OLG Köln, Urteil vom 17.07.2009 - 19 U 20/09
Fundstelle
openJur 2014, 9580
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.01.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Köln - 86 O 87/07 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen angeblich unberechtigter Kündigung eines Zuliefervertrages im Wege der Teilklage auf Schadensersatz in Höhe von 75.000, -- € in Anspruch.

Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat durch Grundurteil festgestellt, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 280 BGB zu, da ein wichtiger, zur Kündigung berechtigender Grund nicht vorliege. Auch wenn nach Ziff. 10.1 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung vom 21.02.2007 ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertragsverhältnisses bei vorzeitiger Beendigung der (Liefer-)Beziehung zwischen der Beklagten und E gegeben sei, könne die Beklagte sich der Klägerin gegenüber auf die Ende Mai 2007 einvernehmlich vereinbarte Beendigung der Zusammenarbeit nicht berufen. Denn diese Vertragsbeendigung sei von der Beklagten selbst herbei geführt worden und sei nicht zwingend wegen der Unzuverlässigkeit der Klägerin in Bezug auf Lieferungen an E erfolgt.

Ziff. 10.1 des Vertrages vom 21.02.2007 könne insbesondere nicht dahin ausgelegt werden, dass die Beklagte willkürlich eine Beendigung des mit E bestehenden Vertragsverhältnisses habe herbeiführen und damit eine fristlose Kündigung habe begründen können. Vielmehr könne ein zur Kündigung berechtigender Grund nur eine für die Beklagte zwingende und unvermeidbare Beendigung des Vertragsverhältnisses mit E sein. Anderenfalls trage die Klägerin das Risiko, dass die Beklagte das Geschäft mit E nicht weiterführe, allein.

Die Beendigung des Vertrages mit E sei nicht aufgrund eines Verhaltens der Klägerin erfolgt, welches die Belieferung von E betroffen habe. Vielmehr habe die Beklagte aus anderen Gründen offenbar kein Interesse mehr an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit E gehabt. Dass die Beklagte freiwillig Geschäftsfelder aufgebe, berechtige sie nicht zur fristlosen Kündigung im Verhältnis zu der Klägerin.

Auf die unstreitig im März 2007 nicht rechtzeitig ausgeführte Lieferung an E könne die Beklagte die Kündigung nicht stützen, weil diese weder E veranlasst habe, die Vertragsbeziehung mit der Beklagten zu beenden noch die Beklagte diese zum Anlass einer Kündigung des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin genommen habe. Auch die im Mai 2007 nicht rechtzeitig ausgeführte Lieferung an N habe unstreitig nicht zu einer Beendigung der Beziehung der Beklagten zu E geführt. Darin liege auch kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne von § 314 Abs. 1 S. 2 BGB. Denn dieser Lieferstopp habe die Beklagte nicht veranlasst, die Belieferung von N durch die Klägerin einzustellen. Dieser Lieferstopp sei von der Beklagten demnach nicht als unzumutbar eingestuft worden, weshalb eine andere Bewertung im Verhältnis zu E nicht erfolgen könne.

Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 19.01.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.02.2009 eingelegte und mit einem am 19.03.2009 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten, mit der diese ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Sie vertritt die Ansicht, das Landgericht habe Ziff. 10.1 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung vom 21.02.2007 rechtsfehlerhaft ausgelegt. Nach dem Wortlaut dieser Klausel berechtige jede Beendigung des Hauptvertrages mit E zur Kündigung der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung vom 21.02.2007. Darüber hinaus führe die von dem Landgericht vorgenommene Auslegung, die auf eine verdeckte Inhaltskontrolle hinauslaufe, jedenfalls dann zu einer freien richterlichen Rechtsschöpfung, wenn - wie vorliegend - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass trotz des eindeutigen Wortlauts eine Regelungslücke bestehe. Die Klägerin habe aber das Risiko, dass die Beklagte das Geschäft mit E nicht weiter führe, bewusst übernommen. Hierdurch werde sie auch nicht unbillig belastet, da sie entsprechend § 162 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 242 BGB einwenden könne, die Beklagte habe den Bedingungseintritt wider Treu und Glauben selbst herbeigeführt und könne sich deshalb darauf nicht berufen.

Darüber hinaus habe das Landgericht übersehen, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung auch dann gegeben sei, wenn eine erhebliche Vertragsverletzung oder eine Änderung der rechtlichen Struktur vorliege. Beide Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Denn das Landgericht habe festgestellt, dass die Klägerin am 23.03.2007 eine Auslieferung an E um 12 Stunden verzögert habe, um die Beklagte zu schnelleren Zahlungen zu veranlassen, obwohl ihr die Justin-Time-Zulieferungspflicht der Beklagten bekannt gewesen sei. Ferner habe das Landgericht festgestellt, dass es in der Folge erneut zu Liquiditätsschwierigkeiten gekommen sei und die Klägerin am 29.05.2007 einen Lieferstopp für eine im Auftrag der Beklagten an N zu erfolgende Lieferung angekündigt und die Verladung dieser Lieferung am 30.05.2007 verweigert habe, um die Beklagte zur sofortigen Begleichung offener Rechnungen zu bewegen. Damit stehe fest, dass die Klägerin bewusst am 29./30.05.2007 mit dem Mittel eines Streiks versucht habe, eine frühere Fälligkeit ihrer Forderungen aus der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung vom 21.02.2007 durchzusetzen. Dadurch habe sie ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt. In diesem Zusammenhang sei unbeachtlich, dass der Lieferstopp vom 30.05.2007 Produkte betroffen habe, die nicht für E bestimmt gewesen seien.

Schließlich habe das Landgericht wesentlichen Vortrag der Beklagten übergangen und damit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es habe unberücksichtigt gelassen, dass nach dem Vortrag der Beklagten E bereits die Lieferverzögerung vom 22.03.2007 abgemahnt habe, ferner dass aufgrund der Justin-Time-Zulieferungspflicht der Beklagten diese der Gefahr ausgesetzt gewesen sei, von E ohne Nachfristsetzung auf Schadensersatz statt der Leistung in Anspruch genommen zu werden. Letztlich habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass nicht fristgerechte Lieferungen zu einem schlechten Rating der Beklagten bei E geführt hätten, welches negative Auswirkungen, insbesondere (Preis-)Druck auf alle Produktgruppen der jeweiligen beliefernden Zulieferer zur Folge gehabt hätte und den Bestand der Lieferbeziehungen aller im Konzern befindlichen Unternehmen mit E bedroht hätte. Zudem habe das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin auch nach dem Lieferstopp vom 22.03.2007 ihren vertraglichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Belieferung von E nicht nachgekommen sei, sondern sich vielmehr in Lieferrückstand befunden habe. Auch habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass eine sofortige Beendigung der Vertragsbeziehung zu der Klägerin in Bezug auf die Belieferung von N aufgrund des Umstandes nicht in Betracht gekommen sei, dass zeitnah kein geeigneter anderer Zulieferer zur Verfügung gestanden habe, zwischenzeitlich aber die diesbezügliche Rechtsbeziehung der Parteien im November 2008 beendet worden sei. Letztlich habe das Landgericht auch die von ihr vorgelegte E-Mail des Geschäftsführers der Klägerin vom 29.05.2007, in welcher diese selbst vorgebe, dass Zahlungsunfähigkeit drohe, nicht berücksichtigt.

Das Landgericht habe auch keine Feststellung dazu getroffen, dass sie - die Beklagte - eine in einer etwaig unberechtigten Kündigung liegende Pflichtverletzung zu vertreten habe. Ein Verschuldensvorwurf träfe sie aber nur dann, wenn sie ihre Rechtsposition nicht als plausibel hätte ansehen dürfen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und trägt ergänzend vor, die Beklagte verkenne, dass eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund voraussetze, dass dem kündigenden Teil die Fortführung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung unzumutbar sein müsse. Darüber hinaus müsse bei jeder Auslegung die bestehende Interessenlage beider Parteien berücksichtigt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

1.

Die Teilklage der Klägerin ist zwar zulässig, da ihr Gegenstand hinreichend bestimmt ist.

Eine Teilklage genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn erkennbar ist, welcher Teil des Gesamtanspruchs Gegenstand der Klage sein soll (vgl. BGH, NJW-RR 2003, 1075, 1076).

Die Klägerin berühmt sich vorliegend eines Schadensersatzanspruches in Höhe von insgesamt 1.634.066,20 €. Hierauf entfallen auf das Jahr 2007 417.852,48 €, auf das Jahr 2008 579.149,43 € und auf das Jahr 2009 637.064,37 €. Auf welche dieser Schadenspositionen der eingeklagte Betrag von 75.000 € entfallen soll, hat die Klägerin zwar nicht dargelegt. Es handelt sich bei dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch, auch wenn damit entgangener Gewinn für drei Jahre begehrt wird, aber um einen einheitlichen Anspruch mit mehreren Positionen und nicht um drei prozessual selbständige Schadensersatzansprüche. In einem solchen Fall bedarf es grundsätzlich keiner Erklärung über die Prüfungsreihenfolge (vgl. BGH, NJW 2003, 3718, 3719).

2.

Die Klage ist indes unbegründet. Der Klägerin steht bereits dem Grunde nach gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB zu.

Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausspruch einer unberechtigten Kündigung zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 08.04.2009, VIII ZR 231/07, zitiert nach juris). Denn die unberechtigte Kündigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich als "Lossagung vom Vertrag" anzusehen, die als positive Vertragsverletzung einen Schadensersatzanspruch des anderen Vertragspartners auslösen kann (vgl. etwa BGH, NJW 1988, 204, 207). Zudem verletzt die Ausübung eines nicht bestehenden Gestaltungsrechts die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, NJW 2009, 1262, 1263). Das Landgericht hat die von der Beklagten unter dem 11.06.2007 ausgesprochene fristlose Kündigung des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages aber zu Unrecht als unberechtigt angesehen.

a)

Grundlage der von der Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung ist Ziffer 10.1 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages vom 21.02.2007. Danach sind beide Vertragsparteien zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Dies entspricht der gesetzlichen Rechtslage, wonach Dauerschuldverhältnisse - zu denen auch der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag zählt - aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden können, § 314 Abs. 1 BGB. Ein wichtiger Grund ist nach der Konkretisierung in Ziffer 10.1 Abs. 2 S. 2 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages u.a. die Beendigung der Beziehung zwischen der Beklagten und E; insoweit sollen zwischen der Klägerin und der Beklagten die gleichen Kündigungsbedingungen gelten wie im Verhältnis zwischen der Beklagten und E.

Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht, soweit dieses die Regelung in Ziffer 10.1 Abs. 2 S. 2 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages dahin ausgelegt hat, die Beklagte habe nicht willkürlich eine Beendigung des mit E bestehenden Vertragsverhältnisses herbeiführen und damit eine fristlose Kündigung der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung begründen können. Der Streitfall ist vergleichbar mit dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 29.07.2004 - III ZR 293/03 - (NJW-RR 2004, 1498) zugrunde lag. Ebenso wie der Subunternehmervertrag zwischen den dortigen Prozessparteien war auch vorliegend der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene Zulieferungs- und Fertigungsvertrag von vornherein darauf angelegt, dass die der Klägerin obliegenden Leistungspflichten in den Liefervertrag eingebettet waren, den die Beklagte mit ihrer Auftraggeberin, der Fa. E, abgeschlossen hatte. Dies ergibt sich bereits aus der Präambel zu der am 21.02.2007 unterzeichneten und am 01.03.2007 in Kraft getretenen Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung, ausweislich derer E die Beklagte beauftragt hatte, die gesamte Herstellung der Trommelbrems-Halbblöcke für Nutzfahrzeuge im Hinblick auf den zwischen der Beklagten und E bestehenden Liefervertrag auf die Klägerin zu übertragen und die logistische Unterstützung zu übernehmen, um die Belieferung von E mit diesen Produkten sicherzustellen, und die Klägerin sich verpflichtet hatte, jederzeit die Interessen der Beklagten in der Vertragsbeziehung mit E genauso zu wahren, als wären dies ihre eigenen Interessen bezüglich der Produktion und Lieferung der Produkte an die Beklagte. Hiermit korrespondiert, dass die Beendigung der vertraglichen Beziehung zwischen der Beklagten und E nach Ziffer 10.1 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien darstellen sollte und zwischen den Vertragsparteien die gleichen Kündigungsbedingungen wie im Verhältnis zwischen der Beklagten und E gelten sollten. Der weit gefasste Wortlaut der in Ziffer 10.1 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung enthaltenen Regelung umfasst jede Beendigung des Liefervertrages zwischen der Beklagten und E und differenziert insbesondere nicht danach, von welcher Seite eine Kündigung ausgesprochen worden ist oder ob eine einvernehmliche Vertragsaufhebung die Beendigung des Hauptliefervertrages mit E herbeigeführt hat.

b)

Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, dass diese den Hauptliefervertrag mit E einvernehmlich beendet hat. Insoweit kann der Beklagten nicht angelastet werden, sie habe die Beendigung des Zuliefer- und Fertigungsvertrages mit der Klägerin unter Verstoß gegen ihre sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Wahrung der Interessen ihrer Vertragspartnerin ohne objektiven Grund, gar mutwillig oder treuwidrig, herbeigeführt. Denn die Beklagte war - ungeachtet der Beendigung des Vertragsverhältnisses zu E - schon allein aufgrund des Vorfalls vom 30.05.2007 in Zusammenschau mit dem früheren Verhalten der Klägerin zur außerordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses nach § 314 Abs. 1 BGB berechtigt.

aa)

Ein wichtiger Grund nach § 314 BGB liegt vor, wenn Umstände gegeben sind, die dem kündigenden Teil eine Fortsetzung des Vertrags unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen beider Vertragsteile als nicht mehr zumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 1266, 1267; NJW 1981, 1264, 1265). Erfordert das Dauerschuldverhältnis eine intensive vertrauensvolle Zusammenarbeit, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen, wenn die persönliche Zusammenarbeit schwerwiegend gestört ist und eine Normalisierung nicht zu erwarten ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.04.2008, 20 U 140/07, BeckRS 2008, 08631). Bei Anwendung dieser Grundsätze ist hier das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu bejahen.

Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Zulieferungs- und Fertigungsvertrag, der gemäß Ziffer 10.1 der vertraglichen Vereinbarung am 01.03.2007 begann und bis zum 28.02.2010 laufen sollte, handelte es sich um ein längerfristiges Vertragsverhältnis, für das das gegenseitige Vertrauen der Vertragspartner unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen Zusammenarbeit war. In der Präambel der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung wird hervorgehoben, dass die Vertragsparteien bereits vor Abschluss der Vereinbarung eine gute Geschäftsbeziehung in anderen Bereichen unterhielten. Unter Bezugnahme hierauf verpflichtete sich die Klägerin, jederzeit die Interessen der Beklagten in der Vertragsbeziehung mit E genauso zu wahren, als wären dies ihre eigenen Interessen bezüglich der Produktion und Lieferung der Produkte an die Beklagte. Diese Vertrauensgrundlage hat die Klägerin durch ihr Verhalten nachhaltig beeinträchtigt.

Die Klägerin ist, entsprechend ihrer Vorankündigung vom 29.05.2007, ihrer Lieferverpflichtung in Bezug auf eine Warenlieferung an N nicht nachgekommen und hat die Verladung der Lieferung am 30.05.2007 verweigert. Insoweit ist nicht entscheidend und kann deshalb dahin gestellt bleiben, ob die Vertragsverletzung der Klägerin im Hinblick auf die an N zu erfolgende Lieferung, d.h. die ein anderes Vertragsverhältnis betreffende Leistungsstörung, die Beklagte für sich genommen zur außerordentlichen Kündigung der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung berechtigt hätte. Bei der Bewertung des beanstandeten Verhaltens der Klägerin ist nämlich auch zu berücksichtigen, welche Gründe die Klägerin zu der vorübergehenden Liefereinstellung veranlasst hatten und welche Bedeutung dieser Vorgang aus der Sicht der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung im Juni 2007 hatte. Wie die Klägerin selbst zugesteht, verweigerte sie die Auslieferung der Ware an N nicht wegen angeblicher Zahlungsrückstände der Beklagten aus der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung, machte insoweit also nicht von einem etwaigen Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch, das nach Ziffer 9.2 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages ohnehin nur wegen unbestrittener oder rechtskräftig festgestellter Ansprüche in Betracht kam, sondern bezweckte mit ihrem Vorgehen, die Beklagte dazu zu veranlassen, einer Abänderung der in Ziffer 5.3 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages enthaltenen Zahlungsmodalitäten, wonach die Begleichung von Forderungen innerhalb von 60 Tagen netto ab Versanddatum an E zu erfolgen hatte, zuzustimmen. Damit hat die Klägerin das Mittel der Vertragsuntreue in Bezug auf die Lieferung von Produkten an N bewusst eingesetzt, um Druck auf die Beklagte auszuüben und sie hierdurch zu der von ihr erstrebten Änderung bzw. Anpassung der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung des Inhalts zu bewegen, dass jeweils die Hälfte des Rechnungsbetrages sofort von der Beklagten bezahlt und die andere Hälfte mit ihren Ansprüchen gegen die Klägerin verrechnet werde. Dieses Verhalten war in besonderem Maße geeignet, das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zu zerstören. Denn die Beklagte musste aufgrund dessen befürchten, dass die Klägerin auch zukünftig das Mittel der Vertragsuntreue einsetzen würde, um etwaige Forderungen durchzusetzen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Klägerin bereits im März 2007 eine Lieferung an E nicht fristgerecht ausgeführt hatte, um eine Abänderung der in Ziffer 5.3 des Vertrages vereinbarten Zahlungsmodalitäten zu erreichen. Für die Beklagte ergaben sich aus dem beanstandeten Verhalten der Klägerin erhebliche Gefahren für ihr geschäftliches Ansehen und ihren Ruf innerhalb der Branche, die naturgemäß Nachteile hinsichtlich etwaiger Folgeverträge mit sich bringen konnten. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Lieferung vom 22.03.2007 - wie das Landgericht es im Tatbestand des angefochtenen Urteil gemäß § 314 ZPO mit Bindungswirkung festgestellt hat - um ein Justintime-Geschäft handelte, bei dem der Hersteller eines Wirtschaftsguts die für die Produktion benötigten Einzelteile von einem Zulieferer nach einem festen Zeitplan oder auf Abruf unmittelbar in die Produktion anliefern lässt, um keine Lagerkapazitäten bereithalten zu müssen. Denn nach Ziffer 6 der Einkaufsbedingungen Produktionsmaterial und Ersatzteile für Kraftfahrzeuge der Firma E waren vereinbarte Termine und Fristen verbindlich. Vor diesem Hintergrund ist auch der Einwand der Klägerin, sie habe sich vor der Verzögerung der Auslieferung im März 2007 bei der Fa. E wie auch vor dem Lieferstopp im Mai 2007 versichert, dass eine Beeinträchtigung durch die zwölfstündige Verspätung der Auslieferung nicht eintreten würde, unerheblich. Selbst wenn hierdurch kein Produktionsausfall herbeigeführt wurde, war das Verhalten der Klägerin dem Ruf der Beklagten als Hauptlieferanten abträglich, was auch der Klägerin bekannt gewesen sein dürfte, die selbst im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29.06.2009 zugesteht, zu wissen, dass es in der Automobilindustrie auf die Einhaltung von Terminen ankomme. Im Übrigen wäre das von der Klägerin selbst als "Angriffsmaßnahme" bezeichnete Verhalten, durch das diese zugestandenermaßen Einfluss auf die Willensbildung der Beklagten nehmen wollte, auch nicht nachvollziehbar, wäre die Klägerin selbst davon ausgegangen, dass ihre Vorgehensweise die Beklagte nicht tangieren würde.

Aus diesen Gründen war der Beklagten auch eine Fortsetzung des Vertrages mit der Klägerin nicht mehr zuzumuten.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des eigenen Verhaltens der Beklagten, das zu dem vertragswidrigen Verhalten der Klägerin geführt und bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände einzubeziehen ist (vgl. BGH, NJW 1984, 1264, 1265).

Der Senat verkennt insoweit nicht, dass die Klägerin bereits bei Abschluss der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung den Verkauf ihrer Forderungen gegen die Beklagte an eine Factoring Gesellschaft beabsichtigte - was der Beklagten auch bekannt war, wie insbesondere die Formulierung in Ziffer 5.3 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages zeigt, in der es heißt: "Sollte eine Factoring Regelung für den Lieferanten nicht zustande kommen, ..." - und das Zustandekommen des Factoringvertrages an der Weigerung der Beklagten scheiterte, eine Aufrechnungsverzichtserklärung abzugeben. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Beklagte die Erschütterung der Vertrauensgrundlage zu verantworten hätte. Der Klägerin ist vielmehr zunächst selbst anzulasten, dass sie einer Vertragsgestaltung zugestimmt hat, die sie wirtschaftlich nicht umsetzen konnte. Die Parteien hatten unter Ziffer 5.3 des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages ein Zahlungsziel von 60 Tagen netto ab Versanddatum der Rechnungen an E vereinbart. Nach ihrem eigenen Sachvortrag war die Klägerin indes außerstande, der Beklagten ein Zahlungsziel von 60 Tagen einzuräumen, weshalb der Abschluss eines Factoringvertrages für sie von entscheidender Bedeutung war. Ungeachtet dessen haben die Parteien in Ziffer 10.4 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung die Abtretung der Rechte aus der Vereinbarung an einen Dritten von der vorherigen schriftlichen Genehmigung der anderen Vertragspartei abhängig gemacht. Die danach erforderliche Genehmigung der Beklagten lag - wie der Klägerin bekannt war - im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ebenso wenig vor wie eine Aufrechnungsverzichtserklärung der Beklagten. Dass die Beklagte auf die Aufrechnungsmöglichkeit mit Gegenansprüchen nicht verzichten wollte, kann ihr vor dem Hintergrund, dass ihr bereits bei Abschluss der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung offene Forderungen gegen die Klägerin aus früheren Geschäftsbeziehungen zustanden und im Rahmen des Zulieferungs- und Fertigungsvertrages laufend weitere Verbindlichkeiten der Klägerin begründet wurden, weil die Beklagte die Klägerin mit dem Rohmaterial für die herzustellenden Trommelbrems-Halbblöcke belieferte, nicht als treuwidrig angelastet werden. Letztlich hat auch die Klägerin die Weigerung der Beklagten, eine Aufrechnungsverzichtserklärung abzugeben, nicht zum Anlass genommen, rechtliche Schritte zu ergreifen.

Auch der Umstand, dass die Parteien für den Fall des Nichtzustandekommens des Factoringvertrages in Ziffer 5. 3 der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung in Aussicht genommen haben, eine "andere beiderseitig vertretbare Lösung" zu finden, die indes nachfolgend nicht zustande gekommen ist, führt in der Gesamtwürdigung nicht zu der Annahme, die Beklagte habe sich derart vertragswidrig verhalten, dass es ihr zumutbar gewesen sei, den Vertrag weiter durchzuführen. Es ist bereits nicht dargetan, dass seitens der Klägerin Anstrengungen unternommen worden sind, um eine beiderseits vertretbare Lösung herbeizuführen, nachdem der Abschluss eines Factoringvertrages gescheitert war. Vielmehr führt die Klägerin im Schriftsatz vom 23.11.2007 lapidar aus, nachdem die Bemühungen um die Erteilung der Aufrechnungsverzichtserklärung erfolglos geblieben seien, sei es zu dem Vorfall vom 22.03.2007 gekommen. Danach hat die Klägerin, nachdem sich das in der vertraglichen Gestaltung der Zulieferungs- und Fertigungsvereinbarung vom 21.02.2007 angelegte und - wie die Formulierung in Ziffer 5.3 verdeutlicht - beiden Vertragsparteien bekannte Risiko, dass eine Factoringregelung nicht zustande kommen könnte, verwirklicht hatte, bereits im März 2007 das Mittel der Vertragsuntreue gewählt, um eine Vertragsanpassung in ihrem Sinne zu erreichen. Hierbei verkennt die Klägerin offenbar, dass die Sicherung des Rechts zu den Kernaufgaben des Staates gehört und es dem Einzelnen - von engen Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich verwehrt ist, Ansprüche auf eigene Faust durchzusetzen. Die rechtsstaatliche Ordnung entzieht einer eigenmächtigen Verwirklichung subjektiver Rechte die Grundlage (vgl. Dennhardt in BeckOK, BGB, Edition 13, § 229 Rn. 1). Deshalb handelt auch derjenige, der zur Verwirklichung eines bestehenden Anspruchs einen Vertragsbruch begeht oder androht, widerrechtlich. Die Klägerin hätte sich daher zur Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Vertragsanpassung der ihr von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mittel bedienen und gegebenenfalls wegen fehlender Mitwirkung der Beklagten vom Vertrag zurücktreten und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen müssen.

Letztlich steht der Annahme, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei derart zerrüttet gewesen, dass der Beklagten eine Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht zuzumuten war, nicht entgegen, dass die Beklagte die Geschäftsbeziehung zu der Klägerin in Bezug auf Lieferungen an N nicht zeitgleich im Juni 2007 aufgekündigt hat. Dies hat die Beklagte nachvollziehbar damit erklärt, dass zeitnah kein anderer Lieferant, der an die Stelle der Klägerin hätte treten können, zur Verfügung gestanden habe, so dass die Beklagte sich gegebenenfalls selbst im Verhältnis zu N schadensersatzpflichtig gemacht hätte, wenn sie infolge der Beendigung der Vertragsbeziehung mit der Klägerin nicht hätte liefern können. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Zusammenarbeit der Parteien in Bezug auf den zwischen der Beklagten und der Fa. N bestehenden Liefervertrag eine vergleichbare Vertrauensgrundlage erforderte wie hinsichtlich der Belieferung von E. Dass die Beklagte sich danach durch Fortsetzung der vertraglichen Beziehung mit der Klägerin in Bezug auf den Liefervertrag mit N möglicherweise für das "kleinere Übel" entschieden hat, bedeutet deshalb nicht, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet war.

bb)

Die Beklagte hatte hinsichtlich der beanstandeten Verzögerung von Auslieferungen unstreitig eine Abmahnung nach § 314 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgesprochen. Denn sie hatte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 03.04.2007 wegen der verzögerten Warenauslieferung an E abgemahnt, welche vor demselben Hintergrund erfolgt war.

cc)

Die Kündigung ist schließlich auch rechtzeitig im Sinne des § 314 Abs. 3 BGB erfolgt. Das Gesetz sieht wegen der Vielgestaltigkeit der Dauerschuldverhältnisse bewusst von einer festen Ausschlussfrist ab (vgl. Gaier in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 314 Rn. 20). Die Angemessenheit der Frist beurteilt sich vielmehr im Einzelfall nach dem einzelnen Dauerschuldverhältnis und der Art und Schwere der Pflichtverletzung unter Abwägung des Interesses des Kündigenden gegen das Interesse des Kündigenden an alsbaldiger Klärung (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.04.2008, 20 U 140/07, BeckRS 2008, 08631). Angesichts des Gewichts der von der Beklagten zu treffenden Entscheidung erfolgte die am 11.06.2007 ausgesprochene Kündigung in angemessener Frist.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, ZPO.

4.

Von der Zulassung der Revision sieht der Senat ab, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO). Bei der Beurteilung, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegt, handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage.

Berufungsstreitwert: 75.000, -- €