VG München, Beschluss vom 02.01.2014 - M 6a X 13.5567
Fundstelle
openJur 2014, 6265
  • Rkr:
Tenor

I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners mit Nebenräumen in der A...straße ... in A... durch Bedienstete des Landratsamtes B... sowie der örtlich zuständigen Polizeidienststelle ohne vorherige Anhörung werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.

Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des EU-Kartenführerscheins des Antrags-gegners mit der Nr. ..., ausgestellt am ... Februar 2000 durch das Landratsamt C...

II. Das Landratsamt B... wird mit der Zustellung dieses Beschlusses sowie des Beschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin vom ... Dezember 2013 an den Antragsgegner beauftragt. Die Zustellung hat unmittelbar vor Durchführung der unter Nr. I gestatteten Maßnahmen zu erfolgen.

III. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.

Die Fahrerlaubnisbehörde des Antragstellers entzog dem Antragsgegner mit Bescheid vom ... August 2013 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), gab ihm auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Nr. 2). In Nr. 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 angeordnet. Für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins wurde dem Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von a... Euro angedroht (Nr. 4).

Gegen den durch Postzustellungsurkunde am ... September 2013 zugestellten Bescheid hat der Antragsgegner kein Rechtsmittel ergriffen.

Nachdem der Antragsteller den Führerschein nicht abgegeben hatte, stellte der Antragsteller mit am ... Oktober 2013 durch Postzustellungsurkunde zugestelltem Schreiben bzw. Bescheid vom ... Oktober 2013 das Zwangsgeld in Höhe von a... Euro fällig und drohte ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von b... Euro an, falls der Antragsgegner der Aufforderung gemäß Nummer 2 des Bescheids vom ... August 2013 nicht innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Bescheids nachkomme.

Da auch dieser Bescheid nicht zur Abgabe des Führerscheins führte, stellte der Antragsteller mit am ... Oktober 2013 durch Postzustellungsurkunde zugestelltem Schreiben bzw. Bescheid vom ... Oktober 2013 das Zwangsgeld in Höhe von b... Euro fällig und drohte nunmehr unmittelbaren Zwang, d.h. die zwangsweise Einziehung des Führerscheins durch die Polizei an, falls der Antragsgegner der Aufforderung gemäß Nummer 2 des Bescheids vom ... August 2013 nicht innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Bescheids nachkomme.

Die Polizeiinspektion D... teilte per Fax am ... Oktober 2013 mit, dass an der Wohnanschrift des Antragsgegners niemand angetroffen werden könne.

Laut Aktenvermerk vom ... November 2013 teilte die Polizeiinspektion D... telefonisch mit, dass der Antragsgegner den Führerschein nicht herausgebe bzw. die Tür nicht öffne.

Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom ... November 2013 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung hinsichtlich der früheren Wohnung des Antragsgegners in E... Nachdem der Antragsgegner nach den Ermittlungen der Polizeiinspektion D... zwischenzeitlich nach A... verzogen war, beantragte der Antragsteller zuletzt am ... Dezember 2013

- das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen des Antragsgegners durch Polizeibeamte und Bedienstete des Antragstellers zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners zu gestatten, wobei auch verschlossene Türen und Behältnisse geöffnet werden dürften.

- Diese Gestattung sollte sechs Monaten ab dem Datum des Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners gültig sein.

Zur Begründung wurde unter Darlegung der Vorgeschichte ausgeführt, dass der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins nicht nachkomme. Der Antragsteller habe weder eine eidesstattliche Versicherung noch eine anderweitige Erklärung über den Verbleib seines Führerscheins abgegeben. Weder das zweimal angedrohte Zwangsgeld noch der angedrohte unmittelbare Zwang hätten zum Erfolg geführt.

Mit Beschluss vom ... Dezember 2013 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig.

Der Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung durch richterliche Anordnung ist statthaft. Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG - sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz - GG -, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen (vgl. BVerfG vom 3.4.1979 BVerfGE 51, 97 (106); BVerfG v. 17.3.2009, NJW 2009, 2516).

Der Antrag ist auch begründet.

Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG liegen vor.

Da der Bescheid vom ... August 2013, der in seiner Nummer 2 die Verpflichtung für den Antragsgegner enthielt, seinen Führerschein innerhalb einer Frist von einer Woche abzuliefern, mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen dem Antragsgegner am ... September 2013 ordnungsgemäß zugestellt wurde und der Antragsgegner keinen Rechtsbehelf hiergegen eingelegt hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG).

Der Antragsteller hat ferner glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Angesichts der erfolglosen Androhung und zweimaligen Fälligstellung von Zwangsgeldern in Höhe von a... EUR und b... Euro und des aktenkundigen Verhaltens des Antragsgegners versprach eine nochmalige Zwangsgeldandrohung keinen Erfolg.

Mit Bescheid vom ... Oktober 2013 drohte deshalb der Antragsteller gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG dem Antragsgegner die Anwendung unmittelbaren Zwangs an und verband diese Androhung mit einer angemessenen Frist zur freiwilligen Erfüllung der zu vollstreckenden Anordnung (Abgabe des Führerscheins).

Die – nötigenfalls – zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung ist erforderlich. Nach Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner seinen Führerschein freiwillig herausgibt, auch nicht, wenn er hierzu von Polizeibeamten aufgefordert werden sollte. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem gesamten aktenkundigen Verhalten des Antragsgegners.

Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung als nicht verhältnismäßig erscheinen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht des Antragsgegners auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung (Art. 13 GG) angesichts der vom Antragsteller hier im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interessen an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr zurücktreten.

Von einer Zustellung des Antrags an den Antragsgegner und seiner Anhörung vor Erlass des Beschlusses konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden. Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen (vgl. VG München, B.v. 19.3.2013 – M 6b X 13.1124, B.v. 20.2.2013 – M 6a X 12.233 -, B.v. 21.12.2012 – M 6a X 12.6329 -, B.v. 18.10.2013 - M 6b X 13.4728, jeweils unter Bezug auf BVerfG v. 19.6.1981 BVerfGE 57, 346 (359)). Gerade bei einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzuspüren, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 9. Aufl., Art. 13 RdNr. 14). Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden (BVerfG v. 19.6.1981, a. a. O.).

Angesichts des vom Antragsteller glaubhaft dargelegten Vorverhaltens des Antragsgegners muss nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass seine Anhörung vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass der Antragsgegner, der sich bisher nachhaltig geweigert hat, seinen Führerschein herauszugeben, und der sich bisher sowohl von dem ihm gegenüber zweifach fällig gestellten Zwangsgeld als auch von der Androhung unmittelbaren Zwangs gänzlich unbeeindruckt gezeigt hat, auch dazu bereit sein wird, seinen Führerschein beiseite zu schaffen, sobald er von der beabsichtigten Durchsuchung erfährt. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden.

Aus denselben Gründen ist auch die in Nr. II des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 168 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO – analog). Würde ihm der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenso gefährdet wie bei einer vor Beschlusserlass erfolgten Anhörung.

Weil die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Durchsuchungsanordnung zu befristen (vgl. VG München, B.v. 18.10.2013 – M 6b X 13.4728).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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