von Pflege. Da der Begriff der außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 15 VergabeVO im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen sei, sei diese Verpflichtung zu berücksichtigen. Den Sonderanträgen fügte der Kläger verschiedene Unterlagen zu Belegzwecken bei, auf die wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird. Hinsichtlich der Erkrankung seiner Großmutter legte er zwei ärztliche Stellungnahmen vor, einen Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klink C1. B. GmbH vom 24. Oktober 2007 und eine neurologische Bescheinigung des Facharztes für Neurologie Dr. med L. -P. T. vom 21. Juni 2011.

Mit Bescheid vom 12. August 2011 lehnte die Beklagte den Zulassungsantrag des Klägers ab. Den Härtefallantrag erkannte die Beklagte nicht an. Nach den bestehenden Vorschriften dürfe ein Härtefallantrag nur dann anerkannt werden, wenn die vom Bewerber nachgewiesenen Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erforderte. Über die bevorzugte Berücksichtigung des Studienortwunsches habe daher nicht entschieden werden müssen.

Am 9. September 2011 hat der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens im Antragsverfahren die vorliegende Klage erhoben und beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 12. August 2011 zu verpflichten, ihm einen Studienplatz an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hilfsweise an einer anderen bundesdeutschen Hochschule im Studienfach Humanmedizin im ersten Fachsemester im Wintersemester 2011/2012 zuzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger die maßgeblichen Auswahlgrenzen nicht erreicht habe. Dem Antrag auf sofortige Zulassung habe nicht entsprochen werden können. Bereits die Krankheit oder Schwerbehinderung eines oder beider Elternteile sei im Negativkatalog der unbegründeten Härtefallanträge aufgeführt, sodass dies erst Recht für die Krankheit von Großeltern gelte. Zudem seien die eingereichten Belege zur Erkrankung der Großmutter entweder zu alt oder für die Zukunft nicht aussagekräftig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten in Ablichtung übersandten Bewerbungsunterlagen des Klägers (Beiakte Heft 1) Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO) ist nicht begründet; denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuteilung des beantragten Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin.

Studienplätze in diesem Studiengang werden für das Wintersemester 2011/12 gemäß § 1 Satz 2 VergabeVO i. V. m. ihrer Anlage 1 in einem allgemeinen Auswahlverfahren nach Maßgabe der §§ 6 ff. VergabeVO vergeben. Der Kläger erfüllt mit seiner Abiturnote von 3,7 und ohne Wartezeit nicht die für ihn maßgeblichen Auswahlgrenzen. Diese lagen für die Auswahl nach Qualifikation (vgl. § 11 VergabeVO) für Hochschulzugangsberechtigte aus Bayern bei einer Durchschnittsnote von 1,0. Für die Auswahl nach Wartezeit (vgl. § 14 VergabeVO) waren mindestens zwölf Halbjahre erforderlich.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Auswahl nach Härtegesichtspunkten (§ 15 VergabeVO). Die Studienplätze der Härtequote werden an Bewerber vergeben, für die es eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, wenn sie keine Zulassung erhielten. Da die Zulassung im Härtewege nach dem System des § 6 VergabeVO zwangsläufig zur Zurückweisung eines anderen, noch nicht zugelassenen Erstbewerbers führt, ist eine strenge Betrachtungsweise geboten.

Ständige Rechtsprechung, siehe etwa OVG NRW, Beschluss vom 17. Mai 2010 - 13 B 504/10 -, abrufbar in der Datenbank "www.nrwe.de"; Berlin, in: Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage 2003, § 21 VergabeVO Rn. 1.

Eine außergewöhnliche Härte liegt gemäß § 15 Satz 2 VergabeVO vor, wenn in der eigenen Person liegende besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern. Der Kläger hat sich zur Begründung seines Antrages inhaltlich auf die Fallgruppe D 2 der auf den Internetseiten der Beklagten genannten Regelbeispiele begründeter Anträge berufen.

Die Kammer hat im Hinblick auf die vom Kläger zunächst unter dem 15. Juni 2011 beantragte Zulassung ohne Sonderanträge, bei der der Kläger als ersten Ortswunsch noch Magdeburg angegeben hat, schon Zweifel an der Ernsthaftigkeit der vom Kläger dargestellten Absicht der weiteren Pflege seiner schon seit Jahren erkrankten Großmutter. Aber selbst bei unterstellter Ernsthaftigkeit hat die Klage keinen Erfolg. Die vom Kläger dargelegten familiären Umstände mögen zwar für eine Bindung an München sprechen, lassen aber nicht erkennen, warum es für den Kläger unzumutbar sein sollte, wie andere Bewerber mit vergleichbaren Auswahldaten auf einen Studienplatz zu warten. Soweit der Kläger geltend macht, der Gesundheitszustand seiner Großmutter könne sich in den nächsten Jahren so erheblich verschlechtern, dass das Studium nicht abgeschlossen werden könne, fehlt es schon an entsprechenden ärztlichen Attesten zu dem konkret zu erwartenden Krankheitsverlauf bei der Großmutter. In dem Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klink C1. B. GmbH vom 24. Oktober 2007 finden sich keine prognostischen Ausführungen zum weiteren Krankheitsverlauf. Ausführungen dazu enthält nur die neurologische Bescheinigung des Facharztes für Neurologie Dr. med L. -P. T. vom 21. Juni 2011. Dort heißt es aber lediglich pauschal, es bestehe eine Tendenz zur Befundverschlechterung, die Symptomatik sei progredient. Wann und insbesondere welche konkreten Verschlechterungen eintreten werden, die den Kläger außer Stande setzen sollen, neben der Pflege seiner Großmutter Humanmedizin zu studieren, ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht. Aber selbst bei Vorlage entsprechender Atteste wäre darüber hinaus nicht nachvollziehbar, warum ein nach Ablauf der Wartezeit begonnenes Studium nicht vorübergehend unterbrochen werden könnte, sondern gleich endgültig abgebrochen werden müsste. Es stellen sich auch noch vielfältige weitere Fragen, die im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben können, beispielsweise, ob die Begleitung zu Arztbesuchen, die Übernahme der Einkäufe und das Verbringen gemeinsamer Freizeit überhaupt den Begriff der Pflege ausfüllt und ob es der Mutter des Klägers nicht zumutbar wäre sich an der Pflege zu beteiligen, wenn sich der Gesundheitszustand der Großmutter in Zukunft, worauf sie sich einstellen könnte, erheblich verschlechterte.

Da es im vorliegenden Verfahren nicht darauf ankommt, kann die Kammer auch die von der Beklagten aufgeworfene und bislang noch nicht entschiedene Frage dahingestellt lassen, ob die beabsichtigte Pflege von Großeltern überhaupt einen Härtefall i.S.v. § 15 VergabeVO darstellen kann, wenn in der Norm tatbestandlich vorausgesetzt wird, dass es sich um in eigener Person liegende besondere familiäre Gründe handeln muss.

ablehnend: Berlin, in Bahro/Berlin, a.a.O., § 21 VergabeVO, Rdnr. 5.

Danach war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.