OLG Hamburg, Urteil vom 17.08.2012 - 4 U 8/12
Fundstelle
openJur 2014, 7587
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 33, vom 17.01.2012 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Herausgabe eines gewerblichen Mietobjekts in Anspruch.

Die Beklagte als Mieterin schloss mit der Voreigentümerin unter dem 10./12. Mai 2010 einen Mietvertrag über Geschäftsräume im Haus R. ... in Hamburg. Das Mietverhältnis ist fest abgeschlossen bis zum 30. Juni 2020. Wegen der weiteren Einzelheiten des Mietvertrages wird auf die Anlage K 1 verwiesen. Die Klägerin erwarb das Grundstück von der Voreigentümerin mit Kaufvertrag vom 17. August 2010 und wurde am 15. Oktober 2010 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Im Rahmen der zwischen der Beklagten und der Voreigentümerin vor Abschluss des Mietvertrages geführten Verhandlungen, deren Einzelheiten streitig sind, legte die Beklagte ein Konzept vor, wonach sie beabsichtige, in den Räumen einen "Wacken Store" zu betreiben, in dem Produkte zum Verkauf angeboten werden, die im Zusammenhang mit dem Wacken Open Air Hardrock Festival stehen. In § 2 des Mietvertrages wurde als Mietzweck vereinbart der Betrieb von "Infocenter - Ticketcenter - Fanshop - Einzelhandel". Das Konzept des Betriebs eines Wacken Store setzte die Beklagte nicht um. Mit Schreiben ihrer Hausverwaltung vom 15. September 2010 ließ die Voreigentümerin der Beklagten wegen vertragswidriger Nutzung eine Abmahnung erteilen. Die Abmahnung wurde damit begründet, dass die Beklagte in den Räumen einen sog. Headshop betreibe. Headshops sind in Deutschland legale Geschäfte, die Zubehör für den Konsum von Cannabis verkaufen, ohne dass dort Drogen selbst verkauft werden. Die Klägerin ließ mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. November 2010 wegen des Betriebs eines Headshops eine erneute Abmahnung sowie die Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung erklären. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage K 4 verwiesen. Vorsorglich ließ die Klägerin wegen der Nichteinhaltung des vereinbarten Vertragszwecks mehrfach die außerordentliche Kündigung des Mietvertrages erklären, u.a. mit Schreiben vom 17. Dezember 2010. Im Verlauf des Rechtsstreits erklärte sie mit unterschiedlichen Begründungen zahlreiche weitere außerordentliche Kündigungen.

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte betreibe in dem Mietobjekt einen Headshop. Damit sei weder die Voreigentümerin noch sie, die Klägerin, einverstanden gewesen. Die Beklagte habe von Anfang an nicht vorgehabt, in den Räumen einen Wacken Store zu eröffnen. Das Konzept sei nur vorgeschoben worden, um ein Mietverhältnis für die gewünschten Geschäftsräume eingehen zu können und dann einen Headshop zu betreiben. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung über den Gegenstand des Geschäftsbetriebs der Beklagten wirksam sei, jedenfalls sei der Mietvertrag wirksam außerordentlich gekündigt worden.

Die Beklagte hat sowohl die Anfechtung des Mietvertrages als auch die außerordentlichen Kündigungen für unwirksam gehalten. Sie hat behauptet, sie würde in erster Linie ein Touristcenter, Infocenter, Souvenircenter und Ticketcenter in den Räumen betreiben, und sie würde eine Fülle kiezüblicher Souvenirprodukte anbieten, u.a. auch Raucherzubehör und Wasserpfeifen. Jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der ersten Kündigung hätten sich keine Produkte in ihrem Sortiment befunden, die einen Bezug zum Konsum von Cannabis gehabt hätten. Sie, die Beklagte, habe Bedenken gehabt, den Betrieb eines Wacken Store als Mietzweck im Mietvertrag aufzunehmen, da sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages insoweit noch keine rechtsverbindlichen Vereinbarungen getroffen habe. Letztlich seien die Verhandlungen über die Errichtung eines Wacken Store aus finanziellen Gründen gescheitert. Beide Gesellschafter der Klägerin seien am 16. November 2010 bei der Beklagten erschienen und hätten geäußert, sie würden das Mietverhältnis wegen einer Täuschung über den Mietzweck beenden, es sei denn, die Beklagte sei bereit, für die Fortsetzung des Mietvertrages einen erhöhten Mietzins von € 5.100,00 nettokalt anstelle von € 3.756,00 nettokalt zu zahlen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen des Tatbestandes, der Anträge der Parteien und der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Beklagte zur Herausgabe des Mietobjekts sowie zur Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf geräumte Herausgabe des Mietobjekts aus § 985 BGB zu, weil sie den Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten habe. Die Beklagte habe die Klägerin bei Vertragsschluss dadurch arglistig getäuscht, dass sie die Klägerin nicht darüber aufgeklärt habe, dass das von ihr vorgelegte Konzept zum Betreiben eines Wacken Store zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages nicht gesichert gewesen sei. Damit habe die Beklagte der Voreigentümerin und ihr nachfolgend der Klägerin die Möglichkeit genommen zu entscheiden, ob unter Zugrundelegung der letztlich tatsächlich realisierten Nutzung von der Vermieterseite der Abschluss eines Mietvertrags überhaupt noch angeboten worden wäre. Dies sei nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht der Fall gewesen, da weder die Voreigentümerin noch die Klägerin eine Vermietung an einen Headshop oder an jemanden, der Artikel anbietet, die zum Drogenkonsum animieren könnten, hätten vornehmen wollen. Die Beklagte sei bei den Vertragsverhandlungen zur entsprechenden Aufklärung verpflichtet gewesen. Jedenfalls sei ein etwaiges Mietverhältnis durch die wirksame außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 17. Dezember 2010 beendet worden, nachdem die Beklagte trotz vorheriger Abmahnung die vertragswidrige Nutzung nicht eingestellt habe.

Mit ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere trägt sie vor, das Warenangebot in den streitgegenständlichen Geschäftsräumen weiche von dem vertraglich vereinbarten Geschäftszweck nicht ab. Im Übrigen seien die Interessen der Klägerin durch die Art des Geschäftsbetriebs der Beklagten nicht berührt, was sich schon daraus ergebe, dass die Klägerin in unmittelbarer Nachbarschaft einen Headshop vermiete und die Klägerin dieses Nachbargeschäft unter Androhung der fristlosen Kündigung zur Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs eines Headshops aufgefordert habe, als das Nachbargeschäft kurzzeitig dort einen Kiosk habe betreiben wollen. Letztlich ginge es der Klägerin hauptsächlich darum, einen höheren Mietzins zu erzielen. Jedenfalls habe sie, die Beklagte, nicht arglistig getäuscht, weil ihr nicht bekannt gewesen sei, dass die Voreigentümerin keine Artikel in der Nähe des Drogenkonsums habe dulden wollen, was schon aufgrund des Nachbargeschäfts, in dem ein Headshop betrieben werde, nicht anzunehmen gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. Januar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Beibehaltung ihres Vorbringens erster Instanz sowie ihrer dort vertretenen Rechtsauffassungen.

Zur Ergänzung des Vortrags der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe des Mietobjekts zu.

1. Der streitgegenständliche Mietvertrag ist wirksam. Die von der Klägerin, die nach dem Eigentumsübergang durch Eintragung im Grundbuch am 15. Oktober 2010 gemäß § 566 BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist, mit Schreiben vom 23. November 2010 erklärte Anfechtung des Mietvertrages ist unwirksam und hat nicht zur Nichtigkeit des Mietverhältnisses geführt.

Dahinstehen kann, ob die Äußerungen der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen mit der Voreigentümerin bzw. die fehlende Aufklärung darüber, dass sie - unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin - in den Mieträumen keinen Wacken Store, sondern einen Headshop betreiben werde, in objektiver und subjektiver Sicht die Voraussetzungen für die Annahme einer arglistigen Täuschung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB erfüllen. Denn maßgeblich ist, dass die etwaige arglistige Täuschung der Beklagten nicht gegenüber der Klägerin, sondern gegenüber der Voreigentümerin begangen worden wäre. Zur Anfechtung berechtigt ist grundsätzlich derjenige, der die anfechtbare Willenserklärung - hier die zum Abschluss des Mietvertrages führende Erklärung - abgegeben hat. Dies war hier die Voreigentümerin. Eine Anfechtungserklärung der Voreigentümerin liegt jedoch nicht vor. Auch die Erteilung einer Ermächtigung der Voreigentümerin zur Anfechtung durch die Klägerin ist nicht vorgetragen worden.

Ob und ggf. inwieweit das Anfechtungsrecht des Veräußerers eines vermieteten Grundstücks auf den Erwerber übergeht, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach einer Auffassung kommt ein Übergang des Anfechtungsrechts des Veräußerers auf den nach § 566 BGB in das Mietverhältnis eintretenden Erwerber generell nicht in Betracht, weil der Erwerber nicht allein von der Anfechtung betroffen wird (Soergel-Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 143 Rn. 6; Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Aufl., § 566 Rn. 45). Nach anderer Auffassung bestehen gegen einen uneingeschränkten Übergang des Anfechtungsrechts auf den Erwerber des vermieteten Grundstücks keine Bedenken, wenn man den Rechtsübergang gemäß § 566 BGB als Rechtsnachfolge im Wege der gesetzlichen Vertragsübernahme ansieht (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 10. Aufl., § 566 Rn. 126). Nach einer weiteren Auffassung ist dem Erwerber ein Anfechtungsrecht zuzubilligen, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Mietverhältnis ex nunc beendet wird (Münchener Kommentar-Häublein, BGB, 6. Aufl., § 566 Rn. 36). Nach überwiegender Auffassung steht das Anfechtungsrecht dem Veräußerer und dem Erwerber nur gemeinsam zu (Bub/Treier-Heile, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, III Rn. 892; Staudinger-Emmerich (2011), § 566 Rn. 43; Staudinger-Roth (2010), BGB, § 142 Rn. 10; Emmerich-Sonnenschein, Miete, 10. Aufl., § 566 Rn. 27; Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete, 2. Aufl., Kapitel 5, Rn. 62; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 566 Rn. 74 f.; Bamberger/Roth-Wendtland, BGB, 3. Aufl., § 143 Rn. 8; Erman-Arnold, BGB, 13. Aufl., § 143 Rn. 7).

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der nach § 566 BGB in das Mietverhältnis eingetretene Erwerber jedenfalls nicht allein zur Anfechtung des Mietvertrages nach § 123 Abs. 1 BGB berechtigt, wenn die arglistige Täuschung gegenüber dem Veräußerer verübt worden ist. Dabei kann hier dahinstehen, ob man der Meinung folgt, wonach eine Anfechtung durch den Erwerber in keinem Fall zulässig sei, oder ob man mit der überwiegenden Auffassung zugrunde legt, dass der Erwerber nur gemeinsam mit dem Veräußerer den Mietvertrag anfechten kann. Jedenfalls scheidet eine Anfechtung durch den Erwerber allein aus. Da die Anfechtung des Mietvertrages gemäß § 142 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückwirkt (BGH NZM 2008, 886), ist nämlich auch der Veräußerer von den Wirkungen einer Anfechtung des Mietvertrages durch den Erwerber betroffen. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn bei einer Rückabwicklung des nichtigen Mietvertrages der Mieter statt der vereinbarten höheren Miete nur Wertersatz in Höhe der ortsüblichen Miete zu leisten hätte, die geringer als die vereinbarte Miete wäre. Dann wäre nämlich nicht nur der Erwerber zur Rückzahlung der Differenz an den Mieter verpflichtet, sondern für die Zeit vor Eigentumsübergang auch der Veräußerer. Vor diesem Hintergrund erschiene es nicht sachgerecht, dem Erwerber allein das Anfechtungsrecht zuzubilligen. Der Auffassung, die ein uneingeschränktes Anfechtungsrecht des Erwerbers befürwortet mit der Begründung, dass der Mietvertrag vom Veräußerer auf den Erwerber im Wege einer gesetzlichen Vertragübernahme übertragen wird, steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - der sich das Berufungsgericht anschließt - entgegen, wonach der in den Mietvertrag nach § 566 BGB eintretende Erwerber nicht gesetzlicher Rechtsnachfolger des Voreigentümers ist, sondern vielmehr im Augenblick des Eigentumsübergangs zwischen dem Mieter und dem Erwerber kraft Gesetzes ein Mietvertrag mit demselben Inhalt zustande gekommen ist (BGH NJW 2000, 2346; NJW-RR 2010, 1309). Auch der Meinung, die einen Übergang des Anfechtungsrechts auf den Veräußerer mit ex nunc-Wirkung befürwortet, steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach nämlich die Anfechtung ex tunc wirkt (BGH NZM 2008, 886), was - wie ausgeführt - zur Folge hat, dass der Veräußerer von den Wirkungen der Anfechtung betroffen werden kann, so dass schon aus diesem Grund eine Anfechtung ohne Beteiligung des Veräußerers nicht in Betracht kommt.

Die Klägerin war auch nicht deshalb zur alleinigen Anfechtung des Mietvertrags berechtigt, weil ihr - wie sie vorträgt - die Voreigentümerin im Grundstückskaufvertrag vom 17. August 2010 das Anfechtungsrecht abgetreten habe. In § 4 Ziff. 2 S. 2 des Kaufvertrages heißt es: "Die aus allen den Kaufgegenstand betreffenden Mietverhältnissen resultierenden Forderungen und sonstigen Rechte werden hiermit vom Verkäufer an den Käufer mit Wirkung auf den Verrechnungsbetrag abgetreten." In § 4 Ziff. 9 ist weiter bestimmt: "Der Verkäufer verpflichtet sich ferner, dem Käufer am heutigen Tag in separater Urkunde eine Vollmacht entsprechend Anlage 5 zu erteilen, wonach der Käufer zur Ausübung der eigentümerrechtlichen Vermieter-Befugnisse gegenüber Mietern berechtigt ist". Ob hieraus eine Abtretung auch des Anfechtungsrechts entnommen werden kann, braucht nicht entschieden zu werden. Zwar können einzelne Rechte aus dem Mietverhältnis auf den Erwerber gesondert übertragen werden, sofern sie abtretbar sind (§ 399 BGB), was im Wesentlichen nur auf Zahlungsansprüche zutrifft (Lammel, a.a.O., § 566 Rn. 19). Das Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB kann dagegen nach ganz h. M., der sich das Berufungsgericht anschließt, nicht abgetreten werden, da es an die Person des Erklärenden, dessen Entschließungsfreiheit es sichern soll, gebunden ist (Staudinger-Roth, a.a.O., § 142 Rn. 11; Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 413 Rn. 5; Soergel-Hefermehl, a.a.O., § 143 Rn. 6; Bamberger/Roth-Wendtland, a.a.O., § 143 Rn. 8; a. A.: Münchener Kommentar-Busche, 6. Aufl., § 142 Rn. 6).

Mithin ist die von der Klägerin allein erklärte Anfechtung des Mietvertrages unwirksam.

2. Die von der Klägerin erklärte außerordentliche Kündigung des Mietvertrages vom 17. Dezember 2010 ist unbegründet. Gleiches gilt für die nachfolgend von ihr erklärten weiteren außerordentlichen Kündigungen.

In dem von der Klägerin vorgetragenen Umstand, wonach die Beklagte in den streitgegenständlichen Räumen einen Headshop betreibe und damit gegen den vereinbarten Mietzweck verstoße, ist kein wichtiger Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 543 BGB zu sehen.

Für eine Mietvertragspartei kann ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB bestehen, wenn infolge des Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung des Vertrags wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage derart gefährdet ist, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes nicht mehr zugemutet werden kann. Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden. Hierfür sind die Interessen des Kündigenden an der Vertragsbeendigung und die Interessen der anderen Vertragspartei an der Fortdauer des Mietverhältnisses zu ermitteln und zu bewerten (BGH NJW-RR 2011, 89 m.w.N.).

Zwar braucht der Vermieter eigenmächtige Änderungen des Verwendungszwecks der Mietsache grundsätzlich nicht hinzunehmen. Ob und inwieweit der Mieter mit einer Änderung des Verwendungszwecks gegen den Vertrag verstößt, kann nur im Einzelfall nach Abwägung der beiderseitigen Belange beurteilt werden (Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 10. Aufl., Rn. 685). Wenn durch eine zweckwidrige Nutzung die Rechte des Vermieters erheblich verletzt werden, ist der Vermieter zur fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB berechtigt, wenn ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zuzumuten ist (Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., XII Rn. 44 f.). Dies ist vorliegend nach Überzeugung des Berufungsgerichts nicht der Fall.

Es ist bereits nicht erkennbar, dass der von der Klägerin behauptete Betrieb eines Headshops gegen den im Mietvertrag vereinbarten Mietzweck verstößt. In § 2 des Mietvertrages ist u.a. vereinbart, dass die Beklagte dort einen "Einzelhandel" betreiben kann. Der Begriff des Einzelhandels ist umfassend und beschreibt allgemein die Verkaufstätigkeit an Endverbraucher. Je allgemeiner die Umschreibung des Vertragszwecks im Mietvertrag gehalten ist, desto freier ist der Mieter in der Bestimmung seines Geschäftszweigs (Wolf/Eckert/Ball, a.a.O.). Wenn die Vermieterseite den Mietzweck hätte näher konkretisieren wollen - etwa im Hinblick auf den von der Beklagten ursprünglich geplanten und bei Vertragsverhandlungen genannten Betrieb eines Wacken Store - hätte dies im Mietvertrag so festgehalten werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, war die Beklagte in der Gestaltung ihrer Geschäftsausübung frei, solange ihre geschäftliche Tätigkeit jedenfalls unter den Begriff des Einzelhandels subsumiert werden kann, war vorliegend der Fall ist. Mithin ist ein Verstoß gegen einen vereinbarten Vertragszweck nicht festzustellen.

Im Übrigen wäre die außerordentliche Kündigung auch dann als unwirksam anzusehen, wenn man einen Vertragsverstoß durch die tatsächliche Nutzung des Mietobjekts annehmen würde. Denn es nicht ersichtlich, dass der Klägerin als Vermieterin die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Insoweit ist nämlich in die Beurteilung der Umstand einzubeziehen, dass sich das streitgegenständliche Mietobjekt auf der Reeperbahn in Hamburg befindet, wo sich eine Vielzahl von Geschäftsbetrieben aller Art befindet, die nicht immer bürgerlichem Normverständnis entsprechen. Anders als beispielsweise in tief katholischen ländlichen Gebieten zieht auf der Reeperbahn der Betrieb eines Headshops keinerlei Aufmerksamkeit in negativer Hinsicht auf sich, so dass etwa eine Wertminderung des Grundstücks der Klägerin oder sonstige Nachteile auszuschließen sind. Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass ihre Gesellschafter aus Gewissensgründen keinen Headshop in ihrem Geschäftshaus haben wollten, dringt sie hiermit nicht durch. Dabei braucht nicht der Umstand vertieft zu werden, dass in dem ebenfalls von der Klägerin vermieteten Nachbargeschäft ein (anderer) Headshop betrieben wird. Denn "Gewissensnot" kann grundsätzlich nicht zu einer nachträglichen Änderung des Vertrags führen, wie der Bundesgerichtshof ausgeführt hat im Falle des Übergangs von einer Damenmodenboutique zu einem Sexshop, den er noch als in den Grenzen des vertragsgemäßen Gebrauchs angesehen hat und dem Vermieter, der dies nicht hinnehmen wollte, die Berufung auf seine Gewissensnot versagt hat (BGH NJW 1984, 1031; siehe auch Wolf/Eckert/Ball, a.a.O., Rn. 686).

Auch die zahlreichen weiteren von der Klägerin im Verlaufe des Rechtsstreits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen vermögen der Räumungsklage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 16. Februar 2011 die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat wegen des Vertriebs eines "Tyrannen-Quartetts" fehlt es insoweit bereits an der erforderlichen Abmahnung. Gleiches gilt für die fristlose Kündigung vom 15. März 2011, die sie damit begründet hat, dass die Beklagte gegen den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Strafanzeige wegen dessen Prozessvortrags erstattet hat, und auch für die mit Schriftsatz vom 11. April 2011 erklärte fristlose Kündigung, wonach die Beklagte ohne Erlaubnis der Klägerin an der Hausfassade ein Werbeschild angebracht habe und für die mit Schriftsatz vom 22. Juli 2011 ausgesprochene fristlose Kündigung mit der Begründung, die Beklagte habe der Klägerin unterstellt, im Rechtsstreit ein gefälschtes Foto verwendet zu haben. Auch die mit Schriftsatz vom 13. Juli 2012 erklärte außerordentliche Kündigung, die die Klägerin damit begründet hat, dass die Beklagte ihr schriftsätzlich Heuchelei vorgeworfen und sie beleidigt habe, ist unwirksam. Alle diese Kündigungen sind nicht geeignet, das Mietverhältnis zu beenden, weil es sowohl an vorherigen Abmahnungen fehlt als auch die einzelnen darin aufgestellten Vorwürfe weder für sich noch insgesamt geeignet sind anzunehmen, dass der Klägerin die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar wäre. Vielmehr sind die vielfältigen Kündigungen vor dem Hintergrund des Bestrebens der Klägerin zu sehen, das Mietverhältnis in jedem Fall beenden zu wollen.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.