OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.02.2014 - 16 A 1100/13
Fundstelle
openJur 2014, 4548
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. März 2013 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Berufungszulassungsverfahren auf 37.336,17 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. März 2013, über den im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.

Die von der Klägerin erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht auf.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils ausgeführt: Die Klage gegen die Abgabenbescheide der Beklagten mit den Nummern 030 bis 032 und 034 bis 036 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2010 sei unzulässig, weil die Widerspruchsfrist nicht eingehalten sei. Wegen einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung sei die Erhebung des Widerspruchs zwar innerhalb eines Jahres zulässig gewesen, aber auch in diesem Zeitraum sei der Rechtsbehelf nicht angebracht worden.

Ernstlichen Richtigkeitszweifeln begegnet die angefochtene Entscheidung nicht. Die Klägerin hat nicht einen einzelnen tragenden Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Dies gilt bereits für das nunmehr geltend gemachte Begehren auf Rückzahlung von 37.336,17 Euro entsprechend der Abgabenmitteilungen, denn vor dem Verwaltungsgericht hatte die Klägerin ausdrücklich allein die Aufhebung der Abgabenbescheide der Beklagten beantragt. Anlass für eine weitergehende verwaltungsgerichtliche Prüfung bestand daher nicht.

Das weitere Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht bestandskräftige Abgabenbescheide und damit verfristete Widersprüche bejaht, ist irrig. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Abgabenmitteilung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über die Abgaben nach dem Holzabsatzfondsgesetz (aufgehoben durch Art. 2 § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 25. Mai 2011, BGBl. I 950) als Abgabenbescheid gilt, wenn der Abgabenbetrag darin zutreffend angegeben worden ist, und dass dieser fingierte Bescheid auch unanfechtbar geworden ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin orientieren sich die Anforderungen für das Ergehen eines Abgabenbescheides nicht an dem Maßstab des § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), sondern an der vorgenannten Verordnung. Denn die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes sind insoweit nicht anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 VwVfG gilt dieses Gesetz für die öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden ..., soweit nicht Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Solche Rechtsvorschriften können auch Rechtsverordnungen des Bundes sein.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Juli 2011 ‑ 20 A 2476/10 -, juris, Rn. 41; Ronellenfitsch, in: Bader/Ronellenfitsch, Beck'scher Online-Kommentar, Stand: 1. Oktober 2013, § 1 Rn. 57.

Die Holzabsatzfondsverordnung (HAfV) gründete sich mit § 10 Abs. 5 des Gesetzes über den Holzabsatzfonds (HAfG) auf eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Danach wurde das zuständige Bundesministerium ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen das Verfahren bei der Erhebung, die Beitreibung und die Fälligkeit der Abgabe durch Rechtsverordnung ... zu regeln. Dass der Verordnungsgeber entgegen dem Ermächtigungsprogramm des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Rechtsverordnung erlassen hätte, ist mit der Zulassungsbegründung weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich. § 1 Abs. 3 HAfV wich daher wirksam von § 35 VwVfG ab. Es kam nicht auf das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen eines Verwaltungsakts nach § 35 VwVfG an. Das auf § 35 VwVfG bezogene Zulassungsvorbringen geht ins Leere. Die von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30. Juni 2005 ‑ 7 C 26.04 -, BVerwGE 124, 47 = juris, Rn. 18 f.) führt nicht weiter. Dort heißt es, dass eine solche (Genehmigungs-)Fiktion zumindest ein willensgetragenes Verhalten der betreffenden Behörde voraussetze (regelmäßig ein pflichtwidriges Unterlassen), an das die Fiktion anknüpfen könne. Dieser Fall einer Genehmigungsfiktion ist hier jedoch nicht gegeben. Im Übrigen wird ein willensgetragenes Verhalten der Behörde, falls man dies auch für sonstige fingierte Verwaltungsakte für notwendig erachtete,

diese Anforderung ablehnend: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 42a, Rn. 3,

durch § 1 Abs. 3 Satz 1 HAfV selbst fingiert, ohne damit rechtlichen Bedenken ausgesetzt zu sein. Soweit die Klägerin auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1995 (3 C 9.95, RdL 1995, 307 = juris, Rn. 22) abhebt, verfängt dieses Vorbringen ebenfalls nicht. In dem Urteil heißt es zu § 5 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Weinwirtschaftsgesetzes (einer dem § 1 Abs. 3 Satz 1 HAfV entsprechenden Vorschrift), diese bedürfe einer gesetzeskonformen Auslegung, weil § 35 VwVfG eine hoheitliche, von eine Behörde zu treffenden Maßnahme verlange; deshalb könne Klagegegenstand nicht die Abgabenmitteilung als solche sein, sondern deren stillschweigende Annahme durch die Behörde. Die stillschweigende Annahme der Behörde und damit ein Verwaltungsakt stehen aber auch hier in Rede. Im Übrigen enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz seit Inkrafttreten des § 42a VwVfG mit Wirkung vom 18. Dezember 2008 eine ausdrückliche Vorschrift zur Genehmigungsfiktion (einem Unterfall des fingierten Verwaltungsakts); somit dürfte eine die bisherigen von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze überholende gesetzliche Regelung ergangen sein.

Zum fingierten Verwaltungsakt vor Inkrafttreten des § 42a VwVfG vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 52 ff.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Abgabenmitteilung nur dann als Abgabenbescheid gelte, wenn der Abgabenbetrag darin zutreffend angegeben sei. Das Merkmal "zutreffend" kann sich im Kontext der Fiktion eines Abgabenbescheids nur darauf beziehen, dass aus dem angegebenen Warenwert der Abgabenbetrag zutreffend ermittelt worden ist. Ob hingegen der Warenwert selbst zutreffend angegeben war, ist für die Fiktion unerheblich; darauf hebt § 1 Abs. 3 Satz 1 HAfV nicht ab. Denn die Überprüfung der Richtigkeit des angegebenen Warenwerts war einer Betriebsprüfung vorbehalten. Wäre, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, eine andere als die vom Verwaltungsgericht bejahte Auslegung geboten, hätte der Abgabenpflichtige selbst entscheiden können, ob die Abgabenmitteilung als Abgabenbescheid Wirksamkeit erlangen konnte. Es ist aber dem Verordnungsgeber nicht zu unterstellen, dass er § 1 Abs. 3 Satz 1 HAfV mit diesem Inhalt hat erlassen wollen. Dies hat auch die Zulassungsbegründung nicht plausibel dargelegt.

Das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe die Tragweite der bundesverfassungsrechtlichen Entscheidung vom 12. Mai 2009 (‑ 2 BvR 743/01 -, BVerfGE 123, 132 = juris, Rn. 69) nicht beachtet, geht fehl. Das Bundesverfassungsgericht hat § 2 Abs. 1 bis 3, § 10 Abs. 1 bis 6, § 11 und § 12 HAfG wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs.1 i. V. m. Art. 105 und Art. 110 GG für nichtig erklärt. Hieraus folgt aber nicht die Unbeachtlichkeit der bestandskräftigen Abgabenbescheide. Ein auf einer unwirksamen Rechtsnorm beruhender Verwaltungsakt ist nicht nichtig, sondern nur anfechtbar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1967 ‑ VII C 69.65 ‑, BVerwGE 27, 141 = juris, Rn. 23.

Das nachträgliche Fortfallen der Ermächtigungsgrundlage ist für den Bestand einer zuvor ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung ohne Einfluss.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 1 BvR 482/84 u. a. -, BVerfGE 78, 179, 198 = juris, Rn. 55.

Bei den als Verwaltungsakte geltenden Abgabenmitteilungen handelt es sich zudem jeweils um einen von der Verfassungswidrigkeit der Regelungen der § 2 Abs. 1 bis 3, § 10 Abs. 1 bis 6, § 11 und § 12 HAfG unabhängigen Rechtsgrund im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) und auch deshalb nicht um nichtige Verwaltungsakte. Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Entscheidungen in diesem Sinn sind auch Verwaltungsakte, unabhängig von ihrer Entstehungsart.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966- 1 BvR 164/64 u. a. -, BVerfGE 20, 230, 236 = juris, Rn. 15 f.

Dies gilt auch für die auf der Grundlage von § 10 Abs. 5 HAfG erlassenen Holzabsatzfondsverordnung. Auch insoweit steht bloß die Rechtswidrigkeit der unanfechtbaren Abgabenbescheide im Raum.

Soweit die Klägerin ein Abweichen von der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum fingierten Verwaltungsakt rügt und damit den Zulassungsgrund einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO geltend macht, verhilft dieses Vorbringen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Die Ausführungen der Klägerin lassen nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen dieser Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu Grunde gelegt hat, der von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abwiche. Die von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2002 (‑ 7 AV 2.02 ‑, DVBl 1557 = juris, Rn. 4) enthält Ausführungen zu der Rechtsfigur des fingierten Verwaltungsakts. Dieser liege nur dann vor, wenn eine an sich gebotene Regelung durch die Behörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht vorgenommen und dieses Unterlassen dem Erlass der Regelung durch die Behörde gleichgesetzt werde. Hinreichende Darlegungen dazu, warum die angefochtene verwaltungsgerichtliche Entscheidung hiervon abweiche, enthält das Zulassungsvorbringen nicht, zumal die Ausführungen die nunmehr normierte Genehmigungsfiktion nach § 42a VwVfG betreffen dürfte, der Fall einer beantragten Genehmigung mit der Folge des Entstehens einer Genehmigungsfiktion nach Zeitablauf hier aber nicht vorliegt. Auch die weitere von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30. Juni 2005 ‑ 7 C 26.04 -, a. a. O.) führt aus den oben angeführten Gründen nicht weiter; diese Entscheidung ist insoweit nicht einschlägig. Soweit die Klägerin schließlich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1995 (3 C 9.95, a. a. O.) abhebt, liegt ebenfalls keine Divergenz vor. Die dort verlangte stillschweigende Annahme durch die Behörde und damit ein Verwaltungsakt liegen hier vor.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).