SG Landshut, Urteil vom 22.01.2014 - S 10 R 5023/13
Fundstelle
openJur 2014, 4357
  • Rkr:

1. Die Mitteilung des Rentenversicherungsträgers im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung, dass die stichprobenweise durchgeführte Prüfung keine Feststellungen bzw. Beanstandungen ergeben hat (sog. Prüfmitteilung gem. § 7 BVV), hat Regelungscharakter und stellt auch nach der Lehre vom actus contrarius einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X dar.2. Der Abschluss einer Betriebsprüfung durch eine Prüfmitteilung vermittelt eine geschützte Rechtsposition, in die nur durch die Regelungen der §§ 44 ff. SGB X eingegriffen werden kann.

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2013 wird insoweit aufgehoben, als darin Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009 nachgefordert werden.

II. Die Beklagte trägt drei Viertel der Kosten des Verfahrens, die Klägerin ein Viertel.

III. Der Streitwert wird auf 8.298,78 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten - noch - um die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009.

Die Klägerin betrieb bis zum 31.10.2011 das Chinarestaurant "F...", R... in A-Stadt.

Für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 führte die Beklagte eine sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung bei dem klägerischen Restaurant durch, die mit einer Prüfmitteilung vom 05.07.2010 abgeschlossen wurde.

Der Tenor der Prüfmitteilung lautete:

"Unsere Betriebsprüfung hat keine Feststellungen bzw. Beanstandungen ergeben".

Im Rahmen einer verdachtsunabhängigen Kontrolle der Kontrolleinheit Prävention des Hauptzollamts Landshut vom 08.02.2011 wurden laut Schlussbericht vom 17.07.2012 u. a. Unstimmigkeiten bei der Lohnzahlung festgestellt.

Die Klägerin beschäftigte seit November 2006 chinesische Spezialitätenköche in ihrem Lokal. Bei den Spezialitätenköchen handelt es sich um sog. Alleinköche, die im Inland mit dem Tarifposten "Chef de partie" vergleichbar und entsprechend zu entlohnen waren. Gemäß der von der Bundesagentur für Arbeit anzuwendenden Checkliste sind diese Personen entsprechend des jeweiligen Landestarifs des Hotel- und Gaststättengewerbes (HOGA Tarif) in der Bewertungsgruppe Alleinkoch einzugruppieren.

Im streitgegenständlichen Zeitraum waren für die Alleinköche (Chef de partie) die nachfolgenden Löhne nach dem HOGA Tarif Bayern zu bezahlen:

GültigkeitAb 05/06Ab 06/06Ab 05/08Ab 09/09Ab 10/10Ab 2011Mindestlohn1.849,- €1.890,- €1.947,- €1.996,- €2.046,- €2.046,- €Die Prüfung der Geschäfts- und Lohnunterlagen der Spezialitätenköche durch das Hauptzollamt ergab, dass die Klägerin bei der Ersteinreise der Köche den gemäß der Beschäftigungsverordnung jeweils gültigen bayerischen HOGA Tarif bezahlte, die während der anschließenden Beschäftigungsdauer (in der Regel vier Jahre) erfolgten tariflichen Lohnerhöhungen aber nicht an ihre Beschäftigten weitergab bzw. den Lohn tatsächlich nicht erhöhte. Die darauf fälligen Sozialversicherungsabgaben wurden nicht entrichtet.

Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund hörte mit Schreiben vom 02.04.2012 die Klägerin dazu an, dass geplant sei, auf Grund des oben genannten Sachverhalts für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.03.2011 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 8.298,78 € nachzufordern.

Die Beklagte erließ aufgrund des Ergebnisses des Schlussberichts des Hauptzollamts den Beitragsbescheid vom 14.08.2012, mit dem für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.03.2011 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 8.298,78 € nachgefordert werden. In dem Betrag sind Säumniszuschläge in Höhe von 1.764,00 € enthalten.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.09.2012 Widerspruch mit der Begründung, dass bereits am 05.07.2010 eine Betriebsprüfung stattgefunden habe, die zu keinen Beanstandungen führte. Ferner sei nicht berücksichtigt worden, dass im streitgegenständlichen Zeitraum Fehlzeiten der Köche z. B. unbezahlter Urlaub oder unbezahlte arbeitsfreie Zeit enthalten sind, die nicht zur Beitragspflicht führten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013 zurück.

Mit Schriftsatz vom 18.04.2013 erhob die Klägerin am 22.04.2013 Klage zum Sozialgericht Landshut:

Die Klägerin weist nochmals darauf hin, dass für Zeiten unbezahlten Urlaubs keine Sozialversicherungsbeiträge abzuführen seien. Die Klägerin erkenne jedoch an, dass sie zum Teil übersehen habe, eine tarifliche Anpassung der Löhne durchzuführen.

Die Klägerin beantragt zuletzt mit Schriftsatz vom 25.11.2013,

den Betriebsprüfungsbescheid vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2012 insoweit aufzuheben, als darin Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum 01.06.2006 bis 31.12.2009 nachgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keinen eigenen Antrag.

Die Beklagte wies darauf hin, dass nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BVV die Prüfung der Aufzeichnungen nach den §§ 8 und 9 BVV auf Stichproben beschränkt werden könne. Das BSG habe in ständiger Rechtsprechung u. a. mit Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R - BSGE 93, 119 (ebenso die Urteile des BSG v. 22.02.1980 - 12 RK 34/79 - BSGE 50, 25 und v. 30.11.1978 - 12 RK 6/76 - BSGE 47, 1949) entschieden, dass die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet sind. Dies gelte gleichermaßen für die beitragsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelten. Das BSG führe weiterhin aus, dass Betriebsprüfungen unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck haben, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollten einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung komme den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezweckten insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen. Auch den Prüfberichten und Bescheiden komme keine andere Bedeutung zu. Arbeitgeber könnten sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen, nur weil ein bestimmter Sachverhalt bei einer vorherigen Betriebsprüfung nicht beanstandet wurde. Das BSG habe im Übrigen seine Rechtsprechung aktuell mit Urteil v. 30.10.2013 - B 12 AL 2/11 R - bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 23.10.2013 Bezug genommen.

Gründe

Da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 08.11.2013, 25.11.2013, 07.01.2014 bzw. 09.01.2014 ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben, konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Betriebsprüfungsbescheid vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009 nachfordert. Die Beklagte war infolge der Bestandskraft der vorangegangenen Prüfmitteilung vom 05.07.2010 (Prüfzeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009) nicht berechtigt, ohne verfahrensrechtliche (Teil-) Aufhebung dieses Bescheids nach den §§ 44 ff. SGB X Beiträge für oben genannten Zeitraum nachzufordern. Entgegen der bisher herrschenden Meinung stellt nach Ansicht der Kammer auch eine Prüfmitteilung nach § 7 BVV einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar.

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2012 mit dem Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 8.298,78 € für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.03.2011 nachgefordert werden. Mit Schriftsatz vom 25.11.2013 wurde die Klage gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 102 Abs. 1 SGG in zulässiger Weise auf den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009 beschränkt.

2. Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob der Bescheid vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2012 dem Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs. 1 SGB X gerecht wird.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung des BayLSG (vgl. nur Urteil v. 17.05.2011 - L 5 R 848/08; Beschluss v. 14.11.2012 - L 5 R 890/12 B ER) müssen Beitragsnachforderungsbescheide nach § 28p SGB IV aufgrund des Bestimmtheitserfordernisses gem. § 33 Abs. 1 SGB X, welches gem. §§ 1, 8 SGB X auch für Betriebsprüfungsverfahren Geltung besitzt, den Prüfzeitraum unzweifelhaft benennen. Denn der Adressat eines Verwaltungsaktes muss ohne Weiteres in der Lage sein, das von ihm Geforderte klar zu erkennen (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. § 33 Rz. 2), wobei sich die Bestimmtheitsanforderungen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden Rechts richten (BVerwG Urteil vom 20.04.2005 - 4 C 18/03, Rnr. 53, zitiert nach juris, zu dem insoweit identischen Bestimmtheitsgrundsatz in § 37 Abs. 1 VwVfG). Wer einen auf Grund Betriebsprüfung ergangenen Beitragsnachforderungs-Bescheid erhält, muss erkennen können, für welche Zeiträume seine Meldungen und Unterlagen gem. §§ 28 a ff SGB IV geprüft wurden und für welche Zeiträume sich deswegen Nachforderungen ergeben. Die Angabe des Prüfzeitraumes ist auch deshalb unerlässlich, weil sich durch ihn bestimmt, welche Zeiträume einen aus § 45 SGB X resultierenden "Bestandsschutz" erhalten (vgl. BayLSG Beschluss vom 31.07.2012 - L 5 R 345/12 B ER; Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08; a.A. Besprechung des GKV-Spitzen-verbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 23./24.11.2011, TOP 12).

Besondere Bedeutung hat der Prüfzeitraum darüber hinaus für die von der Prüfung nach § 28 p SGB IV drittbetroffenen Beschäftigten. Ihnen können aus Beitragsnachforderungen sozialrechtliche Leistungsansprüche erwachsen, wie insbesondere Rentenanwartschaften aus Beiträgen gem. § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI oder Ansprüche auf Arbeitslosengeld gem. § 149 SGB III und auf Krankengeld gem. § 47 SGB V, welche sich beide nach dem "erzielten" Entgelt richten. Damit die so betroffenen Beschäftigten eine mögliche Verletzung ihrer Rechte erkennen und geltend machen können, ist in einem ersten Schritt ein Abgleich des Prüfzeitraumes mit zurückgelegten Beschäftigungszeiten erforderlich, so dass der unzweideutigen Bestimmung des Prüfzeitraumes auch deshalb erhebliches Gewicht zukommt.

Vorliegend ist dem Bescheid vom 14.08.2012 nur zu entnehmen, für welchen Zeitraum Beiträge nachgefordert werden. Es ist jedoch aus dem Bescheid nicht ersichtlich, auf welchen Zeitraum sich die konkrete Prüfung bezog.

Die Kammer konnte diese Frage jedoch im Ergebnis offen lassen, da jedenfalls der streitgegenständliche Bescheid für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009 aus den unter Punkt 3. genannten Gründen rechtswidrig ist.

3. Einer Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.10.2006 bis 31.12.2009 steht jedenfalls die Bestandskraft der Prüfmitteilung vom 05.07.2010 entgegen (zur Sperrwirkung eines Betriebsprüfungsbescheids vgl. nur BayLSG, Urteil v. 08.10.2013 - L 5 R 554/13; Urteil v. 18.01.2011 - L 5 R 752/08; Beschluss v. 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER; Beschluss v. 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 16.10.2013 - L 3 R 485/12 B ER; Rittweger, in: DB 2011, 2147 ff.; a. A. LSG Sachsen, Beschluss v. 22.03.2013 - L 1 KR 14/13 B ER; v. Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 23./24.11.2011 TOP 12; http://www.aok-business.de/ fileadmin/user_upload/global/Fachthemen/ Besprechungsergebnisse/2011/bsperg_20111124-BeitrEinz.pdf.; Neidert/Scheer, in: DB 2011, 2547 ff.).

a) Die materielle Bestandskraft bedeutet, dass die in dem Verwaltungsakt getroffene Regelung für die Beteiligten materiell verbindlich ist, § 77 SGG. Nach Eintritt der materiellen Bestandskraft kann eine Änderung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulasten des Betroffenen erfolgen. Diese Wirkung tritt für die Behörde grundsätzlich mit dem Wirksamwerden des Verwaltungsaktes gemäß § 39 SGB X ein (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 85 Nr. 1 m. w. N.), für den Betroffenen mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes. Die Bindungswirkung tritt nur hinsichtlich des Verfügungssatzes ein, nicht hinsichtlich der Begründung des Bescheids. Zur Begründung gehören die rechtliche Beurteilung von Vorfragen und die dem Bescheid zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen. Die Gründe können lediglich zur Auslegung des Verfügungssatzes herangezogen werden (ausführlich zur Bestandskraft sozialrechtlicher Bescheide Dörr, NZS 1994, 203 ff.) In der Verwaltungspraxis der beklagten Deutschen Rentenversicherung, wird bei Betriebsprüfungsbescheiden und Prüfmitteilungen nicht deutlich zwischen Tenor (Entscheidungssatz), ggf. mit den jeweiligen Nebenbestimmungen, und der Begründung unterschieden. Gerade zur Bestimmung der Bindungswirkung des jeweiligen Verwaltungsaktes ist dies jedoch notwendig.

b) Entgegen der h. M. (vgl. nur SG Stralsund, Beschluss v. 05.03.2012 - S 3 R 80/12 ER; Neidert/Scheer, DB 2011, 2547; Brand, NZS 2013, 641, 645; Sehnert, in: Hauck/ Noftz, SGB IV, Stand: 10/08, § 28p Rn. 138; Jochim, in: jurisPK-SGB IV, Stand: 01.02.2011, § 28p Rn. 138; Hauck, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, in: 25. Jahresarbeitstagung Deutsches Anwaltsinstitut Sozialrecht 2013, S. 1, 21) stellt auch eine Prüfmitteilung nach § 7 BVV einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar.

Ein Verwaltungsakt ist nach der Legaldefinition in § 31 S. 1 SGB X bzw. § 35 S. 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Unstreitig liegen bei dem Erlass einer Prüfmitteilung durch den Rentenversicherungsträger die Merkmale

- Hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts- durch eine Behörde- Einzelfall

vor.

Die h. M. verneint die Verwaltungsaktqualität mit der Begründung, dass die Prüfmitteilung nach § 7 BVV keinen Regelungscharakter habe. Diese Auffassung wird von der erkennenden Kammer nicht geteilt. Bei der Durchführung einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV handelt es sich um die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nach § 8 SGB X. Das Verwaltungsverfahren wird regelmäßig durch den Erlass einer Sachentscheidung (Verwaltungsakt oder Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages) beendet. Auch die Mitteilung, dass die Betriebsprüfung keine Feststellungen bzw. Beanstandungen ergeben hat (vgl. die Prüfmitteilung v. 05.07.2010) ist eine Sachentscheidung und beendet das Verwaltungsverfahren der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung. Dieser Mitteilung kommt auch Regelungscharakter zu. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (vgl. z.B. BSG v. 4.10.1994 - 7 KlAr 1/93 - BSGE 75, 97, 107 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2; BSG V 21.5.1996 - 12 RK 67/94 - SozR 3-2200 § 306 Nr 2 S 7; Kopp/Ramsauer, § 35 Rn 88). Die Qualifizierung von Verwaltungshandeln als Verwaltungsakt richtet sich nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgeblich ist vielmehr in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, d.h. wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (stRspr; statt vieler BSG v. 10.07.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 Rn 25; BSG v. 28.18.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 Rn 15; BSG v 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 100 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 13; BVerwG v. 10.11.2006 - 9 B 17/06 - juris Rn 4). Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (BSG v. 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 100 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 13). Der Adressat der Prüfmitteilung vom 05.07.2010 durfte diese so verstehen, dass die Prüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 keine Beanstandungen ergeben hat. Es ist damit eine verbindliche Rechtsfolge gesetzt worden, dass derzeit für einen bestimmten Zeitraum keine Beanstandungen festegestellt wurden und somit keine Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Dass eine Prüfmitteilung durchaus rechtliche Qualität besitzt, findet auch eine Stütze im Insolvenzrecht. Nach der Rechtsprechung des BGH - Urteil v. 05.12.2013 Az.: IX ZR 93/11 - ist ein Unternehmen verpflichtet, eine potentielle Nachforderung des Sozialversicherungsträgers in die Bilanz einzustellen, wenn dies bei einer Schlussbesprechung nur angekündigt wird. Daraus wird deutlich, dass bereits die Schlussbesprechung rechtliches Gewicht besitzt. Dies muss im Umkehrschluss jedoch bedeuten, dass auch der Abschluss einer Prüfung mit der Feststellung, dass keine Beanstandungen vorliegen, verbindlichen Regelungscharakter hat. Der Regelungscharakter kann auch nicht dadurch verneint werden, dass möglicherweise nur eine vorläufige Regelung durch den Rentenversicherungsträger gewollt war. Auch eine vorläufige Regelung kann eine Regelung im Sinne von § 31 S. 1 SGB X sein. Es handelt sich dann um einen einstweiligen bzw. vorläufigen Verwaltungsakt (zum vorläufigen VA: Schmidt-De Caluwe, NZS 2001, 240ff mwN; Eschenbach, DVBl 2002, 1247; Ebsen, Verw 35 (2002), 239, 252f; Schütze, § 45 Rn 13ff).

Entscheidend für die Verwaltungsaktqualität einer Prüfmitteilung spricht jedoch der Lehrsatz des "actus contrarius". Dieser besagt, dass eine Rechtshandlung und eine Handlung, die das Gegenteil darstellt, dieselbe rechtliche Qualität haben müssen. Sofern keine besonderen Regelungen bestehen, gilt daher für die rechtliche Behandlung eines Rechtsakts dasselbe wie für sein ausdrücklich geregeltes Gegenteil. Sowohl der Beitragsbescheid nach § 28p Abs. 1 Satz SGB IV als auch die Prüfmitteilung nach § 7 BVV beenden das Prüfverfahren. Es ist nach verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen nicht nachvollziehbar, weshalb die Feststellung einer Beitragspflicht einen Verwaltungsakt darstellen soll und das Gegenteil, dass keine Beanstandungen festgestellt wurden, kein Verwaltungsakt sein soll.

Damit stellt auch die Prüfmitteilung vom 05.07.2010 einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar (vgl. auch Rittweger, DB 2011, 2147, 2148).

c) Mit dieser Prüfmitteilung wurde bestandskräftig der Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 geprüft. Dies bedeutet, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung des BayLSG a. a. O eine Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen für diesen nur unter (Teil-)Aufhebung der Prüfmitteilung 05.07.2010 nach den §§ 44 ff. SGB X möglich ist. Eine solche ist unstreitig nicht erfolgt. Die verfahrensrechtliche Bindungswirkung tritt mit dem im Bescheidstenor zum Ausdruck gebrachten Verfügungssatz ein. Es kommt nicht darauf an, ob eine Stichprobenprüfung durchgeführt wurde bzw. möglich war. Der Bescheidsadressat durfte aus objektiver Empfängersicht davon ausgehen, dass für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 zunächst keine Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. In der Prüfmitteilung wurde nicht klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich möglicherweise nur um einen vorläufigen Bescheid bzw. einen mit einer Nebenbestimmung nach § 32 SGB X (z. B. Vorbehalt der Nachforderung) versehenen Bescheid handelt. Nach dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X wird eben ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Entscheidend ist der aus dem Verwaltungsakt erkennbar erklärte Wille der Behörde, nicht was sie äußern wollte oder äußern hätte können (vgl. BVerwGE 29, 310). Soll ein Verwaltungsakt nur vorläufige Wirkung haben, müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt im Bescheidstenor mitgeteilt werden (BSGE 67, 104/109).

Auch aus dem Hinweis in der Prüfmitteilung "Die stichprobenweise durchgeführte Prüfung hat keine Beanstandungen ergeben" ergibt sich keine andere Beurteilung. Zum einen ist jede Betriebsprüfung vom Grundsatz her umfassend (vgl BT-Drs 13/1205 Seite 6: "Die Prüfung durch die Rentenversicherung ist umfassend"). Zum anderen kann die in § 11 BVV geregelte Stichprobenprüfung, die dem Gebot effizienten und wirtschaftlichen Verwaltungshandelns entspringt, die Rücknahme eines Bescheides nach §§ 44 SGB X erleichtern, aber nicht ersetzen (so BayLSG, Beschluss v. 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER). Für einen Eingriff in bestandskräftig geprüfte Zeiträume wäre nach Ansicht der Kammer zumindest notwendig, dass dem Arbeitgeber im Bescheidstenor klar vor Augen geführt wird, dass der Bescheid unter dem Vorbehalt einer späteren Nachprüfung steht.

Etwas Anderes ist auch nicht dem BSG Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R zu entnehmen, denn dort hatte das BSG für den entschiedenen Fall einer rückwirkenden Beitragsnachforderung lediglich die Voraussetzungen einer Verwirkung (§ 242 BGB analog) verneint, die die nachträgliche Beitragsgeltendmachung gehindert hätte. Einen Ausspruch, die §§ 44 ff SGB X besäßen im Falle von Stichprobenprüfungen keine Geltung, enthält die Entscheidung nicht. Dies gilt umso mehr, als das BSG ausdrücklich auf sein Urteil vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 Bezug genommen hatte, dessen Entscheidungszeiträume vor Inkrafttreten des SGB X gelegen hatten (vgl. ausführlich BayLSG v. 08.10.2013 - L 5 R 554/13). Für das Gericht ist nicht erkennbar, inwieweit sich das BSG im Urteil v. 30.10.2013 - B 12 AL 2/11 - mit der oben aufgeführten verfahrensrechtlichen Thematik auseinandergesetzt hat. Die Entscheidungsgründe sind bislang nicht veröffentlicht.

Aus oben genannten Gründen war der Klage im beantragten Umfang stattzugeben und der Betriebsprüfungsbescheid der Beklagten vom 14.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 für den Zeitraum 01.10.2006 bis 31.12.2009 aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 155 VwGO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt den §§ 63 Abs.1, 52, 53 GRG i.V.m. § 197 a SGG.