LG Münster, Urteil vom 31.01.2014 - 08 O 504/12
Fundstelle
openJur 2014, 9888
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.990,10 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 7640,00 € seit dem 04.09.2009 und aus einem Betrag von 350,10 € seit dem 18.01.2013. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Vergütungs- und Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der von ihr durchgeführten tierärztlichen Behandlung geltend.

Das im Eigentum der Beklagten stehende Pferd X wurde entsprechend der zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvereinbarung am 04.09.2009 ab 22.15 Uhr veterinärmedizinisch im Hause der Klägerin behandelt. Die diensthabenden Ärztinnen, die Zeuginnen Dr. E und Dr. G, führten bei dem Pferd, das mit einer Schlundverstopfung eingeliefert worden war, eine gastrointestinale Untersuchung durch. Hierfür wurde das Pferd sediert und in einen Untersuchungsständer verbracht. Nachdem sich deutliche Anzeichen für eine erfolgreiche Sedation zeigten, brachte die Zeugin Dr. E eine Oberlippenbremse an und führte - nachdem die Fixierung des Pferdes sichergestellt war - das Endoskop in den Nasengang des Pferdes ein. Nach durchgeführter Tracheoskopie wurde das Endoskop, das in arbeitsteiliger Weise von den beiden Zeuginnen geführt wurde, bis zum Larynx zurückgezogen, um sodann eine Oesophagoskopie vornehmen zu können. Nachdem das Pferd zunächst keine zur Einführung des Endoskops in die Speiseröhre erforderlichen Schluckbewegungen zeigte, konnte der Schluckreflex stimuliert und das Endoskop - unter Sichtbehinderungen durch Futterpartikel - weiterbewegt werden. Dabei geriet die Endoskopspitze in den bezahnten Rachenraum des Pferdes und wurde durch dessen Zubiss beschädigt. Die Kosten der streitgegenständlichen Behandlung, die im Übrigen zu Ende geführt werden konnte, betrugen gemäß der Rechnung vom 26.10.2009 350,10 € und wurden - was von der Beklagten nicht bestritten wird - nicht beglichen.

Die Klägerin behauptet, die Endoskopspitze habe nach dem Zubiss deutliche Beschädigungen in Form von Einquetschungen und Einbissspuren gezeigt, zudem sei die Optik nicht mehr funktionstüchtig gewesen. Die erforderlichen Reparaturkosten seien ausweislich des von der Fa. N eingeholten Kostenvoranschlags mit einem Nettobetrag von 7.640,00 € zu bemessen.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.990,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.09.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, dass der Schaden am Endoskop auf eine fehlerhafte Durchführung der Endoskopie zurückzuführen sei. Der Schaden wäre nicht eingetreten, wenn das Endoskop langsam und vorsichtig in die Speiseröhre geschoben worden wäre. Durch ein vorsichtiges Einführen könne ausgeschlossen werden, dass die Endoskopspitze in den Bissbereich des Pferdes gelangt. Demgegenüber hätten die behandelnden Ärztinnen den Endoskopschlauch zu hastig eingeführt. Es sei zudem üblich, aus ärztlicher Vorsorge eine Beißschiene anzulegen, um einen Zubiss des Pferdes zu verhindern.

Die Beklagte bestreitet zudem, dass es sich bei dem Endoskop, das dem Kostenvoranschlag zugrunde lag, um das bei der streitgegenständlichen Untersuchung verwendete Endoskop handelt. Sie bestreitet ferner, dass der aus dem Kostenvoranschlag ersichtliche Reparaturweg erforderlich ist und die veranschlagten Kosten angemessen sind.

Sie ist der Ansicht, dass die Beschädigung des Endoskops ausschließlich auf ein Verschulden der behandelnden Tierärztinnen zurückzuführen sein, sodass ihre verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung vollständig zurücktrete.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen Dr. E und Dr. G sowie durch die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2013 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 22.07.2013 und 13.12.2013 verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist mit Ausnahme eines Teiles der Zinsforderung begründet.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Vergütungsanspruch in Höhe von 350,10 € aus §§ 611, 612 BGB zu. Der Anspruch ist auch fällig, § 614 BGB. Die nach der Behandlungsvereinbarung vom 04.09.2009 geschuldete tierärztliche Behandlung ist unstreitig durchgeführt worden.

2.

Es besteht auch ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte in Höhe von 7.640,00 € aus § 833 S. 1 BGB. Durch den unstreitig erfolgten Zubiss des Pferdes, dessen Halterin die Beklagte war, auf die Endoskopspitze ist der Klägerin ein Schaden in Höhe der sich aus dem Kostenvoranschlag ergebenden Nettoreparaturkosten entstanden. Bei der Rechtsgutsverletzung der Klägerin hat sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch die dem Tier typischerweise anhaftende Gefahr verwirklicht, da der Schaden auf der Unberechenbarkeit und der Selbständigkeit tierischen Verhaltens sowie der dadurch hervorgerufenen Gefährdung beruht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass an dem Pferd ärztliche Behandlungsmaßnahmen, also von außen auf es einwirkende Maßnahmen, durchgeführt worden sind. Ein Wegfall der Tiergefahr käme allenfalls dann in Betracht, wenn der äußere Zwang - hier durch die tierärztliche Behandlung - so groß gewesen wäre, dass dem Tier keine andere Möglichkeit außer dem schädigenden Verhalten verblieben wäre (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 789, 791, juris).

Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zwar mag der von den behandelnden Ärztinnen ausgelöste Schluckreflex als Ergebnis eines äußeren Zwangs angesehen werden können; der zum Schaden führende Zubiss des Pferdes entsprang demgegenüber dem eigenen, unberechenbaren Impuls des Pferdes.

Ein Fall des Handelns auf eigene Gefahr, bei dem es in Ausnahmefällen zu einem Ausschluss der verschuldensabhängigen Tierhalterhaftung kommen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Ein solcher - grundsätzlicher - Ausschluss aus Normzwecküberlegungen kommt regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn sich der Geschädigte der Tiergefahr ausgesetzt hat, um - wie vorliegend - aufgrund vertraglicher Absprache mit dem Tierhalter Verrichtungen an dem Tier vorzunehmen, wie es beim Tierarzt der Fall ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2009, VI ZR 166/08, juris).

Hinsichtlich der Kausalität hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass das Endoskop, für dessen Beschädigung Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, dasselbe ist, das bei der streitgegenständlichen Untersuchung verwendet und durch den Zubiss des Pferdes der Beklagten beschädigt wurde. Anhaltspunkte, die eine andere Annahme nahelegen könnten, sind zum einen nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht in substantiierter Weise vorgetragen. Zum anderen spricht bei lebensnaher Betrachtung bereits der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Tag der Behandlung (04.09.2009) und dem Datum des Kostenvoranschlags (18.09.2009) für die Annahme der Identität.

Ein Anspruch besteht auch in der zugesprochenen Höhe von 7.640,00 €. Für die Ermittlung des Schadensumfangs legt das Gericht den klägerseits vorgelegten Kostenvoranschlag zu Grunde, § 287 ZPO. Anhand dieses in sich nachvollziehbaren Kostenvoranschlags vermochte die Klägerin die zur Wiederherstellung des beschädigten Gastroskops erforderlichen Kosten ausreichend zu substantiieren, wohingegen das Vorbringen der Beklagten auch auf den Hinweis des Gerichts vom 13.12.2013 als pauschales Bestreiten außer Betracht zu bleiben hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kostenvoranschlag möglicherweise keine taugliche Grundlage sein könnte, da er aus Gefälligkeit erstattet worden sein könnte, haben sich dem Gericht nicht geboten. Auch soweit die Beklagte vorbringt, dass eine Reparatur auf Basis des Kostenvoranschlags wegen möglicherweise vor dem Schadenseintritt vorhandener Gebrauchsspuren zu einer Wertverbesserung führen dürfte, greift dies letztlich nicht durch. Dass wegen des Einbaus von Ersatzteilen bei

der Reparatur des beschädigten Endoskops ein Abzug "neu für alt" gerechtfertigt ist, hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, inwieweit durch die Reparatur eine messbare Vermögensmehrung bei der Klägerin eingetreten ist, die sich für die Klägerin wirtschaftlich günstig auswirkt. Aus der Aufstellung der zu ersetzenden Teile im Kostenvoranschlag ist ersichtlich, dass von einem Teilaustausch die Endoskopspitze und der sich an diese anschließende Schlauch betroffen sind, nicht aber beispielsweise das Steuerungsgerät. Eine vergleichbare Situation zu der, dass bei einem Kraftfahrzeug ein generalüberholter Motor eingebaut wird, bei der ein Abzug "neu für alt" gewährt wird (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Auflage 2013, Vorb v § 249 BGB, Rn. 98), liegt nicht vor, da eine spürbare Verlängerung der Lebensdauer des Endoskops durch den Austausch der genannten Teile nicht eintritt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die auszutauschenden Ersatzteile im Allgemeinen die Lebensdauer des Endoskops erreichen.

Den Nachweis eines anspruchsmindernden Mitverschuldens der behandelnden Tierärztinnen im Sinne von § 254 BGB, das der Klägerin nach § 278 BGB zuzurechnen wäre, vermochte die Beklagte nicht zu führen. Anhand der in jeder Hinsicht überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. T im Rahmen seines mündlich erstatteten Gutachtens, denen das Gericht hinsichtlich der Beurteilung der Sachgemäßheit des tierärztlichen Vorgehens folgt, kommt das Gericht nicht zu der Auffassung, dass den behandelnden Tierärztinnen ein Verhalten vorgeworfen werden kann, das innerhalb ihres Risiko- und Verantwortungsbereiches liegt und das zurechenbar zum Entstehen oder zur Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Die Angaben der beiden Zeuginnen, mit denen der Sachverständige sich in seinem mündlich erstatteten Gutachten auseinandersetzte, stimmten miteinander überein und waren auch in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar, sodass das Gericht von der Glaubhaftigkeit der Aussagen überzeugt ist. Diese zugrunde legend kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass das Vorgehen der Zeugin Dr. G, die bei der streitgegenständlichen Untersuchung die Lenkung des Endoskops übernahm und der Zeugin Dr. E die Anweisungen hinsichtlich des Weiterschiebens des Schlauchs gab, standardmäßig und daher nicht zu beanstanden war. Soweit er angab, dass es möglicherweise hilfreich gewesen wäre, wenn die Zeugin Dr. E ebenfalls auf den an das Endoskop angeschlossenen Bildschirm gesehen hätte, so ist dies nach der Auffassung des Gerichts nicht ausreichend, um einen Verschuldensbeitrag der Klägerin zu beweisen. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass bei der Untersuchung ein Monitor zur Verwendung kam. Jedoch führte der Sachverständige auch aus, dass ein solcher bei endoskopischen Untersuchungen nicht zwingend zum Einsatz kommen muss. Bei der ebenfalls möglichen - und nach Auffassung des Gerichts ebenso sachgemäßen - Variante, dass das Endoskop eine Optik enthält und nicht an einen Bildschirm angeschlossen ist, ist das Bild auch nur für einen der behandelnden Ärzte zu sehen. Letztlich verbleiben auch erhebliche Zweifel daran, ob das Mitbeobachten des Bildschirms durch die Zeugin Dr. E das den Zubiss des Pferdes ermöglichende Umschlagen des Endoskops verhindert hätte. Die Sicht war unmittelbar vor dem Weiterschieben der Endoskopspitze nicht klar, sondern durch Futterpartikel behindert.

Auch dass unstreitig kein Endoskopschutz in Form z.B. eines Uturus verwendet wurde, ist der Klägerin nach Auffassung des Gerichts nicht als schuldhaftes Vorgehen vorzuwerfen. Auch dieses Vorgehen entspricht zum einen dem standardmäßigen Vorgehen, wie der Sachverständige unter Hinweis auf die andernfalls in vielen Fällen nicht durchführbare Untersuchung erläutert hat. Zum anderen erfolgte die Untersuchung ohne Endoskopschutz vorliegend auch in - nach Überzeugung des Gerichts - sachgerechter Erwägung des Umstands, dass das Pferd bekanntermaßen an einer Schlundanomalie litt. Da die Zeugin glaubhaft angab, dass sich diese Schlundanomalie auch dergestalt auswirkte, dass auch zum Freispülen eine wesentlich dünnere Sonde verwendet werden musste, ist davon auszugehen, dass die Verwendung eines Endoskopschutzes nicht möglich war.

Das Gericht vermag auch nicht der Auffassung der Beklagten zu folgen, wonach es fehlerhaft gewesen sei, keine Beißschiene zu verwenden. Die Zeugin Dr. G gab hierzu an, dass sie von dieser deshalb abgesehen habe, da sie einen Biss des Pferdes ohnehin nicht gänzlich ausschließen könne und da sie wegen der seitlich vorhandenen Metallteile eine Verletzungsgefahr für die das Tier fixierende Person berge. Nach den Angaben des Sachverständigen, der das Vorgehen der Zeugin insgesamt als standardmäßig bezeichnete, ist auch in dieser Vorgehensweise kein schuldhaftes Verhalten der Zeugin zu sehen.

Wie der Sachverständige darlegte, sind die Zeuginnen vorliegend in dem Moment des Weiterschiebens des Endoskopes zwar fälschlicherweise von einer Schluckbewegung des Pferdes ausgegangen. Dieser Irrtum kann den Zeuginnen nach der Überzeugung des Gerichts jedoch nicht als Verschuldens- oder Verursachungsbeitrag angelastet werden. Nach den sachverständigen Feststellungen reduziert zwar eine größere Erfahrung der behandelnden Tierärzte die Gefahr einer solchen Fehleinschätzung, letztlich ist sie der Untersuchung jedoch immanent. Das Risiko, dass die Endoskopspitze im falschen Moment weitergeschoben wird, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Dies beruht auch darauf, dass durch die notwendigerweise arbeitsteilige Vorgehensweise zeitliche

Verzögerungen zwischen dem Kommando des Lenkenden und der Reaktion des Führenden zwangsläufig eintreten.

Anhaltspunkte für ein von der Beklagten vorgetragenes zu hastiges Einführen der Endoskopspitze haben sich nach der Beweisaufnahme nicht ergeben. Die Zeuginnen schilderten insoweit übereinstimmend, dass die Untersuchung jedenfalls vor der endoskopischen Untersuchung ruhig ablief und das Pferd erst im weiteren Verlauf unruhig wurde. Das Einschieben des Endoskops ist nach den glaubhaften Bekundungen der beiden Zeuginnen in normaler Geschwindigkeit von Statten gegangen.

Nach alledem war ein anspruchsverminderndes Mitverschulden der Klägerin nicht festzustellen.

3.

Der Zinsanspruch folgt hinsichtlich eines Betrages von 7.640,00 € aus § 849 BGB. Im Übrigen waren lediglich Zinsen ab Rechtshängigkeit zuzusprechen, § 291 BGB. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung von Verzugszinsen lagen diesbezüglich nicht vor, insbesondere nicht nach § 286 Abs. 3 BGB.

II.

Die Entscheidungen über die Kosten und über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 709 ZPO.

Streitwert: 7.990,10 Euro.

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