Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.02.2014 - 13a ZB 13.30368
Fundstelle
openJur 2014, 5457
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 10. Oktober 2013 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Der Kläger hält zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig, inwieweit die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts aufgrund des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf ihn anzuwenden seien und damit ein Abschiebungsverbot bestehe. Die Reisewarnung des Auswärtigen Amts gelte auch für Menschen, die keine deutschen Staatsangehörigen seien. Die im Einzelnen genannten Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts setzten sich hiermit nicht auseinander, sondern sprächen vielmehr der Reisewarnung die Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ab. Dies stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar.

Die aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Ob die Reise-und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts auf den Kläger als nicht deutschen Staatsangehörigen anzuwenden sind, war weder für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich, noch wird es im Berufungsverfahren hierauf ankommen. Prüfungsgegenstand war allein, ob für den Kläger eine erhebliche und konkrete Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Diesen zweiten Teil der Frage, nämlich ob sich aus Reisewarnungen zugleich ein Abschiebungsverbot ergeben kann, hat das Bundesverwaltungsgericht geklärt (B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris). Wie der Kläger selbst ausführt, kommt einer von dem Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung nach dieser Rechtsprechung keine Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu, bei der in verfassungskonformer Auslegung ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den Grundsätzen für den Erlass einer solchen Reisewarnung ist dem Bundesverwaltungsgericht zufolge auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen ist. Dem ist der Senat in dem vom Kläger zitierten Beschluss vom 23. September 2013 (13a ZB 13.30256 – juris) gefolgt. Wie dort ausgeführt, stellt sich somit die Frage, ob für Reisewarnungen nach der Staatsangehörigkeit zu unterscheiden sei, nicht.

Soweit der Kläger weiter geltend macht, das Zählen der Todesopfer in einer jeweiligen Region in einem bestimmten Zeitraum – das sogenannte „Bodycount“ – verstoße gegen das Recht auf Leben, fehlt es an der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG gebotenen Darlegung, welche Frage einer Klärung bedarf. Aber auch wenn das Vorbringen zur Reisewarnung im Zusammenhang mit der kritischen Gefahrendichte nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. (nunmehr § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG) als Frage dahingehend verstanden wird, ob die Zahl der Todesopfer als Beurteilungsgrundlage für eine ernsthafte individuelle Bedrohung in diesem Sinn verwendet werden kann, führt der Antrag nicht zum Erfolg. Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil in der Rechtsprechung rechtsgrundsätzlich geklärt ist, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09BVerwGE 136, 360 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 38; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10NVwZ 2012, 454; B.v. 27.5.2013 – 10 B 6.13 – juris), und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte auch einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf. In der Rechtsprechung ist des Weiteren geklärt (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12NVwZ 2013, 1167 Rn. 13), dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG auch dann erfüllt sein können, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und daher auch eine Betrachtung geboten sein kann, die für die Gefahrenprognose nach Herkunftsregionen innerhalb des Heimatstaates differenziert. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in den vom Kläger zitierten Entscheidungen (siehe nur BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris) nochmals bestätigt.

Dem Kläger war auch das rechtliche Gehör nicht versagt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ein prozessuales Grundrecht und außerdem ein rechtsstaatliches konstitutives Verfahrensprinzip, das mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im funktionalen Zusammenhang steht. Es sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91BVerfGE 86, 133). Allerdings ist die Feststellung und Würdigung des Tatbestands allein Sache des erkennenden Gerichts. Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder unzureichend, vermag deshalb grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66BVerfGE 22, 267/273).

Mit der Frage, ob aufgrund der außerordentlich vielen Übergriffe in Afghanistan eine Gefahrenverdichtung vorliegt, hat sich das Verwaltungsgericht befasst und hierbei auch zu den vom Kläger vorgelegten Unterlagen Stellung genommen (UA S. 13). Dass der Kläger deshalb mit seinem Vorbringen nicht gehört worden sein sollte, ist nicht ersichtlich. Die von der klägerischen Auffassung abweichende Bewertung seines Vortrags stellt keine Frage des rechtlichen Gehörs dar, sondern der – im Rahmen von § 78 Abs. 3 AsylVfG nicht einschlägigen – Beweiswürdigung. Inwieweit sich das Bundesverwaltungsgericht in anderen Verfahren mit dem jeweiligen Vorbringen auseinander gesetzt hat, ist für den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in diesem Verfahren ohne Bedeutung.

Der Hinweis auf vier beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerden betreffend die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. vermag nicht zur Aussetzung des Verfahrens zu führen, da die Voraussetzungen des § 94 VwGO nicht vorliegen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen der Rechtsverhältnisse ab, die den Gegenstand der Verfassungsbeschwerden bilden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.