OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.12.2012 - 3 Ws 397/12
Fundstelle
openJur 2014, 7485
  • Rkr:

Der Betreuer ist nur dann zur Stellung eines Strafantrags für den Betreuten befugt im Sinne des § 77 Abs. 3 StGB, wenn ihm dieser Aufgabenkreis entweder ausdrücklich oder im Rahmen einer Betreuungsanordnung für alle persönlichen Angelegenheiten des Betreuten übertragen wurde. Die Übertragung der Aufgabenkreise Vermögenssorge, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und Rechtsanwälten reicht weder jeweils für sich noch in der Gesamtschau aus.

Gründe

I.

Das AG verurteilte den Angekl. am 13.10.2011 wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Angekl. am 20.8.2010 seine zum damaligen Zeitpunkt 89-jährige Mutter, die spätere Geschädigte, dazu veranlasste, ihm eine notariell beglaubigte Generalvollmacht auszustellen. Unter Verwendung der Vollmacht löste der Angekl. Ende August 2010 ohne Wissen und Wollen der Geschädigten die bestehenden Konten und Sparbücher der Geschädigten auf und verwendete das vorhandene Vermögen in Höhe von ca. 30.000 EUR für eigene Zwecke.

Auf die Berufung des Angekl. stellte das LG durch Beschluss vom 9.8.2012 das Verfahren gemäß § 206a StPO, weil es an dem gemäß § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 247 StGB erforderlichen Strafantrag fehle und der Strafantrag auch nicht mehr nachgeholt werden könne. Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der StA, die - zumindest vorläufig - Erfolg hat und zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt.

II.

Der Entscheidung der Berufungskammer liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Für die Geschädigte war auf Anregung ihres Enkels vom 8.8.2010 beim AG S. ein Betreuungsverfahren eingeleitet worden, in dem der vom Betreuungsgericht beauftragte Sachverständige am 19.8.2010 ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Frage der Betreuungsnotwendigkeit erstattete. Der Sachverständige kam darin zu dem Ergebnis, dass die Geschädigte an einer senilen Demenz leide und auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Durch Beschluss des AG S. vom 3.9.2010 wurde eine ehrenamtliche Betreuerin für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bestellt. Mit Schreiben vom 18.10.2010 setzte die Betreuerin das AG S. von den Kontoauflösungen durch den Angekl. in Kenntnis und bat zugleich um ihre Entpflichtung. Mit Schreiben vom 26.10.2010 übersandte die Direktorin des AG S. die Betreuungsakten der StA und bat um Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Angekl. wegen des Verdachts einer Vermögensstraftat zum Nachteil seiner Mutter. Durch Beschluss des AG S. vom 11.11.2010 wurde die bisherige Betreuerin entlassen und eine andere Betreuerin unter Beibehaltung der Aufgabenbereiche bestellt. Weder die frühere noch die derzeitige Betreuerin haben bislang einen Strafantrag gestellt.

III.

Die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO liegen nicht vor, weil ein dauernd wirkendes Verfahrenshindernis - zumindest derzeit - nicht besteht (KK-Schneider, StPO, 6. Aufl., Rdn. 6 zu § 206a). Vorliegend wurde zwar der gemäß § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 247 StGB erforderliche Strafantrag bislang nicht gestellt (nachfolgend Ziffer 1.), diese Handlung kann aber noch nachgeholt werden (nachfolgend Ziffer 2.).

1. Das LG geht zunächst zutreffend davon aus, dass das Schreiben der Direktorin des AG vom 26.10.2010 nur als Strafanzeige, nicht aber als Strafantrag im Sinne des § 77 StGB anzusehen ist. Das Betreuungsgericht ist zwar unter den Voraussetzungen der §§ 1846, 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 77 Abs. 3 StGB befugt, für den Betroffenen einen Strafantrag zu stellen (S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl., Rdn. 19 zu § 77). Dies setzt aber voraus, dass sich das Betreuungsgericht bewusst ist, eine einstweilige Maßregel an Stelle des noch nicht bestellten oder verhinderten Betreuers zu treffen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Wie die Direktorin des AG S. gegenüber dem LG mitgeteilt hat, war ihr das Strafantragserfordernis nicht bekannt gewesen. Das Schreiben vom 26.10.2010 kann daher schon mangels eines Vertretungswillens nicht als Strafantrag für die Geschädigte verstanden werden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Betreuungsgericht eine einstweilige Maßregel gemäß § 1846 BGB treffen wollte. Die Direktorin des AG S. kam vielmehr ihrer dienstlichen Pflicht nach, Erkenntnisse aus dem Betreuungsverfahren zur Verfolgung von Straftaten der StA mitzuteilen (vgl. § 311 Satz 1 FamFG, Abschnitt XV/7 der Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen - MiZi).

2. Der fehlende Strafantrag kann aber entgegen der Auffassung des LG noch nachgeholt werden.

Das LG vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf die übertragenen Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern quasi eine Totalbetreuung vorliege. Aus der Formulierung in § 77 Abs. 3 StGB ergebe sich, dass das Strafantragsrecht nach dem Willen des Gesetzgebers dem Bereich der Personensorge zuzurechnen sei. Diesem Erfordernis werde durch die übertragenen Aufgabenkreise entsprochen. Da die Strafantragsfrist für die somit zum Strafantrag berechtigten Betreuerinnen bereits abgelaufen sei, könne der Strafantrag nicht mehr nachgeholt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

a) Zunächst geht das LG zutreffend davon aus, dass die bloße Übertragung der Vermögenssorge den Betreuer nicht zur Stellung eines Strafantrags berechtigt. Die Entscheidung zur Stellung eines Strafantrags gemäß § 247 StGB berührt vorrangig familienrechtliche und nicht vermögensrechtliche Interessen. Als höchstpersönliches Recht betrifft es die Angelegenheit der Personenfürsorge und nicht der Vermögenssorge (OLG Hamm, NJW 1960, 834; LG Hamburg, NStZ 2002, 39; OLG Köln, wistra 2005, 392; OLG Celle, wistra 2012, 242; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl., Rdn. 18 zu § 77; Fischer, StGB, 59. Aufl., Rdn. 14 zu § 77). Dass die Stellung eines Strafantrags durchaus auch vermögensrechtliche Auswirkungen z.B. bei der Geltendmachung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche haben kann, vermag an der grundsätzlichen Zuordnung des Strafantragsrechts zur Personensorge nichts zu ändern.

b) Ebenso wenig umfasst der Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden das Strafantragsrecht (OLG Celle a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; Fischer, a.a.O.). Dieser Aufgabenkreis wiederholt lediglich die bereits in § 1902 BGB normierte allgemeine Vertretungsbefugnis des Betreuers, sagt aber nichts darüber aus, in welchen materiell-rechtlichen Aufgaben diese Befugnis gelten soll.

c) Ob bei Hinzutreten weiterer Aufgabenkreise aus dem Bereich der persönlichen Sorge der Betreuer zur Strafantragstellung befugt sein soll, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Das OLG Celle hat ein Strafantragsrecht des Betreuers bei einer Übertragung der Aufgabenkreise Vermögenssorge, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und Rechtsanwälten verneint (OLG Celle, a.a.O.; a.A. LG Ravensburg, FamRZ 2001, 937). Dieser Auffassung schließt sich der Senat auf Grund folgender Erwägungen an:

Im Betreuungsrecht gilt der Erforderlichkeitsgrundsatz sowohl für die Betreuungsbedürftigkeit als auch den Betreuungsbedarf (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 71. Aufl., Rdn. 8 ff. zu § 1896). Eine Betreuung darf gemäß § 1896 Abs. 2 BGB nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Aufgabenkreise sind einerseits so zu bestimmen, dass auch alle erforderlich werdenden Angelegenheiten erfasst sind, andererseits sind sie auf das notwendige Maß zu beschränken (Erman-Roth, BGB, 13. Aufl., Rdn. 59 zu § 1896). Eine Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten (Totalbetreuung) soll die Ausnahme bleiben (Palandt-Diederichsen, BGB, 71. Aufl., Rdn. 16 zu § 1896). Umgekehrt folgt hieraus, dass die Betreuung strikt auf die vom Betreuungsgericht abschließend festgelegten Bereiche beschränkt ist. Ergibt sich ein darüber hinausgehender Betreuungsbedarf, ist eine Erweiterung der Betreuung durch das Betreuungsgericht zu prüfen.

Für das Recht zur Strafantragstellung bedeutet dies, dass - sofern das Betreuungsgericht die Personensorge nicht umfassend wie z.B. bei eine Betreuung für alle Angelegenheiten geregelt hat - es einer ausdrücklichen Übertragung dieses Aufgabenkreises auf den Betreuer bedarf. Die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung machen zwar einen ganz wesentlichen Bereich der Personensorge aus, umfassen diese aber nicht erschöpfend. Aus dem Umstand, dass sich der Umfang der Betreuung unter Berücksichtigung aller übertragenen Aufgabenkreise dem Gesamtbild einer Totalbetreuung angenähert hat, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Betreuer den Betroffenen auch in Bereichen vertreten kann, die ihm nicht ausdrücklich zugewiesen wurden.

Da nach dem Ergebnis des vom Betreuungsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens die Geschädigte geschäftsunfähig ist, kann der Strafantrag durch die in § 77 Abs. 3 StGB bezeichneten Personen, hier die gesetzliche Betreuerin, gestellt werden. Vorliegend war jedoch weder für die entlassene noch für die derzeitige Betreuerin das Recht zur Strafantragsstellung von den ihnen übertragenen Aufgabenkreisen mit umfasst. Es liegt daher bislang ein rechtliches Hindernis für die Strafantragsstellung vor, weshalb auch die Strafantragsfrist des § 77b StGB - unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntnis der jeweiligen Betreuerin von den Straftaten des Angekl. - nicht zu laufen beginnen konnte (S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl., Rdn. 19 zu § 77b). Dieses Hindernis kann aber beispielsweise dadurch behoben werden, dass das Betreuungsgericht die der Betreuerin übertragenen Aufgabenkreise um die Befugnis zur Stellung des Strafantrags erweitert, um sodann klären zu können, ob ein Strafantrag noch gestellt wird (KK-Schneider, StPO, 6. Aufl., Rdn. 7 zu § 206a).