SG Freiburg, Urteil vom 06.12.2013 - S 5 KR 2714/13
Fundstelle
openJur 2014, 7511
  • Rkr:

Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der derzeitigen Form verstößt nicht gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22.1.2013, den sie mit Schreiben vom 11.2.2013 - jetzt mit Rechtsbehelfsbelehrung - lediglich wiederholt hat, einen Antrag der bei ihr familienversicherten Klägerin auf unbefristete Weiterverwendung ihrer bisherigen Krankenversichertenkarte (KVK) abgelehnt, weil die Klägerin verpflichtet sei, im Rahmen des Aufbaus eines Gesundheitsnetzwerks zwischen Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern, Abrechnungszentren und Kostenträgern, den das Gesetz zur Modernisierung im Gesundheitswesen (in Kraft ab 1.1.2004) regle, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Bestandteil dieser Telematik-Infrakstruktur verbindlich einzuführen. Diese eGK, die ein Lichtbild des Versicherten enthalten müsse, löse die alte KVK vollständig ab; auch die Klägerin müsse die eGK dann nutzen, weil anderenfalls der Arzt nicht mehr mit der Kasse abrechnen könne und erbrachte Leistungen möglicherweise privat in Rechnung stelle. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.5.2013 hielt die Beklagte, ohne näher auf die Einwände auf die Klägerin einzugehen, die eGK und die TI verletzten ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil der Gesundheitsdatenschutz nicht genügend gesichert sei.

Die Klägerin hat am 14.6.2013 Klage auf Zurverfügungstellung von Leistungen nach dem SGB V ohne Einsatz der eGK erhoben.

Sie macht geltend, die Vorschriften der §§ 291 a, 291 b SGB V über die Einführung der eGK und über die Gesellschaft für Telematik, die für die Schaffung einer interoperablen und kompatiblen Telematikinfrastruktur zuständig sein solle, seien verfassungswidrig.

Im Einzelnen macht sie unter anderem geltend, der Gesetzgeber habe die Einführung der eGK bis zum 01.01.2007 vorgesehen, nun werde diese jedoch erst im Jahre 2014 eingeführt. Damit liege eine genügende gesetzliche Grundlage für die Einführung der eGK nicht mehr vor. Zwar sei der Beklagten einzuräumen, dass derzeit nur einige Daten, wie etwa das Lichtbild des Versicherten, auf der eGK verpflichtend gespeichert werden müssten, während eine Vielzahl von Anwendungen vorläufig noch auf freiwilliger Basis erfolge. Die Einführung der eGK mache jedoch im Ergebnis nur dann Sinn, wenn auch die freiwilligen Anwendungen zum allgemeinen Standard würden. Patienten, welche die bis jetzt noch freiwillige Aufnahme bestimmter Daten in die eGK Daten verweigerten, gerieten damit beim Besuch der Arztpraxis oder des Krankenhauses automatisch in die Position von Querulanten, die Sand im Getriebe der informationstechnisch mit Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen vernetzten Arztpraxen darstellten und entsprechend mit einer schlechteren Behandlung durch die Ärzte zu rechnen hätten. Abgesehen davon sei die von der Gesellschaft für Telematik vorgesehene Telematikinfrastruktur nicht genügend gegen Datenmissbrauch gesichert, und der Gesetzgeber habe keine genügend klaren Vorgaben zum Datenschutz bei Einführung der eGK gemacht. Dies alles führe zu einem Verstoß gegen die grundrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmung der Versicherten und sei somit verfassungswidrig.

Die Klägerin beantragt.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.1.2013 sowie der diesen wiederholende Bescheid vom 11.2.2013 - beide in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.5.2013 - wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weiterhin Sachleistungen nach dem SGB V zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie die elektronische Gesundheitskarte benutzen muss, sei dies über eine Verlängerung der Gültigkeit der bisherigen Krankenversicherungskarte oder sei dies auf anderem Wege.

Sobald eine Zurverfügungstellung von Sachleistungen ohne elektronische Gesundheitskarte der Beklagten nicht mehr möglich ist, hat die Beklagte der Klägerin für Behandlungen gegen Rechnung volle Kostenerstattung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt:

Abweisung der Klage.

Wegen der Argumentation der Beklagten wird auf deren Schriftsätze im Klageverfahren Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Klägerin Anfechtungsklage auch gegen den wiederholenden Bescheid vom 11.2.2013 erhoben hat, ist diese unzulässig, da insoweit kein erneuter Verwaltungsakt vorliegt, der gesondert anfechtbar wäre; das Schreiben vom 11.2.2013 enthält nämlich lediglich die bereits im Bescheid vom 22.1.2013 getroffene Regelung nochmals, entfaltet also selbst keine weitere eigenständige Regelung hoheitlicher Art mit Außenwirkung im Sinne eines anfechtbaren Verwaltungsaktes (§§ 54 Abs. 1 SGG, 31 SGB X).

Im Übrigen ist die hier erhobenen Anfechtungsklage und die damit verbundene Leistungsklage zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag der Klägerin auf unbefristete Weiterverwendung der bisherigen KVK abgelehnt und die Verpflichtung der Klägerin ausgesprochen, die eGK zu benutzen, um damit Sachleistungen nach dem SGB V in Anspruch nehmen zu können. Gegen diese Verpflichtung wendet sich die Klägerin, die von der Beklagten verlangt, ihr weiterhin Sachleistungen ohne Pflicht zur Benutzung der eGK zu gewähren. Für den Fall, dass dies der Beklagten nicht mehr möglich sein sollte, hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur vollen Kostenerstattung für ärztliche Behandlungen gegen (private) Rechnung zu verurteilen.

Die Klage ist unbegründet, denn die Klägerin ist kraft Gesetzes verpflichtet, in Zukunft die im Rahmen der §§ 291 a, 291 b SGB V eingeführte eGK zu benutzen, um Sachleistungen nach dem SGB V in Anspruch nehmen zu können.

Zwar lautet der grundlegende gesetzliche Programmsatz zur Einführung der eGK (§ 291a Abs. 1 SGB V) wie folgt:  Die Krankenversichertenkarte nach § 291 Abs. 1 wird bis spätestens zum 1. Januar 2006 zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der Behandlung für die in den Absätzen 2 und 3 genannten Zwecke zu einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert. Das bedeutet aber nicht, dass für die nun erst 2014 erfolgende Implementierung der eGK eine gesetzliche Grundlage fehlen würde; das vom Gesetzgeber seinerzeit vorgegebene Datum ist lediglich als programmatische Vorschrift zu verstehen und nicht etwa als eine Stichtagsregelung im Sinne eines Verbots, die eKG ggf. doch erst später einzuführen.

Die Vorschriften über die Einführung der eGK verstoßen, jedenfalls solange die eGK nur die derzeit verpflichtend vorgeschriebenen Angaben enthalten muss, auch nicht gegen das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung (dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83, 1 und weitere Aktenzeichen; BVerfGE 65, 1 bis 71 -Volkszählungsurteil) und damit nicht gegen das Grundgesetz.

- Nach derzeitigem gesetzlichen Stand hat die eGK zwingend nur folgende Angaben zu enthalten (§ 291 a Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 291 Abs. 2 SGB V):

Die Bezeichnung der ausstellenden Krankenkasse, Familien- und Vorname des Versicherten, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, Krankenversichertennummer, Versichertenstatus, Zuzahlungsstatus, Tag des Beginns des Versicherungsschutzes und bei befristeter Gültigkeit der Karte das Datum des Fristablaufs. Zusätzlich enthält die eGK auch, wie die bisherige KVK, die Unterschrift und ein Lichtbild des Versicherten.

- Soweit die eGK geeignet sein muss, Angaben für die Übermittlung ärztlicher Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form aufzunehmen (§ 291 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V), so müssen derartige Angaben auf Verlangen des Versicherten gelöscht werden (§ 291a Abs. 6 S. 1 SGB V).

- Das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der EGK in allen weiteren Fällen (dies sind die Fälle des § 291 a Abs. 3 S. 1 SGB V) ist von vornherein nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig (§ 291 a Abs. 5 S. 1 SGB V). Das sind insbesondere Angaben medizinischer Daten, soweit sie für die Notfallversorgung erforderlich sind, Angaben von Befunden, Diagnosen, Therapieempfehlungen sowie Behandlungsberichten in elektronischer und maschinell verwertbarer Form für eine einrichtungsübergreifende fallbezogene Kooperation (elektronischer Arztbrief), Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit, Daten über Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine Fall- und Einrichtungsübergreifende Dokumentation über den Patienten (elektronische Patientenakte), Angaben vom Versicherten selbst oder für Versicherte zur Verfügung gestellte Daten, Angabe von Daten über in Anspruch genommene Leistungen und deren vorläufige Kosten für die Versicherten, Erklärungen der Versicherten zur Organ- und Gewebespende, Hinweise der Versicherten auf das Vorhandensein und Aufbewahrungsort von Erklärungen zu Organ- und Gewebespende sowie Hinweise der Versicherten auf das Vorhandensein und den Aufbewahrungsort von Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen.

Angesichts der Tatsache, dass all die zuletzt genannten Daten nur mit Einwilligung des Versicherten gespeichert werden dürfen, erscheint der Kammer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherten durch die gesetzlichen Vorgaben genügend geschützt. Die gesetzlich vorgesehenen Pflichtangaben sind durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt und gehen im Übrigen nicht wesentlich weiter, als die bisher schon auf der KVK erforderlichen Angaben. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil (aaO) dargelegt hat, besteht auf persönliche Daten kein Recht im Sinne einer absoluten uneinschränkbaren Herrschaft. Vielmehr muss der Einzelne als eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende und auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im hinnehmen (vgl. BVerfGE aaO, Seite 43). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass seit dem Volkszählungsurteil aus dem Jahre 1983 die gesellschaftliche Entwicklung nicht stehen geblieben ist und die heutige Gesellschaft in allen Lebensbereichen durch die elektronische Datenverarbeitung mit geprägt wird; man denke dabei nur an die Bank- und Geldwirtschaft. Insoweit kann sogar von einer unentrinnbaren Prägung der modernen zivilisierten Gesellschaft durch die elektronische Datenverarbeitung gesprochen werden. Wie das Bundesverfassungs-gericht schon damals zu Recht hervorgehoben hat, ist die einzelne Person auf die Gemeinschaft bezogen und auf Kommunikation angewiesen, somit in der heutigen Zeit auch auf die Kommunikation mittels elektronischer Datenverarbeitung. Deshalb darf bei der Prüfung der Frage, ob der Gesetzgeber für bestimmte Daten eine elektronische Datenverarbeitung vorschreiben darf, nicht auf das Leitbild eines einzelnen Bürgers abgestellt werden, der quasi ein Leben als Daten-Eremit führen will. Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie sei Mitglied keines einzigen sozialen Netzwerkes, sie und ihr Ehemann benutzten auch keinerlei Bankkarten bei Auslandsaufenthalten und stünden auch sonst jeglicher Form der elektronischen Datenverarbeitung äußerst kritisch gegenüber, weist in diese Richtung. Dass die Klägerin dementsprechend grundsätzliche und tiefgreifende Vorbehalte gegenüber jeglicher Form von Datenverarbeitung hat, kann nach Überzeugung der Kammer bei der hier vorzunehmenden Abwägung zwischen den Belangen einer modernen, elektronisch gestützten Datenverarbeitung und dem Recht des Einzelnen, selbst über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen, keine Berücksichtigung finden.

Soweit die Klägerin vorträgt, zwar seien derzeit viele tiefgreifend in den persönlichen Datenschutz eingreifende Angaben, insbesondere die im Sinne des § 291 a Abs. 3 SGB V noch freiwilliger Natur, doch mache die Einführung der eGK überhaupt nur dann Sinn, wenn sich die große Mehrheit der Versicherten mit der Datenverarbeitung im Sinne des Abs. 3 einverstanden erkläre, woraus wiederum ein faktischer sozialer Zwang für die sich verweigernden Versicherten entstehe, doch bei der umfassenden Datenverarbeitung mitzumachen, so ergibt sich daraus jedenfalls derzeit kein unmittelbarer und tiefgreifender Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Angesichts der im Internet kursierenden Angaben, dass sich Hunderttausende von Versicherten gegen die Einführung der eGK ausgesprochen hätten, steht auch nicht zu befürchten, dass die Klägerin, wenn sie der umfassenden Datenmitteilung und Datenverarbeitung sowie dem Datenaustausch im Sinne des § 291a Abs. 3 SGB V ablehnend gegenübersteht, von den sie behandelnden Ärzte als Exotin, Außenstehende oder gar Querulantin behandelt werden würde.

Die grundsätzlichen Bedenken der Klägerin gegen die von der Gesellschaft für Telematik zugelassenen Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur vermag die Kammer im Hinblick darauf, dass der künftige Datentransport nicht im Rahmen des offenen Internets, sondern in einem quasi geschlossenen Intranet des Gesundheitswesen erfolgen soll, nicht zu teilen, dies in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Hessischen LSG vom 26.9.2013 (L 1 KR 50/13).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung war nach § 193 SGG zu treffen.

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